Henrik Ibsen
Die Frau vom Meere
Henrik Ibsen

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Zweiter Akt

Auf der »Aussicht«, einer mit Gebüsch bestandenen Anhöhe hinter der Stadt. Etwas weiter hinten ist eine Warte und eine Wetterfahne. Große Steine, die sich zum Sitzen eignen, sind um die Warte herum und im Vordergrunde verteilt. Tief unten im Hintergrunde sieht man den äußeren Fjord mit Inseln und vorspringenden Landspitzen. Das offene Meer ist nicht sichtbar. Es ist Sommernacht mit Halblicht. Ein gelblich-roter Schimmer in der Luft und über den Bergzinnen weit in der Ferne. Vom Fuß der Hügel unten rechts ertönt gedämpft der Gesang eines Quartetts.

Junge Leute aus der Stadt, Damen und Herren, kommen paarweise von rechts und gehen im vertraulichen Geplauder an der Warte vorüber und links ab. Nach einer Weile kommt Ballested als Führer einer Gesellschaft von ausländischen Touristen und deren Damen. Er ist mit Schals und Reisetaschen beladen.

Ballested zeigt hinauf mit dem Stock. Voyez, messieurs et mesdames, – dort là-bas, est située encore une autre Anhöhe. Celle-là nous voulons auch monter et après descendre – Er setzt das Gespräch englisch fort und führt die Gesellschaft links hinaus.

Hilde kommt schnell die Böschung rechts herauf, bleibt stehen und blickt zurück; bald darauf kommt Bolette denselben Weg herauf.

Bolette. Aber, Kind, warum müssen wir denn dem Lyngstrand ausreißen?

Hilde. Weil ich es nicht ausstehen kann, so langsam bergauf zu gehen. Sieh mal, – sieh, wie er raufkraxelt.

Bolette. Ach, Du weißt doch, wie übel er dran ist.

Hilde. Meinst Du, es ist sehr gefährlich?

Bolette. Ja, allerdings.

Hilde. Er war ja heute nachmittag bei Papa. Ich möchte nur wissen, was Papa von ihm hält.

Bolette. Papa hat mir gesagt, es wäre eine Verhärtung in der Lunge, – oder so etwas Ähnliches. Er wird nicht alt, sagte Papa.

Hilde. Wirklich, hat er das gesagt! Denk nur, Du – akkurat dasselbe habe ich auch vermutet.

Bolette. Aber um Gottes willen laß Dir nichts anmerken.

Hilde. Ach, was fällt Dir denn ein. Halbleise. Sieh mal, – jetzt ist Hans glücklich raufgekraxelt. Hans –. Meinst Du nicht auch, man kann es ihm am Gesicht ansehen, daß er Hans heißt?

Bolette flüsternd. Jetzt sei aber artig. Das rate ich Dir.

Lyngstrand kommt von rechts mit einem Sonnenschirm in der Hand.

Lyngstrand. Ich muß die Damen um Entschuldigung bitten, daß ich nicht so flott gehen konnte wie Sie.

Hilde. Auch einen Sonnenschirm haben Sie sich zugelegt?

Lyngstrand. Er gehört Ihrer Frau Mama. Sie sagt, ich sollte ihn nur als Stock gebrauchen. Denn ich hatte keinen mit.

Bolette. Sind sie noch da unten? Papa und die anderen?

Lyngstrand. Ja. Ihr Herr Papa ist einen Augenblick ins Restaurant gegangen. Und die anderen sitzen draußen und hören sich die Musik an. Aber später wollen sie heraufkommen, sagt Ihre Frau Mama.

Hilde, die dasteht und ihn ansieht. Sie sind jetzt wohl tüchtig müde.

Lyngstrand. Ja, ich glaube fast, ich bin so etwas wie müde. Ich denke schon, ich muß mich ein kleines Weilchen hinsetzen. Er setzt sich auf einen Stein im Vordergrunde rechts.

Hilde steht vor ihm. Wissen Sie, daß unten an der Musikkapelle später getanzt werden soll?

Lyngstrand. Ja, ich hörte, es war die Rede davon.

Hilde. Das Tanzen, das macht Ihnen wohl Vergnügen?

Bolette, die im Heidekraut nach kleinen Blumen sucht. Ach, Hilde, – laß doch Herrn Lyngstrand sich erst einmal verschnaufen.

Lyngstrand zu Hilde. Ja, Fräulein, ich würde gern tanzen, – wenn ich nur könnte.

Hilde. Ach so. Haben Sie es nie gelernt?

Lyngstrand. Nein, das auch nicht. Aber das meinte ich gar nicht. Ich meinte, ich kann nicht wegen meiner Brust.

Hilde. Von wegen des Knaxes, wie Sie sagen.

Lyngstrand. Ja, – deswegen.

Hilde. Sind Sie sehr betrübt, daß Sie den Knax haben?

Lyngstrand. Ach nein, das kann ich nicht einmal sagen. Lächelt. Denn gerade deswegen, finde ich, sind alle Menschen so nett und so freundlich und so wohltätig zu mir.

Hilde. Und dann ist es ja auch weiter nicht gefährlich.

Lyngstrand. Nein, nicht im mindesten gefährlich. So habe ich Ihren Herrn Vater auch verstanden.

Hilde. Und dann geht es ja vorüber, sobald Sie erst auf Reisen gehen können.

Lyngstrand. Ja. Dann geht es vorüber.

Bolette mit Blumen. Sehen Sie einmal, Herr Lyngstrand, – die sollen Sie ins Knopfloch stecken.

Lyngstrand. Ach, tausend Dank, Fräulein! Das ist wirklich zu liebenswürdig von Ihnen.

Hilde sieht rechts hinunter. Da kommen sie auf dem Weg unten.

Bolette sieht gleichfalls hinunter. Wenn sie nur wissen, wo sie abbiegen müssen. Nein, jetzt gehen sie falsch.

Lyngstrand steht auf. Ich will da hinunter an die Ecke und ihnen zurufen.

Hilde. Da müssen Sie aber recht tüchtig rufen.

Bolette. Nein, das lohnt nicht. Da werden Sie nur wieder müde.

Lyngstrand. Ach, bergab geht es ganz flott. Er geht rechts ab.

Hilde. Bergab, jawohl. Sieht ihm nach. Jetzt hopst er sogar! Und daran denkt er nicht, daß er wieder herauf muß.

Bolette. Der arme Mensch –.

Hilde. Wenn Lyngstrand um Dich anhielte, würdest Du ihn dann nehmen?

Bolette. Bist Du verrückt geworden?

Hilde. Ach, ich meine natürlich, wenn er diesen Knax nicht hätte. Und wenn er nicht so bald sterben müßte. Würdest Du ihn dann nehmen?

Bolette. Ich finde, Du solltest ihn nehmen.

Hilde. I, wo denkst Du hin! Er hat ja nicht einen Pfennig. Er hat nicht einmal so viel, um selbst davon zu leben.

Bolette. Warum gibst Du Dich denn immer so viel mit ihm ab?

Hilde. Ach, das tue ich ja nur seines Knaxes wegen.

Bolette. Ich habe noch nichts davon gemerkt, daß Du ihn deswegen bemitleidest.

Hilde. Nein, das tue ich auch gar nicht. Aber ich finde, es hat solchen Reiz.

Bolette. Was denn?

Hilde. Ihn anzusehen und ihn erzählen zu lassen, daß es nicht gefährlich ist. Und dann, daß er ins Ausland reisen und Künstler werden will. Das alles glaubt er fest und ist so seelenvergnügt dabei. Und doch wird nichts draus werden. Nie und nimmer. Er lebt ja nicht mehr lange. Sich das vorzustellen, das finde ich so spannend.

Bolette. Spannend?

Hilde. Ja, gerade das finde ich spannend. Ich bin so frei.

Bolette. Pfui, Hilde, Du bist ein recht garstiges Ding!

Hilde. Das will ich auch sein. Nun erst recht. Sieht hinunter. Na endlich! Arnholm, der mag wohl nicht gern hoch steigen. Wendet sich um. Ach, übrigens, – weißt Du, was ich heut mittag bei Arnholm bemerkt habe?

Bolette. Nun?

Hilde. Denk nur, Du, – die Haare fangen an ihm auszugehen – hier oben mitten auf dem Kopf.

Bolette. Ach, Unsinn! Das ist gewiß nicht wahr.

Hilde. Doch. Und dann hat er Runzeln hier an beiden Augen. Ach Gott, Bolette, daß Du so in ihn verschossen sein konntest, wie er noch Dein Lehrer war!

Bolette lächelt. Ja, verstehst Du das? Ich weiß noch, ich weinte einmal bittere Tränen, weil er gesagt hatte, den Namen Bolette fände er häßlich.

Hilde. Ja, denk mal an! Blickt wieder hinunter. Du, sieh nur mal dorthin! Da geht die »Frau vom Meere« – im Gespräch mit ihm. Nicht mit Papa. – Es sollte mich nicht wundern, wenn die beiden ein Auge aufeinander geworfen hätten.

Bolette. Du solltest Dich aber wirklich schämen, Du! Wie kannst Du nur so etwas von ihr sagen? Unser Verhältnis war doch nun so gut geworden –

Hilde. Jawohl, – rede Dir das nur ein, mein Kindchen! Ach nein, Du, das Verhältnis zwischen uns und ihr wird nie im Leben gut. Denn sie paßt gar nicht zu uns. Und wir auch nicht zu ihr. Gott noch einmal, warum mußte Papa sie auch ins Haus schleppen! – Ich würde mich nicht wundern, wenn sie eines schönen Tages hinginge und vor unsern Augen überschnappte.

Bolette. Überschnappte! Wie kommst Du auf so etwas?

Hilde. Je nun, das wäre gar nicht so merkwürdig. Ihre Mutter war ja auch nicht richtig. Sie ist als Verrückte gestorben, das weiß ich.

Bolette. Ja, weiß der Himmel, wo Du nicht überall Deine Nase hineinsteckst. Aber sag' es gefälligst nicht weiter. Sei jetzt nett – Papa zuliebe. Hörst Du wohl, Hilde?

Wangel, Ellida, Arnholm und Lyngstrand kommen von rechts herauf.

Ellida zeigt mit der Hand nach dem Hintergrund. Da draußen liegt es!

Arnholm. Ja, richtig. In der Richtung muß es sein.

Ellida. Da draußen liegt das Meer.

Bolette zu Arnholm. Finden Sie nicht auch, daß es schön hier oben ist?

Arnholm. Großartig finde ich es hier. Prachtvolle Aussicht.

Wangel. Sie sind wohl früher nie hier oben gewesen?

Arnholm. Nein, niemals. Zu meiner Zeit, glaube ich, war kaum hier durchzukommen. Nicht einmal einen Fußsteig gab es.

Wangel. Und auch keine Anlagen. Das haben wir alles in den letzten Jahren bekommen.

Bolette. Da drüben auf der »Lotsenkuppe« ist die Fernsicht noch großartiger.

Wangel. Wollen wir vielleicht dahin, Ellida?

Ellida setzt sich auf einen Stein rechts. Danke. Ich nicht. Aber geht Ihr anderen nur. Ich bleibe dann hier so lange sitzen.

Wangel. Gut, so will ich bei Dir bleiben. Die Mädchen können ja Herrn Arnholm herumführen.

Bolette. Haben Sie Lust, mit uns zu gehen, Herr Arnholm?

Arnholm. O, sehr gern. Führt auch dort hinauf ein Weg?

Bolette. O ja. Da ist ein schöner, breiter Weg.

Hilde. Der Weg ist so breit, daß zwei Menschen bequem Arm in Arm gehen können.

Arnholm scherzend. Ist wohl nicht wahr, Sie kleines Fräulein? Zu Bolette. Wollen wir beide probieren, ob sie recht hat?

Bolette unterdrückt ein Lächeln. Schön. Probieren wir's.

Sie gehen Arm in Arm links ab.

Hilde zu Lyngstrand. Wollen wir auch –?

Lyngstrand. Arm in Arm –?

Hilde. Na, warum denn nicht? Meinetwegen gern.

Lyngstrand nimmt ihren Arm und lacht zufrieden. Das ist aber doch wirklich furchtbar komisch!

Hilde. Komisch –?

Lyngstrand. Ja, es sieht doch genau so aus, als wenn wir verlobt wären.

Hilde. Sie haben gewiß noch nie mit einer Dame am Arm promeniert, Herr Lyngstrand. Sie gehen links hinaus.

Wangel, der hinten an der Warte steht. Liebe Ellida, jetzt haben wir ein Weilchen für uns –

Ellida. Ja, komm und setze Dich hier neben mich.

Wangel setzt sich. Hier ist's so frei und still. Nun wollen wir uns ein wenig unterhalten.

Ellida. Wovon?

Wangel. Von Dir. Und dann von unserem Verhältnis, Ellida. Ich sehe wohl, so kann es nicht weitergehen.

Ellida. Was, meinst Du, sollte denn an die Stelle treten?

Wangel. Volles Vertrauen, meine Liebe. Ein Zusammenleben, – wie früher.

Ellida. Ach, wenn das sein könnte! Aber es ist so ganz unmöglich!

Wangel. Ich glaube, ich verstehe Dich. Aus gewissen Äußerungen, die Du hie und da getan hast.

Ellida heftig. Das tust Du nicht! Sag' nicht, daß Du mich verstehst –!

Wangel. Doch. Du bist eine ehrliche Natur, Ellida. Du hast einen treuen Sinn –

Ellida. Ja, den habe ich.

Wangel. Jedes Verhältnis, in dem Du Dich sicher und glücklich fühlen solltest, muß ein ganzes und ungeteiltes Verhältnis sein.

Ellida sieht ihn gespannt an. Nun, und –?

Wangel. Du bist nicht dazu geschaffen, eines Mannes zweite Frau zu sein.

Ellida. Wie kommst Du mit einem Male darauf?

Wangel. Es ist mir oft etwas wie eine Ahnung durch den Kopf geschossen. Heute ist es mir zur Gewißheit geworden. Das Erinnerungsfest der Kinder –. Du hast in mir eine Art Mitschuldigen gesehen –. Nun ja, – eines Mannes Erinnerungen lassen sich doch nicht auslöschen. Die meinen wenigstens nicht. Ich bin nicht so.

Ellida. Das weiß ich. Ach, das weiß ich so gut.

Wangel. Aber dennoch irrst Du Dich. Du hast die Vorstellung, als wäre die Mutter der Kinder sozusagen noch am Leben. Als stände sie unsichtbar zwischen uns. Du glaubst, mein Herz sei gleich geteilt zwischen Dir und ihr. Und dieser Gedanke ist es, der Dich empört. Du siehst sozusagen etwas Unsittliches in unserem Verhältnis. Und eben darum kannst Du – oder willst Du nicht mehr mit mir leben als meine Frau.

Ellida steht auf. Hast Du das alles gesehen, Wangel? In das alles hineingesehen?

Wangel. Ja, heute habe ich endlich da ganz tief hineingeblickt. Bis auf den Grund geblickt.

Ellida. Bis auf den Grund, sagst Du. Ach, glaube nur das nicht.

Wangel steht auf. Ich weiß sehr wohl, das da ist noch nicht alles, liebe Ellida.

Ellida ängstlich. Du weißt, es ist noch mehr?

Wangel. Ja. Daß Du die Umgebung hier nicht ertragen kannst. Die Berge drücken und lasten auf Deiner Seele. Es ist hier nicht Licht genug für Dich. Der Himmel rings über Dir nicht weit genug. Nicht Kraft und Fülle genug im Strom der Luft.

Ellida. Da hast Du wirklich recht. Tag und Nacht, Sommer und Winter ist es über mir – dieses Heimweh, das mich nach dem Meer hinzieht.

Wangel. Das weiß ich wohl, liebe Ellida. Legt die Hand auf ihren Kopf. Und deshalb soll das arme, kranke Kind wieder dahin, wo es zu Hause ist.

Ellida. Wie meinst Du das?

Wangel. Ganz einfach. Wir ziehen fort.

Ellida. Ziehen fort!

Wangel. Ja. Hinaus nach irgend einem Platz am offenen Meer, – nach einem Ort, wo Du ganz nach Deinem Sinn ein Heim finden kannst.

Ellida. Ach, mein Lieber, gib für immer diesen Gedanken auf! Das ist ganz unmöglich. Du kannst in der Welt nirgendwo anders glücklich leben als hier.

Wangel. Das kommt gar nicht in Betracht. Und außerdem, – glaubst Du, ich kann hier glücklich leben – ohne Dich?

Ellida. Aber ich bin ja da. Und ich bleibe da. Du hast mich doch.

Wangel. Habe ich Dich, Ellida?

Ellida. Ach, sprich nicht von dieser andern Sache. Hier hast Du doch all das, wofür Du lebst und strebst. Die ganze Tätigkeit Deines Lebens liegt eben hier.

Wangel. Das kommt gar nicht in Betracht, sage ich. Wir ziehen fort von hier. Ziehen irgendwo dahinaus. Das steht nun einmal unerschütterlich fest, liebe Ellida.

Ellida. Und was glaubst Du, würden wir dabei gewinnen?

Wangel. Du würdest Deine Gesundheit und den Frieden Deiner Seele wiederfinden.

Ellida. Das kaum. Und Du selbst! Denk doch auch an Dich. Was würdest Du dabei gewinnen?

Wangel. Ich würde Dich wiederfinden, Du Liebe.

Ellida. Aber das kannst Du nicht! Nein, nein, das kannst Du nicht, Wangel! Der Gedanke ist ja gerade das Entsetzliche, – das Verzweifelte.

Wangel. Es wird auf den Versuch ankommen. Gehst Du hier mit solchen Gedanken herum, so gibt es in der Tat keine andere Rettung für Dich, als – fort von hier! Und das je eher, je lieber. Die Sache steht nun einmal unerschütterlich fest, hörst Du.

Ellida. Nein! So will ich denn in Gottes Namen Dir lieber alles gerade heraussagen! So, wie es ist.

Wangel. Ja, ja, – tu das nur!

Ellida. Denn unglücklich sollst Du Dich nicht machen um meinetwillen. Ganz besonders, da es uns doch nichts nützen kann.

Wangel. Ich habe jetzt Dein Wort, daß Du mir alles sagst, – so, wie es ist.

Ellida. Ich werde es Dir sagen, so gut ich kann. Und so, wie ich es zu wissen glaube. – Komm her und setz' Dich zu mir. Sie setzen sich auf die Steine.

Wangel. Nun, Ellida? Also –?

Ellida. An dem Tage, als Du da hinauskamst und mich fragtest, ob ich Dir angehören könnte und wollte, – da hast Du so offen und so ehrlich zu mir von Deiner ersten Ehe gesprochen. Die wäre so glücklich gewesen, sagtest Du.

Wangel. Das war sie auch.

Ellida. Ja, ja, – ich glaube schon, mein Lieber. Nicht deswegen erwähne ich das jetzt. Ich will Dich nur daran erinnern, daß ich meinerseits auch aufrichtig gegen Dich gewesen bin. Denn ich sagte Dir ohne jeden Vorbehalt, daß ich einmal in meinem Leben einen andern geliebt hatte. Daß es zwischen uns zu – zu einer Art Verlobung gekommen war.

Wangel. Einer Art –?

Ellida. Ja, so etwas Ähnliches. Nun, das dauerte ja nur ganz kurze Zeit. Er reiste ab. Und später machte ich dann der Sache ein Ende. Das habe ich Dir alles gesagt.

Wangel. Aber, liebe Ellida, warum rührst Du denn diese Geschichten wieder auf? Im Grunde ging mich das ja gar nichts an. Und ich habe ja doch auch nicht einmal die Frage an Dich gerichtet, wer es war.

Ellida. Nein, das hast Du nicht. Du bist immer so rücksichtsvoll gegen mich.

Wangel lächelt. Ach, in diesem Falle –. Ich konnte mir ja wohl ungefähr den Namen denken.

Ellida. Den Namen!

Wangel. In Skjoldviken und in der Umgebung da draußen hat es ja nicht viele gegeben, auf die man raten konnte. Oder, richtiger gesagt, es war wohl nur ein einziger –

Ellida. Du meinst gewiß, es war – Arnholm.

Wangel. Ja, – etwa nicht –?

Ellida. Nein.

Wangel. So? Nicht? Ja, dann steht mir wahrhaftig der Verstand still.

Ellida. Erinnerst Du Dich, es kam einmal im Spätherbst ein großes amerikanisches Schiff mit Havarie nach Skjoldviken.

Wangel. Ja, ich erinnere mich ganz gut. An Bord dieses Schiffes hat man ja eines Morgens den Kapitän ermordet in der Kajüte gefunden. Ich war selbst draußen und obduzierte die Leiche.

Ellida. Ja, das mag sein.

Wangel. Der zweite Steuermann war es ja wohl, der ihn ermordet hatte.

Ellida. Das kann keiner sagen! Denn es ist nie an den Tag gekommen.

Wangel. Da ist doch kaum ein Zweifel möglich. Warum wäre er denn sonst ins Wasser gegangen, wie er getan hat?

Ellida. Er ist nicht ins Wasser gegangen. Er ging hinauf mit einem Nordlandsfahrer.

Wangel stutzt. Woher weißt Du das?

Ellida mit Überwindung. Ja, Wangel, – der zweite Steuermann: mit dem war ich ja eben – verlobt.

Wangel springt auf. Was sagst Du da! Kann das möglich sein!

Ellida. Ja, – so ist es. Er war es.

Wangel. Aber um alles in der Welt, Ellida –! Wie konnte Dir so etwas einfallen! Dich mit so einem zu verloben! Mit einem wildfremden Menschen! – Wie hieß er mit Namen?

Ellida. Damals nannte er sich Friman. Später, in den Briefen, unterschrieb er sich Alfred Johnston.

Wangel. Und wo war er her?

Ellida. Von Finmarken oben, sagte er. Geboren war er übrigens in Finnland drüben. War wohl als Kind eingewandert – mit seinem Vater, glaube ich.

Wangel. Also ein Kwäne.

Ellida. Ja, so heißen sie ja.

Wangel. Was weißt Du sonst von ihm?

Ellida. Nur, daß er früh zur See gegangen war. Und daß er weite Fahrten gemacht hatte.

Wangel. Sonst gar nichts?

Ellida. Nein. Wir kamen nie dazu, von so etwas zu sprechen.

Wangel. Wovon habt ihr denn gesprochen?

Ellida. Wir haben meist vom Meere gesprochen.

Wangel. Ah –! Vom Meer also?

Ellida. Von Sturm und von Stille. Von finsteren Nächten auf dem Meer. Von dem Meer an glitzernden, sonnenhellen Tagen sprachen wir auch. Aber meist sprachen wir von den Walfischen und von den Delphinen und von den Seehunden, die in der Mittagshitze gewöhnlich draußen auf den Schären liegen. Und dann sprachen wir von den Möwen und von den Adlern und all den anderen Seevögeln, weißt Du. – Denk Dir nur, – ist es nicht seltsam, – wenn wir von solchen Dingen sprachen, da kam es mir vor, als wären sie alle, Seetiere und Seevögel, mit ihm verwandt.

Wangel. Und Du –?

Ellida. Ja, es schien mir fast, als wäre auch ich mit ihnen allen verwandt geworden.

Wangel. Ja, ja. – Und da also, da hast Du Dich mit ihm verlobt?

Ellida. Ja. Er sagte, ich sollte es tun.

Wangel. Solltest? Hattest Du denn keinen eigenen Willen?

Ellida. Nicht, wenn er in der Nähe war. O, – hernach kam mir das ganz unbegreiflich vor.

Wangel. Bist Du oft mit ihm zusammengekommen?

Ellida. Nein, nicht sehr oft. Eines Tages war er draußen bei uns und sah sich den Leuchtturm an. Dadurch wurde ich mit ihm bekannt. Und nachher trafen wir uns hin und wieder. Aber dann kam ja die Geschichte mit dem Kapitän dazwischen. Und da mußte er weg.

Wangel. Jawohl, – erzähle mir doch noch mehr davon!

Ellida. Es war frühmorgens in der Dämmerung, – da bekam ich einen Zettel von ihm. Und darauf stand, ich sollte zu ihm hinauskommen nach Bratthammer, – Du weißt, die Landspitze zwischen dem Leuchtturm und Skjoldviken.

Wangel. Ja gewiß, gewiß – die kenne ich gut.

Ellida. Da hinaus sollte ich gleich kommen, schrieb er, er hätte mit mir zu reden.

Wangel. Und Du bist hingegangen?

Ellida. Ja. Ich konnte nicht anders. Nun, und da erzählte er mir denn, er hätte in der Nacht den Kapitän erstochen.

Wangel. Das hat er also selbst gesagt! So ohne weiteres!

Ellida. Ja. Aber er sagte, er hätte nur getan, was recht und billig war.

Wangel. Recht und billig? Warum hat er ihn denn erstochen?

Ellida. Er wollte nicht mit der Sprache heraus. Er sagte, das wäre nichts für meine Ohren.

Wangel. Und Du glaubtest ihm auf sein bloßes Wort?

Ellida. Ja, was anderes kam mir gar nicht in den Sinn. Na, weg mußte er ja doch. Aber wie er mir nun Lebewohl sagen wollte –. Nein, das kannst Du Dir nicht vorstellen, auf was er da verfiel.

Wangel. Na? So laß doch hören!

Ellida. Er zog ein Schlüsselbund aus der Tasche und nahm dann vom Finger einen Ring, den er gewöhnlich trug. Mir zog er auch einen kleinen Ring ab, den ich am Finger hatte. Diese beiden steckte er zusammen an das Schlüsselbund. Und dann sagte er, nun müßten mir uns alle beide dem Meer antrauen.

Wangel. Antrauen –?

Ellida. Ja, so sagte er. Und somit warf er mit aller Kraft das Bund mit den Ringen in die Meerestiefe hinaus, so weit er konnte.

Wangel. Und Du, Ellida? Du machtest das alles mit?

Ellida. Ja, denk nur an, – es kam mir damals vor, als müßte das alles so und nicht anders sein. – Aber, Gott sei Dank, – dann ist er weggefahren!

Wangel. Und wie er nun glücklich weg war –?

Ellida. Ach, Du kannst Dir wohl denken, daß ich bald wieder zur Besinnung kam. Zu der Einsicht kam, wie toll und sinnlos das alles gewesen war.

Wangel. Du sprachst vorhin von Briefen. Du hast also später doch noch von ihm gehört?

Ellida. Ja, ich habe von ihm gehört. Zuerst bekam ich ein paar kurze Zeilen aus Archangel. Er schrieb nur, er wollte hinüber nach Amerika. Und dann gab er mir an, wo ich die Antwort hinsenden könnte.

Wangel. Und Du hast das getan?

Ellida. Gleich. Ich schrieb natürlich, es müßte alles zwischen uns aus sein. Und daß er nicht mehr an mich denken sollte, wie ich nie mehr an ihn denken wollte.

Wangel. Und trotzdem hat er doch wieder geschrieben?

Ellida. Ja, er hat wieder geschrieben.

Wangel. Und was antwortete er auf das, was Du ihm zu verstehen gegeben hattest?

Ellida. Auf das nicht mit einem Wort. Es war, als hätte ich überhaupt nicht mit ihm gebrochen. Er schrieb ganz besonnen und ruhig, ich sollte nur auf ihn warten. Sobald er mich zu sich nehmen könnte, wollte er es mich wissen lassen. Und dann sollte ich gleich kommen.

Wangel. Er wollte Dich also nicht freigeben?

Ellida. Nein. Dann habe ich wieder geschrieben. Fast Wort für Wort dasselbe wie das erste Mal. Oder noch entschiedener.

Wangel. Und dann hat er doch nachgegeben?

Ellida. Ach nein, glaub' das nur nicht. Er schrieb so ruhig wie zuvor. Nicht ein Wort davon, daß ich mit ihm gebrochen hatte. Da sah ich denn ein, daß es vergeblich wäre. Und deshalb habe ich nie wieder an ihn geschrieben.

Wangel. Und hast auch nichts von ihm gehört?

Ellida. Doch, ich habe hernach noch drei Briefe von ihm bekommen. Einmal schrieb er mir aus Kalifornien und ein anderes Mal aus China. Der letzte Brief, den ich von ihm bekam, war aus Australien. Da schrieb er, er wollte nach den Goldminen gehen. Aber seit der Zeit hat er nichts mehr von sich hören lassen.

Wangel. Dieser Mann hat eine ungewöhnliche Macht über Dich gehabt, Ellida.

Ellida. Ach ja, ja. Der grauenvolle Mensch!

Wangel. Aber daran darfst Du nicht mehr denken. Nie mehr! Das mußt Du mir versprechen, meine liebe, teure Ellida! Jetzt wollen wir eine andere Kur mit Dir versuchen. Eine frischere Luft als hier in den Fjorden. Die salzichte, stärkende Seeluft! Wie? Was sagst Du dazu?

Ellida. Ach, sprich davon nicht! Denk nicht an dergleichen! Damit ist mir nicht geholfen. Ich fühle es nur zu gut, – die Last werde ich auch da draußen nicht loswerden.

Wangel. Was für eine Last, meine Liebe, – was meinst Du denn eigentlich damit?

Ellida. Das Grauenvolle, mein' ich. Diese unbegreifliche Macht über das Gemüt –

Wangel. Aber das bist Du ja doch los. Schon lange. Seit Du mit ihm gebrochen hast. Das ist ja nun doch längst vorbei.

Ellida springt auf. Nein, das ist es eben nicht!

Wangel. Nicht vorbei!

Ellida. Nein, Wangel, – es ist nicht vorbei! Und ich fürchte, das wird nie vorbei sein. Nie im Leben!

Wangel mit erstickter Stimme. Willst Du damit sagen, Du hast in Deinem Innersten den Fremden nie vergessen können?

Ellida. Ich hatte ihn vergessen. Aber dann mit einem Mal war es, als käme er wieder.

Wangel. Wie lange ist das her?

Ellida. Es ist jetzt ungefähr drei Jahre her. Oder ein wenig länger. – Zu der Zeit, als ich das Kind erwartete.

Wangel. Ah! Zu der Zeit also? Ja, Ellida, – da fange ich an, mir über alles Mögliche klar zu werden.

Ellida. Du irrst Dich, mein Lieber! Was über mich gekommen ist, das –. O, ich glaube: man wird sich im Leben nicht darüber klar werden.

Wangel blickt sie schmerzerfüllt an. Sich das vorzustellen – drei ganze Jahre bist Du da umhergegangen – im Herzen Liebe für einen andern. Für einen andern! Nicht für mich, – nein, für einen andern!

Ellida. O, da irrst Du Dich durchaus. Ich fühle für keinen andern Liebe als für Dich.

Wangel mit gedämpfter Stimme. Warum hast Du denn diese ganze Zeit über nicht als meine Frau mit mir leben wollen?

Ellida. Wegen des Entsetzens, das von dem fremden Mann ausgeht.

Wangel. Entsetzen –?

Ellida. Ja, Entsetzen. Ein Entsetzen, so grauenvoll, wie es, glaube ich, nur das Meer haben kann. Denn nun, Wangel, sollst Du hören –

Die jungen Leute aus der Stadt kommen von links zurück, grüßen und gehen rechts ab. Mit ihnen zusammen kommen Arnholm, Bolette, Hilde und Lyngstrand.

Bolette, indem sie vorübergehen. Was, Ihr geht noch immer hier oben spazieren?

Ellida. Ja, es ist so kühl und schön hier auf der Höhe.

Arnholm. Wir für unser Teil wollen jetzt einmal hinunter und tanzen.

Wangel. Schön, schön. Wir kommen auch bald hinunter.

Hilde. Adieu denn inzwischen.

Ellida. Herr Lyngstrand, – ach, warten Sie einen Augenblick.

Lyngstrand bleibt stehen. Arnholm, Bolette und Hilde rechts ab.

Ellida zu Lyngstrand. Wollen Sie auch tanzen?

Lyngstrand. Nein, gnädige Frau, ich glaube, ich darf nicht.

Ellida. Ja, es ist besser, Sie nehmen sich in acht. Die Sache mit der Brust –. Sie haben es doch immer noch nicht ganz verwunden.

Lyngstrand. So ganz noch nicht, – nein.

Ellida etwas zögernd. Wie lange mag es jetzt nun wohl her sein, daß Sie die Reise machten –?

Lyngstrand. Wo ich den Knax abbekam?

Ellida. Ja, die Reise, von der Sie heute früh erzählt haben.

Lyngstrand. Ach, das ist nun wohl so an die –? Warten Sie mal. Ja, das ist nun wohl gut und gern drei Jahre her.

Ellida. Drei Jahr also.

Lyngstrand. Oder ein bißchen länger. Wir verließen Amerika im Februar. Und dann im März hatten wir den Schiffbruch. Es war die Tag- und Nachtgleiche, in deren Stürme wir hineingekommen waren.

Ellida sieht Wangel an. Also um die Zeit ist es gewesen –.

Wangel. Aber, liebe Ellida –?

Ellida. Na, lassen Sie sich nicht aufhalten, Herr Lyngstrand. Gehen Sie nur. Aber nicht tanzen!

Lyngstrand. Nein, nur zusehen. Er geht rechts ab.

Wangel. Liebe Ellida, – warum hast Du ihn wegen der Reise ausgefragt?

Ellida. Johnston ist mit an Bord gewesen. Davon bin ich überzeugt.

Wangel. Woraus schließt Du das?

Ellida ohne zu antworten. Er hat an Bord erfahren, daß ich mich mit einem andern verheiratet habe. Während er fort war. Und dann – zu derselben Stunde kam das da über mich!

Wangel. Das – Entsetzen?

Ellida. Ja. Mit einem Mal kann ich ihn dann plötzlich leibhaftig vor mir stehen sehen. Oder eigentlich mehr seitwärts. Er sieht mich niemals an. Er ist nur da.

Wangel. Wie erscheint er Dir denn?

Ellida. So, wie ich ihn das letzte Mal gesehen habe.

Wangel. Vor zehn Jahren?

Ellida. Ja. Draußen auf Bratthammer. Am allerdeutlichsten sehe ich seine Brustnadel mit der großen, blauweißen Perle. Die Perle gleicht dem Auge eines toten Fisches. Und das stiert mich so an.

Wangel. Um Gottes willen –! Du bist kränker, als ich geglaubt habe. Kränker, als Du selbst weißt, Ellida.

Ellida. Ja, ja, – hilf mir, wenn Du kannst! Denn ich fühle, wie sich's mehr und mehr um mich zusammenzieht.

Wangel. Und in solch einem Zustand gehst Du nun drei ganze Jahre hier umher. Trägst diese geheimen Leiden, ohne Dich mir anzuvertrauen.

Ellida. Aber das konnte ich ja doch nicht! Bis zu diesem Augenblicke nicht, wo es nötig wurde – um Deiner selbst willen. Hätte ich Dir das alles anvertrauen sollen, – so hätte ich Dir ja doch auch – das Unaussprechliche anvertrauen müssen.

Wangel. Das Unaussprechliche –?

Ellida abwehrend. Nein, nein, nein! Frag' nicht! Nur eins noch. Dann nichts mehr. – Wangel, – wie sollen wir es ergründen – dieses Rätsel mit den Augen des Kindes –?

Wangel. Liebste, beste Ellida, ich versichere Dir, es war nur eine Einbildung von Dir. Das Kind hatte ganz genau solche Augen wie andere normale Kinder.

Ellida. Nein, das hatte es nicht! Daß Du das nicht sehen konntest! Die Augen des Kindes wechselten die Farbe wie die See. Lag der Fjord in der Ruhe des Sonnenlichts, so waren die Augen danach. Bei stürmischem Wetter ebenfalls. – Ach, ich sah es wohl, wenn Du es auch nicht gesehen hast.

Wangel nachgebend. Hm, – mag schon sein. Aber selbst wenn dem so wäre? Was dann?

Ellida leise und näher. Ich habe solche Augen schon einmal gesehen.

Wangel. Wann? Und wo –?

Ellida. Draußen auf Bratthammer. Vor zehn Jahren.

Wangel weicht einen Schritt zurück. Was soll das –?

Ellida flüstert bebend: Das Kind hatte des fremden Mannes Augen.

Wangel schreit unwillkürlich auf: Ellida –!

Ellida schlägt in Verzweiflung die Hände über dem Kopf zusammen. Nun wirst Du wohl verstehen, warum ich nicht mehr als Deine Frau mit Dir leben will, – nicht mehr leben darf. Sie wendet sich schnell ab und flieht über die Anhöhen nach rechts hinab.

Wangel eilt ihr nach und ruft: Ellida, – Ellida! Meine arme unglückliche Ellida!


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