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A.D.MD
»O Jahrhundert! o Wissenschaften! –
Es ist eine Freude, zu leben, wenn auch
noch nicht, sich zur Ruhe zu setzen.
Es blühen die Studien, die Geister regen sich!
Du nimm den Strick, Barbarei,
und mache dich auf Verbannung gefaßt!«
Ulrich von Hutten.
Das Rüstzeug, mit dem Luther der Reformation die Wege bahnte, entstammte zu nicht geringem Teile der Werkstatt des gelehrten Erasmus und dem Arsenal des ritterlichen Hutten. Beim Erasmus konnte sich der meist derb zufahrende Reformator in der Handhabung jener feinen, zierlichen Waffen üben, wie sie versteckte Ironie und überlegener Spott schleifen und verwenden. Bei Hutten fand er neben dem scharfen Schwert des humanistischen Ritters noch die stets treffsicher geschwungene Geißel eines in heiligem Zorne lodernden satirischen Dichters. Ragt auch die Gestalt des herrlichen Jünglings neben der dominierenden des thüringischen Bergmannssohnes minder gewaltig empor, so müssen wir dennoch in ihm den großen Charakter, den feurigen Patrioten, den unerschrockenen, bis zur Tollkühnheit draufgängerischen Streiter für Recht und Wahrheit, für Freiheit und Deutschtum rückhaltlos und ohne Einschränkung bewundern. Seine mitunter selbst maßlose Heftigkeit, die sich aber immer noch um einen Grad urbaner und versöhnlicher äußert als die Luthersche, sein scharfer Witz, seine gesunde Beobachtungsgabe, die stets den Nagel auf den Kopf trifft, der bestrickende Zauber seiner liebenswürdigen Persönlichkeit, seine zwingende Ueberredungskraft und der edle, fortreißende Schwung seiner Schriften und Dichtungen – alle diese Eigenschaften eines im Kerne gesunden Menschen aus einer im Kerne angefaulten Zeit machen uns diesen genialen Kämpfer für Erringung geistiger Güter und geistiger Freiheit bis auf diesen Tag lieb und wert.
Luther wollte auf Gemüt und Gewissen Einfluß erlangen, Hutten einen Sturm der Leidenschaften erregen, auf daß die Wogen einer in ihren innersten Tiefen erregten Nation alles Halbe, Faule, Morsche und Kranke ans Ufer schleuderten, damit sich das ganze deutsche Volk wie in einem riesigen Gärungsvorgang von Grund aus reinigen und läutern sollte. Luther dagegen wiederholte beständig: Sagen, schreiben, predigen will ich's; aber alles weitere scheint mir verwerflich.
So laufen diese beiden merkwürdigen Lebensläufe lange Zeit nebeneinander her – ohne sich jemals zu berühren. Der aus engem, kleinlichem Bezirke auf die Höhe der welterregenden Bewegung getragene Sohn aus dem Bauernstande, der Schulter an Schulter mit den Fürsten über Wohl und Wehe der Nation entscheiden sollte, und der Sprosse eines uralten vornehmen Adelsgeschlechtes, der freiwillig Rang und Reichtum von sich wirft, das Schwert mit der Feder vertauscht, sich in den Strudel der Revolution hineinwirft und jauchzend und todesverachtend mit kräftigen Armen die türmenden Wogen durchschneidet.
So wurde, was Luther für die religiöse Seite der Reformation war, Ulrich von Hutten für die humanistische: der Mann der Tat und des unerschrockenen Sturmlaufs, der Führer der sozialen und politischen Umbildung – eine Sturm- und Drangnatur, die es nicht in der beschaulich umfriedeten Burg seines Stammes hielt, sondern die den großen Geisterkampf der Epoche mitkämpfen wollte. Kein Theoretiker, wie die Mehrzahl seiner Zeitgenossen, entsagte er dem weltabgewandten Studium in klösterlicher Zellenhaft. Ein glühender Hasser der römischen Verlogenheit, der katholischen Geistlichkeit in ihrer stagnierenden Versumpfung, konnte er in seiner schrankenlosen Liebe für Wahrheit und Gerechtigkeit auch nicht das leiseste Unrecht nur sehen, geschweige denn erdulden.
Inter equitandum, auf dem Sattel seines trabenden Gaules, goß er den Abscheu und den Zorn gegen das Unwesen der Klerisei, gegen die Sittenverderbtheit der Zeit und den Obskurantismus der Heuchler in leidenschaftlich erglühende Hexameter, machte er seinem bebenden Herzen Luft in stacheligen Satiren, die wie zischende Raketen durch die schwüle Gewitterluft sonnenwärts stiegen und, wo sie niederfielen, einen verzweifelten Haß der schmerzlich verwundeten Gegner hervorriefen, eine jubelnde Freude und anerkennende Zustimmung seiner Anhänger in Bauern- und Gelehrtenstuben weckten! Dabei lebte in dem kleinen, blassen, hageren Ritterlein unbeugsame Willenskraft, die ihn die bittersten körperlichen Leiden und die jämmerlichsten Entbehrungen auf seinem unaufhörlichen zigeunerartigen Wanderleben heldenhaft ertragen ließ. Ein unruhvoller, ahasverischer Feuergeist in einem gebrechlichen Körper, wie eine brodelnde Flüssigkeit in einem dünnwandigen Gefäß, das endlich unter den gärenden Wallungen zerbrechen mußte.
Wo Hessen und Frankenland zusammenstoßen, unweit der Kinzig und der Salza, wurde Ulrich von Hutten am 21. April 1488 auf der Burg Steckelberg geboren, die von dem hessischen Städtchen Schlüchtern etwa zwei, von Fulda sechs, vom lieblichen Main neun Stunden entfernt liegt. Melanchthon, der nebenbei heimlich das Steckenpferd der Astrologie ritt, wollte später aus dem ungünstigen Stande der Gestirne bei Ulrichs Geburt dessen schwächliche Körperbeschaffenheit ableiten. Bedeutungsvoller aber war die historische Konstellation merkwürdiger Begebenheiten und Geburtsjahre. Nach David Friedrich Straußens lehrreicher Zusammenstellung erblickte Hutten das Licht der Welt 33 Jahre nach Reuchlin, 21 nach Erasmus Roterodamus, 18 nach Willibald Pirkheimer, 16 nach Mutianus Rufus, 8 nach Crotus Rubianus, 7 nach Franz von Sickingen, 5 nach Luther, 4 nach Zwingli, im selben Jahre wurde Eobanus Hesse und 9 Jahre später Melanchthon geboren. Mit all diesen bedeutenden Gestirnen hat ihn nachher das Schicksal in mehr oder minder enge Berührung gebracht!
Ulrichs Mutter entstammte dem Geschlecht der Eberstein. Sie war eine fromme, sanftmütige Frau, die mit besonderer Liebe dem zarten Ulrich, dem ältesten ihrer vier Söhne, zugetan war, der in ihr wiederum seinen natürlichen Schutz und Rückhalt fand, wenn der etwas herrische Vater einmal allzu straff die Zügel des häuslichen Regiments anzog. In den althergebrachten Lebensformen verharrend, durch und durch konservativ und gleich vielen seiner Zeitgenossen kurzsichtig in Glaubenssachen und zähe den Ueberlieferungen der alten Kirche anhangend, bestimmte er Ulrich zum Priesterstande, ganz wider den Brauch damaliger Zeit, wo es bei jüngeren Söhnen häufig, bei erstgeborenen nie oder selten geschah, daß man für sie den Priesterberuf erwählte. Vermutlich aber sprach bei diesem Entschluß ein Gelübde der Mutter oder des Vaters selbst mit, wenn es nicht gar im Hinblick auf die eben nicht kernhafte Gesundheit des Knaben geschah. Als elfjährigen schickte ihn der Vater auf die Klosterschule zu Fulda, wo sich der junge Strudelkopf mit dem abenteuerlichen Tatendrang und dem Hange zu einer ungebundenen Lebensweise allerdings wie ein freier Waldvogel hinter Gitterstäben vorkommen mußte. Zwar legte er hier den Grund zu einer gefestigten klassischen Bildung, darin er schon so früh Hervorragendes leistete; aber allen Versuchen, ihn zum Profeß zu bestimmen, widersetzte er sich hartnäckig, trotz der »andächtigen guten Meinung« der Eltern, da es ihn »bedünken wolle, daß er seiner Natur nach in einem andern Stande viel baß Gott gefällig und der Welt nützlich wandeln möge.« Der Abt gab sich alle Mühe, ihn zum Eintritt in den Orden zu bewegen, aber Eitelwolf von Stein, der Hutten in Fulda kennen, lieben und schätzen gelernt hatte und schon frühzeitig von seiner Genialität überzeugt war, sprach zum Abte: »Du wolltest einen solchen talentvollen Jüngling zu Grunde richten?«
Eitelwolf entstammte einem edeln schwäbischen Geschlechte, hatte in Bologna studiert, wurde aber durch seine Familie bald vom Studium abberufen, kehrte nach Deutschland zurück und trat in die Dienste des Kurfürsten Johann Cicero von Brandenburg, der ihn, ebenso wie später sein Sohn und Nachfolger, Joachim I., häufig zu wichtigen Staatsgeschäften verwandte. Die Stiftung der Universität zu Frankfurt a. d. Oder durch Joachim war im Grunde Eitelwolfs Werk. Nachmals machte er sich noch einen Namen durch seine lebhafte Anteilnahme an dem Reuchlinschen Kampfe gegen die Cölner Finsterlinge, die er witzig Capnionsläuse zu nennen pflegte. Eitelwolf von Stein ( Eitelwolfus de Lapide) geb. 1465 oder 1466, besuchte die Schule in Schlettstatt, wo Krafthon Udenhaim sein Lehrer war, studierte in Bologna unter Beroaldus und begab sich, von hier zurückgerufen, in die Dienste des Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg Joh. Cicero. Auch Kaiser Maximilian liebte ihn und ehrte seine Talente mit einem Lorbeerkranz. Trotz seiner vielen Geschäfte als Krieger und Dienstmann blieb er zeitlebens den Wissenschaften treu; sein Haus stand allen Gelehrten offen, nie sah man ihn ohne Bücher. Er starb, noch nicht fünfzig Jahre alt, 1515 an einem Steinleiden. Hutten hielt dem unvergeßlichen Freund und Förderer seiner Jugend in einem Briefe an Jakob Fuchs eine treffliche Lobrede. Eitelwolf war selbst Dichter und gehörte mit zu der sodalitas litteraria Rhenania, die Konrad Celtes und Johann Kamerarius von Dalberg gestiftet hatten; ein Epigramm von ihm auf die Dichterin des zehnten Jahrhunderts, Roswitha, Nonne zu Gandersheim, steht in der Enumeratio Sodalitas sociorum litterariae vor Konrad Celtis Ausgabe der Werke der Roswitha, Nürnberg 1501. (A. Peypus, mit 8 Holzschnitten Dürers.)
Da Hutten an solchem Manne einen starken Rückhalt hatte, war es nicht zu verwundern, daß schließlich der Gedanke einer Flucht in ihm reifte, um auf diesem Wege dem Drängen des Abtes und des Vaters endlich zu entgehen. Sah er doch ein, daß trotz des Beistandes Eitelwolfs der alte Hutten endgültig bei seinem Willen verharren würde. Innige Freundschaft verband Hutten gleichfalls mit einem andern Klosterschüler, einem Johann Jäger aus Dornheim, nach damaliger Sitte humanistischer Namensumbildung latinisiert in Crotus Rubianus: Crotus nach dem Schützen im Sternbild und Rubianus nach rubus, dem Brombeerstrauch, der ja wohl auch Dornen trägt, aber den Namen Dornheim mit Rubianus nur unvollkommen wiedergibt. Crotus Rubianus, um 1480 geboren, studierte mit Hutten und Eoban Heß zu Erfurt und ging mit Hutten dann nach Cöln, wo er als Führer einiger adliger Jünglinge galt. Nach abwechselndem Aufenthalt in Fulda und Erfurt (wo er in die zwischen Magistrat und Bürgerschaft herrschenden Unruhen verwickelt wurde, bei denen man sogar einen Bürgermeister aufknüpfte), machte er 1518 eine Reise nach Italien, war aber 1520 schon wieder in Erfurt, wo er als Rektor mit Eoban Heß, Georg Sturz und Euricius Cordus den nach Worms zum Reichstag reisenden Luther in feierlichem Zuge einholte. Bald aber vertauschte er wieder Erfurt mit Fulda, wo er mit Melanchthon und Kamerarius 1523 zusammentraf, und ging dann nach Preußen, wo er sich sieben Jahre lang aufgehalten haben soll. Er war gerade das Gegenteil von Hutten, zwar auch immer umherschweifend und unruhig, aber ohne die sittliche Kraft, dulden und entbehren zu können; in seiner Lebensphilosophie herrschte ausschließlich heitere und scherzhafte Laune. Sein späterer Abfall von der Lutherschen Sache erklärt sich zum nicht geringen Teil auch aus diesem leichtlebigen Zug in seinem Wesen, da Luther seinen Anhängern eben kein gemächliches Leben versprechen konnte, was dem über alles spottenden, nichts heilig haltenden Crotus nicht zusagte, der die Kunst des Lebens in einer Kunst angenehmen und vergnügten Daseins fand.
Mit Jägers Hilfe also bewerkstelligte Ulrich, siebzehnjährig, im Jahre 1505 seine Flucht aus dem Kloster und wanderte ziel- und heimatlos in die Welt hinaus. Zur gleichen Zeit verließ Luther die Welt, um ins Kloster zu flüchten und sich dort mit seinen quälenden Zweifeln vor Herz und Gewissen auseinander zu setzen. Ein derartiges
Dilemma hatte Hutten nie gequält: sein unruhiger Geist verlangte nach Bewegung und Tätigkeit, und dies beides konnte er nur außerhalb der Bannmauern eines Klosters finden. Nun begann für den jungen Flüchtling eine ununterbrochene Kette von Nöten und Entbehrungen, die ihn die wechselreichen Schicksale eines fahrenden Schülers bis aus die bitterste Neige auskosten ließen. Zuerst wandte er den flüchtigen Fuß nach Erfurt, wo er in Eoban Hesse einen Freund fürs Ceben und in Mutianus Rufus aus Gotha einen väterlichen Beschützer und einen ungemein befruchtenden Förderer für seine Ausbildung finden sollte.
Helius Eobanus Hessus (eigentl. Göbbehenn) 1488 im hessischen Dorf Halgehausen, wie er selbst Idyll. V sagt, unter freiem Himmel geboren, studierte seit 1504 in Erfurt, erhielt schon 1507 das Rektorat der Severischule, lebte dann in Ostpreußen, studierte die Rechte in Frankfurt a. d. Oder, wandte sich in Leipzig wieder den humanistischen Studien zu und kehrte nach Erfurt zurück, wo er 1517 als Professor der lateinischen Sprache ungeheueren Zulauf hatte, bis sich die Studenten nach Wittenberg zogen, er durch die Bauernaufstände in Nahrungssorgen geriet und nach Nürnberg ging. Nach nochmaligem Aufenthalte in Erfurt (1533) siedelte er 1536 als Professor nach Marburg über, wo er 4. Oktober 1540 starb. Hessus war zum Dichter geboren, seine Gedichte verraten eine erstaunliche Beherrschung der lateinischen Sprache – Luther nannte ihn
rex poetarum – nur Hutten übertraf ihn. Hessus, der seines Charakters wegen manche Anfechtung erfuhr, weil er (ähnlich wie Crotus) in heiterem Lebensgenuß seinesgleichen suchte, war mit den angesehensten Humanisten befreundet und schloß sich von Anfang an eifrig der Reformation an.
(Erwähnt sei noch mit D. F. Straußens eigenen Worten, daß ich mich »dem Protest gegen die Mißhandlung Eobans durch Deinhardstein in seinem Schauspiel und, auf dessen Verantwortung, durch Lortzing in seiner komischen Oper: Hans Sachs« anschließe.)
Konrad Mutianus Rufus (1472) zu Homburg geboren, der sich vielleicht seines rotblonden Haares wegen den Beinamen Rufus zulegte, brachte seine Jugend unter Alexander Hegius in Deventer zu und studierte in Italien die Rechtswissenschaften. Zu Gotha als Kanonikus verbrachte er sein Leben in gelehrter Muße; nur den Wissenschaften lebend, stand er mit allen Gelehrten seiner Zeit in freundschaftlichem Briefwechsel und fand seine Freude daran, begabte Jünglinge durch Rat und kehre zu fördern. Hessus, Crotus und Hutten wallfahrteten denn auch von Erfurt aus fleißig zu ihm, der als treuester und innigster Freund Reuchlins für diese jungen Leute noch einen besonders verehrungswürdigen Heiligenschein um sich verbreitete. Eine besondere Abneigung hatte er gegen alle Schriftstellern, fand es beherzigens- und nachahmenswert, daß weder Sokrates noch Christus Aufzeichnungen hinterlassen hatten und war überzeugt, daß »das Beste, was wir wissen, für die Menge nicht taugt«. Der edle Mann starb am Karfreitag, den 30. April 1526, und sein dankbarer Schüler Eoban Hessus besang seinen Tod in einem herrlichen Klagelied.
Huttens Aufenthalt in Erfurt währte aber nicht lange; schon im Winter 1505 auf 1506 sehen wir ihn in Cöln. Als er hier jedoch mit der Verbreitung klassischer Studien begann, sah er sich von den Scholastikern mißgünstig betrachtet, die hier das Uebergewicht über die Humanisten hatten, und Ulrich nahm seinen Weg nach der neu begründeten Universität Frankfurt a. d. Oder. Zur Einweihungsfeier 1506 sang er das Lob der Mark Brandenburg in einem Gedicht, auf dessen Titel er sich einen Schüler des Rhagius Aesticampianus (Joh. Rack aus Sommerfeld) nannte. Johann Rhagius, geb. um 1460 zu Sommerfeld i. d. Oberlausitz, studierte in Krakau und Bologna (hier, wie Eitelwolf von Stein, unter Beroaldus), erhielt in Rom vom Papste den Dichterlorbeer, hielt sich einige Zeit in Paris auf und lebte dann in verschiedenen Orten Deutschlands als Lehrer. Durch sittliche Würde wie Gelehrsamkeit gleich ausgezeichnet, nannte ihn Mutianus Rufus einen Wiedererwecker der ausgestorbenen Latinität, Eitelwolf von Stein ehrte ihn als ehrwürdigen Vater, und Eoban Hessus (der ja in Bezug auf guten Wein und Tafelfreuden ein maßgebendes Urteil hatte) wollte selbst ein bescheidenes Mahl in seiner Gegenwart mit keinem Götterschmause vertauschen, Sein Todesjahr habe ich nicht ermitteln können. Hier sollte er Magister oder Baccalaureus werden, aber er lehnte es nun und in der Folge ein- für allemal ab, auch nur die geringste Würde anzunehmen, damit er dadurch die äußerste Geringschätzung zeigen könne, die er diesem ganzen alten Formelwesen gegenüber empfand. In Frankfurt a. d. Oder hielt er es ein ganzes Jahr aus, dann setzte er seinen Wanderstab nach Norden, um in Greifswald für einige Zeit sein Heim aufzuschlagen – sein Heim, wenn man den Unterschlupf eines fahrenden Gesellen so nennen darf.
Um diese Zeit ungefähr war es, daß der junge Steckelberger den Leichtsinn einer süßen Stunde mit einem für sein ganzes Leben anhaltenden bitteren Nachgeschmack büßen sollte. Die Lustseuche, vermutlich durch Kreuzfahrer aus dem Orient nach Europa eingeschleppt, trat seit dem ersten Dezennium des sechzehnten Jahrhunderts nicht mehr vereinzelt, sondern epidemisch auf und richtete bei den damaligen Sitten und der Unkenntnis über ihre zweckmäßige Behandlung verheerendes Unglück an. Dabei wollte keines der Kulturländer die Ehre der »Erfindung« und ersten Verbreitung für sich in Anspruch nehmen, sondern die eine Nation wälzte diesen Ruhm auf die andere ab. Die Deutschen nannten sie nach der von dem italienischen Arzt Fracastoro gewählten Bezeichnung Franzosenkrankheit; die Franzosen hinwieder – man erinnere sich an Rabelais – bespöttelten die Gebrandmarkten als Spanischfeuerleut. Auch von Nordischer Pest und Italienischem Aussatz sprach man. Dabei tappte man über das Wesen der Krankheit und ihre Heilmittel vollständig im Dunkeln, erörterte aber gleichzeitig diese neue Geißel mit einer so naiven Ungeniertheit, wie sie heute nicht denkbar wäre, die jedoch gleichzeitig beweist, daß dieses Leiden bei der damals herrschenden naturalistischen Lebensanschauung nicht als eine Schande angesehen wurde, sondern nur als ein Unfall, über den man öffentlich zu klagen keinen Anstand zu nehmen brauchte. Schrieb doch Hutten später (1521), nachdem er schon länger als zehn Jahre an dieser Krankheit gelitten hatte, einen Traktat: » De Guaiaci medicina et morbo Gallico liber unus«, den er einem Erzbischof mit der allerliebsten Bemerkung zueignete, daß er bei Gott nicht wünsche, daß der hochwürdige Herr des Autors Erfahrungen und Ratschläge jemals nötig habe, aber an seinem Hofe könnte das Büchlein mit der Empfehlung der Guajacaholz-Kur vielleicht von einigem Nutzen sein. Ja, als Luther 1523 kränkelte und niemand der Art seines Leidens auf die Spur kommen wollte, so daß die Ulmer Mönche schon über Luthers bevorstehenden Tod zu jubeln begannen, ließ ihm der Ulmer Arzt Wolfgang Rychard durch einen Vertrauten in Wittenberg Ratschläge erteilen, worin auch der Fall vorgesehen war, daß der Reformator vielleicht mit dem malo Franciae zu tun habe. Wolfgang Rychard, geb. 1485, begeisterter Anhänger der neuen Lehre, verkehrte lebhaft mit Mönchen und Laienpriestern, unter denen er reformatorische Schriften verbreitete, und stand auch mit Luther und Melanchthon in Briefwechsel.
Elend und geschwächt von den Nachwehen der mit dem Guajacdekokte vorgenommenen, unsäglich angreifenden vierzigtägigen Schwitzkur, zudem als Folge der Krankheit auf einem Fuße lahm geworden, langte unser reiselustiger, sich trotz seiner Qualen einer ungebrochenen Lebenslust erfreuende Hutten in Greifswald an. Hier wurde er vom Bürgermeister Wedegus und dessen Sohn, dem Professor und Kanonikus Henning Lötz (Lossius) anfangs recht gastfreundlich aufgenommen. Bald aber wurde aus dem freundschaftlichen Verhältnis ein mehr als gespanntes. Auf wessen Seite der größere Teil der Schuld lag, ist nicht klar zu ersehen. Vermutlich war Hutten, der durchaus nicht die Bezeichnung eines sanftmütigen Lämmchens verdient, dem trockenen Bürgermeister und dem pedantischen Professor an Bildung weit überlegen und zeigte seine Ueberlegenheit durch Spott und verletzendes Benehmen. Vermutlich waren die beiden Lötze auch eifersüchtig auf die gediegenen Kenntnisse und den täglich wachsenden Ruhm des Dichterjünglings, dem sie ursprünglich wohl nur Gastfreundschaft angedeihen ließen, um selbst Ansehen zu gewinnen und etwas von dem Lichte des Gastes auf den eigenen Namen fallen zu lassen. Wedeg Lötz, der Vater, muß schon 1482 Ratsmitglied oder Bürgermeister gewesen sein, weil er in diesem Jahre bei Gelegenheit eines Streites der Stadt Greifswald mit der Universität genannt wird. Zwischen 1524 und 1528 muß er gestorben sein. Er war kein Gelehrter, sondern vermutlich Kaufmann, wenigstens besuchte er die Messe zu Frankfurt a. Main. Henning Lötz, der Sohn, kommt zuerst 1492 in den Annalen der Universität vor, 1504 war er Rektor, 1511 nicht mehr; wahrscheinlich starb er 1517, und vermutlich war es seine Witwe, die nachher den berühmten Juristen Joh. Oldendorp heiratete, der als Professor zu Marburg starb; wenigstens findet man in den Rektoratsannalen bei der 158 geschehenen Promotion (Oldendorps den Vermerk: Mox et in continenti in prefata, Ecclesia Sophiam, relictam H. Lötzen .... soleniter in uxorem duxit (nach den Notizen Gottl. Christ. Friedr. Mohnikes, des Herausgebers der Querelen, Greifswald) Jedenfalls kam es zum Bruche, und Hutten pilgerte, anscheinend mit seinen Wirten ausgesöhnt, ahnungslos von dannen. Da wurde er unterwegs von Lötzeschen Knechten angefallen, hart mit Schlägen zugerichtet und verwundet. Nicht genug damit, man zog ihm die Kleider soweit als zulässig vom Leibe und beraubte den vergeblich um Schonung Flehenden sogar eines Bündelchens von Büchern und Handschriften: es sollte als Entschädigung für die von den Lötzes entliehenen Gelder dienen.
Blutend und halbnackt, vor Frost und Erschöpfung dem Tode nahe, wanderte der Sieche in strenger Winterkälte Tag und Nacht weiter und schleppte sich, auf freiem Felde oder in elenden Hütten nächtigend, hungernd und in bejammernswertem Zustande nach Rostock, wo den fadenscheinigen Musensohn Ekbert Harlem in seinem gemütlichen Junggesellenheim liebevoll aufnahm. Das war kein Lötze, sondern ein uneigennütziger und gelehrter Mann, Professor der Philosophie und Regens der Burse zur Himmelspforte. Ekbert Harlem, 1517 Rektor, las als ordentliches Mitglied der philosophischen Fakultät ( Fac. art. Collegiatus). In den Epist. odsc. vir. S. 32i und 322 wird seiner rühmlichst erwähnt, da er nach Huttens Schilderung und der von Joh. Hadus aller Bedrängten Zuflucht gewesen zu sein scheint. Die akademische Regentie porta coeli stand unter seiner Aufsicht. In der vierten Elegie der Querelen spricht Hutten ihm für die gewährte Gastfreundschaft in schmeichelhaften Worten seinen Dank aus. Ueber Ekberts Geburts- und Todesjahr sowie seine näheren Lebensumstände konnte ich nichts ermitteln.
Huttens Ingrimm machte sich dort in den prächtigen »Querelen« Luft, den zwei Büchern einer echten, von rührender Klagestimmung durchwehten Elegiendichtung. ( Ulrichi Hutteni equestris ordinis poetae in Wedegum Loetz Consulem Gripesualdensem in Pomerania et filium eius Henningum Vtr. Juris doctorem Querelarum libri duo pro insigni quadam iniuria sibi ab illis facta. Joannes Hanaw 1510.) Diese an sich beklagenswerte Episode bewirkte aber doch das eine Gute, daß sie den jungen Steckelberger zum Manne und zum Dichter reifte. Denn wenn auch diese Schrift in der Reihe seiner Erzeugnisse keine hervorragende Stelle einnimmt, so ist sie doch die erste, die in jeder Zeile das Gepräge des Huttenschen Geistes trägt. Die Querelen konnte nur ein Dichter von Gottes Gnaden schreiben!
Diese in ihm lodernde Dichterglut war es auch, die ihn nicht gleich so vielen andern Fahrenden an der Straße hinter einem Zaun verenden ließ, sondern ihn aus allen Mißlichkeiten immer wieder emporriß und durch, die schwierigsten Verhältnisse siegreich hindurchführte! Verfolgt, angefeindet, arm, zerlumpt, hungernd und frierend: er verliert nie seine geistige Spannkraft; im Gegenteil, unter dem härtesten Druck schnellt sie um so energischer empor und härtet sich wie ein biegsamer Stahl in der Glut seines Zornes, im Feuer seiner großen Leidenschaft.
Bald darauf sehen wir ihn in Wittenberg, wo er sein Lehrbuch über die Dichtkunst herausgibt ( Ulrichi Hutteni de arte versificandi liber unus heroico carmine ad Jo. et Alex. Osthenios Pomeranus equites 1511). Dann zieht der Wanderlustige, von Almosen ein kärgliches Leben fristend, durch Böhmen und Mähren und gelangt schließlich im Herbst 1511 nach Wien, wo seine lateinischen Gedichte die Gelehrten bezaubern und von wo ihn sein Vater durch des Crotus Vermittlung vergeblich zurückzurufen versucht. Denn der Wandervogel sagt sich: kehrst du erst heim, so mußt du doch wieder ins Kloster; und er läßt seinem Vater dasselbe sagen, was Pomponius Lätus seinen Verwandten, die ihn aus Rom zurückrufen wollten, schrieb: Was ihr wollt, kann nicht geschehen. Valete! – Kurz danach taucht er in Italien auf. In Pavia nehmen ihm die päpstlichen Schweizer, die in ihm einen Mitkämpfer der Franzosen wähnen, bei der Eroberung der Stadt die letzten Habseligkeiten plündernd fort, und kurz entschlossen, springt er in die Reihen der kaiserlichen Landsknechte. Aus dem Gelehrten wurde so in gewissem Sinne wieder ein Ritter, jedenfalls ein Mann des Schwertes. Aber die fleißige Feder rostet nicht. Im Lager schreibt er Epigramme und Satiren in elegantem Latein, wobei er anfängt, sich von dem steifen mythologischen Symbolenkram frei zu machen. Denn das unterscheidet ihn wohltuend von den andern humanistischen Dichtern, die in ihren dürren, stöckelbeinigen Hymnen immer gleich den ganzen Götterhimmel auf die Erde brachten. Selbst in Italien ging die Sonne seines Ruhmes auf. Soviel Grazie, Zierlichkeit und Formvollendung war man bisher bei einem ungeleckten deutschen Barbaren nicht gewohnt. Während der Belagerung von Pavia erkrankte der Steckelberger wieder heftig; er glaubte sein Ende nahe und dichtete sich seine (nach Straußens Uebersetzung hier wiedergegebene)
*
Grabschrift:
Der, zum Jammer gezeugt, ein unglückseliges Leben
lebte, von Nebeln zu Land, Nebeln zu Wasser verfolgt,
Hier liegt Huttens Gebein! Ihm, der nichts Arges verschuldet,
Wurde vom gallischen Schwert grausam das Leben geraubt –
War vom Geschick ihm bestimmt, nur Unglücksjahre zu schauen,
Ach, dann war es erwünscht, daß er so zeitig erlag.
Er, von Gefahren umringt, wich nicht vom Dienste der Musen,
Und, so gut ers vermocht, sprach er im Liede sich aus! –
Aber noch hatten die Götter das Ende des Musensohnes nicht beschlossen. Nach Beendigung der Belagerung von Pavia unter Kaiser Max finden wir ihn 1514 in Ems, um in den dortigen Bädern seine Gesundheit wiederherzustellen. Da erreicht ihn die Kunde von der Ermordung seines Vetters Hans durch Ulrich, den Herzog von Württemberg, der mit der Frau des Hutten ein Liebesverhältnis unterhielt. Dieser Sache nimmt sich Hutten in heftigen, aber meisterhaften, kunstgerechten Philippiken an. Schäumend vor Zorn, fordert er das ganze Volk zur Rache an dem Verüben dieser Greueltat auf, der einen Verwandten aus edlem Blut wie einen gemeinen Strauchdieb meuchlings erschlagen habe. Das mächtige Pathos, die glühende Begeisterung eines leidenschaftlich aufgeregten Agitators von nicht gewöhnlichem Schlage machte ihn plötzlich außerordentlich populär und veranlaßte wirklich die Aechtung und Vertreibung des Herzogs durch die Truppen des Schwabenbundes.
Ulrich, Herzog von Württemberg, geb. 1487, beteiligte sich 1504 am bayr.-landshutischen Erbfolgekrieg, vollstreckte im Verein mit Hessen die Acht gegen den Pfalzgrafen Philipp und erlangte dadurch eine beträchtliche Gebietsvergrößerung.
Am 7. Mai 1515 ermordete er Hans von Hutten und reizte dadurch auch den Kaiser, das bayrische Herzogshaus und den Adel, an dessen Spitze sich Ulrich v. Hutten als Rächer stellte. Er wurde zweimal in die Acht erklärt, 1519 vom Schwäbischen Bunde vertrieben und floh nach Mömpelgard.
Zehn Jahre nach Huttens Tode wurde er für die Reformation gewonnen und führte sie (1534) in seinem Lande ein, nachdem ihm der Sieg bei Lauffen am Neckar sein Herzogtum wieder verschafft hatte. Er starb am 6. November 1550. Vgl. Heyd: Herzog Ulrich von Württemberg (Tübingen 1841–43), und Kugler (Stuttgart 1865).
Diese erste greifbare Wirkung seiner, sich nach des Vaters Meinung bisher nur in brotlosen Stilübungen betätigenden Feder führte eine Versöhnung zwischen Sohn und Vater herbei, der ihm die Flucht aus dem Kloster bis dahin nicht hatte vergessen können. Mit der väterlichen Erlaubnis und genügend mit Geld versehen, geht Ulrich nach Rom, um seine juristischen Studien abzuschließen. Nachts wird er hier auf der Straße von fünf händelsüchtigen Franzosen überfallen, deren einen er tötet, worauf die andern entfliehen. Er vertauscht infolgedessen Rom mit Bologna, wo er im September 1516 (vermutlich von Crotus Rubianus selbst) ein Exemplar der Dunkelmännerbriefe erhält, die eine Satire gegen Reuchlins Widersacher und Anhänger einer verrotteten und verstaubten Scholastik in Cöln bilden. Diese Epistolae obscurorum virorum ad venerabilem virum M. Ortuinum Gratium etc. (an Ortwin Gratius, Ortin Gratius (de Graes), berüchtigter Gegner der Humanisten, geb. zu Holtewick bei Koesfeld, gest. 21. Mai 1542 als Professor der scholastischen Theologie an der Universität Cöln. Auch er wurde bei dem schon mehrfach erwähnten Alexander Hegius in Deventer unterrichtet, der sonst bessere Schüler zu erziehen pflegte. Ortwins Erwiderung auf die Epistolae obsc. vir., die 1518 unter dem Titel » Lamentationes obscurorum virorum, non prohibitare per sedem apostolicam, Ortwino Gratio auctore« in 45 Briefen erschienen, und eine neue, um 40 Briefe vermehrte zweite Ausgabe: » Impressio secunda cum additionibus« (beide zu Cöln), nennt Strauß eine unerlaubt geistlose Erwiderung. Diese Erinnerung an das traurige Werkzeug des Obskurantismus genüge! einen Lehrer der schönen Wissenschaften in Cöln, gerichtet) hatte Hutten kaum mit wachsendem Behagen gelesen, so verfaßte er in der ersten Glut der Begeisterung, in genialer Schnelligkeit eine Anzahl dergleichen Briefe, die 1517 als zweiter Teil erschienen und den ersten Teil weit in den Schatten stellten.
Jedermann ahnte in Hutten den Verfasser, womöglich auch des ersten Teils; doch dessen Urheberschaft ist dem Crotus Rubianus nicht abzusprechen, der nicht die Gabe für die Bedienung eines so schweren Geschützes leidenschaftlicher Invektiven besaß, wie sie Hutten im zweiten Teile zeigt. Crotus verstand es nur, leicht verletzende Nadelstiche zu versetzen und oberflächlich zu verhöhnen, weil es ihm mit der Sache der Aufklärung nicht ebenso heiliger Ernst wie Hutten war. Auch zeigte sich darin schon jetzt jene Charaktereigenschaft, die den späteren Abfall des Crotus von der Sache der Reformation erklärt. Die Epistolae bilden das würdige Seitenstück zum » Triumpus Capnionis«, worin Hutten (1514) die Gegner des Humanismus mit strengem Ernst und sittlichem Pathos angriff. Johann Reuchlin (gräzisiert Kapnion, während ihn seine Gegner spöttischerweise Fumulus nannten) war geb. 22. Februar 1455 zu Pforzheim. Seine Abmahnung von der durch den Kaiser 1509 befohlenen Verbrennung aller nichtbiblischen hebräischen Schriften verwickelte ihn in den bekannten heftigen Streit mit den Dominikanern zu Cöln (vor allem mit dem finstern Ketzermeister Hoogstraten). Am 30. Juni 1522 starb der um Wissenschaft und Aufklärung hochverdiente und doch so viel geärgerte Mann. Vgl. L. Geiger (Joh. Reuchlin. Leipzig 1871). In den Epistolis entplundert er sie auf öffentlichem Markte unter dem Hohngelächter der ganzen Welt und zeigt sie in ihrer bejammernswerten barbarischen Lächerlichkeit und sittlichen Verkommenheit. Schon vorher hatte sich Hutten im Streite des Juden Pfefferkorn, des Hoogstraten und des Ortuinus Gratius gegen Reuchlin mannhaft auf die Seite Reuchlins gestellt. Als sich Hutten später (1520) auf der Rückreise aus den Niederlanden in der Nähe von Löwen Hoogstraten in den Weg kommen sah, zog er kampflustig vom Leder und schrie dem Dunkelmann entgegen: »Endlich, du Scheusal, fällst du in die rechten Hände. Welchen Tod soll ich dir antun, du Feind aller Guten und Widersacher der Wahrheit?« – Der erbleichende Hoogstraten sank in die Knie und bat um sein Leben. »Wohl!« rief der Ritter und stieß sein Schwert heftig in die Scheide zurück, – »mein Degen soll sich mit so schlechtem Blute nicht besudeln. Aber wisse, daß viel andere Schwerter auf deine Kehle zielen und dein Untergang eine ausgemachte Sache ist!« Jakob Hoogstraten (Hochstraten oder Hogstraaten), Dominikaner-Prior zu Köln, artium magister, der Theologie Doktor und Professor, gebürtig von Hogstrat in Brabant; er starb, über 50 Jahre alt, zu Köln am 21. Januar 1527. Hutten schreibt über ihn in seiner an Erasmus gerichteten, weiter unten ausführlicher erwähnten Expostulatio: ... »Welch ein Zeugnis gibst du dieser Bestie? – Ein Mensch, der unter der Last seiner Bubenstücke zusammenbrechen müßte, der sich mit den größten Verbrechen bedeckt und beschmutzt hat, dessen Gewissen gebrandmarkt ist, und der immer bereit ist und immer herbeieilt, sobald nur irgendwo eine verruchte Gemeinheit verübt werden soll .... doch ich will nicht wissen, was in deinen dem Hoogstraten den Fuchsschwanz streichelnden Briefen steht; dagegen will ich dich fragen vor den Ohren rechtschaffener Menschen: wie du sonst so oft von ihm gesprochen hast?« usw.
Aus Italien kehrte der streitbare Pamphletist über Venedig im Jahre 1517 nach Deutschland zurück, wo ihn Kaiser Max am 12. Juli zum Dichter krönte und zum Ritter schlug. Aus England, Frankreich und Italien richteten sich die Blicke der Zeitgenossen mit Neid und mit Bewunderung auf den glorreichen jungen Dichter, in dessen lockigem Scheitel der Lorbeer prangte, mit dem sich Hutten von da ab so gern abbilden ließ, den die schöne, tugendsame Constanze, des gelehrten Augsburger Patriziers Konrad Peutinger Tochter, gewunden, und den ihm des Kaisers eigene Hand aufs Haupt gedrückt hatte.
Peutinger und andere einflußreiche Freunde suchten Hutten nun an den Kaiserlichen Hof zu fesseln oder in den Dienst des Erzbischofs von Mainz gelangen zu lassen, was auch früher schon einmal in der Absicht Eitelwolfs von Stein gelegen hatte, zumal der Dichter bereits vom Erzbischof Unterstützungen für seine italienische Reise und für die Ausführung einiger anderer ehrenvoller Aufträge empfangen hatte. Aber Ulrich konnte sich nicht sogleich entschließen, sondern machte Pirckheimern in Nürnberg einen Besuch und ging dann nach Bamberg. Kurz danach gab Hutten eine Schrift des Laurentius Valla neu heraus, eines um die kirchengeschichtliche Kritik hochverdienten italienischen Humanisten aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Diese Schrift: De donatione Constantini quid veri habeat etc. griff in schonungsloser Offenheit die weltliche Herrschaft der Päpste in ihrer Grundlage und das System der römischen Anmaßungen in seinen schwächsten Punkten an. Er widmete die Schrift – ein Zeichen echt Huttenscher Dreistigkeit! – dem Papste Leo X. selbst, der seit vier Jahren auf dem Stuhle Petri thronte.
Durch die Uebersetzung dieser Schrift, die von der angeblichen Schenkung Roms, Italiens, ja des ganzen Abendlandes an den Bischof Sylvester und dessen Nachfolger durch den Kaiser Konstantin handelt und deren Unechtheit und offen zu Tage liegende Ungereimtheit Valla schlagend nachwies, durch diese Schrift eröffnete sich für Hutten auch das richtige Verständnis für das, was Luthers Pläne bedeuteten und bezweckten, und ein Umschlag trat bei ihm ein, der Hutten ganz für die Sache der Reformation gewann, in deren Diensten er bislang nur so nebenher tätig war. Hatte er doch den Mönch Luther selbst nicht so recht ernst genommen, und als die 95 Thesen an der Tür der Wittenberger Schloßkirche hingen und Tetzel und Eck gegen Luther auftraten, schrieb er noch jenen Brief voll Schadenfreude darüber, daß sich die geschorenen Mönchsköpfe nun selbst untereinander in den Haaren lägen. Als Luther 1518 mit Cajetan die denkwürdige Unterredung hatte, befand sich Hutten gleichfalls unter ärztlicher Pflege in Augsburg, nahm aber von Luther keine Notiz und verabsäumte es, ihn aufzusuchen. – Jetzt aber fühlte er sich mit einem Schlage als der deutschen Nation kühnster Sprecher, politisch und sozial als alter ego Luthers, dessen wundervolle Macht deutscher Rede er kennen gelernt, bei dem er gesehen hatte, wie der schlichte Mann mit der Zauberkraft des Wortes die deutsche Nation elektrisierte, und er schrieb an ihn: All meinen Dichterruhm will ich ablegen, um dir, o Mönch, treu nachzufolgen wie ein Schildknappe! – Nun gibt er seine lateinische Eleganz auf, schreibt deutsch in Prosa und Reimen und wird ein politischer Luther, offen auf seine Seite übertretend. Ja, jetzt fühlte er sich zum Bundesgenossen des Erfurter Mönches berufen; nicht mehr »unter vier Augen« wollte er klagen und anklagen, sondern vor aller Welt. Er schreibt an alle Stände, an den Kaiser, an die Nation, an den Adel, an die Ritter, an die Städte, an die Bauernschaft, kurz an all und jeden, der mit der alten unzulänglichen Ordnung der Dinge grollt und sich ihrer entäußern will. Wie tief und umwälzend Hutten mit der Donatio Constantini in die Zeit eingriff, hat Luther selbst bekannt, der sich rein die Haare ausraufen wollte über die unverschämten plumpen Lügen, mit der sich die Papstherrschaft Jahrhunderte hindurch am Ruder erhalten hätte, und nun erschien Luthern der Papst mehr und mehr als der leibhaftige Antichrist und Teufel!
Dennoch war für Huttens Eintritt in die Dienste des Erzbischofs Albrecht von Mainz Albrecht, Erzbischof von Magdeburg und Kurfürst von Mainz (gewöhnlich Albrecht von Brandenburg genannt), zweiter Sohn des Kurfürsten Johann Cicero, geb. 28. Juni 1490, studierte in Frankfurt a. d. Oder, wurde schon 1513 Erzbischof von Magdeburg und Administrator des Bistums Halberstadt, Erzbischof und Kurfürst von Mainz und 1518 Kardinal. Er übernahm, um die für die Bezahlung des Palliums bei den Fuggern aufgenommene Schuld abtragen zu können, gegen Ueberlassung von 50 pCt. des Ertrages den Vertrieb des von Leo X. eingeführten neuen Ablasses. Sein Agent Tezel gab dann Luthern den Anlaß zu seinen 95 Thesen. Dadurch geriet er in scharfen Gegensatz zur Reformation, suchte aber immer zu vermitteln und sogar durch ein Konzil eine allgemeine Reform herbeizuführen. Ueber sein ferneres Leben vgl. Hennes: Albrecht von Brandenburg (Mainz 1858), und Schum: Kardinal Albrecht von Mainz (Halle 1878). die Veröffentlichung all seiner Invektiven kein Hindernis: dieser Prälat, der ja den Anstoß zu Luthers Angriffen aus den Ablaßschwindel gegeben hatte, war innerlich empört über Roms unersättliche Geldgier und im stillen mit Huttens kecker Kampfesweise wohl zufrieden. Noch vorm Ende des Jahres 1507 machte Hutten im Auftrage dieses Fürsten eine Reise an den Hof des Königs von Frankreich, um die Abschließung eines Bündnisses und andere Geschäfte zu bewirken. Im Bestallungsbrief vom 20. September 1517 wird Hutten consiliarius noster genannt und ihm plenaria potestas erteilt.
Nach zweimaligem Aufenthalte in Paris besuchte er im Gefolge des Erzbischofs 1518 den Augsburger Reichstag und führte dem deutschen Volke in seiner Schrift Ad principes germanos ut bellum Turcis inferant exhortatoria ein ergreifendes Bild der inneren Zerrissenheit vor Augen und forderte es zum gemeinsamen Zusammenschluß gegen den Glaubensfeind auf. Des Hoflebens müde, das er in seinem Dialog Aula dialogus geißelte, verließ er die Dienste des Mainzer Erzbischofs und wandte sich nach Schwaben, wo er sich an dem Feldzuge gegen Herzog Ulrich beteiligte. Während dieses Feldzuges knüpfte sich Huttens Verhältnis zu Franz von Sickingen zu einem bis in den Tod währenden idealen Freundschaftsbündnis an. In diese Zeit fällt auch Huttens kurzer, aber für seine Heilung vergeblicher Aufenthalt im Wildbade und ein Plan zu seiner Verheiratung mit Kunigunde, einer Tochter des Johannes Glauburg, die aber nachher, am 18. September 1520, ihre Hand dem ehrsamen Advokaten Adolf Knoblauch in Frankfurt a. Main zum Lebensbunde reichte. Seinem Schmerz über diese Enttäuschung machte er in dem Gespräche »Fortuna« Luft, einer seiner anziehendsten und ergreifendsten kleineren Schriften. Dieses reizende Gespräch wird im Verein mit den »Neuen Dialogen«, einigen Gedichten und den interessantesten Sendschreiben Huttens an den Papst, den Kaiser, an Luther und verschiedene Fürstlichkeiten s. Zt. demnächst als ein zweiter Band auserlesener Huttenscher Schriften erscheinen.
Inzwischen hatten Huttens Feinde auch nicht geruht; denn als sich Hutten, um der gerechten Sache nachhaltigere Dienste zu leisten, im Sommer 1520 an den Hof des Königs Ferdinand nach den Niederlanden begab, wo man die Ankunft des neuen Kaisers Karls V. erwartete, mußte er auf den Rat besorgter Freunde unverrichteter Sache aus Brüssel zurückkehren. Die Pfeile, die der Satiriker köcherweise verschossen hatte, hatten nur zu gut ihr Ziel erreicht. Der Papst hatte sogar seinen Legaten beauftragt, Hutten gefangen nehmen zu lassen, so heftig erzürnt hatten ihn der »Vadiscus« und die »Anschauenden«, zwei Gespräche, in denen Hutten mit Meisterschaft und getragen von hohem dichterischem Schwunge den hochmütigen Klerus in der Gestalt des Cajetan geißelte und die elenden Zustände Deutschlands als eine Folge der römischen Mißwirtschaft hinstellte. Dieses Manifest gegen Rom war ein würdiges Seitenstück zu Luthers gewaltigen Schriften, die der Reformator, angefeuert durch Huttens schonungsloses Vorgehen, wenige Monate später, im Juni 1520, gegen den Klerus schleuderte. Leo X. forderte den Erzbischof Albrecht auf, die Frechheit der Lästerer zu bestrafen und besonders seinen Diener Hutten, der von allen der schlimmste und giftigste sei, empfindlich zu züchtigen. Huttens Leben war also aufs äußerste bedroht, und rasch und willig nahm er das Asyl auf Franz von Sickingens gastlicher Ebernburg an, wo er in rastloser Arbeit sofort an eine Verdeutschung seiner lateinisch geschriebenen Gespräche ging, die eine eigene Druckerpresse vervielfältigte und in alle Welt hinausschickte. Diese Flugschriften fanden reißenden Absatz und flogen heimlich von Hand zu Hand, so daß sich ihre heutige Seltenheit erklärt. Auch absichtlich wurden von Huttens und Sickingens Gegnern Exemplare aufgekauft und vernichtet. Immer ging es diesen Schelmen zwar nicht ungestraft hin. Als z. B. die Karthäuser zu Worms Huttens »auf Pappier getruckte Bildnusse« zu gewissen Zwecken gebrauchten (zur Säuberung unreiniger seins Leibs orten), schrieb Hutten an den Prior einen Fehdebrief, und Sickingen legte ihm zur Strafe für diese »Hinterlist« eine Buße von tausend rheinischen Goldgülden auf, die er ihnen als »Agiogeld« auch richtig innerhalb Monatsfrist abtrieb. So hatte sich der »ehrwürdige« Prior mit seinen Mönchen ein recht teures Toilettenpapier erkauft.
Huttens Freundschaft mit Sickingen bedeutet einen Wendepunkt im Leben und Schaffen unseres Ritters. Franz von Sickingen war aus anderm Holze geschnitzt, als sein junger Freund, und nicht durch solche literarische Schule gegangen wie Hutten. Er war vorwiegend Krieger und Ritter, aber doch der hervorstechendste Vertreter einer deutlich ausgeprägten Richtung. Den Studien minder abhold als so viele seines Standes, kam die Beschäftigung mit ihnen bei ihm doch erst an zweiter Stelle. Auch in religiösen Dingen hatte er keine ausgesprochene Färbung angenommen. Ein Wallenstein im kleinen, zog sein Ruf als Krieger und Sieger alles unter seine Fahnen, was Lust und Liebe zum Kriege beseelte, zumal in der geldarmen Zeit ein solcher Bundesgenosse für alle Fürsten von großem Werte war. Wollte der Kaiser kriegen, so schickte er einen Boten auf die Ebernburg, um Sickingens Hilfe und Kredit in Anspruch zu nehmen. Dabei war die Ebernburg Die Ebernburg liegt bei Kreuznach; sie war neben Landstuhl bei Kaiserslautern des tapfern Sickingen wichtigstes und festestes Schloß. Auch der unter dem Namen »Faust« berühmt gewordene Mensch hatte hier (etwa 1510) vorübergehend geherbergt. ein gastliches Dach, auch Luthern hatte sie Franz nach dem Reichstage von Worms als sicheres Asyl angeboten; jetzt wohnte Ulrich von Hutten im Winter 1520-21 in der »Herberge der Gerechtigkeit«, wie sie der gekrönte Poet so schön und treffend nannte. Vergegenwärtigen wir uns für einen Augenblick dieses Bild, das Huttens Biograph Strauß mit Recht eins der schönsten in der Geschichte unseres Volkes genannt hat.
»Am stillen Herd zur Winterszeit« beim flackernden Kaminfeuer sitzen zwei deutsche Ritter im Gespräch über die deutschesten Angelegenheiten. Der eine: der populärste Schriftsteller, den Deutschland neben Luther aufzuweisen hatte – der andere: der größte Landsknecht seiner Zeit, der Tausende unter seinen Befehl sammeln konnte. Draußen liegt die Schneelandschaft, tot und wie erstorben im bleichen Mondlicht; die Natur schlummert wie die Kraft des schlafenden deutschen Michels. Ab und zu tönt das kurze heisere Gebell eines vorüberstreichenden hungrigen Wolfes: – so schleicht lauernd und auf Raub ausgehend das römische Wesen umher. Die Oellampe verbreitet im hohen, holzgetäfelten Gemach ein trauliches Licht, im Kamin knistern die Scheiter, ab und zu übertönt von einem Klingklang der weingefüllten Humpen; der jüngere führt den älteren Freund lehrend und leitend in die Welt der alles bewegenden, brennenden Zeitfragen ein, liest und erklärt ihm Luthers und seine eigenen Schriften. Und der ältere schämt sich des jüngeren Lehrers nicht, wie der ritterliche Lehrer sich auch neidlos und bewundernd dem größeren Meister, dem erst verkannten, jetzt geliebten Wittenberger Mönch unterordnet. Franz von Sickingen, geb. 2. März 1481 auf der Ebernburg, als Sohn des Ritters Schwicker von Sickingen, focht schon 1508 unter Kaiser Maximilian I. gegen die Veneter, führte darauf viele Fehden gegen Worms, Metz u. a. Städte und auch gegen den Herzog von Lothringen. Franz I. von Frankreich nahm den bereits berühmten Führer in seine Dienste und verlieh ihm den Feldherrnstab. Sickingen starb am 8. Mai 1523. Sein Grab befindet sich in der katholischen Kirche zu Landstuhl; Pfingsten 1889 wurde ihm und Hutten ein gemeinsames prächtiges Denkmal auf der Ebernburg errichtet. vgl. Ulmann, Franz von Sickingen (Leipzig 1872), und die »Flersheimer Chronik« (herausgeg. v. O. Waltz, Leipzig 1874). –
Hutten faßte den Kriegsmann bei seinem nationalen Empfinden, und das leicht erregbare Ehrgefühl des tapferen Recken ließ sich mühelos gewinnen. Auf seine alten Tage noch ergab er sich der neuen Lehre vom geeinigten Christentum, nahm das Abendmahl in beiderlei Gestalt und ließ die Verkünder der Lutherschen Sache auf seinem Gebiete ungestört lehren und Gottesdienst halten. In dieser Einsicht war nicht bloß die Ebernburg, sondern alles Land zwischen Rhein, Nahe und Neckar eine »Herberge der Gerechtigkeit«.
Hutten hatte Ende 1520 Deutsch zu schreiben begonnen, eine Arbeit, die ihm zuerst schwer von statten ging und die er sich dadurch versüßte, daß er gleichzeitig neue lateinische Dialoge ausarbeitete. So entstanden neben seiner ersten deutschen Schrift »Klag und vormanung gegen den übermässigen gewalt des Bapsts« die Dialogi Huttenici novi, perquam (Bulla, vel Bullicuda. Monitor primus. Monitor secundus. Praedones.) Die Klag und vormanung wird mit den Dialogi novi, wie schon bemerkt, in einem zweiten Bande Huttenscher Schriften in nächster Zeit erscheinen. In einer Vorrede, mit der er eine Sammlung von Sendschreiben aus dem Jahrhundert einleitete, hatte Hutten schon vorher die deutsche Nation vor den schriftstellernden Schmeichlern gewarnt und sie zum Streite für die Geistesfreiheit aufgemuntert ( De schismate extiunguendo etc. 1520).
Hatte Hutten die deutschen Dialoge seinem lieben Franz von Sickingen in einer wundervollen Widmung nur zugeeignet, so ließ er in den lateinischen Dialogen den biederen Recken selbst handelnd und redend auftreten. Aber Hutten griff wieder zur Muttersprache zurück, da er einsah, er müsse sich jetzt nicht nur an die gelehrten Köpfe wenden, sondern auf alle Schichten des deutschen Volkes wirken, um zu verhüten, daß der ungelehrte Ritter, Bürger und Bauer seine Schriften nur aus den entstellenden Berichten der Pfaffen kennen lerne.
»Latein ich vor geschrieben hab –
Das war eim jeden nit bekannt;
Jetzt schrei ich an das Vaterland,
Teutsch Nation in ihrer Sprach,
Zu bringen diesen Dingen Rach!«
Unterdessen kam der Wormser Reichstag heran, der am 28. Januar 1521 eröffnet wurde. Auf der nur sechs
O Carle. / Keyser lobesan /
greiff du die sach zum ersten an /
Gott würts mit dir on zweyfel han.
Meilen entfernten Ebernburg war man über die Vorgänge schnell und gut unterrichtet. Spalatin, der Hofprediger des Kurfürsten von Sachsen und Geheimschreiber, stand längst im brieflichen Verkehr mit Hutten, bei dem jetzt auf der Ebernburg noch der aus dem Orden getretene Dominikaner Martin Bucer gastete. Die Besorgnis für Luthers Leben und den Ausgang der gerechten Sache rief eine Flut von Schmähschriften gegen die Römlinge hervor, besonders gegen den Legaten Uleander. Hutten bevorwortete sie mit einem Sendschreiben an Kaiser Karl, in dem er – wiederum dreist und echt Huttensch! – den jungen Monarchen vor seinen ränkevollen geistlichen Ratgebern warnte. Karl aber nahm das Schreiben ungnädig auf und änderte seine Haltung gegen Luther auch dann nicht, als Hutten ihn in einem zweiten Sendbriefe versöhnlicher zu stimmen unternahm.
Luthers Verurteilung versetzte Hutten in die größte Entrüstung. Aber vergebens bemühte sich der tapfere Ulrich (in den oben erwähnten »Dialogi novi«), einen Bund der Städte und Ritter herbeizuführen. Nur Sickingen brachte 1522 einen Bund der rheinischen Ritterschaft zu stande. Der gemeinsame Haß gegen die Tyrannei der Fürsten und der Traum von der alten Freiheit schloß das Reichsrittertum eng aneinander. Während Franz von Sickingen mit dem Erzbischof von Trier Händel suchte, um diese Stadt wegzunehmen und dort die Partei der Reformation ans Ruder zu bringen, hatte sich Hutten von der Ebernburg geflüchtet und hielt sich, wahrscheinlich in Dürmstein bei Worms, verborgen.
Sickingens Belagerung von Trier mißlang aber, und Franz mußte sich auf seine Burg Landstuhl zurückziehen. Jedoch gleich die ersten Schüsse, die am 30. April fielen, zeigten, daß dies alte, morsche Gemäuer vor der neuen Kriegskunst nicht stand hielt! Der Pfalzgraf beim Rhein und Philipp von Hessen waren dem Erzbischof Richard Greiffenklau von Trier, mit dem allein Sickingen bald fertig geworden wäre, zu Hilfe gekommen, und Landstuhl fiel. Sickingen, vom Podagra gepeinigt, ließ sich vor eine Bresche tragen, um von hier aus, hinter einem Geschütz gedeckt, nach dein Stande der Belagerung auszuschauen. »Ach« – rief er wehklagend aus – »das unglückliche Schießen hat meine Burg zertrümmert!« Im selben Augenblick fiel durch die Schießscharte ein Schuß, der das Geschütz Franzen auf die Füße warf, so daß er mit dem Körper auf spitze Hölzer stürzte, die zum Verterrassen dalagen und ihn: in der linken Seite eine klaffende Wunde rissen.
Zum Tod verletzt befahl er mit Heldenfassung, einen Brief zu schreiben, den er noch eigenhändig unterzeichnete, um darin die Fürsten zu einer Unterredung zu ersuchen. Die Belagerer verlangten Sickingens Ergebung und Uebergabe von Landstuhl, was Sickingen mit den Worten bewilligte: »Ich werde ihr Gefangener nit lang sein.« Am 7. Mai rückten die Sieger in die Burg ein, wo sie ihn in einem dunkeln Kellergewölbe fanden. Vor dem Pfalzgrafen, seinen? ehemaligen Lehnsherrn, zog Franz sein rotes Barett ab und reichte ihm die Hand. Des Trierer Bischofs Vorhaltung, warum er ihn und sein Stift so schwer geschädigt habe, wies er mit einem männlichen: »Nichts ohn Ursach!« zurück – und »er habe jetzt mit einem größeren Herrn zu reden, denn mit ihm.« Vor Philipp von Hessen aber, der gleichfalls mit Vorwürfen kommen wollte, drehte sich Franz von Sickingen nach der Wand um, zeigte ihm den Rücken und verschied.
Auf Hutten machte die Nachricht vom Tode Sickingens einen niederschmetternden Eindruck; aber sein trotziger Mut war noch ungebeugt. Er verfaßte wider die gegen Sickingen verbündet gewesenen Fürsten eine Schrift unter dem Titel: »In tyrannos«, Bekannt auch als Motto vor der 1782er Ausgabe von Schillers »Räubern«. die leider verloren gegangen ist. Für Luther war Sickingens Ausgang ein Gottesurteil; seine Ueberzeugung war, daß Waffengewalt mit der Sache des Evangeliums nicht zu verquicken sei. An Spalatin schrieb er: »Gott ist ein gerechter Richter.« Die päpstliche Partei triumphierte: »Der Afterkaiser ist tot.« Und als Luther um dieselbe Zeit erkrankte, setzte man hinzu: »Der Afterpapst wird ihm bald nachfolgen!« In einem volkstümlichen deutschen Gespräch aber erschien der Ritter vor der Himmelspforte, die ihm Sankt Peter ohne Zaudern öffnete: weil er den Unterdrückten beigestanden und dem Evangelium freie Bahn gemacht habe! Dyalogus der Rede und gesprech / So Franciscus von Sickingen / vor des Himels pforten / mit sant Peter / und dem Ritter sant Jörgen gehalten. Zuvor und ehe dan er jnngelassen ist worden (o. O. u. J). vermutlich 1532 in der Gegend bei Mainz und Frankfurt entstanden; der Verfasser war weder ein Freund noch ein Gegner von Sickingen, stand aber wohl eher auf Sickingens Seite, nur mußte er seine Sympathien für den edeln Ritter aus Furcht vor der Macht der Sieger verbergen. Der hübsche Dialog ist abgedruckt in Schade: Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit, II. Band. Wie mutvoll und siegeszuversichtlich hatte der Steckelberger noch 1521 gesungen:
Ich habs gewagt mit Sinnen,
Und trag des noch kein Reu;
Mag ich nit dran gewinnen,
Noch muß man spüren Treu,
Darmit ich mein
Nit eim allein,
Wenn man es wollt erkennen;
Dem Land zu gut,
Wiewol man tut
Ein Pfaffenfeind mich nennen.
Jetzt konnte er, elegischer gestimmt, fortfahren:
Da lass ich jeden lügen
Und reden was er will:
Hätt Wahrheit ich verschwiegen,
Mir wären Gönner viel.
Nun hab ichs gsagt,
Bin drum verjagt,
Das klag ich allen Frummen;
Wiewohl noch ich
Nit weiter fliech,
Vielleicht werd wiederkummen.
Hutten sah bei dieser Wendung der Dinge ein, daß für ihn in Deutschland nichts mehr zu hoffen war. Zudem hatte er einen zu starken Anlauf genommen, sich mit seinen heftigen Schriften in jüngster Zeit zu weit vorgewagt. Sickingen, die feste Wand, an die er sich lehnen konnte, war gefallen, er selbst hatte unter einem neuen Ausbruch seines alten Leidens Unsägliches zu erdulden; mittellos, ohne Freund, von Spähern und Verfolgern umgeben, ratlos stand er da, vergebens nach einem Ausweg um sich blickend.
So reych es recht hyn wo Gott wöll/
die sach ich jm gänzlich heymstell/
Ich habs gewagt on alls vngföll.
Da bot ihm, wie sein Freund Otto von Brunfels berichtet, der König Franz von Frankreich ein Jahrgehalt von 400 Kronen an, wenn er als Gelehrter und Dichter an seinem Hofe leben wolle; aber Hutten, der deutsche Mann, wollte nicht nach welscher Pfeife tanzen und bedankte sich ergebenst. Wo Hutten sich in der nächsten Zeit aufhielt, nachdem er aus seinem Schlupfwinkel bei Worms verschwunden war, ob er mit oder ohne Begleitung ziellos umherwanderte, wissen wir nicht. Er taucht einmal in Schlettstatt auf, wo ihm Bekannte mit materieller Unterstützung aushelfen; Ende November war er mit Oekolampadius und dem gleichfalls vertriebenen Hartmuth von Cronberg in Basel, wo er in der »Blume« wohnte und bis zum Frühling zu bleiben gedachte, um hier die Sicherheit zu finden, die ihm Deutschland nicht gewähren konnte, und die Ruhe, deren er zu seiner Pflege so dringend bedurfte.
Die Stadt bot ihm ein Gastgeschenk, der Magistrat machte ihm Besuche, an Einladungen und Ehrenbezeugungen fehlte es nicht. Nur Erasmus Roterodamus lehnte es ab, Hutten zu besuchen oder ihn zu empfangen; und dieses laue Verhalten des bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit leitete den denkwürdigen Streit ein, der Huttens letzte Lebenstage verbitterte und der dem Erasmus von seinen und Huttens Freunden nie verziehen wurde.
Erasmus, Desiderius, genannt Roterodamus, berühmter Humanist des Jahrhunderts, geb. wahrscheinlich am 2S.Oktober 1467 zu Rotterdam aus einer unehelichen Verbindung seiner Mutter Margarethe, Tochter eines Arztes in Sevenbergen, mit einem dem Alosterzwang entflohenen jungen Mann, Gerhard de Praet aus Gouda in Holland, nach dem er den Namen Gerhard Gerhards (nämlich Sohn, holländisch: Geert Geerts) erhielt, den er nach damaliger Sitte in den lateinisch-griechischen Namen Desiderius (der Ersehnte, Vielgeliebte) umwandelte. Er war neben Reuchlin, dem »dreisprachigen Wunder«, das zweisprachige, da er nur Latein und Griechisch beherrschte, wenn auch in mustergültiger unübertroffener Meisterschaft, während Reuchlin (1455 in Pforzheim geboren) als der Erste des Hebräischen kundig war. Erasmus wurde gleich Mutianus Rufus von Alexander Hegius in Deventer unterrichtet, und als seine Eltern bald danach starben, übergaben ihn seine Vormünder dem Bruderhaus zu Herzogenbusch, wo er die drei freudlosesten Jahre seines Lebens verbrachte. Auch der Aufenthalt im Kloster zu Gouda behagte ihm nur insoweit, als er sich mit den alten Klassikern und den Schriften des nachher durch Hutten so bekannt gemachten Laurentius Valla beschäftigen konnte.
Gern ging er daher 1491 nach Cambrai, um den dortigen Bischof nach Rom zu begleiten; doch kam es nicht zu der Reise und er blieb in Cambrai, wo er 1492 zum Priester geweiht wurde; 1496 setzte er mit Beihilfe des Bischofs seine Studien in Paris fort; 1497 bis 1499 war er in England, wo er mit Thomas Morus, John Cole u. a. Freundschaft pflegte. Er reiste in Italien, wurde 1506 in Turin Doktor der Theologie, hielt sich in Venedig auf, wo der berühmte Aldus Manutius seine Adagia (1506) druckte, war in Padua, Siena und Rom, wo ihn der Papst seines Ordensgelöbnisses entband. Er eilte 1509 abermals nach England, wo ihm die Thronbesteigung Heinrichs VIII. glänzende Aussichten zu eröffnen schien, lebte dann als königlicher Rat in Diensten des späteren Kaisers Karl V. in Brüssel und dann in Löwen ohne öffentliches Amt, sich nur seinen Studien widmend. Seit 1521 wohnte er in Basel, wo seit 1516 fast seine sämtlichen Schriften von Froben gedruckt wurden, und wo er in der Nacht vom 11.zum 12. Juli starb und im Münster beigesetzt wurde. Er ruht jetzt unter einem ihm 1622 von seiner dankbaren Vaterstadt gestifteten ehernen Denkmal.
Vgl. von den zahlreichen Biographien Erhard, Stichart (Leipzig 1870), Durand de Laur und Feugère (Paris 1872 und 1874), Drummond und Pennington (London 1873 und 1874) u. a. m.
Was den Erasmus gegen Luther verstimmte, war die Beobachtung, daß er die humanistische Bildung leiden sah, insofern als die reformatorischen Bestrebungen das Interesse für die Studien abschwächten und verdrängten. Auch das Scharfe und Heftige in Luthers Wesen war dem feinen, bedächtigen Erasmus zuwider. Er ermahnte Luther, den er übrigens ebenso wenig persönlich kannte wie Hutten den Reformator, zur Mäßigung und Bescheidenheit. Aber je heftiger Luther wurde, desto mehr trat Erasmus von ihm zurück, dessen Idee es war, im Einverständnis mit Papst, Bischöfen und Fürsten die Kirche zu reformieren, ihnen die bittere Pille durch Nachgiebigkeit zu versüßen, und lieber von der Strenge der Forderungen etwas nachzulassen, als sie zu Gegnern der Reformen zu machen.
Erasmus, der übrigens mit Voltaire einige merkwürdige Berührungspunkte aufweist, wollte das Religionsgebäude ausbessern, Luther aber es niederreißen, weil er die Ueberzeugung hatte, daß Flickwerk und notdürftige Ueberkleisterung nur halbe Arbeit sein würde. Und nur bei solch einem radikalen Vorgehen konnten die wuchtigen Axthiebe gelingen, durch die der Reformator den Leib des scheußlichen Gewürmes voneinander trennte, das als hierarchische Riesenschlange die ganze Welt des Geistes und Glaubens erstickend umschnürt hielt. Allerdings sind die zuckenden, noch immer Leben verratenden Teilstücke, die in den protestantischen Ländern übrig blieben, in ihrem polypenartigen Reproduktionsvermögen noch gefährlich genug. Aber man wird dieser vom Hauptstamm losgelösten Einzelteilchen eher Herr, als des Ganzen, wenn man sie auch nicht eher unschädlich machen oder vernichten kann, als bis der in Rom sitzende Kopf dieses bandwurmartigen Ungeziefers zersplittert und zertreten sein wird.
Noch gab aber Hutten in seinem hitzigen Ueberzeugungseifer den Erasmus für die Sache der Reformation nicht verloren, und er beschloß, an ihn zu schreiben. Seit 1521 war Erasmus von Löwen nach Basel verzogen, um in der Frobenschen Offizin den Druck seiner Schriften zu überwachen, als Hutten erschien und die Abweisung des Erasmus erfahren mußte, weil dieser besorgte, er könne sich durch öffentlichen Verkehr mit dem fränkischen Flüchtling vor seinen hohen Gönnern bloßstellen.
Allerdings muß man diesem großen Gelehrten aus der richtigen Auffassung seines Charakters heraus gerecht werden. Schon lange vor Luther hatte Erasmus oft genug in zahlreichen Schriften, teils auf ernste und mahnende, teils auf mutwillige und spöttische Art, erkennen lassen, wie er über die Schäden in der bestehenden kirchlichen Verfassung dachte. Aber er war jetzt, als bedächtiger Fünfziger, nicht gesonnen, wie der junge Feuerkopf Hutten von Luthers Unternehmungen in überschwänglicher Weise zu urteilen. Auch war er zu politisch, um sich irgend einer Partei gänzlich zu ergeben, wenn er auch einen genügend scharfen Blick hatte, um zu sehen, wo Luther sich im Rechte befand. Aber der ganze Luther mit seiner Derbheit und Gewaltsamkeit war kein Mann nach dem Herzen des Erasmus, dessen Geist viel zu fein und zu zart organisiert war, um das Luthersche System völlig zu seinem eigenen machen zu können. Und in seinen bisherigen Lebensverhältnissen genoß Erasmus eine Unabhängigkeit und Freiheit, die er nur verlieren konnte, wenn er sich auf Luthers Seite stellte. Ja noch mehr, eine solche Parteinahme würde ihn, dem bisher alle Welt als dem erleuchtetsten Gelehrten seines Jahrhunderts gehuldigt hatte, in Gefahr gebracht haben, sich als einer der vielen Herolde des Lutherschen Ruhmes unter der Schar seiner Anhänger zu verlieren. Und einem sechzehn Jahre jüngeren, dem er an feiner humanistischer Bildung weit überlegen war, einfach nachzutreten oder sich ihm wider bessere Ueberzeugung gar unterzuordnen, das mußte dem Erasmus wider den Strich gehen. Dazu kam noch, daß der kränkliche Mann seine Tage in Ruhe und Frieden verleben, seine Pensionen, die er der Großmut verschiedener Fürsten verdankte, gemächlich verzehren wollte, um ungestört in Muße seinen Studien obliegen zu können. Sah er auch nicht hochmütig auf Luther hinab, so blickte er auch nicht anbetend zu ihm empor, sondern er beurteilte ihn eben, wie ein an Jahren reiferer Gelehrter von Weltruf einen jüngeren Kollegen betrachtet, der sich in der Oeffentlichkeit hervorzutun im Begriff ist. Er lobte und tadelte, was an Luther zu loben und zu tadeln war, und verlangte dafür nichts weiter, als daß man den Erasmus Erasmus sein ließe; verlangte, daß man ihm gestatte, mit der Lutherschen Tragödie (wie er diese Bewegung nannte) nichts zu tun haben zu wollen. Wie kam also Hutten dazu, ihm nicht zu erlauben, daß er neutral bliebe? Warum wollte er ihn in das Gezänk, in all diese Fehden mit hineinverstricken? ihn, den weltabgewandten Gelehrten, der doch schon lange vor dem jungen Hutten vieles erkannt und gegeißelt hatte, was in der kirchlichen Welt faul und besserungsbedürftig war?
Denkt man sich also in des Erasmus Lage vorurteilslos hinein, so kann man ihm nachfühlen, daß die Ankunft Huttens in Basel den Gelehrten gerade nicht angenehm berührte, um so mehr, wenn man erwägt, unter welchen Umständen der Ritter anlangte und welch ein Ruf seiner Ankunft vorausgeeilt war!
Hutten verließ Basel am 19. Januar und wandte sich nach Mülhausen. Inzwischen hatte Erasmus durch Heinrich von Eppendorf,
Die adlige Herkunft Eppendorfs ist zweifelhaft, wenigstens scheint Hutten es besser gewußt zu haben, und Erasmus spottete: daß die Voreltern eine Bierschenke gehabt hätten. Der Herzog Georg von Sachsen hatte ihn studieren lassen, und Ulrich Zasius, der berühmte Rechtsgelehrte zu Freiburg im Breisgau war sein Lehrer gewesen. Er war damals noch ein junger Mann, der sich, wie es scheint, mit Vorliebe an berühmte Leute heran machte, um ihnen unentbehrlich zu werden. Er scheint auch bei Hutten und Erasmus der Zwischenträger gewesen zu sein, der die Spannung zwischen den beiden Männern künstlich steigerte; womöglich auch, da er selbst verschuldet war, im Trüben zu fischen suchte. Als ihm Erasmus später einmal bei Herzog Georg ein schlechtes Zeugnis ausgestellt und auf seine Trägheit hingewiesen hatte, überfiel er den alten Gelehrten förmlich und wollte von ihm Geld und eine schriftliche Ehrenrettung erpressen. Auch bei dem Spongia-Streitfalle machte er dem Erasmus, allerdings vergeblich, den Vorschlag, ihm Geld einzuhändigen, um die Huttensche Handschrift der
Expostulatio noch vor der Drucklegung zurückkaufen zu können.
An Dreistigkeit und Redegewandtheit wird es ihm ebenso wenig wie an Kenntnissen gefehlt haben; besonders tat er sich später als Uebersetzer hervor. Es erschienen von ihm: »Kurtz weise vnd höffliche sprüch« des Plutarch (Straßb. Hans Schott 1534. Fol. o. O. 1551) nach der Auswahl des Erasmus; der Florus und auszugsweise der Eutrop (Straßb. Schott 1536) und Buch 7-11 der »natürlichen Historien« des Plinius (ebenda 1543). einen fahrenden, verschuldeten Literaten, der zwischen Basel und Mülhausen hin und her
reiste, erfahren, daß sich Huttens üble Stimmung wider ihn in einer
Expostulatio Luft machen würde. Vielleicht dem noch vorzubeugen, schrieb Erasmus unterm 25. März 1523 an Hutten u.a. »er müsse sich wundern, daß Hutten Unwillen wider ihn empfinde, da er in seiner Freundschaft zu ihm unverändert geblieben sei, wenn ihm auch für den Augenblick Zeit und Umstände den früheren vertrauten Verkehr unmöglich machten. Was neulich bei Huttens Anwesenheit in Basel zwischen ihnen vorgefallen wäre, sei keine Zurückweisung gewesen. Er habe nur gebeten: ihm, ohne Nutzen für sich selbst, durch einen Besuch keinen Verdruß zu bereiten. Auch habe er ihm durch Eppendorf sagen lassen, wenn Hutten die Ofenwärme missen könne, die ihm unerträglich sei, so solle ihm sein Besuch nicht unlieb sein usw. (
si posses abesse ab hypocaustis). Sie möchten also Freunde bleiben, eingedenk des früheren Verkehrs, und Hutten solle sich nicht von Leuten aufhetzen lassen, die sich seiner Feder nur zur Sättigung ihres Hasses gegen Erasmus mißbräuchlich bedienen wollten.«
Hier aber nahm das bisher ruhig gehaltene Schreiben eine Wendung, die dem leicht aufbrausenden Hutten die Feder in die Hand drücken mußte, wenn er sie nicht schon ergriffen gehabt hätte. Erasmus fährt nämlich fort: »auch an solchen wird es nicht fehlen, die in Erwägung, wie jetzt deine Angelegenheiten stehen, argwöhnen möchten, es sei bei dir nur auf Verdienst (praedam = Beute!) abgesehen. Und kein Wunder wäre es, wenn dieser Verdacht bei vielen entstünde, als gegen einen Landflüchtigen, Verschuldeten und zum äußersten Mangel Heruntergekommenen ( ad extremam rerum inopiam redactum). Du magst also so gehässig schreiben, wie du willst, du wirst fürs erste deinem Rufe mehr schaden, als dem meinen! Darum sieh wohl zu, mein Hutten, daß du mehr deiner Klugheit, als den Lockungen übelgesinnter Menschen folgest. Lebewohl! Ich erwarte deine Ausforderung! ( Bene vale. Expecto tuam expostulationem.)
Hutten, erbittert über den Abfall seines ehemaligen, aber für die harte Zeit allzu weichmütigen Mitstreiters, ließ nun seine Expostulatio (Ulrichi ab Hutten cum Erasmo Roterodamo presbytero theologo Expostulatio 1523) in die Welt gehen, auf die Erasmus mit seinem »Schwamm« antwortete, mit dem er sich von den Huttenschen Anspritzungen reinigen wollte.( Spongia Erasmi adversus aspergines Hutteni 1523.) Nur kurz und überlegen wollte er Huttens Angriff abwehren, von dem er sagte, daß er so viel an Inhumanität, Unverschämtheit, Eitelkeit und Gehässigkeit in ganz Deutschland nicht vermutet hätte. Aber statt seiner Absicht nach mit lakonischer Kürze den Gegner abzufertigen, wurde die Spongia (Schwamm drüber!) beinahe doppelt so umfangreich, als Huttens Schrift. Auch maßvoll und nur abwehrend wollte Erasmus sich verhalten, aber er ließ sich zu Ausfällen fortreißen, die um so kränkender waren, als sie sich gegen den Charakter und sittlichen Wandel des Gegners richteten, und um so grausamer, als sie sich hinter boshaften Anspielungen versteckten.
Luther selbst schrieb über diese außerordentlich heftige Schrift: »Ich wollte, daß Hutten keine Beschwerde geführt, noch viel weniger aber, daß Erasmus sie abgewischt hätte; wenn das mit dem Schwamm abwischen heißt, was ist dann Schmähen und Lästern?« Damit hatte Luther den Einsichtigen aus der Seele gesprochen und zur Verteidigung Huttens setzten sich alsbald viele Federn in Bewegung, auch Otto von Brunfels mit seiner (an die Expostulatio angehängten) Responsio, die zwar in keinem sehr eleganten Latein abgefaßt, aber von einem warmen Freundesherzen diktiert war. Otto Brunfels, Theolog und Botaniker (nach Linnés Ausspruch »der Vater der Botanik«), geb. 1481 zu Mainz, studierte Theologie und Philosophie und trat in ein Kartäuserkloster bei Mainz. Später ging er nach Straßburg und wurde eifriger Lutheraner; das von der Universität Löwen 1550 auf Befehl des Kaisers aufgestellte Verzeichnis der Hauptketzer enthält seinen Namen an erster Stelle. Nach seines innig geliebten Freundes Hutten Tode neigte er mehr der altevangelischen Brüdergemeinde zu und geriet dadurch in Konflikte mit Luther und Zwingli. Er wandte sich daher ganz der Medizin zu und ging als Arzt nach Bern, wo er am 23. Nov. 1534 starb. Sein Hauptwerk » Herbarum vivae icones« (Straßburg 1530 und 1536 in drei Teilen, zu deutsch: »Contrafayt Kreuterbuch« 1532 bis 1537 zwei Teile; Frankfurt a. M.1546) brach insofern ganz neue Bahn, als er die von ihm gefundenen Pflanzen in Holz schneiden ließ und darunter die deutschen Namen setzte. ( Othonis Brunfelsii pro Ulricho Hutteno defuncto ad Erasmi Roter. Spongiam Responsio, 1523.) Erasmus dagegen rühmte sich später nach Huttens Tode in einem Vorworte zu einer neuen Ausgabe der Spongia dem Leser gegenüber, daß er noch sehr säuberlich mit Hutten verfahren sei. Den der ersten Ausgabe als Einleitung beigefügten Brief an Zwingli ließ er aber diesmal nicht abdrucken, da er wohl wußte, wie wenig Zwingli mit dem Schwamm, den man eher Reibeisen nennen durfte, zufrieden war. Ein Trost ist es für uns, zu wissen oder doch mit Sicherheit anzunehmen, daß dem sterbenden Hutten des Erasmus bittere Gegenschrift nicht mehr zu Gesicht gekommen ist, während bei den Zeitgenossen teilweise die Ansicht vorherrschte, Erasmus habe sie gegen einen Toten geschrieben.
Hutten fand sich in Mülhausen nicht lange mehr sicher; ein von den Anhängern des alten Kirchenglaubens aufgestachelter Volkshaufe drohte das Augustinerkloster zu stürmen, wo Hutten ein Obdach gefunden hatte. Mitten in einer Juninacht des Jahres 1523 entfloh er nach Zürich, wo er bei dem edeln Zwingli Aufnahme fand, wiederum totkrank, abgerissen und von dem Nötigsten entblößt. Von keiner Seite konnte er Hilfe erwarten, seine Mutter war inzwischen dem Vater im Tode nachgegangen, und seine Brüder scheuten sich, dem Geächteten offenen Schutz angedeihen zu lassen. Zwingli sorgte nach Kräften für den edeln Ritter; er sandte ihn nach Pfäfers, wo ihn der Abt auf Zwinglis Empfehlung bereitwilligst aufnahm, damit der Kranke in den heißen Quellen Heilung suche – aber vergeblich. Kränker als zuvor kehrte er nach Zürich zurück, bis ihn Zwingli nach Ufnau, einer Insel im Zürcher See, schickte, wo sich der heilkundige Conventual des Schwyzerischen Klosters Einsiedeln, der Pfarrer Hans Schnegg, aufs wärmste des armen siechen Flüchtlings annahm.
Schmerzlich wurde er hier in seiner Einsamkeit und Ruhe noch einmal gestört. Aus Basel kam ihm durch Freundeshand die Warnung zu, daß Erasmus ein Schreiben an den Zürcher Rat gerichtet habe, in dem er die Besorgnis ausspreche, daß der Schweiz leicht Ungelegenheiten daraus erwachsen könnten, wenn der zu weit gehende Edelmut der Schweizer dem verfemten und geächteten Pamphletisten so uneigennützig längeren Schutz gewähre. Der Angegriffene bedurfte aber bald keines Schutzes mehr: ein heftiger Krankheitsanfall entnahm ihn, vier Monat über 35 Jahre alt, in den letzten Tagen des August oder am 1. September aller Erdennot. Der Ruhelose hatte Ruhe gefunden. Die gewaltige Idee, die ihn entzündet, die ihm in Zeiten tödlicher Schwachheit, elendester Entbehrung und härtester Verfolgung den ungebrochenen Lebensmut erhalten hatte – die Idee: Deutschland kirchlich und politisch neu zu gestalten, sank mit ihm ins Grab.
Die Nachricht von Huttens Tode erregte das wehmütigste Mitgefühl bei allen, die dem stolzen, allzu früh sein Ziel findenden Fluge seines Genius staunenden Blickes gefolgt waren und auch seine vortrefflichen Charakter- und Gemütseigenschaften aus vertrauterem Umgange kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hatten. Sonderbar berührt es da, wenn man hört, daß Erasmus kein Wörtchen des Bedauerns über den so früh und unter so beklagenswerten Umständen hingegangenen Jüngling gehabt hat. Im Gegenteil, Huttens tragischer Tod hat ihn nicht einmal die Mißhelligkeiten vergessen lassen, in die beide Männer durch ihre Streitschriften geraten waren. Dem Goclenius zeigte Erasmus am 25. September 1523 Huttens Tod mit den lakonischen Worten an: »Hutten hat am 29. August das Zeitliche verlassen; durch seinen Tod hat mein Schwamm einen großen Teil von seiner Anziehungskraft verloren.«
Hutten starb, was nicht weiter zu verwundern ist, in der äußersten Dürftigkeit. Zwingli schrieb am 11. Oktober 1523 an Bonifaz Wolfhart, den Pfarrer zu St. Martin in Basel (der übrigens ebenso wie Zwingli noch Forderungen an Hutten hatte), daß Hutten nichts an Wert hinterlassen habe, weder Bücher noch Hausrat – nur eine Feder hätte sich vorgefunden: das war das ganze Inventar. Aber Schulden hinterließ er; zwanzig Gulden hatte ihm der Commendator Kunhard Schmid zu Küßnacht für eine Badereise nach Pfäfers vorgestreckt, Zwingli hatte mit drei Gulden ausgeholfen, aber er sagte: »nach meinem Guthaben frag ich weiter nichts; wird es bezahlt, so nehme ichs, wenn nicht, so schenke ichs.« Im ganzen beliefen sich seine Schulden auf hundertfünfzig Gulden. Es verlautete auch, daß von seinem Erbanteil aus Deutschland her noch zweihundert Gulden auf ihn entfallen würden, die dem Heinrich Eppendorf zugestellt werden sollten. Aber ob Eppendorf diesen Betrag, der aus dem Schiffbruch noch übrig geblieben sein soll, wirklich erhoben und damit des verstorbenen Freundes Schulden getilgt habe, ist nirgend klar zu ersehen.
Die ziemlich umfangreiche Schriften- und Büchersammlung, die Hutten vordem in Deutschland besessen und durch Kauf und Tausch immer zu vermehren und zu ergänzen gesucht hatte, war vermutlich von ihm selbst auf der Ebernburg untergebracht worden. Denn Joachim Camerarius erwähnt später, daß ein Arzt, Namens Locher, Huttens Bücherschätze »aus der Beute« erkauft habe; und damit ist jedenfalls gemeint, daß alles, was nach Sickingens Tode den Fürsten in die Hände gefallen war, also auch Huttens Bibliothek, als Kriegsbeute unter den Hammer kam. Ein jüngerer Vetter des Verstorbenen, Moritz von Hutten, kaufte etwa um 1529 wohl den größten Teil dieser Büchersammlung von Locher zurück; in der bischöflichen Bibliothek zu Eichstätt, wo Moritz um 1552 als Bischof starb, befand sich nämlich noch im Anfang des 18. Jahrhunderts eine Reihe von Büchern mit Ulrich von Huttens Handzeichen. –
Aus der Reihe der Huttenschen Schriften tritt das Gesprächbüchlein durch Mannigfaltigkeit des Inhalts und Formvollendung am bedeutendsten hervor. Ganz ohne Veränderung sind die Gespräche bei der Uebersetzung ins Deutsche nicht geblieben, am wichtigsten sind die gereimten Zusätze, die Hutten in Form von Vor- und Nachworten seinen Dialogen hinzufügte. Gleich das erste gehört zum herrlichsten und kräftigsten, was Ulrich von Hutten je geschrieben:
Die Wahrheit ist aufs neu geboren,
Betrug hat seinen Schein verloren;
Des sag Gott Jeder Lob und Ehr
Und acht nit fürder Lügen mehr. –
Es befindet sich hinter der Zueignung an Franz von Sickingen, die während der schönen, auf der Ebernburg verlebten Winterszeit verfaßt wurde und der Blütezeit ihrer Freundschaft ein für beide Männer ehrendes und unsterbliches Denkmal errichtete.
Im Februar 1519 erschien das Gespräch: »Das erste Fieber« ( Febris, Dialogus Huttenicus ... Mense Febr. an. 1519 Mogunt); es bildet eine beißende Satire auf das üppige, lästerliche Leben der Reichen im allgemeinen und der Geistlichkeit im besonderen, mit einer boshaften Spitze gegen Cajetan ( S. Sixti). Die Einleitung zum zweiten Fieber ( Febris secunda.) ist ein Meisterstückchen dramatischer Exposition; im Verlaufe zeigt es in der ausführlichen Schilderung des Lebens der konkubinarischen Priester die scharfe Beobachtungsgabe Huttens.
Der »Vadiscus (unter dem Böcking mit vieler Wahrscheinlichkeit den Crotus Rubianus vermutet) oder die römische Dreifaltigkeit« nimmt unter den Gesprächen die umfangreichste, der Wichtigkeit des Inhalts nach die allererste Stelle ein. Man kann es mit Recht das heftigste nennen, was jemals gegen Rom und den Papst geschrieben wurde! Einen Vergleich damit hält höchstens Luthers Schrift vom Jahre 1545 aus: Wider das Bapstum zu | Rom vom Teuffel gestifft | und seine Vorrede zu dem im selben Jahre von einem unbekannten Verfasser geschriebenen Pamphlet: Bapsttrew Hadriani iiij. | vnd Alexanders III. gegen Keyser | Friderichen Barbarossa geübt. Aus der Hist | oria zusammengezogen nützlich | zu lesen. Es ist das berühmte Manifest (vom April 1520) gegen Rom, der Fehdehandschuh, den er der Hierarchie ins Gesicht schleuderte, das Vorbild zu den beiden Lutherschen Schriften »von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche«, die im Oktober, und »an den christlichen Adel deutscher Nation«, die im Juni 1520 erschienen. Namentlich muß Luthern das Thema im »Dreiklang« gefallen haben, auf das Hutten mit immer neuen Veränderungen, wie der Musiker im Rondo, beständig zurückkommt, denn Luther benutzte diesen Einfall sogleich in der zuletzt angeführten Schrift.
Wenn dies Gespräch bei aller Wucht und Größe des reformatorischen Inhalts doch in der künstlerischen Form nicht ganz einwandfrei ist, so zeigt sich das nächste ( Inspicientes) in schönster Harmonie beider Seiten: es atmet lucianischen Geist und erhebt sich am Schlüsse zu aristophanischer Größe. Es ist das kleinste in der Sammlung, aber das beredteste Zeugnis für Huttens Dichtergröße.
Die »Anschauenden« sind Sol, der Sonnengott, und dessen Sohn Phaëton, der Wagenlenker, die aus der himmlischen Höhe das Leben und Treiben in Deutschland betrachten. Ein interessantes Panorama von Sitten und Gebräuchen, von der Staatsverfassung der Deutschen und der Sittenverderbnis der kirchlichen Kreise tut sich vor uns auf.
So zeigt uns das Gesprächlein mit seinen vier Dialogen den humanistischen Ritter von allen Seiten seines reichen Wesens: als Satiriker, als schwungvollen Dichter, als erbitterten Gegner der alten Kirche, als überzeugten Anhänger der neuen Lehre, als unerschrockenen Vorkämpfer für Geistesfreiheit, als warmen Vaterlandsfreund, als klassisch gebildeten Gelehrten und als getreuen Freund Franzens von Sickingen. Es zeigt uns, »daß unter den ersten Stürmen der Reformation die große Scheidewand zwischen der gelehrten lateinischen Poesie der Humanisten und der deutschen Volksdichtung durchbrochen ward, und daß Hutten, das glänzendste Talent unter diesen, seine kaiserliche Lorbeerkrone hingab für die Weihe unter den Volksdichtern, daß er seinen Poetennamen, der ihn seiner damaligen Bedeutung nach neben Virgil und Cicero stellte, durch den Gebrauch der deutschen Volkssprache nicht zu entwürdigen meinte, daß er die Volksdichtung pflegte und ihr für ein halbes Jahrhundert eine ganz eigene scharfe politische Richtung gab. Wurden Reuchlin und Erasmus die beiden Augen der Nation unter dem vorigen Geschlechte genannt, so machten Hutten mit Luther die beiden Lichter der folgenden Generation aus; Hutten zeigte typisch den Charakter der edeln deutschen Jugend, wie Luther den der kräftigen deutschen Mannheit bildet. Beide, mit den größten Geistern der damaligen Zeit in den andern Völkern zusammengestellt, bieten ein herrliches Zeugnis für die natürliche Ueberlegenheit deutscher Anlage« (nach Gervinus). So möge denn dies Werkchen des herrlichen Hutten, des deutschesten Mannes seiner Zeit, hinausgehen; in der Sprache, bei möglichster Wahrung ihrer ursprünglichen Frische und Eigenart, zeitentsprechend und der heutigen Schreibweise gemäß umgeformt. Möge es sich im deutschen Volke, an das es vornehmlich und besonders in diesen Tagen gerichtet erscheint, als warnende Stimme von neuem einmal wieder Gehör verschaffen. –
Das Gesprächbüchlein erscheint hier zum erstenmal in seiner vollständigsten Gestalt, mit den von Hutten herrührenden Vorworten, Widmungen und den, jedes Gespräch einrahmenden, gereimten Einleitungen und Abschlüssen. Es bringt auch die Einschaltungen oder Auslassungen, die die lateinische erste Ausgabe von der späteren, durch Hutten selbst auf der Ebernburg vorgenommenen Verdeutschung unterscheiden. Anmerkungen biographischer, geschichtlicher oder anderer Art, sowie orientierende Hinweise auf verschiedene, in den einzelnen Gesprächen enthaltene Stellen, werden das Verständnis erleichtern. Neben der lateinischen Böckingschen und den lateinischen und deutschen Originalausgaben, die ich in erster Reihe zu Rate zog, verdanke ich der Straußischen klassischen Übersetzung und Biographie schätzenswerte Anhaltspunkte, obwohl ich diesem großen Schriftsteller und Huttenkenner nicht beipflichten kann in seiner Ansicht, daß Huttens deutsche Schriften neusprachig nicht umzuformen seien, ohne daß solche Modernisierung in unsägliche Affektiertheit ausarte, und daß man den humanistischen Autor nur durch die Uebersetzung seiner in meisterhaftem eleganten Latein verfaßten Bücher anziehend machen könne. Richtig ist, daß Huttens Deutsch, an seinem Latein gemessen, keinen Vergleich aushalten kann mit dem in Bezug auf die deutsche Sprache bahnbrechenden und schöpferisch wirkenden Luther, der wieder ein viel schlechteres Latein schrieb, als Hutten. Es entscheide daher der Leser, ob nicht dennoch mein Versuch gelungen ist, einen Deutschen nach fast vierhundert Jahren wieder deutsch reden zu lassen und Huttens Gesprächbüchlein an der Hand seiner eigenen, teils knorrigen, teils ungelenken, aber immer kräftig und volkstümlich anmutenden Verdeutschung in der Sprache zu erneuern und der Gegenwart verständlich wiederzugeben.
Zur Abfassung der vorstehenden Einführung in das Leben und das Wesen Ulrichs von Hutten dienten mir folgende, meist meiner eigenen Büchersammlung entstammenden Werke und Autotypen, die gleichzeitig eine gedrängte Uebersicht über die hauptsächlichen Schriften des Ritters geben sollen.
Ulrich von Hutten, von David Friedrich Strauß, Bonn (Emil Strauß) 1895, die beste, bisher noch nicht überholte Biographie Huttens, der ich in meiner Einleitung verschiedene Male folgte.
Gespräche von Ulrich von Hutten, übersetzt und erläutert von David Friedrich Strauß (Leipzig) 1860.
Ulrichs von Hutten auserlesene Werke, von Ernst Münch, 3 Bde. (Berlin 1822-23).
Gedichte von Ulrich von Hutten und einigen seiner Zeitgenossen, von Aloys Schreiber (Heidelberg 1810).
Ulrich von Hutten gegen Desiderius Erasmus, und Desiderius Erasmus gegen Ulrich von Hutten. Zwey Streitschriften a. d. Latein. übersetzt etc von Dr. Joh. Jak. Stolz, Aarau 1813.
Crotus Rubianus: Oratio Constantii Eubuli Moventini, de virtute Clavium & Bulla condemnationis Leonis Decimi, contra Martinum Lutherum etc. (1520).
Epistolae obscurorum virorum ad venerabilem virum Magistrum Ortuinum Gratium etc. etc. 2 voll. (1519 und 1570).
Ludwig Häussers Geschichte des Zeitalters der Reformation 1517–1648, herausgegeben von Wilh. Oncken. Berlin (Weidmann) 1868.
Karl Goedekes Grundriß der Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen, Dresden (Ls. Ehlermann) 1886, II. Band.
G.G. Gervinus, Geschichte der deutschen Dichtung, IV. Auflage, Leipzig (Wilh. Engelmann) 1853, II. Band.
Wilhelm Scherer, Geschichte der deutschen Literatur, V. Auflage, Berlin (Weidmann) 1889.
Ulrici Hutteni. In Wedegum Loetz et filium eius Henningum Querelarum Libri duo (1510) (herausgegeben von G.Chr.F. Mohnike, Greifswald 1816).
– De donatione Constantini, quid veri habeat etc.
– Aula Dialogus ... in officina excursoria S. Grimm Madici et Marci Vuyrsung 1518
– Ad principex Germaniae, ut bellum Turcis inferat exhortatoria. Apud auream Moguntiam (1518)
– Febris. Dialogus Huttenieus. (Mogunt. Schöffer) mense Febr. 1549.
– De guaiaci medicina er morbo gallico liber unus. Bonon. H. de Benedictus 1521.
– De unitate ecclesiae conservanda et schismate etc. etc. in vetust. Fuldensi bibliotheca inventus nuper etc. etc. Mogunt. 1520.
– Dialogi. Fortuna. Febris prima. Febris secunda. Trias Romana. Inspicientes. Moguntiae 1520 ( Schöffer).
– Hoc in libello haec continentur etc. etc. ad Carolum imperatorem. (Mogunt.) 1520.
– Exclamatio in incendium Lutheranum etc. etc. (1520).
– Ein Klag über den Luterischen Brandt zu Mentz (1520).
– Klag und vormanung gegen dem übermäßigen unchristlichen Gewalt des Bapsts zu Rom etc. Jacta est alea etc. (1520).
– Ain Anzaygung, wie allwegen sich die Römischen Bischoff oder Bäpst gegen die Teutschen kaysern gehalten (l520).
– Kurtzer auszug, wie böslich die Bepste gegen die deutschen Keysern jemals gehandelt (1520).
– Ein trewe Warnung, wie die bäpst wider die teutschen Kayser gewesst. Item, das die Kaiser allwegen gewalt, die Bäpst auff vnnd abzusetzen, gehabt, und wie solchs durch betrug Bonifacii III. auff die Bäpst kummen biß auf Joannem (etc. etc. (1520)).
– Ein Clagschrift des Hochberumten und Eernuesten Herrn Ulrichs von Hutten ... an alle stend Deütscher Nation (1520).
– Die verteütscht clag ... an Hertzog Fridrichen zu Sachsen etc. (1520).
– Pascuillus: ain warhafftiges buchiln Erklerend, was list die Römer brauchen mit Creiren viler Cardinäl, auff das sy alle Bistumb Deutscher land vnder sich bringen (1520) Nürnberg.
– Contenta: Ulrichi ab Hutten , Equitis Germ. Ecxclamatio, in incendium Lutheranum (1520).
– Concilia, wie man die halten sol. Vnd von verleyhung geystl. lehenpfrunden etc. etc. Ermanung, das ein yeder bey dem rechten alten Christl. glauben bleiben soll (1521).
– Gesprechbiechlin neüw Karsthans (Basel 1521).
– Gesprächbüchlein Herr Ulrichs von Hutten. Ueber das Erstt. Feber das Ander. Vadiscus oder die Römische Dreifaltigkeit. Die Anschawenden. Geben zu Ebernburgk vff des heyl. newen iars Abent im iar MCCCCC vnd im einvnndzweintzigsten. (Straßburg, Hans Schott 1521).
– Dialogi Huttenici novi, perquam festivi. Bulla vel Bullicida. Monitor primus. Monitor secundus. Praedones etc. Jacta est alea. (Mogunt. 1521). Ex Ebernburgo Jdib. Januarij 1521.
– Ulrichi ab Hutten Cum Erasmo Roterodamo. presbytero. theologo. Expostulatio a priore deprautione uindicata iam. Othonis Brvnfelsii pro Vlricho Hutteno defuncto, ad Erasmi Roter. Spongiam Responsio. (1525).
Canonoci Indocti Lvtherani Argvmentvm Episolae Eccio, quod in epistola ad Reverendum Misneusis Ecclesie Antistitem Canonicos indoctos Lutheranos etc. etc. (1523)
Spongia Erasmiadversus aspergines Hutteni. Basileae per Jo. Frobenvm An. MDXXIII. Mense Septembri (1525).
Epistolarum Floridarum liber unus, Antverpiae 1540 (von Erasmus Roterodamus).
Erasmus von Rotterdam: Vrsach, warumb Erasmus von Roterodam, in einer schrifft an den Bepstlichen Legaten vnd Cardinal Compeium, bedenckt, Das es nich gut sein sol, das Rö. Key. Maiestat die Lutherische vnd andere lere mit dem schwerdt dempffe etc. Sibenzehen Artickel gestellet. O.O. u. J. (1525).
Luther: Das Teutsch Requiem der verbranten Bullen vnd Bäpstlichen Rechten ((520).
– An den Christlichen Adel deutscher Nation: von des Christlichen Standes Besserung (1520).
– Von der Babylonischen Gefengknuß der Kirchen (1520).
– Von der freyhait evnis Christen menschen etc. Duittenbergae M. D. Xxi (1521).
– On Aplas von Rom kan man wol selig werden etc (1518).
Melanchthon: Didymi Faventini adversus Thomam centinum etc, (Wittemberge) 1521
– Die haubt artickel vnd furnemesten punct der gantzen havl. schrift etc. ayn wunder guts biechlein etc. (Augsburg) 1522.
Eberlin von Günzburg: Die fünfzehn Bundsgenossen. Ein klägliche klag an den etc. keyser Carolum von wegen Doctor Luthers vnd Vlrich von Hutten etc. (Basel, Gengenbach) 1521.
Bruder Heinrich von Kettenbach: Ain vermanung Juncker Frantzen von Sickingen zu seynem hör als er wolt ziehen wider den bischoff vonn Tryer auß billicher sach vnnd raitzung. Welch vermanung inn der hailgen schrift gegründet ist, ist etwaz änderst gehandelt vnd boßhaitt volbracht in dem kryeg, Da ist Juncker Frantz vnschuldig an. o. G. (523.
– Ein practica auß der Heyligen Bibel auff vil zukünfftig jar etc. etc. Ir reichstett merckt mich eben / Guten radt will ich euch geben / Legt euch nit zwischen fürsten vnd adel / Sunst wert ir euch machen ein dadel. / Dadurch ir werden kommen in leyden / Fürsten vnd adell nit lang vneins bleiben / Bald wider überein kommen / Vnd alle wider euch brommen. / o. O. (Straßburg, J. Prüß) 1523.
Ulrichi Hutteni equitis Germani Opera quae reperiri potuerunt omnia. Edidit Eduardus Böcking. Lipsiae in aedibus Teubnerianis.
Ulrichs von Hutten Schriften, herausgegeben von Eduard Böcking. 4 Bände. (1859–62). Supplementum. 3 Bände. Index bibliographicus Huttenianus. (Leipzig 1858.)
Zur Erklärung des Titelbildes [im folgenden Kapitel. Re.] diene folgende kurze Bemerkung:
Der oberste der vier Holzschnitte zeigt den bärtigen Gottvater mit dem Blitze, davor David mit der Harfe, eine Tafel hochhaltend mit der Aufschrift: Exaltare qui iudicas terrram, redde retribut. superbis (Psalm 94 Vers 2: Erhebe dich, der du richtest den Erdkreis, zahle Vergeltung den Stolzen!)
Links steht Martinus Lutherus, rechts Vlrichus ab Hutten in kleineren Holzschnitten.
Unten flüchtet der Papst mit den Kardinälen vor den Lanzen der ansprengenden Landsknechte unter Führung eines Ritters zu Pferde (Franz von Sickingen?).
Unter Luthers Bildnis steht: Veritatem meditabitur guttur meum. Unter Huttens: Perrumpendum est tandem, perrumpendum est. Dazwischen in größerem Druck über dem unteren Bild: Odiui Ecclesiam malignantium (Psalm 26 Vers 5.)
Das Büchlein selbst umfaßt 22 ½, Bogen in 4° und ist bei Johannes Schott in Straßburg 1521 gedruckt. Die beiden kleinen Porträts von Luther und Hutten wiederholen sich am Schluß, mit der Unterschrift:
Warheit die red ich /
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Vmb Warheit ich ficht /
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Laeta Libertas. |
Berlin, im April 1904
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