Henrik Ibsen
Rosmersholm
Henrik Ibsen

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Dritter Akt

Wohnstube auf Rosmersholm.

Das Fenster und die Wohnstubentür stehen offen. Die Vormittagssonne scheint draußen.

Rebekka, angezogen wie im ersten Akt, steht am Fenster, begießt die Blumen und macht sich sonst mit ihnen zu schaffen. Ihr Häkelzeug liegt im Lehnstuhl. Madam Helseth geht mit einem Federbesen umher und reinigt die Möbel.

Rebekka nach einer Pause. Merkwürdig, wie lange der Herr Pastor heut oben bleibt.

Madam Helseth. Ach, das tut er ja oft. Aber nun muß er ja doch bald herunter kommen.

Rebekka. Haben Sie etwas von ihm gesehen?

Madam Helseth. Eben nur so viel. Wie ich mit dem Kaffee hinaufkam, da ging er in sein Schlafzimmer und kleidete sich an.

Rebekka. Ich frage, weil er gestern nicht ganz wohl war.

Madam Helseth. Ja, das sah man ihm an. Ich möchte man bloß wissen, ob zwischen seinem Schwager und ihm irgend etwas los ist?

Rebekka. Was sollte das nach Ihrer Meinung wohl sein?

Madam Helseth. Kann ich das wissen? Vielleicht ist es dieser Herr Mortensgård, der die beiden gegeneinander aufgehetzt hat.

Rebekka. Das ist schon möglich. – Kennen Sie diesen Peder Mortensgård näher?

Madam Helseth. I bewahre! Wie können Sie nur so etwas denken, Fräulein? So einen, wie der ist!

Rebekka. Meinen Sie, weil er die garstige Zeitung herausgibt?

Madam Helseth. Nicht deswegen bloß. – Fräulein haben doch wohl gehört, daß er ein Kind mit einer verheirateten Frau hatte, der der Mann durchgebrannt war?

Rebekka. Ich habe so etwas gehört. Aber das war wohl lange, bevor ich hierher kam.

Madam Helseth. Ja, du lieber Himmel, er war damals noch so jung. Und sie hätte gescheiter sein sollen als er. Er wollte sie doch auch heiraten. Aber dazu konnte er nicht den Konsens kriegen. Und dann hat er schwer genug dafür büßen müssen. – Seitdem aber hat sich dieser Mortensgård herausgemacht – wahrhaftigen Gott! Es gibt gar viele, die den Mann suchen.

Rebekka. Die meisten kleinen Leute wenden sich am liebsten an ihn, wenn irgend etwas los ist.

Madam Helseth. Na, es dürften wohl auch noch andere sein als bloß die kleinen Leute –

Rebekka blickt sie verstohlen an. So?

Madam Helseth am Sofa, stäubt ab und fegt eifrig. Es dürften Leute sein, von denen man es am allerwenigsten denken sollte, Fräulein.

Rebekka macht sich bei den Blumen zu schaffen. Das ist doch wohl nur eine Vermutung von Ihnen, Madam Helseth. Denn Sie können doch so etwas nicht so bestimmt wissen.

Madam Helseth. Fräulein meinen also, ich kann das nicht wissen? Und ob ich das kann! Denn ich, – wenn es nun doch schon einmal heraus soll –, ich bin selber einmal mit einem Brief bei Mortengård gewesen.

Rebekka dreht sich um. So? – Wirklich?

Madam Helseth. Allerdings bin ich das. Und der Brief, der war Ihnen hier auf Rosmersholm geschrieben.

Rebekka. In der Tat, Madam Helseth?

Madam Helseth. Wahrhaftigen Gott, ja! Und auf feinem Papier war er geschrieben. Und mit feinem, rotem Lack war er gesiegelt.

Rebekka. Und Sie bekamen den Auftrag, damit hinzugehen? Ja, meine liebe Madam Helseth, dann ist es ja wohl nicht schwer zu erraten, von wem der Brief war.

Madam Helseth. Na?

Rebekka. Natürlich hat das die arme Frau Rosmer in ihrem kranken Zustand – –

Madam Helseth. Das sagen Fräulein, nicht ich.

Rebekka. Aber was stand denn in dem Brief? Ach, es ist ja wahr – das können Sie nicht wissen.

Madam Helseth. Hm! Es könnte schon sein, daß ich es doch wüßte.

Rebekka. Hat sie Ihnen gesagt, was sie geschrieben hat?

Madam Helseth. Nein, das gerade nicht. Aber als er, der Mortensgård, ihn gelesen hatte, da fing er an, mich so auszufragen, die kreuz und quer, daß ich schon erraten konnte, was drin stand.

Rebekka. Was, glauben Sie denn, stand drin? Ach, liebste, beste Madam Helseth, sagen Sie es mir doch!

Madam Helseth. Nee, Fräulein, – um keinen Preis der Welt.

Rebekka. Ach, mir können Sie es doch sagen. Wir zwei sind doch so gute Freunde.

Madam Helseth. I Gott bewahre, wie werde ich Ihnen denn so etwas sagen, Fräulein. Ich kann nur sagen, daß es was Garstiges war, das sie der armen kranken Frau eingeredet hatten.

Rebekka. Wer hatte ihr es denn eingeredet?

Madam Helseth. Schlechte Menschen, Fräulein West! Schlechte Menschen.

Rebekka. Schlechte –?

Madam Helseth. Ja, Das sage ich noch mal. Ganz schlechte Menschen müssen es gewesen sein.

Rebekka. Und wer, glauben Sie, könnte das gewesen sein?

Madam Helseth. Ach, ich weiß, was ich zu glauben habe. Aber Gott bewahre meine Zunge. Da in der Stadt, da ist eine gewisse Frau – hm!

Rebekka. Ich kann Ihnen ansehen, Sie meinen Frau Kroll.

Madam Helseth. Ja, die hat es hinter den Ohren! Mir gegenüber hat sie sich immer so mausig gemacht. Und Sie waren ihr auch immer ein Dorn im Auge.

Rebekka. Meinen Sie, Frau Rosmer war bei vollem Verstande, als sie den Brief an Mortensgård schrieb?

Madam Helseth. Mit dem Verstand, damit ist es so eine Sache, Fräulein. Ganz von Sinnen, glaube ich, war sie nicht.

Rebekka. Aber sie war doch wie vor den Kopf geschlagen, als sie hörte, daß sie keine Kinder bekommen könnte. Und danach trat der Irrsinn zu Tage.

Madam Helseth. Ja, das hat sie schwer getroffen, die arme Frau.

Rebekka nimmt das Häkelzeug und setzt sich auf den Stuhl am Fenster. Übrigens – meinen Sie nicht auch, es war im Grunde ein Glück für den Herrn Pastor, Madam Helseth?

Madam Helseth. Was, Fräulein?

Rebekka. Daß keine Kinder da sind. Wie?

Madam Helseth. Hm! Ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll.

Rebekka. Ja, Sie können es mir glauben. Es war für ihn das beste. Der Pastor Rosmer ist nicht dazu geschaffen, das ewige Kindergeschrei mitanzuhören.

Madam Helseth. Die kleinen Kinder schreien nicht auf Rosmersholm, Fräulein.

Rebekka sieht sie an. Schreien nicht?

Madam Helseth. Nein. Hier auf dem Gut hatten die kleinen Kinder nie die Gewohnheit zu schreien, – so lange die Leute denken können.

Rebekka. Das ist aber doch merkwürdig.

Madam Helseth. Ja, ist das nicht merkwürdig? Aber das liegt in der Familie. Und dann ist noch eine merkwürdige Sache. Wenn sie größer werden, dann lachen sie nie. In ihrem ganzen Leben lachen sie nicht.

Rebekka. Das ist aber doch seltsam –

Madam Helseth. Haben Sie auch nur ein einziges Mal den Herrn Pastor lachen gehört oder gesehen, Fräulein?

Rebekka. Nein, – wenn ich nachdenke, dann glaube ich fast, Sie haben Recht. Aber die Menschen hier in der Gegend, scheint mir, lachen im allgemeinen nicht viel.

Madam Helseth. Das tun sie auch nicht. Auf Rosmersholm, sagen die Leute, hat es angefangen. Und dann hat es sich wohl wie eine Art Seuche verbreitet.

Rebekka. Sie sind mir eine nachdenkliche Frau, Madam Helseth.

Madam Helseth. Ach, machen Sie sich doch nicht über mich lustig, Fräulein – horcht. Pst, pst, – jetzt kommt der Herr Pastor herunter. Er kann den Federbesen in der Stube nicht leiden. Sie geht hinaus durch die Tür rechts.

Rosmer, Hut und Stock in der Hand, kommt durch das Vorzimmer herein.

Rosmer. Guten Morgen, Rebekka.

Rebekka. Guten Morgen, mein Freund. Pause; häkelt. Willst Du ausgehen?

Rosmer. Ja.

Rebekka. Das Wetter ist auch so schön.

Rosmer. Du warst heute Morgen nicht bei mir oben.

Rebekka. Nein, – allerdings nicht. Heut nicht.

Rosmer. Kommst Du auch in Zukunft nicht?

Rebekka. Ach, Du, ich weiß noch nicht.

Rosmer. Ist etwas für mich gekommen?

Rebekka. Die »Amtszeitung« ist gekommen.

Rosmer. Die »Amtszeitung« –!

Rebekka. Sie liegt da auf dem Tisch.

Rosmer legt Hut und Stock fort. Steht etwas drin –?

Rebekka. Ja.

Rosmer. Und da schickst Du sie mir nicht herauf –

Rebekka. Du bekommst es noch früh genug zu lesen.

Rosmer. Nun ja. Nimmt das Blatt und liest am Tische stehend. Was! – – »kann nicht genug vor charakterlosen Überläufern warnen« – sieht sie an. Sie nennen mich einen Überläufer, Rebekka.

Rebekka. Es ist kein Name genannt.

Rosmer. Das ist doch einerlei. Liest weiter. –»heimliche Verräter an der guten Sache« –. »Judasnaturen, die ihren Abfall frech bekennen, sobald sie glauben, daß der günstige und – profitabelste Zeitpunkt gekommen ist«. »Rücksichtsloses Attentat auf das Andenken ehrwürdiger Ahnen« –. – »in Erwartung, daß die Machthaber des Augenblicks mit einer passenden Belohnung nicht zurückhalten werden.« Legt die Zeitung auf den Tisch. Und das schreiben sie über mich! Und das alles glauben sie doch selbst nicht. Und obwohl sie wissen, daß kein wahres Wort daran ist, – sie schreiben's doch!

Rebekka. Es steht noch mehr da.

Rosmer nimmt die Zeitung wieder. – »als Entschuldigung der Mangel an Urteil, – verderblicher Einfluß, – der sich vielleicht auch auf ein Gebiet erstreckt, das wir vorläufig nicht zum Gegenstand öffentlicher Besprechung machen wollen« – sieht sie an. Was ist das?

Rebekka. Das geht auf mich, kannst Du Dir wohl denken.

Rosmer legt die Zeitung fort. Rebekka, – das ist die Handlungsweise unehrlicher Männer.

Rebekka. Ja, mir scheint, die haben Mortensgård nichts vorzuwerfen.

Rosmer auf und ab gehend. Hier ist ein Werk der Rettung zu leisten. Alles, was gut ist im Menschen, geht zu Grunde, wenn das so weiter gehen darf. Aber das soll es nicht! O, wie froh, – wie froh wäre ich, könnte ich ein wenig Licht bringen in das Düster dieser Abscheulichkeiten.

Rebekka steht auf. Ja, nicht wahr? Das wäre eine große und herrliche Lebensaufgabe für Dich!

Rosmer. Denk nur, wenn ich sie zur Selbsterkenntnis auferwecken könnte. Wenn ich sie dahin bringen könnte, daß sie bereuen und sich vor sich selbst schämen. Wenn ich erreichen könnte, daß sie sich einander nähern in Verträglichkeit, – in Liebe, Rebekka.

Rebekka. Ja, setz' nur alle Kräfte dafür ein, und Du wirst sehen, Du gewinnst.

Rosmer. Ich glaube, es müßte gelingen. Ach, was für eine Lust wäre es dann, zu leben. Kein haßerfüllter Streit mehr. Nur Wettstreit. Aller Augen gerichtet auf das eine Ziel. Jeder Wille, jeder Sinn vorwärts strebend, – empor, – ein jeglicher auf seinem eigenen, naturnotwendigen Wege. Das Glück aller, – geschaffen durch alle. Sieht zufällig hinaus, schrickt zusammen und sagt schwermütig: Ah! Nicht durch mich.

Rebekka. Nicht –? Nicht durch Dich?

Rosmer. Und auch nicht für mich.

Rebekka. Ach, Rosmer, laß doch solche Zweifel nicht in Dir aufkommen.

Rosmer. Glück, – liebe Rebekka, – Glück ist zuerst und vor allen Dingen das stille, frohe, sichere Gefühl der Schuldlosigkeit.

Rebekka sieht vor sich hin. Ja, die Schuld –.

Rosmer. Ach, das kannst Du gar nicht so recht beurteilen. Aber ich –

Rebekka. Du am wenigsten!

Rosmer zeigt zum Fenster hinaus. Der Mühlenbach!

Rebekka. Ach, Rosmer –!

Madam Helseth sieht durch die Tür rechts herein.

Madam Helseth. Fräulein!

Rebekka. Später, später. Jetzt nicht.

Madam Helseth. Nur ein Wort, Fräulein.

Rebekka geht zur Tür. Madam Helseth teilt ihr etwas mit. Sie flüstern eine Weile zusammen. Madam Helseth nickt und geht.

Rosmer unruhig. War es etwas für mich?

Rebekka. Nein, bloß häusliche Angelegenheiten. – Du solltest jetzt einen Spaziergang in der frischen Luft machen, lieber Rosmer. Jawohl, einen tüchtigen Spaziergang.

Rosmer nimmt den Hut. Ja, komm. Machen wir ihn zusammen.

Rebekka. Nein, mein Lieber, ich kann jetzt nicht. Du mußt allein gehen. Nun suche aber auch die trübseligen Gedanken loszuwerden. Versprich mir das.

Rosmer. Die werde ich wohl nie wieder los, – das fürchte ich.

Rebekka. Daß etwas so Grundloses aber auch solche Macht über Dich erlangen kann –!

Rosmer. Es ist eben nicht so grundlos, – leider. Die ganze Nacht habe ich gelegen und über das Ganze nachgesonnen. Beate hat am Ende doch richtig gesehen.

Rebekka. Worin, meinst Du?

Rosmer. Richtig gesehen, als sie glaubte, ich liebte Dich, Rebekka.

Rebekka. Richtig gesehen – darin!

Rosmer legt den Hut auf den Tisch. Die Frage beschäftigt mich unausgesetzt, – ob wir beide uns nicht die ganze Zeit selbst betrogen haben – wenn wir unser Verhältnis Freundschaft nannten.

Rebekka. Meinst Du am Ende, man hätte es ebensogut nennen können ein –

Rosmer. – Liebesverhältnis. Ja, das meine ich. Schon als Beate noch lebte, warst Du es, der alle meine Gedanken gehörten. Nach Dir, und nur nach Dir stand mein Sehnen. Bei Dir, und nur bei Dir empfand ich jene stille, frohe, wunschlose Glückseligkeit. Wenn wir es uns recht überlegen, Rebekka, – so hat unser Zusammenleben wie eine süße, heimliche Kinderliebschaft angefangen. Ohne Wunsch und ohne Träume. Hattest Du nicht dieselbe Empfindung? Sag' mir das.

Rebekka kämpft mit sich. Ach, – ich weiß nicht, was ich Dir antworten soll.

Rosmer. Und dieses Leben, das wir innerlich mit einander und für einander führten, das haben wir für Freundschaft gehalten. Nein, Du, – unser Verhältnis ist eine geistige Ehe gewesen – vielleicht schon von den ersten Tagen an. Darum ist eine Schuld auf meiner Seite. Ich hatte kein Recht dazu, – ich durfte es nicht Beatens wegen.

Rebekka. Durftest nicht glücklich sein? Ist das Deine Meinung, Rosmer?

Rosmer. Sie sah unser Verhältnis mit den Augen ihrer Liebe an. Beurteilte unser Verhältnis nach der Art ihrer Liebe. Natürlich, Beate konnte nicht anders urteilen, als sie getan hat.

Rebekka. Aber wie kannst Du Dich selbst verantwortlich machen für Beatens Irrtum!

Rosmer. Aus Liebe zu mir, – wie sie es verstand – ging sie in den Mühlengraben. Die Tatsache steht fest, Rebekka. Und darüber komme ich niemals hinweg!

Rebekka. Ach, so denke doch an nichts anderes als an die schöne, große Aufgabe, für die Du Dein Leben eingesetzt hast.

Rosmer schüttelt den Kopf. Du, – die wird sich gewiß nie durchführen lassen. Nicht von mir. Nach dem, was ich jetzt weiß.

Rebekka. Warum nicht von Dir?

Rosmer. Weil der Sieg nie einer Sache werden kann, die ihren Ursprung in der Schuld hat.

Rebekka impulsiv. O! das sind die Zweifel – Beängstigungen – Skrupel, die alle ein Erbstück der Familie sind. Man erzählt sich hier, die Toten kämen zurück als stürmende weiße Rosse! Mir scheint, dies ist so etwas.

Rosmer. Sei es, was es will. Was hilft es, wenn ich nun doch nicht davon loskommen kann? Und Du kannst mir glauben, Rebekka, es ist, wie ich sage. Die Sache, die zu dauerndem Sieg geführt werden soll, – darf nur von einem frohen und schuldlosen Manne vertreten werden.

Rebekka. Ist die Freude Dir denn so ganz unentbehrlich, Rosmer?

Rosmer. Die Freude? Ja, Du, – das ist sie.

Rebekka. Dir, der nie lachen kann?

Rosmer. Gleichwohl. Glaub' mir, ich habe große Anlagen zum Fröhlichsein.

Rebekka. Nun sollst Du aber gehen, mein Lieber. Weit – recht weit gehen. Hörst Du? – So, da ist Dein Hut. Und da hast Du den Stock.

Rosmer nimmt beides. Danke schön. Und Du gehst nicht mit?

Rebekka. Nein, nein, ich kann jetzt nicht.

Rosmer. Nun, wie Du willst. Du bist ja doch mit mir.

Er geht durch das Vorzimmer ab. Bald darauf guckt Rebekka hinter der offenen Tür hinaus. Dann geht sie an die Tür rechts.

Rebekka öffnet und sagt halblaut: So, Madam Helseth. Nun können Sie ihn hereinlassen.

Geht hinüber an das Fenster.

Gleich darauf tritt Kroll von rechts ein. Er grüßt schweigend und gemessen und behält den Hut in der Hand.

Kroll. Ist er nun weg?

Rebekka. Ja.

Kroll. Pflegt er weit zu gehen?

Rebekka. O ja. Aber heute ist er ganz unberechenbar. Und wenn Sie ihm nicht begegnen wollen –

Kroll. Nein, nein. Mit Ihnen wünsche ich zu sprechen. Und ganz allein.

Rebekka. So lassen Sie uns die Zeit nützen. Nehmen Sie Platz, Herr Rektor.

Sie setzt sich in den Lehnstuhl am Fenster. Kroll läßt sich auf einen Stuhl an ihrer Seite nieder.

Kroll. Fräulein West, – Sie machen sich schwerlich eine Vorstellung davon, wie nahe sie mir geht und wie schmerzlich ich sie empfinde, diese Schwenkung, die Johannes Rosmer vollzogen hat.

Rebekka. Wir waren darauf vorbereitet, daß das der Fall wäre – im Anfang.

Kroll. Nur im Anfang?

Rebekka. Rosmer hatte die sichere Hoffnung, Sie würden früher oder später doch mit ihm gehen.

Kroll. Ich!

Rebekka. Sie so gut wie die anderen Freunde.

Kroll. Da sehen Sie es. So unfähig ist sein Urteilsvermögen, wenn es sich um Menschen und Lebensverhältnisse handelt.

Rebekka. Übrigens – wenn er es nun einmal als eine Notwendigkeit empfindet, sich nach allen Seiten frei zu machen –

Kroll. Ja, sehen Sie – das glaube ich eben nicht.

Rebekka. Was glauben Sie denn?

Kroll. Ich glaube, Sie stecken hinter der ganzen Geschichte.

Rebekka. Das haben Sie von Ihrer Frau, Herr Rektor.

Kroll. Es kann Ihnen doch gleichgültig sein, von wem ich es habe. Aber das ist sicher, ich habe starke Zweifel, – außerordentlich starke Zweifel, sage ich, – wenn ich nachdenke und mir Ihr ganzes Auftreten vergegenwärtige von dem Augenblick an, als Sie hierher kamen.

Rebekka sieht ihn an. Es schwebt mir vor, als hätte es eine Zeit gegeben, wo Sie ein außerordentlich starkes Vertrauen zu mir hatten, mein lieber Herr Rektor. Ein warmes Vertrauen, hätte ich fast gesagt.

Kroll mit gedämpfter Stimme. Wen könnten Sie auch nicht behexen, – wenn Sie es drauf anlegen.

Rebekka. Habe ich's drauf angelegt –!

Kroll. Ja, das haben Sie getan. Ich bin jetzt nicht mehr so dumm zu glauben, daß irgend eine Empfindung mit im Spiel gewesen ist. Sie wollten sich ganz einfach Eingang in Rosmersholm verschaffen. Sich hier festsetzen. Und dazu sollte ich Ihnen verhelfen. Nun sehe ich es.

Rebekka. Sie haben also ganz vergessen, daß Beate es war, die mich quälte und anflehte, ich möchte hier ins Haus ziehen.

Kroll. Ja, nachdem Sie auch die behext hatten. Oder kann man das, was Beate für Sie nachgerade empfand, Freundschaft nennen? Es grenzte an Abgötterei, – Anbetung. Es artete aus in – wie soll ich's nur nennen? – in eine Art desperater Verliebtheit. Ja, das ist das rechte Wort.

Rebekka. Seien Sie so freundlich und vergessen Sie den Zustand Ihrer Schwester nicht. Was mich betrifft, so glaube ich nicht, daß man von mir sagen kann, ich wäre irgendwie überspannt.

Kroll. Nein, das sind Sie wahrhaftig nicht. Aber desto gefährlicher werden Sie den Menschen, auf die Sie Einfluß haben wollen. Ihnen wird es leicht, mit Überlegung und erschöpfender Berechnung zu handeln, – eben weil Sie ein kaltes Herz haben.

Rebekka. Ein kaltes Herz? Wissen Sie das so genau?

Kroll. Jetzt weiß ich ganz genau. Sonst hätten Sie hier nicht jahraus, jahrein unausgesetzt Ihr Ziel so unerschütterlich verfolgt. Ja, ja – Sie haben erreicht, was Sie gewollt haben. Sie haben ihn und die ganzen Verhältnisse in Ihrer Gewalt. Doch um dies alles durchzusetzen, sind Sie nicht davor zurückgeschreckt, ihn unglücklich zu machen.

Rebekka. Das ist nicht wahr! Nicht ich, – Sie selbst haben ihn unglücklich gemacht.

Kroll. So? Ich!

Rebekka. Jawohl, – als Sie ihn auf die Idee brachten, er wäre schuld an dem schrecklichen Ende, das Beate nahm.

Kroll. Das hat ihn also so tief ergriffen?

Rebekka. Das können Sie sich doch wohl denken. Ein so weiches Gemüt wie er hat –

Kroll. Ich glaubte, ein sogenannter »freier« Mann wisse sich über alle Skrupel hinwegzusetzen. – Da haben wir's also! Na ja, – schließlich hätte ich es mir ja auch denken können. Dem Sproß der Männer, die da auf uns herniederschauen, – wird es am Ende doch erspart bleiben, sich von dem lossagen zu müssen, was als unveräußerliches Besitztum sich von Geschlecht zu Geschlecht fortgeerbt hat.

Rebekka die Augen gedankenvoll gesenkt. Johannes Rosmer wurzelt tief und stark in seinem Geschlechte. Nichts wahrer als das.

Kroll. Ja, und darauf hätten Sie Rücksicht nehmen sollen, wenn Sie etwas für ihn fühlten. Aber solche Art Rücksicht konnten Sie wohl nicht üben. Die Voraussetzungen bei Ihnen und bei ihm sind ja doch so himmelweit voneinander verschieden.

Rebekka. Was für Voraussetzungen meinen Sie?

Kroll. Ich meine die Voraussetzungen der Geburt. Der Herkunft, – Fräulein West.

Rebekka. Ach so. Ja, das ist wahr. Ich bin aus sehr bescheidenen Verhältnissen hervorgegangen. Indessen –

Kroll. Stand und Stellung – die meine ich nicht. Ich denke an die moralischen Voraussetzungen.

Rebekka. Voraussetzungen – in welcher Beziehung?

Kroll. In bezug auf Ihre ganze Herkunft.

Rebekka. Was sagen Sie da?

Kroll. Ich sage das ja nur, weil es Ihr ganzes Tun erklärt.

Rebekka. Das verstehe ich nicht. Ich will deutlichen Bescheid.

Kroll. In der Tat, ich meinte, Sie wüßten ganz genau Bescheid. Es wäre doch sonst recht merkwürdig gewesen, daß Sie sich von Doktor West adoptieren ließen –

Rebekka steht auf. Ah so! Jetzt verstehe ich.

Kroll. – daß Sie seinen Namen angenommen haben. Ihrer Mutter Name war Gamvik.

Rebekka auf und ab gehend. Meines Vaters Name war Gamvik, Herr Rektor.

Kroll. Der Beruf Ihrer Mutter mußte sie ja doch immerzu mit dem Bezirksarzt zusammenführen.

Rebekka. Da haben Sie recht.

Kroll. Und da nimmt er Sie zu sich, – gleich, nach dem Tode Ihrer Mutter. Er behandelt Sie hart. Und doch bleiben Sie bei ihm. Sie wissen, daß er Ihnen nicht einen Pfennig hinterlassen wird. Sie haben ja auch nur eine Kiste Bücher bekommen. Und doch halten Sie bei ihm aus. Ertragen seine Launen. Pflegen ihn bis zum letzten Augenblick.

Rebekka am Tisch stehend, blickt ihn höhnisch an. Und dafür, daß ich dies alles getan, – haben Sie die Erklärung, es hafte an meiner Geburt etwas Unsittliches – etwas Verbrecherisches!

Kroll. Was Sie für ihn getan haben, das leite ich aus dem unwillkürlichen Instinkt der Tochter her. Ihr ganzes übriges Auftreten halte ich für ein natürliches Ergebnis Ihrer Herkunft.

Rebekka heftig. Es ist doch kein wahres Wort an allem, was Sie sagen! Das kann ich beweisen! Denn Doktor West war noch gar nicht in Finmarken, als ich geboren wurde.

Kroll. Entschuldigen Sie, – Fräulein. Er kam das Jahr vorher dorthin. Das habe ich festgestellt.

Rebekka. Sie irren sich, sage ich! Sie irren sich vollständig!

Kroll. Vorgestern haben Sie an dieser Stelle gesagt, Sie wären neunundzwanzig Jahre. Sie gingen in das dreißigste.

Rebekka. So? Habe ich das gesagt?

Kroll. Ja, das haben Sie. Und also kann ich ausrechnen –

Rebekka. Halt! Das Rechnen hilft Ihnen nichts. Denn ich will es Ihnen nur lieber gleich sagen: ich bin um ein Jahr älter, als ich mich mache.

Kroll lächelt ungläubig. Wirklich? Das ist neu. Wie ist denn das gekommen?

Rebekka. Als ich fünfundzwanzig geworden, kam ich mir – unverheiratet wie ich war, – so furchtbar alt vor. Und da nahm ich mir vor, ein Jahr zu unterschlagen.

Kroll. Sie? Eine Emanzipierte. Sie haben Vorurteile im Punkte des Heiratsalters?

Rebekka. Ja, es war mordsdumm – und lächerlich zugleich. Aber es bleibt an einem noch immer dies oder das hängen, wovon man sich nicht emanzipieren kann. Wir sind nun einmal so.

Kroll. Mag sein. Aber die Rechnung kann dennoch richtig sein. Denn ein Jahr, ehe er angestellt wurde, ist West dort oben vorübergehend zu Besuch gewesen.

Rebekka begehrt auf. Das ist nicht wahr!

Kroll. Ist nicht wahr?

Rebekka. Nein! Denn davon hat meine Mutter nie etwas gesagt.

Kroll. So? Hat sie das nicht?

Rebekka. Nein, – niemals. Und Doktor West auch nicht. Kein Sterbenswort.

Kroll. Könnte das nicht deshalb sein, weil die beiden allen Grund hatten, ein Jahr zu überspringen? Wie Sie es gemacht haben, Fräulein West. Das ist vielleicht eine Familieneigentümlichkeit.

Rebekka geht umher und ringt heftig die Hände. Es ist unmöglich. Sie wollen mir das bloß einreden. Das kann ja nun und nimmermehr wahr sein. Kann nicht wahr sein! Nun und nimmermehr –!

Kroll steht auf. Aber, meine Liebe, – warum um Gottes willen werden Sie denn so heftig? Sie machen mir geradezu angst! Was soll ich glauben und denken –!

Rebekka. Nichts. Sie sollen weder etwas glauben noch etwas denken.

Kroll. Dann müssen Sie mir aber wirklich erklären, warum Sie sich diese Sache, – diese Möglichkeit so zu Herzen nehmen.

Rebekka faßt sich wieder. Das ist doch sehr einfach, Herr Rektor. Ich habe doch keine Lust, für ein uneheliches Kind zu gelten.

Kroll. Nun ja. – Ja, ja, wir wollen uns also bei dieser Erklärung beruhigen – vorläufig. Sie haben demnach also auch in diesem Punkt ein gewisses – Vorurteil behalten?

Rebekka. Ja, das habe ich wohl.

Kroll. Na, ich denke, es wird sich ebenso verhalten mit dem größten Teil dessen, was Sie Ihre Emanzipierung nennen. Sie haben sich eine ganze Masse neuer Gedanken und Ansichten angelesen. Sie sind auf verschiedenen Gebieten einigermaßen mit der Forschung vertraut, – mit der Forschung, die manches von dem umzustoßen scheint, was bei uns bisher für unumstößlich und unantastbar gegolten hat. Aber das Ganze ist bei Ihnen nur ein Wissen geworden, Fräulein West. Doktrin. Es ist Ihnen nicht in Fleisch und Blut übergegangen.

Rebekka nachdenklich. Mag sein, Sie haben recht.

Kroll. Ja, prüfen Sie sich nur selbst, und Sie werden sehen! Und wenn es so mit Ihnen steht, so weiß man wohl auch, wie es um Johannes Rosmer bestellt ist. Es wäre ja der reinste Wahnsinn, – es hieße ja blindlings ins Verderben rennen, wenn er vor die Öffentlichkeit treten wollte und seinen Abfall bekennen! Denken Sie doch bloß, – er mit seinem zaghaften Gemüt! Stellen Sie sich ihn vor: verstoßen, – verfolgt von dem Kreise, dem er bisher angehört hat. Den rücksichtslosen Angriffen der Besten ausgesetzt, die unsere Gesellschaft hat. Im Leben ist er nicht der Mann, der das übersteht.

Rebekka. Er muß es überstehen! Jetzt ist es zur Umkehr zu spät.

Kroll. Noch gar nicht zu spät. In keiner Beziehung. Was geschehen ist, kann totgeschwiegen werden, – oder es kann zum mindesten als eine ganz vorübergehende, wenn auch beklagenswerte Verirrung ausgelegt werden. Aber – eine Maßregel ist unter allen Umständen nötig.

Rebekka. Und was wäre das für eine?

Kroll. Sie müssen ihn veranlassen, daß er das Verhältnis legalisiert, Fräulein West.

Rebekka. Das Verhältnis, in dem er zu mir steht?

Kroll. Ja. Sie müssen ihn dazu zu bewegen suchen.

Rebekka. Sie halten also nach wie vor an der Ansicht fest, unser Verhältnis bedürfe der – Legalisierung, wie Sie sich ausdrücken?

Kroll. Auf die Sache selbst will ich nicht näher eingehen. Aber ich glaube allerdings die Beobachtung gemacht zu haben, daß man am leichtesten die sogenannten Vorurteile auf dem Gebiet besiegt, wo es sich handelt um – hm.

Rebekka. Um das Verhältnis zwischen Mann und Weib, meinen Sie?

Kroll. Offen gesagt – ja, das glaube ich.

Rebekka geht auf und ab und sieht durchs Fenster. Fast hätte ich gesagt, – möchten Sie doch recht haben, Herr Rektor.

Kroll. Was meinen Sie damit? Es klingt so sonderbar.

Rebekka. Ach was! Reden wir nicht mehr davon! – Ah, – da kommt er.

Kroll. Schon! Dann gehe ich.

Rebekka geht zu ihm. Nein, – bleiben Sie. Denn nun sollen Sie etwas hören.

Kroll. Nicht jetzt. Ich habe das Gefühl, ich kann ihn jetzt nicht sehen.

Rebekka. Ich bitte Sie, – bleiben Sie! Tun Sie es doch. Sie würden es sonst später bereuen. Es ist das letzte Mal, daß ich Sie um etwas bitte.

Kroll sieht sie erstaunt an und legt den Hut hin. Nun wohl, Fräulein West. Gut denn.

Längere Pause. Dann tritt Rosmer durch das Vorzimmer herein.

Rosmer erblickt den Rektor, bleibt in der Tür stehen. Was! – Du bist da!

Rebekka. Er wäre Dir am liebsten aus dem Wege gegangen, Rosmer.

Kroll unwillkürlich. Du!

Rebekka. Ja, Herr Rektor. Rosmer und ich, – wir sagen »Du« zueinander. Unser Verhältnis hat das mit sich gebracht.

Kroll. Das war es wohl, was ich hören sollte.

Rebekka. Das – und noch ein wenig mehr.

Rosmer kommt näher. Was bezweckt Dein heutiger Besuch?

Kroll. Ich wollte noch einmal versuchen, Dir entgegenzutreten und Dich zur Umkehr zu bewegen.

Rosmer weist auf die Zeitung. Nach dem, was da steht?

Kroll. Das habe ich nicht geschrieben.

Rosmer. Hast Du Schritte getan, es zu unterdrücken?

Kroll. Das wäre unverantwortlich gewesen der Sache gegenüber, der ich diene. Und außerdem hat es nicht in meiner Macht gestanden.

Rebekka reißt die Zeitung in Stücke, knüllt die Fetzen zusammen und wirft sie hinter den Ofen. So! Aus den Augen – und damit auch aus dem Sinn! Denn es kommt nichts weiter von der Art, Rosmer.

Kroll. Ach ja, wenn Sie das doch nur erreichen könnten.

Rebekka. Komm, mein Lieber, – setzen wir uns. Alle drei. Dann will ich alles sagen.

Rosmer setzt sich mechanisch. Was ist denn über Dich gekommen, Rebekka? Diese unheimliche Ruhe –. Was bedeutet das?

Rebekka. Die Ruhe des Entschlusses. Setzt sich. Setzen Sie sich doch auch, Herr Rektor.

Kroll nimmt auf dem Sofa Platz.

Rosmer. Des Entschlusses, sagst Du. Welches Entschlusses?

Rebekka. Ich will Dir zurückgeben, was Du für Dein Leben brauchst. Du sollst Deine frohe Schuldlosigkeit wieder haben, lieber Freund.

Rosmer. Was ist denn das –!

Rebekka. Ich will nur erzählen. Nichts weiter.

Rosmer. Nun –!

Rebekka. Als ich – zusammen mit Doktor West – von Finmarken hierher kam, da war es mir, als öffnete sich mir eine neue, große, weite Welt. Der Doktor hatte mich von allem etwas gelehrt. Das Unzusammenhängende, was ich damals von dem Leben und seinen Verhältnissen wußte. Mit sich kämpfend und kaum hörbar. Und dann –

Kroll. Und dann?

Rosmer. Aber Rebekka, – das weiß ich ja doch.

Rebekka nimmt sich zusammen. Ja, ja, da hast Du schließlich recht. Du weißt davon genug.

Kroll sieht sie scharf an. Es ist vielleicht richtiger, ich gehe.

Rebekka. Nein, Sie sollen sitzen bleiben, lieber Herr Rektor. Zu Rosmer. Ja, sieh mal – das war es also: ich wollte die neue Zeit, die anbrach, tätig miterleben. Wollte teilhaben an all den neuen Gedanken. – Der Rektor erzählte mir eines Tages, Ulrik Brendel hätte einmal großen Einfluß auf Dich gehabt, als Du noch ein Junge warst. Und da meinte ich, es müßte mir gelingen können, diese Einwirkung wieder aufzunehmen.

Rosmer. Du bist mit einer geheimen Absicht hergekommen –!

Rebekka. Ich wollte, wir beide sollten Hand in Hand vorwärts schreiten zur Freiheit. Weiter und weiter. Immer Vorwärts bis zur äußersten Grenze. – Aber da stand ja doch diese düstere, unübersteigbare Mauer zwischen Dir und der ganzen, vollkommenen Befreiung.

Rosmer. Was für eine Mauer meinst Du?

Rebekka. Ich meine das so, Rosmer, daß Du Dich nur im hellen Sonnenschein frei auswachsen konntest –, und nun kränkeltest Du doch und siechtest dahin im Düster einer solchen Ehe.

Rosmer. Nie hast Du bisher von meiner Ehe in solcher Weise gesprochen.

Rebekka. Nein, – das wagte ich nicht; denn es hätte Dir angst gemacht.

Kroll nickt Rosmer zu. Hörst Du wohl?

Rebekka fährt fort. Aber ich wußte ganz gut, wo die Rettung für Dich war. Die einzige Rettung. Und so handelte ich.

Rosmer. Was für Handlungen meinst Du damit?

Kroll. Wollen Sie damit sagen, daß –.

Rebekka. Ja, Rosmer – steht auf. Bleib nur sitzen. Auch Sie, Herr Rektor. Es muß jetzt doch an den Tag. Du warst es nicht, Rosmer. Du bist schuldlos. Ich habe Beate –, habe allmählich Beate auf Irrwege gelockt –

Rosmer springt auf. Rebekka!

Kroll springt vom Sofa auf. – auf die Irrwege!

Rebekka. Auf die Wege – die zum Mühlengraben führten. Jetzt wißt Ihr es – alle beide.

Rosmer wie vor den Kopf geschlagen. Aber ich verstehe nicht –. Was sagt sie da? Ich verstehe nicht ein Wort –!

Kroll. O ja, Du. Ich fange an zu verstehen.

Rosmer. Aber was hast Du denn getan? Was hast Du ihr denn sagen können! Es gab ja nichts. Nicht das Allergeringste.

Rebekka. Sie bekam zu wissen, daß Du im Begriff wärst, Dich aus den alten Vorurteilen herauszuarbeiten.

Rosmer. Aber das war ja damals noch gar nicht der Fall.

Rebekka. Ich wußte, dieser Fall würde bald eintreten.

Kroll nickt Rosmer zu. Aha!

Rosmer. Und dann? Was weiter? Ich will jetzt den Rest auch wissen.

Rebekka. Bald darauf – bat ich sie inständigst, sie möchte mich fortlassen von Rosmersholm.

Rosmer. Warum wolltest Du fort – damals?

Rebekka. Ich wollte nicht fort. Ich wollte bleiben, wo ich war. Aber ich sagte ihr, es wäre für uns alle das Beste – wenn ich beizeiten wegkäme. Ich ließ durchblicken: wenn ich noch länger bliebe, – so könnte, – so könnte irgend etwas geschehen.

Rosmer. Das also hast Du gesagt und getan.

Rebekka. Ja, Rosmer.

Rosmer. Das war es, was Du »handeln« nanntest.

Rebekka mit gebrochener Stimme. So nannte ich es, jawohl.

Rosmer nach einer Pause. Hast Du nun alles gebeichtet, Rebekka?

Rebekka. Ja.

Kroll. Nicht alles.

Rebekka sieht ihn erschrocken an. Was sollte denn noch mehr sein?

Kroll. Haben Sie Beate nicht schließlich zu verstehen gegeben, es wäre notwendig – nicht bloß es wäre das Beste – sondern es wäre notwendig, aus Rücksicht auf Sie und Rosmer, daß Sie wegkämen, wo andershin – und zwar so schnell wie möglich? – Nun?

Rebekka leise und undeutlich. Vielleicht habe ich auch so etwas gesagt.

Rosmer sinkt in den Lehnstuhl am Fenster. Und an dieses Gespinst von Lüge und Betrug hat sie – die unglückliche Kranke, geglaubt! So fest und entschieden geglaubt! So unerschütterlich fest! Sieht zu Rebekka auf. Und nie hat sie sich an mich gewandt. Mit keinem einzigen Wort! Ach, Rebekka, – ich sehe es Dir an, – Du hast ihr davon abgeraten.

Rebekka. Sie hatte es sich ja doch in den Kopf gesetzt, daß sie, – die kinderlose Frau, kein Recht hätte, hier zu sein. Und so bildete sie sich ein, es wäre eine Pflicht gegen Dich, den Platz zu räumen.

Rosmer. Und Du, – Du hast nichts getan, um ihr dieses Hirngespinst auszureden?

Rebekka. Nein.

Kroll. Sie haben sie am Ende noch darin bestärkt? Antworten Sie! Taten Sie das nicht?

Rebekka. Sie verstand mich vermutlich so.

Rosmer. Ja, ja, – und Deinem Willen fügte sie sich in allen Dingen. – Und so räumte sie den Platz. Springt auf. Wie konntest Du, – konntest Du nur dies entsetzliche Spiel treiben!

Rebekka. Ich dachte mir, hier wäre zwischen zwei Leben zu wählen, Rosmer.

Kroll streng und gebieterisch. Sie hatten kein Recht, eine solche Wahl zu treffen.

Rebekka heftig. Aber glaubt Ihr denn, ich ging und handelte mit kühler, kluger Überlegung! Damals war ich doch nicht, was ich heute bin, wo ich vor Euch stehe und erzähle. Und dann gibt es doch auch, sollte ich meinen, zwei Arten Willen in einem Menschen. Ich wollte Beate weg haben! Auf irgend eine Art. Aber ich glaubte doch nicht, es würde jemals dahin kommen. Bei jedem Schritt, den es mich reizte vorwärts zu wagen, war es mir, als schrie etwas in mir: Nun nicht weiter! Keinen Schritt mehr! – Und doch konnte ich es nicht lassen. Ich mußte noch ein winziges Spürchen weiter. Nur noch ein einziges Spürchen. Und dann noch eins – und immer noch eins –. Und so ist es geschehen. – Auf diese Weise geht so etwas vor sich.

Kurze Pause.

Rosmer zu Rebekka. Wie stellst Du Dir nun eigentlich Deine Zukunft vor? Nach dem, was geschehen ist?

Rebekka. Meine Zukunft sei, wie sie will. Darauf kommt es gar nicht so sehr an.

Kroll. Kein Wort, das auf Reue schließen läßt. Sie fühlen am Ende keine?

Rebekka kalt abweisend. Verzeihung, Herr Rektor – aber das ist eine Sache, die keinen andern etwas angeht. Das habe ich mit mir selbst abzumachen.

Kroll zu Rosmer. Und mit einer solchen Frau lebst Du unter einem Dach zusammen. Noch dazu in einem vertraulichen Verhältnis. Betrachtet die Porträts. Ach! Wenn diese Toten jetzt herabsehen könnten!

Rosmer. Gehst Du in die Stadt?

Kroll nimmt seinen Hut. Ja. So schnell wie möglich.

Rosmer nimmt ebenfalls seinen Hut. So gehe ich mit Dir.

Kroll. Das wolltest Du? Ja, ich wußte wohl, Du wärst für uns noch nicht ganz verloren.

Rosmer. So komm, Kroll, komm!

Beide gehen durch das Vorzimmer ab, ohne Rebekka anzusehen.

Bald darauf geht Rebekka vorsichtig ans Fenster und guckt zwischen den Blumen hindurch hinaus.

Rebekka spricht halblaut mit sich selbst. Auch heute nicht über den Steg. Sie gehen oben herum. Über den Mühlengraben kommen sie nie. Niemals. Verläßt das Fenster. Ja, ja! Geht und zieht den Glockenstrang.

Bald darauf tritt Madam Helseth von rechts ein.

Madam Helseth. Was ist, Fräulein?

Rebekka. Madam Helseth, seien Sie so gut und lassen Sie meinen Reisekoffer vom Boden holen.

Madam Helseth. Den Reisekoffer?

Rebekka. Ja, den Koffer von braunem Seehundsleder – Sie wissen schon.

Madam Helseth. Freilich. Aber mein Gott, – wollen Fräulein denn auf Reisen gehen?

Rebekka. Ja, – ich verreise jetzt, Madam Helseth.

Madam Helseth. Und das gleich auf der Stelle?

Rebekka. Sobald ich gepackt habe.

Madam Helseth. So etwas habe ich doch in meinem Leben noch nicht gehört! Aber Fräulein kommen doch gewiß bald wieder?

Rebekka. Ich komme nie wieder.

Madam Helseth. Nie! Aber du großer Gott, was soll denn hier auf Rosmersholm werden, wenn Fräulein West nicht mehr da sind? Nun hatte es der arme Herr Pastor doch gerade so gut und gemütlich.

Rebekka. Ja, aber heute habe ich Angst bekommen, Madam Helseth.

Madam Helseth. Angst?! Jesus, – wovor denn?

Rebekka. Ja, mir war, als hätte ich einen Schein von weißen Rossen gesehen.

Madam Helseth. Von weißen Rossen! Am hellerlichten Tage!

Rebekka. Ach, die lassen sich wohl früh und spät blicken, – die weißen Rosse auf Rosmersholm. Bricht ab. Nun, – also bitte den Reisekoffer, Madam Helseth.

Madam Helseth. Jawohl. Den Reisekoffer.

Beide gehen rechts hinaus.


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