Ricarda Huch
Die Verteidigung Roms
Ricarda Huch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Unter den Mauern eines weißen Palastes auf der Höhe von Velletri war ein alter Garten, den seit lange niemand mehr pflegte, so daß der ungehemmte Wuchs verwildernder Bäume dunkel über die einsamen Wege schwoll: dort wartete der Tod. Er kam mit der Nacht, zog, wie ein Raubvogel suchend, große Kreise über dem Garten und senkte sich langsam auf einen Orangenbaum, der neben vielen andern, die blühten, oberhalb einer breiten steinernen Treppe stand. Zwischen den Zweigen sitzend, warf er ein mondfarbiges Netz aus, das sich wie Spinngewebe über die Stufen der Treppe, eine flache, steinerne Bank, die, vom Fuße derselben nach beiden Seiten ausgehend, einen runden Platz umgab, und über einen Brunnen in der Mitte des Platzes legte. In dem Brunnen stand totes, grünes Wasser, und aus dem Gefüge seiner Steine krochen langsame Käfer und schleimiges Moos; der flachgewölbte Rand sah aus wie eine Schlange, die auf der runden Brunnenmauer läge. Der Tod hatte über eine Stunde gewartet, als aus den Straßen der unteren Stadt Lärm herauftönte; bald darauf erschien Masina über der Treppe des verlassenen Parkes und rief, zurückgewendet, andern, die hinter ihm waren, zu, sie möchten ihm folgen, er hätte einen geeigneten Platz gefunden. Angelo Brunetti, der ihm nachkam, wandte ein, die Orangen dufteten zu stark, allein da Masina sagte, das gefalle ihm eben, desto schneller würden sie berauscht werden, gaben sich alle zufrieden und lagerten sich auf den Treppenstufen und auf der Bank: es waren Ugo Bassi, Manara, die Brüder Dandolo, Morosini, Goffredo Mameli und viele andre. 181 Zunächst wurden einige unter der Führung Brunettis abgeschickt, um Wein herbeizuschaffen; sie trafen den Mohren, wie er gerade ein Faß in den Schloßhof rollte, und beredeten ihn, damit in den Park zu kommen, wohin sie auch den General einladen würden. Garibaldi war im Begriff, mit Nino Bixio den Tagesbericht zu verfassen, versprach aber, der Einladung zu folgen, wenn das Geschäft beendigt wäre und er sich hätte verbinden lassen; denn er war bei seinem Sturz an mehreren Stellen gequetscht worden. Niemand hatte vorher bemerkt, daß Garibaldi verwundet war. »Er ist in Wirklichkeit unverwundbar,« sagte Mameli bewundernd, »da er die Wirkung der Wunden aufheben kann, bis es ihm Zeit scheint.« – »Und nicht nur,« fügte Leutnant Bonnet von Ravenna bei, »daß er selbst einen stärkeren Geist des Lebens besitzt, er teilt auch denen davon mit, die um ihn sind, wie Erde und Meer eine elementare Kraft ausdünsten, die unsre Seele ermutigt.« Inzwischen hatte Brunetti das Faß geöffnet, und die mitgebrachten Gläser füllten sich mit dem schwarzen Saft von Velletris kahlen Hängen. »Der ist auf kochender Erde gewachsen; man könnte eine Liebesbrunst in den Steinen damit entzünden,« sagte Masina, indem er spielend die letzten Tropfen aus seinem Glase über die Treppe fließen ließ, auf der er lag. Hauptmann Laviron, ein Belgier, erzählte, was er von der Schönheit der Frauen von Velletri und der feurigen Natur ihrer Gefühle gehört habe, die sie nicht nur in der Liebe, sondern auch in unerbittlich schneller Rache zeigten, worauf Rozzat ein Abenteuer schilderte, das er eben, durch die steilen Gassen stürmend, erlebt habe, von einem aufklingenden Fenster, einem trotzigen Mädchenkopf und flüchtig gewechselten bedeutungsvollen Worten. Man lachte und neckte ihn; denn seine Freunde wußten, daß er, an die bürgerliche und kirchliche Strenge 182 seiner Vaterstadt Genf gewöhnt, einen gewissen Hang nach Ueppigkeit und Ueberfluß, ja Liederlichkeit hatte, obwohl er, auch mit ernstlichem Willen, den Ernst und die Reinheit, die in seinem Blute waren, nicht hätte von sich tun können. Er sehnte sich nach Liebe und verlor sein Herz leicht an reizende Mädchen, die, so teuer ihnen seine uneigennützige Sinnesart sein mochte, ihm niemals Gegenliebe schenkten; ob nun seinem Wesen die tierische Inbrunst fehlte, die bezaubert und beherrscht, oder ob sein Schicksal es aus irgendeinem allgemeinen Grunde so forderte. Er pflegte über dies Ungemach gegen vertrautere Freunde zu scherzen, so daß auch sie sich erlaubten, einen Gegenstand ihrer Späße daraus zu machen.

Brunetti erzählte, daß viele von den Männern in Velletri, besonders aber die Frauen, es mit den Räubern hielten, und wußte eine seltsame Geschichte von der Gattin eines päpstlichen Beamten; diese, Meladura mit Namen, sei die Geliebte des großen Räubers Straziante gewesen, was niemand bekannt gewesen sei, nur ihre Untreue habe man vermutet und hauptsächlich daraus geschlossen, daß sie in gewissen Nächten nicht nach Hause gekommen sei; denn ihrer Behauptung, ein heiliges Gelübde halte sie fern, habe niemand Glauben geschenkt. Seit der Zeit, wo sie sich verdächtigt fühlte, habe sie immer einen Dolch im Gürtel getragen, und niemand habe sich getraut, ihr ins Gesicht zu lachen oder zu spotten, selbst ihr Gatte sei ihr vorsichtig ausgewichen, anstatt sie auszufragen oder ihr zu drohen; sie sei auch über alle Maßen schön gewesen. Doch habe der Mann sich hinter den Priester gesteckt und diesen gebeten, das Geheimnis der Frau herauszubringen, für welchen Fall er, so sei behauptet worden, ihm freie Hand gelassen und in die Rechte des unbekannten Nebenbuhlers einzutreten gestattet habe. Dieser Geistliche 183 habe dann angefangen, bei der Beichte die Frau auf alle Art zu bedrängen und ihr, da sie seinen Listen unzugänglich geblieben sei, die Absolution verweigert und schließlich die Kirchentüre vor ihr geschlossen, worauf sie nachgegeben und den Namen des Straziante genannt habe. Darauf sei der Pfarrer heftig erschrocken, habe ihr mit beiden Händen Absolution für alles Vergangene und alles Zukünftige erteilt und dem Gatten empfohlen, er solle aufhören, die Frau zu belästigen, die zum Heile seiner Seele mühevolle Wallfahrten und andre heilige Uebungen anstelle und unter dem Schutze des Allerhöchsten stehe, seit welcher Zeit Meladura mit kaltem Lächeln und hohem Haupte unangefochten ihrer Wege gegangen sei.

Während die Römer lachten, ohne durch das Bild der stolzen Frau gerührt zu werden, bestürmten Laviron und Rozzat den Erzähler mit Fragen, wie lange die Geschichte her sei und ob die Wunderschöne noch lebe. Die Mailänder baten Goffredo Mameli, das Siegeslied vom 30. April vorzutragen, das er zum Gedächtnis hatte dichten wollen; aber er sagte, er habe es noch nicht machen können, weil, solange der Geruch von Blut und Frühling noch so stark um ihn lebendig sei, ihm nur Worte einfielen, die sich wie Taumel oder Wahnsinn läsen, wenn er sie niedergeschrieben hätte. Anstatt seiner sprach Ugo Bassi Verse aus einem Heldengedicht vom Siege des Kreuzes, das er als Jüngling gemacht hatte; denn er hatte Dichtungen und auch Musikstücke verfaßt, die er selbst auf der Geige mit unfehlbarer Wirkung, wie berichtet wurde, spielen konnte, hatte aber diese Künste, in denen er niemals Meister gewesen war, seit Jahren ganz vernachlässigt. Die Strophen, die er vortrug, enthielten einen Gesang zum Tode verurteilter Christen, die in ihrer letzten Marter eine Vision dem Schmerz entreißt: ihr von der Liebe durchzucktes Blut wird ein 184 Meer, das rächend die heidnische Welt verschlingt, und aus dessen befruchtetem Abgrund ein neues Rom wächst, ein ambrosischer Tempel, der alle Völker sammelt und unverrückbar wie die Sonne im Mittelpunkte der Menschheit steht.

Der kleine Luigi war während des Vortrages, an der Seite seines Vaters sitzend, eingeschlafen, der ihn nun mit Lorenzos Hilfe bequem auf die Steinbank legte, so daß sein Kopf auf Brunettis Schoße ruhte. Manara betrachtete den blonden Jungen und glaubte in seinem schlafenden Gesichte Aehnlichkeit mit einem seiner eignen Söhne zu finden, die freilich noch um vieles jünger waren. Lorenzo und andre von den Jüngsten gingen umher und füllten die Gläser; triefend von der Blume des Weines schwankte die Luft um die verschlungenen Baumkronen, die weich und dunkel wie Wolken über dem Garten hingen. Als Masina nach Musik verlangte, sang der Mohr ein Lied aus seiner Heimat von der Sonne, dem grausamen Löwen des Himmels, vor dem sich Menschen und Tiere zitternd verbergen, von seinem Kampf mit dem Meere, das ihn endlich verschlingt, und vom Tanz der weißen Rehe, der Sterne, über seinem unermeßlichen Grabe. Die Weise war eintönig und grell und erinnerte an das Gedröhn entfernter Trommeln. Im Anschluß daran fing er an zu tanzen mit wunderlich übertriebenen Gebärden, und Rozzat, der sich in allen körperlichen Uebungen hervortat, gesellte sich zu ihm und versuchte, seine Sprünge und Bewegungen nachzuahmen und zu steigern. Dem Wilden gefiel der kecke Partner, der, klein und zierlich, mit der Behendigkeit einer Wasserwelle um die felsige Masse seines unerschütterlichen Körpers herumschlüpfte. Aus dem Tanz wurde ein Zweikampf, bei dem die Gewandtheit des Genfers nicht übel gegen die Wucht des Schwarzen bestand; dieser machte sich 185 das Vergnügen, zuweilen den ernstlich Ergrimmten zu spielen und mit Zähnefletschen und brüllenden Lauten auf den Gegner loszugehen, dessen unwillkürliches Erschrecken ihn jedesmal zu Ausbrüchen riesenmäßiger Lustigkeit veranlaßte. Im zunehmenden Uebermut sprang Rozzat auf den hohen und schlüpfrigen Rand des Brunnens und lief geschwind und geschwinder im Kreise darauf herum, verfolgt von dem Mohren, im unsicheren Gleichgewicht über der modernden Tiefe schwebend, bis Manara, der ihn liebhatte und seinen Hang, in gefährlichen Kunststücken zu glänzen, mißbilligte, mit Gewalt herunterzog.

Dann mußte Manara singen; er stand im Rufe, eine schöne Stimme und meisterhafte Kunst des Vortrags zu besitzen, und man wußte, daß er die erlesensten Gesellschaften Mailands durch seine Musik verherrlicht hatte. Er sprang die Stufen der Treppe hinauf und sang, oben stehend, ein kurzes Lied von starkem tragischen Zauber, dasselbe, das er, wie man in Mailand wissen wollte, unter dem Fenster seiner Geliebten gesungen, wodurch er sie bewogen hatte, ihm trotz des Verbotes ihrer Eltern anzugehören, und das aus diesem Grunde das Lied von Carmelita Fé genannt wurde. Er hatte es seit den großen Tagen von Mailand nicht mehr gesungen, vermutlich, weil er sich durch solche Erinnerung an die zu Hause zurückgebliebenen Seinen zu erweichen fürchtete, und die Brüder Dandolo und Morosini blickten überrascht zu ihm hinauf. Es folgte dem Liede ein so gewaltsamer Beifall, daß er es wiederholen mußte; er sang es noch vollendeter als vorher, und es klang wie eine unentrinnbare Verführung, die Mond und Sterne vom Himmel herunter in den Schoß der Erde ziehen müßte. Man hatte den Eindruck, daß auf diese melodische Beschwörung etwas Wunderbares sich begeben müsse, und was nun geschah, erschien als ihre 186 natürliche Folge: es trat nämlich auf den schmalen Balkon vor einem Fenster des Palastes, dessen Rückseite an den verwilderten Garten stieß, eine Dame im weißen Gewande, von der nichts zu erkennen war als die schmachtenden Bewegungen ihres hohen Körpers. Einer flüsterte Manara zu, das sei der Preis seines Gesanges, er solle gehen und ihn in Empfang nehmen, andre dagegen baten ihn weiterzusingen, was er, ohne sich sonderlich um die Dame zu kümmern, tat. Dagegen bemerkte Masina gegen den Hauptmann Laviron, der ihm zunächst saß, er habe noch niemals eine so schöne Frau gesehen, ihre Erscheinung habe sein Herz blitzartig entzündet, er müsse sie kennen lernen, stand auch wirklich auf und sah sich nach einem Wege um, auf welchem er zu dem Palast gelangen könnte. Die es sahen, lachten, auch Manara unterbrach sein Singen; Laviron, den das Feuer Masinas begeisterte, füllte sein Glas, rief laut: »Es lebe die Schönheit!« trank es leer und warf es gegen den Rand des Brunnens, an dem es zersprang. Es schien, als ob die Dame den Ruf, und daß er ihr galt, verstanden habe, denn sie hob einen Arm wie zum Gruß und neigte sich ein wenig über die Brüstung des Balkons herab.

In diesem Augenblick klang durch die laubüberwölbten Wege des Gartens die Stimme Garibaldis, und alle horchten auf; auch der Tod rührte sich, so daß aus den Zweigen, zwischen denen er saß, vergilbte Blüten stürzten, und schwand ungesehen wie ein dunkler Rauch, der sich auflöst, über den Garten weg. Die Offiziere begrüßten den General, luden ihn zum Sitzen ein und boten ihm Wein an, doch lehnte er alles ab, da es zu spät geworden sei. Er sprach mit Manara über einige Beförderungen und Auszeichnungen bei den Bersaglieri, die er für tunlich hielt; vor allen Dingen aber wollte er Masina zureden, seine Reiter mit der italienischen Legion zu vereinigen und 187 ihre Führung zu übernehmen, wovon er sich, nachdem er die schwungvolle Unerschrockenheit und Sicherheit des üppigen Mannes an diesem Tage wiederum kennen gelernt hatte, außerordentliche Erfolge versprach. Allein es zeigte sich, als man Masina suchte, daß er nicht mehr da war, und auch der Balkon, wohin sich unwillkürlich alle Blicke richteten, war leer; das konnte freilich ein Zufall sein, wurde aber natürlicherweise mit Masinas Verschwinden in Zusammenhang gebracht. »Das ist ein Mann!« sagte Garibaldi zufrieden, als er hörte, um was es sich handelte, »nachdem er den Tag über sich geschlagen hat wie ein rasender Hirsch, geht er nach Mitternacht noch auf Raub aus.« Bald darauf verließen alle den Platz, und das raunende Atmen der Erde unter den brütenden Bäumen wurde wieder hörbar.

*

Während Garibaldi den König von Neapel über die südliche Grenze zurückwarf, kämpfte Mazzini auf diplomatischem Wege um das Dasein der Republik, indem er den französischen Gesandten, dem aufgetragen war, die Römer hinzuhalten, bis General Oudinot die erlittenen Verluste ergänzt hätte, zum Abschluß einer friedlichen Vereinbarung zu bringen suchte. Der Gesandte war ein Mann von Bildung und ungewöhnlicher Intelligenz, dazu besonders im menschlichen Verkehr von kindlich vornehmer Sinnesart, die nur gerade und ungerade Wege kennt, und für welche die letzteren nicht einmal in Betracht kommen. Während der ersten Tage hatte er sich dem Zauber einer edeln Leidenschaft, die von Mazzini ausging, sorglos hingegeben; denn scheinbar auf seine Ideen einzugehen, gehörte zu seiner Aufgabe, und er konnte demnach seine Freude an außerordentlichen menschlichen Existenzen mit dem, was seine Pflicht war, vereinigen. Dabei 188 jedoch wurde sein Gefühl für den großen Genuesen unvermerkt wärmer, und was noch schlimmer war, überzeugte sich seine Einsicht täglich mehr, daß alle Gründe, die seine Regierung vorbrachte, um ein bewaffnetes Einschreiten für den Papst zu rechtfertigen, hinfällig waren, und ein solches nur als Gewaltakt und Rechtsbruch in heuchlerischer Einkleidung durchgeführt werden konnte. Mazzini hatte ihn aufgefordert, sich nach Gefallen selbst in Rom umzusehen, ob die Republik eine wenigen von vielen aufgedrungene Gewaltherrschaft sei, ob Unordnungen und Unzuträglichkeiten herrschten, die das Eingreifen fremder Mächte für irgend jemand wünschbar machten, und der Gesandte mußte sich überzeugen, daß die Stadt gesunder Ruhe genoß, die nicht häufiger als in andern großen Städten gestört wurde, ja daß im ganzen die Bevölkerung durch ein starkes, einmütiges Wollen beseelt und erhoben schien, wie das in früherer Zeit in Rom nicht beobachtet worden war. Fand er sich Mazzinis Augen gegenüber, so kam es ihm selbstverständlich vor, auszusprechen, was er dachte, das Wahre wahr und das Schlechte schlecht zu nennen, und machte alle die Zugeständnisse, die jener haben wollte; war er dann wieder allein, so wurde ihm unbehaglich zumute, und er fragte sich, was daraus werden würde, wenn er den ihm von seiner Regierung angewiesenen Standpunkt so weit verließe. Schließlich aber blieben derartige Bedenken aus; er fühlte sich nun in Rom heimisch und empfand es als etwas Unerhörtes und Frevelhaftes, dies auf opferfreudigen Aufschwung und umfassende Gedanken begründete Gemeinwesen dem Pontifex und seinem rachsüchtigen Anhang auszuliefern. Zwar hielt er es nicht für wahrscheinlich, daß es dauern würde, doch erschreckte ihn der Gedanke, es könne sein Vaterland sein, das sich dazu hergäbe, und durch seine Vermittlung Henker der schutzlosen römischen 189 Freiheit zu sein. Auch sagte er sich, daß in Frankreich eine verkehrte Ansicht von dem Charakter der römischen Republik wirklich bestehe und Voraussetzung bei allen Handlungen gewesen sei, und tat sich sogar etwas darauf zugute, das Urteil berichtigen zu können und die Regierung vor schamloser Ungerechtigkeit zu bewahren. So setzte er denn mit Mazzini als Ergebnis langen Beredens und Abwägens einen Vertrag auf, nach welchem Frankreich auf eine bewaffnete Vermittlung zugunsten der Rechte des Papstes endgültig verzichtete.

Am Abend dieses Tages besuchte Mazzini die Fürstin Cristina Trivulzio, die nach dem Sturze Mailands Italien in Rom zu suchen gekommen war und den Mann, der in ihrer Jugend ihr Freund, Lehrer und Gefährte der Verbannung gewesen war, wiederzusehen wünschte. Aus sehr altem und ruhmvollem Mailänder Geschlechte stammend, fühlte sie gegen Oesterreich wie Macht gegen Macht, zum Hasse des herrschenden Fremdlings verpflichtet, und wie sie durch ihre Natur gezwungen war, alles, auch ehrlich Gefühltes, laut und weithin bemerkbar zu äußern, hatte sie infolge ihrer patriotischen Gesinnung mit ihrem Gemahl, der ebenso dachte, in die Verbannung ziehen müssen. Zwischen diesem und ihr hatte niemals ein inniges Verhältnis bestanden, vielleicht weil es beiden darauf ankam, von andern geliebt und bewundert zu werden. Sie besonders hatte die Sehnsucht, die eigne Kälte durch von außen dargebrachte Huldigung zu überwinden, und mußte, da dies unmöglich war, stets unbefriedigt bleiben. Konnte sie sich bei großen Aktionen zu großen Zwecken beteiligen, wo heroische Haltung und Gebärde angebracht war, fühlte sie die größte Genugtuung, deren sie fähig war, und schon das hätte sie in das Lager der Revolution getrieben, dem sie aber auch aus angeborener Gesinnung gehörte. So kraftlos ihre Beziehungen zu einzelnen ihr gleichstehenden oder überlegenen Menschen 190 waren, ebenso aufrichtig war ihre Liebe zur Menschheit, zu großen leidenden Massen und zu einzelnen Unterdrückten, wenn sie Gelegenheit hatte, sich hilfreich zu ihnen herabzulassen; in solchen Fällen war ihr uneigennützige Großmut natürlich. Diese Hilfsbereitschaft für die Notleidenden verband sie mit Mazzini, dessen Geist und Charakter sie außerdem als außerordentlich anerkannte. Auf der Terrasse des Palastes, den sie bewohnte, erzählte er von dem Erfolge seiner diplomatischen Verhandlungen und gab sich ausgelassen seiner Freude hin, während die Fürstin ihm gegenüber einsilbiger und starrer wurde; denn sie litt darunter, wenn jemand seine Stimmung aus einer andern Quelle als aus ihr schöpfte, und vor allem die Heiterkeit eines im Gleichgewichte schwebenden Gemütes verletzte sie unerträglich. Mazzini erriet, was in ihr vorging, und gab dem Gespräch eine Wendung nach der gemeinsam durchlebten Vergangenheit; er erinnerte sie an einen schweizerischen Beamten, mit dem sie wegen der beständigen Schwierigkeiten, die die österreichische Regierung ihr im Auslande bereitete, viel zu verkehren hatte, und der stets die Augen niederschlug, wenn er mit ihr sprach, und sorgfältig vermied, sie auch nur mit den Fingerspitzen zu berühren, weswegen ihre Freunde sagten, daß er sie für eine Teufelin halte, die ihn behexen könne; an einen Jüngling aus Mantua, der sie anbetete, und dem sie klagte, daß sie ihn nicht lieben könne, weil sein Geist dem ihren nicht gewachsen sei, was er ihr auszureden suchte, und an die Abende, wo sie zur Mandoline sangen und nach dem Gebirge blickten, das wie ein silberner Vorhang die schöne Bühne verhängnisvoller Leidenschaften, an der ihr Heimweh hing, verhüllte. »Erinnern Sie sich noch,« fragte Cristina Trivulzio, »an ein Mädchen, das Sie den ›Gast aus dem Paradiese‹ nannten, die nichts von unsern aufgeregten Kämpfen 191 und Hoffnungen wußte noch wissen wollte und glücklich war, wenn Vögel, Hunde, Katzen und Kinder sich um sie drängten und das Futter aus ihrer Hand nahmen? Und an ein Gedicht, das Sie damals machten, in dem Sie sich einem vergleichen, der an geöffneter Pforte steht, aus der ein Weg an silberblauen Kornfeldern und Rebengärten voll schwerer Trauben vorüberzieht und in einem kühlen Haine schwindet, wo die Geheimnisse der alten Götter sind, der dorthin möchte und zitternd seinen Genius fragte, ob er nicht dürfe?« Mazzini entgegnete mit erzwungenem Gleichmut: »Seither habe ich nie mehr ein Gedicht gemacht; aber wenn der Tag kommt, an dem Italien sein wird, will ich mich glücklich preisen, daß ich alle meine Kraft einem Werke gewidmet habe, an dem mein Volk mit mir schafft, wenn es sich auch von unserm Fleisch und Blut nährt und wächst und leuchtet.« Er bemühte sich, den Schatten zu verscheuchen, den die Erinnerung auf seine Seele geworfen hatte, aber es wollte ihm nicht gelingen. »Was kann es Ihnen ausmachen, Fürstin,« fragte er wehmütig, »daß Sie den Schmelz von den Flügeln meiner Freude greifen?« Seine Klage riß sie sofort zum feurigsten Mitleid hin, so daß sie die Mandoline wegwarf, auf der sie die Lieder aus der Zeit der Verbannung hatte zusammenbringen wollen, ihm beide Hände hinstreckte und mit mütterlichem Blick seine feine Gestalt umfaßte. »Wenn ich es wüßte!« sagte sie. »Vielleicht wollte ich Sie traurig sehen, weil Sie so am schönsten sind und ich das Schöne liebe. Ich darf es sagen, weil ich nicht zu jenen vielen Frauen gehöre, die sich in verliebter Andacht vor Ihrer unerschütterlichen Herrlichkeit winden; Sie werden es der Unglücklichen glauben, die verflucht ist, nicht lieben zu können, weil ihr um ein brennendes Herz eine kalte Schlange geschnürt ist.« – »Sie haben doch ein Kind,« sagte Mazzini. Sie machte 192 eine müde Handbewegung und sah ihn mit einem Blick voll schneidender Traurigkeit an, indem sie sagte: »Ich habe geküßt und mich küssen lassen, ich habe das Rasen der Leidenschaft nachgemacht, wie ich es von andern gesehen habe; aber meine Seele stand dabei und gähnte vor Langeweile. Am wenigsten empfand ich den Hohn und die Leere des Lebens, wenn ich Bücher schrieb, Dürftigen half, Kranke pflegte, die Wohlfahrt des Volkes und des Vaterlandes beförderte; doch habe ich Tage, wo ich mir mit meiner Beflissenheit vorkomme, als führte ich dem Teufel Seelen zu in der Hoffnung, selber von ihm frei zu werden.« Sie erzählte von ihrem Gatten, dem Fürsten Belgioioso, der die Frau eines andern aus Paris entführt und auf ein altes Schloß am See gebracht habe, wo er allein mit ihr und einem zuverlässigen Diener seit über einem Jahre sich aufhalte. Da lebten sie einer im andern, seine schöne Stimme, die die große Welt Europas bewundert hätte, sänge Liebeslieder, die nur sie hörte, die nur ihr gehörten; wie zwei Schwäne, die langsam mit steilem Halse über ein blaues Wasser rudern, glitten ihre Seelen wunschlos über den glatten Spiegel der gefangenen Zeit. Das Vaterland habe sich zum großen Kampf erhoben; aber vergebens hätten die Freunde an seiner Tür gerüttelt, seinen Namen gerufen, ihn an die Schwüre und die großmütigen Begeisterungen seiner Jugend gemahnt; er hätte das Blut seiner Gefährten jenseits der Mauern des immergrünen Gartens fließen lassen und, das Haupt in ihrem Schoße, zu ihr emporgelächelt und zu dem stillen Glanze der Gestirne, die sich wie Spiegelbilder ihres Glückes im ewigen Aether unveränderlich über ihnen drehten.

Die Fürstin sprach ohne Eifersucht und mit Verachtung des Mannes, der sich während der Heldentage seines Vaterlandes in einer Schäferei verborgen 193 hatte; dennoch malte sich in ihren großen Augen etwas wie Neid oder Sehnsucht, die ihre strengen und scharf gewordenen Züge weicher machte und ihr einen Schein der allzu heißen Schönheit ihrer Jugend wiedergab. Es hatten sich inzwischen mehrere Patrioten eingefunden, die zum Teil den Fürsten Belgioioso in vergangenen Jahren gekannt hatten oder doch von seinem wunderlichen Lebenslauf Bescheid wußten. »Wer seine Kraft in der Liebe verliert und Taten versäumt, um unter dem Monde zu schwärmen,« sagte Graf Campanello, »den soll man liegen und faulen lassen und nicht mehr von ihm reden. Im Leben ist jeder Soldat, und wer die Waffen wegwirft, des Todes würdig!« Mazzini sagte, es habe ihm in den letzten Jahren zu denken gegeben, daß von den Jünglingen, die sich vor fünfzehn Jahren mit überschwenglicher Hingebung um ihn geschart hätten, so viele abgefallen wären, einige, um dem einst verfluchten Gegner zu dienen, die meisten, weil sie den Glauben an sich selbst oder an ihre Ideale verloren hätten oder im Sumpfe des täglichen Lebens oder Wohllebens stecken geblieben wären. Dies sei eine natürliche Erscheinung, da dem leichten Aufschwung des drängenden Jugendsaftes eine dauernde Erhebung nicht notwendig folge; doch habe es den Anschein, als zeige sie sich bei den Italienern, die Gott mit eignen Fingern geformt, denen er aber seinen Hauch einzublasen vergessen habe, häufiger als bei andern Völkern. Die Fürstin entgegnete: »Einem andern ließe ich diese Worte nicht hingehen, aber da wir unter uns sind, will ich zugeben, daß ich schon ähnliches gedacht und erfahren habe. Wir sind wie die Schauspieler, die große Geschichten tragieren mit Dolch und Schminke und Tränen und, wenn sie sich genug erhitzt haben, die Perücke abwerfen, sich mit ihresgleichen an die volle Tafel setzen und schmausen und über die großartigen Redensarten, die sie vorher gemacht haben, 194 Witze reißen.« Es wurde davon gesprochen, wie die Eigenart der Italiener mit der Natur ihres Landes und ihrer Geschichte zusammenhänge, daß sie sich sowohl zu elendester Nichtigkeit und Schlechtigkeit wie zu höchster Tugend und Fülle entwickeln ließen, und daß auf die die Kraft erstickende Verweichlichung der Sklaverei die Wiedergeburt im Feuerbade der Freiheit folgen werde.

Mazzini vergaß, indem er den Freunden die Wege seiner Hoffnungen bezeichnete, den quälenden Eindruck, den er vorher empfangen hatte. Wenn er gesellig unter guten Bekannten war, kam gern seine spielende Jugend hervor, die in der eisernen Zeit des Kampfes und der Arbeit hatte abseits stehen müssen, und scherzte mutwillig ohne Anlaß mit sich selbst, auf dunkelm Grunde leuchtend. Als er nach Mitternacht heimging, floß durch die Gassen Roms, versteinerte Adern des uralten Herrscherhauptes, Mondschein wie unversiegbares Götterblut; es war ihm eine schauerliche Wollust, in der träumerisch spülenden Lebensumflut mitzuströmen.

Langsam fühlend, streiften seine Hände die Mauern und tauchten zärtlich in das kühle Wasser der Brunnen, an denen er vorbeikam. Er fühlte sich nicht mehr als Fremdling, sondern als Kind des Hauses, das mit geschlossenen Augen seiner Wege sicher ist.

*

Als der französische Gesandte mit dem Vertrage, der der römischen Republik Frankreichs Schutz in Aussicht stellte, im Lager Oudinots erschien, weigerte sich der General, denselben durch seine Unterschrift zu bestätigen, und gab ein höfliches Erstaunen zu erkennen, daß jener ernstlich auf eine Verwirklichung desselben gerechnet habe. Der Gesandte, welcher glaubte, daß Oudinot nur aus Eitelkeit den Kampf zu erneuern und bis zum Aeußersten zu treiben gedenke, damit 195 seine Niederlage über einem großen Siege vergessen werde, versuchte ihm zuzureden, indem er ihm ausmalte, wie schmachvoll es für Frankreich sei, sich mir salbungsvollen Heuchelworten zum Schergen päpstlicher Habgier zu machen; allein Oudinot schnitt seine Rede kurz ab und berief sich auf den Befehl der Regierung, die Republik auf alle Fälle, mit List oder Gewalt, umzustürzen und dem rechtmäßigen Herrscher, welcher der Papst sei, die Bahn zur Hauptstadt freizumachen. Das sei nicht möglich, rief der Gesandte wieder und wieder, da es dem Auftrage, den er empfangen habe, sich mit Rom unter gewissen Bedingungen freundschaftlich zu vereinbaren, widerspreche; mußte sich aber doch endlich vom Augenschein überzeugen lassen. Der unglückliche Mann fing an zu begreifen, daß er die Rolle eines geschickten Betrügers gespielt hatte und von denen, die er hatte ehren und lieben müssen, künftig als einer angesehen werden könne, der mit tückischem Schwatzen ein gefürchtetes Opfer beredet, sich selbst auszuliefern. Infolge seiner Behauptungen und Versprechungen hatte Mazzini es geschehen lassen, daß die Franzosen den Monte Mario nahe am Gebiet der Stadt besetzten, um nicht den Friedensschluß, der vorbereitet wurde, durch kriegerische Sprache zu hintertreiben, und somit, wie nun die Dinge lagen, Rom, das sich ihm anvertraut hatte, dem Feinde preisgegeben. In erster verzweifelter Ratlosigkeit fing er an zu bitten, wie er nie zuvor einen Mann gebeten hatte, daß Oudinot seine Ehre schonen und nicht angreifen, wenigstens warten möge, bis er selbst in Paris die römischen Verhältnisse geschildert habe; aber der General bat ihn ungerührt, nicht umsonst so viele Worte zu verschwenden. Außer sich, rief der Gesandte: »Wenn Ihr jetzt angreift, entgegen dem, was ich besprochen habe, bin ich entehrt und kann nicht länger leben;« worauf Oudinot geringschätzig antwortete: 196 »Das ist Eure Sache, meine ist es, Rom um jeden Preis zu unterwerfen. Ihr habt mir gut in die Hände gearbeitet, und die Regierung ist Euch zu Danke verpflichtet, auch wenn Ihr es ohne Absicht getan hättet.«

Oudinot war ein Mann von regelmäßigen, groben Gesichtszügen, in denen sich eine gewisse Tüchtigkeit, Hochmut und gänzlicher Mangel an höherer Vernunft aussprach; er trug den Kopf so, daß sein Hals stets in einem kleinen runden Wulst über den steifen Kragen hervorquoll. Der Gesandte begriff, daß nichts ihn würde bewegen können, von einer Unternehmung abzustehen, die ihm Lohn und Mehrung seiner Ehren versprach. Ganz still verließ er die Villa, die der General bewohnte, und begab sich nach Civitavecchia; nachdem er dort eine Weile durch die kleinen Straßen des Ortes auf und ab gegangen war, trat er, um dem Anblick seiner Landsleute zu entfliehen, die sich fast allein draußen zeigten, in ein Kaffeehaus, wo kein Verkehr zu sein schien. Es war ein großer hoher Saal mit Wänden, in die fleckige Spiegel eingelassen waren, und an denen sich Sofasitze, mit schäbig gewordenem roten Samt gepolstert, hinzogen; die Decke war mit Göttergeschichten bemalt. Er setzte sich in eine Ecke und ließ Kaffee und Wasser vor sich hinstellen; dann bemerkte er, daß in einer Ecke ein einzelner Mann saß, der eilig und aufmerksam Karten spielte und dabei zuweilen leise vor sich hin murmelte.

Diesen beobachtete er eine Weile; dann ließ er den Kopf in die Hände sinken und weinte. Er stellte sich Mazzini vor, wie er Oudinots Botschaft vom Wiederbeginne des Krieges erhielt und, an ihn denkend, ausrief: »Ein Spion! ein Betrüger!« Dann dachte er an seine Frau, seine Kinder, an Paris, an viele wichtige und gleichgültige Menschen und Dinge, wie ein Uebermüdet vor dem Schlafengehen noch in allen Zimmern etwas rückt und richtet ohne Ursache und Nutzen. Während 197 er so saß, trat ein ihm bekannter Offizier ein, der ihn erkannte, aber erschrocken zweifelte, ob er einen Mann, der augenscheinlich mit verzweifelten Gedanken allein sein wollte, grüßen dürfe; doch hatten sie bereits einen Blick gewechselt, und der Gesandte stand unwillkürlich auf, jener setzte sich zu ihm, so daß es zu einem Aussprechen über die letzten politischen Ereignisse kam. Das Gespräch beschwichtigte den Aufgeregten, und er beschloß, sofort nach Paris zu reisen und der Regierung die Gründe zu erklären, warum sie von einem Angriff auf die römische Republik absehen müsse, was er auch tat, ohne die Entwicklung der Angelegenheit im mindesten dadurch zu beeinflussen.

*

An dem Platz, wo die altberühmte Kirche Maria in Trastevere mit goldenem Stirnschmuck erglänzt, stößt das Kloster zum heiligen Calixtus, das von der Republik aufgehoben und den Soldaten zur Kaserne eingeräumt wurde, und von diesem aus verbreitete sich das Gerücht heimlicher Greuel und Blutgeruch. Es war dort nämlich eine Truppenabteilung einquartiert, deren Anführer Zambianchi war, ein eitler Mann, der von Kindesbeinen an nach Ansehen unter den Menschen trachtete, aber unscheinbar blieb, ja zuweilen verlacht wurde. In den letzten Kriegszeiten indessen hatte er sich hervorgetan, nicht so sehr durch schlichte Soldatentüchtigkeit, wie indem er Priester oder Bauern und Hirten aufjagte, ängstigte und quälte und auch wohl tötete unter dem Vorwande, daß sie Feinde der Republik wären, wobei er sich bald hochtrabender, bald gemeiner, mit grausamen Witzen gewürzter Reden bediente, die viele rohe und schwache Seelen vor Begeisterung und Mordlust taumeln machten. Er hatte auch Verbindungen mit den Republikanern in der Stadt, die der Ansicht waren, es müsse gründlich 198 aufgeräumt werden, und diese pflegten ihm alle anzuzeigen, die sie für verdächtig hielten, nämlich solche, die das von der Republik geprägte Geld nicht annehmen wollten, oder solche, die sich abfällig über das neue Wesen geäußert hatten, namentlich aber die Priester, und diese ohne Unterschied, wenn sie nicht beweisen konnten, daß sie das Papsttum verabscheuten und der Republik ergeben waren. Die Schuldigen, deren man sich bemächtigen konnte, was nicht leicht war, da es in großer Heimlichkeit vor der Regierung geschehen mußte, wurden in eine unterirdische Kirche gebracht, die unter dem Kloster war, in welcher die ersten Christen Gottesdienst gehalten und ihre Toten begraben hatten, dort bei Nacht von Zambianchi und einem kleinen Gerichtshof, den er aus seinen Anhängern bildete, verhört und im Falle sie zum Tode verurteilt wurden, sogleich gerichtet. Es befand sich unter der unterirdischen Kirche noch ein Raum, der der Ueberlieferung nach einem heidnischen Bacchustempel angehört haben sollte, und zu dem aus der Krypta eine Treppe hinunterführte; ehemals, wollte man wissen, wäre derselbe mit herrlichen Wandbildern von Göttern, Mänaden und Panthern geschmückt gewesen, und es lebten noch Menschen, die einen rätselhaften unvergeßlichen Kopf dort gesehen hatten, aber seit Jahrzehnten war Grundwasser hineingestiegen, so daß die versunkene Schönheit erloschen sein mußte, und ließ nur noch zwei Stufen von der Treppe sehen, auf der einst die Fremden mit Fackeln hinuntergeführt worden waren, um die Merkwürdigkeit zu sehen. Der Zugang zu der Treppe war durch eine schwere Falltüre verdeckt, und durch diese Oeffnung wurden die Verurteilten in das pechschwarze Wasser gestoßen, worauf die Türe wieder geschlossen wurde. In der ersten Nacht, nachdem Zambianchi wieder in der Stadt war, brachte jener Kutscher aus dem »Vereine der Söhne der Wölfin«, der 199 sich Mucius Scävola nannte, einen gefangenen Priester, nämlich Don Silvio, den Kanonikus von der Peterskirche, der sich vor Jahresfrist einmal durch einen Witz aus drohender Todesgefahr gerettet hatte und seither eher verwegener in seinen Ausfällen gegen die Republik als vorsichtiger geworden war. Als Don Silvio, der in den Katakomben, wohin man ihn sofort versteckt hatte, die Angst des Sterbens schon hundertfach erlitten hatte, sich dem Zambianchi gegenüber sah, schöpfte er neue Hoffnung, denn dieser sah freundlich und sanftmütig aus, ein kleines spitziges Bärtchen am Kinn kleidete ihn drollig, und er lächelte häufig, während er die Augen unsicher umhergehen ließ oder niederschlug. Er setzte sich hinter einen alten steinernen Altar, wie wenn es ein Tribunal wäre, und begründete zuerst, warum er sich die Gerechtigkeit angemaßt hätte, nämlich weil Mazzini zwar ein gutes, ehrliches Männchen sei, aber zu viel auf die Diplomatie halte, zu viel Rücksicht auf diesen und jenen nähme, vor allen Dingen aber zu abergläubisch sei, um der guten Sache zum Siege zu verhelfen. Also müsse das Volk selbst, das niemand fürchte, nichts wolle als die Republik und nichts anbete als die Freiheit, selbst über seine Angelegenheiten wachen, und im Namen des Volkes handle er. Darauf fing er an, Don Silvio zu verhören, wobei er im Flüsterton sprach und die Worte betrübt in die Länge zog, was in dem dunkeln und kalten Gewölbe einen schauerlichen Eindruck machte. Da er überführt war, bunte Bildchen an Frauen und Kinder verteilt zu haben, auf welchen der Papst hübsch und rosig, aber weinend in großer Bedrängnis dargestellt war, und welche die Umschrift trugen: »Betet für euern armen Vater in der Verbannung,« leugnete er dies nicht, sondern sagte, indem er seinen schlauen Aeuglein den Ausdruck kläglicher Dummheit zu geben suchte, er habe im guten Glauben gestanden, daß der Papst 200 wirklich ein armer, hilfloser Mann sei, weil man ihn so gelehrt habe, wolle sich aber gern eines bessern belehren lassen, wenn es sich anders verhalte. Man habe ihn wohl auch gelehrt, die Republikaner seien Teufel und Teufelssöhne und Höllenbraten, und wer einen umbringe, erwerbe sich einen Platz im Himmel, fragte Zambianchi lächelnd und bot dem Priester eine große Schnupftabaksdose an. Dieser bediente sich mit eifriger Höflichkeit und sagte, es sei wahr, gesagt habe man ihm das, er wisse aber nicht, was daran sei; wenn er, Zambianchi, ihm sagte, der Papst sei ein Teufelssohn und Höllenbraten und die Republikaner Christen oder Engel oder Türken oder Heiden, so wolle er alles miteinander glauben und weiter verbreiten, denn er scheine recht zu haben; wobei ihm die angeborene Pfiffigkeit und Schelmerei wider Willen aus dem zitternden Gesicht herausblitzte. Zambianchi wiegte den Kopf und sagte, es tue ihm leid, er hätte sich das Gesetz gemacht, Dummheit und Schwachsinn ebenso zu bestrafen wie das Verbrechen, denn mit dem dummen Bürger sei der Staat am meisten geplagt, er hindere den Fortschritt und beflecke die Kultur. Doch wolle er aus besonderer Mildtätigkeit den Versuch machen, ihn durch ein kaltes Bad zu kurieren, wenn die übrigen Richter damit einverstanden wären, worauf diese unter Kichern und wilden Späßen ihre Zustimmung erteilten.

Plötzlich veränderte Zambianchi seine Miene, die nun Schadenfreude und Wut ausdrückte, und rief mit erhobener Stimme: »Ersäuft die feige, lügnerische Pfaffenseele!« Im selben Augenblick packte Mucius Scävola, der Kutscher, der während der ganzen Zeit auf dem Sprunge gestanden hatte, damit ihm kein andrer zuvorkäme, den zeternden und zappelnden Don Silvio um den Leib und warf ihn mit gewaltigem Schwunge in das schwarze, hochaufspritzende Wasser, über dem zwei andre Männer die Falltür, die sie 201 inzwischen offen gehalten hatten, wieder schlossen. Nachdem dies geschehen war, lagerten sich alle um ein Faß Wein, das in einer Grabeshöhlung verborgen gehalten wurde, tranken und ergingen sich in ausgelassenen Gesprächen, deren Gegenstand hauptsächlich die Frösche waren, wie sie die im unterirdischen Wasser Ertränkten nannten: diejenigen, die noch gebunden in einer Ecke der Krypta des Gerichtes harrten, hießen Maulwürfe.

Zuweilen fiel es Zambianchi ein, den großen und gerechten Mann spielen zu wollen, und er ließ dann irgendeinen Gefangenen laufen, der einen Schwur tun mußte, nichts von dem, was er erlebt hatte, zu verraten; trotzdem drang manches von dem Treiben des Mörders in die Außenwelt, auch dadurch, daß manche von den Beteiligten, die ihre Scheußlichkeit für etwas Rühmliches hielten, sich prahlerischer Andeutungen andern gegenüber nicht enthalten konnten.

*

Aus dem Süden in die Stadt zurückgerufen, weil man des Angriffs der Franzosen gewärtig sein mußte, ritt Garibaldi allein, ungeduldig seinen Begleitern voraus, die Neue Appische Straße herauf gegen Rom. Der Tag war trübe und farblos, Himmel, Wolken, Erde und Steine schienen in unendlicher Müdigkeit erloschen; wie Kinder, die schlafen möchten und ihr Bett nicht finden und weinen, wankte die Luft über den steilen Grabtürmen und den langsam rückenden Schafherden. Da, wo, von drei Pinien umgeben, ein Brunnen stand und von der alten Straße her die Zinnen des Denkmals der Cäcilia Metella über die flachen Hügel starrten, ließ Garibaldi sein Pferd trinken und betrachtete unterdessen durch seinen Feldstecher die graue Stadt. Auf dem Monte Mario, wo die Franzosen sich festgesetzt hatten, sah er etwas, was vorher nicht dort gewesen war, nämlich die französische Flagge, die sie aufgehißt hatten, und obwohl er wegen 202 der trüben Luft nicht erkennen konnte, was es war, fiel ihm eine beunruhigende Ahnung aufs Herz, und er ritt schnell auf einen bewaffneten Posten zu, der nicht weit entfernt bei einem kleinen Wirtshause seinen Standort hatte. Von den Soldaten erfuhr er, daß während der Verhandlungen, die Mazzini mit dem französischen Gesandten führte, Oudinot den Monte Mario gerade oberhalb der Stadt besetzt habe, ohne daran verhindert zu sein, grüßte und ritt rasch weiter. Als er sich jedoch eine kleine Strecke entfernt hatte, hielt er sein Pferd an und blieb still mit dem Begriff des unvermeidlichen Schicksals, das ihm und Rom bereitet war, stehen. Da die Höhe, die die Stadt beherrschte, in der Hand des Feindes war, wußte er, daß nichts sie retten könne, und es war ihm zumute, als stände er nicht vor den Mauern der Republik, um sie zu verteidigen, sondern vor dem Grabe Roms und nähme für immer Abschied. Was nun kommen mußte, sah er klar, als wäre es schon geschehen: Kampf und Blutvergießen und Sterben der tapfersten Männer, Wehklage des Volkes, endlich das Unterliegen und die Rache des Siegers. Bisher hatte er nie anders gerechnet, als daß er, wie oft auch aufgehalten, sein Heer, das sich zu siegen gewöhnt hätte, gegen Oesterreich führen, Bologna und Mailand befreien würde; nun wußte er auf einmal, daß er wieder würde fliehen müssen, ein Heimatloser, mit Weib und Kind ein Bettler auf dem Meere.

Noch niemals war es ihm bange gewesen vor irgendeiner Aufgabe, vielmehr je schwieriger und aussichtsloser die Lage war, desto entschlossener hatte er seine Kräfte zusammengefaßt, um die äußersten Möglichkeiten der Rettung zu erkämpfen; aber den großen Untergang der Hoffnung seines Volkes auszuführen, fühlte er kein Herz in sich. Das liebste wäre ihm gewesen, mit seinem Pferd in eine der leeren 203 Grabhöhlen unter der Erde hinunterzusteigen, die hier und dort zu seinen Füßen das Gras überwuchs, und dort zu schlafen, bis es wieder Tag über Rom würde. Vor ihm war die Laterankirche mit den Steinfiguren der Märtyrer, deren titanische Leidenschaft in den aufgelösten Himmel starrte wie die großartige Gebärde überflüssiger Helden, die niemand braucht und niemand beachtet; er blickte daran vorüber auf die schwer im Feuchten schwimmende Stadt, die man ihm entreißen wollte. Er hätte sie gegen Frankreich und Oesterreich und Europa verteidigt und nichts gefürchtet; die Schwäche und Torheit derer, die seine Freunde sein sollten, überwand ihn. Bitterster Unwille zog seine Stirn zusammen; er hätte Mazzini die furchtbare Anklage ins Antlitz schreien mögen, daß er, der sich als Italiens liebendster Sohn, ja im Grunde als Italiens Schöpfer gebärde, Rom dem Feind in die Hände gespielt habe durch seinen hochmütigen und kindischen Wahn, einen kriegführenden Gegner durch hochherziges Vertrauen entwaffnen zu können. Das Herz schwoll ihm, er fühlte ein Brausen in allen Adern und wurde sich bewußt, daß er noch nicht alle seine Kräfte ausgeschöpft habe; das Gefühl war in ihm, daß, wenn er Roms Herr sein wollte, er es war und so, Roms Herr, es zu halten wissen würde. Da er das Traben von Pferden hinter sich hörte, drehte er sich um und erkannte mehrere seiner Offiziere, darunter Manara, Hofstetter, Nino Bixio und Mameli. Er teilte ihnen mit, was er soeben über das doppelzüngige Verfahren der Franzosen erfahren hatte, ohne sie aber merken zu lassen, für wie verhängnisvoll er es hielt, daß sie sich vor den Toren Roms eingenistet hatten; denn er wollte nicht, daß diese Jünglinge ohne Hoffnung in den bevorstehenden Kampf gingen. Selbst Manara, den die Mitteilung erschreckte, beruhigte sich wieder, als er in Garibaldis Gesicht sah; es blitzte von der 204 Kraft seines verdichteten Willens. Schwer sei es, sagte er, eine Stadt zu halten, auf die der Feind gleichsam schon die Hand gelegt habe; aber es zieme sich nicht, an einem Siege zu zweifeln, der notwendig sei. Sie müßten Rom befreien oder mit Italien untergehen, leben oder sterben; in solcher Lage dürfe man nicht fragen, was möglich sei, nur den eignen Untergang für unmöglich halten.

Sie hatten sich inzwischen dem Tore von San Giovanni genähert, an dem eine Menge Volk zusammengeströmt war, um den Sieger von Velletri zu empfangen; sowie sein Atlasschimmel sichtbar wurde, strömten sie ihm jubelnd entgegen. Daß seine Miene ernst und gebietend war, vermehrte die Begeisterung; sie hätten sich unter die Hufe seines Pferdes geworfen, um mit einem Male alles hinzugeben, was er verlangen könnte, wenn seine strenge und geheimnisvolle Hoheit sie nicht gebändigt hätte. Der Nebel verzog sich jetzt, und es fing an zu regnen; es schien, als stürzten sich die Wolken auf ihn herunter, um dem Herrn der Elemente gewärtig zu sein, dessen Gang Erde und Himmel erschütterte. Anstatt durch das Wetter verscheucht zu werden, sammelten sich mehr und mehr Menschen; sie wogten noch lange durch die rauschenden Straßen, nachdem der General schon in dem kleinen Gasthof, den er bewohnte, verschwunden war.

*

Angelo Masina hatte nach dem Wunsche Garibaldis den Befehl der italienischen Legion übernommen und wollte sich vom Petersplatze, wo er das Regiment hatte aufziehen lassen, zum General begeben, um ihm Bericht zu erstatten, als ihm ein geschlossener Wagen begegnete, aus dem ihm die Hand jener Dame, die er »Trovata« nannte, winkte, worauf er ohne Besinnen zu ihr einstieg und mit ihr weiterfuhr. Sie fuhren nach einem am Abhange des Aventin gelegenen 205 Palaste, der seit Jahrhunderten im Besitze der Könige von Neapel war, von diesen aber weder bewohnt noch verwaltet wurde, und zu dem sie, er wußte nicht auf welchem Wege, Zutritt hatte. Sie gingen die letzte Strecke zu Fuß, und sie öffnete selbst das Gartentor mit einem Schlüssel, den sie in der Tasche getragen hatte. Als sie die breite Treppe hinaufgestiegen und in einen weiten Saal gelangt waren, in dem nur ein großer Tisch aus Porphyr in der Mitte stand, warf sich Masina der Geliebten zu Füßen, zog sie an sich und bedeckte ihren Leib, der zitterte, mit Küssen. Dann führte sie ihn in ein andres Gemach, das kleiner und mit dunkelm Damast verhängt war, und in welchem Wein, Brot, Fleisch und Früchte durcheinander auf einen Tisch gehäuft waren; denn sie habe sich gedacht, sagte sie, daß er nach den Uebungen an dem heißen Tage müde und hungrig sein werde. Sie setzten sich an den Tisch und aßen und tranken, dazwischen leise flüsternd, bis es dunkel geworden war, und gingen dann in den Park, der die Glut des untergegangenen Tages in schweren Gerüchen auszuhauchen begann. Sie wanderten langsam die schmalen Wege, wo sie kaum nebeneinander gehen konnten, auf und nieder, er bestreute ihr braunes Haar mit Orangenblüten und sog den Duft der Blumen von ihrem Haupte, sie pflückten reife Früchte und ließen sie spielend vor sich her rollen. Plötzlich blieb sie stehen und fragte, ob er ihr treu gewesen sei; er schwieg betroffen und sagte dann mit zaghaftem Lächeln wie ein Kind, das unsicher ist, ob es mit einem Scherz der Strafe entrinnen wird: »Einmal hat es mir geträumt, daß ich eine andre liebte.« Sie sah ihn sinnend an, indem sie die Hände auf seine Schultern legte, preßte sich gewaltsam an seine Brust und küßte ihn unersättlich. Lange blieben sie still, als wenn sie zwischen den erhabenen Bäumen auch zwei wurzelnde Stämme wären, in denen 206 das goldengrüne Blut der Erde, von Lebenskeimkraft überströmend, mit unmeßbarem Umschwung kreise. Mond und Sterne waren inzwischen aufgegangen und standen über einem kleinen viereckigen Teich, den trümmerhafte Marmorfiguren umstanden. Das laue Wasser lockte sie, die Kleider abzuwerfen und zu baden; sie tauchten unter, ließen die Tropfen von Armen und Händen rinnen und verglichen ihre leuchtenden Glieder mit dem kühlen Blinken der schönen Steine. Nach Mitternacht trennte sich Masina von seiner Geliebten und eilte in den Gasthof, wo Garibaldi wohnte, um ihn trotz der späten Stunde noch zu sprechen.

Die Ordonnanz wollte ihn nicht vorlassen, da der General schlafe; allein Garibaldi war aufgewacht, erkannte Masinas Stimme und rief ihn an sein Bett. Bis vor kurzem, sagte er, sei Angelo Brunetti bei ihm gewesen und habe vieles und Wichtiges mit ihm beredet; es seien ungenügende Vorkehrungen getroffen, die Regierung verließe sich immer noch auf die Franzosen; er wollte mehr sagen, hielt aber ein, weil es ihm schien, daß Masina nur zerstreut zuhöre. Der gab es zu. »Wißt, General,« sagte er, »ich habe diese Nacht entdeckt, daß alles außer der Liebe Traum und Täuschung ist. Solange wir lieben, leben wir in Fleisch und Blut; was wir sonst tun, ist graues Schattenspiel, das in hastiger Verzerrung über kahle Wände zuckt. Ich begreife nicht, warum Manara, der eine wunderschöne Frau hat, wie man sagt, und jünger ist als ich, sie verläßt, um Kriegsabenteuer aufzusuchen, die ihm das Leben kosten können.« Garibaldi faßte ihn fest am Arme und sagte lachend: »Habt Ihr vergessen, daß Ihr jahrelang in Spanien waret und die Kämpfe eines fremden Volkes kämpftet? Und es ist acht Tage her, daß ich Euch mitten durch feindliche Kugeln reiten sah, als ob es Konfekt wäre, das schöne Frauen im Karneval Euch zuwürfen.« – 207 »Damals schien der Krieg mir herrlich, es ist wahr,« sagte Masina gedankenvoll. »Weiß Gott, was für ein Sturm einen treibt. Aber glaubt es mir, Garibaldi, ich wünsche mit aller Kraft meiner Brust, daß Oudinot seinen neuen Besuch noch eine Weile hinausschiebt, damit ich diesen vollen Becher, den ich angesetzt habe, nicht von den Lippen reißen muß.« Nachdem er den General noch um einige, die Legion betreffende Dienstsachen gefragt hatte, sagte er, er wolle nun schlafen gehen, es sei die zweite Nacht, daß er kein Bett sähe, und morgen früh um neun Uhr erwarte ihn die Geliebte in einer entlegenen Kirche zu flüchtigem Gruße. Er halte dafür, es sei besser, wenn auch der Waffenstillstand erst am folgenden Tage ablaufe, in dieser Zeit nicht zu fest und nicht zu lange zu schlafen, meinte Garibaldi, indem sie sich trennten.

Um diese Stunde besetzte das verräterische Heer der Franzosen den Garten Doria vor dem Tore von San Pancrazio, um die ahnungslose Besatzung der Villen zu überfallen, von denen nur wenige entkamen und ihr Entsetzen in die schlafende Stadt trugen.

*

Garibaldi hatte Pietro Ripari geweckt, damit er ihm die Wunden von der Schlacht bei Velletri verbände, was er seitdem jeden Morgen und jeden Abend tat, und dieser kramte zwischen seinem Werkzeug, ein wenig brummend, daß der General sich nicht ruhig halte und dadurch das Heilen der Wunde verzögere, als ein fernes Rollen im Westen der Stadt, wo der Kampf schon begonnen hatte, Garibaldi auffahren machte. In diesem Augenblicke stürzte Hauptmann Daverio zur Tür herein, das gute Gesicht in Flammen, und rief: »Die Fahne! Wo ist die Fahne?« Und Garibaldi, schon in den Kleidern, entgegnete: »Eile du zu Sacchi und Manara!«, wendete sich dann zu Ripari, der erschrocken und böse sein Verbandzeug 208 zusammenpackte, mit dem Auftrage: »Bringe die Fahne dem Masina, er führt heute die Legion an!« und sprang die Treppe hinunter und aufs Pferd. Der wilde Takt des sprengenden Tieres, dessen Hufschlag auf die Steine laut durch die Enge der Straßen hallte, schreckte die Schläfer aus den Betten; viele öffneten hastig das Fenster und blickten schaudernd dem unheilvollen Reiter nach.

Die jungen Offiziere von der Legion belustigten sich in der Kirche des Klosters, wo sie im Quartier lagen. Einer von ihnen hatte sich eine priesterliche Stola umgehängt, sich an den Altar gestellt und gebärdete sich, als ob er das Abendmahl austeilte; es war ein junger Mann von etwa achtundzwanzig Jahren, der Guido Vidomi hieß, aber mehr unter dem Namen »der Herzog von Aquileja« bekannt war, weil er, nach einer in seiner Familie bewahrten Ueberlieferung, in gerader Linie von den Fürsten abstammen sollte, die in den ersten christlichen Jahrhunderten dort herrschten. Sein Vater besaß ein kleines Bauerngut im Friaul und hatte seinen Sohn zu den landwirtschaftlichen Geschäften erziehen wollen; aber dieser hatte ein unruhiges Temperament und fand keinen Gefallen an der schweigsam dumpfen Tätigkeit, um so weniger, als sein Vater sie ihm mit kurzsichtiger Härte aufzwingen wollte. Guido konnte es ebensowenig unterlassen, zu widersprechen, wie sein Vater Widerspruch vertragen konnte, überhaupt hatten beide eine eigentümlich reizbare Veranlagung, infolge welcher sie, obwohl sie einander leidenschaftlich liebten, nicht miteinander leben konnten und der Junge schließlich, kaum zwölfjährig, fortlief, um sein Glück in der Welt zu suchen. Die Sehnsucht nach der großen Stadt führte ihn nach Mailand, wo er Hunger, Not und Einsamkeit litt, nach verschiedenen verfehlten Versuchen Barbier wurde und als solcher seinen leidlichen 209 Unterhalt fand. Um die politische Bewegung bekümmerte er sich nicht sonderlich, kämpfte aber doch während der fünf großen Tage auf den Barrikaden mit, wie er behauptete aus keinem andern Grunde, als weil er sich gern schlüge und sonst keine Gelegenheit, wenigstens keine Erlaubnis dazu hätte. Als er einmal Garibaldi gesehen hatte, ließ er sich sofort für die Legion anwerben und gab seinen Bekannten als Grund an, da er seine Gefühle nicht gerne merken ließ, daß sein Geschäft nichts mehr eintrüge, seit die Revolution gesiegt habe und jeder sich den Bart wachsen lasse; es bezeichnete nämlich damals das glattrasierte Kinn den Anhänger des Alten, der Vollbart den Patrioten, so daß ein solcher oft genügte, einen Mann den Regierungen verdächtig zu machen. Im Dienste tat Vidomi seine Pflicht und zeigte sich in der Schlacht oft tollkühn; aber er war unberechenbar und vereinigte maßlosen Ehrgeiz mit spöttischer Gleichgültigkeit, so daß seine Vorgesetzten, obwohl sie ihm besonders wohlwollten, ihn nur bis zum Korporal hatten bringen können. Er war bei allen beliebt, so wunderlich er war; zunächst zog sein gefälliges Aeußere an: der feine Schnitt des Gesichtes, der Mund, der ebensosehr kindlichen Liebreiz wie harmlose Schelmerei ausdrückte und ein unschuldiges Herz verriet, das er meistens hinter kecken Reden zu verbergen suchte. Durch sein Talent, mit Holzpuppen komische Aufführungen zu veranstalten, verkürzte er den Kameraden oft die Zeit, überhaupt war er in Gesellschaft immer unterhaltend und unerschöpflich an überraschenden Einfällen, nur allein war er melancholisch; freilich wollte niemand daran glauben, auch nicht daran, daß er jung sterben werde, wie er zuweilen sagte. Er habe keinen andern Grund, davon überzeugt zu sein, sagte er, als daß Gott, wenn er erst einmal aufmerksam auf ihn geworden wäre, ihn 210 zu sich kommen lassen würde, um sich vom Herzog von Aquileja die Haare besorgen zu lassen. »Das wird endlich eine Stellung sein,« sagte er, »die meiner Art und Herkunft würdig ist. Wenn ich eure Köpfe bearbeite, ist es im Grunde ebenso, als ob ich Rüben rodete, wenn ihr auch die Herablassung nicht empfindet, die darin liegt, daß ich euch frisiere; aber auch Herkules diente und wurde dabei immer größer, bis er als Halbgott in den Olymp ragte.«

Nun spielte er die mäßige Salbung eines gewiegten Pfaffen mit so viel Witz, daß eine ganze Schar sich um den Altar gesammelt hatte, die lachend zuhörte und Beifall klatschte. Mameli, den sein gelocktes blondes Haar und die empfindungsvolle Beweglichkeit der Züge dazu geeignet machten, kniete als Nonne vermummt in einem Beichtstuhl, aus dem Nino Bixio, der den Beichtvater vorstellte, allerlei Unfug hervorpredigte. In dies Getöse donnerte die Orgel, die Gaetano Bonnet aus Ravenna gewaltig spielte, eigentlich aus Uebermut, um die Tollheit zu steigern, aber immer wieder von der Pracht des Instruments so hingerissen, daß er aus chaotischem Brausen reine Fugen oder Choräle hervorgehen ließ.

Wie die Trompete des Meergotts, der dem Getümmel unbändiger Wellen Ruhe gebietet, durchdrang Garibaldis Stimme das Lärmen: »Nach St. Peter. Der Feind ist vor Rom!« Im Nu flogen die Umhänge und Kapuzen von den flinken Jünglingsgestalten, und die Kirche blieb leer und still, nur daß etwa noch ein Knistern durch den Brokat der Priestergewänder lief, die, achtlos weggeworfen, auf dem Boden rutschten.

Garibaldi ritt weiter, allen voran, dem Peterplatze zu; aber unterwegs fing er an zu zweifeln, ob ein Ueberfall in die Flanke des Feindes noch Erfolg haben könne, und kaum dort angekommen, kehrte er 211 wieder um und riß die Legion, der er begegnete, mit nach dem Tore San Pancrazio, um den verzweifelten Sturm in die Stirne des Siegers zu wagen. Auf der Höhe des Janiculus sah er, daß das Schlimmste, was er gefürchtet hatte, geschehen war: das »Haus der vier Winde«, das den Park beherrschte, und alle andern Villen vor dem Tore bis auf das Vascello waren vom Feinde besetzt; es galt also zugleich, dieses zu halten und jene zurückzuerobern; und beides auszuführen, hätte es einer weit größeren Truppenzahl bedurft, als ihm zu Gebote stand. Masina, der fast gleichzeitig mit Garibaldi zur Stelle war, strahlte vor Zuversicht wie ein Gott aus den Wolken, der die Schlachten der Menschen mit seinem Wink entscheidet; indessen als er sich fragend gegen den General, der eben die Befehle ausgab, wendete, stutzte er über den strengen Ausdruck in dessen Gesichte. »Wir müssen die Corsini zurückerobern und das Vascello halten, sonst ist Rom verloren,« sagte er ruhig und betraute Sacchi mit der Verteidigung, Masina mit dem ersten Angriff. Dieser versuchte mit ein paar scharfen Blicken sich die Lage klarzumachen, dann sammelte er seine Reiter und einen Teil der Legion, stellte sich an ihre Spitze und ritt galoppierend den etwas ansteigenden Weg zum Palaste hinan. Hinter den Büschen und Bäumen hervor, die den Weg bekränzten, pfiffen Kugeln, das Haus selbst schien in einen nach allen Seiten feuerspeienden vulkanischen Berg verwandelt zu sein: an den Fenstern und auf den Terrassen standen Soldaten, die fast ungestört zielten und schossen. Draußen diente eine steinerne Balustrade, die sich zu beiden Seiten der Villa hinzog, und auf welcher in Töpfen Zierpflanzen standen, Palmen, Hortensien und Tuberosen, vielen Schützen zu bequemem Versteck. Je näher die Angreifenden kamen, desto dichter sausten die Kugeln um sie; in die Tür 212 des Hauses einzutreten, war nicht anders, als wollte man in die Mündung einer geladenen Kanone hineingehen. Vor der breiten Freitreppe angekommen, drehte Masina sich um, rief mit lauter Stimme: »Mir nach!« und gab seinem Pferde die Sporen, worauf es stolz und prächtig wie ein Pfau die flachen Stufen hinaufstieg. Gegen die Jäger, die aus ihrem Versteck hervorkamen und sich ihm entgegenwarfen, verteidigte er sich eine Weile mit dem Säbel; aber währenddessen trafen ihn mehrere Kugeln so, daß er, augenblicklich tot, auf der Schwelle des Palastes vom Pferde stürzte. Die Legion drang in das Haus und brachte mit der Heftigkeit ihres Angriffs die Besatzung ins Wanken, doch da ihre Zahl gering war und Zuzug nicht kam, mußten sie sich wieder zurückziehen, um nicht aus Siegern zu Gefangenen zu werden; nicht einmal der Leichnam Masinas wurde dem Feinde entrissen.

Nachdem der Angriff zurückgeworfen war, ließ Garibaldi ihn durch die Bersaglieri erneuern, die eben anrückten, verspätet, weil ein Befehl Rosellis ihnen erst einen andern Platz angewiesen hatte; er verlief wie der erste. Auf das wiederholte Nachsuchen Garibaldis um mehr Truppen antwortete der Obergeneral, daß er keine entbehren könne, weil auch an der Milvischen Brücke gekämpft werde; so mußte Garibaldi sein Heer opfern. Er hielt am Tore und entsandte die Scharen, die verfügbar waren, gegen die uneinnehmbare Festung; keiner zögerte, keinem graute, sie waren nichts als die Atemzüge der mächtigen Seele, die mit dem verhängten Schicksal rang. Um Mittag schlug eine Flamme aus der Villa Valentini, die auch in den Händen der Franzosen war, wahrscheinlich durch kühne List der Römer entzündet, und Garibaldi wollte die Verwirrung, die infolgedessen unter dem Feinde entstand, zu einem 213 nochmaligen Sturm gegen die Corsini benutzen. Da es sich zeigte, daß die Mehrzahl der Offiziere kampfunfähig waren, Daverio tot, Gaetano Bonnet, Dandolo tot, Marochetti, Mameli und Nino Bixio, Rozzat und viele andre verwundet, stellte Garibaldi selbst sich an die Spitze des Haufens; sie warfen sich über die gefürchtete Straße mitten in das Haus des Todes, das der entsetzte Feind preisgab, und noch einmal wehte Italiens Fahne vom Turme der Vier Winde, aber sie waren zu wenige, um das erstrittene Gebäude verteidigen zu können, und verließen es, bevor die Uebermacht des Gegners sie ganz vernichtet hätte.

In vielen Kirchen lag das Volk auf den Knien und betete.

Der Mai ist aus, die Sonne tritt auf das Schlachtfeld, um das Heer des Frühlings zu töten. Mit kupfernen Sohlen zertritt sie die Anemonen, die Narzissen und Lilien auf den Wiesen, mit rotdampfendem Atem haucht sie den Flor der Akazie und die Blume der Orange von den Zweigen. Sie saugt mit metallenen Lippen den Saft aus den Adern der Erde, das Gras auf den Hügeln, über die sie schreitet, verdorrt, das Gelock der Bäume ergraut. Die Löwin reckt sich zur Jagd, sie schlägt die Zähne in die Brust der Männer, Wunden springen auf mit roten Kelchen, aus denen schwarzer Nektar fließt. Da entbrennt sie vom Blute des Frühlings und der Freiheit, es trieft aus ihrem donnernden Rachen, von ihrer lodernden Klaue, sie dürstet. Wer gebietet dem rasenden Sterne Halt?

Dein Herz, Garibaldi, ist fest und groß und warm wie die Sonne, du hast das Meer und den Sturm nicht gefürchtet, du streitest um Italien gegen den Himmel. Die Luft dröhnt vom Zorne der ringenden Löwin, die ihre Beute nicht lassen will; satt und müde neigt sich die Unbesiegbare in die Tiefe der 214 Wüste, langsam verbleicht der gelbe Schein ihrer Mähne am Horizonte.

Am Tore Roms steht Garibaldi und wacht. Wenn der Tau der Nacht versiegt ist, wird sie wieder heranschleichen, die Raublüsterne, Tag für Tag, und ihre Feuerzähne in die Brust der Tapferen schlagen, bis das Heer des Frühlings zerrissen ist.

Unsre Sonne warest du, Garibaldi, gegen die Sonne: du stehst fest, während die Sterne rings um dich auf- und untergehen. Du gehst nicht unter, du gehst nicht unter, wir nur versinken; wenn wir uns wieder erheben, werden wir dein Herz von Roms Hügeln strahlen sehen: es liegt wie ein Löwe über dem Grabe Italiens und hält Wache.

*


 << zurück weiter >>