Autorenseite

   weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Für den gewissenhaften Chronisten ist es nicht leicht, nach weltbewegenden Ereignissen wieder zu dem fast nüchternen Anfang zurückzukehren.

Es begann damit, daß die Ordonnanz die Hacken zusammenklappte und dem Oberst v. Hefften einen Anmeldezettel übergab. Der Oberst sah nach der Uhr: kurz vor eins. Im Ingenieuramt des Heeresministeriums machte man von ein bis drei Uhr Mittagpause. – Ärgerlich!

»Dr. Heino Harsen« stand auf dem Zettel, darunter als Zweck des Besuches nur das eine Wort »Erfindung«.

Also schon wieder ein Erfinder! – Die Leute wird man am wenigsten los! – Erst tun sie eine halbe Stunde geheimnisvoll und wichtig und schließlich ist doch nichts dahinter! Irgendeine unausgegorene Idee! Dann wollen sie Geld haben und unsereiner soll den Blödsinn erst zu Ende erfinden! – Womöglich wieder einer mit »Todesstrahlen«, der sechsundzwanzigste! – – Hol der Teufel die Phantasten!

Aber es hilft ja nichts!

»Ist Herr Oberleutnant da?«

»Herr Oberleutnant kommt gerade, Herr Oberst!«

Man hörte die Schritte des Adjutanten auf dem Flur. Der Oberst hielt darauf, bei Unterredungen mit solchen Leuten einen Zeugen bei sich zu haben. Oberleutnant v. Kessel trat ein.

»Schon wieder ein ›Erfinder‹!« sagte sein Chef und deutete auf den Zettel, dann zur Ordonnanz:

»Ich lasse bitten!«

Der Mann, der da hereintrat, sah nun allerdings keineswegs wie ein Phantast aus. Als er dem Obersten die Hand reichte, sahen sich beide prüfend in die Augen. Jeder versuchte zu lesen, wes Geistes Kind der andere sei. Beide trugen den harten kantigen Kopf, der den Willensmenschen zeigt. Nur daß der Besucher fast noch eine Handbreite größer war als selbst der stattliche Oberst. Seine Schultern waren breit, sein Gang fest und sicher. Man konnte ihn danach älter schätzen, als er wirklich war.

Der Oberst bat Platz zu nehmen.

»Herr Oberst – – es tut mir leid, daß ich Sie so kurz vor ein Uhr noch stören muß. Mein Zug ist gerade erst eingelaufen. Ich bin nämlich Privatdozent an der Universität Breslau – Chemie und Metallurgie –. Aber ich will Sie auch nicht aufhalten.«

»Aber bitte sehr, Herr Doktor!«

»Herr Oberst, ich in Ihrer Lage würde schimpfen, ehrlich gesagt! Sehen Sie, Herr Oberleutnant v. Kessel ist ganz meiner Meinung!«

Über das Gesicht des Adjutanten war ein Lächeln gehuscht.

»Aber das eine hilft Ihnen nichts, Herr Oberst, wir werden wohl ein zweites Mal eingehender sprechen müssen. Was ich Ihnen hier zeige, werden Sie ja erst prüfen wollen.« Damit legte er ein linealähnliches Etwas und ein drahtdünnes Stäbchen auf den Tisch. Beides sah genau aus wie Glas. Der Oberleutnant hätte beinahe gesagt, daß er genug Lineale hätte, aus Holz wie aus Stahl. Nun noch eines aus Glas, das wäre zu viel des Guten. Aber er verschluckte es gottlob. Einmal fiel ihm noch rechtzeitig seine junge Frau ein. Wenn die einmal ihren Schmolltag hatte, behauptete sie immer, er wäre so vorlaut. Dann aber hatte er ganz instinktiv empfunden, daß mindestens das dünne Stäbchen kein Glas sein könne. Der andere hatte es ja gebogen. Es federte. Und dann schien es auch leichter zu sein.

Der Oberst hielt das stärkere Stück in der Hand. Seltsam, wie leicht das war! Aber er wußte im Augenblick noch nicht, was er von dem Ganzen zu halten hatte. Dr. Harsen hatte sich indessen schon wieder erhoben:

»Ich werde mir erlauben, Herr Oberst, um vier Uhr anzurufen, ob ich noch am Nachmittag wieder bei Ihnen erscheinen kann. Daß Sie die Prüfung geheim halten, darum möchte ich bitten. Bemerken kann ich wohl noch, daß die Herstellungskosten des Stoffes nicht wesentlich höher sein werden, als die des Stahls. Und nun, meine Herren, allerseits guten Appetit!«

Die beiden Offiziere waren wieder allein. Der eine hatte das Lineal, der andere das Stäbchen in der Hand.

»Celluloid«, sagte der Adjutant, »damit kann ich meinen Jungen verwichsen.«

»Es ist noch leichter«, meinte der Oberst. Er hatte das unbestimmte Gefühl, daß ein Privatdozent wohl kein Celluloid-Vertreter sei, und wenn schon, so wäre er wohl kaum hierher gekommen. Dann haute er mit dem Stück kräftig über die Stuhllehne. Aber es brach nicht und zeigte auch keine Kerbe.

»Geben Sie doch einmal Ihr Spielzeug her!«

Der Oberleutnant holte sein Stahllineal. »Spielzeug«, das war ja nun eine glatte Anödung! Der Chef uzte ihn, weil er damit immer in der Luft herumwirbelte.

»Hauen Sie einmal feste drauf – – mit der Kante!«

Herr v. Hefften hatte das neue Stück auf seinen Schreibtisch gelegt. Der Hieb sauste schräg herunter. Aber der seltsame Stoff zeigte keine Kerbe, keine Schramme, nichts.

»Noch einmal!« Der Oberst hatte das Stück hochgekantet. – Wieder dasselbe Ergebnis!

Die beiden Männer waren jetzt stumm und staunten. Nein, das war alles andere, nur kein Celluloid!

»Kessel, Sie haben doch immer so'n Putzinstitut bei sich. Geben Sie doch mal Ihre Nagelfeile.«

Das war nun schon wieder eine Anödung!

Der Oberst feilte. Feilen haben sehr harten Stahl. Aber auch der glitt einfach ab.

Eine Weile schwiegen beide. Die Gedanken kamen in Aufregung. Die Phantasie arbeitete. – – –

»Ob das Zeugs brennt?«

Nein, der Draht hielt der Flamme stand.

Da wußte der Oberleutnant v. Kessel, daß sein Mittagessen in Gefahr war. Das war schlimm. Seine kleine Frau hielt auf Pünktlichkeit. Kam er zu spät, dann war sie nicht so lieb wie sonst. Nun ja, eine Hausfrau will doch stolz sein auf das, was sie gekocht hat. Aber Dienst ist Dienst!

»Armer Kessel«, sagte der Oberst, »es hilft nichts. Lassen Sie alles stehn und liegen, nehmen Sie sich 'n Auto und fahren Sie nach Dahlem raus zur Materialkontrollstelle. Härte, Dehnung, Elastizität und Gewicht, dazu möglichst Vergleichszahlen mit Stahl oder anderem ähnlichen Stoff. Die Prüfung ist Staatsgeheimnis. Ich muß spätestens fünf vor vier telefonisch die Resultate haben.«

»Jawohl, Herr Oberst!«

»Ich telefoniere Ihrer Frau, sie soll das Hühnchen warm halten.«

»Backobst, Herr Oberst, Backobst mit Klößen. – Ich danke gehorsamst, Herr Oberst!« Schon war er fort.

»Ordonnanz!«

»Herr Oberst!«

»Bringen Sie Herrn Oberleutnant die Sachen nach, aber fix!« Er gab ihm die Probestücke.

Natürlich, läßt das Wichtigste einfach liegen! – Ach ja, wenn man jung ist! Und er dachte zurück an die goldene Zeit, in der er es auch noch war.

Der Oberst schnallte den Degen um. Er ließ sich von der Ordonnanz den Mantel halten und zog dann die Handschuhe an. Die wollten nicht. Natürlich, wenn man den rechten auf die linke Hand ziehen will! Das macht, wenn die Gedanken anderswo sind, bei dem neuen Stoff. Ihm schwindelt fast, wenn er an die Auswirkungen denkt.

*

Fünf Minuten vor vier rief die Materialkontrollstelle an. Der Leiter der metallurgischen Abteilung, Oberregierungsrat Dr. Winter, war selbst am Fernsprecher. Seine Stimme zitterte vor Aufregung. Er nannte Zahlen, die Oberst v. Hefften eiligst notierte. Zum Schluß hieß es: »Also, zusammengefaßt: in allen Eigenschaften bestem Spezialstahl noch etwas überlegen, dabei leicht wie Kork, anscheinend auch beständig gegen Witterung und Säuren.«

Der Oberst klingelte nach der Ordonnanz:

»Möller, ich bin für niemanden zu sprechen, außer für den Herrn von heute mittag. Sagen Sie, ich wäre tot, ich wäre geplatzt, ich hätte die Maul- und Klauenseuche oder ich wäre Großvater geworden. Ist alles ganz Wurscht! – Nein, nicht mit dem Großvater, um Gotteswillen! – Na, Sie werden schon wissen!«

»Zu Befehl, Herr Oberst!« Der Gefreite griente. Als ob er nicht einen Menschen abwimmeln könnte, er als Berliner Junge!

Auf den Glockenschlag vier Uhr rief Dr. Harsen an. – Ja, er möchte sofort kommen.

Die drei Herren begrüßten sich sehr herzlich. Sie standen eben schon gemeinsam in einer Angelegenheit von ungeheurer Tragweite.

»Nun, Herr Oberst, wie ist Ihre Prüfung ausgefallen?«

»Gut, Herr Doktor, der Stoff hat alle Eigenschaften des Stahls und ist leicht wie Kork. Wie er sich einer Beschießung gegenüber verhält, müßte allerdings erst erprobt werden. Bedenken könnten in der etwaigen Schwierigkeit der Herstellung liegen, auch in der Leichtigkeit ihrer Ausspionierung durch andere Staaten, vielleicht auch darin, daß er sich schwer bearbeiten läßt.«

»Der Stoff – nennen wir ihn Alumnit – hat die Eigenart, daß er erst einige Zeit nach seiner Herstellung die volle und dauernde Härte erreicht. Bis dahin läßt er sich noch leichter als Stahl bearbeiten, später allerdings nur durch Werkzeuge des gleichen Stoffes mit etwas anderer Härte. Beim Umgießen verliert er seine Eigenschaften. Die Herstellung ist nicht schwieriger, als die anderer Gebrauchsmetalle. Es ist jedoch ein kleiner Kniff dabei, an dem die Werkspionage hoffentlich scheitern wird. Die Beschußprobe müßten Sie allerdings erst vornehmen lassen, Herr Oberst. Sie wird an Härte und Zähigkeit nichts ändern können. Dies vorausgesetzt, Herr Oberst, haben Sie Interesse an der Sache?«

Es muß nun leider gesagt werden, daß der Oberleutnant v. Kessel in diesem Augenblick den Mund aufsperrte und vor Staunen nicht wieder zubekam. Wie konnte man auch bei einer solchen Sache eine solche Frage stellen? Und ob man Interesse hatte! Da konnte man ja jeden Mann kugelsicher panzern!

Der viel ruhigere Oberst aber nahm die Frage als Überleitung zum Geschäftlichen:

»Gewiß, Herr Doktor, das Heer, und ich glaube auch die Marine, haben starkes Interesse. Wir könnten den schweren Stahlhelm durch einen leichten ersetzen, vielleicht auch Brust- und Rückenpanzer einführen, wenn es die Kosten gestatten …«

»Also Rückkehr ins Mittelalter«, lächelte Harsen.

»Ja, was anderes ist es wohl nicht. Und wenn der Gegner das auch tut, können sich beide nicht mehr totschießen. Aus dem Bajonettkampf wird ein Ringkampf.«

Alle drei lachten. Das waren ja ungeheuerliche Perspektiven! Tod der Technik durch Technik!

»Also darf der Gegner nicht an die Sache herankommen!« sagte der Besucher.

»Das dürfte die Hauptsache sein. Ja, lieber Herr Doktor, was wollen wir lange um die Sache herumreden, kurz und knapp ist Soldatenart: Was kostet die Erfindung?«

Keiner von den beiden Soldaten hätte die Antwort erwartet. »Sie ist mir nicht verkäuflich.«

Im ersten Augenblick wußte der Oberst nicht, was er sagen sollte. Er war baff. Wozu war denn der Mann hierhergekommen? Unter Umständen mußte man ja den Kauf gesetzlich erzwingen.

»Aber nun erklären Sie mir doch …«

»Herr Oberst, Sie werden mich verstehen, wenn Sie bedenken, daß diese Erfindung nicht nur eine militärische, sondern auch eine wirtschaftliche Bedeutung hat und mehr noch …« Und nun entwickelte Harsen ein Bild dessen, was geschehen würde, wenn er die Erfindung zu öffentlicher Produktion bringen würde. Atemlos hörten die beiden Herren zu. Das war ja ein gewaltiges, weltaufrührendes Bild, was dieser Mann mit kurzen logischen Strichen zeichnete! Dann kam der Doktor zum Schluß: »… Sie sehen also, meine Herren, diese Erfindung ist nur indirekt eine militärische, sie ist vielmehr eine politische. Und ich – – hören Sie, meine Herren, – – ich will diese Politik treiben, ich selbst, nicht der Staat. Ich bin freier als der Staat. Den Staat kann man zwingen, mich nicht. Aber ich will diese Politik für den Staat treiben, für Deutschland und mit ihm. Und nun, Herr Oberst, werden Sie wissen wollen, weshalb ich dann zu Ihnen und nicht zur Regierung komme. Wenn ich meinen vorgezeichneten Weg richtig gehen will, muß ich nach außen hin frei von ihr sein. Andererseits brauche ich Geld, um die Fabrik zu bauen. Das soll der Staat geben. Privatgeld will ich nicht. Ich will nicht auch noch einen Kampf um Dividenden führen. Nun brauche ich jemanden, der der Regierung in unauffälliger Weise die militärische und damit auch politische Bedeutung des Alumnits klar macht und mich ebenso unauffällig mit einem der Herren zusammenbringt. Das zu tun, möchte ich Sie, Herr Oberst, herzlichst bitten.«

*

»Grüß Gott, Herr Doktor!« – – Eine helle, klingende Frauenstimme.

Der in Gedanken versunkene Erfinder hätte in diesem Augenblick alles andere eher erwartet, als von einer jungen Dame empfangen zu werden.

»Sie müssen meinen Vater einen Augenblick entschuldigen. Er holt den Staatssekretär Wallershausen ab, und die Herren vom Zivil haben oft sehr langsame Uhren.«

»Aber bitte sehr, gnädiges Fräulein, ich habe ja Zeit.«

»Ein Mann wie Sie hat doch niemals Zeit.«

»Man muß die Kunst verstehen, zur rechten Zeit viel Zeit zu haben.«

»Nun, dann ist hoffentlich heut abend rechte Zeit. Aber ich muß Sie nun schon bitten, vorerst mit mir vorlieb zu nehmen, Herr Doktor.«

Harsen beteuerte, wie angenehm ihm das sei, aber sie möge sich doch nicht stören lassen, wenn der Haushalt …

»Aber nein, Herr Doktor! Wissen Sie, wir Frauen sind doch neugierig, nicht wahr? Und auf Sie bin ich es ganz besonders. Mein Vater tut so geheimnisvoll. Und dann noch der Staatssekretär dazu! Und außerdem: mein Vater hat keine allzugroße Menschenkenntnis, da muß ich ihm manchmal helfen.«

Nun mußte Harsen doch lachen.

»Das heißt also, Sie wollen mich ein wenig beschnüffeln, gnädiges Fräulein?«

»Ja, das heißt es.« Und dabei lachte sie ihn ganz unbefangen und fröhlich an.

Heino Harsen war ganz eigenartig zumute. Da saß er nun in dem behaglichen Herrenzimmer des Obersten, um noch in später Abendstunde zum Abschluß zu kommen. Statt dessen kommt eine junge frische Dame herein und macht ihn mit wenigen Worten zum völlig Unterlegenen. Wo ist da das Geheimnis? Ist es die Stimme, die Gestalt, die Sicherheit oder die verblüffende Offenheit? Es ist in jedem Zoll ein Soldatenkind, denkt er. Wie alt mag sie sein? Wohl an die Dreißig schon. Schade, daß sie noch keinen Mann hat. Sie wird zu wählerisch sein – – und zu klug. So etwas ist den Männern unbequem! – – Und wie sicher sie jetzt das Gespräch weiterführt. Man wird allmählich eingekreist und merkt es doch nur, wenn man auf der Hut ist.

Unbefangen geht das Gespräch weiter. Aber erst nach langer Zeit spricht sie von sich selbst. Es kam, als er betonte, wie anheimelnd es in diesem Zimmer wäre.

»Ja, nicht wahr? – Nur die Schreibmaschine paßt nicht so ganz hierher. Es ist meine. Ich helfe Vatern damit. Ach, wissen Sie, ich sehne mich oft danach, etwas zu schaffen, an etwas Großem mitzubauen. Ich hab ja auch mal studieren wollen, aber, nun ja, erstens langte es nicht dazu, und dann ist mein guter Vater auch nicht für ›Studierweiber‹, wie er sagt. Ein Kammerunteroffizier wäre ihm lieber. So bin ich denn also ›Kammerunteroffizier‹ geblieben. Helf er sich!«

Aber es lag so gar kein Verzicht in diesen Worten, keine Wehleidigkeit. Sie nahm es als Tatsache, die ihrer Lebensbejahung keinen Abbruch tat. Tapfer ist sie, dachte Harsen.

»Stenografieren können Sie sicher auch?«

»Natürlich!«

»Und wenn ich Sie richtig einschätze, auch fremde Sprachen?«

»Aha, Ablösung, Doktor! Jetzt werde ich ausgenommen! Ja, Französisch kann ich geläufig, drei Jahre hat man mich in Lausanne verzogen. Aber mit Englisch hapert es.«

Sie erhob sich. Die Klingel hatte zweimal angeschlagen.

»Jetzt kommt mein Väterchen. Dem muß ich doch guten Tag sagen.«

»Und berichten!«

Linde v. Hefften lehnte die schon halbgeöffnete Tür wieder leise an: »Nein, das geht nicht. Der Geier ist doch dabei.« Dann war sie draußen.

»Ein hübsches Bild«, dachte Harsen, »der blonde Kopf und das einfache braune Kleid gegen das weiße Viereck der Tür!« Er hatte viel Sinn für malerische Wirkungen. »Und im übrigen: ein völlig schmuckloses Strickkleid, wenn ein Staatssekretär ins Haus kommt, das hätten andere Frauen nicht gemacht. Das ist Selbstsicherheit.«

Dann kamen die beiden Herren. Harsen mußte an sich halten, um nicht zu lachen. »Geier« war ein fabelhafter Ausdruck für den hohen Beamten. Die Raubvogelnase und die tiefliegenden Augen! Und ganz oben der Schädel, na, gibt es da nicht so eine Sorte, die man Kahlkopfgeier nennt?

Während die Herren sich um den runden Ecktisch setzten, ging Linde ins Eßzimmer, schaltete den Teekessel ein, suchte Gläser und Flaschen heraus. Sie war sehr kritisch, aber der Doktor gefiel ihr. Er war, alles in allem genommen, ein Mann. Man konnte von ihm wohl erwarten, daß er eine Sache auch zu Ende führte. Er ist bestimmt und ruhig und hat ganz offene klare Augen. Ich glaube, sie sind blau, muß doch nachher noch mal nachsehn. Er wird ja wohl jetzt mehr im Licht sitzen. Mitte Vierzig, älter wird er kaum sein.

Als der Teekessel anfing, mit dem Deckel zu klappern, ging sie wieder hinein. Vor dem Ecksofa stand bereits eine dicke Wolke von Zigarrenrauch.

»Na, die Herren haben sich ja schon eingenebelt!«

Sie stellte Kessel, Gläser und Flaschen hin.

»So, meine Herren, hier ist heiß Wasser. Jeder, was er gerne trinkt.«

»Sie müssen schätzen, gnädiges Fräulein«, meinte der lange Staatssekretär.

Sie neigte den Kopf etwas schräg und forschend: »Nun, Herr Staatssekretär, dann würde ich Sie einschätzen: recht heiß, Rotwein – – und – – eine Scheibe Zitrone.«

»Also: Alter Knabe!«

»Entschuldigen Sie, Herr Staatssekretär, daß ein Soldatenkind nicht widersprechen darf.«

»Selbst wenn es möchte«, warf der Oberst in das Gelächter hinein.

»Du hast wieder mal recht, Väterchen. – Und Sie, Herr Doktor – Sie scheinen nach Nam' und Art aus der Groggegend zu stammen, Holstein oder so. Ich hab' die Rumflasche angewärmt. – Du, Väterchen, trinkst wohl auch Deinen Grog. – Ein Tee-Ei liegt auch hier, meine Herren. – Und jetzt müssen Sie mir versprechen, daß Sie sich selbst wieder einschenken. Mein Vater vergißt das so leicht, und ich will nicht wieder stören.«

Damit ging sie wieder ins Eßzimmer und vertiefte sich in Paul Kellers köstliche »Ferien vom Ich«. Von nebenan klang das gedämpfte Gewirr der Stimmen. Man konnte sie gut auseinanderhalten. Da war der Vater: knapp und deutlich, mit jener leichten Schärfe, die das Kommandieren in der freien Luft notwendig mit sich bringt. Dann der »Geier«, langsam und abgewogen, kühler und leiser als die anderen. Endlich der Doktor, meist gleichmäßig ruhig und sachlich, bisweilen aber von klingender Bestimmtheit. Da schlummert wohl gebändigte Leidenschaft! – –

Fast drei Stunden sitzen sie nun schon. Da tut sich die Tür auf, und der Vater kommt herein. Man sieht es seinem Gesicht an, daß ihn irgendeine Sache mächtig gepackt haben muß. Er setzt sich zu seiner Tochter und teilt ihr mit, daß der Doktor die Alumnitwerke bauen wird und was das für eine Bedeutung hat. Linde unterbricht ihn mit keinem Wort. Sie arbeitet alles in sich hinein. Es ist Soldaten-, ist Führerblut in ihr. Dann kommt die Frage, ob sie, Linde von Hefften, Privatsekretärin des Doktors werden wolle. Auch der Staatssekretär sei dafür, dann habe man eine unauffällige Verbindung vom Werk zur Regierung.

Jetzt muß Linde sprechen. Es ist die große Entscheidung ihres Lebens. Sie wäre vor Freude am liebsten ihrem Vater an den Hals geflogen. Aber sie sagt nur:

»Ja, gerne.«

Es klingt knapp und klar, nicht zu laut und nicht zu leise. Ist es wieder das Soldatenblut, oder ist es der Ernst der Aufgabe?

Beide stehen auf und gehen hinein. Der Doktor kommt ihr entgegen. Er sieht eine ganz andere vor sich, eine Dame, der Ernst und Entschlossenheit aus dem Auge spricht. Er fragt sie, ob sie ihm helfen wolle.

»Ja – gerne, Herr Doktor!«

Beide geben sich die Hand und sehen sich ins Auge, länger als nur einen Augenblick. Die Frage, was da werden wird, geht von einem zum anderen. Es ist aber mehr das Werk, als der Mensch darin, in ihr und in ihm.

»Und wenn es einmal über Ihre Kraft gehen sollte, gnädiges Fräulein, dann müssen Sie es sagen. Ich habe noch keinen Maßstab dafür.«

»Ich werde ehrlich sein, aber ich glaube nicht, daß das in Frage kommt.«

Dr. Harsen hat ihr einen Stuhl herangeschoben. Sie besprechen nun, was zunächst zu geschehen hat. Keiner spricht, wann der Dienst nun beginnen soll. Daß das morgen früh, ja, in dieser Minute schon geschieht, ist beiden eine Selbstverständlichkeit. Das Werk ist der Herr. Morgen früh müsse er nach Mitteldeutschland verreisen, um ein Gelände für die Fabrik zu kaufen. In zwei oder drei Tagen hoffe er zurück zu sein. Ob sie sich getraue, inzwischen ein Büro von etwa zehn Zimmern für die Bauleitung zu mieten und, soweit es geht, einzurichten?

»Es wird hoffentlich fertig sein, wenn Sie kommen.«

»Wie erfahren Sie denn aber, wo das ist? Sie sind ja unterwegs gar nicht zu erreichen«, warf der Staatssekretär ein.

»Die Nachricht liegt auf der Auskunftsstelle des Bahnhofs Friedrichstraße«, sagte Linde nach kurzem Nachdenken.

»Donnerwetter!« – Der »Geier« klemmte sich das Monokel ein. Solche Frau mußte er doch einmal deutlicher sehen!

»Eine Frage, Herr Doktor. – Für das Einrichten brauche ich Geld. Sie werden in Berlin kein Konto haben.«

»Ich werde morgen früh zehntausend Mark überweisen«, sprach der Staatssekretär.

»Das nützt mir nichts. Wir haben noch kein Konto. Wir sind noch nicht eingetragen und ich bin nicht zeichnungsberechtigt. Ich brauche aber morgen früh dreitausend Mark.«

Da sah auch der Doktor seine neue Kraft erstaunt an. Der Geier ließ das Monokel wieder fallen und schrieb wortlos einen Scheck auf sein Privatkonto aus. Ebenso selbstverständlich stand Linde auf, setzte sich an die Schreibmaschine und tippte die Quittung. »Alumnit-Werke« stand oben links.

Es war berechtigter Vaterstolz, den der Oberst in diesem Augenblick empfand.

Linde hatte die Quittung fertig. Wer sollte sie unterschreiben? Eigentlich ja wohl der Doktor. Sie sah wohl einmal schnell zu ihm herüber. Aber dann nahm sie den Tintenstift: »Linde v. Hefften.« Es waren stolze und klare Buchstaben.

»Darf ich bitten, Herr Staatssekretär?«

*

So gut wie an diesem Morgen hatte der Kaffee selten geschmeckt. An dem Getränk selber lag das sicherlich nicht. Auch nicht an den frischen Brötchen. Die waren wie sonst. Aber es war wohl die Freude, Arbeit, eigene und interessante Arbeit zu haben, die selbst das frühe Sonnenlicht leuchtender und wärmer erscheinen ließ. Dabei war es erst sieben Uhr. Tante Gertrud war auch schon am Aufstehen. Man hörte sie nebenan rumoren. Die gute Tante! Die muß jetzt allein den Haushalt führen. Linde hat jetzt anderes zu tun. So ganz alleine ein Büro einrichten, ist das nicht eine fabelhafte Aufgabe? Etwas Ahnung hat sie ja von der Handelsschule her. Dort hat sie das Maschinenschreiben und andere Dinge gelernt.

Als sie Mantel und Handschuhe zuknöpfte, flog sie bereits die Treppe herunter, Tempo!

Ein früher Fahrgast, dachte der Taxenchauffeur.

»Alexanderplatz!« – Ihr war eingefallen, daß vielleicht in den neuen Bürogebäuden dort noch Räume zu bekommen seien. Von der Stadtbahn aus war ihr neulich noch ein Schild »Zu vermieten« aufgefallen.

An Ort und Stelle ließ sie das Auto halten. Es stimmte. Vier Treppen hoch, aber sonnig und anscheinend auch ausreichend. »Zu erfragen bei Kober und Knoch.«

»Zum nächsten Fernsprecher!«

Sie drehte die Wählerscheibe und warf den Groschen ein. Es gab den üblichen schnarchenden Glockenton.

»Hier Kober und Knoch.«

»Hier Linde v. Hefften, Privatsekretärin der Alumnitwerke. Ich möchte Büroräume mieten, zehn Zimmer. – Jawohl, sofort. – Ich bin in einer halben Stunde – auf die Minute – also acht Uhr zwanzig am Eingang. Ich bitte Sie, mich nicht warten zu lassen. – Auf Wiedersehen.«

»Friedrichstraße 111, Depositenkasse der Dresdner Bank.«

»Jawoll, Frollein!« – Der Chauffeur warf einen scheuen Blick. Gut, daß seine Olle nicht so energisch war!

Auf der Bank löste sie den Scheck ein.

»Bitte zurück zum Alexanderplatz.«

Am Eingang des Bürohauses erwartete sie ein Herr, der noch etwas außer Puste war.

»Na, hoffentlich kommen wir zum Geschäft.«

Es ging den Fahrstuhl hinauf. Dann zog der Herr ein Schlüsselbund heraus und schloß die Tür auf. Sie klemmte noch etwas und roch nach frischer Lackfarbe. Die Räume waren hell, mit je einem großen vierteiligen Fenster, die Wände in lichten Farben gestrichen. Die Morgensonne flutete herein. Aber es waren zwölf Zimmer.

Darüber gab es noch ein großes Verhandeln bei der Baufirma.

»Ich brauche nur zehn Zimmer. Ich finde sie überall in Berlin. Also zahle ich auch nur zehn. Das sind zehn Zwölftel des von Ihnen genannten Preises.« – Sie saß am Tisch und drei Herren standen um sie herum. Einer redete immer beschwörender, als der andere. Aber Linde blieb fest.

»Handeln versteh ich nicht und will ich nicht. Ich habe Ihnen mein Angebot gesagt, wenn Sie nicht können …«

Man konnte.

Aber jetzt begannen die Herren, sich für ihre Firma zu interessieren. Man wollte doch sicher gehen. Alumnit-Werke, das kannte man noch nicht. Linde sagte, es handele sich um die Bauleitung der neuen Fabrik und im übrigen »… geben Sie mir gleich die Quittung für die erste Monatsmiete, dazu die vier, nein fünf Tage bis zum Ersten«. Sie nahm das Geld aus ihrer Tasche und zählte es auf.

»Wollen Sie sich bitte an die Kasse bemühen, gnädiges Fräulein!«

»Vielleicht ist einer der Herren so freundlich und bringt es herüber. – Darf ich mal telefonieren?«

»Aber selbstverständlich, gnädiges Fräulein!«

Und jetzt fing sie an zu regieren, daß die Herren selbst dieser großen Firma Mund und Ohren aufsperrten. Als in der vergangenen Nacht der Schlaf nicht kommen wollte, hatte sie sich das alles zurechtgelegt. Jetzt war es knapp neun Uhr. Um neun einviertel sollte ein Herr der Telefonfirma in den Räumen sein, eine Viertelstunde später ein Herr vom Büroeinrichtungshaus. Zwei Emailschilder wurden in Auftrag gegeben. Ein Vertreter des Gardinenhauses sollte sich um dreiviertel zehn mit Mustern und Zollstock an Ort und Stelle einfinden. Der Schreibmaschinenfirma wurde der Besuch um elf Uhr dreißig angekündigt. Man brauche zunächst drei gebrauchte und zwei neue Maschinen, eine Rechenmaschine und eine Buchhaltungsmaschine. Ob sie auch Geschäftsbücher führten? Ja?

Nun, sie würde kommen. Dann das Arbeitsamt: Sie brauchte Schreibdamen, einen Buchhalter, der aber eine erste und zuverlässige Kraft sein müsse, einen energischen Bürovorsteher, der alle Personalien und Materialien unter sich hätte, und einen Kassenführer, aber einen feuersicheren!

»Wie ich das meine? – Nun, er darf nicht durchbrennen! – Haben Sie alles notiert? – Ach hören Sie nochmal! Ich baue hier als gänzlich unerfahrenes weibliches Wesen meinem abwesenden Chef sein Büro auf. Das ist ein Prüfungsstück für mich. Bitte lassen Sie mich nicht im Stich und schicken Sie mir ordentliche, tüchtige Leute. – Meinen Namen haben Sie nicht verstanden? – Linde v. Hefften – ja, richtig, die Tochter von dem Obersten, aber sonst ganz friedlich! – Wann die sich vorstellen sollen? – Na, sagen wir morgen, die Weiblichkeiten von elf bis zwölf und das starke Geschlecht – das wäre dasselbe? – Nein, ich meine jetzt die Männlichkeiten, von zwölf bis ein Uhr. – Ach, wissen Sie, Sie sind ja doch eine ganz moderne Behörde. Können Sie mir nicht zur Beratung einen Ihrer Herren mitschicken? Wegen der Verträge und so weiß ich doch noch nicht Bescheid. – Oh, das ist wirklich sehr liebenswürdig von Ihnen, herzlichen Dank!«

Dann ging sie wieder zu den neuen Räumen zurück. Nebenan hauste die »Kolumbus-Feuerlöscher e. G. m. b. H.« Vor der Tür stand der Empfangsboy und langweilte sich. Es mochte ein Junge von fünfzehn Jähren sein.

»Mein Herr«, sagte sie, »könnt Ihr mir nach nebenan einen Stuhl pumpen? Es muß aber gleich sein. Ihr könnt mir dann auch son'n Feueranzünder verkloppen.«

Der Boy spritzte.

Linde ging alle Räume durch. Dann setzte sie sich auf den Stuhl und überlegte. Es war vielleicht doch gut, zwei Zimmer mehr zu haben. Man müßte für die Bauten doch vielleicht noch Zeichner und andere Leute setzen. Aber wie soll man das einteilen? Ins erste Zimmer müßte wohl der Empfang, die Registratur und die Postabfertigung. Dann die Schreibstube. Dann das Vorzimmer des Chefs, also sie selbst. Dann er, also das »Allerheiligste«. Das wären vier Zimmer. Bleiben noch acht. Wenn man eine Fabrik bauen will, dann werden da wohl noch einige Leute mit Plänen und so sitzen müssen. Die nehmen viel Platz fort. Also zwei! Was das alles kostet, wird wohl auch berechnet werden müssen, also Kalkulationsabteilung. Wieder zwei! Die Kaufabschlüsse für den Bau, mein Gott, wieder zwei. Das sind ja schon zehn! Eine Schreibstube brauchen die Leute auch. Die können doch nicht immer nach vorne laufen! Irgendwie muß man den Betrieb doch trennen. Und dann wird sich der Doktor doch irgendeine Kraft als rechte Hand und Vertreter nehmen müssen, einen Architekten oder Diplomingenieur. Den können wir doch nicht in den Rauchfang hängen! Aber der muß dann neben das Allerheiligste. Also alles eins weiter! Das wären ja schon zwölf! Nicht einmal ein Reservezimmer bleibt. Schade! So ein kleiner Nebenraum ist noch da, aber da muß Papier und anderes gelagert werden. Es kommt sicherlich noch so, daß ein Raum fehlen wird. Na, vielleicht können die »Kolumbusse« dann aushelfen.

Richtig, die Kasse ist ganz vergessen! – Ach du lieber Gott! – – Dann müssen wir eben ein Zimmer von der Kalkulationsabteilung fortnehmen. Die können auch in einem hocken. Das nehmen wir aber – – Kasse und Kalkulation – – ganz nach hinten. Dann kommen die Kaufleute und die zweite Schreibstube zwischen die Technik und die Kalkulation. Das ist auch am besten. Wenn's schlimm kommt, ziehen wir eben um!

Es klingelte. Der Mann von den Telefonwerken. Das ging schnell.

»Aber heute nachmittag um 6 Uhr muß alles fertig sein. Geht das?«

»Ich werde sehen, Fräulein.«

»Na, Sie haben anscheinend doch sehr gute Augen. Morgen früh um zehn Uhr muß ich nämlich unbedingt telefonieren. Noch eines, lieber Herr Direktor oder was Sie sonst sind: Seien Sie doch so freundlich und besorgen auch die Anmeldung bei der Post. Ja? – Sehen Sie, bei einem so guten Auftrag! – Vorerst brauche ich drei Nummern, später aber wohl mehr.«

»Wird gern besorgt, Fräulein.«

Schon kam das Büroeinrichtungshaus angerückt, gleich mit zwei Herren, gebügelt und geschniegelt, mit tiefen Bücklingen und einem dicken Katalog unter dem Arm.

Im Zimmer des Chefs wurde angefangen. Schwere schwarze Eichenmöbel, gediegen, aber doch einfach. So schätzte sie den Doktor ein. Ein großer doppelter Schreibtisch, zwei hohe Lehnstühle – – der Mann ist ja so lang! Dann ein großer Tisch mit sechs Stühlen. Ein Bücherschrank, ein Aktenständer, ein kleiner Diktiertisch mit Stuhl und schließlich noch Garderobenhaken. Dann kam das Vorzimmer, also ihr eigenes. Hier mußte außer dem Notwendigsten eine anheimelnde Ecke für wartende Chefbesucher eingerichtet werden. Auch eine Uhr! – Richtig, Uhren mußten überall hin. Dann kam das Zimmer des »Zweiten Chefs«, auch schön, aber doch etwas abgestuft. Einer allein ist der Herr! Es folgte dann das vielfältige Gerät aller anderen Abteilungen.

Das dauerte doch länger, als sie gedacht hatte. Aber der Mann mit den Gardinen konnte sich ja dem Rundgang anschließen. So schlug man zwei Fliegen mit einer Klappe. Ja, auch einen Teppich brauchte man, einen ganz großen roten, einfach, für den Chef, und auch grüne Friesvorhänge für die drei Türen dort.

»Es gehört zu Ihrem Auftrag, daß Sie morgen vormittag elf Uhr wenigstens mit den ersten vier Zimmern fertig sind.«

Der Jüngling machte ein sehr betrübtes und ernstes Gesicht: »Wir haben soviel zu tun …«

»Freut mich für Sie, dann können Sie ja neue Kräfte einstellen. Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich den Auftrag anderwärts vergebe?«

Das war ihm ja nun nicht lieber. So sagte er denn seufzend zu.

»Die Schnelligkeit der Bezahlung entspricht derjenigen der Lieferung.« Dann nahm sie den Bestellzettel und schrieb die Lieferfrist darüber, ehe sie ihren Namen hinsetzte. Für die »möblierten Herren« war das eine gute Lehre.

»Wenn Sie bis elf Uhr alles geliefert haben, bekommen Sie auch die Lampen in Auftrag.«

»Donnerwetter, daran haben wir noch gar nicht gedacht.«

»Dafür sind Sie ja auch zwei«, lachte Linde. – – –

Im Schreibmaschinengeschäft ging es rasch. Hier konnte ihr auch keiner ein X für ein U vormachen.

Was nun zuerst? – Ob ich sein Zimmer nicht doch tapezieren lasse? Es muß doch irgendwie abstechen von den anderen. Aber wie? – Grüne Friesvorhänge an Fenster und Türen, roter Teppich, da muß es schon irgendein warmes Braun sein. Auch das wurde besorgt. Um drei Uhr sollte der Tapezierer kommen.

So wurde es Mittag, bis Linde nach Hause kam. Na ja, sie war ja auch im Dienst.

»Du siehst so glücklich aus, Linde!«

»Ja, Väterchen, bin ich auch!«

»Hast du schon Räume gefunden?«

»Na natürlich! – Ich bin doch deine Tochter!« Und sie erzählte alles ausführlich: Schließlich war der Vater ja gleichsam mit im Geschäft. Da lag ihr an seiner Billigung. Der Oberst hörte aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen. Dann sagte er nur:

»Ich glaube, du kannst auch ein Regiment führen.«

Da gab sie ihrem Vater einen herzhaften Kuß. –

Die Tante kam und bat zum Essen. Der Oberst sprach das Tischgebet. Dann setzten sie sich. Einen richtigen Heißhunger hatte sie. Prächtig schmeckte es. Daß die Tante das Salz an der Suppe vergessen hatte, merkte sie gar nicht. Die Gedanken waren schon wieder bei ihrer Aufgabe. Was sollte sie ihm für Bilder in sein Zimmer hängen? Das war wirklich nicht einfach. Farbe war genug im Raum. Vielleicht nimmt man am besten schwarze Holzschnitte, Landschaften von Ubbelohde in ihrer kräftigen, mannhaften Art. Ja, das wird noch das Beste sein.

Punkt drei Uhr war sie wieder draußen. Der Tapezierer ließ fast eine halbe Stunde auf sich warten. Aber sie sagte ihm nichts. Es war ein alter gemütlicher Mann.

»Sind Sie hier die Tochter von'n Pottjeh?«, fragte er.

»Nein, ich bin hier von der Firma.«

»Is woll 'ne ganz neue Sache?«

»Ja, wir gründen erst.«

»Na, Frollein, denn sehn'se sich man vor. Det mit die Neugründungen, det is doch man meist 'ne faule Sache. Erst jeht det jroßartig los wie in'n Kientopp, un denn mit einmal reißt der Film, immer jrade vor'n Zahltag.«

»Na, Vater Tapetenmann, hier ist die Sache bombensicher.«

»Na, na, na! – Aber ick will's Ihnen wünschen. So'n hübsches Meechen als wie Sie soll man's doch gönnen. Veleicht finden 'se auch wat für's Herze dabei.«

Linde lachte laut heraus.

»Na, da soll man doch nich lachen. Is doch allens schon vorjekommen. Is doch schließlich keen Unjlück nich. Wat meine Tochter is, bei die war det auch so. Aber nachher is er ihr wegjeloofen. Ja, vorsichtig, Frolleinchen, müssen 'se schon sind. Bei ihr war's mit'n Postboten. Nehmen 'se keenen Postboten nich. Die Sorte is auf zuville Treppen zuwege.«

Linde versprach ihm das. Aber gefallen tat ihr der alte Mann. Sie fragte, was seine Tochter in dem Geschäft gewesen sei.

»An die Schreibmaschine, Frolleinchen. Oh, da is'se höllisch fix bei. Aber in'n Momang hat'se ja nu nischt.«

Linde meinte, sie solle sich doch morgen um elf einmal vorstellen. Vielleicht ließe sich was machen. Wie sie denn hieße?

»Lisbeth heeßt'se, Elisabeth. Wissen'se, det war ne Fürstin in Eisenach oder so, aber se soll sehr jut jewesen sind und det hat die Lisbeth ja denn woll jeerbt. Also Lisbeth Peters, wenn'se ihr mal bejejnen tun. Ick wollt ihr ja eijentlich Friederike taufen, wie in die schöne Operette wissen'se. Aber wat meine Olle is, die hat jesagt, Vater hat'se jesagt …«

Aber jetzt kamen die Leute mit den ersten Möbeln, den Telefonapparaten und die Gardinenfritzen mit Stoffballen, Schnüren, Bändern und dergleichen. Ein emsiges Schaffen hub an, immer unter Lindes prüfenden Augen. Mitten in den Trubel hinein kam der Boy von Kolumbus, ob er den Stuhl wiederhaben dürfte.

»Ja, mein Junge! Danke schön.« Aber sie merkte, daß der Boy noch mit etwas anderem herumdruckste. Sie fragte.

»Ja, Frollein, et is man wegen den Feueranzünder – den Löscher wollt ick sagen. Ob Sie den nich bei mir kaufen wollten, – denn – denn krieg ich villeich Prozente.

Ick hab'n Bestellschein mitjebracht.« Und er zog ein zerknittertes Etwas sorgfältig aus seiner Hosentasche. Dabei rollte eine Marmelkugel mit heraus. Er bückte sich schnell und bekam einen puterroten Kopf. So ein großer Junge und noch eine Marmelkugel! Ach, nichts weiter als ein Stück Jugend mitten in erzwungenem Alttun.

»Gib her, Junge! Und wenn sie Dir Prozente geben, kauf' ich noch einen zweiten. Sonst nicht. Sag das drüben.

Und nun gute Nachbarschaft!« Sie gab ihm die Hand und sah ihm nach, als er abtrollte. »Den hol' ich mir vielleicht auch noch mal.«

Es war acht Uhr, als sie endlich nach Hause kam. Nach dem Essen buchte sie erst alle ihre Ausgaben. Dann fiel sie todmüde ins Bett. Aber selbst im Traume verfolgte sie das Werk. Es wuchs und wuchs, immer höher und immer breiter, über die ganze Erde hinweg.

Am Morgen ging die Arbeit rüstig weiter. In das anfängliche Durcheinander kam immer mehr Ordnung und Sinn. Es gab bereits Ecken, wo man sich ruhig hinsetzen konnte, wenn die Reinmachefrauen einen nicht immer wieder mit ihren nassen Schmierlappen verjagten. So eine Berliner Aufwischfrau hat etwas Tyrannisches, Unerbittliches an sich. Wenn man nach ihrem Wasserverbrauch urteilen darf, stammen sie direkt aus der Sintflutzeit. Sie repräsentieren hier das weibliche Moment gegenüber den Einrichtungsleuten. Linde meinte aber bei sich, man könne ebensogut an schwere Kavallerie, an Dragoner zum Beispiel, denken. Der dicke Portier, ein Mann von abgrundtiefer Würde, hatte sie besorgt. Linde hatte es zuerst völlig vergessen. Sie lebte bereits in der Welt der Männer.

Aber es wäre unnatürlich gewesen, wenn jetzt mit fortschreitender Einrichtung nicht auch das Weibliche in ihr zum Durchbruch gekommen wäre, denn sie gehörte keineswegs zu jener Sorte Frauen, die der Natur zum Trotz die Gleichheit mit dem Mann erstreben. So gingen ihre Gedanken jetzt dahin, mit welchen Mitteln man diese Räume wohnlicher gestalten könne. Es fielen ihr Blumen ein, etwas Lebendiges, was man pflegen und bemuttern kann. Max, der Boy von den »Kolumbussen«, mußte einen Gärtner aus dem nächsten Geschäft herbeirufen. Sie hatte den Jungen gerade auf der Treppe erwischt. Er strahlte übers ganze Gesicht. Sicher hatte er die Prozente bekommen. Bei dem Gärtner bestellte sie einige Tradeskantien und Nilgras, richtig, Nilgras, »Beamtenpalmen« nennt man sie ja wohl! In den Amtsstuben sieht man sie überall, grüne Freudensonnen im trüben Grau des Dienstes. Vermehren tun sie sich wie die Karnickel, werden immer mehr und mehr, bis ein hoher Vorgesetzter mit hartem Erlaß wieder Platz für die Akten schafft. Aber nach einiger Zeit steht in irgendeiner Ecke doch wieder ein Glas mit einem bescheidenen kleinen Ableger darin. Der wächst und wächst, treibt Seitenschosse im Topf und bald ist alles wieder ein grüner Wald. Der Erlaß liegt längst in den untersten Akten. Gegen Nilgras helfen keine Erlasse. Sie sind machtlos! Es liegt etwas Zwingendes in dieser Pflanze. Es ist mit ihr wie mit den Völkern starker Kinderzahl. Am Ende siegen sie doch.

In das Zimmer des Doktors müssen natürlich »Chefblumen«, zwei blühende Gliederkakteen und ein Gummibaum. Der ist allerdings furchtbar langweilig, aber Linde findet, daß er doch einen ganz eigenen Stil hat. Das Zimmer des »zweiten Chefs« bekommt zunächst gar nichts. Da kann man später noch sehen! Wer weiß, was für ein griesgrämiger Pomuchelskopp da einziehen wird! Außerdem: man braucht später doch noch freie Räume für das Nilgras. Jawohl!

Um zehn Uhr funktioniert der Fernsprecher. Die Leute sind doch pünktlich! Aber das erste Gespräch ist gleich ein Privatgespräch. Ob sie das darf? Nun, einmal ist keinmal. So ruft sie denn ihre Freundin Thea an.

»Thea, du mußt unbedingt hierher kommen. Du sollst mir Rat geben« – damit beruhigt sie ihr dienstliches Gewissen. – »Nein, nicht nach Hause. Du ahnst ja noch gar nichts. Ich hab eine Riesenüberraschung für dich. Fahr mit der Stadtbahn bis Alexanderplatz und geh zum Bürohaus Alexanderplatz, Eingang drei, Fahrstuhl, vier Treppen, Alumnitwerke, Zimmer drei. Du wirst Bauklötzer staunen, jawohl. – Das Mittagessen für deinen Mann? – Ach, mach ihm doch Spiegeleier oder so'n Zeugs, was von alleine kocht. – Ich sage dir, es ist fabelhaft interessant. – Nein, ich sage nichts, gar nichts. – Also Theachen, um elf Uhr!«

Um elf Uhr also kommt ihre Freundin angetrudelt. Ja, so muß man wohl sagen; das ist am bezeichnendsten für ihre ganze Art. Dabei ist sie eine Frau von sprühender Lebendigkeit, das reinste Quecksilber, immer fröhlich und guter Dinge. Nur über eines ist sie unglücklich. Sie ist die Frau des Oberleutnants v. Kessel. Das ist an sich nicht schlimm, im Gegenteil. Aber sie heißt nun einmal mit Vornamen Thea, mithin Thea v. Kessel. Wenn ihr irgendein junger Leutnant vorgestellt wird, dann sieht sie immer, wie es dem in den Augen zwickt oder wie er den Mund ganz fest zusammenpreßt. Bei den älteren Herren huscht manchmal sogar ein gutmütiger aber doch offener Zug von Schalkheit über das Gesicht. Das ist ärgerlich! Ihr Mann tröstet sie ja bisweilen, es gäbe doch so wunderhübsche Teekessel heutzutage. Aber dann wird sie böse. Er meint, ihre »Herren Eltern« wären doch schließlich schuld an ihrem Vornamen.

»Aber du an dem Nachnamen!« – Damals hieß sie noch Thea Thebesius. – Wenn er sie lieb hätte, solle er sich »umtaufen« lassen.

»Gut, ich werde eine Eingabe machen. So, wie ich die Leute im Innenministerium kenne, werden sie uns dann Pott nennen.«

Gräulich war der Mann! – Aber sonst …

Also Lindes Freundin war baff, einfach baff, aber ebenso begeistert. Zum Aussprechen blieb allerdings nicht viel Zeit, denn jetzt kamen die Stenotypistinnen in hellen Scharen zur Vorstellung. Thea sollte dabei raten.

Die erste hatte man schon draußen hören können. Dröhnenden Schrittes war sie erst den Flur entlang gegangen und hatte neugierig in alle Zimmer gesehen. Der erste Eindruck war, daß sie besser in einen Fleischerladen gepaßt hätte.

»Is das hier richtig – ich meine für die Einstellung?«

»Ja.«

»Sind Sie das Frollein, wo die Einstellung vornehmen soll?«

»Ja.«

»Na, Frollein, denn nehm'n se mir man.« Und sie begann, ihre Vorzüge und Fähigkeiten in unaufhörlich sprudelnder Rede vorzutragen. Aber einen solchen Taps ins Büro nehmen? Nein, das ging nicht, obwohl sie bei der Schreibprobe ganz gut abschnitt.

Die nächste war lang und hager, mit scharfer vorspringender Nase und stechenden tiefen Augen. Sie überflog damit erst sämtliche Einzelheiten des Raumes, ehe sie zu sprechen begann:

»Ich bin eine erste Kraft.«

Mit der würde es wohl keinen Frieden im Laden geben!

Die dritte war ein Äffchen. Sie besah sich erst ihre Fingernägel, ehe sie die Tasten berührte, hielt den Kopf schräg und zierte sich beim Sprechen. Die hatte wohl andere Dinge im Kopf. Das war nichts für die Arbeit. Die vierte hatte ganz unordentliche Haare. Das Hemd sah am Hals heraus. Nein, Schlampen konnte man auch nicht gebrauchen.

Dann kam ein bescheidenes junges Ding. Es war noch fast ein Knicks, den sie machte.

»Ich heiße Lisbeth, Lisbeth Peters.«

Aber sie taute auf, als Linde nach ihrem Vater fragte. Von dem Postboten sagte sie natürlich nichts. Der Vater hatte recht gehabt. Es ging flott an der Maschine und auch mit der Kurzschrift. Aber mehr noch freute sich Linde über die strahlenden Augen, als sie ihr sagte: »Sie können gleich hier bleiben – nebenan bitte.«

Dann gab es eine Überraschung. Inge Herder kam herein, die Tochter des verstorbenen Generals. Sie hatte es bei den vielen Geschwistern sehr ärmlich zuhause und mußte sich also ihr Brot verdienen. Die drei kannten sich schon lange und begrüßten sich herzlich. Nur war es natürlich peinlich, über seine alte Schulfreundin so gleichsam zu Gericht zu sitzen. Wie sollte man das anfangen? Aber Inge Herder rettete selbst die Lage. Sie setzte sich an die Maschine:

»So, wir sind ja zum Dienst hier zusammengetroffen. Darf ich das Diktat haben? Du hast ja wohl eine Armbanduhr für die Zeitabnahme!« – Sie konnte gut schreiben.

»Aber Inge, wird dir das nicht sehr schwer fallen, hier im großen Haufen? – Da ist zum Beispiel die Tochter eines Tapeziergesellen.«

»Linde, im Dienst bin ich nichts anderes, Maschinenfräulein, wie die anderen auch. Und ich glaube, ich kann mit jedem Kameradschaft halten. Darauf kommt es doch an in einem solchen Betrieb. Und du bist mein Chef. Ich würde sofort gehen, wenn du mich bevorzugst.«

»Chef ist Doktor Harsen.«

»Laß man, für uns bist auch du der Vorgesetzte. Der Chef muß darüber stehen.«

So kam die Tochter des Generals neben die des Tapeziers. Im ganzen wurden zunächst vier Damen eingestellt.

Inzwischen war der Herr vom Arbeitsamt gekommen. Mit seiner Hilfe gingen auch die männlichen Einstellungen glatt vor sich. Aber Mittag war es doch geworden. Morgen um zehn Uhr sollte alles den Dienst antreten. Es konnte doch sein, daß der Doktor dann zurückkehrte.

Am Nachmittag gab es noch viele Gänge zu besorgen. An so manche Einzelheiten denkt man ja zunächst oft nicht. Lisbeth Peters mußte einen willigen und fleißigen Boten abgeben.

Dann saß Linde allein in den Räumen. Alles war soweit fertig. Alles ihr Werk! Sie war stolz darauf. Und doch, wenn man weiter denkt, an die Fäden, die von hier auslaufen würden, an den Aufruhr, der dann in der ganzen Welt entstehen muß! Wie klein ist dann dieses hier! – Wie nichtig!

Dem Personal hatte sie gesagt, man würde von hier aus die Alumnit-Werke bauen. Wie schon der Name sagte, würden diese Leichtmetalle fabrizieren. Mehr brauchte und sollte niemand wissen. Sie selber wußte mehr, wußte fast alles. Da kommt man sich dann ganz klein vor. Wenn doch der Doktor erst käme, daß man eine führende, schützende Hand über sich hätte, und daß es begänne von hier, das brausende Schaffen und Leben!

*

Als Dr. Heino Harsen am folgenden Nachmittag den D-Zug verlassen hatte, fand er an der Auskunftsstelle des Bahnhofs Friedrichstraße den Brief seiner Privatsekretärin vor.

 

Sehr verehrter Herr Doktor!

Die Geschäftsräume befinden sich im Bürogebäude Alexanderplatz, Eingang 3, vier Treppen. Fernsprecher Bussard 6615-17. Es ist alles bereit, den Dienst aufzunehmen. Schlüssel außerhalb der Geschäftszeit beim Portier. Mit ergebenster Hochachtung!

Linde v. Hefften.

 

Donnerwetter ja – – in zwei Tagen! – Er ging die Treppe wieder hinauf und fuhr mit der Stadtbahn die zwei Stationen weiter. Vom Bahnhof aus waren es ja nur wenige Minuten. Da, ein richtiges Emailleschild »Alumnit-Werke 4 Tr. r.«. – Den Fahrstuhl herauf. Oben das gleiche Schild. Auf das Klingeln hin öffnete sich elektrisch die Tür. Ein blitzsauberer langer Flur. Er ging ihn hinunter, die Türen entlang. An der ersten stand »Anmeldung, Buchhaltung, Registratur«, an der zweiten »Schreibstube«, an der dritten »Direktionssekretariat«, an der vierten und fünften »Eintritt untersagt«. Dann folgten die anderen Abteilungen.

Harsen schüttelte den Kopf. Fast gerad so, wie er sich das gedacht hatte. Mein Gott, wer mag dem Mädel da zur Seite gestanden haben? Er ging zurück zum Zimmer drei und trat ein. Eine wohlige Wärme schlug ihm entgegen.

»Guten Tag, Fräulein v. Hefften, nun sagen Sie bloß …«

»Guten Tag, Herr Doktor, willkommen in Ihren Räumen!«

Er sah bewundernd von Stuhl zu Tisch, von der Maschine zur Gardine: »Nun sagen Sie doch bloß, haben Sie das alles …«

»Jawohl, Herr Doktor!« Sie hatte vor lauter Stolz einen ganz roten Kopf bekommen.

»Es ist alles bereit, Herr Doktor.« Damit öffnete sie die Tür zum »Allerheiligsten«.

»Menschenskind, das ist ja fabelhaft. Genau so, wie ich es morgen machen wollte.«

Da sagte sie gar nichts. Es saß so etwas in der Kehle, das ließ sie nicht sprechen. Er stand immer noch, musterte alles und staunte. Dann nahm sie sich in aller ihrer Freude zusammen und sagte: »Darf ich Ihren Mantel haben, Herr Doktor?«

»Sogar Kleiderhaken!« Aber er hing seinen Mantel doch selber auf. Es war ja wohl auch nicht ganz richtig.

»Und hier nebenan?« Er machte die Tür auf.

»Ich dachte, Herr Doktor, daß Sie vielleicht doch eine zweite Hand, einen Architekten oder Diplomingenieur haben wollten.«

»Sie – – Sie dachten?« – – Er sah sie staunend von oben bis unten an. »Sie haben sich das womöglich alles selbst ausgedacht, die ganze Einteilung, die Türen, Schilder und so weiter?«

»Jawohl, Herr Doktor!«

Er staunte immer noch und schüttelte wieder den Kopf. Aber dann drückte er ihr die Hand. »Ich danke Ihnen recht herzlich, Fräulein v. Hefften. Sie haben mir mindestens drei Tage Zeit erspart.«

Da mußte Linde an sich halten, daß ihr in der Erregung nicht das Weinen kam. Aber sie biß die Zähne aufeinander. Es war trotzdem gut, daß er jetzt wieder den Raum und die Einrichtung betrachtete. Dann sagte sie ihm, daß sie bereits das erste notwendige Personal unter Vorbehalt seiner Billigung eingestellt hätte. Er wunderte sich nun schon über gar nichts mehr. So gingen sie denn beide die Zimmer hindurch. Linde stellte die neuen Angestellten vor. Für jeden fand er ein freundliches Wort. Jeder wußte aber auch sofort: Der hat es nicht nötig, den Chef herauszubeißen. Der ist es einfach.

Dann bat er Linde in sein Zimmer und orientierte sie. Er hatte die Domäne Altenkirchen bei Bad Sachsa am Harz gekauft. Dort war genügend Ton als Ausgangsprodukt des Alumnits vorhanden, auch Raum für das Werk und die Arbeiterwohnungen. Arbeit genug hatte er vom Kauf her mitgebracht.

»Wir können gleich beginnen, Herr Doktor, Briefpapier ist gedruckt und geliefert, wenigstens mit dem vorläufigen Kopf.«

»Wie wollen wir das nun machen?«

Sie setzte auseinander, wie sie sich die Arbeitsteilung gedacht hätte.

»Einverstanden! – – Na, dann wollen wir mal beginnen!« Sie drückte auf die Klingel zur Schreibstube.

Es war der Startschuß der Arbeit.

* * *

 


   weiter >>