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Rom, den 5. Juni 1805
Ich freute mich kaum Ihres Briefes, mein inniggeliebter Freund, als ich durch Fernow die schreckliche Nachricht von Schillers Tode empfing. Nichts hat mich je gleich stark erschüttert. Es ist das erstemal, daß ich einen erprüften Freund, mit dem sich durch Jahre des Zusammenseins Gedanken und Empfindungen innig vermischt hatten, verliere, und ich fühle jetzt die Trennung, die Entfernung, in der wir in den letzten Jahren lebten, noch schrecklicher. Seinen letzten Brief schrieb er mir im September 1803 über meines Wilhelms Tod. Er war über meinen Schmerz sehr bewegt, aber was er darin wünscht und hofft, ist in Erfüllung gegangen. Er ist hingeschieden, ohne selbst einen von denen, die ihm zunächst lieb war, verloren zu haben. Seine schwächliche Konstitution, sagt er, lasse es ihn hoffen. Wäre er selbst uns nicht so früh entrissen worden! Jetzt denke ich oft, er hätte die letzten Jahre seines Lebens hier zubringen sollen. Rom würde einen großen Eindruck auf ihn gemacht haben, er hätte das mit sich hinübergenommen. Er hätte sich vielleicht auch länger erhalten, der strenge Winter scheint ihm doch verderblich gewesen zu sein, vielleicht auch die ewige Anstrengung, die nachgelassen oder doch milder gewirkt hätte, wenn er seinen äußern Sinn durch große Umgebungen getragen, seine Einbildungskraft durch eine ihrer würdigere Natur um sich her unterstützt gefühlt hätte. Wie einsam Sie sich fühlen müssen, kann ich mir denken; und doch beneide ich Sie unendlich. Sie können sich doch noch den Ton der Worte seiner letzten Tage zurückrufen; mir ist er wie ein Schatten entflohen, und ich muß alles, was ihn mir lebhaft zurückruft, aus eier dunklen Ferne mühsam herbeiholen. Wie oft ist es mir eingefallen, daß der Mensch sich leichtsinnig trennt, zerreißt, was ihn beglückt und mutwillig nach dem Neuen hascht. Wenn die wahre Ungewißheit des menschlichen Schicksals den Menschen so lebendig vor Augen stände, als sie es sollte, würde kein Mensch von Gefühl je sich entschließen, die Spanne Landes zu verlassen, auf der er zuerst Freunde umarmte.
Sie, liebster Goethe, sollten jetzt den nächsten Winter in Italien zubringen. Solange Schiller lebte, hätte ich Sie nie ernstlich einladen mögen. Sie besaßen sich gegenseitig, keiner von Ihnen hätte für eine lange Trennung Ersatz gefunden. Jetzt, da dies Band zerrissen ist, sollten Sie auf eine Zeit ein schöneres Land und die Umgebungen suchen, die Ihnen schon aus dem Andenken her so wert sond. Die piolitischen Umstände scheuen Sie nicht. Selbst wenn, wie ich nicht glaube, Krieg entstände, kann man, trauen Sie meiner Erfahrung, ruhig genießen und das armselige Getreibe um sich her ruhig geschehen lassen. Die äußeren Unbequemlichkeiten Italien sollen Sie nicht drücken. Die ersten Wochen wohnen Sie bei uns, richten sich dann mit Muße ein; in dieser Rücksicht hat Rom, wie jede viel von Fremden besuchte Stadt, seit Ihrem Hiersein unstreitig gewonnen. Für Ihre Gesundheit wäre mir auch nicht bange. Das mildere Klima muß Ihnen wohltätig sein, und Sie finden auch künftiges Jahr noch Kohlrausch bei mir im Hause, der Sie ja, denke ich, in Weimar gesehen hat, und den Schiller sehr liebte. Tun Sie es, mein Bester. Über uns können Sie ganz gebieten, so einsam Sie wollen, und so viel in unserer Gesellschaft, als Ihnen lieb ist, leben. Wenn Ihnen Rom wirklich noch teuer ist, so laasen Sie sich nicht durch kleine Bedenklichkeiten abhalten. Ein Genuß, wie Natur und Kunst ihn Ihnen hier gewähren müssen, verdiente selbst, daß man ihm große Opfer brächte, und wie glücklich Sie uns machten, welchen neuen unbeschreiblichen Reiz Sie Rom für mich geben würden, sage ich Ihnen nicht, weil ich Sie nicht bestechen, sondern nur Ihnen anraten möchte, was ich rein und allein auch für Sie unendlich wohltätig halte.
Sagen Sie mir doch bald, ob sich unter Schillers Papieren noch etwas Unbekanntes erhalten hat? Ich glaube es zwar nicht, es war nicht seine Art, etwas lange liegen zu lassen. Es schmerzt mich jetzt, daß er in den letzten Jahren so wenig Prosaisches geschrieben hat. Der Schriftsteller spricht in der Prosa mehr unmittelbar sich selbst aus, und nach ihm, nach einem Laute seines Wesens sehne ich mich. Wie aber in Leben und Kunst alles so ewig unvollendet bleibt! Jedes Schauspiel Schillers ist eigentlich ein neuer Versuch; er ging immer von der Liebe zur Kunst, immer von dem Wunsche, ihr eine neue Seite abzugewinnen, aus, und kaum möchte ich sagen, daß die große Reihe seiner dramatischen Produktionen ein Resultat darüber vollendet hätte. In jedem ist ein sichtbarer Fortschritt, wenigstens immer einer, durch den man dem Ziele, das er sich vorsteckte, näher kommt; hätte er gelebt, er hätte endlich klar gesehen und sich bis zum Gipfel hinausgearbeitet; nach ihm, wer kann auf dieser Bahn weitergehen? In wem ist diese Verbindung kritischer und intellektueller Kraft? Es wäre schrecklich, wenn die deutsche Poesie ihren Zenit schon wieder erreicht haben sollte, da beinahe wir sie entstehen sahen. Und doch ist es gewiß so. Erhalten Sie sich jetzt uns, mein Teuerer. Verlieren auch wir Sie einmal, so ist überall Nacht und Verwirrung...
Von ganzer Seele Ihr
Humboldt.