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Ein kleiner enger Talgrund in Allmers' Wald am Strande. Links große, alte Bäume mit Ästen, die weithin über den Platz ausladen. Im Hintergrund rauscht, den Hügel herunter, ein Bach, der sich zwischen den Steinen am Waldsaum verliert. Am Bach entlang schlängelt sich ein Fußpfad. Rechts nur vereinzelte Bäume, zwischen denen der Fjord sichtbar wird. Im Vordergrund erblickt man die Ecke eines Bootschuppens mit einem ans Land gezogenen Boot. Unter den alten Bäumen links steht ein Tisch mit einer Bank und ein paar Stühlen, alles aus dünnen Birkenstämmen gezimmert. Es ist ein düsterer, regnerischer Tag. Nebelwolken treiben.
Allmers, in demselben Anzug wie zuvor, sitzt auf der Bank und stützt die Ellenbogen auf den Tisch. Sein Hut liegt vor ihm. Er starrt regungslos und geistesabwesend über das Wasser hin.
Nach einer Weile kommt Asta den Fußpfad herab. Sie hat ihren Regenschirm aufgespannt.
Asta tritt leise und behutsam an ihn heran. Du solltest bei dem trüben Wetter nicht hier unten sitzen, Alfred.
Allmers nickt langsam und schweigt.
Asta macht den Regenschirm zu. Ich bin lange nach Dir herumgelaufen.
Allmers ausdruckslos. Ich danke Dir.
Asta rückt einen Stuhl heran und setzt sich neben ihn. Sitzt Du schon lange hier? Immerzu?
Allmers antwortet nicht. Nach einer Weile sagt er: Nein, ich kann es nicht fassen. Es scheint mir rein unmöglich, – dies alles.
Asta legt teilnahmsvoll die Hand auf seinen Arm. Armer Alfred.
Allmers starrt sie an. Ist es denn auch wirklich wahr, Asta? Oder bin ich verrückt? Oder träume ich nur? Ach, wenn es nur ein Traum wäre! Denk nur, wie schön, wenn ich jetzt erwachte!
Asta. Ach, wollte Gott, ich könnte Dich wecken.
Allmers blickt auf das Wasser hinaus. Wie unbarmherzig der Fjord heut aussieht. Wie er schwer und schläfrig daliegt – bleigrau, – mit gelben Lichtern, – und die Regenwolken spiegelt.
Asta flehentlich. Aber, Alfred, starr' doch nicht ewig aufs Wasser hin!
Allmers ohne auf sie zu achten. So ist's auf der Oberfläche, ja. Aber in der Tiefe, – da geht der jähe Unterstrom –
Asta ängstlich. Ach, um Gotteswillen, – denk nicht an die Tiefe!
Allmers blickt sie sanft an. Du meinst wohl, er liegt gleich hier draußen? Ach nein, liebe Asta. Glaub' das nur nicht. Du darfst nämlich nicht vergessen, wie reißend die Strömung hier nach außen geht. Gerade ins Meer.
Asta drückt die Hände vors Gesicht und wirft sich schluchzend über den Tisch. O Gott, o Gott!
Allmers schwermütig. Darum ist klein Eyolf so weit – weit uns andern entrückt.
Asta blickt bittend zu ihm auf. Aber, Alfred, sag' so etwas nicht!
Allmers. Du kannst es Dir selber ausrechnen. Bist doch sonst so tüchtig –. In achtundzwanzig – neunundzwanzig Stunden –. Wart' mal –! Wart' mal –!
Asta schreit auf und hält sich die Ohren zu. Alfred –!
Allmers preßt die Hand fest an den Tisch. Aber sag', verstehst Du den Sinn von so etwas?
Asta blickt ihn an. Den Sinn – wovon?
Allmers. Von dem, was mir und Rita widerfahren ist?
Asta. Den Sinn?
Allmers ungeduldig. Ja, ich sage: den Sinn. Denn einen Sinn muß es doch wohl haben. Das Leben, das Dasein, – das Schicksal, das kann doch nicht alles ganz sinnlos sein.
Asta. Ach, wer weiß darüber Sicheres und Gewisses zu sagen, lieber Alfred?
Allmers lacht bitter auf. Allerdings, – da hast Du weiß Gott recht. Am Ende geht alles aufs Geratewohl –, sich selbst überlassen, wie ein treibendes steuerloses Schiffswrack. Das ist schon möglich. – Wenigstens hat es den Anschein.
Asta gedankenvoll. Wenn es nun bloß den Anschein hätte –?
Allmers heftig. So? Kannst Du mir vielleicht die Sache entwirren? Ich kann es nicht. Sanfter. Da steht Eyolf eben im Begriff, einzutreten in die geistige Bewußtheit des Lebens. Unendlich viele Möglichkeiten ruhen in ihm. Reiche Möglichkeiten vielleicht. Er soll mein Dasein mit Freude und Stolz füllen. Und da braucht nur ein verrücktes, altes Weibsbild daherzukommen – und einen Hund in einem Beutel vorzuzeigen –
Asta. Aber man weiß ja gar nicht, wie es eigentlich zugegangen ist.
Allmers. Freilich weiß man es. Die Jungen haben doch gesehen, wie sie auf den Fjord hinausruderte. Sie haben gesehen, wie Eyolf allein dastand, am äußersten Ende der Landungsbrücke. Haben gesehen, wie er ihr nachstarrte – und wie von einem Schwindel erfaßt wurde. Erbebend. Und da ist er vornüber gestürzt – und verschwunden.
Asta. Mag sein. Aber trotzdem –
Allmers. Sie hat ihn in die Tiefe gezogen. Verlaß Dich drauf.
Asta. Aber, Lieber, warum sollte sie das?
Allmers. Ja, siehst Du, – das ist die Geschichte! Warum sollte sie –? Eine Vergeltung steckt nicht dahinter. Nichts, was Sühne forderte, meine ich. Eyolf hat ihr nie etwas Böses zugefügt. Nie hat er ihr nachgerufen. Nie mit Steinen nach dem Hund geworfen. Er hatte sie und ihren Hund ja bis gestern mit keinem Auge gesehen. Also keine Vergeltung. Das Ganze so grundlos, – so ganz sinnlos, Asta. – Und doch will die Weltordnung das so haben.
Asta. Hast Du darüber mit Rita gesprochen?
Allmers schüttelt den Kopf. Mir ist, als könnte ich von so etwas besser mit Dir sprechen. Atmet schwer. Und über alles andere auch.
Asta zieht Nähzeug und ein kleines Paket aus der Tasche. Allmers sieht geistesabwesend zu.
Allmers. Was hast Du da, Asta?
Allmers nimmt seinen Hut. Ein Stückchen schwarzen Flor.
Allmers. Ach, was soll das?
Asta. Rita hat mich darum gebeten. Darf ich?
Allmers. Nun, meinetwegen.
Sie näht den Trauerflor um seinen Hut.
Allmers ihr zusehend. Wo ist Rita?
Asta. Sie geht ein bißchen im Garten spazieren, glaube ich. Borgheim ist bei ihr.
Allmers ein wenig verwundert. So? Ist Borgheim auch heute hier draußen?
Asta. Ja. Er ist mit dem Mittagszug gekommen.
Allmers. Das hätte ich nicht gedacht.
Asta nähend. Er hatte Eyolf doch so lieb.
Allmers. Borgheim ist eine treue Seele, Asta.
Asta mit ruhiger Wärme. Der ist freilich treu. Ganz gewiß.
Allmers blickt sie an. Du bist ihm im Grunde gut.
Asta. Ja, das bin ich.
Allmers. Und doch kannst Du Dich nicht entschließen –?
Allmers unterbricht ihn. Ach, bester Alfred, sprich nicht davon!
Allmers. Doch, doch, – sag' mir bloß, warum Du nicht kannst –?
Asta. Ach nein! Ich flehe Dich an. Du darfst mich durchaus nicht fragen. Denn sieh mal, das ist mir so peinlich. – So. Jetzt ist der Hut fertig.
Allmers. Danke.
Asta. Nun den linken Arm –
Allmers. Soll der auch einen Flor haben?
Asta. Ja, das gehört sich so.
Allmers. Nun, – wie Du willst.
Sie rückt näher heran und beginnt zu nähen.
Asta. Du mußt den Arm ruhig halten. Sonst steche ich Dich.
Allmers mit einem halben Lächeln. Ganz wie in den alten Tagen.
Asta. Ja, nicht wahr?
Allmers. Schon als kleines Mädchen saßt Du immer da und brachtest mir meine Sachen in Ordnung.
Asta. So gut ich konnte.
Allmers. Das erste, was Du für mich genäht hast, – das war auch ein schwarzer Flor.
Asta. So?
Allmers. Um die Studentenmütze. Als uns der Vater starb.
Asta. So, wirklich? – Das weiß ich gar nicht mehr.
Allmers. Natürlich, – Du warst ja noch so klein damals.
Asta. Ja, da war ich klein.
Allmers. Und dann, zwei Jahre drauf, – als wir Deine Mutter verloren, – da hast Du mir auch einen großen Flor um den Ärmel genäht.
Asta. Ich dachte, das gehört sich so.
Allmers streichelt ihr die Hand. Freilich gehörte es sich so, Asta. – Und als wir dann allein in der Welt standen, wir beide –. Bist Du schon fertig?
Asta. Ja. Legt das Nähzeug zusammen. Es war doch eigentlich für uns eine wunderschöne Zeit, Alfred. Als wir zwei allein waren.
Allmers. Gewiß. So hart wir uns auch plagen mußten.
Asta. Du hast Dich geplagt.
Allmers lebhafter. O bewahre, – Du auch – auf Deine Art, – lächelnd – Du mein lieber, treuer – Eyolf.
Asta. Geh doch – erinnere mich nicht an die Kindereien mit dem Namen.
Allmers. Wärst Du ein Junge geworden, dann hättest Du ja doch Eyolf heißen sollen.
Asta. Ja, wenn –. Als Du aber auf die Universität kamst – lächelt unwillkürlich – daß Du bloß so kindisch sein konntest –!
Allmers. Kindisch? War ich kindisch!
Asta. Ja, – wenigstens kommt es mir jetzt so vor, wenn ich daran zurückdenke. Schämtest Du Dich doch, daß Du keinen Bruder – nur eine Schwester hattest.
Allmers. Ach nein, das warst Du. Du schämtest Dich.
Asta. Na ja, ich vielleicht auch ein bißchen. Und da tat es mir so leid um Dich –
Allmers. Das kann ich mir denken. Und so kramtest Du denn meine abgelegten Knabenanzüge hervor –
Asta. Richtig! Den Sonntagsstaat. Denkst Du noch an die blaue Bluse und die Kniehosen?
Allmers läßt den Blick auf ihr ruhen. Wie deutlich sehe ich Dich vor mir, wenn Du sie anhattest und damit herumspaziertest.
Asta. Aber doch nur, wenn wir allein zu Hause waren.
Allmers. Und wie ernst und wichtig wir da taten – weißt Du noch? Und ich nannte Dich beständig Eyolf.
Asta. Aber das hast Du doch hoffentlich Rita nicht erzählt, Alfred?
Allmers. Doch, ich glaube, ich habe es ihr einmal erzählt.
Asta. Aber, Alfred, wie konntest Du nur!
Allmers. Sieh mal, – man erzählt doch seiner Frau alles – oder doch so gut wie alles.
Asta. Ja, das tut man wohl, denk' ich mir.
Allmers, als ob er erwache, greift sich an die Stirn und springt auf. Ah, – daß ich hier sitzen kann und –
Asta steht auf und sieht ihn besorgt an. Was ist Dir?
Allmers. Er ist mir fast abhanden gekommen. Wie abhanden ist er mir gekommen.
Asta. Eyolf!
Allmers. Da saß ich und lebte in Erinnerungen. Und er war nicht dabei.
Asta. Doch, Alfred, – klein Eyolf stand hinter dem allen.
Allmers. Nein, nein! Er schwand aus meinen Sinnen – aus meinen Gedanken. Während unseres ganzen Gespräches sah ich ihn nicht einen Augenblick vor mir. Er war versunken und vergessen die ganze Zeit.
Asta. Aber Du sollst Dich von der Trauer auch ein wenig ausruhen.
Allmers. Nein, nein, nein, – das eben soll ich nicht! Das darf ich nicht. Dazu habe ich kein Recht. – Auch bringe ich es nicht übers Herz. Geht aufgeregt nach rechts. Mein Platz ist da draußen, wo er jetzt dahintreibt in der Tiefe – nur da!
Asta ihm nach, hält ihn fest. Alfred, – Alfred! Geh nicht ans Wasser!
Allmers. Ich muß zu ihm! Laß mich los, Asta! Ich will ins Boot!
Asta entsetzt. Geh nicht ans Wasser, sage ich!
Allmers nachgiebig. Nein, nein, – ich tu' es ja nicht. Laß mich nur.
Asta führt ihn zum Tisch. Du mußt die Gedanken ruhen lassen, Alfred. Komm her und setz' Dich.
Allmers will sich auf die Bank setzen. Nun ja, – wie Du willst.
Asta. Nein, da sollst Du Dich nicht hinsetzen.
Allmers. Ach, laß mich doch.
Asta. Nein, tu das nicht! Dann blickst Du ja doch nur ewig hinaus auf –. Nötigt ihn auf einen Stuhl, dessen Lehne nach rechts gekehrt ist. So, – da sitzt Du gut. Setzt sich auf die Bank. Und nun wollen wir wieder ein bißchen plaudern.
Allmers atmet hörbar. Wie das wohlgetan hat, Leid und Verlust auf einen Augenblick zu vergessen.
Asta. Das mußt Du, Alfred.
Allmers. Aber komme ich Dir nicht entsetzlich schlaff und stumpf vor, – daß ich das vermag?
Asta. O nein. Denn man kann doch unmöglich immer denselben Gedanken umkreisen.
Allmers. Mir wenigstens ist es unmöglich. Bis Du kamst, da wand ich mich doch unsagbar in meinem herzzerreißenden Leide –
Asta. Nun ja?
Allmers. Und willst Du glauben, Asta –? Hm –
Asta. Was?
Allmers. Mitten in meinem Schmerz ertappte ich mich bei der Frage, was wir heut Mittag wohl zu essen bekämen.
Asta beschwichtigend. Wenn Dich das nur beruhigt, so –
Allmers. Ja, denk nur, – es war wirklich so etwas wie ein Ruhepunkt. Reicht ihr die Hand über den Tisch hinüber. Wie gut, daß ich Dich habe, Asta. Darüber bin ich so froh. Froh, froh – trotz meinem Leide.
Asta blickt ihn ernst an. Du sollst vor allen Dingen froh sein, daß Du Rita hast.
Allmers. Ja, das versteht sich ja doch von selbst. Aber mit Rita bin ich nicht verwandt. Eine Schwester – das ist etwas anderes.
Asta gespannt. Meinst Du wirklich, Alfred?
Allmers. Ja, unsere Familie, die ist etwas Besonderes für sich. Halb im Scherz. Immer haben bei uns die Namen mit hellen Buchstaben angefangen. Weißt Du noch, wie oft wir früher davon gesprochen haben? Und die Verwandten, – sie sind arm, einer wie der andere. Und alle haben wir dieselben Augen.
Asta. Findest Du, auch ich –?
Allmers. Nein, Du bist ganz nach Deiner Mutter geartet. Siehst uns andern gar nicht ähnlich. Nicht einmal dem Vater. Dennoch –
Asta. Dennoch –?
Allmers. Nun, ich glaube, das Zusammenleben hat uns beide umgeprägt, eines nach dem Ebenbild des andern. Ich meine: geistig.
Asta innig bewegt. Sag' das nicht, Alfred! Ich habe mein Gepräge von Dir erhalten. Und Dir verdanke ich alles, – alles Gute der Welt.
Allmers schüttelt den Kopf. Du verdankst mir nichts, Asta. Im Gegenteil –
Asta. Alles verdanke ich Dir! Das weißt Du ganz gut. Kein Opfer ist Dir zu schwer gewesen –
Allmers unterbricht sie. Ach was – Opfer! Komm mir nicht mit so etwas! – Ich habe Dich bloß lieb gehabt, Asta. Schon von frühester Kindheit an. Nach einer kurzen Pause. Und dann war es mir auch immer, als hätte ich viel Unrecht wieder gut zu machen.
Asta verwundert. Unrecht! Du?
Allmers. Nicht gerade für eigene Rechnung. Aber –
Asta gespannt. Aber –?
Allmers. Für Vaters Rechnung.
Asta fährt von der Bank auf. Für – Vaters! Setzt sich wieder. Wie meinst Du das, Alfred?
Allmers. Vater war nie recht gut gegen Dich.
Asta heftig. Sag' das nicht!
Allmers. Doch, es ist so. Er mochte Dich nicht leiden. Nicht so, wie er es hätte sollen.
Asta ausweichend. Vielleicht nicht so, wie er Dich lieb hatte. Das war doch natürlich.
Allmers fortfahrend. Und auch gegen Deine Mutter war er oft hart. Wenigstens in den letzten Jahren.
Asta leise. Mutter war doch viel, viel jünger als er. Vergiß das nicht.
Allmers. Meinst Du, sie hätten nicht recht zusammen gepaßt?
Asta. Vielleicht taten sie das nicht.
Allmers. Nun wohl, aber –. Vater, der sonst so weich und herzensgut war – so freundlich gegen alle Menschen –
Asta leise. Mutter war wohl auch nicht immer, wie sie hätte sein sollen.
Allmers. Deine Mutter!
Asta. Vielleicht nicht immer.
Allmers. Gegen Vater, meinst Du?
Asta. Ja.
Allmers. Davon habe ich nie etwas bemerkt.
Asta steht auf, indem sie mit den Tränen kämpft. Ach, lieber Alfred, – laß sie ruhen, – sie, die nicht mehr da sind. Geht rechts hinüber.
Allmers steht auf. Ja, lassen wir sie ruhen. Ringt die Hände. Aber sie, die nicht mehr da sind, – die lassen uns nicht ruhen, Asta – Nicht bei Tag, nicht bei Nacht.
Asta mit einem warmen Blick. Mit der Zeit wirst Du milder denken über alles, Alfred.
Allmers sieht sie hilflos an. Ja, glaubst Du das nicht auch? – Wie aber komme ich über diese ersten schrecklichen Tage hinweg –? Mit heiserer Stimme. Das weiß ich nicht.
Asta legt die Hände auf seine Schultern, bittend. Geh zu Rita. Ich flehe Dich an –
Allmers entzieht sich ihr heftig. Nein, nein, nein, – kein Wort davon! Sieh, ich kann es nicht. Ruhiger. Laß mich hier bei Dir bleiben.
Asta. Ja – ich verlasse Dich nicht.
Allmers ergreift ihre Hand und hält sie fest. Ich danke Dir! Blickt eine Weile auf das Wasser hinaus. Wo ist mein kleiner Eyolf jetzt? Lächelt ihr schwermütig zu. Kannst Du mir das sagen, – Du, mein großer, kluger Eyolf? Schüttelt den Kopf. Keiner in der ganzen Welt kann es mir sagen. Ich weiß nur das Eine, Furchtbare, daß ich ihn nicht mehr habe.
Asta blickt nach links hinauf und zieht ihre Hand zurück. Da sind sie.
Rita und Borgheim kommen den Fußpfad herab, sie voran, er hinterher. Sie ist dunkel gekleidet und trägt über dem Kopf einen schwarzen Schleier. Er hält einen Regenschirm unter dem Arm.
Allmers ihr entgegen. Wie ist Dir, Rita?
Rita geht an ihm vorbei. Ach, frag' nicht.
Allmers. Was willst Du hier?
Rita. Nur nach Dir sehen. Was treibst Du?
Allmers. Gar nichts. Asta war bei mir.
Rita. Nun gut, doch bis Asta kam? Du hast Dich den ganzen Morgen nicht bei mir sehen lassen.
Allmers. Ich habe hier gesessen und über das Wasser hingeblickt.
Rita. Ah, – daß Du das vermagst!
Allmers ungeduldig. Am liebsten bin ich jetzt allein!
Rita geht unruhig auf und ab. Und stille sitzen! Immer auf demselben Fleck!
Allmers. Ich habe ja nicht das Mindeste zu versäumen.
Rita. Ich kann es nirgends aushalten. Am allerwenigsten hier, – wo man den Fjord dicht vor Augen hat.
Allmers. Gerade, weil der Fjord so nahe ist.
Rita zu Borgheim. Meinen.Sie nicht auch, er sollte mit uns jetzt hinaufgehen?
Borgheim zu Allmers. Ich glaube, Sie täten gut daran.
Allmers. Nein, nein – laßt mich bleiben, wo ich bin.
Rita. So bleibe ich bei Dir, Alfred.
Allmers. Meinetwegen. – Bleib' auch Du, Asta.
Asta flüstert Borgheim zu. Lassen wir sie allein!
Borgheim mit einem verständnisinnigen Blick. Fräulein Allmers, – wollen wir ein bißchen auf und abgehen – längs dem Strand? Zum allerletzten Mal?
Asta nimmt ihren Regenschirm. Ja, kommen Sie. Lassen Sie uns ein bißchen auf und abgehen.
Asta und Borgheim entfernen sich in der Richtung des Bootschuppens. Allmers macht ein paar Schritte. Dann setzt er sich auf einen Stein unter den Bäumen im Vordergrunde links.
Rita nähert sich und bleibt vor ihm stehen, die herabhängenden Hände gefaltet. Kannst Du es fassen und begreifen, Alfred, – daß wir Eyolf verloren haben?
Allmers blickt schwermütig vor sich nieder. Wir müssen uns eben an den Gedanken gewöhnen.
Rita. Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. Und dann der grauenhafte Anblick, den ich Zeit meines Lebens vor Augen haben werde.
Allmers blickt auf. Was für ein Anblick? Was hast Du gesehen?
Rita. Ich selbst habe nichts gesehen. Ich habe bloß erzählen hören. Oh –!
Allmers. Sag' es lieber gleich.
Rita. Ich kam mit Borgheim zum Landungsplatz hinunter –
Allmers. Was wolltest Du dort?
Rita. Die Jungen ausfragen, wie es zugegangen ist.
Allmers. Das wissen wir ja.
Rita. Wir haben mehr erfahren.
Allmers. Nun?
Rita. Es ist nicht richtig, daß er auf einmal verschwunden war.
Allmers. Das sagen sie jetzt?
Rita. Ja. Sie sagen, unten auf dem Grunde hätten sie ihn liegen sehen. Tief unten im klaren Wasser.
Allmers zähneknirschend. Und sie haben ihn nicht gerettet!
Rita. Sie konnten wohl nicht.
Allmers. Sie konnten schwimmen, – alle wie sie da waren. – Und als sie ihn sahen – wie lag er? Sagten sie davon nichts?
Rita. Doch. Sie sagten, er hätte auf dem Rücken gelegen. Mit großen, offenen Augen.
Allmers. Mit offenen Augen. Doch ganz still?
Rita. Ja, ganz still. Und da kam etwas und riß ihn von hinnen. Sie nannten es eine Stromrichtung.
Allmers nickt langsam. Das war also das Letzte, was sie von ihm gesehen haben?
Rita mit tränenerstickter Stimme. Ja.
Allmers dumpf. Und kein – kein Auge wird ihn mehr erblicken.
Rita jammernd. Tag und Nacht werde ich ihn vor mir sehen, wie er da unten lag.
Allmers. Mit den großen, offenen Augen.
Rita schaudernd. Mit den großen, offenen Augen. Ich sehe sie! Ich sehe sie vor mir!
Allmers steht langsam auf und sieht sie still drohend an. Blickten sie böse, diese Augen, Rita?
Rita erbleicht. Böse –!
Allmers tritt dicht an sie heran. War es der böse Blick, der aufwärts starrte? Aus der Tiefe her?
Rita weicht zurück. Alfred –!
Allmers ihr nach. Antworte mir! War es der böse Kinderblick?
Rita schreit auf. Alfred! Alfred!
Allmers. Nun hat es sich ja erfüllt, – was Du gewünscht hast, Rita.
Rita. Ich! Was hätte ich gewünscht?
Allmers. Daß Eyolf nicht mehr wäre.
Rita. In meinem Leben habe ich das nicht gewünscht! Eyolf sollte nicht zwischen uns stehen, – das habe ich gewünscht.
Allmers. Nun ja, – das tut er ja nun auch nicht mehr.
Rita leise, indem sie vor sich hin starrt. Vielleicht mehr denn je. Fährt zusammen. O, der grauenhafte Anblick.
Allmers nickt. Der böse Kinderblick, jawohl.
Rita weicht entsetzt zurück. Laß mich, Alfred! Ich fürchte mich vor Dir! Nie habe ich Dich bis jetzt so gesehen.
Allmers blickt sie hart und kalt an. Der Schmerz macht schlecht und garstig.
Rita ängstlich, aber trotzig. Das merke ich auch.
Allmers geht nach rechts hinüber und blickt über den Fjord. Rita setzt sich an den Tisch. Kurze Pause.
Allmers wendet den Kopf nach ihr um. Du hast ihn niemals so recht von Herzen lieb gehabt. Niemals!
Rita kalt und gemessen. Eyolf wollte sich nie ganz und gar an mich fesseln lassen.
Allmers. Weil Du nicht wolltest.
Rita. O ja, Du. Ich wollte es mehr als gern. Aber es stand jemand im Wege. Von allem Anfang an.
Allmers wendet sich ganz um. Ich, meinst Du, stand im Wege?
Rita. O nein. Nicht im Anfang.
Allmers nähert sich. Wer denn?
Rita. Die Tante.
Allmers. Asta?
Rita. Ja. Asta stand da und versperrte mir den Weg.
Allmers. Das kannst Du sagen, Rita?
Rita. Gewiß. Asta, – die fesselte ihn an sich – gleich nachdem das geschehen war, – der unglückliche Fall.
Allmers. Tat sie es, so hat sie es aus Liebe getan.
Rita heftig. Das ist es eben! Ich will mit einem andern nichts zu teilen haben! In der Liebe nicht!
Allmers. Wir beide hätten ihn zu gleichen Teilen besitzen sollen in Liebe.
Rita blickt ihn höhnisch an. Wir? Auch Du hast ihn eigentlich nie so recht lieb gehabt.
Allmers sieht sie erstaunt an. Ich nicht –!
Rita. Nein, auch Du nicht. Du warst doch gleich ganz voll von Deinem Buch – über die Verantwortung.
Allmers mit Nachdruck. Allerdings. Aber gerade dieses Buch, – das habe ich ja doch um Eyolfs willen geopfert.
Rita. Nicht aus Liebe zu ihm.
Allmers. Weshalb denn sonst?
Rita. Weil Du Dich in Mißtrauen gegen Dich selbst verzehrtest. Weil Du anfingst zu zweifeln, ob Du auch wirklich in der Welt zu einer großen Aufgabe berufen wärst.
Allmers forschend. Hast Du mir so etwas anmerken können?
Rita. O ja, – nach und nach. Und da suchtest Du nach etwas Neuem, das Dich ganz erfüllen könnte. – Ich genügte Dir wohl nicht mehr.
Allmers. Das ist das Gesetz der Wandlung, Rita.
Rita. Darum wolltest Du den kleinen armen Eyolf zu einem Wunderkinde machen,
Allmers. Das wollte ich nicht! Ich wollte ihn zu einem glücklichen Geschöpf machen. Nur das wollte ich.
Rita. Aber nicht aus Liebe zu ihm. Geh' in Dich! Mit scheuem Ausdruck. Und prüfe genau, was der ganzen Sache zu Grunde liegt und – dahinter steckt.
Allmers weicht ihrem Blicke aus. Du willst an etwas vorbei.
Rita. Du auch.
Allmers sieht sie gedankenvoll an. Verhält es sich so, wie Du denkst, dann haben wir beide unser leibliches Kind im Grunde nie besessen.
Rita. Nein, nicht ganz. Die Liebe war nur halb dabei.
Allmers. Und doch gehen wir jetzt herum und trauern so bitterlich um ihn.
Rita mit Bitterkeit. Ja, ist der Gedanke nicht wunderlich? So zu trauern um einen kleinen fremden Jungen.
Allmers erregt. O wie kannst Du ihn nur fremd nennen.
Rita schüttelt schwermütig den Kopf. Wir haben den Jungen nie besessen, Alfred. Ich nicht. Und Du auch nicht.
Allmers ringt die Hände. Und nun ist es zu spät! Zu spät!
Rita. Und so ganz trostlos – alles!
Allmers plötzlich auffahrend. Du trägst die Schuld!
Rita steht auf. Ich?
Allmers. Ja, Du! Du bist schuld, daß er so wurde, – wie er war! Es ist Deine Schuld, daß er sich aus dem Wasser nicht retten konnte.
Rita abwehrend. Alfred, – das darfst Du nicht auf mich schieben!
Allmers immer mehr außer sich geratend. Und ich tu' es doch! Warst Du es nicht, die das zarte Kind ohne Obhut auf dem Tische liegen ließ?
Rita. Es lag so sanft in seinen Kissen. Und es schlief so fest. Und Du hattest versprochen, auf das Kind zu achten.
Allmers. Ja, das hatte ich. Läßt die Stimme sinken. Dann aber kamst Du, Du, Du, – und locktest mich zu Dir ins Zimmer.
Rita blickt ihn trotzig an. Gesteh doch lieber, daß Du Kind und alles andere vergessen hattest.
Allmers in unterdrückter Wut. Ja gewiß –. Leiser. Ich habe das Kind vergessen – in Deinen Armen!
Rita empört. Alfred! Alfred, – das ist abscheulich von Dir!
Allmers leise, indem er die Hände gegen sie ballt. In jener Stunde hast Du klein Eyolf zum Tode verurteilt.
Rita außer sich. Du auch! Du auch, – wenn es schon so sein soll!
Allmers. Meinetwegen, – zieh mich nur auch zur Verantwortung, – wenn Du willst. Alle beide haben wir uns versündigt. – Und deshalb war Eyolfs Tod schließlich doch eine Vergeltung.
Rita. Eine Vergeltung?
Allmers beherrscht sich wieder. Ja. Ein Gericht über Dich und mich. Und so ist uns geschehen, wie wir es verdient haben. In geheimer, feiger Reue haben wir uns vor ihm gefürchtet, da er noch lebte. Haben es nicht ertragen, das Ding zu sehen, – an dem er sich herumschleppen mußte –
Rita leise. Die Krücke.
Allmers. Jawohl! – Und was wir jetzt immerzu Schmerz und Trauer nennen, – das sind Gewissensbisse, Rita. Nichts anderes.
Rita starrt ihn ratlos an. Mir ist, als müßte es uns alle beide zur Verzweiflung treiben – geradenwegs in den Wahnsinn hinein. Denn wir können es ja nie – nie wieder gutmachen.
Allmers in milderer Stimmung. Mir träumte in dieser Nacht von Eyolf. Mir war, als käme er von der Brücke herauf. Er konnte rennen wie andere Jungen. Es war ihm also nichts zugestoßen. Überhaupt gar nichts. Die erdrückende Wirklichkeit war also nur ein Traum, dachte ich bei mir. O, wie ich ihn gelobt und gepriesen habe – hält inne. Hm –
Rita blickt ihn an. Wen?
Allmers ausweichend. Wen –?
Rita. Ja –, wen hast Du gelobt und gepriesen?
Allmers abbrechend. Ich träumte nur, hörst Du doch –
Rita. Ihn, an den Du selbst nicht glaubst?
Allmers. Es ist ja nun einmal so über mich gekommen. Es war doch im Schlaf –
Rita vorwurfsvoll. Du hättest mich nicht zur Zweiflerin machen sollen, Alfred.
Allmers. Wäre es recht von mir gewesen, wenn ich Dich mit leeren Vorstellungen hätte durchs Leben gehen lassen?
Rita. Es wäre besser für mich gewesen. Dann hätte ich doch etwas gehabt, worauf ich bauen und vertrauen könnte. So aber weiß ich weder aus noch ein.
Allmers sieht sie scharf an. Wenn Du nun die Wahl hättest –. Wenn Du Eyolf dorthin folgen könntest, wo er jetzt ist –?
Rita. Nun? Und was?
Allmers. Wenn Du die volle Gewißheit hättest, daß Du ihn dort wiederfinden würdest, – ihn erkennen, – ihn verstehen –?
Rita. Ja – und was dann?
Allmers. Würdest Du dann aus freien Stücken den Sprung zu ihm hinüber wagen? Aus freien Stücken auf all das hier verzichten? Valet sagen dem ganzen Erdenleben? Würdest Du das, Rita?
Rita leise. Jetzt gleich?
Allmers. Ja – noch heute. In dieser Stunde. Antworte mir darauf. Würdest Du?
Rita zögernd. Ach, ich weiß nicht, Alfred. – Nein. Ich glaube, ich würde vorläufig noch eine Weile hier bei Dir bleiben.
Allmers. Mir zu Liebe?
Allmers. Aber später? Würdest Du dann –? Gib Antwort!
Rita. Was soll ich auf dergleichen antworten? Ich könnte Dich ja nicht verlassen. Nie! Niemals!
Allmers. Wenn ich nun aber zu Eyolf ginge? Und Du hättest die volle Gewißheit, daß Du ihn und auch mich dort finden würdest. Würdest Du dann zu uns herüberkommen?
Rita. Ich möchte schon. Ach, wie gern! Wie gern! Aber –
Allmers. Nun?
Rita leise stöhnend. Ich könnte es nicht, – das fühle ich. Nein, nein. Ich könnte es nicht! Um alle Herrlichkeit des Himmels nicht!
Allmers. Ich auch nicht.
Rita. Nein, nicht wahr, Alfred? Du könntest es auch nicht!
Allmers. Nein. Denn hier, hier auf die Erde gehören wir Lebenden heim.
Rita. Ja, hier findet sich das Glück, so wie wir es verstehen.
Allmers finster. Ach, das Glück, – das Glück, weißt Du –
Rita. Du meinst wohl, das Glück, – das finden wir niemals mehr. Blickt ihn fragend an. Aber gesetzt den Fall –? Heftig. Nein, nein – ich getraue mir nicht, es zu sagen! Nicht einmal es zu denken.
Allmers. Doch, sag' es. Sag' es nur, Rita.
Rita zögernd. Könnten wir nicht versuchen –? Wäre es nicht möglich, ihn zu vergessen?
Allmers. Eyolf vergessen.
Rita. Die Reue und den Groll vergessen, meine ich.
Allmers. Das könntest Du wünschen?
Rita. Wenn es möglich ist – ja. In Erregung. Denn diesen Zustand, – den ertrage ich auf die Dauer nicht! Ach, läßt sich denn nichts finden, was uns vergessen macht!
Allmers schüttelt den Kopf. Was könnte das wohl sein?
Rita. Könnten wir es nicht mit einer langen Reise versuchen?
Allmers. Reisen? Du fühlst Dich ja nirgends wohler als gerade zu Hause.
Rita. Nun, – wie wäre es, wenn wir Menschen bei uns sähen? Ein großes Haus machten? Uns in ein Leben stürzten, das lindert und betäubt?
Allmers. Solch ein Leben ist nicht nach meinem Geschmack. – Nein, – da versuche ich es doch lieber noch einmal mit meiner Arbeit.
Rita unwirsch. Mit Deiner Arbeit, die so oft wie eine Scheidewand zwischen uns gestanden hat?
Allmers langsam, indem er sie starr anblickt. Zwischen uns muß fortan immer eine Scheidewand stehen.
Rita. Warum denn das –?
Allmers. Wer weiß, ob nicht große, offene Kinderaugen uns anschauen Tag und Nacht.
Rita schaudernd, leise. Alfred, – welch ein furchtbarer Gedanke!
Allmers. Wie eine verzehrende Feuersbrunst war unsere Liebe. Jetzt muß sie erloschen sein –!
Rita auf ihn zu. Erloschen!
Allmers hart. Sie ist erloschen, – in einem von uns.
Rita wie versteinert. Und das wagst Du mir zu sagen!
Allmers sanfter. Sie ist tot, Rita. – Aber in den Gefühlen, die ich jetzt, in meiner Mitschuld und Zerknirschung, für Dich hege, – darin ahne ich etwas wie eine Auferstehung –
Rita ungestüm. Ach, die Auferstehung ist mir gleichgültig!
Allmers. Rita!
Rita. Ich bin eben ein warmblütiges Menschenkind! Ich döse nicht dahin – mit Fischblut in den Adern. Ringt die Hände. Und da bin ich auf Lebenszeit eingesperrt – in Reue und Qual! Zusammengesperrt mit einem, der nicht mehr mein ist, mein, mein!
Allmers. So mußte es einmal enden, Rita.
Rita. So mußte es enden! Und doch hat es zwischen uns begonnen mit solch einer verlangenden Liebe!
Allmers. Meine Liebe war nicht verlangend – im Anfang.
Rita. Was hast Du denn zu allererst für mich empfunden?
Allmers. Schrecken.
Rita. Das kann ich verstehen. Aber wie konnte ich Dich trotzdem fesseln?
Allmers mit gedämpfter Stimme. Du warst so berückend schön, Rita.
Rita blickt ihn prüfend an. Das allein war es also? Sag', Alfred! Das allein?
Allmers mit Überwindung. Nein –, es war noch etwas außerdem.
Rita erregt. Ich ahne, was es war! Es waren die »goldenen Berge«, wie Du es nennst. Ist es so, Alfred?
Allmers. Ja.
Rita blickt ihn vorwurfsvoll an. Wie konntest, – wie konntest Du nur!
Allmers. Ich hatte an Asta zu denken.
Rita heftig. Asta, – ja freilich! Bitter. Eigentlich hat also uns Asta zusammengebracht.
Allmers. Sie wußte von nichts. Sie ahnt es noch heutigen Tages nicht.
Rita abweisend. Aber Asta war es doch! Lächelt mit einem höhnischen Seitenblick. Oder nein, – klein Eyolf war es. Klein Eyolf, weißt Du!
Allmers. Eyolf –?
Rita. Hast Du sie früher nicht Eyolf genannt? Ich glaube, Du sagtest es einmal – in einer heimlichen Stunde. Nähert sich. Hast Du sie vergessen – diese himmlisch berückende Stunde, Alfred?
Allmers weicht zurück, wie wenn ein Grauen ihn erfaßte. Ich weiß nichts! Ich will nichts wissen!
Rita ihm nach. Es war in derselben Stunde, – da Dein anderer kleiner Eyolf zum Krüppel wurde!
Allmers stützt sich auf den Tisch, mit dumpfer Stimme. Die Vergeltung.
Rita drohend. Ja, die Vergeltung!
Asta und Borgheim kommen zurück vom Bootschuppen her. Sie trägt Wasserlilien in der Hand.
Rita beherrscht sich wieder. Nun, Asta, – habt Ihr Euch gehörig ausgesprochen, Du und Herr Borgheim?
Asta. Ja, – so ziemlich.
Sie stellt den Regenschirm beiseite und legt die Blumen auf einen Stuhl.
Borgheim. Fräulein Allmers ist auf dem Spaziergang sehr wortkarg gewesen.
Rita. Wirklich? Nun, da haben Alfred und ich uns so ausgesprochen, daß es vorhält –
Asta sieht Allmers und Rita gespannt an. Was bedeutet das –?
Rita. – daß es vorhält fürs ganze Leben, sage ich. Abbrechend. Jetzt kommt und laßt uns hinaufgehen, alle vier. Wir müssen fortan Menschen um uns sehen. Alfred und ich werden allein nicht damit fertig.
Allmers. Geht Ihr nur voraus, Ihr andern. Wendet sich um. Mit Dir aber habe ich erst noch ein Wort zu reden, Asta.
Rita blickt ihn an. So? – Schön, dann begleiten Sie mich, Herr Borgheim.
Rita und Borgheim gehen den Fußpfad hinauf.
Asta ängstlich. Alfred, was geht hier vor?
Allmers finster. Ich halte es hier nicht länger aus – das ist es.
Asta. Hier! Meinst Du, mit Rita?
Allmers. Ja. Rita und ich können fortan nicht zusammen leben.
Asta rüttelt ihn am Arm. Aber, Alfred, – sag' doch nicht so etwas Gräßliches!
Allmers. Es ist, wie ich sage. Wir machen uns gegenseitig nur böse und garstig.
Asta schmerzlich bewegt. Ach, nie, – nie hätte ich so etwas geahnt!
Allmers. Auch mir ist erst heut ein Licht aufgegangen.
Asta. Und nun willst Du –! Ja, was willst Du eigentlich, Alfred?
Allmers. Weg will ich. Weit weg aus allen diesen Verhältnissen.
Asta. Um ganz allein in der Welt zu stehen?
Allmers nickt. Wie früher – ja.
Asta. Aber Du bist nicht der Mann, allein zu stehen!
Allmers. O doch! War ich es doch früher.
Asta. Früher – jawohl. Da war ich auch bei Dir.
Allmers will ihre Hand ergreifen. Gewiß. Und zu Dir, Asta, will ich denn auch jetzt heimkehren.
Asta weicht ihm aus. Zu mir! Nein, nein, Alfred! Das ist ganz unmöglich.
Allmers blickt sie trübe an. Also Borgheim steht doch im Wege?
Asta eifrig. O nein – das nicht! Da irrst Du!
Allmers. Gut. Dann komme ich zu Dir, – Du liebe, süße Schwester. Ich muß zu Dir zurück! Heim zu Dir, um mich zu läutern und zu veredeln nach dem Zusammenleben mit –
Asta empört. Alfred, – Du versündigst Dich an Rita!
Allmers. Ich habe mich an ihr versündigt. Aber nicht damit. Denk zurück, Asta, – an die Zeit unseres Zusammenlebens. War sie nicht von der ersten bis zur letzten Stunde wie ein einziger hoher Festtag?
Asta. Ja, das war sie, Alfred. Aber so etwas läßt sich nicht noch einmal erleben.
Allmers bitter. Meinst Du, daß mich die Ehe rettungslos verdorben hat?
Asta ruhig. Nein, das meine ich nicht.
Allmers. Gut, so wollen wir unser altes Leben wieder aufnehmen.
Asta bestimmt. Das können wir nicht, Alfred.
Allmers. Und wir können es doch. Denn die Geschwisterliebe –
Asta gespannt. Was ist mit ihr –?
Allmers. Sie ist das einzige Verhältnis, das dem Gesetz der Wandlung nicht unterworfen ist.
Asta erbebt und sagt leise: Wenn nun aber ein solches Verhältnis nicht –
Allmers. Nicht –?
Asta – nicht unser Verhältnis ist?
Allmers starrt sie erstaunt an. Unseres nicht? Meine Liebe, was meinst Du damit?
Asta. Ich sage es Dir lieber gleich, Alfred.
Allmers. Ich bitte darum!
Asta. Mutters Briefe – die dort in der Mappe liegen –
Allmers. Ja –?
Asta. Die sollst Du lesen – wenn ich fort bin.
Allmers. Warum soll ich das?
Asta mit sich selber kämpfend. Weil Du dann erfahren wirst, daß –
Allmers. Nun?
Asta. – daß ich nicht das Recht habe, den Namen – Deines Vaters zu tragen.
Allmers prallt zurück. Asta! Was sagst Du da!
Asta. Lies die Briefe. Dann wirst Du es wissen. Und es begreifen – und vielleicht auch Vergebung haben – für Mutter.
Allmers greift sich an die Stirn. Ich kann es nicht begreifen, den Gedanken nicht fassen! Du, Asta, – Du wärst also nicht –
Asta. Du bist nicht mein Bruder, Alfred.
Allmers rasch, halb trotzig, indem er sie ansieht. Nun gut – aber was ändert das eigentlich an unserem Verhältnis? Im Grunde genommen gar nichts.
Asta schüttelt den Kopf. Alles ändert es, Alfred. Unser Verhältnis ist nicht das wie zwischen Bruder und Schwester.
Allmers. Mag sein. Aber es ist darum nicht weniger heilig. Und heilig wird es immer bleiben.
Asta. Vergiß nicht, – daß es dem Gesetz der Wandlung unterliegt, – wie Du jetzt eben sagtest.
Allmers blickt sie forschend an. Meinst Du damit, daß –?
Asta leise, innig bewegt. Kein Wort mehr, – Du lieber, lieber Alfred. – Nimmt die Blumen vom Stuhl. Siehst Du diese Wasserlilien?
Allmers nickt langsam. Sie sind von denen, die da emporschießen – tief vom Grunde her.
Asta. Ich habe sie im Teich gepflückt. Da, wo er in den Fjord hinausfließt. Reicht ihm die Blumen. Willst Du sie haben, Alfred?
Allmers nimmt sie. Danke.
Asta mit Tränen in den Augen. Es ist wie ein letzter Gruß von klein Eyolf.
Allmers blickt sie an. Von dem Eyolf draußen? Oder von Dir?
Asta leise. Von uns beiden. Nimmt ihren Regenschirm. Nun aber komm mit zu Rita.
Sie geht den Fußpfad hinan.
Allmers nimmt seinen Hut vom Tisch und flüstert schwermütig: Asta. Eyolf. Klein Eyolf –!