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In dem ödesten Teil eines furchtbaren Gebirges, das die Küsten des Adriatischen Meeres beschattet, lag das uralte Dorf Morimont, ein Haufe von Hütten, wo versteckt unter andern Familien die Nachkommen der Könige lebten, die einst Land und Meer weit hinaus beherrscht hatten. Das Volk selbst behauptete, von den Ureinwohnern des Landes, nämlich den Liburnern, abzustammen und das Reich an die Römer verloren zu haben, in Wirklichkeit mochten sie wendischen Ursprungs und von Ungarn oder germanischen Franken zurückgedrängt worden sein. Die an der Küste und auf den Inseln ernährten sich vom Fang der Fische, Austern und Schwämme oder arbeiteten auf den Schiffswerften; die im Gebirge und namentlich die Bewohner der sogenannten verlorenen Berge, wo Morimont lag, lebten in schrecklicher Armut als Steinklopfer oder Jäger. Auch verfertigten einige Frauen altertümliche Webereien und Stickereien, Künste reicher Vergangenheit, die langsam mit den Geschlechtern zu Grunde gingen.
Keiner lebte in solcher Verwilderung und Dürftigkeit wie der König, dessen Ahnen die mächtigen Stämme glorreich regiert hatten. Als das Volk, so überliefert die Sage, besiegt und geknechtet war, hörte es doch nicht auf, die Wiederherstellung seiner Herrlichkeit zu erhoffen, und bewahrte der gefallenen Königsfamilie, mit der es die Herrschaft unauflöslich verbunden glaubte, wankellose Treue. Damit aber der Verdacht der Sieger, die dem Könige und seinem Geschlecht nach dem Leben stellten, nicht auf den rechten falle, trugen sie Sorge, daß er ihnen durch kein äußeres Hervorragen in die Augen steche und wiesen ihn in die Niedrigkeit, ja sie behandelten ihn besonders bei öffentlichen Gelegenheiten anstatt ehrerbietig herablassend und geringschätzig wie einen Rechtlosen. Entschädigung für solche Bitterkeiten waren anfänglich gewisse Abgaben an Nahrungsmitteln, Eiern, Schafen, Ziegen, Hühnern und Wein, und eine feierliche Huldigung, die nicht nur beim Antritt einer Nachfolge, sondern jedes fünfte Jahr in tiefster Heimlichkeit und unter alten, seltsam unverständlichen Gebräuchen geleistet wurde. Bei dieser Gelegenheit schmückte den unglücklichen König eine goldene Krone, schwarz von Alter und ungestalt, die zu verwahren und gegen Räuber bis zum Tode zu verteidigen sein Amt war. Hätte er sie sich entwenden oder entreißen lassen, wäre das Volk befugt gewesen, ihn ohne Urteil zu töten. Mit der Zeit kamen Abgaben und Huldigung außer Uebung, aber die Gewohnheit blieb, die Familie des Königs als eine von den übrigen abgesonderte anzusehen, an der jede böse Lust ungestraft ausgelassen werden durfte.
Daß das Geschlecht des Königs diesen Unbilden nicht erlag, sondern sich bis in die neueste Zeit erhielt, rührte von einer ihm eingeborenen Kraft und Ehrliebe her, die es vor Kleinmut oder Laster schützte. Lastari, der letzte König, arbeitete als Taglöhner in den ungeheuren Steinbrüchen des Gebirges, hatte aber, wie er auch äußerlich groß, breit, feueraugig und wildblickend war, einen höheren und trotzigeren Sinn als seine Vorfahren, verschmähte seine niedrige Beschäftigung und nährte heimlich einen ruhelosen Drang in die Welt hinaus, weniger um ihre Freuden zu genießen, als um zu lernen und durch Kenntnisse und Geschicklichkeit Macht zu erwerben. Was ihn einigermaßen bändigte und zurückhielt, war die Liebe zu einem Mädchen, Namens Rojenice, die er auch heiratete und fortwährend so verehrte, daß er Wildheit und Eigenwillen ohne weiteres unter ihrem freundlichen Wunsche beugte. Sie stammte aus einer Familie, die nicht in Morimont, sondern in einer fruchtbaren Talsenkung des Gebirges ansässig war, von jeher dem Königsgeschlechte Frauen geliefert und ein großes Ansehen genossen hatte. Nicht lange nachdem Rojenice dem Lastari drei Kinder, ein Mädchen und zwei Knaben, geboren hatte, starb sie, aufgezehrt noch mehr von der ungezähmten Leidenschaft des Mannes als von der Härte ihres armseligen Lebens. Lastaris Schmerz über den Todesfall äußerte sich als eine Gemütsverwirrung, die bald in gefährlicher Raserei ausbrach, bald in brütende Traurigkeit überging und den Leuten Gelegenheit gab, sich wegen der Furcht, die er ihnen früher eingeflößt hatte, an ihm zu rächen. Sie sperrten ihn nämlich, damit seine Tollheit keinen Schaden stifte, in einen finsteren, schmutzigen Stall ein, wo sie ein paar magere Schweine fütterten, versorgten ihn nachlässig mit Brot und Wasser und beantworteten seine Drohungen, Klagen und Vorstellungen nur mit Beschimpfung und Neckerei. Indessen rettete ihn nach kurzer Zeit seine neunjährige Tochter Surja, die inzwischen die beiden Kleinen, den siebenjährigen Lasko und den zweijährigen Dragaino, wie eine Mutter gepflegt hatte; sie ging zu dem Stalle hin, wo er war, und schalt die Leute, die sich ihr in den Weg stellten, mit so herrischen Worten, daß sie sich verwundert und gedemütigt zurückzogen und zusahen, wie sie den Vater herausließ und davonführte. Noch in derselben Nacht erhob sich aber ein erbitterter Streit zwischen ihm und dem mutigen Kinde, da er augenblicklich mit ihr und beiden Söhnen fort, aufs Geratewohl in die Welt wollte. Er wußte, daß er, wenn er länger im Dorfe bliebe, Rache an seinen Peinigern nehmen würde, und wollte sich selbst vor der Mordlust schützen, die in ihm bohrte, außerdem aber überhaupt dem alten Wanderdrange folgen, nun ihn nichts mehr an die verhaßte Umgebung fesselte. Surja hingegen glaubte den Ort, wo sie geboren und wo ihre Mutter begraben war, wo die Geister der Könige in heiligen Mitternächten die verborgene Krone suchten und segneten, nicht verlassen zu dürfen, und setzte ihren Willen mit sanfter Hartnäckigkeit dem Vater entgegen. Zwar mußte sie ihm wohl oder übel den langen, beschwerlichen Weg zur Küste hinunter folgen, als aber gegen Morgengrauen Lastari unweit des Meeres Halt machte und einschlief, verließ sie ihn, um unbemerkt den Rückweg nach Hause anzutreten. Ihr bitterster Schmerz war, daß sie Lasko nicht mitnehmen konnte, der wohl auch lieber in Morimont geblieben wäre, sich aber doch von seinem Vater nicht hätte trennen lassen; ohne Dragaino indessen, den Kleinen, der der Mutterpflege noch nötig bedurfte, würde sie nicht gegangen sein. Also nahm sie das schlafende Kind auf den Arm und schleppte sich den hohen breiten Berg wieder hinan in die Einöde, während Lastari und Lasko ungestört weiterschliefen. Der durch die vorangegangenen Leiden und Aufwallungen erschöpfte Mann schlief so fest, daß erst um die Mittagszeit Laskos Weinen, der, erwachend, Surja und Dragaino vermißte, ihn weckte. Er begriff sogleich, was das Mädchen getan hatte, beschloß aber trotzdem, ja eigentlich nun erst recht, seinen einmal gefaßten Plan auszuführen. Um seine Kinder bangte er nicht; denn er vertraute der stillen Kraft des zarten Kindes Surja unbedingt und wußte, daß die Anverwandten seiner Frau sie nicht im Stiche lassen würden.
Es wurde dem schönen, kräftigen und begabten Manne nicht schwer, Arbeit und guten Lohn zu finden; nachdem er eine Zeitlang an einer Werft tätig gewesen war, fand er Anstellung bei einer Marmorfabrik in Italien und brachte es bis zum angesehenen und einträglichen Posten eines obersten Aufsehers. Allein sein Stolz und sein Drang, überall der erste zu sein, wenn sie ihm auch vorwärts halfen, verwickelten ihn oft in Mißhelligkeiten mit seinen Arbeitgebern, was zusammen mit Wanderlust und Heimweh ihn nirgends zufrieden werden und festwurzeln ließ. Im Grunde betrachtete er jeden Ort nur als Aufenthalt auf dem Wege zur Heimat, die er mit Worten stets herabsetzte und verfluchte, und wohin er um keinen Preis zurückkehren wollte, bevor er Reichtum und Ansehen gewonnen hätte. Ganz anders geartet war der arme Lasko, dem es, da er das steinerne Haus in den verlorenen Bergen hatte verlassen müssen, nur darum zu tun war, irgendwo bleiben und heimisch werden zu dürfen. Sein mutterloses Herz suchte nach einer weichen, starken Erde, wo er einwachsen könnte, die alle seine Freuden und Sorgen tragen, und in der er einst begraben liegen würde; die trübste Stätte, wenn er eine Zeitlang dort gewohnt hatte, vermißte er mit lange nachhaltendem Weh, und der Anblick einer neuen Umgebung, mochte sie noch so schön sein, verursachte ihm Traurigkeit, bis er sich wieder gewöhnt hatte. Auf derartige Gefühle seines Sohnes nahm Lastari keine Rücksicht, wie er denn überhaupt seinen Willen allem voransetzte und ganz besonders dem kleinen Lasko, der ihm den seinigen von jeher ohne weiteres unterworfen hatte. Gerade das setzte Lasko in seines Vaters Augen herab, der im Gegensatz zu ihm Surja, die eigenwillige, und Dragaino, den jüngsten, zu rühmen pflegte. Lasko grollte seinen Geschwistern deswegen nicht, sondern stellte ihr Bild in seinem Herzen neben dem seines Vaters auf und schmückte sie mit den bunten Kleinodien seiner Phantasie. Er hätte sich weit unglücklicher gefühlt, wenn er diese verklärten Gestalten nicht in seinem Innern besessen und ihnen die Andacht seiner Seele verstohlen hätte darbringen können. Nur zuweilen, in einigen gewaltsamen, ihm selbst unverständlichen Augenblicken, war es ihm, als müsse er sich ihrer erwehren und als quäle ihn schauriger Haß gegen seinen Vater und gegen sie, der sich dann auch wohl in besinnungslosen Zornesausbrüchen entlud.
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Auf seinen Wanderungen kam Lastari nach Mexiko, wohin ihn die Hoffnung, in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen, und die Begierde nach Wechsel getrieben hatten. Er ließ sich in einer stark bewohnten, aber noch kulturlosen Gegend nieder und begründete dort eine Färberei, die schnell erstaunlichen Aufschwung nahm und ihm den erwünschten Reichtum zuströmen lassen zu wollen schien. Er war damals etwa zweiundvierzig Jahre alt, arbeitskräftig, erfindungsreich und betriebsam, wenn es galt, einen Einfall durchzusetzen; jedoch ließ sein Eifer nach, wenn das Unternommene in gutem Gange war, worauf dann gewöhnlich eigennützige oder gleichgültige Angestellte an das Ruder kamen und den Gewinn einsteckten oder verzettelten. Hier war es aber noch etwas andres, was seinen Niedergang herbeiführte: er verliebte sich nämlich in eine schöne Kreolin und heiratete sie, ohne Anstoß daran zu nehmen, daß sie aus einer früheren Verbindung schon eine Tochter, namens Madurre, hatte, die um einige Jahre jünger als Lasko war.
In späterer Zeit sagte sich Lastari, er habe diese Heirat gemacht, um Lasko eine Mutter zu geben; doch trug die Frau nicht nur keine Sorge für den Knaben, sondern, wenn sie ihm auch nicht geradezu nach dem Leben stellte, suchte sie ihm doch auf alle erdenkliche Art zu schaden und verderblich zu werden.
Einmal, bevor die Ehe geschlossen war, saß die Braut mit Lastari und mehreren Freundinnen in einer Veranda vor dem Hause und suchte Lasko, der sich wortkarg und spröde gegen sie betrug, unter Scherzen und Schmeicheleien eine Liebkosung abzulocken. Der Vater, verliebt und frohgelaunt, erging sich in derben Neckereien, die den empfindlichen Knaben reizten, während die Mädchen sie desto herzhafter belachten. Nun stellte sich die künftige Stiefmutter, als mißbillige sie Lastaris grobe Späße, und der ernsten, warmen Zärtlichkeit, die sie vorspiegelte, und ihrer Schönheit gelang es, ihn unvermerkt dahin zu bringen, daß er sie um den Hals faßte und auf den Mund küßte. Sowie das geschehen war, triumphierte sie laut, daß sie den Widerspenstigen gefangen hätte, und Lastari und die Mädchen brachen in schallendes Gelächter aus. Im selben Augenblick entriß sich Lasko ihren Armen, indem er sie mit Kraft vor die Brust stieß, sprang die Veranda hinunter und warf sich mitten in einen Kanal hinein, der vor dem Garten floß. Noch lachend, da eine ernstliche Gefahr des Ertrinkens nicht vorlag, eilte Lastari ihm nach, fand es aber schwerer, als er gedacht hatte, den Jungen herauszuziehen, denn er setzte sich zur Wehr, schlug mit Fäusten auf seinen Vater los und suchte ihn mit einer Kraft, die er ihm nicht zugetraut hatte, unter Wasser zu halten. Dabei war sein schmales Kindergesicht weiß, und seine Zähne knirschten aufeinander. Dank seiner überlegenen Stärke wurde Lastari des Knaben doch bald Meister und trug den Triefenden, mit Vermeidung der Veranda, in der die Frauen saßen und verwundert zuschauten, in sein Schlafzimmer, wo er ihn sogleich entkleidete und ins Bett legte. Er dachte nicht daran, den ungebärdigen Jungen zu bestrafen, vielmehr blieb er verstimmt und nachdenklich und fand seine gute Laune trotz der Schmeichelkünste der schönen Braut geraume Zeit nicht wieder.
Lasko war seitdem nie wieder zu einer Liebkosung gegen seines Vaters Geliebte zu bewegen, noch duldete er eine solche von ihr. Das war aber nicht der Grund, weswegen sie ihn, sowie sie verheiratet war, quälte und verfolgte; sie hatte überhaupt weder für Lastari noch für seinen Sohn ein herzliches Gefühl, ja sie waren ihr im Grunde fremdartig und störend, nur die eignen Kinder, die sie nun bekam, liebte und hätschelte sie mit tierischem Wohlgefallen, solange sie klein waren, was freilich auch nicht hinderte, daß sie zuweilen mit Schlägen und Schimpfen gegen sie losfuhr. Dem armen Lasko lud sie Haus- und Küchenarbeit auf, ließ ihn die Kinder besorgen und hetzte zu alledem noch seinen Vater gegen ihn auf, der schwach genug war, den kleinen Verlassenen auf ihre Angebereien hin grausam zu bestrafen. Nie wurde das der Anlaß von Laskos Wutanfällen, vielmehr, obwohl er unter der ungerechten und lieblosen Behandlung schrecklich litt, bemitleidete er den Vater, der ihn mißhandelte; denn er durchschaute dessen innere Verzweiflung, und daß er nur wie ein Fieberkranker oder Irrsinniger war, der diejenigen schlägt, die es gut mit ihm meinen.
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Als Lasko älter wurde, schlug die Stiefmutter einen andern Ton an. Einmal, er zählte etwa sechzehn Jahre, war aber noch zart und schmächtig, litt er an einem leichten Unwohlsein und bedurfte der Pflege. Da kam sie unter dem Vorwande, ihm eine Arznei zu geben, mit einem langen seidenen Hemde bekleidet, in sein Schlafzimmer, setzte sich auf sein Bett und streichelte und küßte ihn, wobei, indem sie sich über ihn beugte, ihre volle weiche Brust sich auf seine drückte. Danach stellte er sich öfters krank, damit sie ihre nächtlichen Besuche wiederholte, was sie auch tat, bis er sie einmal in Gegenwart andrer fragte, ob sie es sich schon je solche Mühe hätte kosten lassen, einen jungen Mann zu verführen. Seit der Zeit haßte sie ihn ausdrücklich, ließ es aber in ihrem Benehmen gegen ihn nicht merken, nur trachtete sie danach, seine edelgeartete Seele in den Schlamm zu ziehen. Zunächst suchte sie ihn vermittelst ihrer Tochter Madurre zu umgarnen, die, fast noch ein Kind, übermütig und beweglich war, und ihrer Mutter nicht ähnelte. Sie war wie ein wildes exotisches Kraut, das einsam in Schluchten wächst, mit dunkeln, harten, stacheligen Blättern, aus deren Mitte eine flammende Blume von schreiender Farbe aufschießt auf kerzengeradem Stiele, stark, doch empfindend und verletzlich. Sie besaß eine Aufrichtigkeit, die zuweilen erschreckte, wie sie ihm denn haarklein wiedererzählte, was für Anweisungen ihre Mutter ihr in Bezug auf ihn gegeben hatte. Sie wollte sich darüber totlachen, überhäufte ihn zum Spott mit übertriebenen Zärtlichkeiten und flocht Redensarten der verwegensten Art in ihr Gespräch, die sie irgendwo aufgelesen hatte, und nach deren Bedeutung sie Lasko fragte. Nichts war ihr zu frech und schmutzig, um es zu sagen, vielleicht eben deshalb, weil es ihr keine andre Empfindung gab, als daß es ihr lächerlich vorkam. Was sie von Lasko wollte, war rückhaltlose Kameradschaft und Unterstützung bei den wilden Streichen, die sie vorhatte, auf Berge klettern, Felsen hinan, die kaum einem Menschen zugänglich waren, junge Raubvögel aus ihren Nestern holen, das waren die Träume, die sie beschäftigten. Lasko hatte damals keinen Sinn für solche Strapazen und unterstützte sie bei ihren halsbrecherischen Streifereien nur in der Hoffnung, es möchte sich dabei irgend ein interessantes Abenteuer ergeben, oder etwa gegen das Versprechen eines Kusses. Aber immer fand er sich getäuscht; denn entweder ging ihm Madurre mit der ausbedungenen Liebkosung durch oder gab und empfing sie mit solcher Gleichgültigkeit, als ob sie gar nicht beteiligt und ihr Körper nur eine untergeschobene Lederpuppe wäre. Dies pflegte Lasko so zu kränken, daß er auf sie losschlug, was ihr augenblicklich die gute Laune zurückgab; denn nun wehrte sie sich, und es entspann sich ein gesundes Kämpfen, wobei auf beiden Seiten, da auch Lasko gern und mit Gewandtheit, Schlauheit und Sachkenntnis raufte, sowohl Haß wie Liebe schnell vergessen wurde.
Das eigentümliche Verhältnis zu Madurre, so unschuldig es war, diente doch den Absichten seiner Stiefmutter, denn alles, was von Sinnlichkeit und damit zusammenhängenden bösen Trieben in ihm war, wurde dadurch angereizt, und er ließ sich schließlich widerstandslos mit den verschiedenen Schönen zusammenkuppeln, die sie ihm vorführte, ohne etwas andres davon zu haben als Ekel vor sich selber. Sein unbeteiligtes Herz hängte sich inzwischen immer fester an Madurre, die ihm keine Ruhe ließ, bis er ihr alle seine Liebesabenteuer ausführlich erzählte. Dabei wälzte sie sich auf der Erde vor Lachen oder sie spielte auch wohl die Eifersüchtige; so biß sie ihn einmal in das Ohrläppchen, daß zeitlebens eine Narbe daran zurückblieb. Eines Tages aber stürzte sie beim Klettern und brach ein Bein. Seitdem war sie für ihre Mutter nur noch eine unliebsame Last, während Laskos Liebe jetzt erst zur Blüte kam. Er saß unermüdlich an ihrem Lager und unternahm weite und beschwerliche Wege, um ihr einen Schmetterling oder eine Blume von ihren Lieblingsplätzen zu bringen, er verzichtete auf Arbeit und Vergnügen, um sie nicht allein zu lassen. Sie rührte das nicht, im Gegenteil, sie haßte ihn, vor dem die schönste Abenteuerlaufbahn, von der sie ausgeschlossen war, frei dalag. Vorbei war es mit ihren waghalsigen Streifzügen, vorbei mit prickelnder Bergluft, Raubvogelgekreisch und pfeifenden Winden. Bitterliche Scham und Trauer im Herzen schleppte sie sich an Laskos Arm bis zu einem verborgenen Wiesenplätzchen, von wo sie in den Himmel und gegen die Berge sehen konnte, hatte aber für ihn keinen Dank, kaum einen Blick, ohne den sie kümmerlich hätte verderben müssen. Er beschützte sie vor der Grausamkeit ihrer Mutter, war selbst Vater, Mutter und Bruder für sie, brachte ihr zu essen und fütterte sie wie einen kranken Vogel, führte sie spazieren, erzählte ihr und las ihr vor, brachte sie zu Bette, half ihr beim An- und Auskleiden und liebte sie bei alledem täglich mehr. Während er sich früher stets mit Fluchtgedanken getragen hatte, einmal wirklich davongelaufen war, ja einmal versucht hatte, sich zu töten, fürchtete er sich jetzt davor, daß sein Vater ihn fortschicken oder mit sich fortführen würde, und daß er das verkrüppelte Kind hilflos im Elend lassen müßte.
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In wüsten Jahren gingen die Früchte von Lastaris Kraft und Fleiß und ging er selber infolge des häuslichen Jammers und der schlechten Wirtschaft zu Grunde. Er wurde stumpfer und hörte auf, seiner Frau vorzuhalten, wie man würdig leben müsse; aber wie einst in der Heimat, bekam er plötzlich Angst vor der still in seinem Innern sich sammelnden Rachsucht, die wuchs wie ein Geschwür, das zu seiner Zeit reif werden und bersten muß, und faßte den Entschluß fortzugehen, worin ihn nun nichts mehr erschütterte. Die Kreolin war damit im Grunde sehr zufrieden, tat aber aus Berechnung, als sei sie außer sich vor Schmerz, ja sie stellte sich sogar zärtlich und verschwur sich auf alle Art, ihrem Manne künftig ganz und gar ergeben zu sein und ihm in allen Dingen zu folgen, wenn er nur bliebe. Lastari ließ sich nicht irre machen und kaufte sich, worauf sie es eben abgesehen hatte, mit einer bedeutenden Summe von ihr los, so daß er nur eben so viel übrig behielt, um die weite Heimreise damit zurücklegen zu können. Die größte Schwierigkeit war, sich über die Kinder zu einigen: er hätte am liebsten alle mitgenommen, mußte sich aber damit begnügen, daß die Mutter auf eines, den siebenjährigen Zizito, der sein Liebling war, verzichtete.
Lastari hoffte an der Marmorfabrik, wo er schon einmal gearbeitet hatte, Anstellung zu finden; doch war gerade kein Platz frei, und es wurde ihm anheimgegeben, ob er warten wolle. Ein glücklicher Zufall spielte ihm in diesen Tagen eine Zeitung in die Hand, in der der Professor Pius Reynegom in Lusinara am Adriatischen Meere, der Schöpfer und Leiter eines großen Kinderhospizes, einen jungen Mediziner suchte, der geneigt wäre, dort seinen ständigen Aufenthalt zu nehmen und unter seiner Leitung wie während seiner Abwesenheit die ärztliche Aufsicht zu führen. Lasko hatte in Amerika eine medizinische Schule besucht, aber, wie es die zerstörten Verhältnisse des Hauses mit sich brachten, mit häufigen Unterbrechungen und ohne ein abschließendes Examen zu machen, doch fehlte es ihm nicht an Scharfblick und Geschicklichkeit, und er traute sich zu, die Stelle auszufüllen. Nachdem er sich vorgestellt hatte, führte Pius Reynegom ihn durch die Anstalt und erzählte ihm zwischendurch, was für Aerger ihm die jungen Aerzte täglich durch ihre Einfalt und Roheit bereitet hätten. Da wäre fortwährend ein Jammern der leidenden Kinder, Tränenstimmung und Schreckhaftigkeit, da wären beleidigte Pflegeschwestern mit bösem Gesicht und schnippischem Benehmen, da fertigten sie die Eltern, die sich nach dem Ergehen ihrer Kinder erkundigen wollten, grob ab, worauf sie mit dem Geschrei ihrer Vorwürfe zu ihm kämen oder ihn wohl gar in den Zeitungen als kannibalischen Volksverächter verschrieen. »Es ist wahr,« sagt er, »dies plattfüßige Gesindel, das zu Hause seine Brut mit Wanzen und Läusen ums Dasein kämpfen läßt und bei uns Verrat schreit, wenn einem armen Krüppel nach vier Wochen noch keine gesunden Arme und Beine gewachsen sind, kann einem die schwarze Galle erregen; aber meine Angestellten sollen Verstand genug haben, um sie entweder zufrieden zu stellen oder so einzuschüchtern, daß sie keinen Mut zu klagen haben; ich will auf keinen Fall behelligt werden.« Lasko sagte: »Wenn sie mich einmal gesehen haben, werden sie sich an keinen andern mehr wenden,« und es glitt dabei ein verschmitztes Glänzen über seine mandelförmigen Augen und ein keckes, verführerisches Lächeln über, seine Lippen, das das Herz des Professors durch und durch erwärmte. Er hatte das feste, blühende Gesicht eines tätigen und genußreichen Mannes und einen gewaltigen Körper, der nur, weil er so groß war, nicht fett erschien, und den Lasko von Zeit zu Zeit mit begeistertem Wohlgefallen überblickte. Er wurde mit jeder Bemerkung und Bewegung, die Lasko machte, vergnügter und vollends zu Laskos Gunsten gestimmt, als dieser anfing, sich mit den Kindern abzugeben: er machte aus seinem schlanken, feinen Gesicht abschreckende Fratzen, blies die Backen auf und sagte, er wäre der Mond Pernambukkel, fräße die heulenden Kinder auf und spuckte sie nachts wieder auf die Erde, und knirschte dabei so blutgierig mit den Zähnen, daß die Kinder schauderten und frohlockten und Herr Pius, der ein Freund törichter Späße war, bis zu Tränen lachte. Er unterwarf Lasko noch einigen Prüfungen, und da das Ergebnis ihn befriedigte, stellte er ihn an, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß der Student keinerlei Titel zu einem solchen Amte hatte. Was Lasko leistete, übertraf noch Herrn Pius' Erwartungen: nicht nur daß auch die elendesten und stumpfsten unter den Kindern sich an der bunten Sonne seiner Laune erwärmen und erheitern ließen, auch die vorwurfsvollen Mütter und erbitterten Väter wußte er bald mit dem Zucker der Schmeichelei, bald mit dem Salz herzhafter Späße in ein unschuldig verliebtes Wohlwollen für seine Person zu verzaubern und unschädlich zu machen. Wenn er erzählte, was er tagsüber den Kindern, Eltern, Wärterinnen und fremden Besuchern vorgegaukelt hatte, wie er abwechselnd den Treuherzigen, den Jovialen oder den Gestrengen gespielt hatte, um jeden in die ersprießlichste Verfassung zu versetzen, lachte Herr Pius, als ob er in einer Komödie wäre, nannte Lasko seine Taube und seine Schlange und zwickte ihn wohl zärtlich in den Zipfel seiner hübschen Ohren. Von dem, was er durch den Anblick von Kinderelend und Kinderschmerzen litt, ließ Lasko nichts merken und machte sogar den Eindruck der Bärbeißigkeit, wenn er bei den oft notwendigen schmerzhaften Behandlungen kein Schreien und Klagen duldete, was aber die kleinen Kranken nicht an ihm irre machte, die vielmehr fortfuhren, ihm mit bedingungsloser Liebe anzuhängen.
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Eines Tages kam ein katholischer Pfarrer in das Kinderspital, um einen Einblick in den religiösen Betrieb der Anstalt zu gewinnen, der der Anschauungsweise des Professors entsprechend außerordentlich flau genannt werden mußte. Diejenigen Kinder, die zu Hause zu beten gewohnt waren, setzten das fort oder ließen es außer Uebung, je nachdem sie standhafter oder vergeßlicher, träger oder beweglicher waren, oder je nachdem einmal eine Pflegeschwester frommen Sinnes war und das Kleine beeinflußte. Zwang durfte indessen keiner ausüben, wenn er nicht den Zorn des Professors, vielleicht seine Entlassung herausfordern wollte; denn Herr Pius duldete kein religiöses Wesen in der Anstalt, sofern es sich in häufigem Kirchenbesuch, feierlichen Betätigungen oder gar frommer Bitterkeit äußerte. Es konnte infolgedessen nicht ausbleiben, daß der Pfarrer den Eindruck des Ungenügenden empfing, als er sich in der Anstalt nach der Gottesfurcht umsah, was ihm zwar einerseits Genugtuung bereitete, da die Leitung der Anstalt in protestantischen Händen war, andrerseits aber doppelten Anlaß gab, tiefgefühlter Mißbilligung Ausdruck zu verleihen. Er wendete sich zunächst mit einigen Erkundigungen nach Gebet und Kirchenbesuch der Kinder und Angestellten, kurz nach dem allgemeinen kirchlichen Zustande, an Lasko, der, indem er mit geschmeidiger Höflichkeit dürftige Auskunft erteilte, die Erscheinung des geistlichen Mannes überblickte: die ölige Glätte seiner mangelhaft bewimperten Augen, die schnüffelnde Nase und den dünnlippigen, aber weiten und breiten Mund, der sich wie ein klaffender Spalt über den großen, unregelmäßigen Zähnen auftat. Von Lasko nicht deutlich unterrichtet, begab sich der Pfarrer an die Betten der kranken Kinder und leitete mit leutseligen Worten Gespräche ein, aus denen mit schnellem Uebergang ein Verhör über das religiöse Wissen und Fühlen wurde. Ueber die blöden Antworten, die die Kinder in ihrer Verwirrung gaben, lachte Lasko jedesmal laut und anhaltend, und auch der Pfarrer zog den Mund vielsagend auseinander, da er in dem höflichen Hilfsarzt einen Feind des Vorgesetzten und Verbündeten gefunden zu haben glaubte. Da indessen einige Kinder, durch das ungewöhnliche Ausfragen und die widrige Erscheinung des Pfarrers erschreckt, kein Wort hervorzubringen vermochten, sogar weinten, regte sich die Grobheit seiner Natur, und bei einem kleinen abgezehrten Mädchen, das beten wollte, anstatt dessen aber aus Verlegenheit lachte, schwand ihm die Salbung des geistlichen Betragens völlig dahin. Indem er sie hart anließ, griff er mit seinen unzarten Händen ihre kleinen dünnen, die wund und mit Watte verbunden waren, um sie gebetweise zusammenzufalten, so daß sie vor Schmerz und Schreck aufschrie und über und über zitternd in krampfhaftes Schluchzen ausbrach. Augenblicklich veränderte sich Laskos Miene und Haltung: den Pfarrer mit einem Ruck von den kleinen Betten wegschiebend, rief er in den tiefsten Glockentönen seiner Stimme, es sei nun genug, seine Geduld sei am Ende, wenn der Geistliche die Tröstungen bringe, die die Religion für Leidende haben könne, solle er willkommen sein, wenn er als Spion käme oder um arme kranke Kinder zu mißhandeln, solle er sich zum Teufel packen. Was er an den Kindern auszusetzen habe? Ob er nicht fühle, daß die kleinen gequälten Seelen Gott lieber und heiliger wären als ein Meer von Priesterglatzen? Ob er sich einbilde, sie würden Gott dadurch angenehmer, daß sie seine pfäffischen Gebete nachleierten? Er könne aus ihrem törichten, bedeutungslosen Stammeln eher lernen, was Unschuld und Herzensreinheit, als sie aus seinem Predigen, was Religion sei.
Der Pfarrer lächelte unausgesetzt vorsichtig und erhaben, während er Schritt vor Schritt zurückwich; denn er hielt es für wahrscheinlich, daß Lasko unversehens irrsinnig geworden sei, so furchteinflößend blitzten Wut und Verachtung aus seinem Gesicht. Mit großen Augen hörten die Kinder zu, und viele kicherten verstohlen, zum Teil, weil sie glaubten, Lasko mache einen seiner Späße, teils weil sie begriffen, daß es über den Pfarrer herging und sich darüber freuten; die Wärterinnen erwarteten stumm und bleich den Ausgang der Begebenheit. Es geschah indessen weiter nichts, als daß der Pfarrer mit einigen Worten überlegener Milde, die sein Mitleid für den Tobsüchtigen ankündigten, sich entfernte, und daß Lasko durch den jähen Ausbruch erschöpft und ruhebedürftig war.
Herr Pius ließ sich den Vorfall mehrere Male ausführlich beschreiben und umarmte Lasko unter lauten Beifallsbezeugungen; er nannte ihn seinen Drachentöter, und bedauerte nur, daß mit dem katholischen nicht zugleich ein protestantischer Pfaffe zu Boden geschmettert wäre, denn nun könne der große Zwillingswurm den andern Kopf hervorstrecken, der ebenso häßlich und giftig sei wie der erste.
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Nicht nur der Morlesine, Pius Reynegoms Frau, die das Neue und Fremde liebte, gefiel Lasko, sondern auch seinem Sohne Rizzo, der meistens verachtete und sich besonders berufen fühlte, seinen in Haß und Liebe allzuraschen Vater durch gelinden Spott zu zügeln. Rizzo hatte die dunkelblauen, feurig träumenden Augen seiner Mutter, ihr lockiges Blondhaar und ihren Hang für das Abenteuerliche, der sich bei ihr nur in äußerlichen Absonderlichkeiten äußerte, bei ihm aber vorsichtig zurückhielt, auf den Augenblick lauernd, wo er einmal Gelegenheit zu großen Handlungen hätte. In seiner täglichen Umgebung verhielt er sich still, freilich nicht ohne, so oft ein Anlaß da war, merken zu lassen, wie engherzig und mittelmäßig er die Zone fand, in der er lebte. Er hatte nach dem Wunsche seines Vaters Medizin studiert, alle Prüfungen gut bestanden und sich in jeder Hinsicht tüchtig erwiesen; dann aber den Beruf ganz liegen lassen und sich in das öffentliche Leben geworfen, wo es wenigstens an Lärm und Tumulten nicht fehlte. Es gab eine Unabhängigkeitspartei im Lande, die die Regierung hauptsächlich deswegen bekämpfte, weil sie sich auf die Kirche stützte, und da ihm Feindseligkeit gegen die Kirche vom Vater her im Blute lag, schloß er sich dieser Partei an und wurde durch seine Umsicht und seinen Schwung bald einer ihrer Führer. Im Augenblick des Kampfes, besonders wenn er durch Reden an das Volk zündend wirken konnte, fand er Befriedigung, hernach aber kam es ihm abgeschmackt und zwecklos vor, und es nahm ihn sehr für Lasko ein, daß dieser, als er ihn einmal öffentlich hatte reden hören, sowie sie unter sich waren, in endloses Gelächter ausbrach und ihn ergötzlich nachahmte mit den hochtrabenden Wendungen, deren er sich bedient, und der bluternsten, verwegenen Miene, die er dazu gemacht hatte. Ueberhaupt spürte Lasko die Schwächen der Menschen sofort heraus und war voll Witz, sie zu verspotten; aber er schnitzte lauter zierliche kleine Pfeile aus leichtestem Holz und band an jeden eine Blume oder Schleife, so daß es im Grunde ein Vergnügen und ein anmutiges Schauspiel war, sich davon überschütten zu lassen. Obwohl Rizzo ernster und grundsätzlicher war, wenn er spottete, verstanden sie sich doch gegenseitig und waren in kurzem über die meisten Menschen miteinander einig, und wo Lasko wärmer und ehrfürchtiger empfand als der andre, wie zum Beispiel für Rizzos Vater, trat das deswegen nicht hervor, weil er seine Neigung zu lieben und anzubeten aus Scham zu verbergen pflegte. Die hervorragendste Person in Lusinara war neben Herrn Pius Reynegom dessen jüngerer Bruder Beatus, der die von ihrem Vater Olaf, einem geborenen Niederländer, begründete Oelfabrik übernommen hatte. Rizzo schilderte seinen Oheim als ein wahnsinnig gewordenes Mühlrad, das nicht mehr still gehalten werden könne, so daß Müller und Esel schleppen und schwitzen müßten, um genügend Korn zuzutragen und aufzuschichten und das gemahlene fortzuschaffen. Immerhin, da das Rad umfangreich sei und eine große Menge Wasser in rauschender Bewegung erhalte, liege in dem eintönigen und beschränkten Wahnsinn eine gewisse Großartigkeit. Seine Tante Olivia verglich er mit einem dicken, glatten, kalten Mühlstein; wenn er längere Zeit mit ihr allein sei und sie unterhalten müsse, werde ihm wie einem verurteilten armen Sünder zu Mute, der gesteinigt werden sollte. Von der Maielies, seiner Cousine, sagte er nichts weiter, als daß sie gut und hübsch sei, aber die Augen noch nicht recht aufgemacht hätte und noch nichts wisse und kenne, als was Vater und Mutter ihr erlaubten. Er pflegte sie die kleine Glucke zu nennen, weil ihr alles erdenkliche Getier und Geziefer bis zu den kleinen Kindern nachliefe und Schutz bei ihr fände; sie würde, meinte er, einmal ein liebes Hausmütterchen werden.
Eines Abends spät fiel es Rizzo ein, den neuen Freund bei seinem Onkel einzuführen, und da das hohe eiserne Gittertor, durch das man in den das Haus umgebenden Park gelangte, bereits geschlossen war, kletterte er mit behendem Schwung hinüber und forderte Lasko auf, es ebenso zu machen; denn das fand er bequemer als läuten und warten, bis geöffnet würde. Lasko folgte ohne Zögern, aber weit weniger gewandt und geübt als Rizzo, verletzte er sich an den vergoldeten Lanzenspitzen der Tür und konnte bei der Vorstellung die stark blutende Hand nicht reichen. Rizzo erklärte den Unfall und bat um etwas weiches Leinen, worauf die Maielies schnell ein reines weißes Tuch vom feinsten Batist, um dessen Rand eine breite gestickte Ranke lief, aus der Tasche zog, es mitten durch riß und ihrem Vetter gab. Während dieser einen Verband daraus machte, gab Olivia ihrer Tochter kopfschüttelnd zu verstehen, es sei unüberlegt gewesen, das kostbare Taschentuch zu zerstören, da doch passender Stoff genug vorhanden sei. Die Maielies machte große Augen, errötete und sagte, es sei schon ein kleines Loch in dem Tuche gewesen, wozu sie vergnügt lachte, gleichsam damit jeder, wer wolle, die Unwahrhaftigkeit der Angabe durchschauen könne. Inzwischen war die Hand verbunden worden, und die Gäste wurden aufgefordert, es sich bequem zu machen; man saß auf der Zinne des mächtigen Palastes, der den Namen Seestern hatte, und blickte nach der einen Seite auf das Meer, nach der andern auf die wogenden Wipfel des Parkes. Indem Lasko mit sprudelnder Munterkeit Schwänke und Schnurren erzählte, betrachtete er zuweilen aus schmalen, scharfen Augen die blonde Maielies, die ihm süß wie Morgenrot und gütig, ruhig und unantastbar wie der Himmel erschien, richtete aber kaum einmal geradezu das Wort an sie. Erst als er am Abend allein war, befühlte er das gestickte Tuch, das ihr gehörte, sanft und zärtlich, legte es beim Einschlafen auf die Brust und gewöhnte sich seitdem, es jede Nacht wie auch bei Tage an sich zu tragen.
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Olaf Reynegom, der die Oelfabrik begründet hatte und in hohem Alter gestorben war, hatte seine beiden Söhne aus Gottesfurcht und Dankbarkeit, weil sein Unternehmen einen so glücklichen Verlauf genommen hatte, Pius und Beatus genannt, was dem älteren besonders in seinen Knabenjahren ein grimmiges Aergernis gewesen war. Später nahm er es von der komischen Seite und benutzte seinen Namen als Anlaß, um mit seinem ruchlosen Unglauben und unchristlichen Wandel zu prahlen. Beatus, der jüngere, vertrug Spott über seine und seines Vaters Kirchlichkeit durchaus nicht, und es kam darüber nicht selten zu Streitigkeiten zwischen den Brüdern; ganz besonders aber erbitterte es Beatus, daß Pius den Verstorbenen gern den »frommen Teufel« nannte, laut und fröhlich, ohne auf die etwaige Anwesenheit Fremder und auf sein eignes verwundetes Gefühl Rücksicht zu nehmen. Sie waren von jeher in ihrer Gesinnung auseinandergegangen: Pius hatte es verschmäht, in das Geschäft einzutreten, und liebte es, über das kaufmännische Wesen zu spotten, Beatus dagegen mißbilligte die Art, wie jener seine ärztliche Laufbahn gemacht hatte. Pius war unbestritten der beste Arzt weit und breit und konnte sich bedeutender Kuren rühmen; viel verdankte er aber auch dem Glücke und sagte selbst, Glück zu haben sei die wichtigste Kunst des Arztes, und was er außerdem brauche, sei Geistesgegenwart, sicheres Gefühl, Zuversicht und Mut. Beatus sagte, das sei Frechheit und heiße Gott versuchen. Den größten Ruf verschaffte Pius sich dadurch, daß er mehrere medizinische Anstalten ins Leben rief, die Hervorragendes für das allgemeine Wohl zu leisten versprachen, darunter das Kinderhospiz, das hauptsächlich zur Aufnahme rhachitischer und skrophulöser Kinder bestimmt war. Schon längst waren diese Anstalten Bedürfnis gewesen, doch fehlte es am nötigen Gelde; vom Staate durfte man nichts als einen bescheidenen Zuschuß erwarten, wenn die Dinge gesichert und im Gange wären. Herr Pius wußte dafür aufzukommen, er suchte die vermögenden Familien der Umgegend auf, die, wo er Arzt war, sowie auch andre, wo möglich zu einer Stunde gemeinsamer Mahlzeit und Geselligkeit, erklärte die Ursache seines Besuches, sprach von der Notwendigkeit der betreffenden Gründung und forderte Beiträge, meist in der Art, daß er jedem die Summe nannte, die er von ihm erwartete. Viele fühlten sich desto mehr geschmeichelt, je größer die Summe war, die er ihnen abverlangte, die andern konnten doch den Wohlfahrtszoll nicht verweigern, der von ihnen mitten im Genusse des Reichtums und als ob es sich von selbst verstünde, erhoben wurde. Nachträglich wurde wohl im geheimen über die Gewaltsamkeit des Herrn Pius gelästert, aber er bekümmerte sich nicht darum oder lachte darüber, da seine Unternehmungen gediehen und Früchte trugen. Gefürchtet und zum Teil gehaßt wurde der Professor von den jungen Aerzten, Wärtern und Wärterinnen des Kinderspitals wegen der Willkür, mit der er die Aufsicht führte; er hatte nämlich den Grundsatz, die Kinder, die er ausnahmslos für fleckenlose Engel hielt, über ihre Behandlung und Bedienung auszufragen und jeden, den sie verklagten, wie einen grausamen Bösewicht auszuschimpfen, wobei, da es zwischen den kleinen Kranken auch Schlingel und Taugenichtse gab, die ärgsten Ungerechtigkeiten unterliefen. Ueber solche Dinge hatte Beatus anfangs mit Ausdrücken der Entrüstung nicht zurückgehalten, da er aber sah, daß das seinem Bruder nur zur Belustigung diente, schwieg er, sich inwendig um so mehr erbitternd. Zu offener Feindschaft führte folgender Vorfall: Um einen Lieblingswunsch seines verstorbenen Vaters auszuführen, betrieb Beatus die Erbauung einer protestantischen Kirche -- denn die Predigten waren bisher in einem geräumigen Saale gehalten worden --, gründete eine Gesellschaft zu diesem Zwecke, verfaßte einen Aufruf und schickte in Gemeinschaft mit dem Pfarrer Nepomuk Listen in alle protestantischen Familien behufs Einsammeln von Unterschriften und Beiträgen. Als einer von Herrn Beatus' Angestellten die Liste zum Professor Pius brachte, schrieb dieser auf den bei seinem Namen freigelassenen Platz: »Erst heile Dächer für die Armen, dann Häuser für Gott,« und fügte polternd hinzu, ob man Gott für einen Häuserspekulanten halte? es gäbe Kirchen genug; er, Pius, hätte stets Geld für gemeinnützige Einrichtungen, das Phantastische unterstütze er nicht. Beatus, der Tausende zum Kirchenbau gezeichnet und auch für die Anstalten seines Bruders immer namhafte Schenkungen gemacht hatte, schickte den Angestellten mit der Liste, diesmal in Begleitung des Küsters, zurück, die, da sie den Professor in seiner Wohnung nicht fanden, sich in das Kinderspital begaben und ihn bitten ließen, herauszukommen. Herr Pius hingegen, ärgerlich über die Störung, ließ sie in den Saal kommen, wo er eben beschäftigt war, und wo nun der Angestellte sich seines Auftrags entledigte, daß nämlich Herr Beatus den Professor dringend bitte, sich die Sache noch einmal zu überlegen; der Küster fügte mit breiter, knarrender Stimme einen Ausspruch des Herrn Beatus bei, des Inhalts, daß, wer dem Herrgott auf Erden kein Haus gönne, für den der Herrgott auch im Himmel keinen Platz haben werde. »Ich spucke auf seinen Herrgott,« schrie Herr Pius böse, drehte sich scharf um und ließ die Männer stehen, die, nachdem sie eine Weile gewartet hatten, ob sich noch etwas begäbe, still den Rückweg antraten. Sie hinterbrachten das Vorgefallene ohne Zeitverlust Herrn Beatus, der, über die Gotteslästerung aufgebracht, zum Pfarrer Nepomuk eilte und verlangte, daß dieser allen Verkehr mit seinem Bruder abbräche, und ihm, als einem Gliede seiner Gemeinde, eine ernste Rüge erteilte. Der Pfarrer, der mit Pius herzlich befreundet war, sagte, etwas betrübt und kleinlaut, er könne und wolle nicht leugnen, daß der Professor eine rasche Bemerkung gemacht habe, wie sie einem so leichtblütigen Manne wohl entfahre, doch werde er sich ohne Zweifel überreden lassen, sie zurückzunehmen. So leicht ging das nun freilich nicht, vielmehr empfing Herr Pius den Pfarrer mit Gelächter: »Zurücknehmen? Beileibe nicht! Was einmal gespuckt ist, soll sitzen bleiben!« und war von diesem trotzigen Standpunkt nicht abzubringen. Der Pfarrer war im Zweifel, ob er des Friedens wegen Herrn Beatus eine angemessene Reue seines Bruders vorspiegeln dürfe, stand aber aus Ehrlichkeit davon ab und stellte anstatt dessen Herrn Pius treuherzig vor, in was für eine zweideutige Lage er ihn, seinen Freund, durch sein mutwilliges Betragen gebracht habe. Der Professor machte den Pfarrer heftig herunter, weil er eben überhaupt mit zwei Zungen rede, hinter Gottes Rücken mit der Welt liebäugle und im Schoße der Welt mit Augenverdrehen nach Gott schiele, ließ sich aber zum Schlusse herbei, die schriftliche Erklärung abzugeben, er habe nicht auf den Herrgott, sondern auf seinen, das heißt seines Bruders, Herrgott spucken wollen, der, wie er glaube und fürchte, eine unrichtige Vorstellung von Gott, also gewissermaßen einen falschen Herrgott habe, der ohne Beeinträchtigung des echten beschimpft werden dürfe. Mit dieser Erläuterung, die den Angestellten beider Brüder nebst einer Gegenerklärung des Beatus vorgelegt wurde, mußte dieser sich zufrieden geben, und scheinbar war der Friede zwischen ihnen dadurch wiederhergestellt. Auch verkehrte Pius, der die Sache bald völlig vergessen hatte, häufig und nicht ohne gutmütiges Wohlwollen bei seinem Bruder, dieser aber erwiderte seine Besuche fast nie, und wenn er ihn bei sich auch höflich empfing, ging er ihm gegenüber doch nie aus einer ablehnenden Kälte heraus, die er auch auf seine Frau Morlesine und seinen Sohn Rizzo ausdehnte.
Trotz seiner abfälligen Meinung über Kirchen und Kirchenmänner liebte und schätzte Herr Pius den Pfarrer Nepomuk und betrachtete ihn als seinen besten Freund. Allerdings rechnete er ihn gar nicht zur Geistlichkeit und sagte gern zu ihm, indem er ihm vertraulich die Hand auf die Schulter legte: »Du bist keiner von diesen Rackern, Nepomuk!« Nur gelegentlich machte er ihm grobe Vorwürfe, daß er die Bahn der Gleisnerei und Hinterlist beschritten habe. Daß überhaupt ein Verständnis zwischen ihnen möglich war, rührte von Nepomuks besonderer religiöser Richtung her. Er legte nämlich weniger Gewicht auf das Bekenntnis als auf die Gotteskindschaft, in welcher, da dem Allmächtigen die Wahl billigerweise freistehen müsse, auch Heiden, Türken und Antichristen stehen könnten. Protestant nannte er sich deswegen, weil der Protestantismus eben Kampf gegen Formelwesen und Dogmenstarre sei, womit zwar durchaus nicht alle, am wenigsten Herr Beatus, einverstanden waren. Man konnte aber, obwohl er friedfertig und überaus milde war, nichts gegen ihn ausrichten; denn die Aufrichtigkeit und Biederkeit seiner Gesinnung entwaffnete zuletzt jeden Gegner. Als er, noch in Deutschland, zum erstenmal seine Glaubensmeinung in einer Schrift veröffentlichte, entstand entrüsteter Widerspruch unter den übrigen Pfarrern, worauf er sie einlud, ihn in öffentlicher Versammlung, wo er ihnen Rede und Antwort stehen werde, zu bekämpfen. Mit hochgeblähten Busen fanden sich sämtliche Seelenhirten ein, nicht zweifelnd, daß sie den kleinen Mann vermöge ihrer Weisheit und vereinigten Ueberlegenheit bald in die Enge treiben würden; allein der stand mit seinem großen, bärtigen Kopfe wie Gottvater im Bilderbuche da, redlich, freimütig und unerschütterlich, ließ die Augen kriegerisch dahin und dorthin blitzen, wo man ihn angriff, und warf die Bibelstellen und Sätze aus Kirchenvätern, Konzilien und Scholastikern mit solcher Behendigkeit und Genauigkeit auf den Tisch, daß die Pastoren vor seiner gerüsteten Gelehrsamkeit erzitterten und einer nach dem andern wie nasse Hunde mit hängenden Schwänzen sich davonschlichen. Obwohl er als Sieger auf dem Schlachtfelde zurückgeblieben war, gelang es der Uebermacht hinterdrein, ihn zu entfernen; doch beriefen ihn sogleich verschiedene ausländische protestantische Gemeinden, zu denen der Ruf seiner Redekraft und Unerschrockenheit gedrungen war, darunter die von Lusinara, an deren Spitze der damals noch lebende Olaf Reynegom. Er wurde dort schnell beliebt; und die Protestanten waren stolz darauf, daß viele Katholiken ihre Kirche besuchten, was früher nie der Fall gewesen war; es fühlte sich ein jeder besser und fröhlicher, wenn er den lieben Mann beherzt und ohne Falsch auf der Kanzel hatte stehen sehen, unverdrossen im Lobe des Wahren und Edlen und im Kampfe gegen das Schlechte. Daneben war es auch die Hilfsbereitschaft des Pfarrers, die Leute aller Art zu ihm hinzog. In seiner Wohnung verkehrten von früh bis spät Bedürftige, darunter Bettler, Taugenichtse, entlassene Sträflinge und Vagabunden, denen er erst scharf ins Gewissen redete und ihre Verderbtheit, je nachdem sie beschaffen waren, ungeschminkt vorhielt, zum Schluß aber, indem er die Klappe seines Schreibtischs aufrollte und in ein dazu bestimmtes, stets gefülltes Schubfach griff, eine Geldspende reichte, mit der sie schleunig das Weite suchten. Seine Seelsorge am Spital des Professors Pius bestand hauptsächlich darin, daß er den Kindern allerhand gute Dinge mitbrachte und lieblich mit ihnen plauderte und scherzte; zwar hatte er den Grundsatz, daß Kinder mit Strenge müßten erzogen werden, und daß namentlich der Hang zur Lüge durch unnachsichtliche Bestrafung müsse ausgerottet werden, in Wirklichkeit aber wußte er stets einen Grund, besonders wenn die kleinen Sünder schlau und niedlich waren, warum der vorliegende Fall nicht ernst zu nehmen sei oder ausnahmsweise äußerst nachsichtige Behandlung erheische.
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Sowie Lasko die Stelle am Kinderspital zugesichert bekommen hatte, wollte Lastari einen Ausflug nach Morimont machen, um seine Kinder Surja und Dragaino wiederzusehen; Zizito sollte inzwischen unter Laskos Aufsicht bleiben, was diesem unlieb war, da er nicht wußte, wie er zugleich seinem Beruf nachgehen und auf den Kleinen acht geben könnte. Deshalb schlug er seinem Vater vor, er möchte Zizito entweder mitnehmen oder, was besser wäre, in einer Anstalt unterbringen, wo er etwas lernte und unter gutgemeinte, aber strenge Aufsicht käme, etwa in eine landwirtschaftliche Schule, die auch für jüngere Knaben Platz hätte, oder zu einem Landpfarrer, der ihn verpflegte und unterrichtete. Davon wollte Lastari nichts wissen; es sei zu früh, an solche Dinge zu denken, Zizito sei noch ein Kind, weichherzig und empfindlich, und würde sich an Heimweh verzehren; es sei selbstsüchtig von Lasko, sich seiner nicht annehmen zu wollen, so klein sei er nicht mehr, daß er beständiger Aufwartung bedürfe, auch könne er sich mit den Kindern im Spital abgeben. Lasko wies den Vorwurf der Selbstsucht zurück und versicherte, daß er sich gern Entbehrungen auferlegen würde, sowohl dem Kinde wie seinem Vater zuliebe; aber er fürchtete Schlimmes für Zizito, in dem unedles Blut fließe, wie Lastari wohl wisse. Nun wurde Lastari unwillig und entgegnete, Zizito sei ebensogut sein Kind wie das seiner Mutter, er habe ein gutes Herz, das sei ihm erprobt und bewiesen, mehr brauche es nicht, aus Lasko spräche Uebelwollen, der arme Kleine sei zu beklagen, daß er in der Fremde nicht einmal an seinem eignen Bruder einen Freund habe. »Du täuschest dich,« rief Lasko, indem er weiß wurde und die Hände ballte, »und tust es zu Zizitos Verderben. Er ist faul, sinnlich, durch und durch unmoralisch wie seine Mutter, und was er von dir hat, der Ehrgeiz, dient nur dazu, seine Fehler gefährlicher zu machen. Er will ohne Anstrengung, nämlich durch Schliche und Ränke, obenauf kommen, und während er vor denen, die über ihm sind, den Gutherzigen spielt, läßt er seine Grausamkeit an den Schwächeren aus, jetzt an wehrlosen Tieren. Banditen könnte ich vielleicht schätzen, aber Tierquälerei ist das Unnatürlichste und Böseste, was man nicht einmal dem Teufel nachsagt. Ich sehe es an jeder seiner Bewegungen, an seinem Gange, an seinen Gebärden, seinem Mienenspiel, daß er ein Verbrecher werden wird, sein Körper strömt es aus, so schön er anzusehen ist.«
Lastari pflegte sich, wenn Lasko zornig wurde, schweigend zurückzuziehen, nicht aus Furchtsamkeit, sondern weil etwas Unheimliches für ihn darin lag, wovon er sich keine Rechenschaft gab, und auch weil er aus Erfahrung wußte, daß Widerspruch in solchen Augenblicken seine Wut bis ins Rasende steigerte. So erwiderte er nichts; aber die schrecklichen Anklagen gegen Zizito, die er nicht zu widerlegen wußte, erschütterten ihn dermaßen, daß er sich stöhnend auf einen Stuhl fallen ließ und die Hände vors Gesicht schlug. Durch diesen Anblick sofort ernüchtert und entwaffnet, bemühte sich Lasko, seinem Vater das eben Gesagte wieder auszureden; er hätte in gereizter Stimmung gewisse Befürchtungen, die nahe lägen, übertrieben, Zizito sei noch ein wachsweicher Teig, der sich kneten ließe; wenn Einfluß und Beispiel in seiner Umgebung gut wären, könnten die schlechten Keime absterben. Damit ließ sich Lastari endlich beruhigen, kehrte mit verdoppelter Sicherheit zu seiner früheren Meinung zurück und ließ Zizito, als er abreiste, unter Laskos Aufsicht.
Niemand hätte erraten können, wie Lasko über seinen Stiefbruder urteilte, so sorgfältig verpflegte und so liebreich behandelte er ihn. Uebrigens machte sich der Kleine mit seiner fremdartigen Schönheit und seiner leisen, schlauen Anmut alle zu Freunden und war sowohl im Hause des Professors wie bei Herrn Beatus und dem Pfarrer willkommen. Der Eindruck, den er auf den letzteren machte, wurde noch durch die einschmeichelnden Aufmerksamkeiten, die Zizito ihm widmete, erhöht. In jedem Manne, der in irgend einer höheren Stellung mit der Kirche zu tun hatte, sah Zizito eine Art Zauberer, der zwar nicht an sich verehrungswürdig sei, aber so voller Kniffe und Künste stecke, daß er dem Mißachtenden verderblich werden könne. Aus diesem Grunde befliß er sich ausgewählter Liebenswürdigkeit und Dienstfertigkeit gegen den alten Herrn, blickte ihn auch wohl andächtig schmachtend aus seinen strahlenden Unschuldsaugen an, so daß dieser herzliches Mitleid für das verwahrloste Kind empfand und Lasko den Vorschlag machte, er wolle es, bis sein Vater zurückkäme, zu sich nehmen, damit es einer strengen Erziehung teilhaftig würde. Obwohl das für Lasko eine große Erleichterung bedeutete, warnte er den Pfarrer doch vor Zizitos List, Unaufrichtigkeit und Tücke, womit er um so weniger werde fertig werden können, weil das fremde, ihm gänzlich ungewohnte Wesen des Jungen, in dem er sich nicht auskenne, ihm das Urteil erschwere. Indessen Pfarrer Nepomuk sagte zuversichtlich, schwarz und weiß und gut und böse unterscheide sich überall in gleicher Weise. Er wisse schon, daß Zizito nach Art halbkultivierter Mischvölker gefährlich beanlagt sei, und daß ein schillerndes Insekt des Südens nicht wie ein einfältiger Mistkäfer dürfe behandelt werden, aber er getraue sich schon, der kleinen Urwaldpflanze Meister zu werden; mit Liebe und Strenge am rechten Ort könne es nicht mißglücken. In der Tat war es zum Erstaunen, wie holdselig und gelehrig sich Zizito in seiner neuen Lage betrug; er lernte geschwind die Anfänge des Lateinischen und faßte einige grundlegende Religionswahrheiten sowohl mit dem Verstande wie mit dem Herzen; bald konnte er einige Verse von Horaz und längere Psalmen auswendig aufsagen, mit einer Zutat von überschwenglichem Pathos und anmutigen Gebärden, die den Vortrag zwar nicht erbaulicher, aber kurzweiliger machten, wobei der Pfarrer mit düsterem Ernst, hinter dem er geschickt seinen Stolz versteckte, und mäßigem Kopfnicken zuhörte.
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Olivia fing nun, mit etwa fünfundvierzig Jahren, fett zu werden an, und ihr weißer Hals quoll in Fülle aus den ausgeschnittenen Kleidern hervor, die sie mit Vorliebe trug. Ihr Gesicht mochte einmal schön gewesen sein, nur in ihren Augen entdeckte Laskos unnachsichtiger Scharfblick einen Fehler: sie sähen aus, sagte er zu Rizzo, als ob sie von Quarz wären, und sie täte besser, sie ließe sie als Ohrringe in den Ohren baumeln. Bequemlichkeit und Langeweile regierten ihr Leben: ohne daß sie sich rührte, sollten ihr die Begebenheiten gebraten in den Mund fliegen, möglichst süß, gewürzt und wundervoll, und sie zürnte ihrem Manne und ihrer Tochter, daß sie diesem Bedürfnis keine Rechnung trugen. Herr Beatus nahm die Pflichten gegen seine Familie sehr ernst, sorgte vortrefflich für sie und hätte sich nicht erlaubt, ihr einen Abend zu entziehen, außer zum Nutzen des Geschäftes oder des öffentlichen Wohles; aber man sah ihn nie behaglich mit seiner Frau schwatzen oder mit seinem Kinde scherzen oder mit Gästen sich teilnehmend unterreden. Er fühlte sich nirgends wohl als in den Fabrikräumen, mitten im Sausen des ungeheuren Betriebes, und dann belebte sich auch sein regelmäßiges Gesicht, und sein straffes, gesammeltes und durch und durch erregtes Wesen wurde als wohltätig herrschende Kraft empfunden. Die Maielies artete mehr ihrem Vater als ihrer Mutter nach, glich ihm auch äußerlich: sie hatte wie er eine strenge Nase, die sich grade von der weißen Stirn herabsenkte und eine wundervolle Linie des Ernstes und der Schönheit in ihr rundliches Kindergesicht zog. Wie er war sie am lebendigsten in Tätigkeit, freilich nicht in jeder beliebigen; überhaupt aber hatte die Kälte, die von den Eltern ausging, sie eingeschüchtert, so daß sie in ihrer Gegenwart selten aus sich herausging und des quellenden Frühlings im Innern sich schämte. So kam es, daß Olivia sich beständig vernachlässigt fühlte und entzückt zugriff, als Lasko sich zeigte, mit seiner immer strömenden Mitteilung, seinem anregenden Durcheinander von Ernst, Spaß, Spott und Wehmut, seinen komischen und doch schmeichlerischen Huldigungen. Sie war unzufrieden, wenn Lasko einen Abend nicht auf die Zinne kam, um die müßigen, dunklen Stunden durch wechselnde Einfälle zu verkürzen, und schalt mit ihrer Tochter, weil sie mit griesgrämig verdrossenem Wesen ihr den Liebling verscheuche; denn die Maielies, so wenig Talent zu List und Lüge sie hatte, übte zuweilen eine harmlose Verstellung, als wolle sie von dem fremden Gast nichts wissen, damit nur niemand auf den Verdacht des Gegenteils geriete.
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Am liebsten sprach Lasko von seinem Vater, in geheimnisvoll bedeutsamem Tone, als erzähle er Geschichten vom starken Simson oder vom letzten Mohikaner. Er schilderte seine hohe, gebieterische Gestalt, sein krauses Haar, seinen ernsten Blick, und wie seine Schönheit, nun er sich dem sechzigsten Lebensjahre nähere, noch strahle, daß die Frauen, die ihm auf der Straße begegneten, die Augen niederschlügen. Furchtlos und stark hatte er in den heimischen Bergwäldern ohne Waffen gegen Bären gekämpft; keine Gefahr hatte je sein Herz banger schlagen gemacht, noch den Gedanken der Flucht in ihm aufkommen lassen. Die beschwerlichsten Wanderungen hatte er gemacht über Gebirge, über Schneefelder und durch Wüsten, ohne zu ermüden und, um Zeit zu ersparen, im Gehen schlafend, wo die Gegend ihm bekannt war. Wie Odysseus hatte er viele Länder und Völker gesehen und wunderbare Wechsel erlebt, mehrmals durch seine unvergleichliche Gewandtheit und Erfindungsgabe große Vermögen zusammengerafft, alsbald aber wieder eingebüßt, teils durch die Arglist der Menschen, teils infolge eines verschwenderischen Hanges, der sich mit kluger Sparsamkeit an manchem Ort in ihm vereinte. Wie hätte auch er mit dem Gelde zurückhalten sollen, den unedlen Tauschpfennigen, der Kraft, Liebe, Zorn und Lehre, ohne zu markten und ohne sich zu besinnen, verausgabte! Mit seiner Urwaldriesennatur konnte er sich nie in der Gesellschaft zurechtfinden, wo römisches Recht und Buchstaben und Kniffe herrschen, anstatt daß dem Kräftigen und Klugen gehört, was er sich nehmen kann. Daß die Erde nicht ein großer Garten ist, wo pflücken darf, wer den Boden bestellt hat und was einer erklettern kann, ging ihm im Grunde niemals ein, obwohl er das nicht zugestanden haben würde und den Grundsätzen nach, die er äußerte, ein besonnener Freund der herrschenden Gesellschaftsordnung war.
Was hatte er nicht ergriffen und worin hatte er sich nicht tüchtig gezeigt! Mit Genugtuung erzählte Lasko, wie er die Schüler in Zucht gehalten hätte, als er einmal an einer Handelsschule Unterricht in Sprachen erteilte. »Wenn sie etwas nicht wußten oder ihn sonst ärgerten, gab er ihnen Ohrfeigen, daß sie wie Federbälle flogen,« sagte er und bewegte den Kopf, als ob er ihnen nachsähe, wie sie durch die Luft zappelten. »Wiederum war er gut wie ein Vater gegen sie, streichelte und lobte sie und führte sie in Wirtshäuser, wo gewettet wurde, wer am meisten essen und trinken könne. Einmal ging er mit sämtlichen Schülern in eine Zuckerbäckerei und stellte die Bedingung, daß, wer die meisten Kuchen verzehren könne, von den übrigen sollte freigehalten werden. Er selbst aß fünfunddreißig, was keiner von den Schülern vermochte, bezahlte aber trotzdem alles.« Noch mehr als seines Vaters Freigebigkeit bewunderte Lasko seine List, die sich als feine Vorausberechnung des menschlichen Handelns äußerte, wie es sich seiner Meinung nach entwickeln mußte, was nicht verhinderte, daß er stets von seinen Untergebenen, wie von den Geschäftsleuten, mit denen er in Berührung kam, betrogen und übervorteilt wurde. Auch bei seines Sohnes Erziehung hatte Lastari darauf abgezielt, List, Schlauheit und Geistesgegenwart in ihm zu entwickeln, als die Eigenschaften, durch die man im Kampfe des Lebens die Oberhand behielte. Er hatte dem Kleinen mit Angriffen und Neckereien nachgestellt, damit er früh lerne, sich seiner Haut zu wehren und das Leben anzusehen wie ein Mäuschen, das überall Fallen wittert. Wenn er zur Strafe tagelang nichts zu essen bekam außer Brot und Wasser, hätte Lastari ihn verachtet, wenn er sich nicht hinterrücks noch etwas dazu zu verschaffen gewußt hätte. Zuweilen bekam er eigentlich Strafen dazu, damit er rasch ein Mittel ersänne, sich ihnen zu entziehen oder sie sich zu erleichtern. Ein Theater von Nöten, Trübsalen und Gefahren führte der Vater mit ihm auf, und wenn sich der kleine Held mit verzweifelter Mühe aus der Schlinge gezogen hatte, wurde er beklatscht und belohnt; ließ er sich fangen, regnete es Spott und Schläge.
Seit Lastari die zweite Frau genommen hatte, behandelte er Lasko mit immer zunehmender Strenge, weil sie es so haben wollte; es kam nicht selten vor, daß sie Lasko selbst zu dummen Streichen und allerlei Verbotenem verlockte, damit sein Vater Ursache hätte, ihn zu bestrafen und überhaupt ihren Verleumdungen desto eher Glauben schenke. Mit der Zeit wußte Lastari gewiß, daß die Frau sein Kind mit Unrecht verdächtigte, aber er fuhr nichts destoweniger fort, es zu mißhandeln, als müsse es so sein. Er sah nichts mehr vor Augen als Faulheit und Niedertracht, und glaubte das große Menschenübel mit äußerster Strenge aus Lasko austreiben zu müssen. Dieser bemitleidete den gequälten Mann, der wie ein Löwe im engen, schmutzigen Käfig saß und in der Raserei seines Wüstenheimwehs zerriß, was zwischen seine Zähne kam. Von der Verführung eines niedrigen Weibes hatte der Riese sich einfangen lassen und wußte sich weder zu befreien, noch seine Lage erträglich zu gestalten. Am Ende blieb nicht einmal von der Schönheit, die ihn betört hatte, etwas übrig: sie wurde dick und schwerfällig, nachlässig und unreinlich, ekelerregend. Von Anfang an hatte Lastari sich bemüht, ihr Bildung und edle Gesinnung beizubringen, denn es schwebte ihm ein allgemeines Ideal vor, wie eine gute Frau beschaffen sein müsse, und er glaubte, es müsse eine jede, wenn man ihr nur den Weg wiese, das erreichen können. Ihr kamen seine Predigten bald spaßhaft, bald ärgerlich vor, und sie fühlte sich dadurch gereizt, nun gerade ausdrücklich in ihrer Weise zu verharren und ihre seinem Ideal entgegengesetzte Eigentümlichkeit hervorzukehren. Hätte er mit Fäusten dreingeschlagen, würde er sie eher haben beeinflussen oder wenigstens ihre ärgsten Ausschreitungen haben verhindern können, aber so zornig er auch werden konnte, hielt er doch streng an dem Grundsatze fest, daß ein Mann unter keinen Umständen eine Frau schlagen dürfe. So mußte er zusehen, wie sie seinen Erwerb, seine Hoffnungen, seine Zukunft verspielte.
In Betreff der Sparsamkeit konnte er ihr am wenigsten ein gutes Beispiel geben: wie er sich auch anstellen mochte, nach seinem innersten Gefühl war das Geld etwas Klebriges, das er nicht gern zwischen den Fingern behielt; aber es war ihm angenehm zu wissen, daß jemand für ihn sammelte und festhielt, und das zu tun hielt er für die herkömmliche und selbstverständliche Aufgabe der tugendhaften Frau. Je mehr er ihr das vorhielt, desto zuversichtlicher gab sie aus; sie hatte es anfangs getan wie ein Kind, das von der Bedeutung des Geldes nichts weiß, nun kam das vergnügte Bewußtsein dazu, daß sie ihrem Manne einen Tort damit tun konnte. Nicht genug, daß sie für sich Kleider, Schmuck, Zigarren und Süßigkeiten in Menge kaufte, sie machte auch kostbare und sinnlose Geschenke an ihre Familie, und was Lastari ihr nicht freiwillig gab, entwendete sie entweder oder brachte es an sich, indem sie die Angestellten bestach. Die Familie, ein unsauberes, spitzbübisches Gesindel, hatte Lastari schließlich noch mit einem fröhlichen Aufglühen der alten Zornkraft aus dem Hause geworfen, aber Lasko hatte seitdem gezittert, daß seinen Vater ein meuchlerischer Dolchstich träfe, und er hatte den arglosen, in sein Elend versunkenen Mann auf Schritt und Tritt mit der Sorgfalt eines Schutzengels behütet.
Die Maielies verhehlte nicht, daß sie Lastari verabscheute; in ihren Augen war er nichts Besseres als ein wilder Bär, der brüllend durch die Wälder geht, tut, was ihm gefällt, und sich beklagt, wenn die übrigen Tiere nicht gelaufen kommen, um sich ihm zum Fressen anzubieten. Lasko, der die Maielies im Herzen am zärtlichsten liebte, wenn sie seinen Vater angriff, ließ das nicht gelten, sondern beharrte dabei, daß Lastari untadelhaft sei und in jeder Lage groß gehandelt habe, wenn das auch von ihr, die, im Schutze des Hauses eingeschlossen, von den Drangsalen und Wonnen des Lebens nichts ahne, nicht begriffen werden könne.
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»Man sagt bei uns in Morimont«, erzählte Lasko, »daß Gott die bösen Geister in die Schweine gesperrt habe, damit sie die Menschen nicht mehr bezaubern und verführen könnten, woran ich nicht glaubte, weil mein Vater darüber lachte und sagte, es sei eine Fabel. Wenn ich aber allein mit den Schweinen auf der Felsheide war -- ich mußte nämlich von meinem vierten Jahre an das Vieh hüten --, wohin vom Morgen bis Abend kein Mensch kam, und die nackten Steine mit blinden Augen in den Himmel starrten, fürchtete ich mich, und zwar desto mehr, weil ich vorher daran gezweifelt hatte. Die Schweine waren garstiger als anderswo, schwarzbraun, mager und hochbeinig, dazu stark und böse, und wenn sie von weitem rasch gesprungen kamen, glichen sie namentlich in der Dämmerung schwarzen Gespenstern.
Wenn sie mit ihren wurmigen Rüsseln in der Erde wühlten, dachte ich manchmal, wie sie nun einen Schatz ausgraben und ihn mir verhandeln würden, wenn ich ihnen meine Seele verpfändete oder irgend eine große Schandtat auszuüben verspräche, Mord, Brand oder Gotteslästerung, was alles ich mit stolzer Selbstüberwindung zu tun beschloß, damit nur der Schatz mein würde.
Einmal an einem trüben Abend war ich, wie ich zuweilen tat, auf ein Schwein hinaufgesprungen, als es unversehens mit mir davonrannte in den Eingang einer Höhle hinein, die so eng war, daß ich mich zusammenducken mußte, um nicht gequetscht zu werden. Wie nun das Schwein grunzte und prustete, zornig, weil es im Dunkeln auf dem unebenen Boden stolperte, kam mir in den Sinn, daß es doch ein böser Geist sein möchte und mich in die Hölle trüge, und das grausig widerhallende Quieken schien mir eine freche Musik zu sein, nach der Teufel und Teufelinnen bestialische Tänze tanzten. Jeden Augenblick dachte ich, nun würden starke Krallen mich packen und zerreißen, aber so sehr ich mich fürchtete, nahm ich mir doch vor, dem nichtswürdigen Schwein nichts davon zu verraten, sondern mit Schlagen, Spucken und Beißen mein Leben teuer zu verkaufen. Dabei würgte ich es mit meinen umklammernden Armen so fest, daß es sich übler als ich befand, stieß und stampfte, um den Ausweg zu finden und endlich unter verzweifeltem Schnaufen ins Freie sauste.
Den letzten Sommer, eh' wir Morimont verließen, bekam ich einen Hautausschlag, und damit die Geschwister nicht durch mich angesteckt würden, schickte mein Vater mich auf den viele Stunden weit entfernten Berg Osgo, wo Bauern wohnten, bei denen ich mich als Ziegenhirt verdingen mußte. Da ging es so zu: ich mußte des Morgens mit der Sonne aufstehen, etwa dreißig Ziegen der Spitze des Berges zu treiben, wo zwischen den Felsritzen Gras und Kräuter wuchsen, und des Abends, wenn die Sonne unterging, wieder heimführen. Während die Ziegen umherkletterten und sich Futter suchten, lag ich auf einem besonnten Stein und träumte; bekam ich Durst, so lockte ich mir eine Ziege und trank Milch aus ihrem Euter, und wenn es Abend werden wollte, legte ich das Ohr auf die Erde, um am Geläute zu hören, wo das Vieh wäre, und trieb es heim. Eine Zeitlang trieb mit mir zusammen ein Bube die Ziegen eines andern Bauern aus, der etwas älter als ich, aber klein und verwachsen, überhaupt durch und durch krank war. Er hieß Vik und war trotz seines jämmerlichen Zustandes immer voll Uebermut und Durchtriebenheit, band den Ziegen die Schwänze zusammen, grub Löcher in den Weg und bedeckte sie künstlich mit Gestrüpp, damit die Fußgänger stolperten und fielen, und spuckte von überhängenden Felsblöcken auf die Leute, die Vieh austreiben oder Gras schneiden wollten. Er war überzeugt, daß er nicht länger als noch ein Jahr zu leben habe, was jeder glauben mußte, der ihn ansah, und es war sein liebstes Vergnügen, mir mit allerlei Fratzen und Gesichterschneiden vorzustellen, wie er sich beim Sterben aufführen werde, und ferner mir auszumalen, wie er nach seinem Tode als abscheulicher Kobold spuken wolle, um diesen und jenen, besonders die Bauern, bei denen er gedient habe, zu erschrecken und bis aufs Blut zu peinigen. Lachen tat er nie, aber er schüttelte sich und gluckste inwendig vor Wonne, wenn ich nicht aufhören konnte, über seine Grimassen zu lachen.
Furchtbar waren die Gewitter zwischen den Felsen, wo der Widerhall das Krachen des Donners verdoppelte und man glaubte, daß die drohenden Steine auf einen herabstürzen müßten. Vik fragte mich, ob ich wisse, wer den Donner mache, und da ich nein sagte, weil ich mich nicht getraute, von Gott zu sprechen, erzählte er mir, das täten der Frosch Maletatsch und das Schwein Grüllerunks, indem sie quakend und grunzend zusammen kämpften. Seitdem fürchtete ich mich unbeschreiblich, sowie die geschwollenen Leiber der Wetterwolken am Himmel heraufkrochen, denn ich dachte, das wären die Ungetüme, und sie würden sich auf unsern Berg niederlassen, gegeneinander sprühen und fauchen und Buben und Ziegen miteinander zermalmen.
Einmal fehlte mir des Abends eine Ziege, die sich verstiegen hatte, und ich kletterte eine gute Weile umher, um sie zu finden, als aber die Sonne verschwand und schwere Wolken sich zusammenzogen, wurde mir bange, und ich trieb die übrigen heim. Der Bauer schimpfte und schlug mich und sagte, die verstiegene Geiß müsse durchaus in den Stall gebracht werden, es käme ein Unwetter herauf, und da könne der Sturm sie in einen Abgrund werfen. Ich lief also wieder hinaus, während es bereits leise zu grollen anfing, horchte auf den Steinen und glaubte es bald von dieser, bald von jener Seite läuten zu hören. Inzwischen machte sich der Wind auf, und Blitze zuckten aus geballten Nebeln, die sich schneller und schneller herunterließen. Plötzlich wurde es schwarze Nacht, in die dann und wann das grelle Blitzlicht fuhr, und es schnob und zischte dermaßen um mich herum, daß ich fest glaubte, der Frosch Maletatsch und das Schwein Grüllerunks ständen an der nächsten Felsenecke und schimpften sich, bevor sie einander den Garaus machten. Ich zweifelte nicht, daß sie die Ziege schon aufgefressen hätten, und daß demnächst die Reihe an mich kommen würde, weswegen ich Lust hatte, zu beten; doch unterließ ich es als kindisch und zwecklos und redete mir zu, daß die Ziege es auch überstanden hätte, und daß der Tod nicht ärger sein könnte, als mein Leben bisher gewesen war. Indem ich so dachte, hörte ich ein schwaches Meckern, und wie ich mich umdrehte, blickte ich in die runden, glänzenden Augen der verlorenen Ziege, die mich anstarrten. Ich fiel ihr um den Hals, drückte sie an mich und küßte sie laut weinend, mußte mich aber aufs äußerste anstrengen, um sie heimzubringen; denn Angst und Schrecken hatten sie verwirrt, so daß sie nicht von der Stelle wollte und sich wütend gegen mich stemmte. Der Bauer war froh, als er mich mitsamt der Ziege unversehrt zurückkommen sah, und gab mir Schnaps und einen Kartoffelfladen, den ich verschlang, während in den Winkeln Frauen mit geweihten Kerzen in den Händen saßen, Gebete murmelten und sich unter heftigem Bekreuzen bis zur Erde bückten, wenn ein Donnerschlag kam. Ich lachte heimlich bei dem Gedanken, daß sie dadurch die krachenden Herzen des Frosches Maletatsch und des Schweines Grüllerunks zu rühren hofften.«
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So schön es war, nachts auf der Zinne des Seesterns zu sitzen zwischen Himmel und Meer wie auf dem Verdeck eines Segelschiffs, das ruht, weil alle Winde ruhen, äußerte Lasko niemals Entzücken darüber, so daß man meinen konnte, er habe keinen Sinn dafür. Jedoch schilderte er oft Gegenden, die er gesehen hatte, mit inniggefühlter Glut, weniger aber die weltberühmten, als einige kleine Orte, wo er sich eine Zeitlang aufgehalten, und die er in sein Herz geschlossen hatte. Von dem Flecken Ammuri, in dessen Nähe sein Vater auf einer Werft gearbeitet hatte, sprach er wie von einem Fabellande: jahraus, jahrein schien dort die Sonne, eine riesengroße, diamantene Strahlenscheibe, und der Regen ließ sich wie eine Flut gelöster Perlen, wie ein Schleier der Liebesgöttin, duftend und befruchtend, zur Erde nieder. Er litt damals noch an dem häßlichen Ausschlag und war, mangelhaft verpflegt, meist sich selbst überlassen; denn sein Vater hatte wenig Zeit für ihn übrig, taugte auch nicht zum Krankenwärter und glaubte überdies wie alle Leute, das Kind müsse so wie so sterben.
Trotzdem glaubte Lasko niemals so glücklich gewesen zu sein wie unter dem gnadenreichen Himmel von Ammuri, was er hauptsächlich einem kleinen Knaben Namens Miretto zuschrieb, dem einzigen, der ihn besuchte und pflegte, überhaupt seinem einzigen, treuen und aufopfernden Freunde. Miretto war schön, daß das Volk von Ammuri in die Hände klatschte, wenn er sich zeigte, klug, daß er alle Preise in der Schule davontrug und die Lehrer als auf ein Muster auf ihn wiesen, und gut wie die Heiligen, von denen man sagt, daß sie mit den fleckenlosen Händen die Geschwüre der Aussätzigen heilen. Täglich kam er und berichtete Lasko, der die Schule nicht besuchen konnte, was die Lehrer gesagt hatten, und in seiner Verlassenheit wurden ihm Zahlen und Vokabeln ein liebes Spielzeug. Es schien aus Laskos Erzählungen hervorzugehen, daß Miretto sich Aufsätze, Uebersetzungen, Rechnungen und andre Aufgaben von Lasko hatte machen lassen, aber der geringste Zweifel, den man an seines Freundes Herzensgüte und vollkommener Uneigennützigkeit äußerte, kränkte und ängstigte ihn; Miretto sollte der Paradiesvogel gewesen sein, der getreulich geflogen kam, um ihm die Lieder seiner Heimat vorzuzwitschern, das Bienchen, das dem kranken Kinde seine goldene Speise auftischte.
Abends saßen sie oft zusammen am Meere, das am Strande durchsichtig war, so daß sie auf dem Grunde silberweiße und blaugrüne Kiesel liegen und seltene Fische schwimmen sehen konnten, die glotzende Perlmutteraugen auf beweglichen Fühlern vor sich her trugen. Oft zielten sie damit auf die neugierigen Bubengesichter und schossen sie über die Oberfläche des Wassers hervor, wo sie augenblicklich erloschen wie Lichter im Winde, und zogen sie dann in die gelbverkrusteten Augenkammern zurück. Die kleinen Dampfschiffe, die in der Umgebung verkehrten, trugen verschiedenfarbige Lampen an der Seite, und die Knaben machten sich Orakel daraus, was für ein Licht ihnen zugewendet war. Das rote bedeutete Liebe, das gelbe Ruhm, das grüne Frieden. Das rote ruhte in der blauen Nacht wie das ewigbrennende Herz eines großen Liebesheiligen im Schreine; das gelbe lachte wie die Sonne und schmetterte wie Trompeten, und das Wasser, in dem es sich spiegelte, kochte; das grüne erregte Sehnsucht und Tränen. Miretto hatte außerdem gewisse Unternehmungen im Sinn, um deren Ausgang er besorgt war; er betrieb nämlich, wie es in der Gegend üblich war, das Schmugglerwesen und machte Lasko zum Mitwisser seiner kühnen Schliche, dessen Phantasie mehr davon entzündet wurde als die Mirettos selbst, der sein Geschäft mit sehr großem Geschick und kühlen Sinnes trieb.
Hart am Strande standen die Trümmer einer alten Burg, die einst von den Venezianern mochte erbaut oder doch erneuert worden sein; denn man erkannte noch hie und da das Bild des Löwen auf den verbröckelnden Steinen. Der Sage nach war sie einst von Seeräubern bewohnt; jetzt benutzte das verfallene Gemäuer allerlei Volk, das nicht gesehen werden wollte, als Schlupfwinkel, und auch Schmuggler verbargen dort zeitweilig ihre Waren.
Manchen dunkeln Abend hockte Lasko dort zwischen dem grauen Schutt, klopfenden Herzens und in haarsträubenden Phantasien schwelgend, um Miretto zu erwarten, der seine lautlose Barke von den großen Dampfern, die nicht bei Nacht in den Hafen einlaufen wollten, herübertrieb. Lasko hoffte in späten Jahren, wenn er gesund wäre, Seeräuber werden zu können, und dichtete sich, einsam über dem schwarzen Meere, ein Seeräuberlied, das mit Blut und Schrecken gesättigt war:
Bläh mein blutrot Segel,
Süd, o Süd!
Nachts auf Marmorzinnen
Träumen Königinnen
Heiß und müd,
Rasch wie Feuerzungen
Ist das Dach erschwungen --
Die Fackel ins Haus und ein Schrei!
Hinunter -- vorbei!
Funken stürzen wie Rosen
Ueber das Bett, wo wir kosen;
Feurig lachen die Leiber,
Leiser stöhnen die Weiber,
Kampfes müd .....
Bläh mein blutrot Segel,
Süd, o Süd!
In Sturmnächten pflegte er es mit hoher, gellender Stimme in das laute Wetter hinauszusingen.
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In Italien hatte Lasko zum ersten Male einen katholischen Dom besucht, und er erzählte, wie ihm zu Mute gewesen war, als er an einem warmen Maiabend den Chor der Frauen das Laudate Maria hatte singen hören. Leise sang er, von der Erinnerung hingerissen, einige Takte der auf- und abwogenden Melodie, die das Bild von Meereswellen gab, auf denen die Himmelsgöttin emporstiege. Er blickte dabei nach oben wie ein Verzückter, seine Augen glichen sammetschwarzen Aurikeln auf mondscheinweißer Wiese, und es schien, als wäre der letzte spinnwebdünne Vorhang vor seiner Seele zerrissen, so daß man sie als jungen Cherub sähe, zwischen Scharen von Seligen ein Loblied Gottes singend. Dies währte indessen nur einen Augenblick; denn es fiel ihm ein Streich ein, den er im Verein mit einem durchtriebenen Kameraden öfters ausgeübt hatte: sie schlichen sich nämlich an hohen Festtagen, eh' der Morgen graute, in die Kirche, krochen unter den Altar, und warteten, bis der Kirchendiener kam und den Kelch mit dem Wein füllte; sowie derselbe sich entfernt hatte, schlüpften sie aus dem Versteck hervor und tranken den Wein aus, worauf sie schleunig wieder nach Hause liefen und sich ins Bett stahlen. Indem er beschrieb, wie gut der Wein geschmeckt habe und beteuernd die Augen zum Himmel aufschlug, verwandelte sich das Engelsantlitz in ein Gassenbubengesicht voll Schelmerei und triumphierender List, was alle lachen machte. Herr Beatus würde den Spaß anstößig gefunden haben, wenn es sich um eine protestantische anstatt um eine katholische Kirche gehandelt hätte; überhaupt aber leuchtete es sogar ihm ein, daß Gott dem kleinen Lasko etwas mehr als andern Leuten hätte hingehen lassen. Pfarrer Nepomuk ließ sich in seiner Meinung, daß Lasko ein Gotteskind sei, auch dadurch nicht beirren, daß dieser selbst behauptete, oft Gott gelästert und herausgefordert zu haben, er möchte ihn mit Blitzen niederschlagen, wenn er mit Unrecht seine Regierung beschimpfe oder sein Dasein leugne.
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Wie Lasko, rühmte sich auch Zizito gern seines Vaters, aber er verfiel dabei in ein sinnloses Aufschneiden, etwa daß sein Vater mit der rechten Hand einen Löwen, mit der linken eine Schlange erwürgt habe, daß er mit dem Kaiser von Brasilien oder dem König von Spanien in einer Kutsche spazieren gefahren sei, daß er ganze Indianerstämme ausgerottet habe und dergleichen. Während alle über diese kindischen Prahlereien lachten, litt Lasko darunter, weswegen er sich oft von der Maielies mußte schelten lassen. Zizito hatte manches von der Fülle seiner tropischen Heimat in sich, wodurch er anzog und bezauberte, so seine unbegrenzte Lust des Gebens; man konnte die Jacke loben, die er trug, so zog er sie augenblicklich aus und nötigte sie einem auf, in feuriger Bereitwilligkeit mit beiden kleinen Händen hinhaltend, einerlei ob sie rein oder schmutzig, heil oder zerrissen war. Zwar raubte er sich etwa wieder, was er allzu unüberlegt weggeschenkt hatte, im Augenblick des Schenkens aber war er ehrlich und folgte einem starken, großmütigen Triebe. Seine Schönheit lockte unwiderstehlich: die Schwärze seiner Augen, die Erdbeerröte seines Mundes und das Goldbraun der Haut verliehen seinem Kindergesichte Glanz und Schmelz, und der stets wechselnde Ausdruck von Verschlagenheit, Schmachten und Schwermut reizte, wenn er auch zu seinem kindlichen Alter nicht stimmen wollte. Er konnte so blicken, als ob er die Abgründe der Liebe und das kalte, gestaltlose Dunkel der Melancholie kennte, und das letztere Aussehen hatte er fast immer, wenn er nichts als Hunger oder Langeweile verspürte.
Eines Abends erzählte der Pfarrer auf der Zinne des Seesterns, wie rasch und reizvoll sein Pflegesohn sich entwickle und ihm erst heute wieder durch seine schelmische und anmutige Klugheit ein herzliches Vergnügen bereitet habe. Er habe in den letzten Tagen versucht, ihm die alten Versmaße, besonders den Hexameter, zu erklären, und der achtjährige Knabe habe ein empfängliches Ohr dafür gezeigt, wenn er auch eine weitergehende Teilnahme nicht habe merken lassen. Heute nun sei er in den Garten gekommen und habe Zizito schon von weitem gesehen, wie er mit Essen einer Aprikose beschäftigt gewesen sei, obwohl er ihm mehrmals ausdrücklich verboten habe, sich diese Früchte selbst vom Spalier zu nehmen oder aufzulesen, nicht weil er sie ihm mißgönne, sondern um ihm das Naschen abzugewöhnen, überhaupt eine Regel und Ordnung aufzustellen. Er sei mit strenger Miene auf den Uebeltäter, der geschwind den abgenagten Kern habe fallen lassen, zugegangen und habe ihm seine Uebertretung vorgeworfen; da habe Zizito seine großen, unschuldigen Augen zu ihm erhoben und mit allerliebstem Lächeln und feiner, rhythmischer Betonung einen lateinischen Hexameter gesprochen, der sich etwa so ins Deutsche übertragen ließe: Lustwandelnd im obstreichen Garten nicht Früchte samml' ich, nein, Verse -- wobei freilich das hübsche Wortspiel mit poma und poëma verloren ginge. Um dieser munteren Geistesgegenwärtigkeit und Redegewandtheit willen habe er nicht wohl anders können, als ihm Diebstahl und Unwahrheit zu verzeihen.
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Lasko behauptete, er sei auch mit verwerflichen Neigungen geboren, habe sie aber stets als schlecht erkannt und mit Anstrengung bekämpft, während man Zizito niemals den Unterschied zwischen gut und böse würde begreiflich machen können. Unter anderm habe er einen leidenschaftlichen Hang gehabt, seinen Vater zu berauben, einerseits weil die ungefüge Vertrauensseligkeit Lastaris ihn lockte, sodann weil die Gefahr seines schonungslosen Zornes, wenn die Tat entdeckt würde, dem Unternehmen einen schaudervollen Reiz verlieh. Einmal besaß sein Vater einen kostbaren Dolch, den er von einem hausierenden Orientalen gekauft hatte; er stak in einer silbernen, reich mit Arabesken verzierten Scheide, und der Griff war in Form einer ausgebreiteten, gerade sich zum Griff anschickenden Löwentatze gearbeitet. Lasko hatte die ganze Geschichte des alten Dolches im Kopfe, kannte alle Hände, die ihn einmal geführt hatten: erst eine dunkle, magere Despotenhand, dann die gelblichweiße, wächserne, mordlustige einer lieblosen Frau, dann die kleine kränkliche, furchtsame Hand eines morgenländischen Fürstenkindes, und das alles bedeutete eine Reihe düsterer, wundersamer Begebenheiten für ihn. Um den Dolch zu besitzen, ersann er ein umständlich und überflüssig verwickeltes Verfahren: er wußte den Dolch durch unangemessenen Gebrauch stumpf zu machen, worauf sein Vater ihn, wie beabsichtigt war, zum Messerschmied schickte, um ihn schleifen zu lassen. Er richtete es so ein, daß er spät am Nachmittage fortging, und erzählte abends, als er nach Hause kam, folgende Geschichte: »Ich ging die Brunnenstraße entlang, in deren Mitte Wasser in einem schmalen steinernen Kanale fließt. Niemand war außer mir auf der langen Straße, soweit ich sehen konnte, nur die Laternenpfähle standen in großen Zwischenräumen wie vermummte Gestalten, die den Vorübergehenden auflauerten. Plötzlich ging ein Mann vor mir, von dem ich nicht begreifen konnte, wie er dahin gekommen war, denn keiner war hinter mir gewesen, und ich hatte keinen aus den Häusern kommen sehen. Es war mir unheimlich, besonders weil er, indem er langsam vor mir herging, den Kopf nach mir umwandte und mich aufmerksam fortwährend ansah. Auf einmal sagte er zu mir: ›Kennst du mich nicht mehr, Lasko?‹ Ich fürchtete mich so, daß ich nicht antworten konnte, worauf er lachte, daß ich seine bleichen Zähne sehen konnte, und wiederholte: ›Kennst du mich nicht mehr? Weißt du nicht mehr, wie wir am Roten Meere saßen und Wasserjungfern warfen, und wie du mir plötzlich den scharfkantigen Stein ans Herz warfest und mein Blut austrankest?‹« Lasko erzählte weiter: »›Was für ein Unsinn!‹ rief mein Vater entrüstet. ›Das war ein Verrückter oder ein Betrüger! Du bist ja niemals am Roten Meere gewesen.‹ ›Ich weiß es,‹ antwortete ich; ›aber das schrecklichste ist das: alles, was er sagte, hat mir einmal geträumt. Während meiner Krankheit, als ich einmal mit starkem Fieber zu Bette lag, träumte mir, an einem großen Wasser zu sitzen, das rot und röter wurde, wie ich hineinsah, worauf ich wußte, daß es das Rote Meer war. Unversehens saß ein Mann neben mir, der mit mir um die Wette Wasserjungfern zu werfen anfing mit ganz flachen Steinen, die am Ufer lagen, blanken, glatten, fast gewichtlosen. Man konnte damit so werfen, daß sie zwanzig- bis dreißigmal aufschlugen, weiter als man mit den Augen sehen konnte, und jedesmal gab es einen süßen, silbernen Klang, verschieden an Höhe und Tiefe, so daß jeder Wurf eine besondere Melodie für sich hatte. Da kam es mir in den Sinn, während ich einen Stein in der Hand hielt und zielte, ihn anstatt in das Wasser nach dem Herzen des fremden Mannes zu werfen; ich tat so, worauf sogleich ein dicker Strahl Blut aus der Wunde sprang, die der Stein in seine Brust gemacht hatte. Ich legte meinen Mund an die Wunde und trank das Blut, trank und trank, mit immer zunehmendem Durste; allmählich wurden seine Glieder schlaff und kalt, aber ich hörte nicht auf zu trinken und fürchtete nur, ich möchte ihm bald den letzten Tropfen ausgesogen haben.‹
»Mein Vater sagte ärgerlich: ›Der Traum war durch das Fieber hervorgerufen, du hattest Durst, und dein Blut war in Wallung, daraus erklärt sich alles.‹ ›Ja,‹ sagte ich, ›aber wie konnte der Mann von meinem Traume wissen?‹ Und das schien meinem Vater einzuleuchten, denn er antwortete nicht, und ich fuhr nun in meiner Erzählung fort: Vor Angst konnte ich nicht weitergehen, da tat der Mann ein paar Schritte rückwärts, bis er dicht bei mir war, wand mir den Dolch aus der Hand und sagte leise: ›Jetzt sollst du mir mein Blut wiedergeben.‹ Ich schrie so furchtbar, daß auf beiden Seiten der Straße Leute die Köpfe aus den Fenstern streckten, um zu sehen, was es gäbe, und im selben Augenblick verschwand der Mann. Sie wollten mir nicht glauben, daß jemand dagewesen wäre, und lachten mich aus. ›Sie hatten recht,‹ sagte mein Vater, ›der Mann war nichts weiter als dein Hirngespinst, und die Geschichte hätte dir nicht begegnen können, wenn du nicht gewohnt wärest, am lichten Tage im Schlaf herumzugehen.‹ ›Ja,‹ sagte ich, ›aber wenn er ein Hirngespinst war, hätte er mir doch den Dolch nicht wegnehmen können.‹ Diese beispiellose Unverschämtheit entwaffnete meinen Vater; doch nach kurzem Besinnen sagte er, ich könnte den Dolch verloren haben, oder auch, der Mann wäre ein gewöhnlicher Taschendieb gewesen, und das übrige hätte ich hinzugeträumt. Ich wunderte mich selbst, daß ich so viel Glück bei meiner Lügerei gehabt hatte, und belobte mich, daß ich meine Rolle so gut spielte; aber mittlerweile hatte ich mich so in meine Fabel hineingelebt, daß ich in Wirklichkeit anfing, mich zu fürchten. Ich lief nachts im Traume angstvoll durch die lange, gerade Gasse, die nicht enden wollte, neben dem lautlosen, schwarzen Wasser, an den hohen, stumm drohenden Laternenpfählen vorüber, oder die blutlose Larve des unbekannten Mannes war vor mir, und ich konnte nicht ausweichen. Diese Träume wiederholten sich und wurden eine Art Alpdruck, worunter ich sehr litt; meine Furchtsamkeit nahm so zu, daß ich nicht mehr zu bewegen war, des Abends in der Dunkelheit allein aus dem Hause zu gehen. Mein Vater schalt mich wegen meiner Albernheit, aber er nahm mich doch bei der Hand und führte mich, zuweilen die ganze lange Brunnengasse hinunter, damit ich meine Dummheit einsähe. Es waren glückselige Stunden, wo ich in der Hut meines Vaters durch das behagliche Dunkel ging, mein Spitzbubenherz voll Frieden und Furcht, vor dem eingebildeten Gespenst sowohl wie vor dem Zorne meines Vaters, wenn er dem großen Betrug auf die Spur käme.«
Als dies geschah, konnte Lastari sich nichts andres vorstellen, als daß sein Sohn entartet und mit verbrecherischen Trieben behaftet sei, und brachte ihn auf das erste beste große Schiff, das im Hafen lag, damit er als Schiffsjunge in die Welt ginge. Er setzte dem Kapitän, einem einfachen, gutmütigen Manne, auseinander, daß Lasko nicht gut tun wolle und in Gefahr stehe, ein Lügner und Dieb zu werden, daß er selbst nicht Zeit habe, sich angelegentlich um seine Erziehung zu bekümmern; daß es dem Jungen an Verstand und Geschicklichkeit nicht fehle, und daß, wenn man ihn nur etwas streng und scharf beaufsichtige, keine Unannehmlichkeiten zu befürchten seien. Der Kapitän erklärte sich einverstanden, Lasko probeweise bis zum Abgang des Schiffes, der in einigen Tagen erfolgen sollte, zu behalten, und Lastari nahm mit einer eindringlichen Vorstellung, daß Wahrhaftigkeit die erste Tugend des edelgearteten Menschen sei, von seinem Sohne Abschied. Der verrichtete im Laufe des Tages flink und nett, was ihm aufgetragen wurde, und als in einer müßigen Dämmerstunde ein Steuermann und die wenigen Matrosen, die an Bord waren, ihn neckten, weil Mutter Europa ihn als einen unverbesserlichen Taugenichts ins Meer gespieen habe, sagte er stolz errötend, es sei sein eigner Wille, zur See zu gehen, er habe von jeher vom Schiffsleben geträumt, und sang ihnen sein Seeräuberlied auf eine so kecke und wunderliche Art, daß sich die ganze Mannschaft um ihn versammelte und beifällig lachend lauschte. Etwas später hörte Lasko zufällig ein Gespräch des Kapitäns mit dem Steuermann, der dem ersteren auf seine Frage berichtete, daß Lasko sich willig und anstellig betragen habe und ein guter Bursche zu sein scheine, worauf der Kapitän die Bemerkung hinwarf, denselben Eindruck habe Lasko beim ersten Blick auf ihn gemacht, der Vater wolle wohl das Kind nur los sein und überantworte es gewissenlos einer schwierigen Laufbahn, auf der gerade für einen charakterschwachen Jungen mehr Wahrscheinlichkeit wäre, daß er zu Grunde ginge, als daß er sich durcharbeitete. Kaum hatte Lasko gehört, was eine Beleidigung seines Vaters ausdrückte, als er mit einem Sprunge vor die Männer hintrat und sagte, gewissenlos wären vielmehr sie, daß sie Uebles von seinem Vater redeten, den sie nicht kennten. Sein Vater hätte recht, gut und groß gehandelt; freilich öffne er sein Herz nicht jedem neugierigen Gaffer, aber seine Liebe wäre besser als die weichliche Affenliebe derer, die ihre Augen gegen die Fehler der eignen Kinder zuschlössen. Wenn sie ihn für gut hielten, käme das daher, weil er die Absicht gehabt hätte, einen guten Eindruck auf sie zu machen. Sich bei zwei alten Seebären einzuschmeicheln, dazu hätte er allerdings Verstand genug; anstellig und gescheit sei er auch, das wäre aber des Rühmens nicht wert, sein Vater verlange etwas Höheres von ihm. Zu Grunde gehen würde er auch nicht, täte er es aber, so wäre es nicht schade; sein Vater solle lieber einen verschollenen Sohn oder gar keinen Sohn haben als einen charakterschwachen.
Die beiden Männer sahen erst mit sprachlosem Erstaunen auf das schmächtige Kind, das fauchte und sprühte wie ein junges Raubtier, dann lachten sie laut heraus, klopften ihm wohlwollend auf die Schulter und brachten ihn zu Bett; der Steuermann selbst führte ihn am folgenden Morgen zu Lastari zurück mit der Botschaft des Kapitäns, Lasko sei ein braver Junge, der Vater solle ihn bei sich behalten und froh sein, einen solchen Sohn zu haben.
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Lasko behauptete zu glauben, daß die Seele nicht nur ein einziges, von der Geburt zum Tode reichendes Dasein habe, sondern, wenn sie eben im Gedränge des Lebens verschwunden sei, bald unter neuer Maske wieder auftauche. Er versicherte, sich vieler Begebenheiten, die seine Seele vor ihrer jetzigen Erscheinung erlebt habe, zu erinnern, wollte auch manche von den jetzigen Bekannten schon vor Jahren und Jahrhunderten in seltsamen Vermummungen angetroffen haben. Der Pfarrer Nepomuk, sagte er, sei vor etwa hundert Jahren bereits Geistlicher und ein Vater seiner Gemeinde gewesen. Er beschrieb eine hehre Kathedrale, inmitten eines alten, herabgekommenen Städtchens, breit und hoch und gewaltig, über und über mit Spitzen, Zacken und Türmchen verziert, von einem Kirchhof umgeben. Auf den großen granitnen Grabsteinen saßen am Sonntagnachmittag die alten müden Leute aus dem Ort in der Sonne und plauderten verschlafen von kindlichen Erinnerungen, bis sie einnickten, während die Jugend in dem hohen, nie gemähten Grase lagerte und halblaut übermütigen Scherz trieb. Unter einem breiten Ebereschenbaum, der auf einem längst eingesunkenen Grabe stand, fanden sich dem Herkommen nach die Liebespaare, flüsterten und küßten, indes im Hochsommer gelbrote Beerendolden über ihren törichten Häuptern brannten. Der gute Pfarrer wollte den armen Leuten ihre sonntägliche Mittagsruhe nicht rauben und hielt den Nachmittagsgottesdienst in der Weise, daß er grüßend und segnend durch die feiernde Gemeinde in den Dom schritt und dort unter Beistand des Küsters ein Gebet für alle miteinander sprach. Dann setzten sie sich mit dem Sakristan um eine große kupferne Grabplatte, auf der das Bild eines Kreuzritters in Rüstung und mit offenem Visier zu sehen war, und spielten Karten. Da sie aber einen vierten Mann brauchten, hatten sie Lasko, der damals ein kleines Bübchen war, das die Weihrauchfässer zu schwingen hatte, das Spiel gelehrt, und er mußte mitspielen. Während des Spiels paßte er auf, wie die Sonne durch die haushohen Fenster fiel und langsam von Pfeiler zu Pfeiler weiterging, und er dachte, sowie der Strahl auf das steife, traurige Gesicht des toten Ritters fiele, würde er die Augen auftun und erzählen von der Levante und Jerusalem, von edeln Sarazenen und abenteuerlichen Meerfahrten; aber dieser Strahl kam nicht, denn der gute Pfarrer hatte eben diesen Stein gewählt, weil er jahraus, jahrein im Schatten lag, und sie zur Sommerszeit kühl und ungeblendet ihrem Kartenspiel obliegen konnten.
»Erinnern Sie sich nicht,« sagte Lasko zum Pfarrer, »wie Sie mich liebreich ermahnten, nicht Trumpf beizugeben, die Stiche zu zählen und den Sakristan, der neben mir saß, nicht in die Karten schielen zu lassend Und wie Sie, wenn die zum Gottesdienst bestimmte Zeit vorüber war, ein Gebet sprachen, wir alle das Kreuz schlugen und nacheinander die Kirche verließen, ich voran, das Weihrauchfäßchen schwingend, der Sakristan hinterdrein mit den Karten in der Tasche, und wie die alten Männer mit ihren krummen Knieen aufstanden und sich verneigten und ehrfurchtsvoll die hohen schwarzen Hüte vom Kopfe nahmen?«
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Vor etwa fünfhundert Jahren sollte folgende Geschichte gespielt haben:
»Ich war damals,« erzählte Lasko, »der Sohn eines sehr reichen Kaufmanns und weiß noch, daß er ein strenger, ernsthafter, herrischer Mann war, den alle fürchteten, einzig mit mir ging er sanfter um und sprach und lachte mit mir in dem Ton, wie man wohl mit Kindern tut, auch als ich schon ein ausgewachsener Mensch war. Er bemerkte nicht -- obwohl er sonst alles sah und hörte --, daß man über die Art und Weise, wie er mit mir verkehrte, lächelte; aber ich sah es und war voll Angst, er möchte es endlich auch bemerken und sein Benehmen gegen mich ändern. Ich tat alles, was er wollte, und heiratete auch die Frau, die er mir ausgesucht hatte, wobei er sehr gut für mich gesorgt zu haben glaubte; denn sie war die Tochter eines reichen, vornehmen Mannes, gut erzogen und schön obendrein. Ja, sie war wirklich so schön und liebreizend, wie ein Mädchen irgend sein kann, und dennoch habe ich nicht eine einzige, wahrhaft glückliche Stunde mit ihr verlebt. Nicht daß sie unfreundlich oder zänkisch gegen mich gewesen wäre, im Gegenteil liebte sie mich heftig, wenigstens muß ich das glauben, da sie unersättlich war, sich von mir umarmen und küssen zu lassen. Am Tage allerdings, wenn sie prächtig angezogen und mit dieser und jener Sache beschäftigt war, besonders wenn Gäste da waren, ließ sie mich stehen, und wenn ihr Blick mich zufällig streifte, hatte ich eine Empfindung, als ob das kalte, hastige Licht einer Blendlaterne über mich hinführe. Sie hieß Melisse. Ich erinnere mich an den Verlauf unsers Lebens nur dunkel bis zu dem Augenblick, wo ich Rotrut fand, ein Mädchen, das zu einer herumziehenden Gauklerbande gehörte, und in die ich mich verliebte. Ich pflegte sie des Abends an einem Flusse zu treffen, der draußen vor der Stadt floß, an dem nur ein paar Hütten von Fischern und Bauern standen. Da sah ich den Schmelz ihres kindlich schlanken, geschmeidigen Leibes; wenn sie die Beine in die grüne Flut hinunterhängen ließ oder mit dem ganzen Körper untertauchte, blinkten ihre Glieder darin wie helles Gold, und Wasserspinnen und Wasserkäfer kamen herbeigerudert, um sich in dem Glanze zu tummeln. Sie ergab sich mir keineswegs schnell wie ein armes fahrendes Weib dem reichen Manne, vielmehr behandelte sie mich als den armen Schlucker, der bei ihr betteln kam, ja zuweilen vergaß sie ganz, daß ich da war, wenn sie sich zum Beispiel am Anblick ihrer edeln Schönheit weidete oder, in Träumen verloren, flach auf der Erde ausgestreckt, in die Flucht des Himmels starrte. An den Schmucksachen, die ich ihr mitbrachte, hatte sie zwar große Freude und behängte sich Hals und Brust und Arme damit, aber wenn sie eine Weile so gespielt hatte, warf sie sie in den Fluß und lachte bis zu Tränen, wenn ich ein verdutztes Gesicht dazu machte. Eine Königin war sie, und ich war der Lump. Denn jetzt habe ich die Kraft und Ehrlichkeit, es mir zu sagen, daß sie meiner gar nicht bedurfte, und was sie mir an Liebe gewährte, schenkte wie ein rasender Verschwender, der dem Elendesten alles Gold, was er in der Tasche hat, in den Hut wirft. Zuweilen sagten ihre Augen: ›Du suchst das Glück? In meinen Armen ist es!‹ Und zuweilen sagten sie: ›O Judas! Judas!‹ Und meine Seele wand und krümmte sich unter dem Blick und hielt ihn aus, wie der Landstreicher das Scheltwort hinnimmt, mit dem man ihm das Almosen reicht. Nein, sie liebte mich nicht, und das Gefühl war wie ein allgegenwärtiger Schmerz in meinem Innern, den ich nicht um die Seligkeit des Himmels gegeben hätte. Wenn sie die Arme um mich schlang und mich küßte, genoß ich, was vielleicht der Sünder empfindet, wenn über sein zerknirschtes Herz sich die Vergebung Gottes wie Oel und Aether ergießt. Hunderttausendmal schwur ich ihr zu, sie nie zu verlassen, ihr zu folgen, ein heimatloser Mann für sie zu werden, und sie nahm meine Worte wie die Schmucksachen, spielte eine Weile damit und warf sie ins Wasser, so gut kannte sie mich; denn als es so weit war, daß ich ihr die Treue hätte beweisen können, gab ich sie preis.
»Meine Frau nämlich hatte alles erfahren und tat mir vieles an mit Bitten, Drohungen und Lockungen, was gar nicht verfing, im Gegenteil machte es mir Vergnügen, ihr recht nachdrücklich zu zeigen, daß ich sie nicht liebte und niemals geliebt hatte. Ihren ganzen Haß warf sie auf das Mädchen, das mich behext haben sollte, und der hohe Rat, der von meinem vielvermögenden Schwiegervater beeinflußt war, verurteilte sie, Rotrut, dazu, ausgepeitscht zu werden und gebrandmarkt die Stadt auf immer zu verlassen. Meine Strafe sollte darin bestehen, daß ich vom geöffneten Fenster aus zusehen mußte, wie das Urteil vollzogen wurde, und ich entsinne mich deutlich dieses Augenblicks, und daß ich neben meiner Frau stand, die ein Kleid von burgunderrotem Damast mit braunem Pelzbesatz trug. Ihr rosiges Gesicht glänzte wie eine helle Blüte über der Pracht, und ihre Augen funkelten vor Vergnügen über das Schauspiel des nackten gepeitschten Mädchens. Viele tausend Augen sahen jetzt den Schmelz des geliebten Körpers, der um so weißer schien, weil das Blut daran herunterfloß, und viele sahen auch neugierig auf mich, was für einen Eindruck die Marterung meiner Buhle wohl auf mich machen würde. In diesem Bewußtsein hielt ich mich stolz aufrecht in meinem dunkelbraunen Sammetgewande mit puffigen Aermeln und Hosen. Einige Male blinzelte ich seitwärts nach einem hohen Spiegel, der an der Wand hing, und sah, daß ich sehr bleich war, daß aber ein geckenhaftes, leichtfertiges Lächeln um meinen Mund spielte, womit ich ausnehmend zufrieden war. Erst als alles vorbei war, kam mir ihr Bild lebendig vor Augen, wie sie dagestanden hatte, mit hochgehobenem Haupte, das Antlitz von Schmerz verzerrt und die krampfhaft zuckenden Arme zusammengebunden. Mich hatte sie nicht ein einziges Mal angesehen, obwohl sie wußte, daß ich da war, und das war meine Qual, daß ich mich nachträglich sehnen mußte, sie möchte mich angesehen haben, wäre es auch nur ein Blick voll Ekel und Verachtung gewesen. Ich sehnte mich so, daß es mich glühte und fror und mein Körper wie eine einzige stechende Wunde war. Aber während ich hinstarb in dieser hoffnungslosen Liebe, peinigte mich ein sinnliches Feuer für meine Frau, dergleichen ich nie für sie gefühlt hatte, bis ich sie mit kalten, zufriedenen Augen die schändliche und erbarmungswürdige Folter hatte begleiten sehen. Entsetzlich war es, wie ich sie im Herzen verabscheute, während sie an meiner Brust lag, so daß ich immer die Lust in mir niederdrücken mußte, sie zu erwürgen. Ihr entging das keineswegs; aber das eben reizte sie und machte sie immer begieriger nach mir, und wir genossen uns, von Ekel bis an die Kehle voll, bis zur wüsten Erschöpfung.
»Die bitterste Qual meines Lebens jedoch kam am Tage. Mein Vater nämlich hatte seit jenem Male, wo er mir stillschweigende Unterwerfung befohlen hatte, unser Haus nicht mehr betreten, und ich hatte anfänglich nicht den Mut gehabt, ihn aufzusuchen. Als ich es aber schließlich doch nicht unterlassen konnte und mich ihm näherte, voll Sehnsucht ihm zu Füßen zu fallen und mich auszuweinen, traf mich sein Blick wie ein Peitschenhieb, so daß ich zurücktaumelte. Am nächsten Tage schlich ich wieder in sein Haus, und dasselbe wiederholte sich. Einmal, als meine Furcht in der unabsehbaren Verzweiflung untergegangen war, redete ich ihn an und sagte, ich wüßte wohl, daß ich schlecht gehandelt hätte, aber mein Verhältnis zu dem Mädchen sei ein Ausschreiten der Leidenschaft gewesen, das sich wohl verzeihen ließe, und das übrige hätte er mir anbefohlen. ›Und du warst der feige Hund, mir zu gehorchen,‹ sagte mein Vater und machte eine Bewegung, als ob er mir einen Fußtritt geben wollte, besann sich aber und verließ das Zimmer. Es wäre mir Wollust gewesen, wenn er mich totgetreten hätte. Ich kam auch Tag für Tag wieder, denn ich konnte von der Hoffnung nicht lassen, er würde ein einziges Mal -- nur aus Versehen oder im wachen Traume -- in dem kindisch zärtlichen Tone wie früher mit mir reden. Schließlich sah ich ein, daß das vorbei war, und begnügte mich damit, an seinem Hause vorbeizugehen, wenn es dunkel wurde. Als er gestorben war, hatte ich nicht das Herz, dem Sarge nachzufolgen, obwohl mir das niemand verwehrt haben würde, sondern ich sah von weitem zu, wie sie ihn begruben, kam erst, als alle den Friedhof verlassen hatten und auch der Totengräber davongehinkt war, riß die Kränze von dem nackten Hügel weg und wühlte mich tief in die frische, schwarze Erde hinein. Es war der erste Augenblick seit jenem entsetzlichen Tage, wo ich den grimmigen Wundschmerz meiner Seele nicht mehr spürte, und es ist das letzte, dessen ich mich entsinne, daß ich in mir beschloß, nicht von dieser Stelle zu gehen, noch mich fortreißen zu lassen.«
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Es gab Tage, wo Laskos anschmiegsames und feinfühlendes Wesen sich ins Gegenteil verkehrte und schon sein Aeußeres verändert war: seine Stirn war gedrückt, seine Nase größer und weicher, seine Augen gelb, aber spitzig im Ausdruck, und das goldige Rot seiner Wangen sah aus, als ob Asche darüber verrieben wäre. Allem, was er sagte, gab er dann eine Wendung, durch die irgend jemand verletzt wurde, und es zeigte sich, wie genau er die innersten Schwächen derer kannte, mit denen er in traulicher Freundschaft und Anhänglichkeit verkehrte. Er pflegte dann mit einer gewissen unruhigen Kälte vom einen zum andern zu sehen und glich einer Wespe, die in langsamen Kreisen näher kommt und im Fluge wählt, wo sie den Stachel einbohren wird.
Eines Tages bekam Lasko einen Brief von seinem Vater, worin er ihn um Geld bat, damit er zu ihm reisen könne; er hätte, was ihm noch übrig geblieben wäre, teils verbraucht, teils seinen Kindern geschenkt, und könne sich nicht regen, bis Lasko ihm aus der Not hülfe. Lasko konnte von dem geringen Gehalt, das er bezog, kaum seine und Zizitos Bedürfnisse bestreiten, und selbst nachdem er die wenigen Wertsachen, die er besaß, versetzt hatte, fehlte noch ein Teil der benötigten Summe, so daß er in peinlichster Not und Aufregung war, woraus ihn Rizzo, der seine Verstimmung bemerkte und ihm ihren Grund abfragte, befreite. Seiner Sorge war er damit nicht enthoben; denn nun würde nach kurzer Frist Lastari daherkommen wie ein Windstoß, der bläst, schüttelt, wirft und zerbricht und vorbeigeht, Schaden und Schrecken hinter sich lassend. Es war anzunehmen, daß er neue Pläne entworfen und dabei wie immer auf seinen Sohn gerechnet hatte; Lasko fürchtete, daß er wieder weiter müsse, die Stelle aufgeben, in die er sich eingelebt hatte, Hoffnung, Aufschwung, Liebe, Zukunft vergessen, um als heimatloser Glücksritter über die Erde zu schweifen. Er erwog die Möglichkeit, sich zu widersetzen, aber das erleichterte sein Herz nicht; wie hätte er es ertragen können, den alten Wilden mit seinem Ungestüm, seiner Hilflosigkeit und seinem Stolze allein unter krämerklugen Menschen zu wissen? Unaufhörlich mit schweren Gedanken streitend, suchte er sich vor allen Bekannten zu verbergen, allein Rizzo beredete ihn, den Abend wie gewöhnlich auf der Zinne des Seesterns zuzubringen.
Als er von der bevorstehenden Ankunft seines Vaters und der Ungewißheit seines Schicksals sprach, machte Herr Beatus eine bedenkliche Miene, rügte Lastaris Zigeunerart, sein unstetes, zusammenhangloses Leben und warnte Lasko davor, sich von diesem zersetzenden Triebe mitreißen zu lassen. Rizzo lachte kurz auf und sagte: »Hierzulande ist nur ein Ideal erlaubt: baue deinen Kohl und schlachte deine Schweine! Mäste dich an den Würsten deines eignen Rauchfangs!« Mit einem unwilligen Blick auf seinen Neffen sagte Herr Beatus: »Es ist allerdings nicht jedermanns Sache, sie sich aus fremdem zu holen. Ein jeder möchte doch Geld und Geldeswert haben, und jeder, der es nicht hat, glaubt wenigstens, es zu verdienen, und diejenigen verachten zu dürfen, die es besitzen.«
»Man glaubt nicht,« stimmte Olivia seufzend ein, indem sie die steinkalten, grüngrauen Augen gegen den dunkeln Himmel erhob, »wie schwer die Pflichten des Reichtums lasten. Allenthalben muß man zuspringen und helfen, aller Augen sind auf einen gerichtet, und wo man geht, folgt einem böse Nachrede. Das Kleid darf nicht zu schlicht und nicht zu prunkhaft, nicht zu billig und nicht zu kostspielig sein, der Schmuck muß seinen Wert erraten lassen und darf doch nicht damit prahlen, und dieselben Rücksichten sind bei der Einrichtung und Führung des Hauses zu beobachten, so daß man den Schlaf der Nächte daransetzen muß, um allem zu genügen.« Herr Beatus schnitt die Rede seiner Frau, die ihm nicht zusagte, kurz ab und faßte seine Meinung noch einmal so zusammen: Der Arme sei nicht deswegen arm, weil er kein Geld habe, sondern weil er nicht mit dem Gelde umzugehen wisse; wenn man ihm helfen wolle, dürfe man ihm kein Geld geben, sondern man müsse ihn lehren, mit seinem Wenigen hauszuhalten. Die Reichen dagegen wären die Vormünder der Armen, sie hätten eine schwere, verantwortungsvolle Stellung, und wie man nur einem weisen und erfahrenen Manne sein Kind als Mündel anvertraute, so gehöre ernste Reife, Männlichkeit und Pflichtgefühl dazu, reich zu sein.
Nachdem Herr Beatus geendigt hatte, fuhr Lasko aus einer scheinbaren Zerstreuung auf und sagte ernsthaft: »O, wie wahr! Wann wird die erlösende Zeit kommen, wo nicht ein Beliebiger, der sich das Recht dazu erboren, sondern der Reichste auf dem Throne sitzt! König freilich würde Beatus Reynegom nicht werden, weil es verdienstvollere Häupter und strammere Geldsäcke gibt, vielleicht aber doch Münzwart oder Groß-Almosenbewahrer oder Schatzgräber. Frau Olivia würde vermutlich als Oberzeremonienmeisterin lehren, wie die metallene Last des Reichtums mit der Anmut einer Karyatide zu tragen sei. Pfarrer Nepomuk schließlich könnte Kassenpriester werden und diejenigen, die nicht auserwählte Mammonskinder sind, abschlachten und in den eisernen Gottesbauch werfen.« Der Pfarrer sagte milde: »Ich weiß nicht, wie es zugeht; manchmal frage ich mich, um welches Schelmenstücks willen Gottvater Sie, seinen liebenswürdigsten Engel, auf die kummervolle Erde verbannt haben möge; andre Male ist es, als hätten Sie einen Teufel im Leibe, und ich möchte mich mit Mut und Beständigkeit rüsten, um den unheiligen Feind auszutreiben.« Lasko blinzelte den Pfarrer aus zusammengekniffenen Augen an und sagte: »Sie haben es erraten, nur daß es kein Teufel, sondern ein Affe ist;« worauf er folgendermaßen erzählte:
»Von Mexiko aus unternahm ich mehrmals im Auftrage meines Vaters weite Reisen zu Wasser und zu Lande, ganz allein, und machte zuweilen zu meinem Vergnügen Abstecher in unbewohnte und unbekannte Gegenden. In einem Urwald Zentralamerikas drang ich weiter vor als jemals ein Mensch zuvor, wenigstens schloß ich das daraus, daß die unsterblichen Bäume dermaßen von Schlingpflanzen umwachsen waren, daß ich mir nur einen Weg bahnen konnte, indem ich von Zeit zu Zeit das Lianendickicht anzündete und Löcher hineinbrannte. Es war nicht zu befürchten, daß in den feuchten Gründen die kleinen Waldbrände sich weiter ausdehnten. Die Zweige der Bäume und die schwebenden Brücken der verschlungenen Gewächse waren voll von Papageien, Kakadus und Affen, die noch niemals einen Menschen gesehen hatten und schreiend, tanzend und mit den Flügeln schlagend auf mich zu kamen. Von der Anstrengung des Vorwärtskommens in der Wildnis ermattet, legte ich mich an einer Stelle nieder, wo die Baumstämme etwas weiter voneinander abstanden, und indem ich so über mich in die verknoteten Ranken sah, vermißte ich den Himmel, auf den nirgends ein Durchblick war. Nur die schlanken Sonnenstrahlen schossen, wie von einem jenseitigen geschliffenen Diamanten geworfen, hindurch auf die braungrünen, faulenden Stämme und hinunter auf das wuchernde Moos. Ich wußte mir nicht anders zu helfen, als daß ich meine Pistole nahm und mitten in das dicke Dach hinein schoß; und nun war es, wie wenn eine Knospe sich öffnet und zum ersten Male die sonnige Luft in den dumpfen Kelch einströmt, oder wie wenn der Fels, vom Zauberstabe berührt, aufspringt und kühles Wasser daraus hervorrauscht. Nur ein kleines Stückchen Himmel war sichtbar geworden, aber die blaue Leuchtkraft war so stark, daß es schien, als hätte ich mitten hinein getroffen und der Aether selbst strömte als ein goldenes, unkörperliches Blut aus der schmerzlosen Wunde. Augenblicklich stürzten sich mehrere Vögel in die funkelnde Strahlenkaskade, um zu baden, schrien und fächerten mit den Flügeln, um die goldenen Tropfen aus dem Gefieder zu schütteln. Ein gelber Kakadu und ein rosenfarbiger schaukelten sich stumm in der reinen Bläue, die Papageien dagegen kreischten laut mit durchdringender Stimme und schienen von dem sprühenden Lichte berauscht zu sein. Auf einem herabhängenden Zweige sitzend heulten einige Brüllaffen in grellen, mißlautenden Tönen, die bald wie Klage, bald wie Wut weithin schallten und sich mit ähnlichen, gedämpft aus der Ferne kommenden, begegneten. Die Affen näherten sich der Lichtquelle nur vorsichtig; sie mochten sie für einen Wasserfall halten und fürchten, sich die Pfoten naß zu machen. Am kecksten war ein Löwenäffchen, das auf einer aus einem Lianenzweige gebildeten Schaukel saß und sich so mit dieser bewegte, daß es bei einem Schwünge mit dem Köpfchen und der Spitze des Schwanzes eintauchte, worauf es zurückfuhr und sich nach der andern Seite schwang. Während es dieses Spiel trieb, sah es mit seinen runden, pechschwarzen Augen auf mich herunter, und weil es gut fühlte, daß ich seinen Blick erwiderte, wurde es vollends aufmerksam und ließ mich nicht wieder los. Ich hatte die Empfindung, daß es mir etwas sagen wollte, und zugleich die größte Lust, die Arme nach ihm auszustrecken und es wie ein Kind an meine Brust zu nehmen; dann wieder gelüstete es mich, es zu necken und spitze Steine nach ihm zu werfen. Ich hatte nicht die mindeste Absicht, es zu töten, das mir so gut gefiel, trotzdem nahm ich meine Pistole, lud sie langsam noch einmal und schoß sie auf das Tierchen ab; ich weiß nicht, ob das vielstimmige Heulen und Kreischen um mich her mich verwirrte, oder ob das gleichmäßige Schaukeln des neugierigen Affen mich betäubte, daß ich handelte, ohne zu wollen. Fast möchte ich glauben, daß das Löwenäffchen es so haben wollte und mir selbst den Gedanken eingab; denn nun geschah das Unerhörte, daß im Augenblick, wo das goldgelbe Körperchen unter erbärmlichen Zuckungen sterbend von der Schaukel herunterstürzte, seine Seele in mich hineinschlüpfte. Es war das Gefühl, wie wenn einem eine Mücke oder Fliege in den Hals gerät, nur daß ich das lustige Ding nicht herunterschluckte, es auch nicht gekonnt hätte, sondern fortwährend, bald hier, bald da seine störende Gegenwart spürte, gerade als hätte es sich irgendwo in mir verkrochen, wo ich nicht hinlangen könnte. In meinem Schrecken forderte ich den Eindringling heftig auf, sich zu entfernen und hinzugehen, wohin er gehöre, worauf ein feines, quiekendes Stimmchen aus mir heraus antwortete, anfänglich bittend, ich möchte es beherbergen, dann aber schimpfte es, sagte mir die unverschämtesten Grobheiten und erklärte, sich nicht von da vertreiben lassen zu wollen, wo es ihm nun einmal behaglich sei. Seitdem schleppe ich die trotzige Einquartierung mit mir herum und muß täglich viel Kraft und Geschick aufwenden, um das wilde Tier zu bändigen. Wenn ich einmal erlahme, fängt es an sich wie toll zu gebärden und entschädigt sich für den Zwang, so daß die Leute sich über meine Abscheulichkeit entrüsten, während in Wirklichkeit nur der freche Löwenaffe seinen Unfug treibt.«
Der Pfarrer lächelte und sagte: »Wüßte man nur, warum das Aeffchen sich gerade bei Ihnen so heimisch fühlt! Sollte es so viel Durcheinander und Wildnis gefunden haben, daß es noch in seinem alten Urwald zu sein glaubt?«
Er hatte kaum ausgesprochen, als Lasko ein feines Gewinsel ausstieß, das in leises Kichern und menschlicher Rede ähnliches Quäken überging. »Menschenaffe!« schrie er, »Kunstaffe! Protzaffe! Pfaffe! Seht doch das wackelige alte Haus an! Die schlotterige Rumpelkammer! Seht die Freßmühle, die Narrenhöhle, die Arche voll Sünde! Nicht eine Meerkatze möchte darin wohnen! Nicht ein Regenwurm! Warte nur, wenn du ausziehst, ob du nicht froh bist, die verräucherte Spelunke an einen Schimpansen zu vermieten, vor mir hast du Ruhe. Der Frau Olivia aber, der stelle ich nach; könnte ich in einen so schönen Frauenleib hinein schlüpfen, das wäre mein Himmel, und von da sollten mich alle Pfaffen der Welt nicht austreiben.«
Die letzten Worte sagte er mit seiner natürlichen Stimme gegen Olivia gewendet, die die freche Schmeichelei nicht als Kränkung auffaßte, sondern sich mit leutseligem Lächeln gefallen ließ. Das Räucherwerk von Sandelholz und Ambra, das Lasko ihr zu Ehren abbrannte, wurde ihr nie zu stark, sie fühlte sich im Gegenteil von dem Geruch und Gewölk lieblich gewiegt und der Langeweile entrückt. Die Maielies indessen sah ihn feindlich zürnend an; doch war es ihr plötzlich, als sähe sie durch seine Augen seine Seele, wie sie sich traurig und zitternd in einen Winkel duckte, ohnmächtig gegen den bösartigen Kobold, der in ihrem Hause den Herrn spielte, und sogleich verschwand ihr Groll, und ein süßes, überwältigendes Mitleiden machte ihr Herz weit.
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Als Lastari erschien, waren alle erstaunt, einen Mann zu sehen, der sich mit natürlicher Grandezza bewegte, nur wenig und langsam sprach und in sein Benehmen gegen jedermann eine gewinnende Höflichkeit zu legen wußte, die von der Höhe herabzukommen schien und doch nichts von Ueberhebung an sich hatte. Weil Rizzo lebhaftes Verlangen danach zeigte, erzählte er von den Unruhen, die im Innern des Landes, namentlich im Gebiet der verlorenen Berge, herrschten; die Leute trachteten nämlich danach, ihrer eigentümlichen Nationalität mehr Ausdruck zu geben, als bisher der Fall gewesen war, indem sie sich bei öffentlichen Anlässen, in der Kirche und vor Gericht, ihrer eignen Sprache bedienen, ferner gewisse nationale Gedenktage feiern und dem Heere ein eignes Regiment in absonderlicher Tracht stellen wollten.
Lastari sprach sich darüber mißbilligend aus: nicht als ob das Ziel an sich verwerflich wäre, aber zu tadeln sei jeder, der etwas unternähme, was er nicht vollbringen könnte, und es sei unzweifelhaft, daß das zerstreute und seit Jahrhunderten in Verborgenheit und Niedrigkeit lebende Volk die innere Kraft nicht habe, um seine Ansprüche durchzusetzen. Was sei denn zuletzt mit ihrer Selbständigkeit, wenn sie diese jetzt ertrotzten, gewonnen? Eine Nation von Lumpen, Bettlern und Räubern. Ueberhaupt werde die Bedeutung der Nationalität überschätzt: er habe viele Länder und Völker gesehen und über den Hochmut lächeln müssen, womit jedes sich für das beste und zur Herrschaft berufenste halte und Grenzen zwischen sich und den andern aufrichte. Wer nicht trotz seines Volkes ein großer Mann werden könnte, würde es auch nicht durch sein Volk. Und hätte ein Volk erst einmal die Eigenschaften, die zur Freiheit tauglich machten, würde sie ihm auch nicht ausbleiben. Sein Sohn Dragaino, obwohl noch ein Jüngling, besäße Mäßigung und Einsicht; und da er viel über die Bevölkerung vermöge, würde es ihm vielleicht gelingen, sie vor unbedachten Taten zurückzuhalten.
Auf die Frage, ob er nicht seine Tochter und seinen jungen Sohn aus der einsamen Gegend, wo sie lebten, wegführen wolle, entgegnete er, daß sie es vorzögen, in der Heimat zu bleiben, und zwingen könne und wolle er sie nicht. Weiter ließ er sich nicht aus, und die unnahbare Würde, die ihn umgab, wenn er ohne zu sprechen geradeaus blickte, verbot es, ihn zum Reden aufzufordern oder gar aushorchen zu wollen.
Herr Beatus war von dem ruhigen Wesen und der vernünftigen Anschauungsweise Lastaris sehr eingenommen, und da seine außergewöhnlichen Sprachkenntnisse und seine schöne, zutrauenerweckende Erscheinung sich gut verwerten ließen, trug er ihm eine ziemlich einträgliche Stelle in seinem Geschäft an, die Lastari ohne auffällige Hast, aber bereitwillig annahm. Lastari seinerseits konnte Herrn Beatus nicht genug rühmen, denn er hatte eine besondere Hochachtung vor den Tugenden der Häuslichkeit, Pünktlichkeit, Ordnung, Zuverlässigkeit und des Fleißes; hingegen verabscheute er Frau Olivia und verglich sie einem schmarotzenden Eingeweidewurm, der mit leeren, gefräßigen Augen nach Nahrung blicke und, wenn er nichts zu verschlingen finde, sich aufringele und Uebelkeit erregend den dicken Hals recke.
Um Lastari eine Ausgabe zu ersparen, wurde ihm ein altes Lusthäuschen eingeräumt, das sich an dem dem Wohnhause entgegengesetzten Ende des Parkes befand und von den Reynegom nie benutzt worden war, denn es lag inmitten eines Laubwäldchens allzu kühl und beschattet und war allerlei störenden Geräuschen von der Fabrik her zugänglich, die bis zum Wohnhause nicht drangen. Es war altmodisch gebaut und von Herrn Beatus, der es mitsamt dem Grundstück gekauft hatte, nur als Rarität stehen gelassen; die früheren Eigentümer mochten es zu Sommerfesten oder zu verliebtem Stelldichein benutzt haben. Frau Olivia richtete es notdürftig mit alten, nicht mehr gebrauchten Möbeln aus ihrem Vorrat ein, deren stillos gemeines Ansehen übel zu den mit Blumenguirlanden bemalten rosa Wänden paßte; allein Lastari, der für behagliche Ausstattung keinen Sinn hatte, erklärte sich vollkommen zufrieden und dankbar. Zizito hätte er nicht ungern bei dem Pfarrer gelassen, da dieser aber nicht darauf drang, ihn zu behalten, vielmehr fast erleichtert schien, daß er die Verantwortung mit dem Vater teilen konnte, sprach er weder Frage noch Bitte aus, sondern nahm den Knaben zu sich, der nur noch tagsüber mehrere Stunden bei dem Pfarrer zubrachte, um seinen Unterricht zu genießen.
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Im Garten war ein Platz unter breit ausladenden Kastanien, von wo aus man über ein Beet hinweg, auf dem im Herbste Sonnenblumen blühten, die dicken, weißlichgrauen Mauern des Hauses sehen konnte. Dort saßen die Reynegom und ihre Freunde an einem Abend, als Rizzo eben von einem Ausfluge ins Gebirge zurückgekehrt war, wie er solche oft mit großer Vorliebe unternahm. Er war dazu geschaffen, Ungewöhnliches zu wagen und Gefahren zu bestehen: leicht und geschmeidig wie eine Antilope, unerschrocken wie ein Falke, zäh wie eine Katze, dazu stark und unermüdlich, und ließ nie die kluge Vorsicht außer acht, die das Gelingen sichert. Diesmal hatte er sich von einem Bergbewohner zu den höchsten Klippen führen und Adlerhorste zeigen lassen, aber nichts von allem, was er gesehen und erlebt, hatte er so merkwürdig gefunden wie eben den Begleiter, der ihm allerlei von der Eigenart und den Sitten seines Volkes erzählt hatte. Er hatte gesagt, daß sein Volk schon zu den Römerzeiten die Berge und Küsten bewohnt habe, daß es mächtig und gefürchtet und von göttergleichen Königen regiert gewesen sei, daß es aber endlich der Treulosigkeit und Uebermacht der Römer hätte weichen müssen. Am lebhaftesten bewegte Rizzo die Behauptung seines Führers, daß sie noch immer einen heimlichen König hätten, daß er ihn freilich nicht kenne, nichtsdestoweniger aber an sein Dasein fest glaube, wie auch daran, daß er sich einst zeigen, sein Volk vereinigen und befreien und groß und glücklich machen werde.
Herr Beatus, der es mißbilligte, daß sein Neffe unter Vernachlässigung des Berufes in den Bergen umherschweifte, pflegte, wenn er davon erzählte, in eine Zeitung zu blicken, um anzuzeigen, für wie unwichtig er diese Dinge halte; er tat das auch jetzt und zuckte zuweilen die Schultern, wie wenn er sagen wollte, er wäre nicht der Tor, um auf solches Geschwätz zu achten. Der Pfarrer indessen hörte aufmerksam zu und teilte mit, daß es uralte Lieder über diese Verhältnisse geben solle, und daß er selbst einmal daran gedacht habe, solche zu sammeln, daß aber das Volk, namentlich die Bewohner der ältesten und höchstgelegenen Dörfer, wo sich am ehesten Ueberbleibsel der Vorzeit erhalten hätten, verschlossen und unzugänglich sei und Fremden gegenüber mit dem, was es wisse, zurückhalte. Sein Führer, sagte Rizzo, habe derartige Lieder gekannt und besonders einige Verse mehrmals gesprochen, die von dem Wiedererscheinen des Königs gehandelt hätten; er habe sie aber nicht im Gedächtnis behalten. Der Mann habe ihm mit seiner stattlichen Erscheinung, seinem starken, grauen Kopfe einen außerordentlichen Eindruck gemacht, und wie er in der wilden Luft der verödeten Höhe an eine Felswand gelehnt dagestanden habe, sei ihm eingefallen, dieser selbst könne der heimliche König sein. Er habe nicht umhin gekonnt, seinen Gedanken zu äußern, worauf der Mann lächelnd etwa so geantwortet habe: »Unser König mag in zerfetzter Jacke gehen wie ich und zwischen Klippen schlafen wie ich; aber vor der Herrlichkeit, die zweifelsohne in seinen Augen geschrieben steht, hättet Ihr die Euern zu Boden schlagen müssen und hättet nicht so reden dürfen wie mit mir.«
Während dies Gespräch geführt wurde, saß Lastari regungslos, ohne ein Zeichen zu geben, ob er Teilnahme dafür hätte. Mit seinen großen, etwas vorstehenden Augen, in denen das bläuliche Weiße feucht erglomm, starrte er auf das gegenüberliegende Haus, über dem der Mond dunstig zerflossen emporstieg. Niemand hatte daran gedacht, daß ihn diese Dinge nahe angingen, dem Pfarrer indessen fiel es nun ein, und er fragte freundlich und eifrig, ob es Lieder wie die erwähnten wirklich gäbe, und ob er Kenntnis von ihnen hätte. Unwillkürlich sahen alle Lastari an, auf die Antwort wartend, die er nicht gab; er saß groß und fremd wie ein Geist, der in die Luft einer unirdischen Welt unnahbar eingehüllt ist, zwischen den neugierig staunenden Blicken. Doch kam er unter der allgemeinen Aufmerksamkeit bald zu sich und sagte, sich auf die an ihn gerichtet gewesene Frage besinnend, nein, er kenne keine; dann stand er auf, verneigte sich langsam und ging mit stolzem Gange und aufrechter Haltung den weißen Kiesweg hinunter, der zu seinem Häuschen führte.
Lasko, dessen Augen in zitternder Unruhe an seinem Vater gehangen hatten, sagte erklärend, man hätte wohl nicht daran gedacht, daß sein Vater eben aus jenen Bergen stamme, von denen Rizzo erzählt habe; er werde, wie das den Bergbewohnern zu gehen pflege, von unüberwindlichem Heimweh befallen, wenn von jener Gegend die Rede sei, und er habe sich ohne Zweifel zurückgezogen, um seine Tränen zu verbergen. Rizzo bedauerte nun, so unzart gewesen zu sein und den Gegenstand zur Sprache gebracht zu haben, und der Pfarrer sagte teilnehmend zu Lasko, sein Vater habe eben jene seltsame Undurchdringlichkeit, die er als Eigentümlichkeit des Gebirgsvolkes hervorgehoben habe, worauf Herr Beatus spöttisch hinter seiner Zeitung hervor bemerkte, es sei auch von einem vernünftigen Geschäftsmann zu viel verlangt, daß er weitläufig auf die abergläubischen Gespinste von Phantasten eingehen solle.
Rizzo entgegnete herausfordernd: »Ich sehe da nichts Phantastisches. Wenn wir wissen, daß unsre Vorfahren holländische Kühe gemolken und Rüben gebaut haben, warum sollten sich andre, deren Väter Könige waren, nicht ihrer erinnern?«
Herr Beatus zog die Brauen drohend zusammen; aber Lasko wußte ein Wortgefecht zu hintertreiben, indem er das Gespräch geschickt auf andre Bahnen lenkte. Wenn er aufgeregt war, stiegen ihm Einfälle auf wie die prickelnden Perlen und Blasen in schäumenden Weinen, und damit gelang es ihm, den Zwischenfall einigermaßen vergessen zu machen.
Nachdem man sich getrennt hatte, suchte Lasko noch seinen Vater auf, um ihm gute Nacht zu sagen. Er fand ihn halb entkleidet auf seinem Bett sitzen; Zizito schlief schon fest. Als er Lasko eintreten hörte, blickte Lastari kurz auf, ließ den Kopf aber gleich wieder sinken. In Verlegenheit nach irgend einer gleichgültigen Zerstreuung suchend, wollte Lasko vom Verlauf des Tages erzählen, indessen hörte Lastari nichts davon, sondern sagte plötzlich aus seinem Sinnen heraus: »Es ist so, ich habe mein Leben verfahren, wie die Bergleute im Schacht sich verhauen; sie arbeiten in das taube Gestein hinein, aber das Gold liegt anderswo, und sie kehren mit leeren Taschen zurück. Es fehlte mir nicht an gutem Willen, aber ich war ohne Lehre und Rat, ein Schiff ohne Kompaß mitten ins Meer geworfen, das kann nun treiben, wie die Winde es führen.«
Lasko setzte sich in die Fensterbrüstung und sah aus dem offenen Fenster in den warmen, totenstillen Wald; er ließ einige Minuten vergehen und sagte dann tröstend, Lastari habe doch, wenn man bedenke, wie er aufgewachsen sei, vieles erreicht, er besitze viele Kenntnisse, werde von gebildeten Leuten hochgeachtet, habe jetzt eine gute Anstellung und könne es noch weiter bringen. Lastari schüttelte den Kopf und sagte: »Für andre möchte das genug sein.«
Er dachte an die größten Augenblicke seines Lebens: als sein Vater starb, ihn, den Knaben, dicht an sich zog, und aus der Todesnot, den letzten Angstblick starr auf ihn gerichtet, stammelte: »Verrate die Krone nicht!« Und wie er nickte und, bis ins Mark erzitternd, stillschweigend ein hohes Gelöbnis tat. Dann wie er, während die Leiche angekleidet auf dem Bette lag und die Männer der Bekanntschaft am Tische saßen und zechten, in die Höhle schlich und zum erstenmal die Krone anrührte, die seinem Haupte gebührte; wie er tagelang das Gefühl der Eiseskälte und Feuchtigkeit an der Hand behielt von dem Metall, das seit unzählbaren Jahren unter der Erde lag. Dann dachte er an die Unheilnacht, als er die Krone mit alten Kleidern und Hausrat in ein Bündel packte und flüchtete, und wie Surja, die getreue, während er schlief, sie nahm und mit dem Kinde wieder zurück in das Gebirge trug. Danach hatte er das freche, liederliche Weib geheiratet, das seinen Sohn, das Kind der Rojenice, das Königskind, mißhandelt hatte. Angst preßte seine Brust zusammen, wenn er daran dachte. Wohl hatte er den armen Jungen für jedes Vergehen hart bestraft, ihm auch oft und oft wiederholt, daß ein Mann seine Pflicht tun und unter allen Umständen rechtlich bleiben müsse; aber er hatte ihm kein Gefühl heiliger Unverantwortlichkeit einzuprägen gewußt, hatte ihm nicht ein Bewußtsein ins Herz wachsen lassen, das rein und unzerstörbar wie Diamant seinen Weg bestrahlte und ihn schirmte. Mit heiserer und gedämpfter Stimme rief er Lasko zu sich heran, der noch, halb müde, halb unruhig, in die sommerschwüle Dunkelheit hinaussah. Als Lasko neben ihm auf dem Bette saß, faßte er ihn fest ins Auge und sagte halblaut: »Denke immer an das, was ich dir heute sage, Lasko. Für dich gibt es ein Gebot, das ist höher als alle Gebote, und das ist dies: Verrate die Krone nicht! Sieh zu, daß du nie die schwarze Trauer und Reue auf der Brust tragen mußt, die ich jetzt trage. Einer hat das Reich verloren, weil er ein untreues, schuldvolles Herz hatte, wiedergewinnen wird es einer, der die Krone auf ein Haupt ohne Makel setzen kann. Es ist einerlei, ob du Hunger oder Schmach oder Einsamkeit leidest, wenn du nur die Krone hast und eine reine Stirn, die wert wäre, sie zu tragen, wenn der Tag käme.«
Lasko sah dem gebeugten Mann, der ihn so mit Inbrunst und Trauer beschwor, unverwandt in die großen, feuchten Augen, während Liebe, Mitleid und überschwengliche Verehrung in ihm auf und ab wogten. Doch erfüllten ihn diese Gefühle nicht ganz; zugleich mußte er daran denken, daß sein Vater niemals seinem hohen Sinn gemäß hatte handeln können, er empfand die Vorstellung als lächerlich, daß Lastari vielleicht morgen schon Pläne zu geschäftlichen Vorteilen und Listen anzetteln könnte, die ihm jetzt unerlaubt gelten würden, und schließlich sagte er sich, daß die Wichtigkeit, die der Krone beigemessen würde, im Grunde auf dem Aberglauben eines ungebildeten Volkes beruhe.
Lasko mußte sich eilen, um in das Spital zu kommen. Nachdem er seinen allabendlichen Rundgang gemacht und an den Betten der kränkeren Kinder einige Augenblicke verweilt hatte, legte er sich nieder und verfiel augenblicklich in tiefen Schlaf, aus dem er nach einer halben Stunde wieder erwachte.
Es war, als wenn eine Orgel in seinem Innern dröhnte und alle seine Nerven in sausende Bewegung setzte; so klangen die Worte, die sein Vater gesprochen hatte, in ihm fort. Es war ihm wohl gewesen, daß seit vielen Jahren zwischen ihm und seinem Vater nicht mehr von der Krone geredet wurde; denn seit er denken konnte, war sie für ihn ein Ding wie ein Zauberwerk gewesen, von dem drohende Blitze gegen ihn zückten. Er hatte sich nie vorstellen können, daß sein Kopf in den schweren ungefügen Reifen einmal hineinwüchse, daß er ihn nicht zusammendrückte wie ein Reh, das zwischen den zerquetschenden Ring eines ungeheuren Schlangenleibes geraten ist. Wohl träumte er nachts von ihr, als er klein war, und betete sie heimlich an, zugleich aber graute es ihm, und er trug sich oft mit dem Gedanken, sie in den verlassenen Brunnen zu werfen, der in der Einöde oberhalb seines Vaterhauses war, damit sie verschwände. Unbegreifliche Qualgefühle aus seiner Kindheit wollten in ihm lebendig werden; aber er versuchte sich dagegen zu wehren und sich klarzumachen, was sie bedeuteten. Dabei wurde er ruhiger, während er auf die weichflutende Stimme des Meeres hörte, die unter dem schweren Himmel ein vollgefülltes, unbekümmertes Entzücken sang. Es schien ihm allmählich, als bräche der Stachel ab, der ihn niemals zur Ruhe kommen ließ, als wäre er nicht ein Vertriebener, ewig mit Almosen des Glückes Abgefertigter, sondern ein Auserwählter. Ihn allein gingen die Preisgüter des Lebens, nach denen die andern sich in häßlicher Gier drängen, sei es Ansehen oder Liebe oder Reichtum, nichts an; denn er besaß, was alles dies aufwog, die Krone, die, schwer von Gold, heilig und ehrwürdig, Heldenhäupter der Vorzeit getragen hatten, Helden, die seine Väter waren, deren Geister vielleicht ihn ungesehen umgaben, und unter denen solche sein mochten, die ihn liebten und durch geistiges Berühren durchsichtiger Hände segneten. Einer starken Glücksgewißheit vertrauend und mutig hingegeben, schlief er wieder ein.
*
Das Haus der Reynegom wurde durch eine breite, gemächlich abfallende Treppe, die in das Meer hinunterstieg, in zwei Gebäude von verschiedener Höhe geteilt. Auf den Stufen dieser Treppe saßen Rizzo, die Maielies und Lasko oft um die Dämmerungszeit oder an Abenden, wenn der Nebel bis an die Fenster des ersten Stockwerks stieg, und besprachen viele Dinge, die sie in Gegenwart der andern nicht äußerten. Rizzo und der Maielies war das Benehmen Lastaris, als von den alten Königen der Berge die Rede war, ausgefallen, und da sie am folgenden Tage Lasko darauf ansprachen, erzählte er ihnen die Ueberlieferungen seiner Familie, nachdem er sie hatte versprechen lassen, gegen jedermann, auch gegen die Eltern und ganz besonders seinen Vater, darüber zu schweigen. Er wußte, daß dieser es streng mißbilligen, vielleicht nie verzeihen würde, daß er davon spräche; aber sein Bedürfnis, sich den Freunden mitzuteilen, war stärker als das Bedenken. Fremden und Gleichgültigen gegenüber verschloß er sich nicht nur, sondern führte sie wohl über sich in die Irre; fand er dagegen teilnehmende Freunde, rollte sich seine Seele ganz auf und ließ reich hervorquellen, was fest und ängstlich im Grunde bewahrt gewesen war. Wenn er gar keinen Menschen gehabt hätte, dem er hätte vertrauen können, würde er wie die durch Schwüre gebundenen Kinder des Märchens zu den Steinen gesprochen haben; sein anmutig beweglicher Mund mit der kurzen Oberlippe war wie eine Blüte, die sich nie völlig schließen kann, oder wie ein lebendiges Wasser, das in der Ruhe noch bebt und glitzert.
Er erzählte zuerst von dem Ursprung der Könige: »In den ältesten Zeiten lebten die Menschen in Höhlen des Gebirges, um vor den Schlangen, Wölfen und Bären sicher zu sein, die die Einöde bewohnten. Einmal ereignete es sich, daß die einzige Kuh einer jungen Familie, Weide suchend, hoch in die Felsen hinaufstieg, von wo man ihr angstvolles Brüllen hörte, da sie entweder von wilden Tieren angegriffen wurde oder den Abstieg nicht wagen mochte. Der Mann und die Frau, denen die Kuh gehörte, hatten ein wenige Wochen altes Kind, ein Mädchen, und da der Mutter die Milch für den Säugling ausgegangen war, stiegen sie mitsamt dem Kinde der Kuh nach, obwohl ein Gewitter am Himmel hing; denn niemand hatte ihnen Milch für die Kleine geben wollen. Das Wetter brach bald daraus los, und der Blitz erschlug Mann und Frau; nur das Kind blieb am Leben, und man hörte weiter unten in den Höhlen sein Weinen und Schreien. Doch ging niemand hinauf, weder um die Leichen zu bergen, noch um das Kind zu retten, teils weil die Leute sich einbildeten, die vom Blitz Erschlagenen dürfe niemand anrühren oder der Donner werde sie gleichfalls treffen, teils weil sie überhaupt seelenlos und grausam wie die Fische im Meere lebten. Da kam von den Spitzen der Berge ein Adler, trug das weinende Kind in sein Felsennest, und als es eine Jungfrau geworden war, nahm er es zum Weibe. Lasko wußte davon ein Lied, das seine Mutter gesungen hatte:
Kind, von Menschen verlassen,
Wardst des Unsterblichen Weib.
Wolken, die krachend sich ballen,
Blitze sind deine Vasallen,
Könige trägt dein Leib!
Gold, gehämmert von Zwergen,
Krönt dein Gelock; von den Bergen
Blitzt es hinunter ins Meer.
Sicher auf schwindelnden Türmen,
Hoch über Wolken und Stürmen
Birgt dich der Adler, der Herr!«
Während Lasko sprach, hingen seine Augen an der zackigen Reihe der hohen Berge, die sich in weißlichen und grauen Tönen traumgleich im matten Himmel auflösten. Ohne der Maielies ins Auge zu blicken, fühlte er, daß sie ihn unverwandt ansah, und gewahrte, wie ihr helles Gesicht auf dem schwarzgrünen Wasser wie Perlmutter leuchtete. Das Lied wiederholte er auf ihre Bitte, dann erzählte er weiter: »Als der Sohn der Adlerfrau, ihre Krone auf dem Haupte, von der Felsenburg herabstieg, begegnete er zuerst einem Mädchen, das, kaum als es seiner ansichtig wurde, vor ihm niederkniete und sagte: ›Gesegnet seist du, König! Aus Feuer bist du gezeugt, und Feuer wird dich verzehren!‹ Der König nahm das Mädchen, das Rojenice hieß, zu seinem Weibe, wonach es Sitte geworden ist, daß die Könige Frauen aus dem Geschlechte heimführen, dem dies Mädchen angehörte, dessen Töchter die Zukunft weissagen und die Kunde der Vergangenheit besitzen. Der König beherrschte nun das Volk, machte ihm Götter, lehrte es Gebet und Opfer, wie man Häuser aus Steinen baut und wie man die Zeit nach den Gestirnen mißt. Sein ältester Sohn indessen beeinträchtigte das allgemeine Glück dadurch, daß er neue Begierden im Volke erregte, von denen der König nichts wissen wollte: er verfertigte allerlei Gegenstände zu Schmuck und Genuß, münzte Gold und wies sie an, sich durch Kauf und Verkauf zu bereichern, ja er lockte sie an, Städte zu gründen, wo sie ehrgeizig kämpfend und wettend dicht bei einander säßen. Da nun sein Vater, der diesen Plänen widerstrebte, als Sohn des Adlers in unsterblicher Kraft blühte, während er selbst alterte, fürchtete er, daß er niemals würde ausführen können, was er für förderlich hielt, und als eines Tages der König am Altarsteine stand und die Opferflamme anfachte, ging etwas Entsetzliches in seinem Herzen vor, so daß er den schönsten und weisesten der Menschen mit beiden Armen umfaßte und mitten in das brennende Feuer stieß. Das umstehende Volk, sowohl diejenigen, die nichts von dem Vorgänge gewußt hatten und begriffen, wie die Anhänger und Eingeweihten, flohen und ließen Lastari, den Sohn des Königs, allein bei dem lodernden Scheiterhaufen, vor dem er in die Kniee sank und bewußtlos liegen blieb, als habe ihn ein Donnerkeil hingestreckt. Als er wieder zu sich kam, war es Nacht und das Feuer erloschen, aber weder Gebein noch Asche weit und breit zu sehen, nur die Krone lag auf den Opfersteinen, unzerstört und durch und durch glühend. Er begriff, daß das Feuer den Unsterblichen nicht hatte verzehren können, und daß er zu den unzugänglichen Burgen seiner Heimat zurückgekehrt war, ihm aber die Krone gelassen hatte. Freilich wagte er nicht, die feurige aufzusetzen, auch schien er sich selbst, als Mörder seines Vaters, verflucht und unwert, sie zu tragen, und weinte Tage und Nächte hindurch in der Einsamkeit. Als aber in der Flut unendlicher Tränen die Krone erkaltet war, sah er das als Zeichen an, daß sein Vater ihm vergeben habe und wolle, daß er herrsche, krönte sich selbst mit der Krone und zeigte sich dem Volke, das ihm huldigte.
Jahrhunderte später, unter Ljuburno, ging das Reich verloren. Schon als sein Vater Skardo regierte, breiteten sich die Römer mächtig aus; er bekämpfte sie zwar tapfer und oft erfolgreich, aber zügellos wie ein Piratenhäuptling vergoß er heute das Blut der Feinde stromweis und scherzte morgen auf erbeutetem Teppich mit Frauen und Sängern, der ernsten Zeit durch Balsam und Räusche entrückt. So kam es, daß er große Gebiete an die Feinde verlor, aber solange nur seine Kraft und Schönheit unangetastet blieb, sah man ihn unbekümmert, als ginge der Verlust ihn gar nichts an, was alles Volk und namentlich die Großen des Reiches gegen ihn aufbrachte. Was aber noch mehr erbitterte, war, daß er, dessen Vorfahren schon Christen geworden waren, die Götter der Feinde bei sich aufnahm, darunter ein fremdartiges Jünglingsbild, das er in einem marmornen Tempel verehrte. Das Haupt dieses Gottes war von einem ehernen, mit Sternen verzierten Reifen umgeben und sah ernst und friedlich aus; trotzdem opferte er ihm Menschen: junge Männer und Frauen, die, wenn sie sich nicht freiwillig darboten, eine Nacht durch in jeder Schwelgerei der Sinne sich genugtun durften, mit Aufgehen der Sonne aber ohne Klage sich vor dem Bilde mußten hinschlachten lassen. Eine Anzahl frommer Männer beschloß, den Skardo wegen dieser Greuel zur Rechenschaft zu ziehen und ihm entweder ein Versprechen der Umkehr abzunehmen oder ihn zu töten und seinen Sohn Ljuburno auf den Thron zu setzen. Ljuburno, der seinen heiteren, üppigen Vater zugleich liebte und haßte, beneidete und verachtete, hatte sich nie an seinem Treiben beteiligt, und ebenso fern hielt er sich dem Volke, das sein dunkles Antlitz furchtsam bewunderte. Widerstrebenden Herzens ließ er sich von den Verschwörern in die Mitte nehmen, als sie den Skardo aufsuchten, den sie auf einer Marmorbank zwischen Pinien und Aloen sitzend antrafen. Sie neigten die düstere Stirn vor ihm und sprachen von den Gefahren, die das Vaterland bedrohten, wie er ihnen gleichgültig zusehe, den Christengott, der Sieg und Niederlage in der Hand habe, durch seine Abgötterei verhöhne und seine Rache auf das entheiligte Reich ziehe. Zum Schluß forderten sie ihn auf, sich zu einer den Bedürfnissen und Wünschen des gesamten Adels und Volkes dienenden Regierungsweise zu verpflichten, widrigenfalls sein Haupt im selben Augenblicke fallen müsse, und hielten ihm ein goldenes Kruzifix vor, das er beim Schwur berühren sollte. Der König hörte aufmerksam zu und schüttelte mit dem Kopfe, als ob es sich um etwas Unmögliches handle, worauf sie sich drohender gebärdeten und mit dem Geschrei: Schwöre! Schwöre! das Kreuz dicht vor sein Gesicht hielten. Als der König mit einer Miene voll Unlust sich zur Seite drehte, stürzten sie sich auf ihn, und obwohl er die zuerst Anstürmenden so kräftig abschüttelte und hinschleuderte, daß sie am Boden liegen blieben, überwältigten sie den Waffenlosen doch bald, schleppten ihn in den Tempel vor seinen Abgott und durchbohrten ihn vielfach, während Ljuburno, knirschend vor Haß gegen die Mörder seines Vaters und doch nicht willens, ihn zu schützen, abgewendet auf der Schwelle stand.
Kaum hatte er die Regierung angetreten, als er alle Männer, die bei der Ermordung Skardos beteiligt gewesen waren, und die niemand besser als er kannte, ohne vorhergehende Untersuchung hinrichten ließ. Da deren Angehörige und die mit ihnen Einverstandenen sich über die Gewalttat empörten, verkündigte er ein blutiges Gesetz, um Meutereien vorzubeugen, und handhabte es unerbittlich. Diesen Zustand benutzte der Feind zu einem Einfall in das innerlich gärende Land, Ljuburno stürzte in den Krieg, kämpfte tollkühn, aber schlecht unterstützt von der Masse des Heeres, bei dem kein Glück und keine Begeisterung war, verlor er die Schlacht und erstach sich mit eigner Hand, da er die schmähliche Flucht nicht aufhalten konnte.«
Von den Accorden des Meeres begleitet, klang den Zuhörern Laskos Erzählung wie ein Gesang zur Harfe, und er selbst, wenn seine Augen wie Wasserstreifen auf und ab gingen, die bald im Mondschein aufglänzen, bald ins Dunkel zurückfallen, erschien ihnen wie ein Fremdling von jenseitigen Inseln, beladen mit den Meergerüchen alter Geheimnisse und Vergangenheiten.
Einmal, sagte er auf ihre Frage, habe er die Krone gesehen; sie sei unförmig, als sollte sie auf dem Haupte eines Riesen sitzen,, mit stumpfen Zacken auf der Stirnseite, voller Unebenheiten und schwarz. »Ich hatte sie mir anders vorgestellt,« erzählte er, »glatt und glänzend, so daß die rohe Arbeit mich erschreckte, und betrübte, besonders aber die unscheinbare Farbe. ›Ist Gold schwarz?‹ fragte ich meinen Vater; worauf er ein Tuch nahm und an einer Stelle mit Anstrengung zu reiben anfing. Nach einer Weile wurde die Stelle blank, und es kam mir vor, als ob eine schwarze Schlange ihre schmale goldene Zunge hervorschnelle oder mit goldenen Augen zwinkere. Ich fragte, von dem Goldblick geblendet: ›Wenn du sie verkauftest, wärest du dann der reichste Mann auf Erden?‹ und fiel im selben Augenblick zu Boden, als hätte mich ein niederstürzender Stein getroffen, einen solchen Schlag versetzte mir mein Vater statt der Antwort. Während mir das Blut aus der Nase floß, dachte ich erstaunt darüber nach, warum mein Vater das getan hätte, und kam auf viele ungeheure Vermutungen, aber nicht auf das Richtige.«
*
An einem nassen Herbstabend waren Lastari, Lasko und Zizito im Wohnzimmer der Olivia. Zizito machte sich, während die übrigen plauderten, an einem kleinen Gestell zu tun, auf dem allerhand Ziergegenstände standen, die zum Teil von großem Werte waren. Es befand sich darunter ein elfenbeinernes Einhorn, dessen Horn aus Gold und dessen Augen geschliffene Diamanten waren; es stand auf einer goldenen Platte und bog sich in gotisch verschnörkelter Haltung zu einer Smaragdschlange herunter, die sich zu seinen Füßen ringelte und den schmalen Kopf erhob. Es war etwas Märchenhaftes in der feinen Gruppe, und Zizito hatte eine besondere Vorliebe für sie; Olivia sah es zwar nicht gern, daß er damit spielte, aber sie verbot es ihm in Laskos Gegenwart nicht, da sie das Gefühl hatte, er würde darüber lachen, wenn sie sich zu ängstlich um ihre Schätze besorgt zeigte. Er hatte schon eine Weile gespielt, ohne daß man ihn beachtete, als plötzlich das Gestell umfiel: alle sprangen auf und beeilten sich, die verstreuten Sachen aufzulesen. In wenigen Augenblicken waren sie gefunden, nur das Einhorn fehlte und wollte nicht zum Vorschein kommen, trotzdem eifrig gesucht wurde. Herr Beatus machte dem mit der Bemerkung ein Ende, daß das Dienstmädchen am folgenden Morgen den vermißten Gegenstand ohne Zweifel aufstöbern werde. Lastari schalt Zizito wegen seiner Ungeschicklichkeit, und daß er überhaupt mit diesen zerbrechlichen Dingen gespielt habe, doch war er zu taktvoll, um in Gesellschaft eine große Angelegenheit daraus zu machen, und fand sie auch im Grunde nicht wichtig. Lasko indessen war sofort überzeugt, daß Zizito das Einhorn genommen, vermutlich sogar das Gestell absichtlich umgeworfen habe, um die dadurch entstehende Verwirrung sich zu nutze zu machen. Er warf einen schnellen Blick auf den Jungen und auf die übrigen, ob sie etwa den gleichen Verdacht hätten; allein Zizitos unbefangenes Benehmen, der als erster das Einhorn vermißte, der große Blick, mit dem er alle dreist anschaute, die kokette Innigkeit, mit der er sich der Maielies anschmiegte, ließen einen derartigen Gedanken nicht aufkommen.
Als Lastari aufbrach, war Lasko unschlüssig, ob er ihn begleiten sollte, damit die Sache noch zum Austrag gebracht würde; aber es graute ihm doch davor, und so sagte er sich, es wäre besser, sich nicht einzumischen. Lastari ging mit Zizito, des Kindes Hand in seiner haltend, durch das Wäldchen nach Hause, der Regen rauschte eintönig auf die Bäume und tropfte, etwas gehemmt durch die Zweige, kalt auf die beiden herunter. Der große vielfenstrige Raum, den sie bewohnten, war hell genug, daß sie kein Licht gebrauchten, um zu Bett zu gehen. Indem Lastari dem Kleinen beim Auskleiden behilflich war, fiel das Einhorn, das vergeblich gesucht worden war, aus seiner Jackentasche, wodurch plötzlich klar wurde, daß er es entwendet hatte. Während der Alte im jähen Zorn und Schrecken ohne sich zu rühren dastand, schmiegte sich Zizito, schwere Strafe fürchtend, schmeichlerisch flehend an ihn; diese Berührung rief mit einem Male Besinnung und Bewegung in Lastari hervor; er packte den Jungen beim Arm, schleuderte ihn mit einem heftigen Ruck von sich, und Zizito fiel so unglücklich gegen den marmornen Untersatz eines Spiegels, daß er, einen kurzen hellen Schrei ausstoßend, ohne ein Zeichen des Lebens liegen blieb.
Als Lasko, dem ein quälendes Vorgefühl keine Ruhe gelassen hatte, etwa eine Stunde später in das Häuschen kam, fand er seinen Vater um Zizito bemüht, der lebte, aber noch nicht zu sich gekommen war; er hatte eine bedeutende Kopfwunde, die Lastari notdürftig verbunden hatte, um das fließende Blut zu stillen. Lasko besorgte schnell, was notwendig war, so gut es die Hilfsmittel, die er zur Verfügung hatte, erlaubten, ohne erregt oder um Zizitos Leben oder Sterben bekümmert zu sein; einzig mit seinem Vater fühlte er namenloses Mitleid, der unausgesetzt mit zitternden Händen sich an dem bewußtlosen Kinde zu tun machte. Er sagte ihm, daß er die Wunde nicht für tödlich halte, übrigens aber nichts Tröstliches; seine Bitte, er möge sich niederlegen und schlafen, war vergebens. Am folgenden Tage schon ließ sich mutmaßen, daß Zizitos Leben nicht bedroht wäre, hingegen zeigte es sich bald, daß sein Geistesleben unheilbar beschädigt war: das Gedächtnis für Vergangenes fehlte gänzlich, und das Denk- und Sprechvermögen schien auf die nächsten Bedürfnisse beschränkt zu sein. Der Arzt, der zugezogen worden war, machte Hoffnung, daß bei kluger, gleichmäßiger Behandlung der Zustand sich ein wenig bessern könne, wenn es auch ausgeschlossen sei, daß der Knabe jemals wieder ein zurechnungsfähiges Wesen würde; immerhin wären gefährliche Anfälle nicht zu befürchten, so daß Zizito wenigstens im Hause unter der Pflege der Angehörigen bleiben könne.
Die öden Regenwochen, während welcher Zizito krank lag, wich Lastari nicht von seinem Bette und starrte mit trüben Augen das kleine bleiche Gesicht an, in dem ein leeres Lachen mit weinerlicher Verdrießlichkeit wechselte. Für jedes gutgemeinte Wort, das Teilnehmende an ihn richteten, wie auch für Laskos unermüdlichen Beistand, war er unzugänglich. Zwar nahm er seine Arbeit wieder auf und verrichtete sie tadellos, aber er vermied es, mit irgend jemand selbst über geschäftliche Dinge in ein Gespräch zu kommen; auch hatte das Düster seines Grames einen so kalten, unterirdischen Hauch, daß man ihn scheute, als könne seine Nähe sein Unglück wie eine Krankheit mitteilen und ausbreiten.
*
Menschen und Dinge waren Lastari seit Zizitos Unfall unleidlich geworden, selbst von Herrn Beatus, den er sonst gerühmt und als Vorbild hingestellt hatte, sprach er mit Abneigung. Vasko sah mit Unruhe irgend einer Erschütterung entgegen, und wirklich eröffnete sein Vater ihm eines Tages, daß er die Stellung bei Herrn Beatus aufgeben und an einem andern Küstenplatze selbst eine Oelfabrik gründen wolle, da er es satt habe, sich ausbeuten zu lassen. Aufs äußerste erschrocken, erinnerte Lasko ihn daran, wie oft er selbst Herrn Beatus als Muster eines ehrlichen Mannes gepriesen habe, worauf Lastari kühl entgegnete, er wolle auch jetzt nicht das Gegenteil behaupten. Ein Fabrikherr müsse seine Arbeiter ausbeuten, das sei in der Ordnung, da sie selbst ihre Fähigkeiten meistens nicht verwerten könnten; wer es aber könne, und das sei sein Fall, der solle nicht der Tor sein, andern gewissermaßen eine Abgabe für das zu leisten, was er selbst tun könne. Wie viel Einwendungen Lasko gegen die Pläne machte, die sein Vater ihm darlegte, er entgegnete ruhig, daß er diese Dinge verstehe, daß er seine Berechnungen gemacht habe und seiner Sache sicher sei. Mehr und mehr in Aufregung geratend, stellte Vasko vor, daß es unredlich gegen Herrn Beatus sei, in Wettbewerb mit ihm zu treten; denn dieser habe ihn eigentlich erst in den Betrieb eingeführt und ihn vertrauensvoll aufgenommen, und wenn er ihm wahrscheinlich auch nicht schaden könne, so sei doch die Möglichkeit schon und der Schein der Absicht zu vermeiden.
»Wenn es nicht meine Absicht wäre, ihm zu schaden,« sagte Lastari, »sollte ich lieber kein Geschäft anfangen, denn allerdings muß ich darauf rechnen, daß viele meine Abnehmer werden, die bisher die seinigen waren. Habe ich aber gewisse Vorteile, sei es durch meine Kenntnis von Land und Leuten, sei es durch ein Geschick zu technischen Erfindungen, das ich habe, warum sollte ich sie aus Rücksicht auf ihn ungenutzt lassen? Glaubst du, er habe nicht auch Konkurrenten gehabt und mit allen Mitteln aus dem Felde zu schlagen gesucht und viele mit seinem überwiegenden Reichtum erstickt?«
Zu denen, sagte Lasko scharf, würde er vermutlich auch gehören; denn sicherlich würde Herr Beatus gegen ihn, der sich ihm treulos und herausfordernd in den Weg stelle, keine Rücksicht walten lassen. Das brauche und solle er auch nicht, erwiderte Lastari, Reichtum allein mache es nicht aus, Verstand sei dem Gelde ebenbürtig.
Lasko begriff, daß sein Vater, dessen Eigensinn er kannte, sich in den neuen Einfall verbissen hatte und nicht mehr davon loszubringen sein würde; der unerschütterliche Ausdruck seiner großen Augen in dem schweren, harten Gesicht fing an ihn aufzubringen, und über seinen Körper verbreitete sich ein Zucken und Prickeln, daß er sich kaum noch ruhig zu halten vermochte. »Ich weiß, wie es kommen wird,« sagte er, »du wirst alles verlieren und deinen Kindern nicht nur nichts geben können, sondern auf ihre Hilfe angewiesen sein. Große Pläne hattest du oft; aber nicht einer, der nicht kläglich zu Wasser geworden wäre.«
Lastari wurde dunkelrot und ballte die Fäuste. »Gib acht, daß ich dich nicht schlage wie einen Knaben,« rief er drohend. Dann wandte er sich ärgerlich ab, zog mit seinen großen, etwas unsicheren Händen eine Zigarre aus der Brusttasche und tastete nach Zündhölzern umher. Lasko folgte ihm mit brennenden Augen, wie er suchend ein zerrissenes Bilderbuch Zizitos, einen Stiefel, ein Handtuch, Kissen des noch ungemachten Bettes beiseite warf; er sah die Unordnung in dem kalten, unbehaglichen Raume und schüttelte sich fröstelnd und angewidert. Die verzehrende Selbstsucht seines Vaters, mit der er blindlings im Zuge seiner Leidenschaft hinfuhr, ohne den Einspruch oder die Klage seiner Umgebung zu beachten, sprang ihm mit einem Male grell aus der häßlichen, unwohnlichen Umgebung entgegen und steigerte seine Entrüstung zu Wut; es trieb ihn, sich auf den starken, trotzigen Mann zu werfen und ihn mit einem Anfall zu überwältigen. Lauernden Blickes vorgeneigt sah er ihn näherkommen; Lastari bemerkte erst, als er, um Feuer bittend, die Hand ausstreckte und Lasko dabei ansah, daß dessen Adern an Stirn und Schläfen angeschwollen waren, und daß es gefährlich aus seinen Augen zuckte. Er ließ die ausgestreckte Hand sinken und verließ mit einem Gefühle des Unbehagens das Zimmer, um draußen zwischen den entlaubten Bäumen auf und ab zu gehen, ohne daß er die durchdringende nasse Kälte gespürt hätte. Lasko legte sich auf das Bett und horchte gedankenlos auf das Klopfen seines Herzens, das den Eindruck machte, als sauste ein Hammer mit regelmäßigen Schlägen auf die Matratze. Als sein Vater nach einer Stunde wieder hereinkam, war Lasko erschöpft und traurig und sprach von gleichgültigen Dingen, und auch Lastari hütete sich, auf das Gespräch, das den Zwist herbeigeführt hatte, zurückzukommen; aber er hatte seine verhängnisvollen Pläne deswegen nicht aufgegeben.
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An einem wolkendunkeln Frühlingsabend gingen Rizzo und Lasko auf die See; die Maielies mußte daheim bleiben, weil Sturm drohte, begleitete sie aber bis zum Bootshause am Ufer und sah mit Lasko zu, wie Rizzo behend in den an Ketten vom gewölbten Dache hängenden Kahn sprang, ihn loslöste und der schmalen Treppe näherte, wo man einsteigen mußte. Indem er mit dem Ruder von der steinernen Mauer des Häuschens abstieß, beugte er sich neckend über die Hand der Maielies und küßte sie, bevor sie sie zurückziehen konnte. Lasko errötete und unterdrückte ein heftiges Wort: er ärgerte sich, und zugleich begriff er nicht, wie ein Mann das tun könne. Wenn er ungesehen zu ihren Füßen hätte sterben können, wäre er glücklich gewesen; aber irgend einer Frau, auch der geliebtesten, die Hand zu küssen, schien ihm eine unerträgliche Demütigung zu sein.
Das Meer ging in breiten Wellen auf und ab, über deren spiegelnde Schwärze zuweilen ein Tropfen Mondlicht glitt, den das treibende Gewölk hindurchgelassen hatte. Es war Lasko so, als schwämme die Geliebte still mit keuscher Zärtlichkeit neben dem Nachen her, in kühle Flut gehüllt, und als tauchte dann und wann der milde Glanz ihrer Schultern oder ihrer Arme hervor, sogleich wieder in den blanken Schleiern sich verbergend. Verstohlen ließ er eine Hand vom Rande des Bootes ins Wasser gleiten und schauderte, wenn es lau über sie hin floß, als berühre ihn die Liebkosung ihrer Finger. Währenddessen ruhte sein Blick prüfend auf Rizzo, der ihm gegenüber stand und ruderte, ob er ihm die heimliche Träumerei nicht ansähe; aber Rizzo war augenscheinlich mit andern Gedanken beschäftigt. Sein biegsamer Körper neigte sich in weichem Takte nach vorn und wieder rückwärts, und Lasko besann sich, wo er eine Gestalt von solchem Ebenmaß, so gebietend und reizend zugleich, schon gesehen habe. Eine junge Palme fiel ihm ein, mit säulenrundem Stamm und starken schlanken Blättern, der er einmal lange zugesehen hatte, wie sie im Winde um eines Fingers Breite hin und wieder schwankte.
Es schien ihm nicht anders möglich, als daß die Maielies ihn liebte, obwohl er, das fühlte Lasko, ihr nur im Spiel ein wenig huldigte; im Grunde waren sie und seine Eltern und er ihm gleichgültig, und gerade deshalb bewunderte Lasko ihn am allermeisten; in heiterer Unabhängigkeit stand er da, leicht und fest, keiner Stütze noch Zwiesprache bedürftig, von keinem anschlingenden Gewächs der Säfte beraubt. Wie Lasko ihn mit Liebe betrachtete, wurde er traurig, aber er nahm sich zusammen und wischte das wehe Gefühl weg; was hätte auch ein Mädchen ihm helfen können! Sein ewig rasendes oder weinendes Herz konnte Liebe nicht glücklich machen.
Der Mond war inzwischen untergegangen und mit ihm das glänzende Traumbild unter den Wellen, die sich mit geblähtem Busen, jauchzend vor dem stärker wehenden Winde herwälzten. Rizzo ruderte stärker und stieß von Zeit zu Zeit einen frohlockenden Schrei aus, wenn das Boot wie ein loses Blatt auf dem aufspringenden Rücken einer Welle tanzte. Als die Bewegung zu groß wurde, trieb er den Kahn in eine Bucht, wo er ihn mit der Kette festband, und wo sie behaglich im Schiffe sitzend dem Aufruhr zusehen konnten.
Rizzo rückte dicht zu Lasko heran und sagte: »Du sollst jetzt ein großes Geheimnis von mir hören. Wenn ich du wäre, würde ich in meine Heimat gehen, meine Krone aufsetzen und mein Volk regieren, wie ich es wollte; du wirst es niemals tun, und so möchte ich es an deiner Stelle. Es ist der erste Gegenstand, der, seit ich lebe, meiner Leidenschaft genügt. Wie sehr ich der Bildung und der Menschen, die sie macht, überdrüssig bin, weißt du; ich will mich draußen an den Elementen versuchen, die mir wohltun, auch wenn sie mich mit Gefahr und Vernichtung bedrohen. Das Volk ist ein Element, mit dem ich ringen möchte, das ich nach meinem Willen in Form bringen und mittels dessen ich meinen Willen gestalten möchte.«
Lasko sagte mißtrauisch: »Wenn du die wilden Elemente liebst, solltest du sie nicht bändigen und in Formen zwingen wollen, die sie der verhaßten Bildung nähern müssen.«
Rizzo schüttelte ärgerlich den Kopf und sagte: »Das verstehst du nicht. Jedes Volk muß über alle Stufen der Kultur hinüber, wie Fleisch geklopft werden muß, eh' man es brät. Aber mich geht es dann nichts mehr an; meine Kräfte sind, es zusammenzupacken und zu sagen: da sollst du hin! und ihm den Willen einzublasen, daß es ginge. Du hast dich nie mit öffentlichen Dingen befaßt und begreifst mich nicht; vielleicht infolge des Umherwanderns seit deiner Kindheit hast du die Natur des Zigeuners bekommen, dem Familie oder Stamm anstatt des Staates ist. Dir ist es gleich, in welchem Erdteil, geschweige denn in welchem Lande du lebst, und vollends nach den Gesetzen, unter denen ein Volk lebt, nach seiner Freiheit und Unfreiheit fragst du nicht. Siehst du einen Menschen leiden, so hilfst du ihm, siehst du einen Grausamen den Schwächeren mißhandeln, so schlägst du ihn nieder; aber du fragst nicht, wie der Mann so werden konnte, welches die Wurzeln der Zustände sind, die dir verkehrt scheinen, und auf welche Weise du sie verbessern könntest.« Weiter sprach er lebhaft von den verwickelten und kritischen Zuständen des Landes: es sei gärende Unzufriedenheit in den unteren Schichten des Volkes, große Klassenkämpfe bereiteten sich vor, bei denen die Regierung, wenn sie fortführe, die Partei der Besitzenden zu nehmen, den kürzeren ziehen könnte. Aber nicht nur die Stände, auch die Völker wachten auf, schüttelten und reckten sich. Die jahrhundertelang unterworfenen Nationen besännen sich darauf, daß sie ihre Kräfte nicht nur im Dienste Fremder, sondern in eignem Namen und zu eignem Ruhme gebrauchen könnten. Käme da einer, den uralte Rechte heiligten, von dessen Lippen Geheimnisse und Gesänge strömten, dunkle Töne, die Blut mit Blut nährten und Tausende streitender Köpfe in einen glühenden Leib verwandelten, der würde das planlose Wollen zu Entschluß und Tat reißen und jeden Widerstand überwinden können.
»Und könnte ich nicht der sein so gut wie du?« fragte Lasko langsam. -- »Ja, wenn du den Willen hättest,« antwortete Rizzo lächelnd, indem seine Blicke wie blaue Blitze über Lasko hinglitten, der ihn nicht ansah, sondern vor sich in den Tumult des Wassers starrte. Das Wenige, was Rizzo gesagt, und wovon er kaum die Hälfte verstanden hatte, war wie ein rascher Sturm an ihm vorübergefahren, der verschlossene Pforten aufgerissen und schlafende Gestalten erweckt hatte. Stolze Bilder, wie jener sie nie hätte ersinnen können, jagten sich vor ihm: er rang einsam, kalt von Schweiß, mit dem steinernen Tode des Gebirges, er lebte Kampf und Blut, Tage wie Trompetenstöße, die wüsten Höhen bebten von Triumphen. Aber zugleich wußte er, daß alles, was er träumte, nichts als Schaum seiner Seele war, der hochfahrenden, unersättlichen, die keine Kraft hatte, sich den Purpur umzuhängen, nach dem sie dürstete, der das Höchste nicht genügte, und die auch das Geringste nicht erringen konnte. Die tanzenden Wassermassen verschwommen glitzernd vor seinen tränenerfüllten Augen, und es war ihm, als müsse der Jammer, der ihn durchdrang, ihn auflösen und mit der dunkeln Feuchte, die ihn umgab, verschmelzen. Das magere Falkengesicht neben ihm mit dem unbiegsamen Munde und den kühnen, lüsternen Raubvogelaugen, das, sagte er sich, zeigte siegreichen Willen an, rasches Tun, Ausdauer und Glück. Es fuhr ihm durch den Sinn, daß, wenn er sich mit der krampfhaften Kraft eines jähen Hasses auf Rizzo würfe, er ihn vielleicht überwältigen und mitsamt seinem Glücke vernichten könnte; aber haßte er ihn denn, und mißgönnte er ihm überhaupt die Taten, die er vorhatte? Alle die Dinge, von denen Rizzo gesprochen hatte, waren ihm im Grunde gleichgültig; er hätte derartige Pläne nie entworfen, ja, nicht einmal eine Stunde lang sich ernstlich dafür begeistern können. Wenn Rizzo so leichtgläubig gewesen wäre, ihm die Ausführung politischer Entwürfe zuzutrauen, hätte er ihn verachtet; freuen wollte er sich hingegen, wenn sein Freund ein Held war und Heldentaten vollbrachte. Was lag daran, ob er oder jener? Er meinte sich und ihn von einer oben vorübertreibenden Wolke aus zu sehen: beide winzig und ununterscheidbar zwei Schilfblättern ähnlich, die sich im Winde heftig hin und her bewegen, und die eine wühlende Welle im nächsten Augenblick entwurzeln kann.
Der verbrennende Schmerz, den er vorher empfunden hatte, erlosch, und es blieb nichts zurück als das Weh, das er wie einen leisen unterirdischen Ton immer mit sich herumtrug. Während er Rizzo erzählte, was dieser wissen wollte, woran er Lastaris Haus in Morimont erkennen könnte und wo die Krone zu finden wäre, fühlte er sich selbst fern, hingerissen in die feuchte Umschlingung der Elemente, und hörte seine eigne Stimme wie Geflüster von Riedgras in den Chören der Nachtgötter.
Das Haus seines Vaters, sagte er, sei aus weißgrauem Kalkstein gebaut wie alle Häuser in den Bergen; es bestehe aus dem Wohnhause und dem etwas kleineren Stalle, der dicht an einen Felsen geklebt sei, und beide seien von einer niedrigen Mauer eingeschlossen. Innerhalb des Hofes befinde sich ein steinerner Trog, wie ein Heidengrab anzusehen, in dem Surja die Wäsche gewaschen habe; auf seinem Rande sei eine kleine Figur eingegraben, die sie für das Bild der siebenzackigen Krone gehalten hätten. Das Gehöft läge etwas abgesondert von den übrigen Häusern, höher und dem Winde mehr ausgesetzt. Der Zugang zur Höhle, in der die Krone verborgen liege, sei in dem an den Felsen angebauten Stalle, und für gewöhnlich durch einen Stein verdeckt, der loser im Gefüge liege als die übrigen. Wenn sein Vater in die Höhle gegangen sei, habe er immer eine Fackel mitgenommen; denn die Dunkelheit sei dort so schwarz und der Boden so schlüpfrig, daß es gefährlich sei, ihn ohne Licht zu betreten. Auch sei es selbst für den Kundigen schwer, die Krone im Dunkeln zu finden, weil die Höhle sich bald verbreitere und seltsame Figuren auf allen Seiten ständen, Bildungen des Tropfsteins, die er als Kind für die toten Könige gehalten habe, die drohend und schützend um die Krone her ständen und sie hüteten. Nah höre man ein schweres Klopfen, das von dem Wasser herrühre, das stetig an den Steinen heruntertropfe, und aus der Ferne ein Rauschen, wie wenn vielstimmige Gesänge unter der Erde gesungen würden. Niemand in Morimont, ja niemand auf der Welt außer seinem Vater und seinen Geschwistern wisse, daß die Krone dort sei, und daß Surja sie dorthin zurückgebracht habe, sei außer Zweifel. Er sei aber gewiß, daß Surja sich nicht würde glauben machen lassen, daß er ihr Bruder Lasko sei, und einen Fremden würde sie nicht Hand an die Krone legen lassen.
Rizzo, der zärtlich den Arm um Laskos Schulter gelegt hatte und atemlos zuhörte, sagte zuversichtlich lächelnd: »Sie ist ein Weib, und ein Mann wird sie betören können. Wer soll ihr auch sagen, daß ich nicht Lasko bin? Wie du als neunjähriges Bübchen deine Heimat verließest, sähest du anders aus als jetzt.« Lasko schüttelte den Kopf und sagte: »Sie wird es fühlen.« »Lehre mich die alten Lieder von dem Adler und von der Krone,« bat Rizzo; »die werden mich bei deiner Schwester beglaubigen.« »Hör zu,« sagte Lasko:
Nicht Mond noch Sonne sieht die Krone
Im unterirdischen Saal;
Sie brennt gleich feuerrotem Mohne
Auf nassen Tischen von Opal.
Von sieben Zacken schießt Glut;
Um Säulen, die hangen,
Versteinerte Schlangen,
Sickert der Schein wie Blut.
Einst wird der König sie erlösen,
Dann wird das irre Volk vereint,
Und zittern werden alle Bösen ...
Es waren nur Bruchstücke von Liedern, auf die sich Lasko allmählich besann, und die vielleicht seine Mutter, die Rojenice, schon nicht mehr im Zusammenhänge gekannt hatte. Ein andres lautete so:
Es raunen die Elfen:
Heil über die Krone!
Fluch über die Krone
Aus Schlangengold!
Wir dienen und helfen
Mit heimlichem Lohne
Dem, der ihr hold.
Weh, wer sie verraten
Mit schändlichen Taten!
Sein Fleisch den Hunden,
Sein Name den Winden,
Seine Kinder dem Feind!
Die Krone glüht im Dom der Erde ...
Wann kommst du wieder, Königskind?
Es hütet die Herde
Und klagt in den sausenden Wind.
Rizzo betrachtete verwundert und gerührt Laskos schmales Gesicht, das ihm wie das eines Kindes aussah, und den träumerischen, wellenbeweglichen Mund, der Lieder in die sturmvolle Einsamkeit tönte. Indem er liebkosend in sein gelocktes Haar griff, fragte er, ob er ihm nicht etwas sagen könnte, woran Surja ihn als ihren Bruder erkennte, etwas, was keiner außer ihm und ihr wissen könne. »Erinnere sie,« sagte Lasko, »an die unendlichen Melancholien der Sonntage, wenn jedermann zum Kirchenbesuch in die nächste Ortschaft gegangen war, wo es eine Kirche gab, und wir am Fenster saßen und den Laut einer Glocke aus der Ferne zu erhaschen suchten. Dann gibt es noch etwas,« fügte er leiser hinzu, »das niemand außer ihr und mir weiß. Eine Viertelstunde oberhalb unsers Hauses ist ein Brunnen, von dem man sagte, daß er grundlos sei; am Tage holten dort wohl Leute aus der Umgegend Wasser, aber wenn ich in der Dämmerung dort war, schlich und huschte es zwischen den Steinen von Tieren, die trinken kamen, und Raubvögel zogen Kreise um ihn und stießen stumm in das tote Wasser. Oft begleitete ich Surja zu diesem Brunnen und beugte mich, während sie schöpfte, so tief über den Rand hinunter, daß sie mich ängstlich hielt und mit beiden Händen zurückzog. Nach dem Tode meiner Mutter befiel mich oft eine bleierne Traurigkeit, und da mich um die Zeit Surja meistens allein zum Brunnen gehen ließ, kam ich auf den Gedanken, daß alles gut sein würde, wenn ich mich in das grundlose Wasser hinunterstürzte, und unterließ es nur, weil ich es für eine Todsünde hielt, die mein Vater mir niemals verzeihen würde. Wie ich nun aber oft hinging und die Versuchung sich immer wiederholte, wurde die Sehnsucht, es zu tun, übermächtig, und einmal an einem schweren, weichen Tage tat ich es, ohne zu ahnen, daß ein Mann, der eben getrunken haben mochte, platt auf den Steinen neben dem Brunnen lag. Er zog mich unverletzt, allerdings ohne Bewußtsein, heraus und trug mich in unser Haus zu Surja, die mich rieb und wärmte, bis ich wieder zu mir kam. Das erste, was ich vom Leben spürte, waren die Tränen, die auf mein Gesicht fielen, während sie, über mich gebeugt, wartete, ob ich die Augen aufschlüge. Ich hörte nicht auf, sie zu bitten, bis sie mir versprach, meinem Vater zu verschweigen, was ich getan hätte; denn ich fürchtete seinen Zorn über den gottlosen Frevel und fast noch mehr seinen zermalmenden Schmerz.«
Es war mittlerweile Mitternacht geworden und das Wetter vorübergegangen. Rizzo sprang auf, kettete das Boot los und steuerte es zur Rückfahrt wieder in das sacht verrauschende Meer hinaus. Indessen Lasko still und müde auf dem Boden des Schiffes ausgestreckt lag, wiederholte Rizzo laut die Gesänge von der Krone, soweit er sie behalten hatte, und versuchte, ihnen den tragischen Tonfall und die süße Heimlichkeit zu geben, die Laskos Stimme darüber gebreitet hatte.
*
Herr Beatus nahm es ohne ein Zeichen der Erbitterung auf, daß Lastari sein Geschäft verlassen und ein eignes gründen wollte, warnte ihn aber und stellte ihm vor, daß einer, der über kein genügendes Anfangskapital verfüge, mehr Schulden auf sich nehmen müsse, als er hernach herausarbeiten könne, und daß in der Regel erst diejenigen die Früchte der Arbeit eines solchen Gründers ernteten, die seine Anlagen und Einrichtungen billig aufkauften, nachdem er abgewirtschaftet hätte. Lastari beachtete den Ratschlag nicht, im Gegenteil schloß er daraus, daß Neynegom seine Konkurrenz fürchte, und glaubte um so mehr, daß er etwas Großartiges zu unternehmen im Begriffe sei. Bald nachdem er Lusinara verlassen hatte, ging Rizzo fort; er hatte seinen Vater dazu überredet, daß es ihm notwendig sei, noch einige ausländische Kliniken zu besuchen, und trat, reich mit Empfehlungen versehen, eine Rundreise an, von der vorausgesetzt wurde, daß sie zwei Jahre oder länger dauern könnte. Lasko war unsicher, ob er den angegebenen für den wahren Zweck der Reise halten sollte; aber Rizzo war niemals ernstlich auf die abenteuerlichen Entwürfe jener Nacht zurückgekommen, hatte vielmehr beiläufig darüber gelacht wie über einen knabenhaften Frühlingsrausch, den sie miteinander aufgeführt hätten. Professor Pius veranstaltete ein Abschiedsfest, bei dem es traurig zuging; denn Morlesine, seine Frau, die ihren einzigen Sohn abgöttisch liebte, hatte verweinte Augen und mußte unzählige Male, mitten im Sprechen und Lachen, die hervorbrechenden Tränen verbergen. Lasko beobachtete die Maielies, ob sie sich ihres Vetters Abreise zu Herzen nähme, und je weniger Zeichen davon er wahrnehmen konnte, desto fester war er überzeugt, daß sie sich verstellte, um einen allzustarken Schmerz nicht merken zu lassen. Den Verlust, den er selbst erlitt, fühlte er infolgedessen erst, als Rizzo fort war; seine Eifersucht war nicht geringer geworden, und die vertraute Freundesnähe, in der er sich heimisch gefühlt hatte, fehlte. Er veränderte sich in dieser Zeit auffällig: seine Stimme war ohne Schmelz, seine Haut grau, und nie mehr war der ätherreine Kinderblick in seinen Augen, der ihm alle Herzen gewonnen hatte. Bei Beatus Reynegom, wo er sonst fast allabendlich gewesen war, ließ er sich selten sehen, und tat er es, so kam er nachlässig gekleidet, mit schlechter Haltung und störrischem Wesen, als wäre er ein Eindringling, den tückische Hintergedanken herführten. Mit der Maielies sprach er nicht und war überhaupt schweigsam; mischte er sich einmal ein, so war es, um das Gespräch zu verwirren oder ihm eine unerwünschte Richtung zu geben.
Ein häufiger Gegenstand mißliebiger Erörterungen war damals der Bau der protestantischen Kirche, der schon weit vorgeschritten war; es erhob sich nämlich ein Zwist im Schoße der Bauunternehmer, indem einige wünschten, daß im Inneren der Kirche eine marmorne Tafel mit den Namen der Stifter angebracht würde, was andre, darunter der Pfarrer, als ungeziemend ablehnten. Den Titel eines Stifters hatten sich diejenigen Herren erworben, die zum Bau der Kirche dreitausend Gulden oder mehr beigesteuert hatten, und es waren diese Herren nicht gerade Gegner der Widmungstafel, erklärten aber aus Bescheidenheit, keinen Wert darauf zu legen; einzig Herr Beatus sprach laut und klar die Meinung aus, daß es erbaulich und würdig sei, die Namen derer, die dem Herrn ein Haus erbaut hätten, in eben diesem Hause zu verewigen, und daß er nicht gesonnen sei, darauf zu verzichten. Erschwert wurde die Angelegenheit dadurch, daß einige Männer verlangten, im Fall ein solches Denkmal ausgeführt würde, müßten auch die Namen derjenigen herbeigezogen werden, auf deren Grundstück die Kirche erbaut würde, und zweitens dessen, der den Einfall gehabt habe, daß dies Grundstück der geeignetste Platz für sie sei. Hiergegen erinnerten andre, daß der Besitzer das betreffende Stück Land hätte schenken müssen, wenn er es sich von Gott und Menschen als ein Verdienst wollte angerechnet wissen, und was den zweiten betraf, behaupteten mehrere Personen, darunter sogar Frauen, den Einfall, daß die Kirche eben an jenem Platze sich erheben müsse, gleichzeitig mit ihm, ja vorher gehabt zu haben, was sie im Notfall durch Eide zu beteuern bereit waren. Die peinliche Verwicklung bewog ein Mitglied, in einer ratlosen Sitzung den Vorschlag zu machen, es möchte auf der umstrittenen Tafel einzig der Name des Herrn Beatus Reynegom genannt werden, der nicht nur die größte Summe gesteuert, sondern dessen Vater auch die erste Anregung, das Gotteshaus zu bauen, gegeben hätte. An einem Sommernachmittage kam Pfarrer Nepomuk in den Seestern, um Herrn Beatus, der bei der erwähnten Sitzung gefehlt hatte, zuzureden, daß er den Vorschlag nicht annähme, und fand ihn im Garten unter den Kastanien, wo die Familie den Kaffee genommen hatte. Die hochgewachsenen Stauden der Sonnenblumen auf dem Beete und der gelbe Feuerkreis ihrer gewaltigen Scheiben und Räder verdeckten die graue Mauer des Hauses fast gänzlich. Pius war in Begleitung von Lasko gekommen und erfüllte den Platz mit geräuschvollen Gesprächen, die Beatus schweigend mißbilligte; die Maielies saß mitten im glorreichen Sonnenschein, und das lebendige Licht wiegte sich wie ein Siegeszauber auf ihrer unangetasteten Jugend. Lasko bemühte sich, sie nicht anzusehen, und warf nur zuweilen einen schnellen, ungütigen Blick auf sie, den sie als Anzeichen bitterster Verstimmung an ihm kannte, der aber nur dazu diente, ihre Liebe inniger und großmütiger zu machen.
Pfarrer Nepomuk trug seine Sache ohne Umschweife vor und sagte, Herrn Beatus tapfer ins Auge fassend: »Ich zweifle nicht, daß Sie die gotteslästerliche und lächerliche Zumutung entrüstet zurückweisen werden, erstens weil Sie wohl wissen, daß Sie nach Ihren Kräften nicht mehr zum Bau der Kirche beigetragen haben als ein Bettler, der seinen Pfennig geopfert hat, und zweitens, weil es Ihnen fernliegt, sich dieses Pfennigs öffentlich zu rühmen.«
Herr Beatus antwortete mit nachdrücklicher Ruhe: »Ueber beides ließe sich streiten. Die guten Bettler mit ihren Pfennigen haben tatsächlich doch die Kirche nicht gebaut, sondern die Reichen mit ihren Tausenden. Wer würde der Narr sein, ein herrliches Bild zu malen und den Namen irgend eines Stümpers darunter zu setzen aus Ehrfurcht vor dessen gutem Willen? Es ist weder gotteslästerlich noch lächerlich, dünkt mir, sich seiner Taten zu freuen, und das junge Geschlecht zur Nacheiferung anzuspornen, indem man sie an Ort und Stelle verkündigt.«
»Wenn es eine rechte Tat wäre, möchte das sein!« rief Herr Pius aus. »Hättest du wenigstens ein erhabenes Monument hingestellt, wie es eines Gottes würdig wäre, anstatt des Baukastenkirchleins mit Zeigefingerturm und Scheunentor, das so recht wohlfeil und ländlich, wie ein verputtetes Aschenbrödel neben deinem Wohnhause aussieht.«
»Je enger das Tor ist, desto besser ist bewiesen, daß die Kamele doch durch ein Nadelöhr gehen können,« warf Lasko ein.
Pius lachte begeistert, Beatus hingegen zog es vor, die Bemerkung zu überhören, und erwiderte seinem Bruder: »Wir sind weder Heiden noch Katholiken, sondern Protestanten, und fühlen uns in einem schlichten, sauberen Gotteshause ohne abgöttische Verzierungen am wohlsten. Uebrigens hat mit mir die Kirchenbaukommission fast einhellig für den Plan gestimmt, den du verhöhnst, und zu dessen Ausführung du nichts beigesteuert hast.«
Lasko, dessen Zunge einmal geschärft und gereizt war, sagte: »Ich kann mir an Stelle der abgöttischen Verzierungen keinen würdigeren Schmuck der Kirche denken, als eine schlichte, saubere Tafel mit etwa folgender Inschrift: Gott -- widmet aus Hochachtung und eignen Mitteln -- diesen bescheidenen Tempel -- Beatus Reynegom,« -- worüber Herr Pius wieder in ein erschütterndes Gelächter ausbrach. Das machte seinen Bruder doppelt empfindlich gegen den kecken Scherz, den er, wenn Pius nicht dabei gewesen wäre, vielleicht ohne Ahndung hätte hingehen lassen, und er sagte mit einer drohenden Wendung zu Lasko:
»Mir scheint, Sie wissen weder gegen Gott noch gegen Menschen den schuldigen Respekt zu wahren.«
Aus Laskos Augen sprühte Feuer. »Respekt gegen Gott?« rief er. »Als ich zehn Jahre alt war, habe ich ihn lange Nächte durch angerufen, daß er mir ein Zeichen, eine Erklärung gäbe, warum ich, ein schuldloses Kind, so schrecklich leiden müsse, und als er schwieg, auf alle meine Gebete und Herausforderungen keine Antwort gab, habe ich gelacht und ihn geschmäht.« Er stand, als er das gesagt hatte, auf und entfernte sich, aschgrau im Gesicht, mit nachlässigen Schritten.
Als die Männer im Gespräch einen Pfad in den Park hinein einschlugen, eilte die Maielies dem Hause zu und die Treppe hinunter, die in die See führte; denn es war ihr, als müsse sie Lasko da finden. Er lag wie ein Toter auf einer der unteren Stufen dicht über dem Wasser und hörte ihren scheuen Tritt, ohne sich zu rühren; erst als er ihre kühle Hand in seinen Haaren spürte, schauderte er und schluchzte. Indem er den Stein, auf dem er lag, krampfhafter umklammerte, rief er: »Du liebst mich nicht! Du kannst mich nicht lieben,« worauf sie, hingerissen von Erbarmen und Sehnsucht, sich tiefer über ihn beugte und stammelte: »Ja, dich! nur dich! O, komm doch zu mir!« schmerzlich nach Worten suchend, die die Größe ihrer Liebe ausdrückten, und kaum im stände, die zitternden Lippen zu beherrschen.
Er richtete sich auf und sah sie mit Augen an, die wie die eines unschuldig gequälten Kindes waren: »Du wirst mich verlassen,« sagte er, »ich bin zu schlecht.«
»Nein,« rief sie, indem sie heftig den Kopf schüttelte, »was schlecht in dir ist, das bist nicht du, du bist gut, du bist besser als alle, die ich kenne!«
»Ich sitze auf einem Wagen,« sagte er träumerisch, »und fahre mit wilden Rossen, die ich nicht bändigen kann. Vielleicht könntest du mir die Kraft geben, wenn du mich liebtest.« Sie faßte seine Hände und schmiegte in der Unschuld ihrer Liebe ihren jungen Leib dicht an den seinen, als wollte sie ihn ganz umfangen und beschützen; aber er drängte sie zitternd zurück und sagte abwehrend: »Es kann nicht sein! Es wird nie sein können! Und was würde es auch nützen? Niemand kann mir helfen; auch du, selbst du nicht.« Dem Allmachtsgefühl ihrer Jugend und ihrer Liebe kam kein Zweifel, weder am Schicksal noch an ihrem und seinem Herzen, und die Sicherheit des Glückes strahlte so machtvoll von ihr zu ihm, daß alles Bittere und Böse versiegle und er zu ihr aufschaute wie der Gläubige zu dem verehrten Bilde, von dem er die Wundertat erwartet. Sie bewegte sich langsam gegen ihn und wollte etwas Unaussprechliches sagen, aber es war ihr, als ob das Meer sich erhöhe und mit einem Andrang unerträglicher Wonne bis an ihr Herz stiege: Tränen strömten ihr ins Auge, und sie wandte sich schnell ab und lief die Treppe hinauf und ins Haus, nachdem sie ihm noch einmal innig zugenickt hatte.
Von der Frühe des nächsten Morgens an wartete die Maielies auf Lasko, doch kam er weder an diesem noch am folgenden Tage und auch später nicht, so daß die Maielies sich entschloß, in das Spital zu gehen, was sie öfters tat, um den Kindern kleine Geschenke zu bringen und mit ihnen zu spielen, wo sie sicher war, ihn zu sehen oder etwas über ihn zu erfahren. Er begegnete ihr in einem der ersten Säle, begrüßte sie mit ruhiger Höflichkeit und verriet durch keine Miene, daß ein innigeres Bewußtsein zwischen ihnen war; sie hatte ihn niemals zu Hause so gesammelt und sicher gesehen. Ein Schmerzgefühl übermannte sie so stark, daß sie, am Bette eines Kindes sitzend, betäubt und fassungslos, den unbefangenen Ton nicht fand, in dem sie sonst mit den Kleinen zu verkehren pflegte; ihn, der sich nah bei ihr zu schaffen machte, sah und hörte sie, als wäre er weit weg, wie er sanft, energisch und verständig, überall beruhigend und erheiternd, das kleine Krankenvolk beherrschte. Ohne daß er sie zu beobachten schien, sah er in ihrem unverstellten weichen Gesicht alles, was in ihr vorging: die Verwirrung und das Weh, das ihr ins Herz schnitt; er hätte sich über sie hinwerfen und sie mit Umarmungen und Küssen töten mögen, aber er überwand sich, und erst, als sie sich zum Gehen anschickte, trug er ihr seine Begleitung an, die abzuschlagen sie zu gut und einfach war. Wie er nun neben ihr herging, strömte ihm die Fülle des Herzens verschwenderisch von den schwingenden Lippen: wie Saiten des Wohllauts verwandelten sie jeden Gedanken, der sie berührte, in Melodien, die sie sein seltsames Wesen, unter dem sie eben gelitten hatte, vergessen machten und sie mitten in den schwebenden Zaubergarten der Liebe stellten. Er erzählte ihr, daß er, seit seine Mutter gestorben wäre, wenn etwas ihm sehr gefallen oder wohlgetan hätte, geglaubt hätte, sie sei es, die in einer lieblichen Verwandlung zu ihm käme. So hätte er einmal ein Pomeranzenbäumchen voll roter Früchte gehabt, dessen Blätter er hundertmal geküßt und dazu geflüstert hätte: »Rojenice! Mutter!« Ein andermal sei ihm ein kleiner, halbverhungerter Fuchs zugelaufen, der ihm unzertrennlich anhänglich geworden wäre, aber jeden, der ihn hätte anrühren wollen, gebissen hätte, und über dessen Tod er geweint hätte, als wäre die Rojenice noch einmal gestorben. Ja, ein Windhauch, der ihm linde das Haar bewegt hätte, ein Duft, der ihm von irgendwo vorübergeweht wäre, hätte manchmal die herzliche Empfindung in ihm erregt, daß sie dagewesen sei und ihn gegrüßt habe. »Aber als ich dich sah,« sagte er, »wußte ich, daß du es warst, und daß ich dir gehörte, auch wenn du mich nicht liebtest.« Die Maielies lächelte glücklich mit feuchten Augen; es war ihr, als behängte der Ueberschwang seiner Liebe sie mit Schnüren von Perlen, immer neuen, reicheren, edleren, die sich kühl um ihren Leib legten und ihn allmählich schwer zu Boden zögen.
*
Wenn Lasko zu seinem Vater kam, welkten die Hoffnungen seiner Brust ab wie Frühlingsblumen, die in ein verderbliches Klima getragen werden. Er mußte dann, während draußen der durchsichtige Himmelsbogen über den steilen, rötlichblauen Gebirgsrücken schwebte und Olivenwälder silberne Kränze um die Pracht des Meeres schlangen, in ein kaltes, getünchtes Zimmer treten, wo sein Vater ihm klagte, wie er an allen Orten betrogen würde, wie er mit der Kurzsichtigkeit der Menschen kämpfen müßte, und wie dadurch seine Aussichten sich verschlechterten und das Geschäft den Gang nicht nähme, den er vorgesehen hätte. Lasko, der schon ähnliches mit seinem Vater durchgemacht hatte, war darauf vorbereitet gewesen und begnügte sich damit, ihm zuzuhören und ihn zu trösten. Still betrachtete er die weißen Haare in den schwarzen Löckchen an dem geliebten Haupte, das nun auch kahl zu werden begann, und versuchte in den Dingen, die sein Vater ihm mitteilte, Stoff zum Lachen oder zur Zerstreuung zu finden; aber Lastari, wenn er auch einmal kurz auslachte, wurde gleich wieder ernst, sein großer, voller Mund hing gramvoll herunter, und seine Augen starrten geängstigt auf die nassen Flecken an der Wand. Es komme zu allem Unglück noch das, sagte er, daß er die Arbeitskraft verliere, weil er nicht schlafen könne; denn seit einiger Zeit besuchten ihn des Nachts die Alten. So nannte er die Könige, deren Gräber die Sage unter gewisse, auffällig geformte Felsen und in die zum Teil noch nie betretenen Höhlen des Gebirges verlegte. »Ich befinde mich dann in der Höhle,« fuhr er mit gesenkter Stimme fort, als Lasko schwieg, »und suche mit einer Fackel nach der Krone. Auf einmal weilet sich die Höhle, so daß es scheint, als verliefe sie nach allen Seiten in die Unendlichkeit, und wenn ich verwirrt nach irgend einer Richtung weitergehe, wird sie enger, schließt sich vor und hinter mir zusammen, und das zusammengepreßte Wasser quillt an mir herauf. Glaube ich endlich die Krone glimmen zu sehen und strecke die Hand nach ihr aus, so kommen sie und verstellen mir den Weg. Die ersten schreiten langsam mit geschlossenen Füßen dicht über der Erde, groß und weiß, rühren sich nicht, nur die Augenhöhlen, die wie faules Holz im Walde leuchten, drehen sie nach mir hin; dann kommen viele andre, die rücken hastig wie zusammengeballtes Gewölk, blasen meine Fackel aus und wälzen sich auf mich, als wollten sie mich begraben.«
»Es wird ein Alpdruck sein,« meinte Lasko.
»Das mag sein,« antwortete Lastari, »du weißt, daß ich nicht abergläubisch bin. Nur ist es eigen, daß sie jede Nacht kommen, und mir so zur Plage geworden, daß ich beschlossen habe, mich nicht mehr in mein Bett zu legen; vielleicht bleiben sie dann aus.« Lasko riet, er solle sich Bewegung machen und die schweren Gedanken verscheuchen; aber er nickte nur zerstreut und verfiel in langes Nachsinnen. Endlich sagte er: »Es ist gewiß, daß ich mein Leben verwüstet habe, obwohl ich lauter Gutes und Großes wollte. Ich war ein besserer und glücklicherer Mensch, als ich mit Nojenice auf den Bergen wohnte.«
»Dennoch hattest du recht, auszuwandern,« entgegnete Lasko. »Hätten wir in alle Ewigkeit in der Oede sitzen und Steine hauen sollend«
»Ja,« sagte Lastari, »der Drang, der mich aus der Heimat forttrieb, mag gut gewesen sein. Das Verderben begann, als ich das elende Weib heiratete. Das war der Augenblick, wo ich einen falschen Weg eingeschlagen habe, und nun ist es unmöglich für mich, zum Ziele zu gelangen.«
»Welches ist das Ziel?« fragte Lasko aufmerksam.
Lastari fuhr mit der Hand über seine hohe, bekümmerte Stirn und richtete den schweren Blick auf Lasko: »Ich weiß es nicht,« sagte er, »suche du es. Ich hatte keine Unterweisung, wie Ginster zwischen den Steinen bin ich aufgewachsen. Dich habe ich auf Wege geführt, wo du vorwärts kommen kannst, dich können die Wissenschaften belehren, oder die Künste können es dir offenbaren. Vielleicht war es eine Torheit von mir, ein Geschäft anzufangen, von dem ich nichts verstand, aber für mich ist es nun zu spät, umzukehren und Neues anzufangen. Ich kann dir nichts andres sagen als dies: lerne von allem, aber bleibe nirgends kleben und behalte im Herzen, daß die Krone auf dich wartet. Wehe dem Vater, der sein Kind nicht auf seine Schultern stellt, daß es höher greifen kann, als er vermochte.«
Laskos Augen glänzten mutig. »Du hast gearbeitet wie ein Lebendigbegrabener,« sagte er, »der sein Grab aufreißt, und wir danken dir mehr als Leben, Licht und Luft. Sei du nun aber zufrieden mit dem, was du getan hast, und löse die Fabrik auf, wenn auch mit großen Verlusten, ehe sie uns ganz zu Grunde richtet.«
Lastari wies diese Zumutung nicht mehr mit solcher Entschiedenheit zurück wie anfangs, doch, meinte er, wäre es gut, wenn sie sich hielte und er etwa einmal Dragaino zu sich nehmen und in den Betrieb einführen könnte. Er klagte sich an, Surja und Dragaino vernachlässigt zu haben; Geld bekämen sie wohl von ihm, aber übrigens hätte er keinen Zugang zu ihnen, weil sie zu lange auf verschiedenen Wegen gegangen wären. Da nun aber Lasko zustimmte und ihn ermunterte, noch einmal nach Morimont zu reisen und sich mit Dragaino zu bereden, wurde er wieder bedenklich; gerade jetzt, wo die Sachen so schlecht ständen, wäre der Zeitpunkt ungeeignet, die böse Krise müsse zuvor überwunden werden. Je eindringlicher Lasko vorstellte, daß durch Warten nichts besser, vielleicht aber alles schlimmer würde, daß selbst, wenn die Fabrik sich noch halten ließe, nicht so viel dabei zu gewinnen wie zu verlieren wäre, desto widerspenstiger und unzugänglicher wurde Lastari. Er brachte auf einmal wieder viele Gründe vor, die für eine demnächst eintretende günstige Wendung sprachen, und Lasko mußte es aufgeben, ihn beeinflussen zu wollen; auch wußte er aus Erfahrung, daß sein Vater, wenn er etwas unternommen hatte, nicht davon abließ, bis alle seine Kräfte darin verzehrt waren und er sich wie ein blinder Bettler von seinen Kindern mußte führen lassen.
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Es standen kurze Nachrichten in den Zeitungen von Unruhen im Innern des Landes, namentlich daß ein Geistlicher sich hätte bereit finden lassen, dem Volke in seiner eignen Sprache zu predigen, was von der Regierung verboten worden wäre. Auch höre man wieder von der alten Wendenkrone, wie denn Märchen der Art in aufgeregten Zeiten im Volke aufzutauchen pflegten; etwas Tatsächliches liege dem Gerede keinenfalls zu Grunde. Lasko wurde durch diese Andeutungen sehr beunruhigt; denn er hielt es für möglich, daß Rizzo seinen Plan doch ausgeführt habe und mit den gemeldeten Ereignissen verflochten sei, in welchem Falle er auch für seine Geschwister fürchten mußte. Sein Vater schien, ganz in seine verworrenen Angelegenheiten versunken, nichts davon gelesen zu haben, und er scheute sich, ihn darauf aufmerksam zu machen; so teilte er der Maielies von seinen Vermutungen mit, nachdem er ihr einen aus der Wirklichkeit und seiner Phantasie zusammengefabelten Bericht gegeben hatte, worauf sie sich gründeten. Sie hörte erstaunt zu, meinte aber, es sei nicht unwahrscheinlich, daß Rizzo in seiner Sucht, Außerordentliches zu erleben, sich in solche Dinge eingemischt oder sie gar angezettelt habe, und äußerte zugleich Besorgnis über den Verlauf, und ob er nicht ernstlichen Gefahren dabei ausgesetzt sei.
Lasko fand in ihren Worten und ihrer Miene Anlaß zur Eifersucht; er erhitzte sich schnell, sprach tadelnd von dem tändelnden Verkehr, der zwischen ihr und ihrem Vetter bestanden habe, und warf aufs Geratewohl die Behauptung hin, sie unterhalte einen heimlichen Briefwechsel mit ihm. Mehr noch als seine Worte erschreckte sie sein argwöhnischer Blick und seine zügellose Erregung; sie entgegnete mit sanftem Stolz, daß, wenn Rizzo und sie sich liebten, sie es nicht verhehlen würde, und daß er kein Recht hätte, ihr ohne Achtung zu begegnen. »Warum nicht?« sagte Lasko. »Bist du so unantastbar? Hintergehst du nicht deinen Vater und deine Mutter, indem du dich mit mir eingelassen hast? Du bist ein Vogel, der brüten will und einzieht, wo er ein Nest findet; ein Bäumchen voll Blüten, deren Kelche voll Honig sind, jede Biene, die kosten will, ist willkommen. Deine Wangen haben einen feinen Pelz wie reifer Pfirsich, so hängst du am Spalier, und wer schüttelt, dem fällst du vor die Füße.«
Wie sie, überwältigt von Entsetzen und verwirrt von der Ahnung einer häßlichen Bedeutung seiner Worte vor ihm stand, so süß, wie er sie geschildert hatte, aber ebenso ehrlich und unschuldig, reute ihn seine rasende Anwandlung; doch ließ er davon nichts merken, vielmehr, da er sich nichts andres denken konnte, als daß er durch seine Roheit sie sich auf immer entfremdet hätte, machte sich seine Verzweiflung in Beschimpfungen Luft, die ebenso boshaft und töricht waren wie die vorigen und nur sie verletzen sollten, wie er sich selbst verletzt hatte. »Du kannst nichts dafür,« sagte er, »daß du so bist. Du bist aufgewachsen wie ein Heidenkind zwischen einem Vater, der Oel verkauft, und einer Mutter, die sich an- und auskleidet, und von denen keines dich lehren konnte, was Frömmigkeit und Sitte ist.« Sein Gesicht hatte sich so verändert, als ob er eine Maske aufgesetzt hätte, eine häßliche, kalte und böse, zu der sie nicht sagen konnte: was tust du mir an, ich bin es, die du liebst; kennst du mich nicht mehr? Nachdem sie einige Augenblicke erstarrt geblieben war, sprang sie plötzlich auf ihn zu, faßte mit ihren beiden Händen die seinen am Handgelenk und schüttelte sie leidenschaftlich, indem sie ihn aus tränenerfüllten Augen blitzend ansah; dann stieß sie ihn von sich und lief mit zitternden Knien in ihr Zimmer. Sie warf sich auf ihr Bett und preßte ihr Gesicht so fest in die Kissen, als wollte sie mit ihrem Schluchzen sich selbst ersticken; denn sie fühlte einen Todesschmerz und glaubte nicht, daß er jemals würde heilen können.
Aber bald verschwand der abschreckende Eindruck, den sie empfangen hatte, und sie sah ihn vor sich, wie sie ihn manchmal in Wirklichkeit gesehen hatte: mit den Augen eines Kindes, das schaudernd ein furchtbares Schicksal über sich hingehen läßt. Hatte nicht er in einem Winkel seines Innern geweint und die Hände gerungen, während ein feindlicher Teufel sie, die er einzig liebte, mit Gift bespritzte? Vollends, als er sich ihr am folgenden Tage näherte, matt und bleich, wie von einem bösen Geist ausgesogen, vergaß sie alles, was sie selbst durch seine Kränkung erlitten hatte, und schalt sich vielmehr, nicht augenblicklich mit der Kraft ihrer Liebe und ihres Mitleids alles ins gleiche gebracht zu haben. »Wie können wir zusammenbleiben?« sagte er demütig; »du bist gut und glücklich, und ich bin krank.« Sie lächelte und sagte: »Wenn du bei mir bleibst und mich lieb hast, wirst du glücklich sein wie ich;« es schien ihr so einfach, als brauche sie ihn nur mit der Hand in ihr Herz hineinzuziehen, wo reingestimmte Frühlingsglocken läuteten und unfehlbare Sterne leuchtend auf- und niedergingen.
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Die Maielies wußte, daß Lasko zuweilen an der Rückseite des Parkes vorüberging, der durch eine schmale Straße von der Fabrik getrennt war, und hielt sich deshalb häufiger als sonst dort auf; es war ein liebliches Gefühl, das Aufglänzen in seinen Augen zu sehen, wenn er ihrer gewahr wurde, und wie in seinen bequem nach einer inneren Träumerei sich wiegenden Körper elastische Bewegung kam, als wollte er sich wie ein Knabe mit einem Sprunge in ihre Arme werfen. Sie pflegten sich dann durch das Gitter die Hand zu reichen, einige gleichgültige Worte zu wechseln und sich wieder zu trennen. Einmal traf es sich, daß sie sich um die Abendstunde begegneten, als gegenüber aus dem großen Tore des Fabrikhofes die Arbeiter kamen, um nach Hause zu gehen, und die Straße überfüllten, so daß Lasko stehen blieb, bis sie vorüber wären. Es war ein langer Zug von Männern, Frauen und Mädchen, die durcheinander schwatzten und lachten, sich aber alle einen Augenblick unterbrachen, um die Maielies zu grüßen, die mit freundlichem Ernst dankte.
Unterdessen erzählte sie Lasko leise, die Arbeiter ihres Vaters ständen sich besser als die an den sämtlichen Fabriken des Landes; vernachlässigt sähen sie freilich doch aus, daran sei aber nicht ihre Armut schuld, sondern die Unordnung, die den Eingeborenen nun einmal nicht auszutreiben sei. Lasko hörte zu und wunderte sich über ein drückendes Gefühl, das sich langsam auf sein Herz senkte; sie, deren Kleid er durch das Gitter berührte, schien ihm in matter, gleichgültiger Ferne zu stehen, und er begriff nicht, warum er Blicke und Worte mit ihr tauschte, die ihn so wenig anging wie die plappernden Männer und Frauen, die an ihm vorbeigingen. Indem er versuchte, das peinliche Gefühl abzuschütteln, drehte er sich nach den Arbeitern um und betrachtete die groben Gesichter, die neugierig nach ihm hin schielten; an einem zarten, dunkelhaarigen Mädchen blieb sein Blick hängen, das man ihrer unentwickelten Gestalt nach für ein Kind hätte halten können. Zwischen den andern Frauen, von denen auch die mageren robust aussahen, glich sie einer kränklichen Knospe, die vielleicht nie zur Blüte kommen wird. In ihren dunklen, langbewimperten Augen war Glut, aber keine Freundlichkeit, und herbe war auch der schmale Mund, trotzdem übte ihre Erscheinung Reiz aus; sie war wie eine kleine Blume, von der man weiß, daß Zauberinnen sie suchen, um heilsame oder verderbliche Tränke daraus zu brauen. In dem Augenblick, als das Mädchen nahe bei Lasko vorbeikam und ihn ansah, flüsterte ihr ein Weib etwas zu, worüber sie lachte, in einer Weise, daß er sich unangenehm betroffen fühlte und errötete. Auf seine Frage, wer sie sei, antwortete die Maielies, sie heiße Moga und sei eine Waise, die bei einer alten Frau in der Kost lebe; weiter wisse sie nichts von ihr. Er trennte sich gleich darauf von der Maielies mit einem kalten, fremden Gefühl gegen sie; es war ihm zu Mute, als würde er sie nie wiedersehen, und das bereitete ihm keinen Schmerz, noch konnte er sich vorstellen, daß sie darunter leiden würde. Erst als der Park hinter ihm lag, zog es ihn wieder zu ihr zurück; aber er wagte nicht umzukehren, weil es den Arbeitern, die noch vor ihm waren, hätte auffallen können. Schneller vorwärts schreitend holte er die letzten Männer ein und knüpfte ein Gespräch mit ihnen an, wobei er sich bald wieder ermunterte; als er sich beiläufig nach Moga erkundigte, kicherten die Leute, ohne daß er hätte herausbringen können, warum.
An einem der nächsten Abende ging Lasko in das Dorf, das sich weit zerstreut den Berg hinauf erstreckte, und traf Moga Wasser schöpfend an einem Brunnen. »Wenn du mir sagst, warum du gelacht hast, als du mich sahest,« sagte er zu ihr, »will ich dir deinen Eimer nach Hause tragen.« Moga lächelte und versprach es, worauf er den Eimer, der für sie eine übermäßige Last war, auf die Schulter stellte und ihr damit den Berg hinauf folgte. Das kleine Haus, in dem sie wohnte, lag vereinzelt und höher als die meisten, mitten in wildem Feigengebüsch, zwischen dem ein schmales steinernes Treppchen in die Höhe kroch. Moga trug den Eimer ins Haus und kehrte dann zu Lasko zurück, der sich auf eine Steinbank gesetzt hatte und auf das Meer hinunter blickte. »Nun will ich dir sagen, warum ich gelacht habe,« sagte sie. »Die Frau, die neben mir ging, flüsterte mir zu: ›Wenn dem Fuchs die Gänse munden, soll das Füchschen nicht lecker sein?‹ Das machte mich lachen.« Lasko schüttelte den Kopf und begriff nicht, was das Sprichwort an dieser Stelle bedeuten sollte, aber das Mädchen ließ sich auf keine weitere Erklärung ein.
Nachdem sie, seiner Bitte nachgebend, sich zu ihm gesetzt hatte, fragte er sie, ob ihre Eltern hier wohnten, worauf sie erwiderte, was er schon wußte, daß auf der Welt niemand ihr gehöre. Es war ein schwüler, sonnenloser Tag gewesen, jetzt standen am milchfarbigen Himmel blasse Sterne, das Meer war blank, alle Dinge schienen sich nahegerückt, still und ergeben, für immer ineinander zu verschmelzen. »Es tut nichts,« sagte Moga, »daß ich allein bin. Solange die Menschen auf der Erde leben, sind sie böse, und meine Eltern hätten mich vielleicht gescholten und geschlagen, wie andre es mit ihren Kindern machen; nun aber warten sie im Himmel auf mich und werden mich liebkosen, wenn ich komme.« Lasko fragte, ob sie sich sehne, dahin zu kommen, und wie sie sich vorstelle, daß es da zugehe. »Dort werden diejenigen herrschen, die jetzt dienen, und die jetzt befehlen, müssen gehorchen,« antwortete sie, wobei es verstohlen in ihren Augen funkelte. »Wirst du eine böse Herrin sein und dich an denen rächen, die dich geplagt haben?« fragte Lasko. Sie bedachte sich eine Weile, zuckte dann die Schultern und sagte kühl: »Ach, es ist nicht der Mühe wert.« Lasko betrachtete teilnahmsvoll ihr farbloses, in der bleichen Dämmerung verschwimmendes Gesicht. »Möchtest du nicht einen Geliebten haben?« fragte er neckend leise. Sie verzog ihre Lippen verachtungsvoll und sagte: »Der Wein schmeckt mir nicht mehr, seit ich gesehen habe, wie sie mit ungewaschenen Füßen die Trauben stampfen.« Gleich darauf erschien auf der Treppe eine große, knochige Frau, stramm und gerade wie eine Pappel, mit braunem, ernsthaftem, ausgemergeltem Gesicht, die, sowie sie Moga bei Lasko sitzen sah, ihr in heftigem Tone rief und ihm winkte, sich zu entfernen. Es sei die Frau, bei der sie wohne, eine Wäscherin, sagte Moga erklärend und stand auf, indem sie sich mit einem Kopfnicken von Lasko verabschiedete. Lasko wollte aus Besorgnis, daß Moga seinetwegen gescholten werden möchte, der Frau begütigend zureden, allein sie überhäufte ihn mit so vielen, in unwirschem Tone hervorgestoßenen Reden, daß er es für besser hielt, sich schweigend zurückzuziehen.
Einige Schritte vom Hause fand er einen halberwachsenen braunen Burschen, der gehorcht zu haben schien, und der ihn aus kleinen Augen boshaft anblinzelte. Er redete ihn an, der sich als Sohn der Wäscherin zu erkennen gab, und brachte ohne große Mühe aus ihm heraus, daß Moga ein Liebesverhältnis mit Lastari, seinem Vater, gehabt hatte, aus welcher Tatsache sich sogleich alles, was ihm zuvor unverständlich gewesen war, erklären ließ. Bittere Traurigkeit im Herzen stieg er den Berg hinunter, ging, weil er ein Bedürfnis, sich zu betäuben, empfand, in eine Schenke und ließ sich Wein geben; da ihm aber plötzlich einfiel, was Moga von den Trauben gesagt hatte, daß sie mit schmutzigen Füßen zerstampft würden, stieß er das Glas, ohne getrunken zu haben, zurück und verließ hastig das Zimmer. Fern und bedeutungslos standen die Sterne am weißen Himmel. ›Wir kriechen eine Weile im Schlamme,‹ dachte er, ›bis wir zertreten werden, und es bleibt nichts als ein blutiger Dreck.‹ Kein Bild, das er anrief, kein Gedanke, den er verfolgte, befreite ihn oder schien ihm nur beachtenswert; Ekel und Bangigkeit überfüllten seine Seele.
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Olivia beklagte sich zuweilen, daß die Maielies, anstatt munter und mitteilsam zu sein wie andre junge Mädchen, die das Haus mit zwitscherndem Frohsinn belebten, schwerfällig dasitze wie eine wächserne Puppe, die man aufzuziehen vergessen habe. Die Maielies verantwortete sich nicht, sondern blieb still und in sich gekehrt. Wenn sie sich die lachenden Mädchen vorstellte, die ihre Mutter anführte, leichtfüßige und leichtherzige, die mit tanzendem Schritt und trällerndem Munde ihre Obliegenheiten erfüllten, Liebe um sich her verbreitend, wie Blumen ihren Duft aushauchen, empfand sie Schmerz und Neid und Unwillen gegen sich selbst. Sie hatte Tage, wo sie sich wie mit Blei ausgegossen fühlte und keine Kraft in sich fand, die Schwere zu überwinden. Sie dachte an die Rosenbeete im Garten, die sie pflegte, an das blaue Meer, das an den Mauern ihres Vaterhauses aufrauschte, an die weißen und farbigen Gewänder, mit denen sie sich schmücken konnte; aber es waren gleichgültige Bilder, die an ihr vorüberliefen, wie man wohl die Perlen eines Rosenkranzes gedankenlos durch die Finger gleiten läßt. Nur wenn sie an Lasko dachte, wurde ihr Herz leicht und hob sich; einzig das Bewußtsein der Heimlichkeit ihres Verlöbnisses störte sie. Wenn sie auch zuweilen tat, was sie selbst mißbilligte, war es doch nicht ihre Art, sich zu beschönigen, sondern sie richtete sich ohne Nachsicht und, wie schwer es ihr auch werden mochte, zwang sich zu einem Sein oder Handeln, das ihr die sorglose Uebereinstimmung mit sich selbst zurückgab. Wäre sie erst Laskos Frau, dann, glaubte sie, würde sie immer lachen und strahlen; dann wollte sie die bunten und weißen Gewänder tragen, dann Rosenkränze um die blonde Stirn binden und Liebe aushauchen, wie Blumen Duft; dann sollte erst ihr eignes Leben beginnen und wie ein hohes Herrenhaus in den freien Himmel steigen.
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Lasko bestürmte die Maielies mit Bitten, ihren Eltern nichts von ihrer Liebe zu sagen; es würde sonst, behauptete er, alles aus sein, sie würden nicht in ihre Verbindung willigen und es zu verhindern wissen, daß sie sich ferner sähen. Was auch die Maielies dagegen sagte, er beharrte dabei und drohte sogar, sich ganz von ihr zurückziehen zu wollen, wenn sie nicht wenigstens mit der Erklärung noch zu warten verspräche. Er verglich sich mit einem armen Kinde, das durch ein Mauerloch in einen Garten sieht und sich am Anblick der goldenen Früchte erlabt; wie würde es weinen, wenn es eines Tages das Guckloch geschlossen fände und sich der Schönheit nicht einmal von ferne mehr freuen könnte.
»Aber willst du denn nicht, daß wir Mann und Frau werden?« fragte sie. »Wie denkst du dir die Zukunft?« -- »Du verstehst mein Leben nicht und nicht deines,« entgegnete er. »Wir Armen haben keine Zukunft wie ihr Reichen, wir wohnen in engen Gassen und Kellern, von wo aus man die Fernen der Erde und des Himmels nicht sieht. Ihr könnt die Zukunft wie Taler aus dem Beutel ziehen und vor euch hinzählen, uns fliegt jeder Tag wie ein Pfennig vor die Füße, heute einer, morgen einer, übermorgen vielleicht der letzte.«
Die Maielies schüttelte unwillig den Kopf, denn sie mochte es nicht leiden, daß er die Verschiedenartigkeit ihres Lebens und Empfindens betonte. Ihre Vorfahren seien auch arm gewesen, sagte sie, und würden es noch sein, wenn sie nicht an die Zukunft geglaubt hätten. Auf die günstigen Aussichten komme es viel weniger an als auf den entschlossenen Willen. »Du weißt nicht, wie es ist, mit meinem Vater zu leben,« sagte Lasko. »Hast du gehört, daß grausame Völker, um sich an einem Feinde zu rächen, ihn auf ein wildes Pferd banden und es rennen ließen, wohin es wollte? Es braust wie ein Unwetter durch das Gestrüpp und steht im peitschenden Regen still, den sterbenden Sklaven auf dem Rücken. So ist es mit ihm.«
»Das ist vorüber,« sagte die Maielies gebieterisch, »und du sollst nicht mehr daran denken, sondern an das, was kommen soll, und daran arbeiten, daß es schön wird.«
Ueber Lasko kam allmählich Ruhe und ein zauderndes Hoffen. »Glaubst du denn, daß es schön sein wird, wenn wir Mann und Frau werden?« fragte er, worauf sie, mit kindlich großen Augen ihn verheißungsvoll anblickend, antwortete: »Gewiß wird es das. Ist es nicht Glück, zusammen zu sein und ein Kind zu haben?« Er zog ihre Hand an sich und fragte: »Glaubst du, daß wir ein Kind haben werden?« und da sie nickte und sagte: »Gewiß; die meisten Menschen bekommen doch Kinder,« fragte er dringlich weiter: »Einen Sohn?« was sie wiederum zuversichtlich bejahte. Sein Gesicht strahlte wie ein Stern; die Beseligung, die er fühlte, hätte nicht größer sein können, wenn ihm das Neugeborene leibhaftig in die Hände gelegt worden wäre. Sie fingen nun an zu beratschlagen, wie das Kind heißen solle, und Lasko sprach den Wunsch aus, es möchte seines Vaters Namen tragen, was die Maielies aber ablehnte, da sie ihn für unheilbringend halte. Nach längerem Wählen und Verwerfen einigten sie sich auf den Namen Divo, als den königlichsten und heldenmäßigsten, der ihnen einfiel; denn sie zweifelten nicht, daß ihr Sohn zu Ruhm und Schönheit auserkoren sein werde.
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Am nächsten Tage kam Lasko mit einigen Margaretenblumen in der Hand zu Maielies und reichte sie ihr schüchtern, indem er sagte, er sei weit hinaus ins Land gegangen, um ihr die schönste Blume zu bringen, und diese habe ihm besser als alle gefallen: sie gleiche einer kleinen gelben Sonne mit weißen Strahlen. Die Maielies küßte die Blumen und steckte sie in ihre Haare, während ihre nassen Augen glänzten und lachten. Mit Lasko war eine glückliche Veränderung vorgegangen: seine Laune wechselte nicht mehr, von hoffnungsloser Traurigkeit in wirbelnden Uebermut umschlagend, und die feindseligen Anfälle, in denen seine Liebe zu Haß und Mordlust verkehrt schien, blieben ganz aus. Er war nicht nur damit einverstanden, daß Herrn Beatus ein Geständnis der gegenseitigen Liebe gemacht würde, sondern willens, es selbst zu tun und alle Widerwärtigkeiten und Kämpfe, die etwa einträten, allein auf sich zu nehmen, wovon freilich die Maielies durchaus nichts wissen wollte. Divos lustiges Bildchen begleitete ihn auf Schritt und Tritt und schien ihn wie ein Heiligtum gegen böse Dämonen zu beschützen. Er kannte ihn so gut, daß er der Maielies jeden Zug seines Gesichtes beschreiben konnte: die braunen Schelmenaugen, die so streng und finster blicken konnten, den kirschroten Mund mit der dickeren Unterlippe und das braune, geringelte Haar; so nämlich hatte sein Bruder Dragaino ausgesehen, an den er sich noch deutlich erinnerte. Oft schwankte seine inbrünstige Zärtlichkeit in lauten Jubel über, und er nannte das Traumkind mit tollen und lieblichen Kosenamen, indes die Maielies, rosig in ihrer schweigenden Wonne, zuhörte und lächelte und träumte.
Es war jetzt in seinem Benehmen gegen sie etwas voll schützender Kraft und sanfter Herzlichkeit, Züge, die sie an ihm wahrgenommen hatte, wenn er zwischen den kranken Kindern im Spital war, und die sie so sehr zu ihm hingezogen hatten. Eines Nachmittags begleitete er sie und ihre Mutter auf einem Spaziergang in die Umgegend, die sie wenig kannten, weil man wußte, daß sie von gefährlichem Gesindel durchstreift wurde und Herr Beatus nie Zeit hatte, mit ihnen zu gehen. Obwohl Lasko keine Waffe bei sich trug, war er doch durchaus furchtlos, so daß seine Zuversicht sich den Frauen mitteilte. Wo der Weg beschwerlich war, unterstützte er die keuchende Olivia, wobei er zwar die zierlichen, schmeichlerischen Wendungen nicht unterließ, in denen er mit ihr zu verkehren pflegte, aber zugleich einen Ton gutmütiger Ehrerbietung hineinzulegen wußte, der die Maielies rührte.
Da es Wirtshäuser in dieser Gegend nicht gab und der steile, schattenlose Weg Durst erregt hatte, führte Lasko die Frauen zu einem Häuschen, das sie am Berge in unabsehbarer Einsamkeit liegen sahen. In dem dunkeln Raume saß ein mürrischer Mann mit lauerndem Gesicht, der auf die Anrede nur durch tierisches Brummen antwortete; ein gewaltiger Kessel hing über der Feuerstelle, und an der Wand lehnten Stöcke, Sägen, Aexte und andre Werkzeuge. Olivia und die Maielies wichen erschrocken zurück, doch Lasko bedeutete ihnen mit einem schnellen Blick, zu bleiben, und versuchte, ohne die feindliche Stimmung des Mannes zu beachten, sich mit ihm zu verständigen. Auf Laskos munter überredende Aufforderung erhob er sich widerwillig, um die Kuh zu melken, die in einem Winkel stand, er schien unter dem Zwange des scharfen, gebietenden Blicks zu handeln, den Lasko unausgesetzt auf ihm ruhen ließ, und man konnte an einen Adler denken, dem die Beute, hoch über der er still im Blauen steht, nicht entrinnen kann. Die Maielies, die sich auf einen Haufen Bretter gesetzt hatte, betrachtete mit hingebendem Entzücken den feinen, kühnen und zärtlichen, wie in weichen Stein geschnittenen Umriß seines von ihr weggewandten Gesichtes, und die schlanke, tapfere Hand, die aufmerksam, wie zum Sprunge bereit, auf dem Holzpflock lag, an dem die Kuh angebunden war. Nachdem die Milch getrunken, etwas Brot gegessen und der Mann bezahlt war, der, während er die Münzen empfing, Lasko aus kleinen, heimtückischen Augen wunderlich ansah, traten sie aufatmend ins Freie, so daß die Frauen auf Laskos Wink allein vorausgingen, während er noch eine Weile an der Tür stehen blieb und mit dem Manne sprach. Auf den Vorwurf Olivias, daß er zu viel gewagt hätte, lachte Lasko; im Augenblick, wo der Mann eine verdächtige Bewegung gemacht hätte, meinte er, hätte er die Axt in der Hand gehabt, die an der Wand lehnte, und ihn niedergestreckt. Sie gingen in der kühleren Abendluft den Berg hinunter, Lasko den Kopf zurückgebogen, die Augen in den fliederblauen Aether getaucht, Lieder singend, die das Glück des schönen Augenblicks ihm eingab. Wenn er froh oder traurig erregt war, machte er leicht Gedichte, von der Süßigkeit der starken, flüchtigen Empfindung wehmütig erfüllte Verse, die er nie aufschrieb; er war wie das edle Kind des Märchens, dem die Fee verliehen hat, daß ihm mit den Worten, die es spricht, Perlen und Edelsteine von den Lippen springen. An diesem Abend sang er ein Lied von Divo, bald mit weicher, bald mit schmetternder Stimme, in festlichen und sehnsüchtigen Melodien:
Komm, Divo, Liebster!
Wo schwirrst, wo summst du,
Mit goldnem Leibchen,
Du Honigbiene?
Komm, Nektarseelchen!
Beflügle, leichtes,
Mein wogend Herz!
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Es kostete die Maielies weniger Mühe, als sie sich vorgestellt hatte, ihren Vater für ihre Liebe zu gewinnen; denn was Herr Beatus von einem Schwiegersohn verlangte, war weder vornehme Geburt noch Reichtum, sondern Redlichkeit, Fleiß und Häuslichkeit. Allerdings hatte Lasko ihm zuweilen als ein schillernder, aber undurchsichtiger, undurchdringlicher Charakter erscheinen wollen; aber er wußte doch durch seinen Bruder Pius, wie tätig und pflichttreu Lasko sich im Spital erwies, und als ein Mensch von starken und einfachen Empfindungen war er der Herzenswärme, die von Lasko ausging, zugänglich. Ganz besonders schätzte er seinen ausgeprägten Familiensinn, stellte aber nichtsdestoweniger eine Bedingung seiner Zusage, die sich mit diesem nicht vertrug: Lasko sollte nämlich versprechen, niemals, was auch geschähe, sich an den geschäftlichen Unternehmungen seines Vaters mit Geld zu beteiligen. Beatus erklärte sich bereit, Lastari, wenn er damit einverstanden sei, wieder an seiner Fabrik zu beschäftigen, oder es sollte ihm ein regelmäßiges Einkommen ausgesetzt werden, von dem er leben könnte; aber eigne Gründungen müßten sein eignes Wagnis bleiben.
Die zweite Bedingung, die Herr Beatus stellte, war die, daß Lasko in seine Fabrik einträte; da er keinen Sohn hatte, war es immer sein Lieblingswunsch gewesen, sich einen Schwiegersohn zum Nachfolger zu erziehen. Er würde in diesem Falle darauf verzichtet haben, wenn Lasko ein völlig ausgebildeter Arzt gewesen wäre, in Anbetracht aber, daß er eine Stellung, wie sie für einen verheirateten Mann und seinen Schwiegersohn paßte, sich auch in diesem Beruf erst hätte erringen müssen, urteilte er, Lasko könne sich ebensogut in sein Geschäft einarbeiten, wie noch einmal auf der Schulbank sitzen und sich Prüfungen unterziehen.
Die Maielies war mit beiden Bedingungen unzufrieden, aber sie sagte sich, daß ihr Glück durch mindere Opfer nicht würde zu erringen sein, und es beunruhigte sie nur, daß sie Lasko nicht selbst vorbereiten und ihm gütlich zusprechen durfte. Herr Beatus beschied ihn sogleich zu sich und sprach ernst, eindringlich und lange, um dann in Ruhe eine Antwort zu erwarten. Es kam Lasko sonderbar vor, wie trocken und kaltblütig Herr Reynegom die Angelegenheit behandelte, anderseits aber machte ihm eben das einen bedeutenden Eindruck, und das bescheidene Maß von Wohlwollen, das er sich zugedacht fühlte, trug vollends dazu bei, ihn zugänglich zu machen. Zwar schien es ihm hart, daß er den Beruf, den er mit Liebe ausübte und für den er sich begabt wußte, aufgeben sollte, doch hatte es auch etwas Verlockendes für ihn, das Getriebe einer großartig angelegten Fabrik kennen zu lernen, und was dabei noch Schweres oder gar Widerwärtiges war, gedachte er ohne Ueberlegung der Maielies zuliebe zu tun. Das dagegen, was seinen Vater anging, erschreckte ihn, besonders wegen der mißtrauischen Gesinnung, die er darin spürte. Er begreife, sagte er, wie Herr Beatus dazu käme, diese Bedingung zu stellen, und erkenne ihre Berechtigung an, aber er habe seinem Vater niemals Vorschriften gemacht und wisse nicht, wie er das jetzt anstellen solle. Herr Beatus sagte: »Es gibt Umstände, unter denen es Pflicht der Kinder werden kann, ihrem Vater Vorschriften zu machen: wenn er nämlich sie und sich selbst durch seine Handlungsweise zu Grunde zu richten im Begriff ist. Dieser Fall kann bei Ihrem Vater, was Sie so gut wie ich wissen, leicht eintreten. Dennoch ist es noch nicht an dem, daß Sie befehlshaberisch auftreten müßten; versuchen Sie ihm vernünftig zuzureden oder bewegen Sie sein Herz durch Bitten.«
Herr Beatus hatte noch nie an einem Manne von sechsundzwanzig Jahren, wie Lasko, das Gesicht eines zarten Kindes gesehen, das gewohnt ist, das Leben zu fürchten und nach innen zu weinen, und er betrachtete ihn nicht ohne väterliches Wohlgefallen. »Es soll mich freuen, wenn Sie den Wünschen, die ich äußern mußte, genugtun können,« sagte er, »und ich glaube, noch eine mit mir.« Dann begleitete er ihn bis an das Gartentor, so daß die Maielies ihm nicht mehr begegnen konnte, was Lasko in diesem Augenblicke eher lieb als leid war. Er fühlte eine böse Gewalt an sein Herz greifen und Freude und Zuversicht schnell daraus verscheuchen. An seinen Vater war er durch Blutskraft gebunden, nicht weniger fest als jener nackte Sklave, von dem er gesprochen hatte, auf das wilde Roß: mit mußte er durch tobende Ströme und brechende Wälder, und das beste war noch für ihn, wenn niemand daran dachte, ihn zu befreien. Haß gegen alle Menschen regte sich in ihm: gegen den Mann, der mit kalter Ueberlegenheit von seinem Vater gesprochen hatte, gegen die blonde Holdseligkeit der Maielies, die betörende, die ihn seinem Vater entfremden wollte. Noch vor wenigen Tagen hätte er vielleicht, der feindlichen Aufwallung nachgebend, sich von dem stolzen Hause losgerissen, das sich Herrschaft über sein Schicksal anmaßte, aber jetzt band ihn etwas Unzertrennliches: Divos leichte Geistertritte strebten dorthin, dorthin zogen ihn die unsichtbaren Kinderhände. Seine Träume glitten nicht nur mehr die Abendglut des Todes hinunter: wie ein winkendes Lichtlein war Divo vor ihm und lockte auf die verschlungenen Straßen des Lebens.
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Zuerst als Lastari von Laskos Liebe zu Maielies hörte, glühte er lebhaft auf im Gedanken an die Reichtümer, die durch die Heirat in seines Sohnes Hände kämen. In seine Augen trat ein gierig glotzender Ausdruck, etwa wie ein Fischer aussähe, dem plötzlich ein gewaltiger Fisch ins Netz ginge. Uebrigens äußerte er weder Verwunderung noch Mitgefühl und hielt das Ereignis keiner Bemerkung wert, als daß er flüchtig die Maielies für ein gutes, tüchtiges Mädchen erklärte. Ueber Lasko kam eine Stimmung von Ekel und Grauen, und es wurde ihm auf einmal leicht, von der verhängnisvollen Bedingung zu sprechen, an die Herr Beatus seine Einwilligung in die Heirat geknüpft hatte. Lastari hörte anfänglich mit billigendem Kopfnicken zu, als habe er nichts andres erwartet und begreife den Standpunkt, nach einer Weile indessen fing er an, sich abfällig über die Familie Reynegom auszusprechen: Beatus habe einen kalten, berechnenden Charakter, er lasse sich zu seinem Schaden von seiner Frau beeinflussen, die böse sei und ihn besonders hasse, beide hätten es darauf abgelegt, ihm seinen Sohn abspenstig zu machen. Er, Lasko, sei ein vorzüglicher junger Mann: schön, stark, begabt und fleißig, und es sei leicht einzusehen, warum sie ihn an sich fesseln wollten, und warum sich die Maielies in ihn verliebt hätte. Einzukaufen gedächten sie ihn mit ihrem Gelde und einzusperren, freilich in einen goldenen Käfig. Freiheit sei das höchste Gut des Mannes und keine Knechtschaft elender, als der eignen Frau zu dienen, besser sei es, eine bettelarme Magd zum Weibe zu haben, als eine reiche Herrin. Dies ihm zu sagen, sei seine Pflicht, übrigens werde er sich hinein zu schicken wissen, wenn sein Sohn ihn verließe.
»Ich werde dich doch nicht verlassen, Papa,« sagte Lasko; »niemand hat davon gesprochen oder daran gedacht.« In seiner leidenschaftlichen Erregung hörte Lastari nicht auf ihn und fuhr fort: »Verlaß deinen alten Vater, der dich gefüttert und gewiegt hat, als du ein zahnloses Kind warst, um fremder Menschen willen, die dich nicht kennen und die das Bett verachten würden, auf dem deine Mutter dich geboren hat.« Lasko sah mit schmerzlichem Staunen seinen Vater an, der mit unsicherer Stimme flehte wie ein alter Mann, und dessen große Augen verstört aus dem abgemagerten und entfärbten Gesicht starrten. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er ihn, wie vor Jahren, gescholten und mißhandelt hätte, als daß er den angebeteten Mann so mitleidswürdig vor sich sehen mußte, und ohne Besinnen suchte er rasch hinwegzuräumen, was ihm in solchem Grade die Fassung raubte. So ernst, sagte er, wäre die Angelegenheit nicht zu nehmen, wenn es seinem Vater recht gewesen wäre, hätte man davon sprechen können, wenn nicht, ließe man es fallen, sich darüber aufzuregen sei keine Ursache; er gab sich das Ansehen, guter Dinge zu sein, pfiff, sang und machte Späße, bis Lastari ihn einen Hanswurst nannte und halb unwillig lachte.
Die Maielies wußte sich Lasko einzufangen, als er müde und mit abgestorbenem Herzen von dem Besuch bei seinem Vater zurückkam. Den Bescheid, den sie ihm abfragte, ließ sie nicht gelten: »Du bist mein,« sagte sie, »hast dich mir versprochen und bist mir so viel schuldig wie deinem Vater.« Lasko entzog sich ihr ungebärdig. »Verhaßt seid ihr mir, du, dein Vater, meiner, ihr alle!« rief er. »O die Wut und Schamlosigkeit der Menschen! Leben wollen sie und glücklich sein, fallen sich an wie schäumende Tiere, daß Blut und Schweiß fließt, nur um für eines kurzen Augenblicks Dauer, der lose zwischen zwei Nächten hängt, es besser zu haben als die andern.«
»Ja, ja,« sagte die Maielies inbrünstig aus rinnenden Tränen, »dich möchte ich glücklich sehen und wollte gern mein Blut bis zum letzten Tropfen dafür hingeben.« -- »So laß von mir ab,« bat er, »laß mich ohne Marter zu Grunde gehen.« Er sah sie mit einem herzzerreißenden Leidensblick an, wie ein am ganzen Leibe Verwundeter, der lieber sterben möchte, als um ungewisser Heilung willens den vielfachen Todesschmerz der Berührung ertragen.
Die Maielies sah, daß sie Lasko zunächst müsse gehen lassen, beschloß aber, seinen Vater aufzusuchen und ihm vorzustellen, welches Unrecht er an seinem Sohne täte. Indessen kam dieser ihr zuvor, indem er Herrn Beatus besuchte und ihm die freimütige Erklärung machte, daß es ihm lieb und recht sei, wenn die Verbindung zwischen ihren Kindern zu stande käme. Die Bedingungen, die er, Beatus, gestellt habe, halte er für vernünftig und habe nichts dagegen einzuwenden; daß er seinem Sohne anfänglich abgeredet habe, sei infolge einer selbstsüchtigen Regung geschehen, da er stets mit Lasko gelebt und ihn zu verlieren gefürchtet hätte, die er aber bald als tadelnswert erkannt und überwunden habe. Nichts könne ihm erwünschter sein, als daß sein Sohn, der von Herzen gut, aber ungezähmt, phantastisch und heißblütig sei, mit einer so ehrenvollen Familie in Verbindung trete. Herr Beatus konnte nicht genug rühmen, mit welchem freien Anstande und welcher Würde Lastari aufgetreten sei, und begann eine vollkommene Befriedigung über die Wahl seiner Tochter zu fühlen. Zu seinem Sohne sagte Lastari: »Ich habe eingesehen, daß ich unrecht tat, mich in deinen Weg zu stellen, eben da er sich bergan zu heben scheint. Nimm keine Rücksicht mehr auf mich und achte nur darauf, daß du die Richtung in die Höhe nicht wieder verlierst.« Der Maielies begegnete er mit ernster, ritterlicher Vaterzärtlichkeit, und Lasko war selbst über die Erfüllung seiner Liebeshoffnung nicht so glücklich, wie darüber, daß seines Vaters edles Betragen bei jedermann Bewunderung erregte.
Olivia hatte der Verlobung ihrer Tochter von Anfang an weit heftigeren Widerstand entgegengesetzt als Herr Beatus, obwohl sie Lasko immer vorzüglich gewogen gewesen war. Sie erging sich in vielen weitläufigen Reden über seine Armut und dunkle Herkunft, woran ihr im Grunde nichts gelegen war; sie verfolgte nur die Absicht, sich eine wichtige Stellung zu geben und merken zu lassen, wie viel von ihr abhänge. Die Maielies durchschaute das sofort, aber sie konnte es sich nicht abgewinnen, ihrer Mutter zu schmeicheln und ihr das Jawort abzubetteln, das doch nicht ausbleiben konnte, wenn ihr Vater einmal einverstanden war. Lasko hingegen, der sich oft solchen gegenüber halsstarrig zeigte, die wirklich Macht zu nutzen oder zu schaden hatten, spielte ihr die anmutigsten Weisen seiner Laune auf und ließ galante Verehrung und kindliche Zutraulichkeit in so geschicktem Wechsel ihr Herz bedrängen, daß sie nicht lange standhaft bleiben konnte, sondern ihn überreichlich mit Zustimmung ausstattete und nur daran einen Zweifel äußerte, ob die Maielies seinem Geist und seinen Talenten gewachsen sei.
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In dieser Zeit erhielt Lastari einen Brief zurück, den er an Surja geschrieben hatte, mit dem Vermerk, sie sei in Morimont nicht aufzufinden. Man mutmaßte, die Geschwister könnten infolge der Unruhen, von denen man gehört hatte, den Ort verlassen und sich zu ihren mütterlichen Verwandten begeben haben; aber warum sie das ihrem Vater nicht angezeigt hätten, ließ sich schwer begreifen. Lastari erklärte, sowie das Geschäft es erlaubte und die Hochzeit vorüber wäre, nach Morimont reisen zu wollen; er war beunruhigt, ahnte aber nichts von den dunkeln Befürchtungen, die Laskos Herz bedrückten. Auch von diesem Zwischenfall abgesehen, konnte Lasko, so wie er war, der Brautzeit nicht froh werden. Eine heiße, eifersüchtige Sehnsucht nach dem Besitz der Maielies verzehrte ihn tagaus, tagein, je stiller und süßer ihre Schönheit reifte. Wenn er bemerkte, daß seine nie befriedigte Liebe sie aufregte und quälte, erschrak er vor sich selbst, ohne doch sein Wesen ändern zu können. Zuweilen sah er sie mit einem Ausdruck von Abspannung und Freudlosigkeit, der sie fremdartig machte, und er kam sich dann wie ein Kranker vor, durch dessen aussätzige Nähe Gift in ihre unschuldige Blüte eindrang. Nur selten kamen Stunden der Gnade, wo seine Seele ruhte und sich leicht und mächtig über die Erde hob.
Eines Abends saßen sie nebeneinander auf der Treppe am Meere und sprachen flüsternd von der Zeit, wo Lasko die Geschichten seines Volkes erzählte, als läge sie weit zurück in dämmerblauer Kindheit. »Bist du jetzt glücklich?« fragte er sie und fühlte ihre sichere Antwort wie einen Dufthauch aus dem warmen Blumenkelche ihres Angesichts über seine Seele fluten. »Könnte ich doch immer sein wie heute,« sagte er, »wie ein Heiliger, von seinem Feuerherzen getragen, um die Glorie des himmlischen Leibes schwebt, den seine reinen Lippen berühren sollen. Warum hat die Natur uns so gemacht, daß, was wir denken und fühlen, ein gewichtloses Netz aus Licht gesponnen, durch grobes Fleisch wachsen muß, um unser zu sein? Der Wonne der Umarmungen werden wir überdrüssig, aber könnte die Seele die Seele berühren, würde der Genuß unverwelklich sein wie ein Wohlklang von Musik, der Wellen der Minute mit Wellen der Unendlichkeit berauschend und verklärend mischt.«
Die Maielies schüttelte widerstrebend den Kopf. »Nein,« sagte sie, »nicht eine Fingerspitze möcht' ich von dir missen. Lieber dich einen Augenblick in meinen Armen fühlen, als Ewigkeiten deiner denken.« Dann schwiegen sie lange, und Laskos Gedanken wanderten weit fort, während er die Hand der Geliebten in seiner hielt, die ihn nicht störte. Endlich begann er von selbst zu sprechen, wie er schon als kleiner Knabe, wenn seine Mutter die Geschichten von den Königen erzählt hätte, zu keinem sich so hingezogen gefühlt hätte wie zu Jegorju, obwohl er glücklos gewesen sei und nie die Krone getragen hätte. Er teilte der Maielies mit, was er davon noch wußte: Jegorju war schon im Jünglingsalter stark und mutvoll wie ein Mann, so daß sein Vater ihn, wenn Krieg war, an die Spitze des Heeres stellte, und selbst, da er genußsüchtig und träge war, daheim blieb. Früh hatte Jegorju sich ein Mädchen aus dem königsbürtigen Geschlechte erkoren, Ljuba, ein ernstes, weissagendes Herz; aber nie hatte er Zeit, sie heimzuführen, so sehr nahmen ihn nützliche und heldenhafte Taten zum Heil seines Volkes in Anspruch. Nicht nur gab es an den Grenzen des Landes Feinde abzuwehren: Dörfer wurden von stürzenden Bergen verschüttet und von Feuer eingeäschert, Frauen und Kinder wurden von Seeräubern fortgeschleppt, und überall war Jegorju zur Hilfe bereit. Einmal, während er auf gefahrvoller Jagd war, um Wölfe zu erlegen, die bei Nacht in ein entlegenes Dorf eingebrochen waren und Menschen getötet hatten, benutzte sein hinterlistiger Vater die Gelegenheit und tat der Ljuba Gewalt an, die seine Lust gereizt hatte. Das zarte Mädchen verfiel darüber in Irrsinn, und es blieb nichts übrig von ihrer Jugendanmut, als daß sie mit süßer Stimme Lieder singen konnte, die sinnlos flatterten wie zerrissene Kränze. Als Jegorju von seinem Auszuge siegreich heimkehrte und seine Hoffnung zertreten fand, zückte er sein Schwert, um Rache an dem Verfluchten zu nehmen, der das getan hatte; als er aber sah, daß er seinen eignen Vater hätte treffen müssen, behielt er den nackten Stahl schaudernd in der Hand und richtete seine Augen schmerzvoll gegen den Himmel. Da hoben ihn die Götter aus dem Staube und setzten ihn als einen weißen Stern an den Ring des Himmels, und die Menschen verherrlichten ihn in Liedern. So hatte die Rojenice von Jegorju gesungen:
Held war dein Name,
Mühsal dein Los,
Dir erwuchs kein Same
Aus geliebtem Schoß.
Sieh, ein Stern bist du geworden!
Ueber unserm Qualgedränge
Wölbst du deine hehren Gänge --
Ach, wohin? wozu?
Ein Gott bist du!
Du schwebst mit Gleichen,
In glitzernden Tänzen
Und läßt der Schönheit siegendes Zeichen
Stark wie Demant von der Wange glänzen.
Als Lasko schwieg und die Maielies ansah, bemerkte er einen feinen Schmerz in ihren Zügen, den sie nicht äußerte, den er aber sogleich verstand; ein starkes Glücksgefühl überströmte sein Herz, und der früheren Stimmung ganz vergessend, empfand er nur noch den Drang, es ihr augenblicklich mitzuteilen. Während die Dunkelheit zunahm und die Sterne in blitzender Nacktheit aus dem blauen Quell der Nacht hervortraten, sagte er ihr, dankbar und kindlich hingegeben, wie die Liebe zu ihr ihn unzertrennlich an das Leben bände, wie seine Augen durch ihre Güte die Kraft und Reinheit bekommen hätten, unverletzt in die verworrene Pracht der Welt zu blicken. In der lebenbrütenden Sommernachtstille vernahmen sie den leisesten Atem ihres Wesens, und es schien ihnen, als ob sie sich endlich einmal, durch nichts geschieden, mit den Strömen der Seele berührten. Wie sie so aneinander beruhigt dasaßen, löste sich aus den dunkelgrünen Zweigen der Esche, die über die Mauer hinunterhing, ein krankes, vor der Zeit erstorbenes Blatt und glitt lautlos, wie etwas Totes, auf die Treppe nieder. Es war Lasko, der es sah, als fiele es gerade auf sein Herz und machte es zittern; er verstummte, und wie sehr er sich auch wegen seiner leicht zu erschütternden Laune tadelte, konnte er doch das reine Glück nicht wiederfinden, das ihn eben erfüllt hatte.
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In der Fabrik befand sich Lasko wohl: die geregelte Tätigkeit, von der er wußte, daß sie sich an etwa zwanzig Orten in eben derselben Weise abrollte, machte einen beruhigenden, ja erheiternden Eindruck auf ihn, und der Mann, der das gewaltig verzweigte Maschinenspiel leitete, jede Unordnung in seinem Gange zu heben wußte und alle seine Ergebnisse kannte, kam ihm bewunderungswürdig vor. Er war in kurzem der Liebling der Arbeiter, bei dessen Anblick sich alle gleichgültigen oder vergrämten oder verbissenen Gesichter erhellten; denn er hatte für sie immer einen Spaß auf den Lippen, der sie lachen machte, oder erkundigte sich wie ein Freund nach ihren Verhältnissen, so daß sie sich vertrauter und froher fühlten, wenn er da war. Es schien Herrn Beatus notwendig, Lasko eine Belehrung darüber zu geben, in welcher Weise er mit den Arbeitern verkehren müsse, und er machte mehrmals einen Ansatz, es zu tun; sowie sich aber Laskos Augen keck und kindlich durchdringend auf ihn richteten, ließ er die Rede wieder fallen und schob irgend eine nebensächliche Bemerkung vor. Pius Reynegom hatte einmal von Lasko gesagt: der Bursch ist wie ein törichtes Dirnchen, man schüttelt den Kopf, denkt aber, Gott habe sich's wohl zur Kurzweil zwischen die rechten Leute gesetzt, und läßt es sich auch gefallen. War auch Herr Beatus mit diesem Urteil durchaus nicht einverstanden, so spürte er doch zuweilen von dem Fremdling aus eine zarte Kraft auf sich wirken, die ihm den Ernst zu seinem eignen Behagen lähmte. Doch als er eines Tages hörte, daß Lasko die schwarze Moga, mit der er besonders freundlich umging, Schwesterchen nannte, ermannte er sich dazu, ihm seine Meinung zu entwickeln; in kurzem, daß der Vorgesetzte dem Untergebenen gegenüber eine gewisse Würde und Strenge aufrecht halten müsse, ohne die das gegenseitige Verhältnis von Herrschaft und Dienst überhaupt nicht bestehen könne.
»Das ist richtig,« sagte Lasko, der aufmerksam und fröhlich zugehört hatte, »mein Betragen ist das eines geborenen Arbeiters, der ich auch bin, und der nur, insoweit er mehr Verstand und Geschick hat, eine den andern überlegene Stellung einnimmt.«
»Du bist jetzt mein Schwiegersohn,« sagte Herr Beatus, »und mußt den Unterschied der gesellschaftlichen Stellung in deinem Betragen merken lassen.«
Lasko dachte eine Weile nach und fing dann so herzlich zu lachen an, daß ihm Tränen aus den Augen liefen, was Herr Beatus nicht ohne Staunen mit ansah. »Du hast recht,« sagte er, indem er sich noch vor Lachen schüttelte, »aber ist es nicht lächerlich? Du würdest auch lachen, wenn du die Läuse und die Wanzen und die Spinnen und die Flöhe zanken hörtest, wer König des Ungeziefers wäre.«
Herr Beatus sagte: »Das sind Dummheiten,« worauf Lasko die Tränen abwischte und ernsthaft sagte:
»Recht hast du, und ich will versuchen, mich zu ändern. Diese Leute sind im Grunde ein Gesindel, und es könnte böse Folgen haben, wenn ich sie zu vertraulich werden ließe.« Da Herr Beatus ihn zweifelnd ansah und fragte, ob das nun seine aufrichtige, erwogene Meinung sei, nickte Lasko ernsthaft und sagte: »Wären wir die Arbeiter, so würden wir das Gesindel sein; aber ich bin nun einmal der Herr geworden und will es bleiben.«
Herr Beatus dachte, es sei doch ein bedenkliches Ding, sich einen Wildling wie Lasko zu züchten, der immer wieder ins Kraut schieße; aber es war nicht seine Art, einmal Beschlossenes zu bereuen, und Laskos Anstelligkeit und treuherzige Gutwilligkeit machten ihn die tollen Sprünge seiner Laune jeweilig schnell vergessen.
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Die Hochzeit fand statt, als die protestantische Kirche vollendet war. Die helle, geräumige Halle war nicht geeignet, Andacht zu wecken; aber wie die Maielies mit zagenden Füßen über die Schwelle trat, den Kopf geneigt wie eine betaute Blume, demütig zuversichtlich, kam ein Gefühl großer Ehrfurcht über alle, als wäre mit ihr etwas Göttliches unsichtbar gegenwärtig geworden. Einzig in Laskos Herzen ließ die maßlose Erregung, die ihn den ganzen Tag umgetrieben hatte, weder Glück, noch Erhebung, noch Liebe sich bilden. Die junge Hand, die auf seinem Arme lag, bedeutete ihm nicht mehr, als etwa die Feder einer Taube, die der Wind dahin verweht hätte. Er sah die bekannten Gestalten, die sich in Feiertagskleidern gemessen um ihn bewegten, wie Figuren eines Puppenspieles an, die er ohne Verständnis und Teilnahme betrachten mußte, während in seinen Einbildungen das schrecklich nahe, wahre Leben war. Wirbelnd gingen die inneren Bilder an ihm vorüber: er sah sich selbst, in Lumpen gekleidet, fiebernd vor Hunger das Futter, das den Schweinen vorgesetzt war, nach einem Stück Brot durchsuchen; er sah seine Stiefmutter mit der glänzenden Brust an seinem Bette sitzen und sich über ihn beugen; dann plötzlich dachte er an Surja und sah sie in Totenstarre auf den Steinen der Einöde ausgestreckt, die großen, furchtsam süßen Augen unbewegt gegen die eiligen Wolken und die knarrenden Raben gewendet. Sie lag da, eine Blume, ohne Tränen, während er in seinen duftenden Gewändern prunkend sich zum Genusse fremder Reichtümer und erlesener Freuden einsegnen ließ. Unerträglich gepeinigt ließ er seine Blicke in der Kirche umherirren, bis sie an seinem Vater hängen blieben, der in geringer Entfernung von der Braut stand. Er ragte durch seine Größe ein wenig über alle andern hervor und zeichnete sich auch durch die reckenhafte Haltung des kräftig schlanken Körpers und die eherne Würde des Gesichtes vor ihnen aus; es lag die stolze Unterwürfigkeit in seinen Gebärden, mit der gesalbte Häupter sich vor dem Tische des Herrn neigen mögen. Ueber Lasko kam ein Gefühl, das aus Grauen und Bewunderung gemischt war: ungebeugt stand der rätselhafte Mann da, der die Heimat und das Grab der heißgeliebten Frau verlassen hatte, der mehrere Male reichen Besitz in seinen Händen hatte zusammenfließen und daraus zerrinnen sehen, der wie ein Flüchtling über die Erde irrte. Glück und Zukunft verspielt hatte und nicht wußte, ob seine Lieblingskinder lebten oder gestorben und verdorben waren; er stand wohl mit weitausgreifenden Gedanken des Lebens in der Brust, bedrohlichen etwa gar für die Seinigen, von einem unwiderstehlichen Drange getrieben, den vielleicht das grausame Blut tyrannischer Fürsten, die seine Ahnen waren, in ihm nährte.
Die Trauung wurde vollzogen, während solche Vorstellungen in ihm aufzuckten wie Wetterleuchten, das entfernte Wolkenzüge gleich Gebirgen im Blutschein auf Augenblicke enthüllt. Die Maielies kannte Lasko gut genug, um zu bemerken, daß er weit von ihr fort, und daß ihm elend zu Mute war. Eine Bangigkeit, wie sie sie in der Brautzeit oft gefühlt hatte, wollte sich ihrer bemächtigen, aber sie zwang das wehe Gefühl nieder und maß den Unglücklichen mit ihren starken, leuchtenden Blicken; denn sie hatte den unbewußten Glauben, daß mit ihr der Genius des Lebens sei und gegen die zuckenden Schatten kämpfe, die seine Seele verdunkelten.
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Es fand nach der Trauung eine Aufführung im Garten statt, die Frau Morlesine Reynegom sich ausgedacht hatte. Seit Rizzo fort war und nur noch selten etwas, in den letzten Monaten nichts mehr von sich hatte hören lassen, hatte sie sich in eine phantastische Trauer eingesponnen, die sie von allen Menschen abschied, und die von vielen für eine Geistesverwirrung angesehen wurde; doch blitzte es zuweilen warm und schön aus der stillen Versunkenheit hervor. Als Bühne diente, da es heißester Sommer war, ein Teil des Strandes, der auf beiden Seiten von hohen Pappeln und Weiden abgeschlossen war; von dort aus erhob sich breitgestreckt ein Rasenplatz, wo allerhand Spiele gespielt werden konnten, und auf seinem höchsten Punkte saßen Lasko und die Maielies, während die übrigen Gäste um sie geschart teils auf Bänken und Stühlen saßen, teils ins Gras sich gelagert hatten. Frau Morlesine hatte als Hulda ein Völkchen von zwei- und dreijährigen Kindern um sich versammelt, die, mit leichten weißen Hemdchen bekleidet, die Seelen der ungeborenen Kinder vorstellten; sie selbst trug ein wallendes blaues Gewand und einen blauen Schleier über ihrem nicht mehr frischen, allzuscharfen, aber edlen Gesicht, durch den die Glut ihrer großen blauen Augen geheimnisvoll gemildert war. Sie standen nah am Wasser, als ob sie soeben aus dem Kinderbrunnen heraufgestiegen wären, und begannen das Spiel mit einem zarten Chor, den die Hulda führte, und in den die Kinder nur aufs Geratewohl mit hinein lallten.
Glocke, Glocke, Festgeläute!
Glocke, sprich, wem gilt es heute?
Eine die Schwelle des Hauses verließ:
Rosenblume Maielies!
Wirf die Kinderschuh hinunter:
Hüpften leicht und flogen munter,
Tanzten mit dir in das Paradies,
Rosenblume Maielies!
Es wurde nun der Maielies ein bereitgehaltener kleiner Schuh zugesteckt, den sie in das Wasser warf, worauf die Hulda den Vers wiederholte und dann die Kleinen aufforderte, der jungen Braut dafür einen Kranz von Brunnenblumen zu winden. Die unter den Kindern, die die eingeübte Rolle verstanden und behalten hatten, kamen mit dickblättrigen eiergelben Blumen in den Händen, die die Hulda zusammenflocht und den Kindern reichte, damit sie sie der Maielies brächten. Die Bewegung des Blumenbindens war wieder von einem Gesänge begleitet, in dem die Kinder die Braut einluden, wenn sie sich einsam fühle, eine von den gelben Blumen in den Teich zu werfen, worauf das Seelchen, das sie getroffen und geweckt hätte, seinen schönen Schlummergarten verlassen und zu ihr in das Leben kommen würde. Mit den letzten Worten setzte sich das trippelnde Häufchen in Bewegung, und wie weiße Lämmerwölkchen eins dicht am andern hinfliegen, liefen sie über die Wiese und warfen sich mit hellen Jubeltönen der Maielies in die Arme. Es war lieblich anzusehen, wie sie freudestrahlend die Arme nach der heranstürmenden kleinen Schar ausbreitete, als ob sie alle zusammen an sich drücken wollte, und dabei glückselig lachend Lasko anblickte, dessen Freude gleichfalls herzlich und kräftig hervorbrach. Sogar Herr Beatus konnte, obwohl Morlesine, die er nicht liebte, die Aufführung gemacht hatte, nicht verbergen, was für einen erquickenden Eindruck er davon empfangen hatte, und auch in seinem Verlaufe blieb der Tag wie ein unschuldiges Wonnespiel, indem die Kinder, laut jubilierend und von einem zum andern flatternd, überall unbefangene Heiterkeit verbreiteten.
*
Daß die Vermählten eine Wohnung im Hause Reynegom bezogen, geschah gegen den Wunsch der Maielies, während Lasko seine Schwiegereltern in ihrem Verlangen, die Kinder in der Nähe zu behalten, unterstützte. Gerade er hatte aber am meisten darunter zu leiden, da er, in die reiche, ansässige Familie arm und heimatlos eintretend, füglich schwer zu dem Bewußtsein eines Familienvaters gelangen konnte und vollends in diesem Hause sich stets, wie früher, als Gast fühlte. Wenn er zu seiner Frau die Sehnsucht äußerte, mit ihr allein ein einfaches Häuschen zu bewohnen, ging sie lebhaft darauf ein und war sogleich willens, den Plan auszuführen, was er ihr dann mit Hinweis auf die Eltern, die sich benachteiligt vorkommen würden, wieder ausredete. Schließlich hatte er nicht mehr den Mut, davon zu sprechen, weil die Maielies nicht begreifen konnte, warum er das so lebhaft Gewünschte nicht ins Werk setzte oder denn den Gedanken daran sich aus dem Sinne schlüge. Es war nicht nur dies, sondern etwas weit Schwerwiegenderes, was die erste Glückseligkeit der Ehe trübte, nämlich daß Lasko noch immer in Ungewißheit über das Schicksal seiner Geschwister war und sich mit Vorwürfen wegen seiner Untätigkeit quälte, während er doch die Wahrheit aufzudecken fürchtete. Lastari hatte seine Reise nach Morimont aufgeschoben, weil er nicht wußte, wo er Zizito, den er nicht wohl mitnehmen konnte, unterdessen unterbringen könnte, ohne jemand lästig zu fallen; hierfür fand die Maielies Rat. Es fiel ihr ein, daß die Moga, die Lasko oft beklagt hatte, daß sie anstrengende Fabrikarbeit tun müsse, der ihr schwächlicher Körper nicht gewachsen sei, die Obhut über den Knaben übernehmen könne, der sich der bisherigen Erfahrung zufolge von Frauen gut leiten ließ. Sie fragte Moga, noch ehe Lastari der Vorschlag gemacht worden war, ob sie Lust dazu hätte und sich Geduld und Willenskraft genug zutraue, um die heikle Aufgabe durchzuführen, und da jene lebhaft zugriff, vermutlich um nur einmal eine Abwechslung zu haben, wurde die Sache als so gut wie abgemacht angesehen. Lastaris Einwände, dem die Wahl eben dieses Mädchens peinlich war, wurden, da er einen einleuchtenden Grund nicht anführte, überstimmt, und man einigte sich dahin, daß Moga mit Zizito das alte Lusthaus im Wäldchen beziehen sollte, wo er früher mit seinem Vater gewohnt hatte, und das seitdem verlassen stand. Lastaris Bitte, Lasko möge ihn auf der Reise begleiten, mochte dieser nicht abschlagen, obwohl die Maielies traurig, sogar ungehalten darüber war; denn abgesehen davon, daß die Trennung ihr weh tat, konnte sie es nicht leiden, wenn Lasko längere Zeit mit seinem Vater allein war, und besonders dieser Weg schien seine Seele weit von der ihren fortzuführen, in dunkle Kindheitslabyrinthe hinein, wo er sich verirren konnte, ihrer hilfreich und sehnsüchtig ausgestreckten Hand unerreichbar.
Als er sie beim Abschied an sich drückte, wurde sein Gesicht von ihren Tränen naß, während er sich seltsam unempfindlich fühlte; erst als er mit seinem Vater im Eisenbahnwagen saß, wurde ihm zu Mut, als entferne er sich von der Heimat seines Herzens und beut Liebsten, was er habe.
*
Nachdem sie die Eisenbahn verlassen hatten, ging es landeinwärts in die Gebirge, erst zu Wagen und dann auf unwegsamen Pfaden steil bergan, da wo Lastari vor etwa zwanzig Jahren mit seinen Kindern in die Fremde gezogen war. Erinnerungen wachten auf, verkrochen sich aber wieder vor bänglichen Gedanken, was die nächsten Stunden bringen möchten. Es war spät im Herbst, und die Luft wehte kühl und stark über die nackte Erde. Allmählich bekamen Steine, Wurzeln und Gestrüpp bekannte Mienen; Lasko ging wie im Traume, aber dem Alten bebten die Kniee; trotzdem ging er schneller und schneller, so daß Lasko Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. »Hier wohnt die Jugend,« sagte er, und Lasko sah mit Staunen den Ausdruck wilder Freude in seinem Gesicht. Den Hut hatte er abgenommen und ließ sich den Wind über die Stirn blasen; zuweilen bückte er sich nach einem Kraut oder Stein am Wege, um Lasko etwas darauf Bezügliches zu zeigen. »Den,« sagte er von einem glatten, eiförmigen Steine, »nannte meine Mutter Salamanderei, und sie glaubte, wenn man ihn von einer Kröte könne ausbrüten lassen, würde man darin den Karfunkel finden, der dem, den man damit berührte, Liebe erregte oder den Tod brächte.« Von einem andern, keilförmigen Stein sagte er, daß er als Knabe beim Ziegenhüten mit solchen nach Adlern, Geiern und andern Raubvögeln geworfen, die die Herde bedroht hätten. Wenn sich nur eine Weihe sehen ließe, wollte er versuchen, ob er nicht noch einen Vogel herunterholen könne, meinte er, den Stein in der Hand wiegend, und spähte; aber in den unruhig bewegten Lüften war nichts Lebendiges. Als sie an den kleinen schwarzgrünen See kamen, den man den gläsernen nannte, und von dem behauptet wurde, wenn man einen Stein hineinwürfe, höre man es klirren, blieb Lastari stehen, und indem er sich lachend der Sage erinnerte, fing er an, Steine hineinzuwerfen, woran sich Lasko beteiligte. Sie saßen eine Weile am Rande des Wassers, bis Lasko fragte, wie weit es noch nach Hause wäre; es sei kaum noch eine Stunde, antwortete Lastari, indem er aufstand und sich nach der Sonne umsah, die bleich und ohne Strahlenkranz dem Untergange zuging. Sie machten sich auf und verfolgten den Weg nun schweigend, jeder mit unruhigen Gedanken beschäftigt, so eilig, daß sie schon nach einer halben Stunde der schroff aufspringenden Felswand ansichtig wurden, an die das kleine Nebenhaus angeklebt war.
»Es ist sicher, daß Surja und Dragaino nicht dort sind,« sagte Lastari, »aber ich möchte wissen, ob das Haus leer steht, oder ob fremde Menschen darin wohnen.«
»Es sieht aus, als wäre es leer,« entgegnete Lasko, ohne zu wissen, woher ihm dieser Eindruck kam. Doch verhielt es sich wirklich so; die Holzstange, die, in die steinerne Mauer eingehängt, den Zugang zum Hofe vergitterte, war morsch und gab einem mäßigen Drucke nach, das Haus selbst war ganz ungeschützt, und der verlassene Herdraum lag dem Blicke frei. Es war weder dort noch in den beiden anstoßenden Räumen eine Spur menschlichen Lebens und Hantierens zu bemerken, außer daß ein zerbrochener Spaten auf der Erde und eine schwarzgeräucherte, gesprungene Pfanne auf dem Herde lag. Lastari nahm sie in die Hand und sagte, es sei schade, daß sie nicht Mehl und Eier mitgenommen hätten, um ein Abendessen zu bereiten. Lasko meinte, wenn sie über Nacht bleiben wollten, müsse Feuer gemacht werden, es sei frostig; der Wind blies durch die Fensterluken in den Nebenräumen und durch bröckelnde Stellen in der Mauer. Während Lastari diese mit Stroh und Kehricht verstopfte, ging Lasko in den Stall, um Holz zur Feuerung zu suchen, fand aber in der Dunkelheit nur ein paar Scheite; er kniete noch tastend am Boden, als Lastari ihm nachkam und erklärte, in die Höhle steigen zu wollen, um zu sehen, ob die Krone da wäre. Die Fackel, die früher in einer Ecke des Stalles gestanden hatte, fand sich nicht, und es mußte ein Stück Holz in Brand gesetzt werden, das freilich nur ein schwaches und flackerndes Licht gab. Indem sie sich anschickten, durch das schmale Loch zu kriechen, zögerte Lastari plötzlich und fragte Lasko, ob er nicht allein gehen wolle; es mochte ihm irgend ein abergläubischer Gedanke oder nur ein nächtliches Grausen gekommen sein; aber er überwand es schnell und wollte nichts davon hören, als Lasko ihn eifrig drängte, zurückzubleiben. Lastari wußte noch, wieviel Schritte er von einer Biegung zur andern zu machen hatte, bis er zu dem Platze gelangte, wo die Krone lag; allein ob nun der Boden der Höhle sich verändert hatte, oder ob er dennoch irrgegangen war, der Fleck kam ihm fremd vor, und er konnte sich nicht zurechtfinden. Beide standen bis über die Knöchel in einer Wasserlache und suchten mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen; allmählich sahen sie das Glitzern der Tropfsteine, die sich zuckend hin und her zu bewegen schienen. Da das Holz, das ihnen als Fackel diente, bald auszubrennen drohte, mußten sie sich entschließen, umzukehren; sie glitten auf dem schlüpfrigen Wege mehrmals aus, und ein häßliches Gefühl überlief sie, als das Licht dabei in die Nässe geriet und mit Zischen erlosch. Lasko schauderte vor Kälte, als sie, in das Haus zurückgekehrt, sich auf den leeren Herd setzten, und fing an ein Stück Brot zu essen, das er in der Tasche hatte; Lastari indessen schien weder Hunger noch Frost zu empfinden, stützte den Kopf in die Hand und versank in schweres Nachdenken. Etwa nach einer Viertelstunde, während welcher Zeit Lasko sich ruhig hielt, um ihn nicht zu stören, richtete er sich wieder auf und sagte: »Komm, ich will sehen, ob auch deine Mutter verschwunden ist, oder ob sie noch da liegt, wohin ich sie gelegt habe.« Er sprang vom Herde hinunter, nahm den zerbrochenen Spaten vom Boden auf und verließ das Haus, während Lasko, dessen Augen voll Schlaf waren, sich erst allmählich vergegenwärtigte, was sein Vater im Sinne habe. Nachdem er ihn eingeholt hatte, der über die Steine bergab eilte, drang er beschwörend in ihn, den entsetzlichen und sinnlosen Plan aufzugeben; es schien ihm nicht unmöglich, daß den innerlich von heftigen Erregungen erschütterten Mann der Wahnsinn ergriffen hätte. Lastari sagte ruhig und mit einer Entschlossenheit, die jeden Einwand von vornherein aussichtslos machte, er müsse die Rojenice sehen, sie könne ihm vielleicht ein Zeichen geben über seine Kinder oder sein künftiges Tun, und wenn auch nichts dergleichen geschähe, würde ihn der Anblick jedenfalls kräftigen und reinigen. Bald erreichten sie einen durch überragendes Felswerk geschützten alten Begräbnisplatz, der seit' vielen Jahren nicht mehr gebraucht wurde, wo aber Lastari nach langen Unterhandlungen mit der zuständigen Behörde und beträchtlichen Geldopfern seine Frau hatte bestatten können, weil seine Vorfahren dort lagen. Die einzelnen Gräber waren durch roh behauene Steine bezeichnet worden, die, da die meisten vor langer Zeit aufgerichtet waren und niemand sie vor dem Verfalle bewahrt hatte, verwittert und versunken waren, so daß der Platz einem Felde voll unkenntlicher Trümmer glich. Auch das Grab der Rojenice war an keinem Zeichen mehr zu erkennen, doch bedurfte es dessen für Lastari nicht, der die Stelle, ohne sich zu besinnen, sofort herausfand. Er blieb stehen und sah zum Himmel auf, an dem schmale schwarze Wolken wie beladene Flöße reißend hinfuhren. Sie hörten, nun sie beide still waren, unter dem Felsen hervor den Wind mit großer Klagestimme vorüberjagen. Nach wenigen Augenblicken bückte sich Lastari und begann den Schutt, der sich über dem eingesunkenen Hügel gebildet hatte, mit den Händen beiseite zu schaffen. Lasko, dem die Zähne vor Kälte und Grauen aufeinander schlugen, stand untätig dabei, bis sein Vater, ohne aufzublicken, ihn aufforderte, ihm zu helfen, worauf sie beide, Lastari mit dem Spaten, Lasko mit einem geeigneten Stein, in die Erde hinein gruben. Der Sarg war nur mit einer mäßig starken Schicht Erde bedeckt gewesen, und sie stießen nach kurzer Zeit auf die mürben Ueberbleibsel des Holzkastens, in den vor zwanzig Jahren die Tote eingebettet war. Von ihr selbst war wenig sichtbar, da sie der Sitte gemäß mit einem groben, dunkeln Anzug bekleidet war und auch an den Füßen Strümpfe und Schuhe trug; nur die Gerippe der Hände starrten aus den Aermeln hervor, und unter dem Schopf schwarzer Haare glänzte das blanke, zähnefletschende Knochengesicht. Lastari wich zurück, siel auf die Kniee und bekreuzte sich; in Lasko indessen war das Grauen einer sonderbaren Neugierde gewichen, die ihn zwang, sich über das Gerippe zu beugen und diejenige anzusehen, die seine Kindheit und Jugend hindurch seine Heilige und Geliebte gewesen war. Rührung empfand er nicht, aber mit einer Art zärtlicher Bewunderung betrachtete er die zierlichen Fingerglieder und die blinkende Reihe tadelloser Zähne. Als er sich nach seinem Vater umsah, kniete der noch immer und murmelte etwas, was ein Gebet aus seiner Kinderzeit sein mochte; so schickte er sich an, das wesenlose Gebein, so gut es gehen wollte, wieder einzusargen und mit Erde und Steinen zu bedecken. Lastari ließ ihn gewähren, ohne sich an der Arbeit zu beteiligen, und folgte widerstandslos, als Lasko ihn mit sich fortzog; seine Hände zitterten noch, und sein Gesicht war naßgeweint. Als sie die Paßhöhe wieder erreicht hatten, blieben sie stehen, zweifelnd, wohin sie sich wenden sollten, da es sinnlos schien, in das verlassene Haus, wo nicht einmal ein erträgliches Nachtlager war, zurückzukehren. Die Hilflosigkeit seines Vaters erregte Laskos Umsicht und Tatkraft; er erinnerte sich, daß zwischen Morimont und der nächsten Ansiedelung ein Wirtshaus lag, das nicht weiter als eine Stunde entfernt sein konnte, und schlug vor, sie wollten dort übernachten und am folgenden Tage ihre Beschlüsse fassen.
Sie waren eine Weile schweigend vorwärts gegangen, als seitwärts über dem Wege die breiten Zacken eines Gemäuers auftauchten, das im Volksmund der Turm des Zarro genannt wurde, und von dem man erzählte, es sei dort in der Vorzeit einer der Könige bis zu seinem Tode gefangen gehalten. Es war noch Nacht, aber ein kaltes Wühlen in der Luft deutete schon auf den Morgen; die öde Blässe, die die Ruine umgab, machte sie finster und ungeheuer. Zwei grelle Fensterluken, die in der trümmerhaften Mauer saßen, sahen aus, als wären es Ritzen, aus denen einst das Leben des gewaltigen Steinleibes ausgeflossen wäre. Lastari, den Lasko, um ihn zu zerstreuen, auf den Turm aufmerksam machte, blieb stehen und erzählte, in alter Zeit seien in gewissen Festesnächten bezechte Schwärmer hierhergekommen und hätten, immer in einer gewissen Entfernung vom Turme sich haltend, mit rotem Wein gefüllte Flaschen an der Mauer zerschmettert und dazu gerufen: »Zarro, trink mit uns!« so daß sich blutdunkle Lachen um den verfallenen Zwinger her gebildet hätten. Jetzt, meinte er, würde das in Vergessenheit geraten sein; es war in der Tat so wüst und einsam ringsum, daß man hätte glauben können, der Turm wäre jenes verfluchte Schloß der Sage, in dessen Umkreis Mensch und Tier versteinern. In dem Wirtshaus, das sie endlich erreichten, schliefen alle, aber das Kläffen des Hundes, der die späten Wanderer meldete, weckte rasch Leute, die Essen und Betten vorbereiteten.
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Lasko erwachte am folgenden Tage um die Mittagszeit, stand auf, ohne seinen Vater zu wecken, und begab sich in die Wirtsstube, wo er einen jungen Maurer traf, den er als Kameraden aus seiner Kindheit wiedererkannte. Von diesem erfuhr er, daß Morimont schon seit einigen Monaten von seinen Bewohnern verlassen worden sei; die Regierung habe nämlich nach den Unruhen, die ihren Mittelpunkt in Morimont gehabt haben sollten, die wenigen Häuser durch Kauf an sich gebracht und beabsichtige, wie verlaute, an ihrer Stelle einen Pulverturm zu errichten. Surja und Dragaino erwähnte der Mann nicht, der selbst während jener Zeit außer Landes gewesen war, und Lasko vermied, nach ihnen zu fragen, ja er lenkte das Gespräch schnell ab, indem er von seinen Reisen und Erlebnissen und seiner jetzigen Lebenslage berichtete. Der Mann hörte mit gutmütigem Neide zu, bewunderte Lasko und sprach sich dann über sein eignes Schicksal aus, mit dem er leidlich zufrieden war; er war auf der Wanderung nach einer Stadt im Norden, wo er für mehrere Monate an einem großen Bau beschäftigt werden sollte, freute sich auf das Neue, das er sehen und erleben würde, und hoffte, einmal Bauleiter zu werden. Es war ein häßlicher Mensch mit platter Nase, dessen Gesicht aber durch lustige braune Augen und kräftige Zähne anziehend wirkte, unempfindlich gegen alle Unbilden der Dürftigkeit, der Witterung, der Familie und Gesellschaft, vielmehr, je peinlicher etwas derartiges auf ihn drückte, desto unerschöpflicher in komischen Einfällen über das zu ertragende Elend. Lasko bewirtete ihn mit Wein, und während sich die alte Kinderfreundschaft in seinem Herzen wieder sammelte, schoß es ihm durch den Kopf, wie lächerlich er vorher gewesen war, als er einen heimlichen Stolz über seine Laufbahn empfand, da dieser Mensch wahrscheinlich tüchtiger und nützlicher an seinem Platze sei als er, und vielleicht auch glücklicher. Sie gingen, nachdem sie ihre Mahlzeit genommen hatten, ins Freie, setzten sich auf eine Felsplatte, die von der milden Herbstsonne beschienen wurde, und ergötzten sich an der Erinnerung ihrer einst ausgeübten Streiche.
Der größte Schmuck und Zauber ihres Bubenlebens waren die verborgenen Vorratskammern gewesen, die sie in den zahlreichen Schluchten und Höhlen der Berge anlegten und mit dem Ertrage räuberischer Streifzüge in die Täler anfüllten. Obwohl sie sich dabei auf Früchte beschränkten, erzielten sie eine bedeutende Mannigfaltigkeit, sowohl durch die Verschiedenheit der Arten wie durch die Art der Behandlung, indem sie zum Beispiel manche Trauben frisch überwinterten, manche trockneten, und ähnlich hielten sie es mit den andern Früchten. Es gab eine Feigenhöhle, eine Pflaumenhöhle, eine, in der Aepfel und Birnen aufgespeichert waren, und alle waren von außen durch gewisse eingegrabene Zeichen kenntlich, die einmal sogar die Aufmerksamkeit durchreisender Altertumsforscher erregten. Zuweilen feierten sie bei einem Lichtstümpfchen Gelage in den Raubklüften, wobei sie, da sie einander geschworen hatten, niemand, besonders kein Weib, in ihr Geheimnis einzuweihen, allein, aber deswegen nicht weniger fröhlich waren; denn des plattnasigen Burschen auf das Komische und Laskos auf das Abenteuerliche gerichtete Phantasie vereinigten sich, um ihnen ihr Treiben und ihre Umgebung bunt und gleitend zu bespiegeln. Das Besprechen der gelungenen Raubzüge und das Entwerfen neuer hielt ihre Gemüter immer in Spannung. Gewöhnlich war der Plan so angelegt, daß, während einer in den Bäumen oder Spalieren des ausgewählten Gartens arbeitete, der andre die Aufmerksamkeit etwaiger Anwesenden durch seltsame Laute, das Wimmern eines kleinen Kindes oder Geschrei eines unbekannten Tieres, nach der entgegengesetzten Richtung ablenkte, was aber unter Umständen auch ein Zeichen zu schleuniger Flucht sein konnte und deshalb auf das feinste abgetönt und erwogen sein mußte. Wurde man abgefaßt, mußte man sich durch Geistesgegenwart aus der Schlinge ziehen oder die erlittene Rachehandlung des geschädigten Besitzers als rühmliche Narbe heimtragen.
Lasko hatte einmal erlebt, daß eine vornehme Dame ihn erwischte und, nachdem sie in sein Gesicht gesehen hatte, mitleidig ausrief: »Armer Kleiner, du bist nur verführt worden!« worauf sie ihn küßte und streichelte und beschenkt entließ. Dieser Vorfall war für den lustigen Kameraden immer eine Quelle des Vergnügens und Gelächters gewesen, während Lasko zwar einstimmte, aber versteckt im Herzen ein trauriges und reuevolles Gefühl hatte, wovon er jenen um keinen Preis etwas hätte merken lassen. »Du warest immer ein durchtriebenes Füchslein,« sagte der Maurer und betrachtete Lasko, der darüber nachdachte, wie er dem alten Freunde ohne Kränkung ein Geschenk machen könnte, mit schlauem Blinzeln seiner lachenden Augen.
Unterdessen hatte auch Lastari im Wirtshause Gesellschaft gefunden und allerlei über die Verhältnisse des Landes gehört, wobei vorzüglich ein Grundbesitzer gesprächig war, der die Gründung eines Seebades an der von Fremden noch wenig besuchten Küste im Auge hatte. Lastari erwärmte sich derartig für den Plan, daß er in Gedanken schon damit umging, sich an der Sache zu beteiligen, und weil sein Sohn ihm dabei im Wege war, machte er ihm den Vorschlag, er wolle die Nachforschungen noch Surja und Dragaino allein fortsetzen, da es sich in die Länge ziehen könne und Lasko nicht allzu lange Zeit im Geschäfte fehlen dürfe. Also trennten sie sich, und Lasko kehrte wieder nach Hause zurück.
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Lasko war so ungeduldig, wieder zu seiner Frau zu kommen, daß er infolge der Ueberspannung beinahe krank bei ihr anlangte; doch würde er sich glücklich gefühlt haben, wenn er nicht den Eindruck gehabt hätte, daß die Maielies sich zwar über seine Ankunft freute, aber nicht außer sich war, und daß es nicht den Anschein hatte, als hätte die Sehnsucht während seiner Abwesenheit sie aufgelöst. Sie habe viel an ihn gedacht, sagte sie auf seine Frage, aber nicht mit Schmerzen; da sie mancherlei zu tun gehabt hätte, wäre die Zeit ihr schnell vergangen. »Du hast niemals gezweifelt und gerungen und mit eignen Händen dein Herz zerfleischt?« sagte er langsam, indem er mit einem kalten, spürenden Blick in den kräftigen Zügen ihres lieblichen Gesichtes forschte.
»Nein,« sagte sie, »wie sollte ich dazu kommen?« und sah ihn fest aus klaren Augen an; zugleich aber schien sie sich jenseit seiner Wünsche und Klagen in der Wonne ihrer Wesensfülle zu wiegen. In seinem graubleichen Gesicht zuckten Qual und Wut durcheinander:
»Du sitzest in einem purpurnen Gewölk,« sagte er, »und vernimmst Menschen und Dinge nur aus weiter Ferne, nichts dringt bis an dein bloßes Herz, aus dem noch nie ein Blutstropfen geflossen ist. Aber mein Wahnsinn ist ohne Scheu und bohrt sich ein, bis er deine innersten Adern zucken sieht.« Sie erschrak vor der Drohung seiner verzerrten Miene und trat einen Schritt von ihm zurück, verlor aber die Fassung nicht.
»Ich verstehe, wie es dir zu Mute ist,« sagte sie ruhig; »aber so böse bist du doch nicht, daß du mich wirklich hassen könntest, weil ich glücklicher bin als du.« Nun löste sich seine Spannung in einem Tränengusse, und er beruhigte sich in ihren Armen.
Sie war zugleich reizender und sicherer geworden, und obwohl sich die süße Schüchternheit ihrer Mädchenjahre nicht verloren hatte, konnte man ihr doch an Mienen, Gebärden und Haltung ansehen, daß sie Frau und Herrin war.
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Moga sagte, als Lasko sie nach seiner Rückkehr aufsuchte und befragte, wie es mit Zizito gegangen sei, er und sie befänden sich wohl, und sie habe keine Ursache zu klagen; auch schien es ihm, als hätte sich ihre kränkliche Hautfarbe belebt und als blickten ihre Augen weniger trübe. Trotzdem kam es ihm grausam vor, das Mädchen Tag für Tag in Gesellschaft des blödsinnigen Knaben zu lassen, und er drang in sie, sie möge frei gestehen, ob die Aufgabe nicht zu schwer und zu traurig für sie sei; indessen behauptete sie zufrieden zu sein und hatte augenscheinlich Angst, in die Fabrik zurückkehren zu müssen. Auch von einer häuslichen Beschäftigung, die Lasko vorschlug, mochte sie nichts hören: sie habe nicht die Natur, den Frauen zu gehorchen, die bald dies, bald das wollten und einer Magd wie einem Kinde oder einer Sklavin auf die Finger schauten.
»Glaubst du, so wäre meine Frau?« fragte Lasko; »liebst du sie denn nicht?«
Moga umging die Antwort, indem sie sagte: »Lieben habe ich nicht gelernt, weil ich keine Mutter hatte;« aber sie fügte hinzu, sie wünsche der Maielies nichts Böses, diese sei auch täglich gekommen, um sich nach ihrem und Zizitos Ergehen und ihren etwaigen Wünschen zu erkundigen, und habe in freundlicher Weise mit ihnen verkehrt. Etwas hielt Moga zurück, was Lasko ihr abfragte: daß Zizito sich die kosende Zärtlichkeit der Maielies mit Behagen habe gefallen lassen, daß er aber, gleich nachdem sie das erste Mal bei ihm gewesen sei, geäußert habe, er wolle sie ermorden, und seither ihr, der Moga, zu erzählen pflege, auf welche Art er sie ums Leben bringen wolle. Lasko erschrak und fragte ärgerlich, warum sie ihm das erst jetzt und so beiläufig mitteile; Zizito dürfe demnach auf keinen Fall im Parke bleiben, er werde sich nach einem entlegeneren Aufenthaltsort für ihn und sie umsehen. Moga lachte über seine Aengstlichkeit: das habe nichts zu bedeuten, der Junge schwatze hin, was durch seinen verwirrten Kopf fahre, Folgen habe das nicht; wenn man alles ernst nehmen wollte, was er vorbringe, würde man den Verstand verlieren; hätte er aber wirklich bösen Willen, so sei er doch machtlos, ihn auszuführen, da er Tag und Nacht von ihr bewacht werde.
Lasko war dadurch nicht beruhigt und sagte zur Maielies, er halte es für besser, Zizito zu entfernen oder denn ihm einen männlichen Wärter zu geben. Sie wollte davon nichts hören: in ihrer Nähe sollte er bleiben, damit sie sich selbst um ihn bekümmern könne, und weil er ein weichherziges, liebebedürftiges Kind sei, bedürfe er der Pflege einer Frau; ein Mann würde ihm die Narrheiten seines Blödsinns allzu gern als Unart anrechnen. Am liebsten würde sie ihn zu sich ins Haus nehmen, und das sei auch ihre Pflicht, doch wolle sie ihn einstweilen noch im Park draußen lassen, weil die Einsamkeit und Stille doch zuträglich für ihn sein möchten. Da Lasko ihre Entschlossenheit sah und ihr nicht sagen wollte, was seinen Vorschlag veranlaßt hatte, bestand er nicht weiter darauf und beschloß nur, ein wachsames Auge auf Zizito zu haben.
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Um einer geringfügigen Ursache willen entstand eines Tages ein häßlich maßloser Streit zwischen Lasko und der Maielies. Er war gewöhnt, bei Tisch einen gewissen roten Wein zu trinken, und beklagte sich, da dieser fehlte, gegen seine Frau, die den Haushalt selbst mit Ordnungsliebe und Umsicht leitete. Der Wein sei ausgegangen und der neu bestellte noch nicht eingetroffen, sagte sie kurz, worauf er in ebenso unfreundlichem Tone entgegnete, sie hätte zeitiger daran denken sollen, denn sie habe ja gewußt, daß er eben diesen Wein gern trinke. Er habe früher oft hervorgehoben, sagte die Maielies, wie unverwöhnt und anspruchslos er in Dingen der leiblichen Pflege sei, das sei wohl nicht wahr gewesen, oder aber er habe sich schnell hinein gefunden, den vollgedeckten Tisch zur bestimmten Stunde vorgesetzt zu bekommen; die strengen Linien ihres Gesichtes traten, indem sie das sagte, überwiegend hervor und machten sie schöner, zugleich aber fast abschreckend durch unliebliche Härte. Lasko wechselte die Farbe und rief: »Glaubst du, daß ich deiner Fleischtöpfe bedürfte? Bist du ein schacherndes Krämerweib, daß du mir die Taler vorzählst, die ich dir gekostet habe, und mich an die Armut erinnerst, aus der du mich errettet zu haben glaubst?« Er sagte noch mehr, immer schneller und mit schreiender Stimme, während aus seinen Augen und von Mund und Nase Feuer zu sprühen schien. Unwillkürlich griff er nach dem Messer, das vor ihm lag, warf es aber sogleich wieder hin, und als ob er sich vor sich selber erschreckt hätte, sprang er auf und ging vom Tisch weg in eine Fensternische. Ihr Gesicht hatte sich während dieses Auftritts nicht verändert, außer daß es seinen Ausdruck noch verhärtet hatte, und indem sie aufstand und sich neben ihren Stuhl stellte, sagte sie ruhig: »Ich fürchte mich nicht vor dir,« und sah kühl in seine heißen, gläsernen Augen. Unterdessen stand er da wie ein schlanker Panther, der zweifelt, ob er sich auf seinen Gegner werfen soll, wurde aber plötzlich andern Sinnes, schüttelte sich und verließ das Zimmer.
Als er nach einer Stunde in das Wohnzimmer kam, fand er sie mit weinendem Gesicht. »Du hast schuld,« sagte er traurig, indem er sich ihr gegenüber setzte; »mit deiner Lieblosigkeit, die ich schon seit langem spüre, hast du mich rasend gemacht. Du weißt, daß deine Liebe meine Seele hält, und daß, wenn sie schwindet, die bösen Geister ihrer Herr werden.«
»Ich habe vorher nicht gewußt,« sagte sie, »daß ich dich weniger liebte als früher, aber jetzt habe ich mich darauf besonnen, daß es wahr ist.«
Ihr Gesicht war nun wieder gelöst, kindlich weich und offen, während sie versuchte, ihm mit zutraulichem Ernst zu schildern, wie es so gekommen war. Sie sagte: »Der, den ich liebte, ist mir über Nacht aus den Händen geschlüpft, und ich hatte unversehens einen fremden Mann neben mir, mit alltäglichen, häßlichen Gebärden und Gewohnheiten. Als ich dich kennen lernte, blicktest du mit verwaisten Augen nach den Sternen und sprachest träumerische Dinge, die mir vorkamen wie erhabene, wunderbare Fabeln. Jetzt, wenn du nach Hause kommst, suchst du dir die größte Bequemlichkeit, issest mit Gier und Andacht zugleich wie ein schnalzender Lebemann, und während du im Sessel liegst und rauchst, ergehst du dich über das Reizende und Bekömmliche einer solchen Lebensweise. Du klagst nicht mehr, daß meine Seele unzugänglich wohne wie die Prinzessin im Berge, denn es ist dir gleichgültig geworden, wie sie aussieht, wenn du mich nur nehmen und nach Herzenslust küssen kannst, bis du genug hast. Manchmal, wenn ich dich ansehe, erinnerst du mich an ein glattes, rosenrotes, wochenaltes Schweinchen, das im Grase liegt und schnüffelt, und dann sehne ich mich nach dir selbst und zürne dir, daß du nicht kommst und mich von dem Eindringling befreist.«
Lasko beugte sich vor und schnellte die Worte wie vergiftete Pfeile von den Lippen. »Du beweisest nur, daß du mich nicht kennst!« rief er. »Wenn du glaubtest, daß ich mich mästete und behaglich verdaute, verhöhnte ich in mir den jämmerlichen Menschen, der mit dem Bauch voll Kot ein Gott sein möchte. Glaubst du, ich wäre in meinem Leben nur auf eines Augenblicks Dauer zufrieden gewesen? Sieh, seit ich dich kenne, seit wir verlobt, seit wir verheiratet sind, habe ich im tiefsten Winkel meines Herzens, in den nie ein Strahl aus deinen Augen hingedrungen ist, immerwährend gelitten. Wenn ich in deinen Armen lag und du mich an dir entzückt und ganz in dir versunken glaubtest, hörte ich eine Stimme in mir, die unaufhörlich flüsterte: ›Es ist nichts! nichts! nichts! nichts!‹«
Er sprach nachdrücklich mit dem Bewußtsein, daß jedes seiner Worte wie eine Nadel in ihr Herz ging, aber ihre Entrüstung war doch noch stärker als der Schmerz, den sie empfand. »Wie ein Wahnsinniger spritzest du dein Gift auf das Brot, das uns ernähren soll!« rief sie flammend, fühlte aber plötzlich, wie sie in sein blasses, leidendes Gesicht sah, zugleich Lachlust und Rührung. Es stand ja seine Seele doch zitternd und schaudernd beiseite, während Haß und Tücke über seine Lippen strömte, und weinte bitterere Tränen als sie selber; wie hatte sie das vergessen und verkennen können? »Hast du deinen Geifer nun verspritzt?« fragte sie, mit dem Kopfe nickend und ihn anblickend mit Augen, in denen Mutwillen, Frohsinn und Zärtlichkeit zu funkeln begannen. Sie atmeten beide auf und gaben sich wie ein paar aus Todesgefahr Errettete übermütiger Freude hin, obwohl sie das zugefügte Weh noch nicht verwunden hatten.
»Du mußt mich lieben!« sagte er drohend und beschwörend, »immer, jeden Augenblick, aus vollem Herzen lieben, hassen tue ich mich selbst genug.«
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Lastari schrieb, er wisse nun, daß Surja und Dragaino tot seien; Surja habe selbst Hand an sich gelegt, und Dragaino liege ertrunken im Meere, es hänge dies Ende mit den Unruhen des vergangenen Jahres zusammen. Lasko empfand diese Nachricht, obwohl er kaum andres erwartet hatte, wie einen schmerzhaften, ja vernichtenden Schlag. Es war für ihn nicht der Verlust von nahen Verwandten oder Freunden, sondern er fühlte es mit dem Herzen seines Vaters und dazu Angst und Reue, als sei er selbst der Mörder seiner unschuldigen Geschwister. Es schien ihm etwas Schändliches zu sein, daß er lebte, während sie tot waren, die er stets viel höher als sich gewertet hatte, und für deren Leben und Ergehen er als ältester Bruder verantwortlich gewesen wäre. Indem er der Maielies das Geschehene erzählte, war er darauf gefaßt, in ihren Zügen oder aus ihren Worten den Abscheu zu lesen, der ihm an diesem Schicksal Schuld gab; doch äußerte sie nichts als sanftes Bedauern und Verwunderung, daß sein Vater sich nicht früher um seine nächsten Angehörigen bekümmert hätte. Nichtsdestoweniger wuchs seine Unruhe: was er immer vornehmen mochte, die Totengesichter waren vor ihm mit klaffendem Munde, in dem ein schauriges Klagewort starrte. Von der Krone hatte sein Vater nichts geschrieben, doch mußte er als selbstverständlich annehmen, daß sie mit den Geschwistern, die sie gehütet hatten, verschwunden und verschollen war. In den letzten Jahren hatte er kaum je an die Krone gedacht, und im Grunde war ihm die Wichtigkeit, die sein Vater dem Altertum beilegte, stets etwas Fremdes gewesen; aber jetzt schien ihm etwas Unersetzliches und Allerschönstes mit ihr verloren zu sein. Es hätte ihm nicht schrecklicher sein können, wenn die erwärmende Sonne plötzlich zu erlöschen angefangen hätte, ja die Quelle aller Hoffnung, aller Liebe, die Zukunft überhaupt schien ihm versiegt zu sein. Alles, was er bisher getan und was er erreicht hatte, sogar sein Verhältnis zur Maielies, schien ihm mit einem Male nichts als ein Mittel gewesen zu sein, um die Krone zu erlangen und an sich nichts zu bedeuten als Staub und Stein, den der heilige Reifen lebendig und unsterblich gemacht hätte. Es half ihm nichts, daß er sich mit dem Verstande das Sinnlose dieser Empfindungen vorhielt, auch konnte er sich nicht entschließen, der Maielies etwas davon mitzuteilen; eigentlich hätte er ihr das Recht des Urteils in dieser Sache überhaupt nicht zugestanden.
Viele Stunden lang lag er des Nachts schlaflos und unbeweglich, um die Maielies an seiner Seite nicht zu stören, halb träumend, halb phantasierend; er sah die Krone auf der Spitze eines schroffen Felsens wie einen Kranz glimmender Kohlen, kletterte über scharfes Geröll, das unter den Füßen nachgab, um sie zu erreichen, und wenn er sie zu berühren dachte, wichen die losen Massen, auf denen er ging, und rissen ihn zurück. Oder er sah sie auf dem Meere, von einer stillen Welle getragen wie den verschlungenen Stengel einer glänzenden Wasserlilie, und schwamm auf sie zu, ohne ihr näher zu kommen, obwohl sie scheinbar ruhte. Dabei war er von einem sein ganzes Wesen beherrschenden Wollen erfüllt, wie er es im Wachen nicht kannte, und diese Anspannung der Leidenschaft verursachte ihm inmitten der Beängstigung ein Glück, das er vermißte, wenn die Nachtgesichte vorüber waren.
Der Einfall, die Krone könnte vielleicht irgendwo versteckt oder von der Regierung beschlagnahmt worden sein und heimlich verwahrt werden, und er könnte sie suchen und sich zurückgewinnen, durchbrach auf eine Zeit Laskos Niedergeschlagenheit. Alles, was ihn an die Gesellschaft band, Geschäft und Familie, abzuwerfen und als ein Vagabund, arm, frei, von niemand gekannt, auszuwandern, ein königliches Ziel im Sinn, schien ihm das wünschenswerteste Los zu sein. Ohne Bedauern glaubte er die Maielies lassen zu können, einzig der Schmerz, den sie etwa durch seine Entfernung leiden könnte, stellte sich ihm als Hindernis vor, aber oft glaubte er auch den gering anschlagen zu dürfen. »Was würdest du tun, wenn ich stürbe?« fragte er sie; »du würdest den ersten Tag lang weinen, aber wenn die Nacht käme, würdest du durch ein absinkendes Tal zu einem tiefen Bette zwischen Weiden gehen, durch das der Lethe fließt, sein gletscherkühles Wasser trinken und heil zurückkehren,« wozu sie lächelnd als zu einer zwecklosen Torheit den Kopf schüttelte.
Nachdem er sich wie ein Kind in die Fahrten nach der Krone hineingeträumt hatte, kam schließlich ein Gefühl von Ueberdruß und Verachtung, indem er sich sagte, daß er niemals etwas Aehnliches unternehmen, sondern dableiben und so weiterleben würde wie zuvor. Es wären auch nichts als kindische Träume gewesen, sagte er sich; er hätte gehandelt, wenn er weggegangen wäre, wie ein Knabe, der den Robinson gelesen und sich eingeschifft hätte, um auf wüsten Inseln zu scheitern, und hütete sich sorgfältig, etwas von seinen abenteuerlichen Anwandlungen zu verraten. Er war in dieser Zeit blaß und Mager geworden und sah wieder so aus wie damals, als die Maielies ihn kennen lernte, die ihn mit Freundlichkeit umgab und ihre Ungeduld über seine anhaltende Trauer mutig unterdrückte. --
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Es war Lastaris neuester Plan, sich an der Gründung des Seebades zu beteiligen, wovon er in dem kleinen Wirtshaus im Gebirge zuerst gehört hatte; verlieren könne er dabei nichts, meinte er, vielleicht aber zum reichen Manne werden, und jedenfalls trüge das Unternehmen zur Hebung seiner Heimat bei. Lasko suchte ihm den Plan auszureden, wurde aber zurückgewiesen mit der Bemerkung, er brauche nicht zu fürchten, daß sein Vater ihn oder Herrn Beatus in das Wagnis hineinziehen wolle. Nachdem dies schriftlich verhandelt worden war, kam Lastari selbst, um seine Fabrikanlagen an Herrn Beatus, der sich dazu geneigt erklärt hatte, zu verkaufen; denn eben die Summe, die dadurch in seine Hände kam, wollte er in die neue Anlage hineinwerfen. Lasko fand ihn wider Erwarten äußerlich unverändert; man sah ihm nicht an, was er um seine Lieblingskinder gelitten haben mochte, auch wollte er augenscheinlich die Erinnerung an sie nicht wecken, indem er von ihnen gesprochen hätte. Nur das erzählte er, daß Dragaino auf einem Kahne mit der Krone entflohen, aber von Häschern der Regierung verfolgt worden sei und, als er gesehen habe, daß sein kleines Fahrzeug von dem größeren Schiffe eingeholt werden würde, mitsamt der Krone in das Meer gesprungen sei; im Volke singe man Lieder von ihm und habe den Glauben, daß er einst wiederkommen werde. Lasko hatte von jeher gewußt, daß er seinem Vater nicht so teuer war wie seine Geschwister; jetzt vollends, da sie einen heldenhaften Tod gestorben waren, hielt er es für selbstverständlich, daß er neben ihnen ihm nichts galt. Zwar behandelte ihn Lastari nicht mehr hart und strenge wie früher, vielmehr mit einer gewissen Höflichkeit, die seiner Stellung gelten mochte, aber zutraulich und herzlich war er nicht, und wenn er ihn zuweilen mit seinen großen Augen starr ansah, glaubte Lasko darin zu lesen: du könntest gehen, wenn nur Surja und Dragaino wiederkämen!
Lasko selbst hätte nichts inniger gewünscht, als Dragainos Leben mit seinem eignen erkaufen zu können. Er beschäftigte sich stundenlang damit, sich das Bild des jungen Helden auszumalen und sich vorzustellen, wie sie zusammen gelebt und wie sie einander lieb gehabt haben würden. Gern hätte er gewußt, wie die Lieder lauteten, die nach der Aussage seines Vaters das Volk von ihm sang, und wenn er glaubte, daß niemand ihn sähe, ging er die Treppe hinunter an das Meer und ließ in seinem Innern Hymnen erklingen, die von Orgeln, Trompeten und Flöten begleitet schienen. Eine wiederholte er am häufigsten, die so ging:
O namenlose Küste,
All meine Segel suchten dich!
Aus Meerstürmen tauchst du
Mit silbernen Höhn
Von Wasser rieselnd
Und heilst auf Tempelschwellen
Die Herzen Erwählter
Von Sehnsucht und Heimweh.
Mein Bruder schiffte furchtlos durch Orkane,
Der kühnen Fahrt gewiß auf scheiternden Brettern,
Und gleich dem edlen Nacken der Nymphe steigt
Der Insel weiße Glorie durch die Nacht,
Die Wege voll Frieden.
Da trägt sein teures Haupt die alte Krone;
Der Eingeweihten heil'gen Taumel lenkt
Sein schönes Wandeln.
*
Divo, wenn er käme, dachte Lasko, würde der wiederkehrende Dragaino sein und alles Heldenwerk vollenden, was jener im Herzen gehabt hätte. Es war aber durchaus noch keine Aussicht auf ein Kind vorhanden, ja die Maielies hatte bereits aufgehört darauf zu warten und sich danach zu sehnen. Früher, in ihrem engen Lebenskreise, war ihr das Kind als die einzig mögliche Zukunft erschienen, jetzt aber, da die Knospenumhüllung zerrissen war und sie sich allmählich unter dem großen Baume des Lebens zurechtfand, weidete sich ihr Blick an der wechselnden Verschlingung seiner ewigen Zweige, und es drängte sie mehr in die Unendlichkeit hinaus, die sie ahnte, als daß sie die Bahn ihres Lebens nach innen hätte zurückwenden mögen. Alle Menschen, sowie die kleinen Ereignisse, die der Tag ihr zuführte, freuten und bereicherten sie, und besonders, daß sie selbst wirken und das ungeheure Lebensmeer, wenn auch nur auf einen winzigen Umkreis, in Bewegung setzen konnte, erfüllte sie mit immer neuem Entzücken. Sie bekümmerte sich um die Arbeiter in der Fabrik, trat in einige Vereine ein und unterrichtete an gewissen Tagen die Dorfkinder in Handarbeiten, wobei sie ihnen vorlas, was neben den geselligen Verpflichtungen, die ihr oblagen, ihre Zeit überreichlich ausfüllte. Wenn Lasko einmal von Divo sprach, so antwortete sie vergnügt, es sei weise von ihm, daß er nicht zudringlich sei, und sie liebe ihn um so mehr deswegen; wenn der rechte Augenblick gekommen sei, werde er gewiß erscheinen.
Weniger gleichmütig faßten Herr Beatus und Frau Olivia das Ausbleiben der Enkelkinder auf. Nachdem sie zwei Jahre mit anständiger Fassung gewartet hatten, hielten sie es an der Zeit, die Sache gründlich zu bedenken und zu besprechen und irgendwelche Maßregeln zu treffen. Herr Beatus berief seinen Schwiegersohn und seinen Bruder Pius zu einem Familienrate, den letzteren deswegen, weil er in einer so zarten Angelegenheit einen fremden Arzt nicht zu Rate ziehen mochte. Pius wollte indessen die Lage nicht so ernst auffassen, wie es Beatus wünschte, und meinte, die Maielies solle noch nicht mit Untersuchungen behelligt und geängstigt werden, irgend ein Bad könne immerhin einmal gebraucht werden. Lasko suchte seine Frau gleichfalls vor Einmischungen der Familie zu schützen; denn ihren unbefangenen Frohsinn, in dem er sich sonnte, wollte er nicht trüben lassen, und davon abgesehen war ihm Wichtigkeit an sich in jeder Sache etwas Verhaßtes und Lächerliches. Olivia war bei diesen Beratungen nicht zugezogen, indessen sann und plante sie auf eigne Hand, was sie ihrerseits vor den Männern geheimhielt.
Für sie war ungeachtet des Kummers diese Zeit ungewöhnlich belebt und wohltuend, denn der endlose Austausch von Hoffnungen und Befürchtungen, Zweifeln, Ahnungen, Mutmaßungen und Ratschlägen mit den Bekannten und Untergebenen, war die ergiebigste und kurzweiligste Unterhaltung, die sich ihr seit langer Zeit geboten hatte. Besonders eine ältere katholische Kammerfrau, die viele Jahre in ihrem Dienste war, und die selbst eine große Anzahl Kinder geboren hatte, wußte an diesen Gegenstand täglich neue und spannende Erzählungen zu knüpfen: von einem Paare, das nach zwanzig Jahren unfruchtbarer Ehe plötzlich auf den Genuß eines gewissen, von ihr empfohlenen Salates hin mit Kindern war gesegnet worden; von der wunderbaren Kraft eines Beilagers bei zunehmendem Monde; von der Ueberlegenheit der heiligen Perpetua, den Kindersegen betreffend, über den heiligen Antonius von Padua; von einer Frau, die mit drei Männern in unfruchtbarer Ehe gelebt, mit dem vierten aber endlich mehrere Kinder erzeugt hatte; von der Bedenklichkeit, die bei der Hochzeit der Maielies während der Aufführung der kleinen Kinder gleich in ihr aufgestiegen wäre, da Kinder allemal sowohl in Träumen wie überhaupt etwas Uebles bedeuteten und verhängnisvoll wären.
Obwohl Olivia protestantisch erzogen war, leuchteten ihr doch die abergläubischen Meinungen der Kammerfrau ausnehmend ein, und die Wallfahrt nach einer Kapelle oder die Darbringung einer Wachsgestalt stellte sich ihr immer mehr als die einzige Zuflucht und Aussicht dar, die ihrer Tochter bliebe. Sie vertraute ihren Plan zunächst Lasko an, der auf alles einging und versprach, seine Frau im guten Sinne zu beeinflussen. Die Maielies lachte darüber ein helles, unerschöpfliches Gelächter und ließ sich das Gespräch, das Lasko mit ihrer Mutter geführt hatte, umständlich wiederholen. Ohne daß sie es ahnte, besprach bald die ganze Halbinsel das Ausbleiben ihrer Nachkommenschaft, und als sie eines Tages ihren Besuch bei Zizito machte, fragte Moga sie, ob sie nicht einmal zu dem sogenannten Mutterbrunnen gehen wolle, der in einer einige Stunden weit entfernten Waldschlucht sich befinde. Die Maielies wußte nichts von dem Brunnen und seiner Bedeutung und hörte bereitwillig Moga zu, die erzählte: es habe in jenem Walde vor Zeiten ein Schloß gestanden, auf dem ein wilder Raubritter mit einer zarten Gemahlin gehaust habe; dies Paar habe jahrelang vergebens auf einen Erben gehofft, und als dann endlich ein Mädchen geboren sei, habe der Ritter, bösartigen Verleumdungen und seiner galligen Gemütsart nachgebend, behauptet, sie habe das Kind nicht von ihm, sondern von einem Buhlen, und habe Befehl gegeben, das Kind umzubringen. Die Frau aber habe sich, obwohl durch die Geburt völlig entkräftet und nur notdürftig bekleidet, mit dem Kinde die Burg hinab in den Wald geflüchtet, und in jener Schlucht sei sie ohnmächtig niedergesunken und erst um Mitternacht bei lichtem Monde wieder erwacht. Das Kind habe vor Hunger laut geschrieen, ihr sei durch die ausgestandene Angst die Milch in der Brust versiegt, und da sie nicht habe weiter gehen können, habe sie sich angeschickt, mit dem Kinde zu sterben, als aus dem Gestein, in dessen Nähe sie lag, ein Brünnlein Milch gequollen sei, mit dem sie sich und ihr Töchterchen mehrere Monate hindurch vortrefflich ernährt habe. Eines Tages sei der Ritter mit Gefolge durch den Wald und in eben jene Schlucht gekommen und habe, da er die wunderbar Geretteten erkannte, seinen Leuten befohlen, das Kind zu töten; denn ihm selbst habe der Mut gefehlt. Da habe die Frau, plötzlich von göttlichen Kräften beseelt, dem Manne, der auf sie eingedrungen sei, das Schwert entrissen und habe, mit einem Arm wie eine Löwin kämpfend, mit dem andern das kleine Kind an ihr Herz drückend, einen der Knechte nach dem andern tot hingestreckt. Erst als sie den Ritter, der schreckenvoll und mit Zweifeln ringend zugesehen hatte, wie vor einer Erscheinung sich bekreuzend auf die Kniee sinken gesehen habe, sei sie, aus vielen Todeswunden blutend, umgesunken; das Kind aber habe der Ritter reuevoll in die Arme genommen und auf seine Burg getragen, wo es zu einer schönen Frau herangewachsen sei. Das Brünnlein fließe noch an jener Stelle, zwar nicht Milch, sondern klares Wasser führend, und sein Genuß verleihe Frauen Fruchtbarkeit. Es befinde sich dort auch eine kleine steinerne Säule zum Gedächtnis, auf der die Frau mit Kind und Schwert abgebildet sei.
Die Maielies stand neben Moga und fragte, indem sie ihr schmächtiges Gesicht streichelte: »Glaubst du denn, daß es helfen würde, daraus zu trinken?« Moga wiegte den Kopf und sagte: »Alle glauben es, und so mag es wohl so sein. Wenn ich einen Mann hätte und keine Kinder bekäme, würde ich es versuchen.« Die Sage vom Mutterbrunnen hatte der Maielies gefallen, und sie dachte ernstlich daran, hinzugehen, nicht etwa weil sie an seine Wirksamkeit geglaubt, sondern um den Ort zu sehen, den sie sich reizend und schaurig vorstellte. Schließlich unterließ sie es doch, weil ihr die Sache nicht wichtig genug war. Nicht im mindesten Zweifelte sie daran, daß sich das Kind einstellen würde, wenn sie es brauchte; der Wille kam ihr so aus dem Vollen, daß sie im Wunsche stets schon die Erfüllung vorausfühlte, und sie hatte sich gewöhnt anzunehmen, daß, wenn ihr etwas fehlschlüge, es nicht an äußeren Umständen, sondern daran läge, daß sie nicht sicher genug gewollt habe.
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In Gesellschaften und auf Bällen war die Maielies nicht die schönste und nicht die am reichsten geputzte Frau, aber so liebreizend wie sie war keine andre. Sie anzusehen war, als sähe man eine süße Frucht aus grünen Blättern locken, in weißgoldenem Pelz, den rötlicher Honigsaft schwellte. Wenn sie auf einem Fest erschien, pflegte sie ernst wie ein Kind auszusehen, aber beim Tanzen erglühte sie, und ihre klaren grauen Augen wurden dunkler und heißer. Einem Bäumchen voll rosaroter Rosen glich sie, umschwirrt von Bienen, Käfern und Schmetterlingen, von Sommerlüften umweht, umflossen von Sonne, ganz eingehüllt in Duft und Erdenwonne. Lasko liebte es, sie so zu sehen, und war am zufriedensten, wenn er ihr ungestört zuschauen konnte wie ein Vater, der die Triumphe seines Kindes mit Genugtuung überwacht. Wenn seine feine schlanke Gestalt die Blicke der Mädchen und Frauen auf sich zog, bemerkte er es wohl und ließ sich auch ein etwaiges Entgegenkommen mit Laune gefallen, ohne aber weiter darauf einzugehen oder gar ernstlich davon berührt zu werden.
Bei einem Gartenfeste bemerkte Lasko zum ersten Male, daß ein junger Mann seiner Frau mit auffallender Absichtlichkeit den Hof machte, ein eleganter Ausländer mit regelmäßigen Zügen und feurigen Augen, die ihren Körper mit den Blicken umwanden, während er mit weicher Stimme sanft zu ihr sprach. Lasko glaubte jedes Wort zu wissen, was er sagte, und die schlüpfrigen Gedanken und Gefühle, die er im Innern versteckte, zu durchschauen, und weniger Eifersucht als Wut über die Unverschämtheit begann in ihm zu kochen. Während er das Paar mit den Augen verfolgte, wie sie unter den Bäumen, zwischen denen bunte Papierlaternen schwebten, wechselnd und undeutlich beleuchtet, auf und ab gingen, überkam ihn eine fast unbezwingliche Mordlust, so daß er in der Vorstellung schwelgte, er könnte dem widerwärtigen Wüstling, als den er ihn ansah, das Messer in der Brust umwenden. Einige Augenblicke schwankte er, ob er eilig das Fest verlassen sollte, um einen peinlichen Zwischenfall zu vermeiden, oder ob er die Maielies auffordern sollte, ihn zu begleiten. Das letztere wählte er, entschlossen, es zu lauten Beleidigungen und allenfalls einem blutigen Zusammenstoß kommen zu lassen, sowie der Fremde ihn durch ein Wort oder eine Miene reizte. Er trat, den Herrn kurz und verächtlich grüßend, auf seine Frau zu mit der Frage, ob es ihr recht sei, nach Hause zu gehen, was sie, während jener schweigend zurücktrat, lebhaft bejahte. In der Freude, ihren Mann zu sehen, bemerkte sie nicht, daß er vor Erregung zitterte, und flüsterte ihm zu, als sie weit genug von dem andern entfernt waren, sie sei glücklich, von dem unheimlichen Menschen befreit zu sein. Auf der Heimfahrt im offenen Wagen wurde sie außergewöhnlich lustig und machte den Mann nach, auf welche Weise er mit ihr gesprochen und wie er sie angesehen hätte. Es kam ihr nachträglich komisch vor, daß einer sich mit so wenig verhüllten Anträgen einer verheirateten Frau von tadellosem Rufe näherte; vorher aber, sagte sie, sei ihr bange geworden, als er sie gleichsam umschlungen und an sich gezogen hätte mit dem verführerischen Hauch, der von ihm ausgegangen sei. Lasko fragte, ob er gar kein verliebtes Gefühl in ihr erregt hätte, worauf sie, mit unschuldig lachenden Augen ihn anblickend, sagte, anfänglich, ja, habe der zugleich ehrerbietige und leidenschaftliche Blick seiner traurigen Augen eine eigentümlich süße Neigung in ihr geweckt, die aber bald in Grauen und Ekel umgeschlagen sei. Lasko riß sie an seine Brust, bedeckte ihr weißes Gesicht mit Küssen und nannte sie mit zärtlich anbetenden Namen, die wie ein Liebestau aus der unerreichbaren Welt der Sterne, zu denen sie mit zurückgebogenem Kopfe aufschaute, über ihre Seele fluteten.
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Mit den Jahren bemerkte Lasko zuweilen schwere Stimmungen an der Maielies, die er nicht zu heilen vermochte, die sich im Gegenteil verschlimmerten, wenn er sie zu bekämpfen suchte. Die grundlosen Traurigkeiten ihrer Kindheit und Mädchenzeit kamen wieder, überhaupt zeigte sie manchmal eine Härte und Unzugänglichkeit, die niemand überwinden konnte. So herzlich genießend sie erschien, wenn Gesellschaft sie anregte, geschah es leicht, daß diese Bewegung einem müden Erstarren wich, das sie namentlich gewissen Personen gegenüber sehr bald überkam. Ihr Gesicht versteinerte dann medusenhaft mit einem zurückweisenden Ausdruck, so daß sie eher Furcht erregte als das Wonnegefühl, mit dem man sonst in ihr warmes Frühlingsantlitz sah. Hart und verschlossen war sie fast immer gegen Lastari, der seinerseits gegen niemand so aufmerksam und achtungsvoll sich betrug wie gegen sie. Lasko fragte sie freundlich und bittend, warum sie seinen Vater nicht liebhaben könne, und sie entgegnete, seine Selbstsucht stoße sie ab; insbesondere die pflichtvergessene Grausamkeit, mit der er ihn, Lasko, behandelt habe, könne sie nicht vergessen und erfülle sie immer wieder mit Abneigung. Lasko zuliebe gab sie sich Mühe, davon nichts merken zu lassen, aber sie besaß die Gabe der Verstellung nicht, und auch der Vorsatz erlahmte unter dem schweren Gefühl von Kälte, das sie überwältigte. Jede Unwahrheit und jede Schwäche, die sich an Lastari äußerte, entdeckte sie sofort, und anstatt darüber hinzugehen oder sie im Gespräch zu verwischen, durchstach sie das Mißfällige mit einem Blick oder Wort und heftete es fest, so daß es dem Gedächtnis nicht entschwinden konnte. Obwohl sie des festen Willens war, Zizito in ihrer Obhut zu behalten, erzürnte es sie, daß Lastari von Zeit zu Zeit die Absicht aussprach, ihn zu sich zu nehmen, sobald dies oder das in seinen Verhältnissen besser geordnet sei; denn sie durchschaute, daß er im Grunde froh war, von ihm befreit zu sein, und nur seine Dankesschuld ihr und Lasko gegenüber verringern wollte, indem er den Aufenthalt des kranken Jungen bei ihnen als etwas Vorübergehendes darstellte. Sie antwortete ihm bei solchen Gelegenheiten nie, sondern sah ihn aus kalten Augen unerbittlich an, denen auszuweichen er zu stolz war, die er aber auch nicht besiegen oder rühren konnte. Infolgedessen wurden seine Besuche bei Lasko selten, ohne daß über die Ursache zwischen den Beteiligten gesprochen wurde. Ihren eignen Eltern gegenüber haftete der Maielies noch etwas von der furchtsamen Schüchternheit ihrer Kindheit an, die indessen manchmal in offenes Widerstreben oder eigensinnige Verschlossenheit umschlug. Lasko war der einzige, den sie zu allen Zeiten gern um sich hatte, und den sie sogar vermißte, wenn er fort war; aber wenn es ihr auch Bedürfnis war, seine schmeichelnde Frage: ›Hast du mich lieb?‹ zu hören, so achtete sie doch oft kaum darauf und schüttelte unwillig lächelnd den Kopf, wenn er sich selbst antwortete: ›Nicht mehr wie einst!‹ Doch wußte er zu gut, wie notwendig er ihr war, um ernstlich darunter zu leiden; auch verschaffte ihm die Tätigkeit im Geschäft und das Bewußtsein, sich seinem Schwiegervater fast unentbehrlich gemacht zu haben, eine anhaltende Befriedigung, die ihn mit innerlichen Verwickelungen leichter fertig werden ließ als sonst.
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An einem Spätsommertage ging die Maielies noch zur Abendzeit in den Park, um Zizito zu besuchen, da sie während des Tages nicht dazu gekommen war. Zizito saß auf einer Bank vor dem Häuschen, dicht an Moga gedrängt, und war in die Arbeit vertieft, einen alten Tannenzapfen zu zerpflücken. Als er die Maielies kommen sah, lief ein listiges Funkeln durch seine Augen, und dann brach er in ein langes, kicherndes Gelächter aus, wodurch er meistens Freude kundzugeben pflegte. Die Maielies fragte, indem sie mit der Hand in seinen dichten schwarzen Haaren spielte, wie es gehe, worauf Moga den gewöhnlichen Bericht über den Verlauf des Tages erstattete. Während die Maielies zuhörte, schauderte sie zusammen unter einem Kältegefühl, denn das Häuschen lag schon seit geraumer Zeit im Schatten, und bat Moga, in das Haus zu laufen und ihr einen Umhang zu holen. Inzwischen setzte sie sich an Mogas Platz neben Zizito und stellte allerlei Fragen an ihn über Dinge, für die er Sinn hatte, doch anstatt zu antworten, sah er sie fortwährend leise kichernd an. Sein Blick war meist leer oder, wenn er ihr gerade ins Gesicht sah, voll verliebter Zärtlichkeit, die nicht mehr den reizenden Glanz und die Schelmerei hatte wie in seinen gesunden Tagen; in diesem Augenblick aber war etwas andres in seinen Augen, was sie noch nie gesehen hatte, etwas Boshaftes, Grausames und Mordlustiges, das auf sie zu zielen schien. Erst wunderte sie sich darüber, und plötzlich ergriff sie Furcht: sie stand auf und wollte schreien, aber der Ton kam ihr nicht aus der Kehle, und in namenloser Angst rannte sie durch die Bäume dem Hause zu, an Moga vorüber, die ihr mit dem Tuche begegnete. Als sie im Wohnzimmer angelangt war, warf sie sich auf einen Stuhl und brach in krampfhaftes Weinen aus, in welchem Zustand Lasko sie fand, der kurz darauf nach Hause kam. Da eigentlich nichts Nennbares vorgefallen war, dachte sie, es würde ihm kaum begreiflich zu machen sein, was sie so entsetzt hatte; anstatt dessen erriet er sie sogleich, ja er zeigte Schrecken und Unruhe und verlangte, daß Zizito augenblicklich aus der Nähe des Hauses entfernt würde. Hingegen beruhigte die Maielies sich bald, und ihre Furcht kam ihr nun übertrieben und eigentlich unbegründet vor, ja sie führte alles auf eine in ihr selbst liegende Ueberspannung zurück. Durchaus wollte sie nichts davon hören, daß Zizito fortgeschickt würde, vielmehr müßten sie ihn nun gerade zu sich ins Hans nehmen, sagte sie, da er augenscheinlich gefährlicher sei, als man anfangs gemeint hätte, und man ein schwaches Mädchen wie Moga unmöglich mit ihm allein lassen könne. Lasko schwankte, ob er ihr sagen sollte, mit welchen Mordplänen Zizito schon früher gespielt hatte, allein es kam ihm vor, als müsse der Gedanke, lange Zeit Tag für Tag von dieser blödsinnigen Blutgier umlauert gewesen zu sein, einen allzu grauenvollen Eindruck auf sie machen, und er befahl deshalb auch Moga, davon zu schweigen. Tagelang gab er sich Mühe, sie zu bereden, daß sie davon absähe, den geisteskranken Jungen, dem es an allen Orten gleich wohl wäre, wenn nur seine Verpflegung gut sei, bei sich zu behalten, ja er warf ihr vor, sie halte den Entschluß nur fest, um zu beweisen, daß sie nicht furchtsam sei, und daß sie, was sie einmal für ihre Pflicht erklärt hätte, durchführe, wenn es ihr auch persönlich widerwärtig sei. »Das mag wohl sein,« entgegnete die Maielies, »und es scheint mir weniger tadelnswert zu sein, als das Gegenteil wäre. Aber auch wenn es zu tadeln wäre -- ich bin nun einmal so und will so bleiben.« Lasko hätte vielleicht nicht nachgegeben, wenn es ihm nicht insgeheim seines Vaters wegen lieb gewesen wäre, daß Zizito im Hause bleiben konnte, und da er mit Moga in ein paar abgesonderte Zimmer einquartiert und jede Vorkehrung getroffen wurde, daß er nie ohne Aufsicht blieb und nichts Schädliches anstellen konnte, glaubte er sich einverstanden erklären zu dürfen. Auch den Gedanken, Zizito einen männlichen Wärter zu geben, ließ er wieder fallen, denn Moga behauptete, ganz furchtlos zu sein und auch keine Ursache zur Furcht zu haben, da Zizito ihr folge wie ein zahmes Tier und ihrer Meinung nach überhaupt niemand, sicherlich aber ihr nichts zuleide tun würde.
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An einem wolkigen Frühlingstage ging die Maielies allein aus, um eine arme Familie zu besuchen und zugleich einer gedrückten Stimmung zu entfliehen, die ihr, sie wußte selbst nicht woher, angeflogen war. In der kleinen Wohnung der armen Leute fand sie dieselben kümmerlichen Verhältnisse, die sie aus andern Beispielen kannte: geringen Verdienst, Krankheit, bald der Eltern, bald der zahlreichen Kinder, nur insofern waren die Umstände günstig zu nennen, als der Mann kein Trunkenbold war. Die Maielies sah sich in der Wohnung um und ließ sich von der Frau vorrechnen, wie die Einnahmen verausgabt waren, tadelte hie und da einige überflüssige Anschaffungen, gab Ratschläge, wie man sich einrichten müsse, um mit den vorhandenen Mitteln auszukommen, und versprach, in kurzem wieder nachzusehen. Als sie die Hütte verließ, war ihr nicht leichter zu Sinne als vorher; sie hatte keine Lust, nach Hause zurückzukehren, und da sie sich schon ein gutes Teil oberhalb der Stadt befand, schlug sie den Weg nach einem Eichenwalde ein, den man von unten her sich dunkel und weich zwischen zwei Bergrücken hinbreiten sah. Das Licht war weiß, und die laue Luft drückte ein wenig, so daß das Gehen ihr beschwerlich vorkam und sie langsam über den kahlen Hügel schritt, der zu dem Walde führte. Dort standen die knospenden, mehr noch grauen als grünen Bäume unbeweglich wie in einer Bezauberung und ließen den matten Himmelsschein an den stillen Zweigen herunterfließen. Das braune, naß verklebte Laub des vergangenen Jahres raschelte nicht unter den Füßen, und kein Vogelflug war hörbar, nur zuweilen kam ein eintöniges Zirpen irgendwoher, von dem sich nicht sagen ließ, ob es hoffnungsvoll oder wehmütig klang. Die Maielies ging jetzt ohne Müdigkeit weiter und weiter, wie von Traumfäden gezogen, bis sie auf einem von faulenden Blättern zugedeckten Pfade zu einem kleinen Teich von goldbrauner Farbe kam, den je gesehen zu haben sie sich nicht erinnerte. Sie blieb davor stehen und blickte nachdenklich in das lautlose Wasser, auf dem das Dunkel des andrängenden Waldes lag; ein paar kleine grüne Blätter und weißlichgrüne sternförmige Blüten deckten vereinzelt die glatte Fläche, als warteten sie dort seit Hunderten von Jahren auf etwas, Sonnenschein oder Wind, das niemals käme. Nachdem die Maielies eine Weile stillgestanden hatte, versuchte sie eine von den sternförmigen Wasserblumen zu erreichen, konnte es aber nicht, und nahm zuletzt eins von den vermoderten Blättern, mit denen der Boden bedeckt war, und warf es in das Wasser, auf dem es still liegen blieb. Vorsichtig kniete sie nieder, um sich tiefer über das Wasser zu beugen; der Widerschein ihres weißen Gesichtes, als es der Oberfläche näher kam, färbte es an dieser Stelle bleich, so daß sie sich hätte einbilden können, etwas Lichtes steige von unten zu ihr herauf. Eine Erinnerung kam ihr von ihrem Hochzeitstage, der sie verlangte, sich hinzugeben, als würde ihr dadurch besser werden. Die feuchte Luft wand sich zutraulich zärtlich um ihr Gesicht wie Kinderatem, und dennoch fühlte sie die undurchdringliche Einsamkeit; ihre Lippen fingen an zu zittern, und sie schluckte mühsam die Tränen hinunter. Es war ihr zu Mute, als müsse sie an dieser Stelle liegen bleiben und weinen, solange sie Tränen hätte; aber seit ihrer Kindheit gewöhnt, ihre Gefühle zurückzuhalten, unterdrückte sie den Ueberschwang der Stimmung und bemühte sich, ihre Gedanken so zu lenken, daß niemand das Trübe auf dem Grunde bemerkte.
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Lastari hatte anfänglich von dem Gange seines Unternehmens Lasko nichts mitgeteilt, später dagegen klagte er, daß das neue Seebad durchaus nicht so besucht würde, wie man hätte erwarten müssen, und machte dafür alle möglichen schlechten Eigenschaften der Menschen: ihre Sucht nach dem Entfernten und Geringschätzung des Naheliegenden und Vaterländischen, ihren Geiz und ihre Armut, verantwortlich. Nachdem er mehrmals Andeutungen hatte fallen lassen, daß er sich in großer Verlegenheit befinde, folgte schließlich ein Brief des Inhalts, wenn Lasko ihm nicht sofort eine gewisse Summe schicke, wäre er verloren, da in den nächsten Tagen ein Wechsel fällig sei, den er nicht zahlen könne. Lasko war sich bewußt, daß er seinem Schwiegervater versprochen hatte, Lastari in keiner Weise zu unterstützen, falls er sich wieder in Spekulationen einlasse, und sah voraus, daß jener ihn seines Versprechens nicht entbinden würde. Noch weniger mochte er mit der Maielies davon sprechen; auf eine Bemerkung, die er absichtlich hinwarf, sein Vater sitze wieder fest und brauche Geld, man müsse ihn nun aber doch einmal sich selbst überlassen, sagte sie kurz, das müsse man allerdings, er sei genug gewarnt worden und dürfe in seinem rücksichtslosen Leichtsinn nicht bestärkt werden. Mit jeder Stunde nahm die Verzweiflung in seiner Seele zu und verwandelte sich gleichsam, da er hartnäckig schwieg, in einen unkörperlichen Giftstoff, der ihn umgab und von ihm ausging. Als die Maielies, der seine graugelbe Gesichtsfarbe und der tückische Blick seiner Augen auffiel, fragte, was ihm fehle, stellte er sich vor den Spiegel und sagte mit höhnischem Lachen: »Häßlich sehe ich allerdings aus, ähnlich wie ein Käse, der bald von Maden wimmeln wird. Der liebe Gott hat mich aus einem schimmeligen Teig geknetet, der sich nicht lange halten kann, und ich glaube fast, ich stinke schon.« Die Maielies suchte die bösartige Anwandlung abzukürzen, indem sie schweigend das Zimmer verließ; aber bei Tisch kam er wieder auf den angeregten Gegenstand zurück, indem er sagte, es sei gut, daß sie keine Kinder bekämen, denn er sei durch und durch krank, und ein Baum wie er könne nur faule Früchte tragen; ihre Eltern seien zwar scheinbar gesund, aber unter der Decke nage das Uebel schon, Herr Beatus werde am Krebs und Frau Olivia an Herzleiden sterben. Außerdem hätten sie ja samt und sonders keine seelischen oder geistigen Eigenschaften, die wert wären, sich auf Enkel zu vererben: Männer, die gut rechnen könnten und allzeit auf das eigne Wohl bedacht wären, gäbe es genug, und nicht minder Frauen, die auf ein glattes Gesicht und einen runden Leib hin sich anklebten und dem Besseren das Blut aussögen.
Während er dies ausführte, aß er viel und hastig, ohne Auswahl und Anstand, wie ein Tier, das schlingt; die Maielies dagegen vermochte keinen Bissen zu nehmen und stand auf, den Mann ihr gegenüber mit einem Blick des Abscheus und der Verachtung messend.
Sie war kaum allein, als das Gefühl des Hasses, das sie eben noch zum Zerspringen erfüllt hatte, wie ein Feuer, dem die Luft entzogen wird, zusammenfiel und dem Mitleiden Platz machte. Sie stellte sich Lasko allein dasitzend vor in der kalten Oede, die sein Herz umgab, von Gott und allen Menschen verlassen, wie ein kleines Kind, das grausame Eltern ausgesetzt haben und dessen Wimmern in grenzenloser Heide ungehört verklingt. Sie wußte, daß er unerträglich litt, und machte sich Vorwürfe, nicht liebevoller in ihn gedrungen zu sein, als sie seinen krankhaft veränderten Zustand bemerkte, daß er sich ihr mitteilte. Ohne sich zu besinnen, lief sie in sein Zimmer und fand ihn auf einem Sessel sitzend, den Kopf gegen die Rücklehne gestemmt und beide Hände gegen die Schläfen gepreßt, scheinbar ihr Eintreten überhörend. Sie mußte ihm lange mit warmen Liebesworten zureden, bis sie ihn dazu vermochte, ihr zu sagen, was ihn quälte; sie drang nun in ihn, er müsse seinem Vater das benötigte Geld augenblicklich schicken, das verstehe sich von selbst, der ihrige brauche nichts davon zu erfahren; er solle keine Zeit verlieren und Lastari durch eine Depesche von der Sorge befreien. Lasko beeilte sich, die Sache zu erledigen, und als er zurückkam, war er blaß und müde und verlangte nach ihrer Liebe; aber ihre frühere Härte lag ihm noch im Sinne und hielt ihn von ihr zurück, die sich danach sehnte, ihm durch die ganze Süßigkeit und Fülle ihres Wesens das erlittene Weh zu vergüten. Sie fühlte, daß er trotz ihrer innig anschmiegenden Nähe in einer seelenlosen Einöde war, und daß seine Augen sich vergeblich mühten, sie zu erreichen und zu erfassen, die dicht bei ihm war und ihn zärtlich ansah; eine hilflose Traurigkeit kam über sie, daß sie so hatte sein können und vielleicht immer wieder so würde sein müssen, und ihre Tränen fielen auf sein ernstes, abgespanntes Gesicht, das unbeweglich blieb, während sie es, in Gedanken verloren, mit einem feinen Tuche trocknete.
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Je älter Herr Beatus wurde, desto mehr nahm seine Arbeitskraft wie sein Trieb zum Geschäfte zu, so daß er die Stunden, die der Familie gewidmet waren, immer kürzer bemaß und sie immer teilnahmloser in ihrer Mitte zubrachte. War er wieder in der Fabrik, so wuchs seine Gestalt und kam Lust und Feuer in seine Augen, und seine Unermüdlichkeit und Zufriedenheit teilte sich den Angestellten und Arbeitern mit. Lasko kam nie dahin, innerlich so mit dem Geschäft zu verwachsen wie sein Schwiegervater, aber die Tätigkeit wurde ihm lieb, da sie ihn auf Stunden ganz und gar erfüllte und die tausendfachen Beunruhigungen ausschloß, die sonst an ihm zehrten. Wenn er auch zuweilen über die Fabrik schalt, daß sie ihm für das innere Leben keine Muße ließe, so wurde er doch sehr bald ungeduldig, wenn ihn einmal etwas davon zurückhielt, und an Festtagen suchte er gern einen Vorwand, um sich wenigstens zeitweilig dort aufzuhalten.
Es wurde in dieser Zeit eine neue Art feuerfester Geldschränke empfohlen, und da Lasko bis dahin alle Wertpapiere, worunter auch die von Personen und Vereinen waren, mit deren Verwaltung er betraut war, bei seinem Schwiegervater verwahrt hatte, riet ihm dieser, sich einen von den neuen anzuschaffen, in dem dann auch er seine wichtigsten Dokumente niederlegen könnte. Lasko reiste nach der Stadt, wo die Schränke hergestellt wurden, nahm sie in Augenschein und wählte einen der größten für sich aus, ein Bollwerk, das von der wildesten Räuberbande nicht zu erstürmen gewesen wäre. Als der Schrank in der Fabrik anlangte, war ein großer Zusammenlauf von Arbeitern und Einwohnern des Dorfes, die den Moloch angafften, und deren Bewunderung noch stieg, als es sich zeigte, daß er zu schwer war, um auf dem nächstliegenden Wege über die Treppen in Laskos Arbeitszimmer getragen zu werden. Nach reiflichen Beratungen wurde zunächst der Fußboden in diesem Zimmer durch eiserne Stangen verstärkt und gleichzeitig ein festes Gerüst errichtet, um den Schrank darin heraufzuziehen und durch das Fenster an seinen Standort zu schaffen. Inzwischen umstand eine Menge von Menschen das eiserne Scheusal: es konnte an jene mittelalterlichen Käfige erinnern, in denen barbarische Machthaber besiegte Feinde dem öffentlichen Hohne preisgaben, nur freilich, daß der Geldzwinger nicht durch ein Gitter, sondern durch unüberwindliche Türen verschlossen war. Für Lasko war dieser Zulauf peinlich, und er atmete auf, als der Mammonsturm, ohne daß ein Unfall vorgekommen wäre, sicher hinter seinem Schreibtisch stand. Obwohl der glatte graue Berg keineswegs zum Schmucke des Zimmers beitrug, betrachtete Lasko ihn doch mehrmals mit Genugtuung, und als gegen Abend die laufende Arbeit erledigt war und alle Angestellten sich entfernt hatten, machte er sich daran, einzuordnen, was künftig in dem Schranke aufbewahrt werden sollte. Er tat es mit einer umständlichen Nettigkeit, wie etwa eine junge Frau das glänzende Leinen in die Fächer einräumt, und trat von Zeit zu Zeit einen Schritt zurück, um den Eindruck seiner Arbeit zu begutachten. Es war schon spät, und er hatte längst Licht anzünden müssen, als er damit fertig war, so daß er eilig den Schrank abschließen wollte, um in die Wohnung zu gehen. Die Geldburg war durch zwei Türen verschließbar, von denen die innere zwar weniger dick als die äußere war, dafür aber ein Geheimschloß besaß, das nur der Eingeweihte durch gewisse Drehungen nach rechts und links und einige andre Ränke und Schliche handhaben konnte. Indem nun Lasko schließen wollte, zeigte sich, daß er etwas falsch gemacht hatte, denn die Feder gehorchte nicht, und da er es ein zweites Mal ohne Erfolg versucht hatte, wurde er unruhig und fing an zu zweifeln, ob er sich überhaupt noch auf die richtige Formel besinnen könne. Während er auf gut Glück an dem Schlosse drehte, dachte er darüber nach, was zu machen sei; zu Hilfe rufen konnte er niemand, denn alle waren fortgegangen, und wenn auch jemand in der Nähe gewesen wäre, hätte das ihm nichts nützen können, da er niemand, nicht einmal seinen Schwiegervater, in das Geheimnis eingeweiht hatte. Einzig den Erfinder des Schrankes konnte er um Rat fragen, aber während der Nacht war keine Möglichkeit, sich mit dem in Verbindung zu setzen. Daß er die Papiere irgendwo anders unterbringen und verschließen konnte, fiel ihm, so aufgeregt wie er war, nicht ein, sondern er machte sich klar, daß er bis zum folgenden Morgen vor seiner Festung würde Wache halten müssen, und suchte dabei mit fiebernden Händen das Schloß in eine solche Lage zu bringen, wo es einschnappte. Nach einer Weile gab er das auf, setzte sich hin und versuchte seinen Kopf klar zu machen und sich zu besinnen; er rief sich seine Unterredung mit dem Verkäufer des Schrankes zurück, entfernte alles aus seinem Gedächtnis, was störte, und versuchte es noch einmal behutsam mit dem Kunstgriff, der sich ihm nun als der richtige darstellte, worauf das Schloß glatt und geräuschlos einsprang, als ob es die einfachste Sache von der Welt wäre. Er atmete auf und dachte mit einer leichten Anstrengung die äußere Tür zu schließen, aber der eine der beiden gewaltigen Flügel stand einen Zoll breit vor, und Lasko stemmte sich mit ganzer Kraft dagegen, um ihn vollends hineinzudrücken. Der Schweiß troff ihm von der Stirne, und sein Herz klopfte: zehnmal und noch zehnmal, immer schneller und heftiger warf er sich mit der Wucht seines ganzen Körpers gegen das eherne Ungetüm, ohne den letzten, kaum sichtbaren Widerstand überwinden zu können. Er hatte keinen Gegenstand mehr vor sich, sondern einen blanken, fletschenden Teufel, gegen den er außer sich vor Wut anrannte, nicht achtend, ob er sich den Schädel an ihm zertrümmerte. Mit dem Gefühl, daß es sich um den letzten Gang handelte, räumte er einen Tisch und einige Stühle zur Seite, die im Wege standen, um einen Anlauf durch das ganze Zimmer nehmen zu können, welchem Anprall die Tür endlich nachgab, so daß der Schlüssel sich umdrehen ließ. Lasko fühlte das Blut in den Adern hämmern, und um sich zu beruhigen, öffnete er ein Fenster und ließ Sternenglanz und Nachtkühle herein; seine Hände zitterten dabei, und er beschloß, eine Weile zu warten, bevor er heimkehrte. Seine Gedanken waren mit einem Male weit fort auf hohen Pfaden seiner Kindheit; er dachte an den Brunnen, aus dem die Adler tranken, an die unwandelbaren Felsgebirge, zwischen denen er allein, winzig, die verstiegenen Tiere suchte, an die schwarze, nasse, rauschende Höhle, wo die Krone auf dem heiligen Tische lag. War es ein Traum, daß er das furchtbare Kleinod, schwarz, heidnisch und gewaltig, in einer wilden Nacht gesehen hatte? Das hatte er nicht zwischen eisernen Mauern verwahrt; aber es war nun, wo keine räuberische Hand es je mehr erreichen konnte. Er verlor sich in Vorstellungen, wie langarmiger Tang den wunderlichen Reifen umwüchse, wie Fische mit durchsichtigen Schleierschwänzen das ernste Geheimnis umschwebten und mit unterirdischen Lämpchen staunend beleuchteten, als sein Auge auf die große Fabrikuhr fiel, die man von seinem Fenster aus sehen konnte, und die eine halbe Stunde vor Mitternacht zeigte; er schloß das Fenster, warf noch einen Blick auf den Geldschrank, der glatt und rechtschaffen in der Ecke stand, versicherte alle Türen und verließ das Gebäude. Er hatte Mühe, der Maielies, die sich über sein langes Ausbleiben wunderte, zu erklären, was vorgegangen war, schließlich aber begriff sie es, sah eine Weile nachdenklich in sein müdes, halb gramvolles, halb lächelndes Gesicht und fing dann so herzlich an zu lachen, daß sie nicht auf den Füßen stehen bleiben mochte. Sie warf sich auf das schwarzbraune Fell eines Bären, das am Boden lag, und lachte, daß ihre starke weiße Kehle, die das mattgrüne Abendkleid freiließ, zitterte. Es lockte Lasko, sich zu ihr zu legen und sie zu küssen; doch wurde die Lust nicht so stark in ihm, daß sie eine müde Stimme in ihm überwunden hätte, die sagte: wozu? ach, wozu? Und so setzte er sich still an seinen Platz und aß nachträglich sein Abendbrot, während die Maielies ihn neckte, er hätte diese Nacht im Kampfe mit dem Geldschrank das erste weiße Haar bekommen.
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Es wollte gerade wieder Frühling werden, als Lasko von einer Lungenentzündung befallen wurde, die einen tödlichen Verlauf nehmen zu wollen schien. Zwar ließ das Fieber von seiner anfänglichen Heftigkeit allmählich nach, doch wollte es sich durchaus nicht ganz verscheuchen lassen, was bei den erschöpften Kräften des Kranken die größte Besorgnis erregte. Die Maielies wollte seine Pflege mit niemand teilen und war darin so gewandt und unermüdlich, daß ihr Onkel Pius, der Lasko behandelte, sie nicht genug bewundern konnte und oft versicherte, sie leiste mehr und sei anstelliger als die tüchtigste unter seinen Krankenpflegerinnen im Spitale. Sie mußte um so mehr Selbstüberwindung aufwenden, als die Angst um Laskos Leben an ihr zehrte, den sie selbst in der ersten Frühlingszeit ihrer Neigung nicht so innig und unzertrennlich geliebt zu haben glaubte wie jetzt, und ohne den zu leben ihr unmöglich schien. Seit Jahren hatte er ihr nicht so angehört; als wäre er ihr Kind, mußte er sich die Nahrung von ihr einflößen und die Kissen von ihr zurechtrücken lassen, und so abgemagert und blaß wie er geworden war, hatte er auch wieder das seelenvolle und keusche Knabengesicht, das sie zu ihm hinzog, als sie ihn kennen lernte. In den ersten wilden Fiebertagen wußte Lasko nichts von sich, und die Maielies war zu erregt, wiewohl sie sich nach außen ruhig zeigte, als daß sich irgend ein Gefühl hätte auslösen können; aber als das Fieber seltener und weit gelinder kam, gab es Stunden innigen Zusammenseins, wo das Bewußtsein der Liebe ihr den Schmerz, den sie empfand, süß machte.
Lasko war während dieser Zeit glücklich; die Klänge des Lebens, die ihm oft allzu grell ins Herz geschnitten hatten, drangen nur noch aus der Ferne zu ihm hinüber, in eine süße, sommernächtige Scheidemusik verschwimmend. Von den Menschen, die sein Herz angingen, fiel die grobe Schwere, die heiße Nähe ab, mit der sie ihn bedrückt und abgestoßen und gequält hatten, und sie bewegten sich licht und leicht wie ein Sternenreigen, den er ohne Sehnsucht entzückt betrachtete. Versöhnt und vertrauend trat er in die gerettete Schar ein, die der König mit der meerertrunkenen Krone beherrschte, nannte willig die klaren Gestalten, die ihm entgegenkamen, Brüder und wünschte nichts, als ewig mit ihnen wie fliegendes Licht durch die allverschmelzende Nacht zu gleiten.
Er dachte, es müßte ein leichtes sein, der Maielies das sichere Bewußtsein, daß sein Tod etwas Gutes und Schönes sei, mitzuteilen; aber ihr hoffnungsreiches Gemüt konnten solche Vorstellungen nur stören, nicht beruhigen. »Warum möchtest du mich hier festhalten,« sagte er sanft zuredend, »wo ich immer fremd blieb? Ich sehnte mich, irgendwo heimisch zu werden, und wurde es nirgends, weil ich wußte, daß ich doch einmal würde scheiden müssen. Alles Lebendige kam nie ganz nah an mein Herz, als ob ich einem andern Volke angehörte, während alle Toten mir Verwandte waren. Ich staunte das Lebendige an, je mehr es Leben hatte, und trotzdem machte es mich elend, wie manche Menschen von den starken Gerüchen der Lilien und Hyacinthen krank werden, die sie doch lieben. Als ich ein kleines Kind war, hat sich der Tod, wenn alle fort zur Arbeit gegangen waren, an meine Wiege gesetzt und mich geschaukelt; darum habe ich mich nie vor ihm gefürchtet, sondern unzählige Male, wenn ich einsam zwischen den großen, blassen Steinen war, gehofft, er käme und sagte: ›Du bist mein.‹ Weißt du noch, wie ich auf der Treppe am Meere saß und euch erzählte? Während ich von Mühsal und Not und großen Hoffnungen und Verwirrungen des Lebens erzählte, klang mir das Murmeln des Wassers, wie wenn der Tod sänge: ›Mein bist du, mein bist du!‹ Und das war es, was mich glücklich machte, mehr als du und deine Liebe. Ich liebe dich mehr, als du mich jemals geliebt hast; aber ich bin mit Heimweh geboren, und du weißt, daß Heimweh stärker als Liebe ist. Immer, immer, immer habe ich gelitten, und weil, seit ich dich habe, die unzähligen Bitterkeiten und Grausamkeiten, die mich vorher marterten, verschwunden sind, fühle ich das Heimweh, das niemals heilt, unendlich mehr als sonst. Du bist die Lebendige, und der Tod kann dir nichts antun; wer weiß, ob dir das Leben nicht von meinem Grabe die allerschönsten Kränze für deine Stirn pflücken wird.«
Die Maielies hörte lautlos weinend zu und starrte durch den Schleier ihrer Tränen in seine überirdischen Augen, die zuversichtlich glänzten. Wenn er gestorben wäre, hätte es ihr nicht solchen Schmerz verursacht wie derartige Worte; aber sie hatte sich dermaßen in der Gewalt, daß sie nichts davon verriet, solange sie neben ihm war. War sie allein und besann sich, so fiel ein bleierner Gram auf sie, der vernichtender war als ein herzzerreißender Jammer. Gedanken kamen ihr, die bis dahin namenlos für sie gewesen waren: von der Vergeblichkeit des Lebens. Wenn sie sich daran erinnerte, daß sie einmal geglaubt hatte, ihre starke, liebende Nähe würde Laskos Seele in einem glücklichen Augenblicke heilen, so wurde ihr Gemüt bitter von Spott, den sie früher nicht kannte. Es graute ihr vor den zehn Jahren ihres Jugendlebens, die sie in einem täuschenden Traum von Glück verdämmert hatte: wozu waren sie gewesen? Sie glaubte nun einzusehen, daß diejenigen recht hätten, die behaupteten, die Menschen von heute seien dieselben, die als Höhlenbewohner das Mammut bekämpften, und die Jahrhunderte und Jahrtausende rollten umsonst und bedeutungslos ab in ermüdender Wiederholung. Sie sah jetzt zwischen dem Schimmer der Oliven und dem Düster der Cypressen die rosige Blüte von Pfirsich und Tamarinde aufgehen, aber es kam ihr kein andres Gefühl dabei, als daß nun das unendliche Leierlied des Blühens und Verwelkens wieder anhebe und nicht wie ein orgelnder Bettelmann von der Schwelle zu verscheuchen sei.
Die Zeit der Genesung, die für Lasko anbrach, verlief ohne Segen für beide, besonders für die Maielies; sie erstarrte in hoffnungsloser Schwermut, die nur deshalb weniger auffallend für die Umgebung wurde, weil die übermäßige Anstrengung der vorangegangenen Pflege sie zum Teil erklären konnte, ja Onkel Pius bereits vorhergesagt hatte, ein Rückschlag müsse sich einstellen, und man dürfe zufrieden sein, wenn sie nicht Laskos Stelle im Krankenbett einnehmen müsse.
Gerade um diese Zeit kam Rizzo zum erstenmal aus Afrika in die Heimat zurück. Sein Vater feierte in diesem Jahre das fünfundzwanzigjährige Bestehen einiger der von ihm begründeten medizinischen Wohlfahrtsanstalten, und da Rizzo nach so langer Abwesenheit einen Besuch im Elternhause versprochen hatte, richtete man es so ein, daß er den Festlichkeiten, die für die Gelegenheit vorbereitet wurden, beiwohnen könne.
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Es hatte ein peinlicher Vorfall stattgefunden, als Rizzo den Seestern wieder aufsuchte. Die Maielies nämlich betrug sich in ihrer Melancholie gegen die Untergebenen des Hauses oft hart und zurückschreckend, während sich sonst auch in ihre strengen Befehle ein wenig von der Lindigkeit und Süße ihres Wesens mischte; auch Zizito erteilte sie einen unfreundlichen Verweis, als sie ihn in ungebührlicher Stellung, die Beine auf einen Sessel gestreckt, antraf. Er suchte eine Gelegenheit, sich an ihr zu rächen, und fand eine noch am selben Tage: als die Maielies spät am Abend auf einer Seite des Hauses badete, öffnete er sein Fenster, das auf das Meer hinausging, und beschimpfte sie mit so schmutzigen Ausdrücken, daß nicht zu begreifen war, wie sie überhaupt zu seiner Kenntnis hatten gelangen können. Sie wußte, da das Ufer hell vom Monde beschienen war, daß er sie deutlich erkennen konnte, und da sie deshalb nicht unter seinen Augen aus dem Wasser steigen wollte, blieb sie seinen Beschimpfungen eine Weile ausgesetzt, bis ihr einfiel, daß sie das Haus umschwimmen und von der Treppe her hineingelangen könnte.
Moga hatte währenddessen im Nebenzimmer fest geschlafen, was die Maielies nicht glaubte, die vielmehr die Meinung aussprach, das Mädchen sei bösen, neidischen Gemütes und hätte die Kränkung verhindern können, sie ihr aber gegönnt. Daß Zizito das Haus verlassen solle, stand nun fest, nur war noch nicht klar, wohin er gebracht und wie er versorgt werden könne. Rizzo, der gerade zu diesen Verhandlungen kam, schlug vor, man möchte ihn zu einem Bauern aufs Land geben, wo er sich mit Feldarbeit beschäftigen könne, ein Plan, den Lasko billigte und selbst schon vor Jahren erwogen hatte. Insofern bestand eine Meinungsverschiedenheit, als die Maielies wünschte, daß auch Moga entlassen und, wenn sie wollte, wieder in der Fabrik angestellt würde, Lasko hingegen es undankbar nannte, ein Mädchen, das so viele Jahre einer heikeln und traurigen Aufgabe mit Selbstaufopferung obgelegen habe, wegzuschicken. Er meinte, es ließe sich wohl eine leichte Beschäftigung im Hause für sie finden, wozu die Maielies bemerkte, sie sei vorzüglich bei dieser vermeintlich schweren Aufgabe gediehen.
Bald darauf kam Moga, um einen Auftrag zu erledigen, in das Wohnzimmer, und es fiel auf, daß die Maielies in einer Hinsicht recht hatte: sie war runder und elastischer geworden, ihre Farbe, wenn auch immer blaß, hatte einen gesunderen Ton bekommen, und ihre sammethaften Augen belebte ein verstohlenes Funkeln. Rizzo sagte lachend, nachdem sie sich entfernt hatte:
»Das ist eine gefährliche Hexe, und ich glaube, es ist Eifersucht, daß du sie nicht im Hause behalten willst.«
Nun war es für die Maielies, der es nie eingefallen war, die kränkliche Moga könne ein reizendes Weib sein, und deren eigenartige Schönheit ihr erst auffiel, nun sie darauf aufmerksam gemacht wurde, ausgemacht, daß sie bleiben solle.
Rizzo konnte sich nicht genug wundern, daß man Zizito, der jetzt etwa neunzehn Jahre alt war, unter der Obhut dieses Mädchens gelassen hatte, und äußerte zweideutige Vermutungen, die der Maielies mißfielen, und die sie unwillig abfertigte. Uebrigens war sie mit ihrem Vetter sehr zufrieden, der den alten traulichen Ton gegen sie anschlug und ihr einen Duft aus dem Kinderleben mitbrachte, das ihr, wie sie jetzt gestimmt war, wie eine ferne, verlorene Insel voll unschuldiger Glückseligkeit erschien. Wenn er sie wie einst kleine Glucke nannte, wurde ihr zu Mute, als höre sie den Anklang eines alten Liedes, das einmal etwas Liebes und Schönes für sie bedeutet habe.
»Aber wo sind denn die Küken?« fragte er, indem er sich umsah, als suche er in allen Winkeln; worauf sie mit einem Kopfschütteln und einem schwachen Lächeln antwortete.
Mehr noch als die Maielies war Lasko über das Erscheinen des alten Freundes erfreut; denn die gleichgültige Traurigkeit seiner Frau bedrückte ihn, und erhoffte, daß Rizzo ihm helfen würde, sie zu erheitern.
Rizzo hatte allerdings etwas an sich, was Verdrießlichkeit, Zweifel, Sorge, kurz jede Art von Lebensmißmut wegwischte, als wäre in seiner Nähe kein Raum dafür. In seinen blauen Augen war die Glut einer kräftigen Sonne, die des Nebels Herr wird, und von seinen Locken schien der salzige Meergeruch auszugehen, den der Wind die vielen Tage durch hineingeblasen hatte. Nur das beunruhigte Lasko, daß sich nun zeigen mußte, ob Rizzo vor Jahren bei dem Untergange seiner Geschwister zugegen oder doch in Verbindung damit gewesen war.
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Die nächsten Male, als sie sich sahen, waren andre Menschen gegenwärtig, und es verging fast eine Woche, bevor Lasko eines Abends auf der Terrasse die Frage stellen konnte, ob Rizzo damals, nachdem er Lusinara verlassen hatte, in den verlorenen Bergen gewesen sei und Surja und Dragaino kennen gelernt habe. Rizzo bejahte lebhaft und wunderte sich nur, daß er nicht zu allererst davon gesprochen hatte, was freilich ein knabenhaftes Unterfangen und nicht rühmlich für ihn, aber doch das Herrlichste gewesen sei, was er erlebt habe. »Ich will dir sagen,« sagte er zu Lasko, »daß ich Surja liebte, sowie ich sie sah, und daß ich nie ein Weib so überschwänglich begehrt habe wie sie, die ich nicht anders als mit dem Schwesternamen nennen durfte.« Vielleicht sei der Umstand, daß er die Glut im Innern habe verhehlen müssen, Ursache davon, daß er sie noch heute so jung und hingegeben fühlen könne wie vor zehn Jahren. Was sich damals zugetragen hatte, erzählte er so: »Ich fand Dragaino bei dem Bau der neuen Eisenbahnlinie beschäftigt, wo er sich durch seine Tüchtigkeit zu einer höheren Stellung aufgeschwungen hatte, als die geringe Bildung, die er besaß, erwarten ließ. Als ich sein schönes, offenes Gesicht sah, in dem die Strenge des Ausdrucks den schwellenden Jünglingsreiz der Formen fesselte, kam mir mein Vorsatz, ihn zu hintergehen, verwerflich und lächerlich vor; aber zugleich auch stachelte der Eindruck, den ich empfing, mein Verlangen, ihm nahzukommen, mein Geschick in diese unfruchtbaren Berge und zwischen diese verborgenen Menschen zu werfen und es die Kraft und den Adel ihrer nackten Einsamkeit an sich Ziehen zu lassen. So nahm ich mir vor, nicht viel zu bedenken, nicht starrköpfig eine gewisse Richtung vorzubereiten, sondern den Wind zu benutzen, wie er ginge, so daß die Fahrt herrlich würde, einerlei, wohin sie führte. Dragainos aufrichtiges Herz begünstigte meine Wünsche, denn da ich ihm sagte, ich sei Lasko, sein Bruder, kam es ihm nicht in den Sinn, mir zu mißtrauen; erst da ich selbst ihn mahnte, sich nicht zu überstürzen und wegzuwerfen, sagte er, daß er mich zu Surja führen wolle, damit sie, die sich des Bruders wohl noch entsinnen könne, entscheide, ob ich es sei. Wir machten uns, sowie die Angestellten Feierabend hatten, auf den Weg nach Morimont und besprachen unterwegs die politischen Verhältnisse, wobei unsre Meinungen auseinandergingen, indem ich sagte, es müsse einmal gehandelt werden, die Lage sei günstig, da die Regierung schwach und dazu auf allen Seiten bedroht und angegriffen sei, sich aber immer mehr herausnehmen würde, wenn man Ungerechtigkeit und Vergewaltigung sich gefallen ließe; er dagegen hielt Vorsicht und Abwarten für geboten. Da er sagte, sein Vater teile seine Ansichten, wie ich wohl wissen würde, entgegnete ich, das wisse ich und sei froh darüber; denn es wäre besser, daß die Person unsers Vaters nicht in diese Angelegenheit verwickelt würde, die den Anführern immerhin verderblich werden könnte; auch wollte ich ihm aus diesem Grunde alles, was etwa von uns unternommen würde, verschweigen. Dragaino billigte auch das nicht gänzlich, widersprach mir aber, obwohl fest, doch bescheiden, und sagte, daß, wenn ich wirklich Lasko, sein älterer Bruder, wäre, er sein Urteil dem meinigen unterwerfen und sich in seinen Handlungen nach mir richten wolle, weil mir dann naturgemäß die ausschlaggebende Stimme zukäme.
»Die Nacht war angebrochen, als wir in Morimont bei der steinernen Hütte anlangten, wo Surja allein wohnte; die niedrigen Mauern standen da wie etwas uralt Unvergängliches, von Geistern und Erinnerungen Heimgesuchtes, unter der ewigen Flucht und Wiederkehr der Wolken und Winde. Der Raum, den wir leise betraten, war durch eine Oellampe ein wenig erleuchtet, und ich unterschied einen unförmigen Herd darin; von einem bauchigen Kessel, der darüber hing, ging ein breites gelbliches Blitzen aus. Dragaino klopfte an eine Tür, rief Surja an, die schon im Bett lag, und erklärte ihr, warum wir gekommen seien, worauf sie nicht antwortete, aber aufstand und sich ankleidete; denn wir hörten, wie sie umherging und sich bewegte. Wie sie eintrat, den kleinen Kopf sanft gegen mich neigte, mich ansah und sagte: ›Bist du Lasko? Ach, du bist es nicht!‹ war mir es, als müßte ich vor ihr knien und sagen: ›Ich bin, wer du willst, ich bin der Deine.‹ Sie kam herein wie ein Ton Musik, der in Gräber dringt und die entschlafenen Seelen in das silberne Licht seiner Traumwelt zieht. In dem rauchdunkeln Raum glühten ihre großen goldbraunen Augen wie Topase: sie überglänzten einen, als wollten sie nur liebkosen, und brauchten, unerforschlich und allwissend, nicht zu beobachten. Ihr Gehen war Gleiten, ihr Sprechen wie Singen an der Wiege; nichts war laut an ihr, und sie mahnte mich an kleine nächtliche Tiere, die sich bei Tage verbergen und in der Dunkelheit so zart vorüberhuschen, daß der, den ein Blick aus ihren lichtzeugenden Augen trifft, sich vor der geisterhaften Gegenwart bekreuzigt. Auch schwebten über diesen Augen kurze dunkle Brauen wie gebrochene Schwingen heimatsuchender Vögel, und ihr Mund schien durch eine leichte Neigung nach unten zum Weinen geneigt, so daß es immer aussah, als bedrängten und quälten sie die Dinge und Angelegenheiten der Tageswelt. Aber das furchtsame Weh in ihrem blaßbraunen Angesicht verrann in Glanz und Glück, wenn sie lächelte, was oft geschah, denn ihre Lippen waren wie Wasser, das der gelindeste Anhauch kräuselt. Dann hoben sich die Wangen ein wenig gegen die Augen, so daß die Oeffnung des Lichtbrunnens verschmälert wurde und die goldene Quelle das süße Gesicht überströmte.
»In jener Nacht, als ich kam, lächelte sie nicht, sondern schwebte zwischen Angst und Wunsch und Frage, während ich sprach, um sie zu überzeugen. Ich entsprach dem Bilde, das sie von ihrem kleinen Lasko im Gedächtnis hatte, so wenig, daß ihr Staunen und Schwanken mich unsicher gemacht hätte, wenn ich nicht blind und. gewalttätig und zauberkräftig durch Leidenschaft geworden wäre. Was ich sagte, woran ich sie erinnerte, die alten Lieder und Märchen, die ich von ihr und unsrer Mutter gehört zu haben behauptete, waren nur Buchstaben und Worte; aber mein Verlangen machte lebendige Glieder und Ketten daraus, die sie mit mir verschlangen. Ich fühlte, während wir aus dem Herde saßen, Dragaino das Feuer schürte und Surja gelbe Kuchen aus Mais darüber buk, daß ihre Seelen wie schöne wilde Vögel mir näher und näher kamen, und die Hoffnung auf guten Erfolg vermehrte meine Verwegenheit, so daß ich mir mit glücklichen Einfällen durch die verfängliche Lage half. Zu dem goldgelben Gebäck reichte Surja schwarzen Wein in einer flachen Schale, aus der wir drei tranken; für mich war es ihr Blut, ein schaumlos prickelndes, berauschendes.
»Bald nach Mitternacht mußte Dragaino fortgehen, um bei Tagesanbruch die Arbeit aufnehmen zu können, und ich begleitete ihn; beim Abschied drückte ich Surjas schlanke, nachlässige Hände an mein Herz, denn jede andre Liebkosung, fürchtete ich, hätte mein brennendes Gefühl verraten.
»Von nun an behandelten Surja und Dragaino mich wie ihren Bruder, ohne noch Zweifel zu äußern, und gewannen mich lieb, obwohl wir nicht immer dieselben Neigungen und Absichten hatten. Surja wollte von Eingriffen in die öffentlichen Dinge nichts wissen, weil sie ihr überhaupt zuwider waren; sie lebte ohne Sehnsucht als eine Herrin in der Einöde und der Höhe und wollte von den Menschen und ihren Verwicklungen nicht angetastet sein. Auch Dragainos Natur war zu Menschen und Ereignissen so gestimmt, aber als Mann hatte er sich davon nicht bemeistern lassen; hingegen meinte er, daß es seinem Volke noch nicht anstünde, hervorzutreten, da es mit schmählicher Barbarei behaftet sei. Er nämlich fand es schändlich, daß in den Schluchten der Berge Räuber ihr Wesen trieben, daß viele es für überflüssig, ja lächerlich hielten, ihre Kinder zur Schule zu schicken, und infolgedessen die wenigsten lesen und schreiben konnten. Ich lachte und sagte, was er Barbarei nenne, sei vielmehr die freie, starke, unverlogene Natur, die eben unserm Volke den Titel auf die Zukunft und die Kraft zum Siege verleihe. Freilich müßten diese urwüchsigen Gewalten von der Kultur umgebildet werden; wie es aber dazu kommen sollte, wenn die eigne Sprache verfemt und abgegraben würde, die in heiligen Bildern die Geschichten vergangener Herrlichkeit vor die Seele führte, daran der Wille sich entfachte?
»Einmal kam es über diese Dinge zwischen Dragaino und mir zum Streite, der durch seinen Trotz und mein Ungestüm hätte schädlich werden können; indessen er sah mich am Ende ohne Groll mit stolzen Augen an und sagte, daß er mich nur habe beraten, nicht sich mir widersetzen wollen, und reichte mir zum Zeichen seiner brüderlichen Liebe den Mund zum Kusse. Sein Mund war mir immer wie ein Siegel der Wahrheit erschienen, ein lauterer Flammenbogen, auf dem jedes schlüpfrige oder falsche Wort hätte verbrennen müssen; indem ich ihn küßte, dachte ich, daß es auch der Mund eines Helden wäre, schweigsam, streng, kühn, unerbittlich, feurig. Er hatte noch keine Beziehungen zu Frauen gehabt und liebte nichts so wie sein Volk und Land, nicht mit eigensinniger Schwärmerei und Hitze, sondern mit einem Königsherzen, maßvoll und unbeirrbar, sicher bis in den Tod. Manchmal riß mich das Entzücken an seiner jungen Würde und Schönheit hin, so daß ich im Begriff war, mein Vorrecht an ihn abzutreten, das ihm von Gottes Gnaden gebührte, nicht mir; aber übermächtige Triebe erhoben sich in mir dagegen.
»Ich lebte frei und hoch über meinem sonstigen Leben, fühlte mich zu Gast bei Göttern und Herren, kämpfte, spielte und wettete mit den Elementen. Wir jagten auf Klippen, die wie gezückte Dolche in die Wolken starrten, Adler und Gemsen, ließen uns in Höhlen und Schachte hinunter, wo es fern von unsichtbaren Gewässern donnerte; oder wir versammelten die Unzufriedenen und Unruhigen bald auf entlegenen Höhen, bald in lichtlosen Schlupfwinkeln unter der Erde. Diese Leute stimmten mir in allen Dingen zu und vertrauten mir blind, weil ich sagte, was sie hören wollten; wenn ich ihnen die Gesänge von der Krone vortrug und die Verse sprach:
Einst wird der König sie erlösen,
Dann wird das irre Volk vereint,
Und zittern werden alle Bösen ...
fühlte ich, daß ein jeder dachte, ich wäre es, der die große Befreiung bringen würde. Ich war vielleicht der einzige, der es nicht dachte, aber das störte mich nicht. Es kam mir auf den Ausgang des Abenteuers weit weniger an als darauf, mein verlangendes Herz in seinem Feuer verdampfen zu lassen. Die Berge sollten mir die Spannkraft ihrer Lüfte, ihre titanischen Stürme geben, die Menschen ihre Kampflust, ihren Heißhunger, ihre rasenden Hoffnungen, damit ich in Lust, Schrecken und Taumel leben könnte, gleichsam ein wilder Jäger über den engen Häusern der Spießbürger. Zuweilen, wenn die erregten Männer mich umdrängten und mir feierlich verschworene Worte zuraunten, lachte mein Herz inwendig darüber, daß sie mich für ein Werkzeug ihres Schicksals hielten; denn ich sah das Schicksal wie einen kalten Sturm, der, über die Berge fahrend, Millionen Funken auslöschte und mich zu heller Lohe anbliese. Meine Qualen waren so maßlos wie meine Herrlichkeiten: die Liebe zu Surja verbrannte mich innen, weil ich ihr nicht einmal so viel Zärtlichkeit zu zeigen wagte, wie ich füglich als Bruder hätte tun dürfen, im Bewußtsein, daß, wenn ich den Zwang, den ich mir antat, nur ein wenig lüftete, meine Leidenschaft sich losreißen und alles vernichten würde. Ich sagte mir wohl, daß ich ein Ende machen und bekennen müsse, wer ich sei; glaubte sogar, daß die Zuneigung des Volkes an meiner Person und nicht an meinem Namen haftete, also mir in jedem Falle bleiben würde; aber ich mußte fürchten, Surja würde den Lügner verachten, weshalb ich die Entscheidung immer weiter wegschob und jeden Tag eine neue Lebensfackel an der erlöschenden entzündete und die erloschene rückwärts in den Abgrund warf, ohne hinter mich zu blicken.
»Ich weiß nicht, wie lange das gedauert hätte, wenn nicht das Ende unerwartet schnell durch Verrat eines Mannes, der in unsre Pläne eingeweiht war, herbeigeführt worden wäre. Es war nämlich an der Pfarrkirche des Dorfes Rosdinje, zu der auch die Hütten von Morimont gehörten, ein Pfarrer angestellt, der aus diesen Gegenden stammte, und zu dem aus diesem Grunde die Leute ein besonderes Vertrauen hatten. Er war ein schwacher, leicht erregbarer Mann, den ein weihevolles Gedicht oder eine begeisterte Rede, sei es, daß er sie selbst vortrug oder zuhörte, zu Tränen rühren und ohne Vorbehalt mit hinreißen konnte. Dadurch kam es, daß er sich an unsern Versammlungen beteiligte, selten einen Einwand machte und mit vollem Herzen einwilligte, künftig in der Landessprache zu predigen, was bis dahin verboten war, wie auch diese Neuerung vor der Behörde zu vertreten, und daß niemand an der Redlichkeit seiner Absicht zweifelte, am wenigsten er selber. Jedoch erschrak er, sowie er allein war, über die Gefahr, in die er sich begeben hatte, und verstrickte sich in die ärgste Falschheit und Tücke, da er den Mut nicht hatte, uns seine Bedenken und schließlich seinen Abfall zu gestehen, und sich hinterrücks zu sichern suchte. Indessen hatte er kaum den Statthalter auf die Bewegung in den verlorenen Bergen aufmerksam gemacht, als er es in einem schönen Augenblick, da sein Herz über die kleinlichen Befürchtungen erhoben und mit gerührtem Todesmut erfüllt wurde, einem der Unsrigen verriet, um uns zu warnen. Wir brachten in Erfahrung, daß ein höherer Offizier mit einem Trupp Soldaten in unsre Berge abgeordnet war, um die Angelegenheit zu untersuchen, und daß er Vollmacht hatte, Verhaftungen vorzunehmen. Es war keine Frage, daß dies Los zunächst Dragaino und mich treffen würde, und wir berieten schleunig, wie wir uns der drohenden Gefahr gegenüber verhalten sollten. Dragaino wollte bleiben, um für das einzustehen, was er unternommen hatte, während ich nicht geneigt war, Verhör und Strafe, etwa eine langwierige Gefangenschaft, auf mich zu nehmen.
»Es war Sonntag, und der verräterische Pfarrer predigte zitternd und weinend in der Kirche von Rosdinje vor einigen ahnungslosen Frauen, als Dragaino und ich in Lastaris Hütte saßen und ratschlagten. Ich legte den Arm um seine Schultern und sprach inständig, um ihm meinen Willen aufzuzwingen: ich sagte, daß er nicht wisse, wie es unter Beamten und Behörden zugehe, wie man uns quälen würde, ohne daß einem von den Unsrigen oder unsrer Sache damit geholfen wäre, daß wahrscheinlich überhaupt auf keinen außer uns gefahndet würde, und daß in jedem Falle unser Los keinen Einfluß auf das irgend eines andern haben würde; schließlich daß wir uns nur eine Zeitlang zu verbergen brauchten und, wenn die Wasser sich verlaufen hätten, zurückkehren könnten, um entweder unser Werk von neuem aufzunehmen oder doch denen, die auf uns vertraut hätten, zum Schutze zu dienen. Mit dem allem erreichte ich nur, daß seine Augen immer stolzer und staunender auf mich blickten; erst als ich ihm zu erwägen gab, daß man uns, wenn unsre Abkunft bekannt würde, zwar vielleicht nicht töten, aber gewiß auf irgend eine Weise unschädlich machen würde, sei es durch Verbannung oder Einkerkerung, daß wir die letzten unsers Geschlechts wären und die Krone ohne uns herrenlos untergehen müsse, neigte er sich meiner Auffassung zu und gab mir nach. Behielt er sich auch vor, in die Berge zurückzukehren, wollte er doch zunächst Surja und die Krone in Sicherheit bringen, ja er zeigte sich nun ungeduldig zu handeln, da die Häscher jeden Augenblick erscheinen und Hand an uns legen konnten. Ich schlug ihm vor, er solle vorangehen und ein Boot beschaffen, das er an einer gewissen Stelle der Küste, die uns beiden bekannt war, und wo es einen geeigneten Schlupfwinkel gab, verbergen könne, bis ich mit Surja käme, der ich, sowie sie aus der Kirche zurückkäme, erklären wollte, was geschehen und was notwendig zu tun sei. Dann, so war der Plan, wollten wir zu einem unzugänglichen Felseneiland, im Volke die Pirateninsel genannt, flüchten, das kaum ein Mensch vor uns betreten haben mochte, dort die Krone verbergen und über Nacht weiterfahren, was aber noch offen gelassen wurde. Gleich darauf sah ich ihn in die Höhle hinter dem Hause hineingehen, zurückkehren und eilig, mir noch mit den Augen winkend, den schmalen Pfad bergab springen; es wurde mir leichter, als er meinen Blicken verschwunden war, denn mir hing das Leben daran, mit Surja allein zu sein.
»Nun ein von mir unabhängiges Ereignis in den Gang meines Abenteuers eingegriffen und es von der Vergangenheit abgerissen hatte, wußte ich, was werden sollte: Surja mußte mir als meine Frau in mein Vaterhaus folgen, das auch für Dragaino eine Freistatt war; denn dorthin würde niemand uns nachspüren. Ich zweifelte, ob sie mich liebte, aber nicht daran, daß die Uebermacht meines Gefühls sie zwingen würde, es zu tun, wenn ich es einmal vor ihr entfesselt hätte. Noch schwankte ich, ob das in diesem Augenblick geschehen könnte, als sie sichtbar wurde; von weitem sah ich sie über die weißgrauen Steine kommen, die unter ihren gleitenden Füßen zu beben schienen wie mein Herz. Sie trug ein Tuch von gelber Seide turbanartig um den Kopf geschlungen, und Stränge gelber Perlen hingen in Büscheln von ihren Schläfen an den Wangen herunter bis an den Hals; das matte Gold ihres Angesichts glühte. Meine Kniee zitterten, als ich ihr entgegenging, und anstatt sie mit Vorsicht und Schonung vorzubereiten, warf ich die Tatsache, daß wir verraten wären und fliehen müßten, hart vor sie hin. Trotzdem erschrak sie nicht allzusehr; aber sie nahm nicht an, was ich ihr sagte, sondern beharrte darauf, ihr Haus nicht verlassen zu wollen. Da ich ihr vorhielt, daß Dragaino uns erwarte, und wie verderblich ihr Zögern für uns werden könne, bat sie mich, ich möchte sie augenblicklich verlassen und für meine Sicherheit sorgen, für sie könne ich außer Angst sein, denn niemand werde ihr, einem Mädchen, etwas zuleide tun. Mir stellte sich mit einem Male vor, daß ich sie verlieren könnte, und der Gedanke daran erhitzte meine Leidenschaft zu besinnungslosem Rasen: wenn sie es nicht anders haben wolle, sagte ich, würde ich sie gewaltsam auf meinen Armen forttragen; ich sei nicht ihr Bruder, sondern ein Mann, der sie liebe und zwischen Himmel und Erde nichts wolle, als sie besitzen. Ich sah in ihren Augen, daß diese ungeheure Eröffnung ihre Seele mit Todesschmerz getroffen hatte, warf mich vor ihr auf die Erde, faßte mit beiden Händen ihr Kleid und flehte sie an, mich nicht zu verwerfen, mir anzugehören, mich hoffen zu lassen; aber sie beachtete meine Worte nicht, als wären es Steine, die vor ihre Füße fielen, und rang mit ihrem dunklen Weh über meiner in den Staub gekrümmten Verzweiflung und Liebe. Außer stande, den Anblick ihres Jammers länger zu ertragen, riß ich einen Dolch aus meiner Tasche und schob ihn in ihre Hand, indem ich sie bat, wenn sie mir zürne und mich nicht lieben könne, mich zu töten; allein sie rührte die Hand nicht, und indem sie leise den Kopf schüttelte, sagte sie: ›Ich vergebe dir.‹ Ich las weder Haß noch Verachtung in ihren Mienen, aber zugleich empfand ich, daß keine Träne, keine Beschwörung sie mir gewinnen könnte, selbst wenn sie mich geliebt hätte; so riß ich mich gewaltsam vom Boden auf und stürzte fort.
»Es sauste in meinen Ohren und in meinen Augen Blut, als ich an der Stelle ankam, wo Dragaino mich erwartete, dem ich, gleichgültig vor Verzweiflung, ohne Scham, die Wahrheit über mich ins Gesicht sagte; wenn er einen Versuch gemacht hätte, mich zu töten, würde ich mich nicht widersetzt haben. Vielleicht war es seine erste Regung, Rache an mir zu nehmen, denn es fuhr ein schreckliches Zucken über sein schönes Gesicht, und sein Arm schien eine Waffe zu suchen; aber wenn es so war, ging es augenblicklich vorüber. In seine Augen traten zornige Tränen, und indem er das Wort Verräter hervorstieß, bäumte sich sein Mund wie eine Schlange, die der Hieb eines Stabes oder einer Peitsche getroffen hat. Wie er so schmerzlich entrüstet vor mir stand, fühlte mein Herz wieder; ich sagte, daß ich kein gemeiner Verräter sei, daß ich nicht aus unedlen Gründen zum Lügner geworden sei, er möge in Geduld meine Erklärungen erwarten, meine Liebe zu ihm sei niemals falsch gewesen. Dringend bat ich ihn, sich nicht von mir zu trennen, mir in meine Heimat zu folgen, oder aber sich meine Begleitung gefallen zu lassen, wohin es ihm beliebe. Während ich so, mit ungehemmter Wärme mich hingebend, sprach, zog die Seele in seinen Augen sich weiter und weiter von mir zurück, und es war, obgleich sich keiner von uns vom Flecke rührte, als bilde sich ein endloser Raum zwischen uns, den kein Blick oder Wort von mir durchdringen könnte.
»Mir war zumute, als läge ich zertreten und zerbrochen, den Mund zum Ersticken voll Schmutz und Staub, am Boden; aber eben dies Gefühl elendester Erniedrigung rettete mich, indem alles, was Leben in mir wollte, sich dagegen erhob. Ich wollte mich nicht in einem schönen, tollen Abenteuer verloren haben, ich wollte nicht an Frauenliebe verbluten. Mein Wille richtete sich ganz auf Freiheit und Leben, und wenn ich sie gewänne, dachte ich, sollte es mir ein Zeichen sein, daß ich ihrer wert wäre. Ich rief Dragaino zu, er möge das Boot benutzen und eilig entfliehen, und verließ ihn, mich immer nahe der Küste haltend, in der Hoffnung, eine gute Fahrgelegenheit zu finden. Die Sorge zu entkommen kräftigte meine Stimmung; ich schlug mich durch das Gestrüpp, da ich die Wege vermeiden wollte, begegnete niemand und erreichte, als es schon dunkel wurde, eine kleine Ortschaft, wo ein Dampfer anhielt, den ich zu benutzen wagte. Unterdessen müssen Leute, die uns suchten, auf das kleine Schiff aufmerksam geworden sein, in dem Dragaino fuhr, der, als er sah, daß er seinen Verfolgern nicht entrinnen konnte, sich mit der Krone ins Meer stürzte.«
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Rizzo hatte die Geschichte erzählt, ohne die zweideutige Rolle, die er darin spielte, zu bemänteln, teils weil er dazu zu offen, teils weil er zu stolz und zu gleichgültig war, um Schwächen oder begangene Fehler zu verschweigen, geschweige denn sich ihrer zu schämen. Anfänglich hatte ihn die Erinnerung untergegangener Leidenschaften und Schmerzen bewegt, zuletzt aber überwog das Hochgefühl, daß er unverletzt im Leben stand, während jene der Unterwelt angehörten, und ohne sie geringer als sich zu schätzen, freute er sich doch der Sonne, mit der es allmächtigen Händen gefallen hatte, ihn zu krönen. Ja, wie ein edler Sieger den Feind, der gefallen vor ihm im Staube liegt, bewundert und beklagt, verweilte er mit Liebe bei dem Gedächtnis der Geschwister und konnte sich nicht ersättigen, ihren wilden, einsamen Liebreiz auszumalen. An beiden sei die Ähnlichkeit mit Lasko ausgefallen, sagte er, besonders an Surja; Dragainos Züge seien mäßiger, harmonischer und energischer gewesen. Er hätte schönere Mädchen als Surja viele gesehen, aber keine so unvergeßliche; jahrelang hätte das Gefühl ihres Wesens ihn süß und unheimlich durch die Wildnis begleitet. »Oft,« sagte er, »wenn ich des Nachts zwischen den breiten Hügeln der Wüste lag und den lautlosen Umschwung der Riesensterne beobachtete, während die Beduinen und Kamele um mich her schliefen, kam sie von weither als ein schwarzer Schwan durch die kühle blaue Luft, tönend wie Kristall, und senkte sich totbringend wie ein großes, weiches Tuch auf mich herab. Oder an heißen Tagen, wenn ich betäubt und verschmachtet auf schattenlosen Sandwegen ritt, kam sie als eine bunte, spiegelglatte Schlange, bannte mein Tier mit der Zauberei des Blicks und streckte, an seinem schaudernden Halse sich aufringelnd, ihr dreieckiges Paradieseshaupt nach mir.«
Die Maielies fragte schüchtern, ob er nie eine andre nach ihr geliebt habe, worauf Rizzo lachend antwortete: »Zahllos und in allen Farben, schwarze, weiße, braune und gelbe! Aber ich besinne mich nicht einmal auf ihre Namen, vielleicht weil ich sie nie gewußt habe.« Sie warf ihm einen unwilligen Blick zu, mußte aber lachen, als sie sah, wie arglos vergnügt er sich dieser scheckigen Abenteuer erinnerte. Erst als er bemerkte, daß Lasko in düstere Gedanken versunken dasaß, wurde er ernster. In der durchsichtigen blauen Dunkelheit der Nacht unterschied er die reizend willkürlichen Linien des Gesichtes, das ihn an Surja mahnte: die breite, hoheitvolle Stirn, den fein erregsamen Bogen der Nase über dem kindlich süßen Kinn und Munde. Er sprang auf, fuhr mit der braunen Hand durch seine Locken und sagte zu Lasko, indem er schnell auf ihn zutrat: »Du denkst, daß ich es bin, der den Tod deiner Geschwister verursacht habe.« -- »Hast du es nie gedacht?« fragte Lasko nach kurzem Schweigen; worauf Rizzo einige Male mit großen Schritten über die breite Terrasse ging, dann neben Lasko stehen blieb und ruhig antwortete: »Nein, nie. Als ich, etwa ein Jahr nachdem es geschehen war, die Nachricht ihres Todes erhielt, empfand ich Trauer, aber keine Reue. Ich hatte niemals Böses gegen sie im Sinne, vielmehr liebte ich sie von Herzen und würde heute noch mit Teufeln und Kannibalen um sie kämpfen, wenn ich sie dadurch lebendig machen könnte. Um Leben, vielleicht sogar das gleichgültiger oder unbekannter Menschen, könnte ich das Leben wagen, aber ich müßte mich einen Narren schelten, wenn ich um der alten Krone willen Freiheit oder Leben preisgegeben hätte.«
»So darf der denken, der nicht der echte König war,« sagte Lasko, mit der Absicht zu verletzen; allein Rizzo nahm es nicht als Kränkung, sondern sagte gutmütig abwägend: »Zum Königtum gehört wohl mancher Aberglaube, der mir, wie dir, nichts bedeutet.« Hierauf sprachen sie nicht mehr und beobachteten ein Schiff mit breitem, viereckigem Segel, dessen undeutlicher Umriß in der Ferne zu sehen war, und das bald verschwunden schien, bald an der nämlichen Stelle wieder sichtbar wurde; dann hörte man das lange, heulende Pfeifen eines großen Dampfers, sein Schaufeln und Rauschen, wie er näher kam, und immer leiser werdendes Rieseln des Wassers über seine Spur hin. Die Maielies, die sich dicht an die Brüstung neben Lasko gesetzt hatte, sagte mit Tränen in den Augen: »Ihr sollt euch nicht gegeneinander erbittern wegen Surja und Dragaino, die glücklicher sind als wir. Sie hatten große, stetige Herzen und kannten gewiß die kleinen Aengste und Nöte nicht, mit denen wir uns die langen Tage plagen. Ich möchte lieber einen Tag aus ihrem Leben, voll und satt, als viele von den zerpflückten aus unserm. Sie kommen mir vor wie Unsterbliche, auf dem goldnen Rauch von Feuern schreitende, die wir unwissenden Menschen zu ihrem Gedächtnis nähren.« Lasko hatte nicht geglaubt, daß sie so empfinden könnte, und in aufquellender Liebe und Dankbarkeit nahm er ihre leichte Hand, die auf seinem Arm lag, und drückte mit einer Bewegung verstohlener Leidenschaft seinen Mund darauf.
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Wenn andre zugegen waren, erzählte Rizzo nicht von Surja und Dragaino, sondern von seinen Erlebnissen in Afrika, so fesselnd, daß nicht nur Rizzos Eltern und Olivia, sondern sogar Herr Beatus aufmerksam und mit Bewunderung für den glücklichen Abenteurer zuhörten. Anfangs hatte er sich dadurch ernährt, daß er den Negern farbige Perlen und Bänder, die er mitgenommen hatte, verhandelte, bald aber kam er auf den Gedanken, einen Handel mit Elfenbein und Straußenfedern einzurichten, und verschaffte sich diese Erzeugnisse teils durch Tausch von den Schwarzen, besonders aber durch Jagd. Er erzählte von dem unendlichen Hügelmeer der Sandebene, die abends rotbraun glühte, von den Horden der Elefanten in der Ferne, die wie ein fernes Wolkengebirge am Horizont vorüberrückten, von der betörenden Einsamkeit der Wüste; dann von dem Schrecken, wenn man, abgetrennt von der Karawane, in der unabsehbaren Fläche ohne Pfad, Spur und Zeichen allein sei, von den Qualen des Durstes und Fiebergesichten und dem recht- und gnadenlosen Kampfe gegen den unsichtbar schleichenden, allgegenwärtigen Tod. Allmählich hatten ihm seine Kenntnis des Gebietes und der Eingeborenen solchen Ruf gemacht, daß die Gesellschaften verschiedener Länder sich um ihn bewarben, wenn es galt, Kolonien zu begründen oder Forschungsreisen zu unternehmen. Heimweh befiel ihn selten, dann aber, besonders nach seiner Mutter, so stark, daß er sich in Krämpfen von Sehnsucht schüttelte und in Tränen badete; war es vorüber, so fühlte er sich doppelt froh und rüstig und dachte nicht daran, die Seinigen durch Besuche oder Nachrichten über seine Abwesenheit zu trösten. Briefe schrieb er nur kurze und kaum mehr als einmal im Jahre. Viel sprach er von seinen feindlichen und freundlichen Beziehungen zu den wilden Völkerstämmen und rühmte den verführerischen Schmelz der braunen Leiber von Kindern und Mädchen. Er schilderte besonders lebhaft eine junge Frau, die einem bronzenen Bilde geglichen habe und so makellos vollendet gewesen sei, daß er immer habe denken müssen, so habe Eva, das Weib aus Gottes Hand, ausgesehen, als sie sich aus dem Traume der Natur aufrichtete und zum ersten Male das goldne Himmelslicht über sich fluten sah. Von diesem Mädchen, ihren stillen, guten Antilopenaugen und ihrer sicheren Hingebung sprach er, wie es der Maielies schien, mit ebenso freimütiger Begeisterung wie von Surja, was sie befremdete, ihr aber zugleich gefiel. Ueberhaupt entrüstete sie sich zuweilen über die Rücksichtslosigkeiten, ja frechen Unbedenklichkeiten, mit denen er, wenn sein Wille entzündet war, über Hindernisse wegfuhr, nicht ohne im stillen wohlgefällig zu denken, sie möchte in seiner Lage ebenso gehandelt haben.
An Rizzos häufigen Besuchen und der Art, wie er sich glücklich bei ihr gehen ließ, merkte sie, daß sie ihm lieb war, auch sprach er es in vielen Worten vor ihr allein und öffentlich aus, daß er sie bewundere. Nie hätte er früher geglaubt, sagte er, daß sie so werden könne; für ein braves, ehrliches Kind habe er sie gehalten, das einmal eine gute Ehefrau und tüchtige Hausfrau werden könne, nun aber sähe er ein, wie groß ihr Sinn sei, wie frei ihr Blick, wie unerschöpflich kräftig ihr Herz, und daß sie nicht nur zu einer Königin des Herzens bestimmt sei, sondern Menschen zu erziehen und zu regieren. Sie fühlte sich durch sein Vertrauen gesunden, und es wurde ihr gewiß, daß sie nicht an Schwäche kranke, sondern an den erstickenden Leiden nicht angewandter Kräfte. Infolgedessen liebte sie es, sich auszumalen, daß sie wie Rizzo auf Abenteuer in fremde, unerforschte Länder ausziehe, und ließ sich froh wie ein Kind von ihm bestätigen, daß sie stark, mutig und ausdauernd genug dazu wäre. Ihm schien es durchaus nicht unmöglich, daß etwas derartiges unternommen würde; sogar nützlich, eigentlich notwendig, meinte er, wäre für Lasko und sie ein Wechsel ihres eintönigen, schwunglosen Lebens. Ueber Lasko, der solche Pläne nicht ernst nehmen wollte, wurde gelacht, wie es ihnen überhaupt Spaß machte, ihn als Krämer und knauserigen Geldsack zu necken, wobei niemand sich erinnerte, mit wie viel Mühe ihre Eltern den armen Verschwender zur Sparsamkeit erzogen hatten.
Die Maielies wurde so schön, wie sie nie gewesen war: eine hundertblättrige Rose, schwankend von Tau, in der Aetherhülle ihres edlen Duftes schwebend und ruhend.
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Nachdem Rizzo einige Wochen da war, erwartete die Maielies ihren Mann eines Tages gegen Abend, als er aus der Fabrik kommen sollte, auf einer von den steinernen Bänken zwischen den Cypressen, was sie seit der Zeit, wo sie Brautleute waren, nur selten getan hatte. Sie bat ihn, sich zur ihr zu setzen, und sah ihn scheu mit einem liebevollen Blick an; »ich weiß nicht, wie ich anfangen soll,« sagte sie nach einer Weile leise, da er auf irgend eine Mitteilung von ihr wartete. »Du willst mir sagen, daß du dich in Rizzo verliebt hast,« sagt er mit einem väterlichen Ausdruck in seinem zarten Gesicht; denn die Erbitterung, die sich während der letzten Tage in ihm angesammelt hatte, verschwand mit einem Male vor der zaghaften Lieblichkeit, mit der sie bei ihm Zuflucht suchte. Sie war dankbar, daß er ihr das Geständnis erleichterte und rief lebhaft: »Es ist nicht so, ich fürchte mich nur davor, daß es so kommen könnte.« Lasko schüttelte den Kopf und sagte, es sei so, sie möge es leugnen oder vielleicht selbst nicht wissen, er habe es von Anfang an kommen sehen- und sich bereits damit abgefunden. Schmerz und Zorn, daß sie ihm dies antat, übermannten ihn indessen wieder während des Sprechens, so daß er mit wachsender Heftigkeit die bittersten Worte wählte, um ihr wehzutun. Er hätte sich damit abgefunden, und die Sache sei im Grunde der Rede nicht wert, Ehebruch sei an der Tagesordnung, treue Frauen gebe es nicht, ihnen sei Wechsel Bedürfnis, und besonders wären ihnen Männer wie Rizzo gefährlich, die sie wie Tabakskraut genössen und ausspuckten; geachtet und geschont wollten sie nicht sein, sondern vergewaltigt und in den Staub getreten. Er und sie wären sich eigentlich immer fremd geblieben, seinen Vater habe sie sogar gehaßt, Rizzo dagegen gehöre zu ihrer Familie, da fühle sie sich behaglich, da sei jeder mit sich zufrieden. Sie sah ihn traurig unter Tränen an: »So solltest du nicht zu mir sprechen,« sagte sie ernst, »da ich hilfesuchend zu dir komme.« Lasko lachte höhnisch auf und entgegnete: »Was möchtest du hören? Soll ich sagen: ›Armes Kind, es ist nicht deine Schuld, geh hin und sei glücklich, Gottes Segen über euch!‹« Aber die eifersüchtige Hitze, die ihn überfallen hatte, war bereits im Verfliegen, und Mitleid mit der Süßen, deren Frühlingsatem ihn so lange zärtlich umgeben hatte, begann jede andre Empfindung in ihm zu verdrängen. Während er im schrägen Abendsonnenlicht auf dem rötlichen Kies mit ihr auf und ab ging, sagte er begütigend, er wisse wohl, daß sie ohne Falsch sei, ein unschuldiges, liebendes Kind. Sie habe ihn wie einen Kranken mütterlich erbarmend geliebt und sein rasendes Herz an ihrem guten zur Ruhe kommen lassen wollen. Wenn sie dessen nun müde sei, zürne er ihr nicht, nur halte er dafür, sie befinde sich in einem Irrtum, wenn sie glaube, mit Rizzo ihr Glück zu finden. Leidenschaft mache nicht glücklich, außer auf Stunden, denen Schmerz und Ekel nachfolge. Er habe als Kind schon, wenn ihm eine grausame Strafe bevorgestanden hätte, sich gesagt, Furcht wäre töricht, da auch das ärgste, nachdem eine Minute darüber hingegangen, nichts mehr als ein unkörperliches Bild sei, das man herbeirufen oder verjagen könne. Ob es nicht lächerlich wäre, wenn kleine Kinder zeterten, um eine Schere zu bekommen, mit der sie sich allenfalls schmerzhaft verletzen könnten? Aber Erwachsene machten es nicht anders, die den Frieden ihrer Seele, vielleicht gar ihr Leben einem Menschen zum Opfer brächten, der, mit dem Auge der Wahrheit gesehen, nichts andres wäre als ein Totenkopf und Gerippe, auf eine kurze Frist mit Fleisch und Bein und Beweglichkeit ausgestattet.
Die Sonne war vollends untergegangen, und in dem weißen, kühlen Schein, der ihr nachglitt, standen die Cypressen in freier Erhabenheit. Die Maielies wurde unter Laskos Reden allmählich ruhig, obschon durchaus nicht in dem Sinne, wie er meinte, sondern weil die Art, wie sein Wesen sich äußerte, ihr Herz in seiner neuen Liebe immer gewisser machte. Sie glaubte nie so klar empfunden zu haben, daß die Heimat seiner Seele nicht ihre Heimat sei, und daß sie darum die Sprache seiner Seele nie ganz hatte verstehen können, trotz des Reizes, den sie durch ihre Fremdartigkeit auf sie ausübte. Endlich hatte Rizzo ihrer befangenen Seele die Zunge gelöst, so daß sie die Welt in ihrer Sprache benennen und von ihr Besitz ergreifen konnte. Noch fühlte sie sich ihrer eignen Sprache nicht mächtig, aber sicher war ihr, daß sie nein zu allem, was ihr Lasko vorsprach, sagte, und über seine Worte weg sah sie eine himmelhohe Flamme, die ihr das Leben bedeutete, und deren Glut mit dem Strahl ihres Wesens zu nähren ihr höchste Bestimmung und Seligkeit der echten Kinder der Natur zu sein schien.
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An jenem Abend, während Rizzo von seinen Erlebnissen mit Surja und Dragaino erzählte, die Schönheit der Toten gleichsam von sich ausstrahlend, hatte Lasko ein schrecklicher Drang der Rache gepeinigt, den er mit Anstrengung unterdrückt hatte. Später war kein solches Gefühl wiedergekommen, vielmehr sagte er sich, daß Rizzo seinen Geschwistern gegenüber weit weniger schuldvoll sei als er selbst, und sein Haß kehrte sich ingrimmig gegen sich, wie oft zuvor. Er konnte nicht umhin, an Rizzos elastischem und unbekümmertem Wesen Gefallen zu finden, was auch dann nicht nachließ, als er sah, wie stark und bedenklich sich das Freundschaftsgefühl zwischen ihm und seiner Frau entwickelte. Auf sie war er böse, ja ihr seliger Uebermut, der seine Quelle in einem andern hatte, empörte ihn oft so sehr, daß er sie hätte von sich stoßen, für immer aus seinen Augen schaffen mögen. Nachdem sie ihm gesagt hatte, was in ihr vorging, war das vorbei; eine Ruhe kam über ihn, als liebe er sie nicht mehr, und er empfand den Gedanken wie eine Erleichterung, daß alles kommen werde wie es müsse und ihn nichts mehr angehe. Ja, die Maielies war eine Fremde, die das Haus in den verlorenen Bergen, wo seine Kinderträume angingen, nicht kannte, nie die Krone der Alten gesehen hatte, nicht um die untergegangene trauerte. Schwer fiel es ihm aufs Herz, daß er um ihretwillen den Vater verlassen, tausendmal die Angst um ihn und die Sehnsucht nach ihm schweigend verleugnet hatte. Bereits hatte er ein ansehnliches Bauerngut herausgefunden, wo Zizito untergebracht werden und unter der Aufsicht eines alten Bauern leben sollte, und er dachte nun daran, das schöngelegene Haus, zu dem Weinberge, Wiesen, Aecker und ein baumreicher Garten gehörten, zu erwerben und seinen Vater zu überreden, daß er es bezöge und sich dort in Behagen, so viel er möge, der Landwirtschaft widme. Der Bauer, den der Besitz übermäßig belastete, war geneigt, ihn zu veräußern, aber im Hause zu bleiben und dem neuen Herrn bei der Arbeit an die Hand zu gehen.
Lastari war inzwischen in solche Bedrängnis geraten, daß er ohne die kleinen Zuschüsse, die er von Zeit zu Zeit von Lasko empfing, nicht das Notwendigste hätte bestreiten können, dennoch fürchtete dieser, er würde in seinem starrsinnigen Hochmut nicht zugestehen wollen, daß das Unternehmen, an dem er sich beteiligt hatte, verloren sei, und deshalb auf seines Sohnes Vorschläge nicht eingehen. Da von brieflichen Auseinandersetzungen nichts zu erwarten war, beschloß Lasko ihn aufzusuchen, ihm seinen Plan klarzulegen, und wenn es gelänge, ihn dafür zu gewinnen, ihn sogleich selbst nach dem Bauerngute zu führen und den Kauf zu verwirklichen. Er wartete, ob die Maielies ihm ihre Begleitung anböte, da sie es aber nicht tat, stellte er sich, als dächte er nicht daran. Ihr war bange zu Mute, daß sie jetzt allein bleiben sollte, und zugleich spürte sie das Wehen des Schicksals darin, das sie führen werde, wohin es gut sei. Am letzten Tage vor seiner Abreise war er ihrem Herzen wieder so nah, daß die neue Leidenschaft dagegen zurücktrat; sie hielt sich so viel sie konnte in seiner Nähe auf, erwies ihm leise, scheue Zärtlichkeiten und fragte, ob er sie mitnehmen wolle. »Wozu?« sagte er kurz, »es würde kein Vergnügen für dich sein;« und obwohl sie fühlte, daß er zu stolz war, um ja zu sagen, und daß sie ihn beglücken könnte, wenn sie darauf bestände, gewann sie es ihrem schwankenden Herzen doch nicht ab. Gegen Abend kam Rizzo, aß mit ihnen und machte den Vorschlag, nun, da es kühl geworden sei, im Kahn auf das Meer hinaus zu fahren. Lasko sagte, er müsse seinen Koffer packen, sie möchten ohne ihn gehen, worauf die Maielies sich erbot, ihm zu helfen, und erst dann abließ, als er ernstlich erklärte, sie würde ihn nur stören, er besorge das am besten und am schnellsten allein, auch habe er noch zu schreiben.
So gingen Rizzo und die Maielies in den Garten hinunter und begaben sich in das Boothäuschen. Am Himmel standen Wetterwolken, und es war unsicher, ob ein breiter, warmer Wind, der sich aufmachte, das Gewitter bringen oder vertreiben würde. Die Maielies meinte, es sei besser, nicht hinauszurudern.
»Fürchtest du dich?« fragte Rizzo.
Sie sah ihn schweigend an und folgte ihm die eisernen Stufen hinunter, von denen er in den hängenden Kahn sprang, um ihn von der Kette zu lösen. »Komm,« sagte er, indem er ihr die Hand reichte, damit sie zu ihm einstiege. Sie standen dicht beieinander in dem bewegten Schiff, ohne sich loszulassen, vielmehr drängte etwas Gewaltiges sie dichter zueinander; mit einem leisen Aufschluchzen schlangen sie die Arme umeinander und küßten sich, die Augen schließend. Sie blieben lange in dieser Stellung stehen, als ob die bezauberte Minute vorübergehen würde, wenn sie sich losließen. Mehrere Male ließen sie sich ein wenig, um sich sogleich wieder desto fester zu fassen, erst das stärkere Schaukeln des Bootes bewog sie, sich hinzusetzen, aber ohne die Umarmung zu lösen. Der Wind blies in Stößen über das Wasser, und von draußen drang die Bewegung in das kleine Schiffshaus, wo das eingeengte Meer glucksend an den Mauern hinaufschlug. Es war so dunkel, daß Rizzo und die Maielies wenig mehr voneinander wahrnehmen konnten als den Glanz ihrer Augen, die sich ansahen.
»Nun sterben!« sagte die Maielies.
»Sterben?« wiederholte er; »der Tod selber könnte mich nicht töten, nun du mich liebst.«
Das wilde Klopfen ihrer Herzen und das Klatschen der schwarzen, leckenden Meeresgüsse schien ihnen die zeitlosen Pulsschläge der Ewigkeit zu begleiten. Sie wußten nicht mehr von gestern und morgen, sie hätten sich nicht gewundert, wenn bei ihrer Rückkehr das alte, feste Haus verschwunden und Meer da wäre, wo vergessene Menschen schicksallose Tage gelebt hatten. Ein schwacher Blitz und ein murmelndes Donnern schreckte sie auf; wie sie aus dem Bootshause ins Freie getreten waren, sahen sie sich noch einmal an und trennten sich schweigend.
Sie wären wieder umgekehrt, sagte die Maielies zu Lasko, als sie in das Zimmer trat, weil ein Gewitter im Anzuge wäre, und Rizzo wäre sofort nach Hause gegangen, um später nicht in den Regen zu kommen, der vermutlich losbrechen würde. Sie sah ihn groß an, da er am Schreibtisch saß, ohne zu schreiben, und die Koffer geschlossen dastanden. »Warum bist du nicht auch in den Garten gekommen?« fragte sie. Sie sprach wie im Traume redend, rasch und ohne die Worte zu suchen, aber der Klang ihrer Stimme schien ihr unendlich entfernt zu sein. Lasko brachte irgend eine Ausrede vor; er litt, obwohl er nicht ahnte, was vorgefallen war, und fürchtete mehr als sie, daß das Grausame, was da war oder kommen müsse, jetzt zwischen ihnen auftauchte und Wort würde. Er stand auf und sagte, er wolle gleich jetzt Abschied von ihr nehmen und sich hinlegen, da er morgen zu sehr früher Stunde fort müsse, wo sie noch zu schlafen pflege, und es sei zwecklos, sie zu wecken, da er ja in wenigen Tagen wiederkäme. »Vergiß Lasko nicht,« sagte er mit herzlich anmutigem Lächeln, dem nicht anzusehen war, was es ihn kostete. Seine Worte verursachten ihr ein leises Weh, aber nur undeutlich die Seele streifend, denn ihr Sinn erreichte sie kaum. Sie ging noch eine Weile mit lautlosen Schritten umher, um dies und das im Hause zu ordnen, und stand dann lange am offenen Fenster und sah mit großen Augen in die zuckende Nacht.
*
Am folgenden Tage, als Lasko fort war, sahen sich Rizzo und die Maielies wieder und sprachen miteinander, nicht von ihrem hoffnungslosen Schicksal, sondern wie zwei junge Liebende, die mit den goldnen Würfeln ihres Glückes spielen. Er kniete zu ihren Füßen und sagte kosende Worte, während er zu ihr aufsah: Engel, Schwester, Freundin. Sie lächelte still und lächelte auch, wenn Tränen aus ihren Augen rannen.
»Was fehlt dir?« fragte er ängstlich.
Sie schüttelte den Kopf und beugte sich vor, daß die Tränen auf seine Locken flossen. »Es ist Glück, nur Glück,« sagte sie. Dann sprach er von der Wildheit und Zufälligkeit in seinem harten Leben, und wie reich und groß es hätte werden können, wenn sie von Anfang an an seiner Seite gewesen wäre; sie würden jetzt schon eine Reihe von Kindern haben, unbändige, liebliche, die halb noch an ihren Händen hingen, halb schon ins Leben hinausdrängten. »Ein Haus voll Kinder und Lärm und Lachen,« sagte sie, »das wäre, was ich liebte und was mir zukäme.« Plötzlich, da ihr ein Einfall kam, nahm sie seinen Kopf in beide Hände und sah ihm strahlend ins Gesicht. »Wenn du ein Kind hättest und es mir gäbest!« rief sie und fügte zögernd hinzu: »Du hast ja so viele Frauen gehabt.«
»Würdest du es lieb haben? Wärest du nicht eifersüchtig?« fragte er, indem er ihre beiden Hände küßte.
Sie dachte nach und sagte träumerisch und lächelnd: »Nein, das wäre ich nicht. Wenn ich nur das Kind hätte, wäre ich zufrieden.«
Indem er hingerissen zu ihr aufblickte, sagte er leise: »Wenn es nicht meins und deins ist, will ich keins.«
Die Maielies schwieg, und ihre Gedanken wanderten, weil ihr auf einmal Divo in den Sinn gekommen war und längstvergangene Zeit. Wolken flogen über ihre Seele und warfen verdunkelnde Schatten, aber das blühende Gefilde, auf das sie fielen, leuchtete desto tiefer.
Rizzo war jetzt täglich stundenlang, sowohl des Morgens wie des Abends, bei ihr; doch kam nach einigen Tagen Frau Olivia zur Maielies, um ihr zu sagen, so zahlreiche Besuche eines jungen Mannes, wenn es auch ein naher Anverwandter sei, während der Abwesenheit des Gatten zu empfangen, schicke sich nicht, und das müsse aufhören. Sie saß fett und rot in einem Sessel und erzählte keuchend, sie selbst denke freier und milder in solchen Dingen, Herr Beatus aber sei ein Mann von der alten Richtung und wolle alles nach der herkömmlichen Ordnung haben; er habe ihr aufgetragen, dafür zu sorgen, daß die Maielies sich betrage, wie es einer Bürgersfrau gezieme, und habe die Sache in ihre Hände gelegt, weil es ein Ding sei, das am besten zwischen Mutter und Tochter bliebe. Die Maielies sagte ruhig, während ihr Herz zitterte, sie wolle gern auf ihres Vaters Wünsche Rücksicht nehmen, übrigens aber glaube sie, daß ihr und ihrem Manne das Recht zustehe, den Verkehr in ihrem Hause selbst zu regeln. Rizzo sei ihr Kamerad aus der Kindheit und jetzt ihr Freund, sie verheimliche das nicht und würde es sich von niemand auf der Welt nehmen lassen; immerhin wolle sie, um ihrem Vater gefällig zu sein, ihn bitten, während Laskos Abwesenheit seltener zu kommen.
Als sie mit Rizzo allein war, berichtete sie den Vorfall, ohne ihre Bewegung zu verbergen; denn es war ihr nun deutlich geworden, daß sie auf einem schwindelnden Punkte standen, wo kein Verweilen sein konnte, und von dem vorwärts und rückwärts zu gehen sie gleich schreckte. Sie sagte, daß sie treu zu ihrer Liebe stehen wolle, daß ihn zu lieben ihr Recht sei, um das sie kämpfen wolle; einzig das Gefühl, ihm etwas sein zu können und von ihm geliebt zu werden, habe sie über den Druck des Lebens erhoben, unter dem sie vor seiner Ankunft zusammengebrochen sei. Die Erregung, die sich auch seiner bemächtigte, äußerte sich im jähen Verlangen nach ihrem Besitze, der ihm streitig gemacht werden sollte; seine Augen wurden plötzlich schwarz wie Blut und verrieten ihr, bevor er noch ein Wort gesprochen hatte, daß die unterirdischen Gefühle die Decke durchbrochen hatten und sein Bewußtsein überströmten. Er hatte nichts andres für möglich gehalten, als daß sie ihm mit ganzem Herzen entgegenkäme, und stutzte, da sie sich, obwohl hingebend, doch mit bestimmter Abwehr an ihn schmiegte. Er überwand die Trunkenheit, die jedes Bedenken in ihm lähmen wollte, bei dem Anblick ihrer zweifelnden Bangigkeit, die er der Besorgnis zuschrieb, sie könnten vielleicht in diesem Augenblick, so erschüttert und aufgelöst, von ihrem Vater überrascht werden, und ließ sie allein mit der unausgesprochenen Absicht, später wiederzukommen.
Die Maielies verbrachte die schwülen Nachmittagsstunden in einem Zustande von Betäubung und versuchte vergebens, sich zu sammeln und irgend eine Beschäftigung zu ergreifen. Es war schon Zeit zum Schlafengehen, und sie blickte regungslos in das Licht einer verschleierten Lampe, als sie unter dem offenen Fenster von Rizzos Stimme ihren Namen flüstern hörte. Jetzt wußte sie, daß sie darauf gewartet hatte, und trat schnell an das Fenster, um ihm ein Zeichen zu geben, daß sie da sei und ihn hörte, dann trug sie Moga auf, ihm die Haustür zu öffnen, damit ihre Eltern nicht durch das späte Anläuten erschreckt oder etwa aus dem Schlafe geweckt würden. Sowie er die Tür des Wohnzimmers hinter sich geschlossen hatte, warf sie sich in seine Arme und zog ihn neben sich auf einen Diwan. Sie müsse gut und ernst mit ihm sprechen, sagte sie; wenn sie sich nicht mit vollkommener und unantastbarer Wonne hingeben könne wie ein Weib dem Manne, wolle sie es nicht tun, und er werde es nicht verlangen. Etwas in ihr wolle sich nicht mit hinreißen lassen; vielleicht könne sie es jetzt nicht tun, wo Lasko sie vertrauend miteinander allein gelassen habe. Daß überhaupt ein Widerstreit möglich sei, beweise, daß es nicht sein solle; das müsse so unfehlbar kommen, wie eine Blume sich zu ihrer Stunde öffne, oder eine reife Frucht durch ihr Gewicht vom Baume zu Boden falle.
Rizzo war enttäuscht und befremdet. »Du bist nicht mehr du,« sagte er. »Kannst du lieben und zugleich feilschen? Wenn du mein bist, warum hältst du zurück? Ist deine Seele weniger wert als dein Körper, und das Beste willst du mir vorenthalten? Oder ist dein Körper geringer, und du bist mit dem Schlechteren treu, nachdem du mit dem Edleren verraten hast? Wenn uns eine Wahl blieb, ob wir uns lieben wollten, wenn nicht etwas Unwiderstehliches uns trieb, warum hielten wir nicht an uns und blieben schuldlos?«
»Die Schuld, dich zu lieben und es dir zu sagen, will ich auf mich nehmen,« sagte die Maielies ernst und blaß, »das andre vermag ich nicht, wenn ich auch dir und mir selbst nicht gut erklären kann, warum. Wenn es Schwachheit oder Torheit ist, mußt du es mir vergeben, weil du mich liebst und weil ich dich liebe.«
Rizzo indessen erbitterte sich mehr und mehr, warf ihr vor, nicht die zu sein, die er in ihr gesehen habe, sondern so wie die andern Frauen, die sich gebildete nennten, eine Dame, die Huldigung und Zärtlichkeit haben wolle, aber unberechneter Hingebung nicht fähig sei. Trotz des Wehs, das sie litt, ließ sie sich nicht kränken, sondern gab in der schrecklichen Ahnung des Scheidens hin, was sie hatte an sommerwarmer, götterreicher Liebe, um ihn von der Wahrheit ihres Gefühls zu überzeugen. Er spürte es, aber es wehte an ihm vorüber, ohne daß er es sich aneignen konnte; er kam sich wie ein mit spärlich abgezählten Almosen von der Schwelle gewiesener, hungernder Bettler vor, und in ihrem weichen Frauengesicht sah er nichts als die strenge Linie, die ihre Stirn mit der Nase verband, und die ihm zeigen zu wollen schien, wie unerbittlich sie sein konnte. Bei dem Schlage einer Uhr fuhr er auf, als wollte er gehen, aber gewaltsam angezogen warf er sich noch einmal vor ihre Füße zur Erde und legte den Kopf auf ihre Knie; als sie sich schluchzend über ihn beugte, riß er sich los mit einem langen Blick auf sie, den sie fühlte, als hätte er ihre Seele damit weggeworfen. Ohnmächtig im Herzen, stand sie auf und rief Moga, daß sie ihm leuchten und die Haustür öffnen solle, die sie nach einer kurzen Weile sacht ins Schloß fallen hörte.
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Herr Beatus hatte, obwohl seine Tochter die Vorsicht gebraucht hatte, ihren Geliebten durch Moga einzulassen, sein Kommen bemerkt, sich nicht zu Bette gelegt und wartete, ob Rizzo wieder ginge oder nicht, um seine Handlungsweise danach einzurichten, die er auf jeden Fall im Geiste vorbereitet hatte. Sowie er Rizzo fortgehen und den Garten verlassen hörte, zog er sich an und begab sich, obwohl es Nacht war, in die Wohnung seines Bruders, die dunkel und abgeschlossen war. Nichtsdestoweniger läutete er mehrere Male hintereinander nachdrücklich, um sogleich gehört zu werden, und wurde nach einer Weile durch einen verschlafenen Diener eingelassen, der ihm sagte, daß Herr Pius und seine Frau schliefen. Beatus sagte, er müsse ihn augenblicklich sprechen, der Diener solle ihn wecken, womöglich ohne seine Frau zu stören. Zwar war es für den Arzt nichts Außergewöhnliches, bei Nacht herausgerufen zu werden, aber die Meldung des Dieners, daß Beatus da sei, überraschte ihn doch, und er kam hastig, den Oberkörper nur mit einem Hemde bekleidet, aus dem Schlafzimmer. Das düstere und drohende Gesicht seines Bruders deutete auf etwas Unheilvolles, und obgleich er Uebertreibung und Entstellung stets bei ihm voraussetzte, überlief ihn, aus dem Schlaf aufgeschreckt, wie er war, ein unbestimmtes häßliches Gefühl von Schrecken. Ob in seinem Hause etwas geschehen sei? Etwa Lasko von neuem erkrankt? Oder der Maielies etwas zugestoßen? Anstatt zu antworten, fragte Beatus seinen Bruder, ob er wisse, wo sein Sohn sei. Und da Pius sagte, nein, er wisse es nicht, glaube aber, Rizzo sei noch nicht heimgekommen, fuhr er fort: »Das kann wohl sein, denn er war soeben noch bei meiner Tochter.«
Herr Pius fragte verwundert und beinah etwas geärgert, was Wichtiges daran sei, worauf Beatus endlich die Anklage herausschleuderte: »Das ist daran, daß er ein Verführer ist, ein Frauenjäger und Ehebrecher, ein abgefeimter Verräter, der die lüsterne Hand nach der Tochter seines Oheims und dem Weibe seines Freundes ausstreckt.«
Pius fuhr mit der Hand über die Stirne und sagte betroffen: »Das kann nicht sein! Beschimpfe meinen Sohn und deine Tochter nicht. Die Maielies! Das kann nicht sein!«
Nun brach hervor, was Beatus an Schmerz und Zorn während der letzten Tage in sich verzehrt hatte, mit furchtbaren und kränkenden Worten, die dem ahnungslosen Pius wie einem aus dem Hinterhalt Ueberfallenen über den Kopf kamen. »Warum sagst du mir das alles?« stieß der Erschrockene endlich hervor. »Wenn es so ist, wie du sagst, trage ich die Schuld?«
»Du bist sein Vater,« sagte Beatus hart. »Mein Bruder warst du nie. Du und dein Haus, ihr habt einem andern Herrn als dem Herrn Gott gedient. Ich will dich und keinen von den Deinen mehr in meinem Hause sehen; um dir das zu sagen, bin ich diese Nacht gekommen. Vor allen Dingen aber dies: wenn ich deinen Sohn noch einmal auf meinem Grund und Boden treffe, und sei es auch nur, daß er die Hand durch das Gitter streckt, um ein Blatt zu pflücken, das an meinem Baume wächst, schieße ich ihn nieder wie einen tollen Hund.«
»Bestie!« schrie Herr Pius, der sich inzwischen gesammelt und ermannt hatte, »Bestie! Weg von meiner Schwelle! Du Baalsknecht ohne Liebe, warum lästerst du Gott? Wäre ich wie du, so jagte ich dir auf der Stelle eine Kugel in den Leib als einem Verleumder und Ehrabschneider und Hausfriedensbrecher. Weg! Weg!«
Die beiden alten Männer mit den Brudergesichtern und den mächtigen Gestalten von gleichem Wurf standen sich schweigend und laut atmend gegenüber wie zwei Hirsche vor dem Kampfe; dann kehrte sich Herr Beatus langsam mit haßerfülltem Blick ab und ging aufrecht, wie er gekommen war, nach Hause.
*
Die Maielies erwachte am folgenden Morgen mit dem Gefühl erduldeter Grausamkeit und unerträglichen Verlustes. Sie liebte Rizzo nicht weniger, eher mehr als vorher, weil er ihr Schmerz zugefügt, und weil sie ihn verloren hatte; denn das wußte sie, obwohl kein Scheidewort zwischen ihnen gewechselt war. Sie dachte, sie könnte ebensogut liegen bleiben wie aufstehen: sie erwartete nichts, freute sich auf nichts, fürchtete nichts; aber da sie nicht gewohnt war, sich gehen zu lassen, stand sie auf und besorgte die häuslichen Geschäfte, die sie auf sich genommen hatte, so pünktlich wie alle Tage. Es graute ihr davor, daß ihr Vater oder ihre Mutter kommen und klagen und fragen würden; anstatt dessen kam der Pfarrer Nepomuk, sehr alt und weiß, und erklärte mit liebem, verlegenem Lächeln, ihr Vater habe ihn abgeordnet und beauftragt, ihr ins Gewissen zu reden und ihr das Versprechen abzunehmen, daß sie Rizzo künftig weder sehen noch ihm schreiben, noch auf irgend eine Art Botschaft mit ihm wechseln wolle. Dies Versprechen würde sie nicht geben, sagte die Maielies, indem sie sich dem Pfarrer gegenüber setzte und die Augen groß auf ihn richtete, die matt, hart und undurchsichtig wie Steine aussahen und denen ihrer Mutter glichen. Es war ihr Wunsch, daß er sie für eine treulose Frau, eine Ehebrecherin hielte und ihrem Vater in diesem Sinne berichte, und in ihren Mienen war zu lesen, daß sie böse Gedanken hatte. Der alte Nepomuk betrachtete sie aufmerksam und blickte dann vor sich nieder, indem er mehrmals traurig den Kopf schüttelte; allmählich indessen zerstreuten sich seine Gedanken, und er fing an von Lasko zu sprechen und erkundigte sich nach dem Erfolg seiner Reise. »Möge dieser Landaufenthalt das rechte für den unglücklichen Knaben sein,« sagte er mit Bezug auf Zizito. »Vielleicht ist es gut, ihn so recht warm und nah an das Herz der Mutter Natur zu legen, bis der allmächtige Vater ihn an seines nimmt.« Da die Maielies keine Bemerkung zu seinen Worten machte und die Augen gleichgültig auf ihm ruhen ließ, verfolgte er seine Gedanken weiter: »Wer weiß,« meinte er, »was Gott will und was er zuläßt, wann er unsre Hand führt und wann er uns nach unsrer Willkür dahinfahren läßt zu unserm Schaden und dem andrer? Weder die Bibel noch sonst eine Offenbarung lehrt das; aber ich glaube, wer fromm ist, spürt es innerlich, wann Gott bei ihm ist, und wann er ihn verläßt. Mich hat er einmal, meinem Gefühl nach, verlassen: als ich Zizito, den ich zu mir genommen hatte, um ihn zu erziehen, gehen ließ und seinem Vater überantwortete!« Er sah die Maielies frei an wie einer, der gewillt ist, die Strafe und den Tadel auf sich zu nehmen, den er verdient hat, und ließ den Kopf wieder sinken, da er ihrem unbewegten Blick begegnete. Obwohl sie nicht zuzuhören schien, erzählte er weiter: »Daß ich ihn nicht bei mir behielt, war Menschenfurcht und Mangel an Gottvertrauen; ich hatte nämlich eingesehen, daß es Unkraut in seiner Seele gab, und daß ich nicht so geschickt und unermüdlich war, es auszujäten und sie rein zu erhalten, wie ich mir eingebildet hatte. Es war bequem, die Arbeit seinem Vater zuzuschieben, den die allgemeine Stimme für zunächst verantwortlich halten mußte, und den der Vorwurf träfe, wenn das Kind ungrade aufwüchse. Es war mir bekannt, daß der Vater, so redlich er ist und so gut er es meinte, nicht geeignet war, weder die Fehler des Kindes zu erkennen, noch sie in der rechten Weise zu bändigen; trotzdem stellte ich mich blind und ließ mein Herz schweigen, das für das Kind sprach, um der Bürde überhoben zu sein, die mein Gewissen belüde. Ich habe eine andre dafür eingetauscht, die ich zeitlebens tragen muß, ohne daß sie leichter wird, die vielmehr stets gewachsen ist und beständig wachsen kann. Jahrelang habe ich das unglückliche, seelenlose Kind vor meinen Augen gehabt und zu Gott geschrieen: ›Meine Schuld! Meine Schuld! Meine Schuld!‹ und es von jedem Steine widerhallen hören: ›Deine Schuld! Deine Schuld!‹ Was wird noch kommen? Eine Sünde gebiert Geschlechter von Sünden, und Geschlechter gebären Heerscharen, die zuletzt den schlagen, von dem sie ausgegangen sind.«
Die Maielies war allmählich auf die Geschichte eines so bitteren Leidens aufmerksam geworden, mit dem sie in nahem Zusammenhang stand, und von dem sie doch nichts gewußt hatte; aber sie empfand weniger Mitleid damit, als Verwunderung und fast Mißfallen darüber, daß jemand sich eine ihrer Meinung nach so überflüssige Pein bereite. Sie äußerte das gleichmütig, ohne Wärme; aber der alte Nepomuk wurde nun lebhafter und erinnerte sich zugleich an das, was ihn zu ihr geführt hatte. »Ach die Unglücklichen,« sagte er, »die einmal Gottes Stimme überhörten, wenn sie warnte: lasse das! oder mahnte: tu dieses! Es mag Handlungen geben, die Menschen verurteilen, und die Gott uns doch nicht anrechnet, weil er wollte, daß sie geschehen sollten, oder daß wir sie begingen; aber andre giebt es, vor denen er uns oder andre bewahren möchte, und die wir nur von seinem Geiste verlassen tun können. An diese knüpft sich Reue und Selbstverachtung, und Reue beschmutzt; ja, wenn ich sie auch als Seelsorger denen die gesündigt haben, predigen muß, dir sage ich: Reue beschmutzt, und Gott selber kann das Kleid nicht wieder weiß waschen, auf das Reuetränen gefallen sind.«
Die Maielies fühlte, daß er dies in Beziehung auf sie gesagt hatte, und zog die Brauen feindselig zusammen, worauf er beide Hände vorstreckte, als wollte er verhindern, daß sie ein voreiliges Wort sagte, und beschwörend ausrief: »Kann dir die Liebe eines Mannes wiedergeben, was du an der eignen Seele verlierst?« Es kam nun mit einem Male leidenschaftliche Bewegung über sie, und sie sagte, mit Absicht den rückhaltlosesten Ausdruck wählend: »Ach, die Liebe ist alles wert. Sie ist so schön, daß wir alle andern Güter der Welt, auch Unschuld und Ehre und Frieden, in ihre Flamme stürzen sollten, damit sie desto stärker brenne.« Der Pfarrer schüttelte betrübt den Kopf und sagte: »Kind, du bist ein Wasserfall, der sich von oben herunter ins Tal wirft, und du solltest ein Springbrunnen sein, der mit schlankem Strahl in die Höhe steigt.« Die Maielies nahm seine Worte auf, aber sie wollte sie nicht verstehen und nicht darüber nachdenken. »Ich will nichts hören, nichts hören,« sagte sie heftig und bestimmt, doch ohne die vorige Härte in Blick und Wesen, vielmehr freundlich; ja, mit einem Anflug kindlicher Demut fügte sie hinzu, sie würde ihn immer lieben und verehren, er möge ihr verzeihen, ihren Eltern indessen solle er sagen, daß er nichts ausgerichtet habe und daß sie keiner Vorstellung zugänglich sei. Da sie Tränen in seinen guten Augen sah, wunderte sie sich, daß sie selbst ungerührt blieb, und dachte: ›Harrte ich, verbrecherische Küsse auf den Lippen, der Umarmung des Geliebten, so hätte ich wohl Tränen, wie sie die Glücklichen haben; aber mein Herz und meine Augen sind trocken.‹
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Je mehr sich Lasko von der Maielies entfernte, desto mehr befestigte sich in ihm das Bewußtsein ihrer gegenseitigen Liebe, die wie ein zahmes Singvögelchen zwar oftmals fortgeflogen war und sich tagelang nicht hatte sehen lassen, immer aber eines Tages, wenn auch zerzaust und ein wenig verwildert, auf dem alten Platz im Käfig dagesessen hatte. Er machte sich die eifersüchtigen Anwandlungen, die sich wieder einstellten, zum Vorwurf und versuchte das Bild der Maielies so in sich festzuhalten, wie sie ihm mit der Miene unschuldiger Trauer ihre Furcht vor der neuen Leidenschaft geklagt hatte. Indessen trat alles dies zurück, als Lasko in der kleinen Ortschaft anlangte, die sein Vater im Verein mit andern Unternehmern zu einem Seebade hatte machen wollen, und deren Anblick den Ankommenden sogleich in eine Stimmung versetzte, als würde ihm hier eher Unheil als Heil begegnen. Da er mit der Eisenbahn gekommen war, sah er den Ort nicht von der Seeseite, sondern mußte zuerst eine lange Straße hinuntergehen, die aus gleichmäßig ausdruckslosen, schäbigen Häusern bestand, und kam sodann auf einen viereckigen Platz, an den das Gemeindehaus, das Kaffeehaus nebst einigen andern größeren Häusern stießen. Sie waren alle neumodisch, machten aber trotzdem den Eindruck der Verkommenheit, und es schien durch ihre Türen nie ein andrer Gast als Langeweile und Enttäuschung aus- und einzugehen. In der Mitte des Platzes stand ein Brunnen, gebildet durch eine Frau im naß anliegenden Hemde, die auf dem hochgehobenen Haupte ein Becken trug, und aus diesem ergoß sich die Wassermenge in ein größeres, in dem sie stand. Die Schönheit des Werkes schmückte den kahlen Platz nicht, sondern verstimmte noch mehr, wie wenn man einen guten, stolzen Menschen in einer Umgebung von gemeindenkenden Spießbürgern fände. Ging man von dem Platz aus ein wenig weiter, so gelangte man bald an das Meer, das hier nicht erhebend und erquickend wirkte, sondern die geschmacklose Oede des Strandes, die wenigen Segelschiffe, die in dem kleinen Hafen verankert lagen, die vereinzelten Menschen, die faul und still herumstanden, als ob sie auf nichts mehr warteten, weil nichts bis dahin käme, alles bedrückte das Gemüt, und das Wasser selbst schien seelenlos in der Sonne zu stehen und seine weltenweite Stimme verloren zu haben.
Lasko fragte in einem kleinen Geschäft nach seinem Vater und erhielt zur Antwort, daß er meistens in dem Kaffeehause am Platz zu finden wäre, wo er ihn auch wirklich antraf. Er saß dort zwischen einigen Männern, mit denen er offenbar keine Umstände zu machen brauchte, denn er zog Lasko, dem er entgegengegangen war, an einen andern Tisch, ohne ihn mit jenen bekannt zu machen oder sich von ihnen nur durch flüchtigen Gruß zu verabschieden. Lastari hatte schrecklich gealtert, auch war ihm anzusehen, daß er lange Zeit nur von Kaffee, Wein und Zigarren gelebt und wenig geschlafen hatte. Es war ihm unlieb, daß Lasko ihn aufsuchte und die Kläglichkeit seines Zustandes mit eignen Augen wahrnehmen konnte, zugleich aber rechnete er mit der Möglichkeit, daß Hilfe für ihn daraus erwachse, und er betrachtete seinen Sohn mit wachsamem Blick von der Seite, während er nichtssagende Bemerkungen über die Reise und den Ort mit ihm wechselte. Lasko wünschte sehnlich, aus dem Wirtszimmer fort in seines Vaters Wohnung zu kommen, allein Lastari wich diesem Verlangen aus, indem er behauptete, um diese Tageszeit sei das Kaffeehaus der kühlste Raum, wo er sich aus diesem Grunde immer bis Nachts aufhielte. Allmählich fing Lastari an zu erzählen, daß er längst eingesehen habe, ein Seebad an diesem Orte könne nie gedeihen, und was die Gründe davon wären, die teils in der Persönlichkeit der Unternehmer, teils in der Bevölkerung und im Orte selbst lägen. Er sei von Schwindlern hinters Licht geführt worden und würde sich längst von der Sache zurückgezogen haben, wenn er nicht immer noch gehofft hätte, wenigstens einen Teil des vielen Geldes, das er geopfert hätte, zu retten. Jetzt aber sei ihm klar geworden, daß er auf alles verzichten müsse, und er möchte so bald wie möglich den verwünschten Ort, der ihm nur Unglück gebracht hätte, verlassen. Lasko, dessen Absichten durch dies Zugeständnis erleichtert wurden, begann seinen Plan zu entwickeln, allein Lastari wurde darüber unruhig und sagte, er fühle sich noch nicht alt genug, um sich schon zur Ruhe zu setzen, und er habe allerlei Aussichten, die verlorenen Summen auf anderm Wege zurückzugewinnen.
Es seien in der Heimat seltsame Dinge vorgefallen: zuerst habe es geheißen, die Regierung wolle, da wo Morimont gewesen sei, einen Pulverturm errichten, nun aber verlaute etwas ganz andres: nämlich weil bekannt geworden sei, daß in der Höhle hinter seinem Hause die alte Heidenkrone gelegen habe, solle die Grotte Besuchern zugänglich gemacht und für gewöhnlich denen, die es wünschten, mit Fackeln gezeigt, an gewissen Tagen aber farbig beleuchtet werden. Ihm sei der Gedanke gekommen, sich um die Stelle eines Grottenwärters zu bewerben, die ihm, besonders wenn er seine Herkunft offenbarte, nicht entgehen könne. Der Beweis, daß er der echte Erbe der Krone sei, könne durch die Beglaubigung einer Anzahl von Personen, die ihn kennten, und durch allerlei Dinge, die in seiner Kenntnis wären, geführt werden, und es würde sicherlich eine Menge von Menschen herbeiziehen, wenn man wüßte, daß der Nachkomme der Könige selbst sie herumführen und ihnen die Stelle zeigen würde, wo die Krone seit Jahrhunderten verwahrt worden sei, bis sein Sohn, der letzte der Könige, sich mit ihr in das Meer gestürzt habe.
Er war, während er dies ausmalte, erhitzt und aufgeräumt geworden, denn Lasko hatte ihm guten Wein kommen lassen, den er liebte; der Sohn wagte ihn nur verstohlen anzusehen, um das Grauen und die Qual nicht zu verraten, die der Anblick seines Wesens und seine Worte in ihm erregten. Da er endlich doch etwas zu diesen wunderlichen Eröffnungen sagen mußte, erinnerte er seinen Vater an die Unannehmlichkeiten, die eine solche Stellung für ihn mit sich bringen würde, daß er sich bald vorkommen würde wie einer, der sich auf Jahrmärkten sehen ließe, ein Kakerlak oder Indianer, was seines Namens und seiner Vergangenheit nicht würdig wäre. Lastari lachte laut und rief, mit solchen kindischen Vorurteilen solle er ihm nicht mehr kommen, er habe das Leben besser kennen gelernt; Anstand und Ehre, mit solchen Begriffen verbänden die Klugen den Dummen die Augen, damit sie bei der großen Jagd untauglich würden. Seine Redlichkeit und sein Ehrgefühl, mit denen er sich immer so groß gedünkt hätte, die seien schuld, daß er jetzt in seinem Alter nicht mehr als ein Vagabund sei. Allzu bedenklich sein sei eine Tölpelhaftigkeit, die einen nur lächerlich und verächtlich mache; Vorzüge ins rechte Licht setzen und namentlich die Dummheit oder Leichtgläubigkeit der Menschen ausnutzen, sei nichts Gemeines.
Lasko kannte seinen Vater gut genug, um ihn nicht überrumpeln zu wollen, nach einigen Tagen aber, während deren er ihn nach Möglichkeit gepflegt und durch Erzählungen von seinem Leben im Hause und Geschäfte mit reinlicheren Bildern umgeben hatte, gewann er ihm wenigstens das Versprechen ab, er wolle sich das Gut Umbla, das Lasko ausgewählt hatte, ansehen und versuchen, wie die landwirtschaftliche Tätigkeit ihm zusage. In früheren Jahren hatte Lastari das Leben eines begüterten Bauern auf fruchtbarem Boden als das köstlichste gepriesen und alle, die ein andres vorzogen, mit groben Schimpfnamen belegt; jetzt hatte er das vergessen, und da Lasko ihn daran mahnte, sagte er, daß er sich nicht mehr in neue Verhältnisse gewöhnen könnte, und daß das gleichmäßige Leben auf dem Lande nicht für einen passe, der fortwährend den Gedanken an herbe Schicksalsschläge in sich betäuben müsse. Der Anblick des Gutes indessen, wo Zizito sich bereits aufhielt, übte solche Wirkung auf ihn aus, daß er sofort den Wunsch dazubleiben aussprach und in der Aussicht, das schöne Stück Land als Eigentum zu besitzen, sich zusehends beruhigte und verklärte.
Umbla lag in einer Talsenkung mild und fruchtbar zwischen steinigen Höhen, auf denen nichts wuchs als verwetterte Eichen oder Fichten, und hinter denen die bleichen Zacken des Gebirges sich erhoben. Es war Nachmittag, als die Gäste ankamen, und sie gingen, von dem alten Bauern geführt, auf schmalen Wegen, die violett in der Bestrahlung der untergehenden Sonne erschienen, durch das hellgelbe Korn, das kaum hörbar rieselnd sich bog und hob. Wlasti, der Bauer, sprach im Gehen von Gedeihen und Mißwachs der Saaten, seiner Arbeit, seinen Enttäuschungen, und wie er nun, obwohl auf dieser Scholle alt geworden, zufrieden sei, sie zu verkaufen, denn er habe nicht mehr von der Welt gesehen, als das Auge von der höchsten Stelle seines Gutes aus umfassen könne, einer Anhöhe, die durch einen Felsblock bezeichnet war und von der sich Felder voll Mais, Weizen und Kartoffeln wie ebene Ströme sanft herabließen, und er wolle doch wissen, wie das Angesicht der Erde anderswo beschaffen sei, und wie es an andern Orten die Menschen trieben. Davon wußte Lastari vieles zu erzählen, was der Bauer aufmerksam und jedes Wort einzeln abschmeckend anhörte, während Lasko, glücklich, daß sein Vater sich wohl fühlte, nebenher ging und heimlich über die Kindlichkeit und Torheit der unermüdlichen Alten lächelte. Der eine, grau und steif von harter Arbeit, wollte noch die Erde bereisen, um seine Neugier an den Sonderbarkeiten fremder Menschen und ihrer Sitten zu ersättigen, und der andre kramte mit dem Anschein der Weisheit die Erfahrungen seiner Wanderschaft aus, die er ungeduldig um neue Bilder zu bereichern suchte. Lasko hätte laut herauslachen und fragen mögen: ›Glaubt ihr denn, ihr könntet in Ewigkeit weiter wirtschaften und wandern wieder ewige Jude? Habt ihr euch die tägliche Knochensuppe noch nicht zuwider gegessen?‹ -- aber er hütete sich etwas derartiges anzudeuten. Auch das tat Lasko wohl, daß der Bauer sich wohlwollend über Zizito äußerte, dessen Blödsinn er nicht erkannt hatte, da er, was ihm auffiel, ohne weiteres seiner ausländischen Herkunft zuschrieb. Es sei ein bildhübscher Junge, meinte er behaglich, weich und töricht wie ein Mädchen, aber feurig sei er auch, und acht geben müsse man auf ihn wie auf verliebte Hunde, und da Lasko ihm nochmals empfahl, ihn zur Arbeit anzuhalten, entgegnete er gutmütig, dazu sei Zizito wohl nicht geboren, das sähe man seinen Händen an, doch lasse er ihn hie und da mit angreifen, wenn er Lust habe und es der Arbeit nicht schaden könne. Lastari blinzelte Lasko zu, er möge das nur gehen lassen; er wartete bereits mit Ungeduld auf des Bauern Abreise, um allein Herr zu sein und alle die Neuerungen und Erweiterungen in der Wirtschaft auszuführen, die er sich im Kopfe zurechtzulegen begann.
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Lasko wurde, was niemals zuvor geschehen war, von seinem Schwiegervater auf dem Bahnhof erwartet, da er es für notwendig hielt, ihn von dem, was in seiner Abwesenheit vorgefallen war, in Kenntnis zu setzen. Er habe dafür gesorgt, sagte er, daß der Schuldige sich nicht wieder werde sehen lassen, und wenn er es täte, würde es das letzte Mal in seinem Leben sein; Lasko möge es sich angelegen sein lassen, seine Frau wieder zum Guten zurückzuführen, und die Sache in einer Weise behandeln, daß Gras darüber wachsen könne. Es gelang Lasko, sich das Ansehen zu geben, als sei er weder überrascht noch besonders schmerzlich betroffen; seine Frau habe ihm bereits vor längerer Zeit, sagte er, gestanden, daß sie mehr als erlaubt sei für ihren Vetter empfinde, und er habe ihr geantwortet, daß er sie nicht halten wolle, wenn sie von ihm befreit zu werden wünsche; insofern sei sie gewissermaßen zu allem, was sie getan haben könnte, berechtigt gewesen. Herr Beatus erschrak darüber: das hatte er eben vermeiden wollen, daß es zum Bruch käme. Er stellte Lasko vor, daß eine Scheidung, wenn auch dem Gesetze nach möglich, vor Gott unerlaubt sei; er fragte ihn, ob er etwa glaube, daß ihn ein dringendes Herzensbedürfnis an der Seite der Olivia halte? Ehe und Familie seien Pflichten, die der Staat dem Manne auferlege, Befriedigung könne man sich in seinem Berufe schaffen; schließlich betonte er, daß er sich an Lasko gewöhnt habe, als ob er sein Sohn sei, und daß er ihn im Geschäft wie überhaupt höchst ungern vermissen würde. Lasko entgegnete, daß er seinem Schwiegervater stets dankbar und anhänglich bleiben werde und nichts weniger im Sinne habe, als sich von ihm zu trennen; daß er aber unmöglich neben einer Frau leben könne, deren Herz an einem andern hänge, und die mit Abneigung seine Nähe dulde. Von Abneigung, meinte Herr Beatus, sei keine Rede, und bald werde die Maielies ihren Verführer vergessen, wenn sie ihn nicht mehr sähe; er habe sich ausgedacht, daß Lasko mit ihr eine große Reise unternehmen solle, weil der Erfahrung gemäß Reisen das beste Mittel gegen die Krankheiten der Einbildungskraft sei. Auch er habe im Sinn, eine größere Reise zu machen, ja vielleicht mit seiner Frau nach Italien überzusiedeln, um seine dortigen Fabriken in Schwung zu bringen; um so mehr liege ihm daran, daß Lasko hier bleibe und seine Stelle vertrete.
Lasko nickte verloren und sagte, das werde sich finden. Er hätte gern seine Wohnung noch gemieden, aber da sein Schwiegervater ins Haus ging, scheute er sich allein draußen zu bleiben, was jenen aufs äußerste befremdet haben würde. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, trat Lasko leise ein und ging in sein Arbeitszimmer, ohne daß ihn jemand bemerkte; dort setzte er sich müde in einen Sessel und verlor sich in Gedanken. Es graute ihm davor, die Maielies zu sehen; am liebsten wäre er fortgegangen, um nie wieder etwas von ihr und dem Hause und dem Garten und dem Meere, das draußen funkelte, zu hören. Erst allmählich, während er sich in die Erwägung dessen, was in seiner Abwesenheit vorgegangen sein möchte, vertiefte, verschwand die Traurigkeit, und Eifersucht und Leidenschaft regten sich. Es kam ihm in den Sinn, daß er nicht geduldig wie ein kranker Schäfer dazusitzen brauchte, sondern daß er die treulose Frau überfallen und seinen Jammer unerhört an ihr rächen könnte. Er könnte warten, bis es Nacht wäre und sie im Bett läge und schliefe, dann, wenn sie vielleicht, halb im Schlafe, einen verräterischen Namen flüsterte, sie mit mörderischer Umarmung wecken. Er grub seine Phantasie so lebhaft in die Schauer dieses Wiedersehens, daß unwillkürlich seine Muskeln sich anspannten und seine Zähne krampfhaft aufeinander bissen. Wenn er sie jetzt in seinen Armen hätte, dachte er, würde er sie nicht erwürgen, sondern die Zähne in die verführerische Sammethaut schlagen und den zärtlichen Leib zerreißen: die starke weiße Kehle, die gerundeten Schultern und die mädchenzarte Brust. Plötzlich stürzten Tränen aus seinen Augen, und die Wut der Liebe löste sich wieder. Als die Maielies nach einer Weile zufällig in sein Zimmer kam und ihn in der Dämmerung nicht sogleich sah, begrüßte er sie ruhig, ohne ihr die Hand zu reichen; ja, der schüchterne Schein von Freude, der bei seinem Anblick über ihr ernstes Gesicht glitt, rührte ihn, so daß in seine Mienen und Bewegungen etwas himmlisch Tröstendes überging, wie wenn eine Mutter mit ihrem verirrten Kinde spräche.
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Als Rizzo in jener Nacht die geliebte Frau in Zorn und Schmerz verließ, berührten ihn an der Tür die schwarzen Augen der Moga wie etwas Heißes und Verstohlenes, das ein schmeichelndes Brennen zurückließ. Der neugierige, spöttische, dennoch verlangende Blick blieb ihm wider seinen Willen im Sinn, und als ihm das Mädchen bald darauf wieder über den Weg lief, hielt er sie an und fragte sie, was sie damit habe sagen wollen. Moga hatte sich nicht eigentlich in ihn verliebt, aber sie hatte seine Leidenschaft für die Maielies bemerkt und trachtete danach, ihn ihr abwendig zu machen. Einen kleinen Anteil hatte daran ihre Entrüstung, daß Lasko, dem sie treu zugetan war, betrogen würde, vorzüglich aber war es, daß sie den stattlichen Mann der Maielies nicht gönnte, die ihrer Meinung nach schon über Gebühr vom Glücke war bedacht worden. Wie sich nun Rizzo ihr näherte, setzte sein ungestümes und herrisches Wesen ihr Herz dennoch in Glut, so daß sie sich ihm in maßlos entbrannter Leidenschaft ergab, was für den Augenblick die Wildheit seines Schmerzes ein wenig linderte. Auch gab es ihm Gelegenheit, sich zuweilen des Abends in den Garten seines Oheims zu wagen, und da er von dessen Drohungen durch seinen Vater in Kenntnis gesetzt worden war, wäre es ihm unleidlich gewesen, sich gänzlich fern von dort zu halten. Bald wurden die heimlichen Begegnungen dadurch begünstigt, daß Lasko und die Maielies, wie Herr Beatus geraten hatte, auf Reisen gingen und Moga als Hüterin der Wohnung zurückließen, während den übrigen Dienstboten ein Urlaub gegeben wurde.
Als die Eheleute nach einigen Wochen zurückkamen, suchte Moga Lasko in der Fabrik auf und bat ihn, er möge ihr helfen, einen Vorwand zu finden, unter dem sie das Haus verlassen könnte. Lasko war anfangs erstaunt, dann aber, nachdem er sie schärfer betrachtet hatte, sah er, daß sie schwanger war, wenn auch erst seit kurzer Zeit, und fragte sie, ob sie zu heiraten gedenke. Sie schüttelte hastig den Kopf und bat ihn, keine weitere Fragen an sie zu stellen; sie wolle niemand beschuldigen, niemand solle ihr nachforschen, namentlich möge er seiner Frau ihren Zustand verschweigen. Lasko redete ihr freundlich zu, sie solle bei ihnen bleiben, ein Mädchen in ihrer Lage fände schwer Stellung, bei ihnen hingegen würde sie so gut behandelt wie zuvor und dazu nach Bedürfnis geschont werden. Nein, sagte sie ängstlich, das wolle sie um keinen Preis; er sei gut, das wisse sie, auch die Maielies werde sie nicht mit Worten schelten, aber im Innern sie richten, und das könne sie nicht ertragen. Schließlich versprach ihr Lasko, seiner Frau zu sagen, daß ein Geschäftsfreund ein Mädchen zu einem kranken, schwer zu behandelnden Kinde suche, und da er gehört habe, wie gut Moga mit Zizito habe umgehen können, ihn gefragt habe, ob er und seine Frau zulassen würden, daß sie in seinen Dienst träte.
Die Maielies sagte sofort ja, als Lasko ihr die Sache vortrug; es quälte sie, Moga zu sehen, die von ihrer Liebe zu Rizzo wissen mußte, und deren Augen jedesmal, wenn sie mit ihr sprechen mußte, zu sagen schienen: denkst du daran? kannst du es vergessen? so daß sie sie schon entfernt haben würde, wenn sie nicht gewußt hätte, wie rücksichtsvoll Lasko gegen die Dienstboten und insbesondere gegen Moga war. Wohin sie ginge, und ob sie Mittel zum Leben hätte, wollte sie Lasko nicht sagen, auch seinen Vorschlag, sie möchte wiederkommen, wenn die Geburt vorüber wäre, wies sie zurück, weswegen er es für wahrscheinlich hielt, daß sie zu dem Manne ging, von dem sie das Kind hatte, das sie erwartete.
Während Lasko und die Maielies auf Reisen waren, hatten Herr Beatus und seine Frau Lusinara verlassen, um nach Italien überzusiedeln, und es kam ein stiller Winter, der sich wie fahler Tod auf die schönen Rosen des Sommers legte. Dennoch war die Maielies nicht so gelähmt und überdrüssig wie in der Zeit, die Rizzos Ankunft vorausging; denn sie hatte einen Schmerz und eine Sehnsucht, die ihr teuer waren, und eine beständige Erwartung machte sie jung. Sie sah außer Lasko nur den Pfarrer und den Oheim Pius und seine Frau, wogegen Lasko nichts einwendete, da Rizzo längst wieder nach Afrika gegangen war und die Maielies ihm aus eignem Antrieb versichert hatte, daß von ihm zwischen ihr und seinen Eltern nicht die Rede wäre. Gegenstand ihrer Gespräche war fast immer eines: daß Lasko und die Maielies gut daran tun würden, ein Kind anzunehmen, was nach der Meinung aller ein neues Glück in ihr Leben bringen würde. Lasko war so für den Gedanken eingenommen, daß er fast täglich irgend ein armes Kind in Vorschlag brachte, das er auf der Straße gesehen und gleich in sein Herz geschlossen hatte; allein die Behutsamkeit der Maielies, die sich keineswegs zu dem ersten besten aufgelesenen Kinde hätte Mutter fühlen können, ernüchterte ihn, so daß er die Sache wieder aufgab und vergaß.
Eines Tages teilte Frau Pius Reynegom der Maielies ein Geheimnis mit: daß in dem Spitale einer Stadt, die sie nicht nennen wollte, ein Kind geboren sei, dessen Vater Rizzo, ihr Sohn, sei, und daß er selbst den Wunsch ausgesprochen habe, die Maielies möge es zu sich nehmen und wie ein eignes aufziehen. Das erste Gefühl der Maielies war, dies sei das große Glück, auf das sie gewartet hätte; aber sofort brach sich das Gefühl an einem Widerstande in ihrem Herzen, und sie besann sich. Auf ihre Frage nach der Mutter des Kindes, ob sie etwa bei der Geburt gestorben sei, antwortete Morlesine kurz, ja, so sei es, und die Maielies fragte nicht weiter, um nicht mehr hören zu müssen. Der in großer Spannung eine Erklärung erwartenden Morlesine sagte sie, sie könne sich nicht sofort entschließen, sie wolle sich überlegen, ob sie es ihrem Manne gegenüber, der die Wahrheit nicht erfahren dürfe, auf ihr Gewissen nehmen könne. In Wirklichkeit dachte sie darüber nicht nach, vielmehr fühlte sie sich ohne Schranken vollauf dazu berechtigt; aber ein Schmerz ohne Maß hatte sie ergriffen, mit dem sie allein sein wollte.
Nachdem sie sich im Schlafzimmer eingeschlossen hatte, warf sie sich auf ihr Bett: glücklicher wäre sie jetzt, dachte sie, wenn sie tot daläge als eine Mutter neben einem kleinen, lallenden Leben aus ihrem Blute, das zum erstenmal im goldnen Lichte schiene, von dem sie geschieden wäre. Stillselig würde sie liegen wie die Erde im ersten Lenz, wenn seidene Fahnen der Hoffnung grün und gelb über ihr starres Antlitz schwingen. Ach, lebendiger würde sie dann im Tode sein als jetzt! Aus dem verborgenen Lande würde sie den Weg durch alle Elemente in den Raum des Lebens finden, weil ein Licht ihr dort leuchtete, das sie selbst mit der eignen Seele entzündet hätte. Tränen überströmten ihr Gesicht, während sie regungslos auf ihren weißen Kissen lag und ihre Hände anblickte, die das Licht, das durch die farbigen Fenstervorhänge fiel, rötlich bemalte; endlich weinte sie sich doch in den Schlaf.
Nach einer guten, ungestört durchschlafenen Nacht erwachte sie heiter und zuversichtlich und teilte Rizzos Mutter ihren Entschluß mit, daß sie das Kind als ihres annehmen würde, wenn ihr gewiß gemacht werden könnte, daß es ihr niemals irgend jemand, wer es auch sei, streitig machte, was diese eifrig und heilig zusagte. Von allen Verhandlungen und Förmlichkeiten, die zunächst erfüllt werden mußten, sollte die Maielies sich fernhalten, um nichts, was mit dem Kinde zusammenhing, zu sehen und zu hören, bis es für immer in ihr Haus gebracht würde, womit sie auch vollkommen einverstanden war; sie wollte sich aus dem Sinn bringen, daß es von einer andern Mutter geboren war und jemals unter einer andern Obhut als ihrer gelebt hatte.
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Es war ein Maitag, als das Kind kam, und man hatte auf den wärmsten und stillsten gewartet, damit die Ueberführung an den neuen Wohnort dem empfindlichen Pflegling keinen Schaden brächte. Die Ausrüstung des Kindes war reichlich und nett besorgt worden, und in manches Stück hatte die Maielies selbst bunte Ranken und Säume gestickt, damit es lustiger aussähe, und um ihre ungeduldige Spannung zu beschwichtigen. Das Bübchen wurde schlafend in das Haus getragen und in einen feinen Korbwagen gelegt, den die Maielies in ihr Zimmer schob, um in Muße ihr Eigentum zu betrachten. Sie betastete den weichen, faltigen Körper, untersuchte die Hände und Füße und küßte behutsam die runden, knospenhaften Zehen. Das Gesicht wollte ihr mehr drollig als schön erscheinen, als aber endlich, nach öfterem Zupfen und Umwälzen, die langbewimperten blaugrauen Augen aufgingen, breitete sich ihr Strahlenglanz wie ein vergoldender Tau darüber aus und machte es reizend. Die Maielies errötete vor Freude und lächelte die dunkeln Sterne an, die wie aus einer Welt voll ernster Geheimnisse zu ihr hereinschienen, ihrem Treiben, ihrer Sprache und allen Zeichen ihrer Liebe unzugänglich.
Als Lasko nach Hause kam, lief sie ihm entgegen, um ihn an das kleine Bett zu führen und ihm das Wunder zu zeigen, das in seiner Abwesenheit erschienen war. Lasko war im Grunde zufrieden, daß das Kind da war, allein er glaubte, man hätte ihn bei der Auswahl und Entscheidung nicht genügend berücksichtigt und zu Rate gezogen, und obwohl er keine Empfindlichkeit zur Schau trug, hielt er sich doch dem Kinde gegenüber zurück, als ob es ihn nichts anginge. Da es gerade während des Mittagessens zu schreien anfing, gab er vor, dadurch gestört zu sein und sagte, so könne es nicht weitergehen, das Ding müsse in einem entlegenen Kinderzimmer versorgt werden, worauf die Maielies lebhaft entgegnete, sein Zimmer solle es allerdings haben, aber an derartige Unbequemlichkeiten müßten sie sich nun gewöhnen, nichts sei häßlicher als die breitspurige Selbstliebe der kinderlosen Ehepaare, sie müßten Gott danken, daß sie sich jetzt noch in einer menschlicheren Richtung entwickeln könnten. Dann sollte Lasko zu einem Namen raten, der noch nicht festgestellt war, wobei er sie neckte, weil sie der Sache eine große Wichtigkeit beimaß und jeden Namen gleichsam in den Händen drehte, bekrittelte und wegwarf, als ob sie auf dem Markte Obst kaufen wollte. Als sie wieder allein war, fiel ihr ein, daß das Kind ihrem Manne vielleicht dadurch könnte lieber werden, daß es Dragaino, wie sein Bruder, hieße, und auch ihr war es eine schöne Vorstellung, es bei dem Namen des jungen Helden zu rufen, für den sie ein schwesterliches Andenken hatte. Die innige Bewegung, mit der sie sich an ihn schmiegte, indem sie ihren Wunsch so vortrug, als solle ihr ein Gefallen damit geschehen, hatte etwas Unwiderstehliches für ihn, daß er freundlich einwilligte, obgleich es ihm, er wußte selbst nicht warum, wider das Herz ging. Die reizende Fröhlichkeit der Maielies schien eines so geringen Opfers reichlich wert zu sein. Er hatte sie seit vielen Monaten, ja seit Jahren nicht so leichtfüßig und friedlich geschäftig im Hause wirtschaften sehen, sogar Blumen pflückte sie im Garten und ordnete sie in hohe Gläser und geräumige Gefäße, leise dabei ein Liedchen summend. Es müsse ein wenig hell und froh im Hause werden, erklärte sie, nun ein Kind da wäre, damit es ihm nicht einmal so vorkäme, als habe es seine Jugend in einem finsteren Schloß bei alten Leuten zugebracht. »Wir müssen wieder lustig sein und zuweilen lachen,« sagte sie zu Lasko und legte ihre Hand leicht auf seinen Arm, wobei ihr aber plötzlich Tränen in die Augen kamen, so daß sie sich schnell umkehrte und sich anderswo zu schaffen machte.
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Lasko liebte die Kinder viel zu sehr und hatte zu viel natürliches Geschick im Umgang mit ihnen, als daß er auf die Dauer sich hätte gleichgültig gegen das aufgedrungene Pflegekind stellen können. Zwar wenn die Maielies gegenwärtig war, mischte er sich nicht ohne Vorwand in seine Behandlung, etwa weil sie es nicht richtig anfange, und er es ihr zeigen müsse; aber einmal benutzte er die Gelegenheit, als sie ausgegangen war, um unbemerkt an den kleinen Wagen zu gelangen. Er nahm das Bürschchen, das ihn anlachte, als ob es mit ihm vertraut wäre, in die Arme und spielte mit ihm, und plötzlich, von einem glänzenden Blick aus seinen warmen Augen gerührt, drückte und küßte er es so gewaltsam, daß es, den kleinen Mund weit aufreißend, in durchdringendes Geschrei ausbrach. Ein ausgelassenes Glücksgefühl kam wie ein großer Wind, umschlang sein Herz und trug es hoch in die Höhe; es war, als hinge er oben wie ein schwebendes Auge, übersähe die schöne Welt und sein eignes Leben, sicher und gut in das ungeheure Bild hineingefügt. Freilich ging dieser Augenblick weiter und ließ sein Herz fallen; denn gerade durch das Kind entstanden auch schwere Stimmungen für ihn, die ihm die Freude daran verdarben. Bald mußte er daran denken, daß es nicht Divo war, den er liebkoste und für den er arbeitete, Divo, das Kind seiner Jugendliebe, das ungeborene, vergeblich an die Pforten des Lebens pochende, bald fielen ihm die Eltern des hübschen Knaben ein, und daß sie vielleicht kümmerlich von dem Gelde lebten, mit dem seine Frau sich das einzige Kleinod der Armen zu ihren übrigen Kostbarkeiten erkauft hätte. Nachdem er sich viele Male, wenn er die Maielies glücklich und holdselig mit dem Kinde sich wiegen sah, zum Schweigen überwunden hatte, äußerte er einmal doch Tadel und Erstaunen, daß sie es vermöge, in einem Glücke zu schwelgen, das die, denen die Natur es gegeben, entbehren müßten. Die Maielies entgegnete, die Mutter des Kindes sei bei der Geburt gestorben, und dem Vater müsse wohl nicht viel daran liegen, da er sie sonst wohl nicht in ihrem Zustande verlassen haben würde; bei ihrer Aufrichtigkeit wurde es ihr schwer, das, was sie wußte, zu verhehlen, und sie hatte Mühe, ihre Verlegenheit zu verbergen. Lasko fragte: »Denkst du denn nie an die arme junge Frau, die unter Qualen hat sterben müssen, damit du den Segen eines lieben Kindes hättest? Ist dir nie, wenn du des Nachts aufwachst, als spürtest du sie um seinen Wagen hauchen, während es schläft?« Die Maielies sah ihn schreckerfüllt mit großen Augen an und verwies ihm, sie auf so beängstigende Gedanken zu bringen; ihr, die sich ohne Argwohn, mit kindlich zugreifenden, festhaltenden Händen des neuen Glückes bemächtigt hat, war noch nie etwas ähnliches eingefallen. Auch war sie, obwohl sie die Mitteilung ihrer Tante stillschweigend hingenommen und nicht weiter gefragt hatte, nie völlig davon überzeugt gewesen, daß die Mutter des Kindes gestorben sei, vielmehr war es ihr vorgekommen, als habe etwas im Wesen der Frau Morlesine angedeutet, daß sie die Unwahrheit spräche, und sie hatte insgeheim darüber phantasiert, wie es sich in Wirklichkeit verhalten könne.
Von vornherein stand ihr fest, daß die Frau, die Rizzo an sich gezogen hatte, als er noch schmerzlich erfüllt von ihrer Liebe war, von bestrickender Schönheit gewesen sein müsse, und sie stellte sie sich vor als ein Geschöpf der Leidenschaft, wogend zwischen Leichtsinn und Hingebung, Treue und Vergessen, in dessen Flammenschein ihr Bild still untergegangen wäre. Weiter dachte sie sich, daß diese Frau auf ihr Kind verzichtet hätte, um ihrem Geliebten auf seinen Reisen zu folgen, deren Abenteuerlichkeit sie lockte; vielleicht auch, daß er ihr dazu geraten hätte, unter dem Vorgeben, ihnen würde ein Kind in ihrer Lebensweise hinderlich sein, um ihr, der Maielies, ein Zeichen seines überdauernden Gefühls, ein Stück von ihm in ihren Händen zu lassen. Diese Vorstellung wurde ihr so lieb, daß sie ohne Eifersucht an die gemeinsamen Wanderungen der beiden und ihre heißen Liebesnächte unter den sonnenhaften Sternen des Südens denken konnte; indessen, nachdem sie sich einigermaßen an das Kind gewöhnt hatte, verschwanden alle diese Einbildungen, und ihr ganzes Empfinden veränderte sich. Daß sie anfänglich das Kind nur um Rizzos willen übernommen hatte, würde sie keinem mehr geglaubt haben, ja sie vergaß eigentlich, daß ein Mensch außer ihr, Lasko etwa ausgenommen, Anteil an ihm hatte. Der kleine Junge hatte Lasko augenscheinlich lieb, zeichnete ihn sogar sichtlich vor ihr aus, und sie war nicht etwa böse darüber, sondern wartete mit Ungeduld, daß Lasko diesem Triebe ebenso begegnete, damit das Kind seinen vollgültigen Vater bekäme. Ihre größte Sorge war, es könne später einmal erfahren, daß sie nicht seine Mutter wäre, so daß sie zuweilen mit dem Gedanken umging, nach einem andern Lande auszuwandern, wo niemand sie kennte und ihm das Geheimnis seiner Herkunft verraten könnte.
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Eine neue Liebe entstand zwischen Lasko und der Maielies, die herzlich und kräftig war wie eine Kinderfreundschaft, wo es viel Streit, Gelächter, Unzertrennlichkeit und ausnahmslose Gemeinschaft gibt. Wenn sie ruhevoll, mit einfacher Anmut gekleidet und geschmückt, wie eine liebeselige Madonna sich über ihr Kind beugte, stieg wohl heiß ein leidenschaftliches Verlangen in ihm auf; allein zugleich erschien sie ihm drollig und rührend in dem Gewölk von Mütterlichkeit, das sie umgab, und dem Stolz an der Frucht, die sie doch nur aufgelesen hatte, als sie von einem fremdem Baume gefallen war. Er hätte sie um die Welt nicht anders haben mögen, und es waren seine glücklichsten Augenblicke, wenn er bis zu Tränen über sie lachte; auch ließ sie sich, obwohl sie begriff, was ihn belustigte, dadurch nicht beirren, weil ihr die Möglichkeit, anders zu sein, als ihrem Zustand entsprach, überhaupt nicht in den Sinn kam.
Eine unerwartete Störung unterbrach den Frieden dadurch, daß Moga erschien, die die Sehnsucht, in der Nähe ihres Kindes zu sein, keine Ruhe hatte finden lassen. Die Maielies betrachtete sie kühl erstaunt und fragte, ob sie ihre Stelle aufgegeben habe und ob sie krank gewesen sei; denn sie sah schmächtig und leichenfarbig im Gesicht aus, sich ähnlicher, wie sie in der frühen Jugend gewesen war, als in der letzten Zeit. Ja, sagte Moga, sie sei sehr krank gewesen und könne in ihrer jetzigen Verfassung den Anforderungen, die jener Platz an sie gestellt hätte, nicht mehr genügen; so sei sie gekommen in der Hoffnung, bei der früheren Herrschaft wieder ein Unterkommen zu finden. Die Maielies sagte, sie sei mit ihren Mädchen allen zufrieden und brauche niemand; doch könne Moga einige Zeit bei ihr bleiben, bis sie sich erholt und etwas Passendes gefunden habe. Da Moga nach dem verhängten kleinen Wagen blickte und ein schüchternes Verlangen äußerte, das Kind zu sehen, von dessen Dasein im Hause sie, wie sie sagte, gehört habe, schlug die Maielies freundlicher den Schleier zurück und zeigte ihr den schlafenden Kleinen, der mit ernst, fast böse geschwelltem Mündchen, wie mitten im tollsten Lebensdrang vom Schlaf eingefangen, dalag. Es rührte und freute sie, daß Moga wortlos gefesselt vor dem Bilde stand, was sie ohne weiteres der überraschenden Schönheit des Kindes zuschrieb und als eine Huldigung annahm, die ihr dargebracht werde. Sie lächelte ernsthaft Zufrieden, wie eine noch unerfahrene junge Königin, und führte Moga in das Mägdezimmer, damit ihr Erfrischungen gereicht würden und sie Gesellschaft hätte.
Lasko war der Meinung, noch ehe Moga ihn gebeten hatte, wieder ihr Beschützer zu sein, daß sie ins Haus aufgenommen werden müsse; sie sei ersichtlich schwach und leidend, Fremde würden sie kaum anstellen, zur Fabrikarbeit sei sie untauglicher als je, und man könne sie doch nicht auf der Straße sterben lassen. Die Maielies sagte, wenn sie sich durchaus nicht selbst helfen könne, wolle sie ihr lieber Geld geben; sie hätte sie ungern um sich, von jeher hätte ihr Anblick sie übel gestimmt, warum sie eben diesem Mädchen, das sie mutwillig verlassen hätte, immer wieder Zuflucht geben solle, als müsse das so sein. Sie könne doch auf die Dauer dem Kinde nicht allein abwarten, sagte Lasko, und das sei gerade eine passende Beschäftigung für ein zartes Wesen wie Moga. Eben ihr müsse sie helfen, weil eben sie da sei und der Hilfe bedürftig, und Geld allein könne ihr nicht dienen, da sie weder Heimat noch Haus, Eltern noch Geschwister habe, sie brauche einen Winkel auf der Erde, wo sie hingehöre. Er ereiferte sich in seiner Art, indem er ihr seine Meinung aufdrängen wollte: »Warum ist dir das arme Mädchen widerwärtig?« fragte er. »Weil sie wie ein Winterrabe in deinen Rosenhag dringt, wo du einsam thronst in deiner Schönheit und Glückseligkeit. Da möchtest du hundert Jahre sitzen wie Dornröschen und wärest froh, wenn die Hecken um dich zusammenwüchsen und niemand zu dir einließen; die Zeit würde dir nicht lang werden mit dir selber. Nicht einmal um deine Eltern hast du geweint, als sie fortgingen, und nie von ihnen gesprochen, als fehlten sie dir, obgleich du fast ein Menschenalter täglich mit ihnen zusammenlebtest. Liebe hast du nicht! Und eine Frau ohne Liebe ist wie eine Geige ohne Saiten, ein unmelodisches, gefrorenes Wasser.«
Die Maielies hörte ihn verwundert und ein wenig betrübt an. »Ohne Liebe wäre ich?« fragte sie. »Ich dachte, ich hätte zu viel geliebt; auch dich!«
»Ja,« sagte Lasko schnell, »du reißest das Wesen, das dir gefällt, in deine Atmosphäre, hüllst es ein in den Duft, der von dir ausgeht, nährst es mit deinem Atem und deinen Liebkosungen, bis es dir einverleibt ist, und liebst es dann, weil du es als dein eigen fühlst, wie du es jetzt mit deinem Kinde machst.«
Die Maielies mußte lächeln, als das Kind genannt wurde. »Ja, ich fühle es, als ob es eins mit mir wäre,« sagte sie glücklich. Laskos Augen wurden glänzend und feucht, indessen er sie betrachtete, und mit gesenktem, mäßigerem Tone meinte er treuherzig: »Du weißt, daß du mir eben so gefällst, und daß ich dich manchmal nur deshalb hasse, weil ich nicht so sein kann, wie du bist. Ich kann mir keinen Menschen aneignen, und es gibt nicht einen auf der Erde, unter den geliebtesten nicht, den ich nicht in Gedanken besudelt, verhunzt und geschändet hätte. Vielleicht ist mein Erbarmen mit Moga so groß, weil sie vom selben Gift des Hasses und Ekels in ihrem Blute haben mag wie ich, und weil ich dunkel die Größe ihres Elends ahne.« Die Maielies sagte kopfschüttelnd, davon verstehe sie nichts, und sie glaube nicht daran; wenn ihm aber so viel daran liege, wolle sie ihm zuliebe tun, was sie sonst nicht täte, und trotz ihrer Abneigung Moga im Hause behalten.
Lasko war froh wie ein Kind, daß er Moga mitteilen konnte, sie solle bleiben; jetzt erst fragte er sie, wie es ihr ergangen sei, ob ihr Kind lebe, und wo sie es untergebracht habe. Sie habe eine schwere Geburt gehabt, sagte sie, und sei lange krank gewesen, ja, die Aerzte hätten an ihrem Aufkommen gezweifelt. Das Kind sei auf dem Lande, und sie müsse nun Geld verdienen, um seinen Unterhalt zu bestreiten; schließlich bat sie ihn, seine Frau nichts von diesen Dingen wissen zu lassen. Lasko hatte den Eindruck, daß es ihr schmerzlich sei, von dem Kinde und allem, was damit zusammenhänge, zu sprechen, und er fragte nicht weiter. Bald litt er selbst unter Mogas Aufenthalt im Hause; denn er empfand in ihrer Seele die Bitterkeit, die darin lag, daß sie aus Armut das eigne Kind meiden und ein fremdes warten müsse, das sie vielleicht haßte, weil es an sich zog, was sie jenem, dem geliebten, so gern gegeben hätte.
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Am ersten Tage strebte Dragaino von Moga fort zur Maielies, die sich zwar darüber freute, aber doch das ihrige tat, damit er sich an die neue Wärterin gewöhnte. Gegen Abend gelang es Moga, ihn durch Singen von Liedern an sich zu fesseln, so daß er ruhig bei ihr wurde und allmählich in Schlummer fiel, aus dem dann und wann noch die blaugrünen Augen auftauchten und sie anblickten. Die Maielies stand unterdessen am Fenster, das auf den Park ging, und sah einen regenschweren Abend, bevor noch die Sonne untergegangen war, in die warme Luft zerrinnen und grau an den hängenden Zweigen der Bäume hinunterschleichen. Moga summte ein altes Lied, das lautete:
»Welkt auch einst die rote Blume,
Nicht mein Herz, das dir vermählte;
Ja, mein Herz auch welkt wie deines,
Nicht die Glut, die uns beseelte --«
und während die Maielies, von Zeit zu Zeit sich umwendend, beobachtete, wie das Kind still wurde und, dem Singen nachgebend, sein Köpfchen an Mogas Brust neigte, ging es ihr durch den Sinn, daß mit jedem Tage des Lebens neue Töne in die horchende Seele dringen, sie aus ihren Armen locken und endlich ihr ganz entreißen würden, und eine tiefe Wehmut kam über sie. Sie dachte daran, daß es noch in ihrer Macht stände, Moga wieder fortzuschicken; aber abgesehen davon, daß sie nicht rückgängig zu machen pflegte, was sie einmal versprochen hatte, kam es ihr töricht vor, etwas abwenden zu wollen, was notwendig kommen mußte und auch gut sein mochte. Nachdem die quälende Stimmung überwunden war, sprach sie Moga ermunternd zu, daß das Kind ihr bald anhänglich werden würde, und war es auch zufrieden, als das wirklich geschah; denn einerseits glaubte sie, manche andre Pflicht durch ihre ausschließliche Beschäftigung mit Dragaino vernachlässigt zu haben, und außerdem ruhte sie in dem sicheren Gefühl, daß sie doch die Mutter und die Erste, Geliebteste des Kindes bliebe, wenn es auch in ihrer Abwesenheit sich eine andre gefallen ließe. Zur Eifersucht neigte sie überhaupt nicht; Moga dagegen litt ununterbrochen darunter, daß sie ihr Kind mit der Maielies teilen sollte, und besonders darunter, daß die Maielies es als ihres ausgab und sich gewissermaßen mit seiner Schönheit und Liebe schmückte. Ein steter Anlaß zu Tadel von seiten der Maielies und zu Aerger und Empfindlichkeit Mogas war die Pflege des Kindes, die Moga in der volkstümlichen Weise besorgen wollte, die sie kannte, während die Maielies auf peinliche Ordnung hielt, wie sie den neuen ärztlichen Ansichten und vernünftiger Einsicht überhaupt entsprach.
Einmal kam die Maielies dazu, wie Moga dem Kleinen einen Kuchen gab, der, an sich unschädlich, doch zu den verbotenen Speisen gehörte, weshalb sie es ihr nochmals verwies und ihr vorhielt, wie oft sie ihr schon gesagt hätte, was dem Kinde gereicht werden dürfe und was nicht, sowie auch zu welchen Stunden. Moga erwiderte gereizt, Dragaino habe Hunger gehabt, sie könne das nicht ansehen, außerdem bekämen alle Kinder derartiges Gebäck, ohne daran zu Grunde zu gehen; worauf die Maielies mit strenger Kürze entgegnete, sie behandle ihr Kind nach den Grundsätzen, die sie für gut halte, Moga müsse sich danach richten. Die Furcht, die die Maielies ihr einflößte, hielt Moga zurück, ihr augenblicklich die Wahrheit ins Gesicht zu schreien; aber außer sich und unfähig, die Qual und Wut, die sie litt, zu bergen, eilte sie zu Lasko und sagte ihm, daß sie des Kindes Mutter sei.
Da er ihr das Unwahrscheinliche und Unerwünschte nicht glauben wollte, erzählte sie, wie es gekommen sei, erleichtert, sich aussprechen zu können: daß sie nach der Geburt dem Tode nahe gewesen sei und es als ein Glück für ihr Kind habe ansehen müssen, daß reiche und gute Menschen es annehmen wollten. Auch späterhin sei sie so schwach gewesen, daß man ihr leicht habe einreden können, es sei das beste, ja, das einzig mögliche für sie, das Kind abzutreten, und ohne Hilfe, gedrängt von allen Seiten, habe sie ihre Unterschrift unter das förmliche Versprechen gesetzt, daß sie auf ihr Kind verzichten und niemals ihre mütterlichen Rechte geltend machen wolle. Anfangs habe sie ihrer Krankheit wegen das Kind nicht bei sich haben dürfen und es später auf den Rat der Oberin des Spitals nicht gesehen, damit es ihr nicht ans Herz wüchse und es ihr dann schwer oder unmöglich würde, es von sich zu tun. Einmal aber, nachdem der Vertrag schon abgeschlossen gewesen sei, habe sie sich in den Saal geschlichen, wo das Kind mit vielen andern Säuglingen gelegen habe, habe es sofort, obwohl es seit der Geburt sich sehr verändert gehabt habe, wiedererkannt und an ihr Herz gepreßt mit dem Gefühl, daß sie sterben müsse, wenn es ihr wieder entrissen werde. Sie habe auch sofort der Oberin gesagt, daß sie von ihrem Versprechen befreit sein wolle, diese habe ihr aber zugeredet, daß das unmöglich sei und daß sie weniger an sich als an ihr Kind denken müsse, dem ein großes Glück wie ein Wunder in den Schoß gefallen sei. Da habe sie geschwiegen und sich der Maielies als Dienstmädchen angetragen, um in die Nähe des Kindes zu kommen; wäre diese nicht darauf eingegangen, würde sie damals schon verraten haben, wie sie zu dem Kinde stehe.
Lasko geriet in Zorn: Fluch über die Leute, die sie beredet hätten, ihr Kind herzugeben, und über sie, daß sie es getan hätte; denn nichts Schändlicheres und Unnatürlicheres könne eine Frau begehen, und es sei gerecht, wenn es mit schrecklicher Strafe bestraft werde. Moga gab ihm recht und erklärte, alles auf sich nehmen zu wollen, wenn ihr nur das Kind zurückgegeben würde. Es sei wahr, daß sie ihr Wort bräche, aber sie frage nicht danach, ob man ihr das vorwerfe, und sie glaube, es würde ein größeres Verbrechen sein, wenn die Maielies auf ihrem Rechte bestände, als wenn sie es verletzte. Lasko verbarg sein Erschrecken hinter heftigen Worten. Das würde er nie zugeben, sagte er, daß sie noch einen Menschen mehr, und einen unschuldigen dazu, unglücklich mache. Die Maielies würde jetzt, wenn ihr das Kind genommen würde, ebensoviel leiden, wie sie, Moga, litte. Kein andrer außer ihr solle jetzt die Folgen der Schuld tragen. Die Maielies müsse nicht nur das Kind behalten, sondern sie dürfe auch niemals erfahren, daß seine Mutter am Leben sei. Nun warf auch Moga alle Beherrschung ab und rief leidenschaftlich, sie lasse das Kind nicht! Warum sie allein leiden solle, die nichts als Leiden gekannt habe, und an der Maielies jedes Wölkchen, das sie netzen könnte, vorübergeleitet werde? Weil sie arm sei und jene reich? Ihr habe Gott das Kind gegeben, der Armen, Verlassenen, Freudelosen, und sie wolle es festhalten, und es sei dem Kinde besser, in ihrer Armut mit ihr unterzugehen, als daß sein Herz in dem reichen Hause unter reichen Leuten verhärtete. Die Augen sprühten aus ihrem schmalen Gesicht, das die grünlichbleiche Farbe hatte, die manchmal während der Abendröte am Himmel steht; sie sah mitleiderregend aus wie ein vor Schmerz und Entbehrung vorzeitig alterndes Kind. »So mögt ihr beide zu Grunde gehen,« sagte Lasko, »aber die Maielies soll bewahrt bleiben. Dein Kind ist ein Kind des Todes in dem Augenblick, wo ein verderbliches Wort über deine Zunge geht.« In seiner Stimme war ein tonloses Grollen, das sie mehr erschreckte, als was er sagte, und sie wich langsam zurück, ohne noch eine Entgegnung zu wagen.
Sowie sie sich entfernt hatte, ließ seine Wut und auch die Zuversicht, mit seiner Drohung etwas ausgerichtet zu haben, nach. Ja, schon während er Moga gegenüberstand und sie bekämpfte, hatte er ihr im Herzen recht gegeben und gefühlt, daß der Zustand, wie er war, nicht dauern konnte. Moga selbst empfand das Unrecht, das ihr geschehen war, und das Unerträgliche ihrer Lage nicht so peinvoll klar wie er; wenn er nach seinem Gefühl hätte handeln können, so hätte er sie mit ihrem Kinde mitten in ein Paradies gesetzt, wo sie leicht und sorglos, von liebender Natur umfangen, hätte leben können. Wie sich unablässig Gedanken in ihm drehten, was werden könne, schien es ihm zuweilen, die Maielies müsse das Notwendige einsehen und auf ein Glück verzichten, das nicht für sie bestimmt sei; aber malte er sich die Erschütterung ihres Schmerzes aus, so entsank ihm der Mut, ihr argloses Gemüt so gewaltsam zu treffen.
Am Abend fand er eine Gelegenheit, Moga allein zu sprechen, und sagte sanft zu ihr: »Du mußt dich nicht vor mir fürchten; denn ich könnte weder dir noch deinem Kinde etwas zu leide tun. Wenn du dein Kind für dich haben willst, sollst du es haben, und ich bin dir Bürge, daß die Maielies, die besser ist, als du meinst, euch freundlich wird ziehen lassen. Aber ich bitte dich, es ihr nicht anzutun. Weißt du noch, daß ich dich einmal Schwesterchen nannte? Das tat ich, weil ich fühlte, daß du nicht fest ins Leben eingewachsen bist, sondern früh abfallen wirst vom immergrünen Baume, wie ich. Es hat keinen Sinn, die Dinge so fest ans Herz zu schließen, die wir nach einem bangen Augenblick wieder wegwerfen müssen und nie mehr sehen. Die Maielies und Dragaino, die werden leben, lange, lange, und die Luft mit ihrem Lachen zittern machen, die schwer von unserm Staube ist. Laß die Kinder ihre Torheit genießen, und uns laß sie nicht beneiden, sondern still um die Ecke des Weges biegen und verschwinden.«
Moga legte ihre dünne Hand warm auf seine und sagte lächelnd: »Du siehst rot und frisch aus und wirst mit ihnen leben.« Auch wenn er sie nicht noch einmal darum gebeten hätte, fügte sie hinzu, würde sie das Geheimnis vor der Maielies bewahrt haben, nicht aus Furcht vor seiner Drohung, sondern weil sie einsähe, daß es gut so sei, und daß keiner um dieser Sache willen mehr leiden sollte als sie, die doch bald über alles hinaus wäre. Die Verzweiflung und der Haß wären nur deshalb so stark über sie gekommen, weil die Maielies sie gereizt hätte, aber seit sie es ihm gegenüber ausgesprochen hätte, sei es wieder ruhig in ihr geworden; im allgemeinen sei sie zufrieden, daß sie ihrem Kinde nahe sei und sicher wisse, wenn sie gestorben sei, werde es ihm doch gut gehen.
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Dragaino wurde rund, fest und stark, stand auf wohlgebildeten Füßen, und sein ebenmäßiger Körper saß in bräunlicher Haut, die Sonne schluckte. Wenn er voll von Lust und Uebermut vor Lasko stand und ihn mit verführerischen Glanzblicken aufforderte, mit ihm zu spielen, konnte der durchaus nicht widerstehen, und es beglückte ihn, zu tun, was der Kleine wollte. Besonders zog Lasko an, daß er früh zu sprechen anfing und bald überraschend viel ausdrücken konnte, manches auch aus Vergnügen am Worte nachsprach, dessen Bedeutung er nicht ahnte oder was überhaupt bedeutungslos war. Wenn sich niemand mit ihm beschäftigte, sang er, so laut er konnte, wahllos aneinandergereihte Worte, deren Klang ihm angenehm sein mochte, und nannte diese Gesänge: das von den Sternen oder das von den Wolken oder das vom Wasser; sie klangen niemals traurig, sondern wild und mutig. Trotzdem er in Erscheinung und Wesen nichts Empfindsames hatte, bedurfte er der Liebe, an die die Maielies und Moga ihn gewöhnt hatten, und er brach leicht über ein ungutes Wort in Tränen aus; meist versiegten diese schnell, und er schalt dann den, von dem er sich gekränkt glaubte, derb aus, was, wenn er auch nicht die richtigen Worte dazu fand, reichlich durch den Tonfall und die zornige Miene zum Ausdruck kam. Lasko fing an, sich seinetwegen auf die Stunden zu freuen, die er zu Hause zubrachte, ja er verließ wohl das Geschäft früher, als er sonst zu tun pflegte; das Kind zu sehen und mit ihm zu spielen, wurde ihm täglich unentbehrlicher. Einmal, als er einen Teller voll Kirschen vor sich hatte, sagte Lasko im Scherz bittend, er solle sie mit ihm teilen; allein Dragaino schüttelte den Kopf und sagte unbedenklich, er wolle sie alle, und erst nach einer Weile schob er ihm gutmütig blinzelnd eine hin, überzeugt, ihn damit reichlich abgefunden zu haben. Eben die Zuversicht, mit der er sich aller Dinge, die ihm gefielen, bemächtigte, das ungetrübte Vergnügen, mit dem er genoß, die Unersättlichkeit, mit der er wieder und wieder Neues verlangte, entzückten Lasko; er liebte den Kleinen, wenn er mit den Füßen auf den Boden stampfte und seinen Schmerz vergaß, weil er die Biene, die ihn gestochen hatte, getötet zu haben glaubte; wenn er lachend eine Blume zerfetzte, die er bewundern sollte, und wenn er auf alles losschlug, Menschen und Gegenstände, was ihm im Wege war oder ihm häßlich vorkam. Zuweilen faßte er ihn, anscheinend ohne Anlaß, und küßte ihn von oben bis unten, unbekümmert um sein Zappeln und Schreien, als ob er ein kleiner Quell vom Berge wäre, in den er untertauchen wollte, um sich zu kühlen und zu erfrischen.
Selten, an Tagen voll trüber Stimmung, sah er das Kind wieder wie ein fremdes, aufgedrungenes an, und er mußte dann plötzlich an seine eigne Kindheit denken und die Einöde, die sie umgab. Er hatte nur ein einziges Mal ein Spielzeug gehabt, ein einfaches hölzernes Pferd, das ein Arzt, der ihn liebgewonnen hatte, ihm schenkte, als er krank war; aber sein Vater zerbrach es ihm, weil er Spielzeug für überflüssig und schädlich hielt. Er dachte an seinen heimlichen Jammer über das zerstörte Gut, und an die Nächte, wo er sich nach seiner Mutter Rojenice sehnte, die ihn lieb gehabt hätte, und hoffte, sich mit unendlichen Tränen zu ihr ins Grab weinen zu können. In solchen Augenblicken haßte er das üppige kleine Geschöpf, das alle Säfte der Natur speisten, und dem alle Lüfte des Himmels schmeichelten. Auch an Divo mußte er zuweilen inmitten der Freude über Dragaino denken, an sein Kind, das so arm war, daß ihm selbst das Leben versagt geblieben war. Eine sonderbare Einbildung stellte ihm den nie verkörperten Traum vor wie ein Schattenkind, ein bescheidenes, an Entbehren gewöhntes, das ihm lautlos nachlief und sich still grämte, daß alle Liebkosungen seines Vaters dem stolzen kleinen Fremdling zuteil wurden und ihm nicht eine. Indessen ließ Lasko derartige Anwandlungen, die er selbst für ungesund ansah, nur selten Herr über sich werden, und immer von neuem besiegte sie die unschuldige Leibhaftigkeit des kleinen Lebendigen.
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Im Spätsommer, als Dragaino etwa zweieinhalb Jahre alt war, kehrte der Bauer Wlasti auf seiner Weltreise bei Lasko ein. Ueber ein Jahr lang hatte er abreisen wollen, war aber beständig von Lastari zurückgehalten worden, der die Arbeit allein nicht hatte beschaffen können und eine andre Hilfe nicht hatte anstellen wollen. Er erzählte, daß Lastari viel auf ihn gescholten habe, weil er sich den Neuerungen widersetzt habe, die jener habe einführen wollen, namentlich den Gebrauch von Maschinen, damit alles im Großen betrieben werden könne, und daß Lastari oft gesagt habe, er könne die Stunde nicht erwarten, wo er, Wlasti, draußen sei, ihn aber trotzdem immer unter irgend einem Vorwande an der Abreise verhindert habe. In der letzten Zeit habe Lastari oft davon gesprochen, daß er verschiedene Städte bereisen müsse, um die Maschinen, die er erproben wolle, auszusuchen, und da habe er gedacht, wenn Lastari einmal fort sei, würde für ihn niemals die Stunde schlagen, und er habe sich insgeheim aufgemacht und Umbla verlassen. Was er von der Welt gesehen hatte, war ihm nicht besonders merkwürdig vorgekommen, bis aus das Meer, doch billigte er fast alles in seiner Art, insofern er es nicht gerade mit seinem Tal Umbla zwischen den Bergen verglich. Ausnehmend gefielen ihm die Maielies und Dragaino, dessen herzhafte Zutraulichkeit ihm ein so heimisches Gefühl gab, daß er die ihm angetragene Gastfreundschaft für eine Nacht annahm.
Am Abend auf der Zinne, nachdem er ein Glas Wein getrunken hatte, wurde er gesprächig und geneigt, die Umgebung zu loben, mehr noch den sternenvollen Himmel und den ernsten Garten als das Meer, dessen trunkenes Lallen ohne Ende ihn befremdete. Er zeigte, unter welchem Sternbild sein Haus in Umbla läge, und kam wieder auf Lastari zu sprechen, der seine Gedanken noch immer zu beherrschen schien. »Er ist ein Mann, mit dem es beschwerlich zu leben ist wie mit allen Großen,« sagte er; »aber es ist in der Ordnung, daß man etwas für ihn aufwendet, weil er ein Seltener ist und den andern zu denken gibt. Er hat Adlerblut in sich und sollte auf den Höhen horsten, deshalb findet er nirgends Ruhe, treibt es heute so und morgen so und trauert, daß ihm doch in keiner Lage wohl wird.« Die Landwirtschaft, fuhr er fort, habe ihm wohl im Anfang zugesagt, aber damit sei es nun wohl auch vorbei, und wenn auch die Maschinen auf dem Felde ständen und dampften und rasselten, würde ihm das die Sache keineswegs lieber machen. Er sei nicht als Bauer geboren und nicht als Handelsmann, sondern als Herr, er wolle sich von keinem Verhältnis binden lassen, vielmehr aus jeder Schale einen Zug tun, sie dann wegwerfen und eine neue ergreifen. Er pflegte zu sagen, daß er kein Glück gehabt habe! Ja, könnte ein solcher Mann jahraus, jahrein im Saale sitzen, Wein trinken und seines Gutes walten? Der würde das Dach über sich anzünden, Weib und Kind umbringen und als ein Rasender von den Menschen an Ketten gebunden werden!
Die Maielies hatte während der Reden Wlastis still auf den schwarzen Wein in ihrem silbernen Kelche geblickt, den sie nun wieder auf den Tisch stellte, indem sie sagte: »Die Adler sind gefährlich, wenn sie in die Ebene kommen, und es ist billig, daß man sie dort nicht leiden will. Er hätte in seiner Höhe bleiben und seine Krone behüten sollen, die jetzt für immer verloren ist.«
Der Alte blickte vor sich nieder, als sei er mit andern Gedanken beschäftigt, hob dann den Kopf wieder und suchte mit halbgeschlossenen Augen das Sternbild der Krone, das tief gegen den Horizont geneigt über dem Wasser stand. »Da ist sie,« sagte er, mit dem Finger deutend. »Das Meer behält nicht, was dauern soll; es kocht und mischt und scheidet die irdischen Stoffe, von denen es gärt; aber der Himmel saugt ihm das Ungelöste aus und stellt es in seine alten, immerwährenden Ordnungen.«
Lasko und die Maielies wußten sich seine Worte nicht zu deuten, hörten aber wie Kinder halb ehrfürchtig, halb neugierig zu und suchten ihn durch aufmerksame und geschickte Bemerkungen zu weiteren Aeußerungen zu bewegen. Auf Laskos Frage, ob es anginge, seinen Vater mit Zizito allein auf dem einsam gelegenen Hofe zu lassen, sagte er, für ihn müsse man nicht fürchten; die Taglöhner, die auf Umbla wohnten, liebten und fürchteten ihn, überhaupt sei er in der ganzen Gegend bekannt und hochgeachtet, und Gehilfen zur Arbeit bekäme er, so viel er wolle. Die Maielies machte Lasko schüchtern den Vorschlag, sie wollten ihn besuchen, um ihm Dragaino zu zeigen, worauf der alte Bauer ernsthaft zustimmte, es sei an der Zeit, daß sich der Kleine seines Aeltervaters Segen hole. »Wer weiß aber,« fügte er hinzu, »ob ihr ihn noch in Umbla findet; denn vielleicht ist es ihm, seit ich fort bin, zu eintönig geworden, und er ist ausgereist, um Maschinen zu kaufen, oder in seine Berge gewandert, wo, wie er sagt, die Lüfte wehen, die jung machen.«
Am andern Morgen, als Wlasti sich verabschiedete, nahm er eine von Dragainos kleinen braunen Händen, obwohl er sich dazu mit Anstrengung bücken mußte, und küßte sie, worüber die Maielies eine größere Freude und Genugtuung empfand, als sei ihrer eignen Schönheit von dem ansehnlichsten Manne gehuldigt worden.
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Lasko hatte dem alten Bauern Dragaino als seinen Sohn vorgestellt und sich mit Wohlgefallen durch den Irrtum des andern in das Gefühl, Vater zu sein, hineintäuschen lassen. Er glaubte, dies Gefühl festhalten zu können, und in einer tapferen Stimmung, wie er sie seit langer Zeit nicht gehabt hatte, beschloß er, das Kind, das er und die Maielies lieb hatten, in seinem Herzen für seins und ihres zu erklären. Davon sagte er ihr nichts ausdrücklich, aber wie verändert sein Gemüt gegen sie und Dragaino war, spürte sie sogleich und empfand es als Glück. Er hielt nun die Wärme, die in ihm war, nicht mehr zurück: Dragaino mußte ihn auf Schritt und Tritt begleiten, er sagte ihm alles, was er im Sinne hatte, einerlei, ob das Kind es verstand oder nicht, das sich in dem neu aufgezogenen Sonnenschein ohne Besinnen zu Hause fühlte. Das Haus und der Garten kamen der Maielies leer vor, wenn nicht irgendwo die tollen Spiele von Lasko und Dragaino lärmten, so daß sie anfing, die Stunde herbeizuwünschen, wo Lasko aus der Fabrik nach Hause kam. An einem Nachmittage stand sie, während Lasko mit dem Kinde Steine ins Wasser warf, auf dem erhöhten Rasen, wo sie die beiden, die ein Wacholdergebüsch verdeckte, nicht sah, aber ihr Sprechen und Lachen hören konnte. Ihre Augen hingen an den starken Linien der Berge, die in rosen- und fliederfarbigen Tönen sich klar vom dunkelblauen Himmel hoben. Von den Bäumen und Blumen und aus der Erde quollen überschwengliche Farben in die durchsichtige Luft; über einer Mauer des Hauses hing eine wilde rote Rebe mit lockeren Blättern, eine schöne Glut ohne Brand wie Erinnerungen der Leidenschaft. In das Klingen und Läuten der hellen und der tieferen Stimme mischte sich das rhythmische Klopfen der Drescher in entfernten Scheunen. Als Lasko zur Maielies trat, um zu sehen, wo sie bliebe, fand er sie, die Augen voll Tränen und mit lächelndem Munde.
»Mir fehlt nichts,« sagte sie auf seine Frage, »als daß ich mich schön und glücklich und vergänglich fühle.«
Lasko zog sie an sich, und indem er sie auf den Mund küßte, fühlte er mit Entzücken, wie willig sie seinen Liebkosungen folgte. »Dich führt der Tod,« sagte er tröstend, »an die schönen Ufer deines Lethe, wo du alle Tage die berauschende Welle der Seligen trinken wirst.«
Sie nickte heiter. »Heute habe ich vergessen, daß ich einmal sehr unglücklich war,« sagte sie, und in dem Blick, mit dem sie ihn ansah, lag die zweifellose Sicherheit, daß jeder Schatten für ihn verschwunden sein müsse, wenn es für sie keinen gäbe. Lasko hatte nichts vergessen; aber er schloß die Augen, mit denen er die quälenden Bilder, die um seine Gegenwart sich drehten, zu sehen pflegte, und ließ sich glücklich wie ein spielendes Kind von der geliebten sicheren Hand mit fortziehen. Kaum jemals war er so unbesorgt und zutraulich gewesen: selbst auf Mogas Anwesenheit nahm er weniger Rücksicht als sonst, und ihr Verhältnis zu Dragaino kam ihm wie etwas Nebensächliches vor, woraus für ihn und die Maielies keine Gefahr sich ergeben könne.
Moga bemerkte eher als Lasko selbst, daß er verändert war, sowohl gegen seine Frau und Dragaino, wie gegen sie, und daß sie dabei verloren hatte. Es war um so bitterer für sie, weil sie damals häufig Fieberanfälle hatte und das Bett hüten mußte, so daß sie, obwohl gut versorgt, doch lange Stunden allein lag und ihren düsteren Gedanken nachhängen konnte. Dragaino sah sie an solchen Tagen kaum einmal flüchtig; denn die Maielies sonderte ihn am liebsten von jeder Berührung mit Kranken ab und fand es selbstverständlich, daß Moga ihre eigne Entbehrung stillschweigend überwinden müsse.
An einem Tage ging Lasko nach dem Mittagessen nicht in die Fabrik, sondern blieb zu Hause, um selbst die reifen Trauben abzunehmen, die an mehreren Lauben gezogen wurden. Moga hörte von ihrem Zimmer aus das strahlende Lachen der Maielies und das wilde Jauchzen Dragainos, wenn er einen Büschel Beeren gefangen hatte, die Lasko von der Leiter herunterwarf; mit geschlossenen Augen sah sie deutlich die runden, bräunlichen Kinderarme, die sich verlangend mit zappelnden Fingern ausstreckten, die strotzende Fülle der blauen und goldenen Trauben, das blonde Haupt der Maielies und die Luft, die wie unendlich leichter silberner Balsam um die glücklichen Gestalten wogte. Sie unterschied in Laskos Stimme einen tiefen Glockenton von Freude und Genügen, dessen Wohllaut ihr Tränen in die Augen trieb, denn sie schien ihr von einer unsichtbaren Insel irgendwo im Weltraum zu kommen, wohin er sich gerettet und wo er ihrer Einsamkeit und Trauer vergessen hätte. Zurückgeblieben war sie allein, nachdem er ihr den Reichtum, den sie besaß, abgeschmeichelt hatte, als einer Kranken oder Sterbenden, die ihn nicht mehr nutzen könne. Ihres war das Kind, dessen Lust und Schönheit die Fremden beglückte, das vielmehr an ihrem Bett hätte sitzen, dessen flaumige Hände ihr abgezehrtes Gesicht hätten streicheln, und dessen helles Geplauder sich wie ein Heilquell über ihr Siechtum hätte ergießen sollen. Anstatt dessen saß an ihrem Bette die Zeit im grauen Kleide und spann aus schweren Gedanken ein einförmiges Gewebe, während draußen die Stunden, mit schlanken, goldklaren Füßen tanzend, einen Reigen um die drei Ahnungslosen schlangen, die sie nicht sahen, kaum die dämonische Musik vernahmen, die mit dem heißen Ton metallener Becken von den Lippen der Göttinnen summte.
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Als Lasko gegen Abend zu Moga kam und ihr einen Teller voll Trauben brachte, empfand sie keine Dankbarkeit, sondern Hohn, daß er sie durch die verspätete und wertlose Aufmerksamkeit reizte, ihren Groll an ihm auszulassen, anstatt sie klug zu schonen wie heiliges Unglück, das zu trösten man die Macht verscherzt hat. Lasko, der sonst so scharf blickte, sah nicht, daß sie sein Glück, in dessen Besitz er sich sicher zu fühlen begann, zwischen den Fingerspitzen hatte. Während er sonst den Zustand eines Menschen, ob er nun leidend oder von Sorgen bedrückt oder sonst an einem Uebel krankend war, augenblicklich witterte und sich ihm scheinbar gleichstellte, um ihn nicht durch vermeintliches Glück zu beschämen oder zu erbittern, brachte er in Miene und Wesen die Lust des überreifen Sommertages ungedämpft, ja, wie ihr schien, prahlerisch mit in ihre reizlose Kammer, als ob er sagen wollte: Sieh, so bekränzt uns das Leben, uns Schönen, Herrlichen, die wir gesiegt haben! Es war in Wirklichkeit ein kindisches Verlangen in ihm, ihr, der er manchmal seine Unfähigkeit zum Leben geklagt hatte, nun einmal zu zeigen, daß er sich auch auf die große Angelegenheit, glücklich zu sein, verstehe, daß er lauter gaukelnde Täuschungen: Kinderlachen, Herbstjubel, ein liebes Angesicht in einen Tropfen reiner Freude verwandelt und sein Blut damit genährt habe. Es fiel ihm in seinem Eifer nicht auf, daß Moga mit fest zugeschlossenen Lippen zu allem, was er sagte, schwieg; erst als er die Bemerkung machte, es komme ihm so vor, als ob Dragaino Aehnlichkeit mit der Maielies habe, lachte sie kurz und mit Bedeutung auf, als ließe sich vielerlei dazu sagen.
»Ich habe mich schon oft gefragt,« fuhr Lasko munter fort, »ob das ein witziger Zufall ist, oder ob das innige Zusammenleben der beiden macht, daß sie einander innerlich und demgemäß auch äußerlich gleich werden; wenn man die Bildsamkeit eines Kindes bedenkt, ist das keineswegs unglaublich. In den Linien und Formen liegt die Aehnlichkeit wohl nicht, aber wie sie sich so warm und fest in das Leben eingenistet haben und alles, die Traurigkeit wie die Lust, mit kindlichem Ernst betreiben, als ob jedes ewig und unendlich wichtig wäre, das mag ihnen einen verwandten Ausdruck geben, so daß es mir oft vorkommt, als wäre das Kleine nur eine Widerspiegelung der Großen.«
»Das Rätsel wäre leicht zu lösen,« sagte Moga mit leisem, stechenden Lachen; es gab nichts, was sie so schmerzte, wie die Bemerkungen, die Lasko zuweilen über eine vermeintliche Aehnlichkeit zwischen seiner Frau und Dragaino machte, wodurch er ihr Kind ihr wegzunehmen und der Maielies zuzusprechen schien, als habe gleichsam die Natur selbst so entschieden. Lasko stutzte und wiederholte sich im Innern Mogas Worte, deren bösen Sinn er augenblicklich spürte, ohne ihn sogleich zu verstehen. Seine Stimmung schlug um, so daß er das eben noch empfundene Wohlsein sich selbst nur als Verstellung oder Laune hätte erklären können; dagegen erfüllten ihn stachelnde Neugier und verhängnisvolle Wut, sein Schicksal zu kennen bis zum Rande. Niemals war es ihm bis jetzt wichtig vorgekommen zu wissen, wer der Liebhaber Mogas und Vater ihres Kindes sei; plötzlich ging ihm nun die Bedeutung des Geheimnisses auf, und er war entschlossen, es ihr zu entreißen, und wenn er es mit glühenden Nadeln und Zangen aus ihrer Seele foltern müßte. Er war mit einem Male scharfsichtig für den Zustand geworden, in dem sie sich befand, und es fiel ihm allerlei ein, womit er sie reizen könnte. Da sie gerade bei dem Gegenstand wären, sagte er, solle sie ihm eingestehen, wer Dragainos Vater sei; unter den vornehmen Herren und Feinschmeckern würde er eben nicht zu suchen sein; er wäre neugierig zu wissen, aus was für einem hungrigen Lande der Fuchs gekommen sei, der sie nicht zu mager gefunden hätte.
»Einen feinen Geschmack muß er wohl gehabt haben,« schrie Moga, »da deine Frau ihm so gut gemundet hat.«
Moga hatte noch nicht ausgesprochen, als Lasko den Zusammenhang erriet, deutlich und überzeugend wie ein Gesicht, das die Ereignisse in ihrer feinen Verkettung vor ihn hinstellte. »Ich dachte mir immer,« sagte er kühl, »daß es Rizzo sein müsse, nur wollte ich nicht glauben, daß du eine solche Närrin habest sein können.«
»Ja, das war ich,« schrie Moga, »das war ich! Aber es ist besser, so närrisch zu sein, als so klug, wie deine Frau war. Sie hat ihn gelockt und geliebt bei Tag und bei Nacht, aber den Preis hat sie mit meinem Blute gezahlt, wie ja immer die armen Mädchen den Löwen zum Fraße vorgeworfen werden, damit die reichen Weiber ohne Gefahr mit den gesättigten spielen können. Nun hat sie die Liebe gehabt und kann sich doch ihrer Treue rühmen und ihren Mann zum Vater von ihres Geliebten Kinde machen.«
Lasko hörte ohne einen Anschein von Erregung zu und entgegnete kein Wort, während er an Mogas Bette sitzen blieb. »Schade!« sagte er nach einer Weile leichthin, worauf er sich erhob und langsam das Zimmer verließ.
Moga empfand keinen Groll mehr und ebensowenig Sättigung ihrer Rachsucht; anstatt dessen wurde ihr bange. Es kam ihr vor, als müsse sie ihn zurückrufen und ihm sagen, daß alles nicht wahr sei, was sie ihm gestanden hätte; aber es war klar, daß er ihr keinen Glauben schenken würde. Obwohl er kein Unbehagen, geschweige denn Zorn gezeigt hatte, war ihr zumute, als würde er etwas tun, fürchterlicher als sie ausdenken könnte. Sie lag schlaflos mit hastig klopfendem Herzen, und je dunkler und stiller es wurde, desto deutlicher glaubte sie aus der bodenlosen Nacht ein tragisches Haupt auftauchen und dem Hause mit allen, die darin lebten, stummes Wehe drohen zu sehen.
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Lasko schloß sich ein, damit niemand den schrecklichen Todeskrampf seiner Seele sähe. Was ihn so unheilbar verletzt hatte, war, daß er die Maielies nun nicht anders als wie eine Heuchlerin ansehen konnte, eine feige und niederträchtige Frau, die durch Verstellung sich ein unerlaubtes Glück erschlichen habe, und daß er damit den Glauben an die Möglichkeit von Schönheit und Gesundheit überhaupt sich entrissen fühlte. Wäre sie ihm untreu geworden, so hätte er sie hassen und töten können, aber er hätte nicht aufgehört sie zu lieben. In seinem Innersten sie anzubeten als das geheiligte Kind des Lebens, den rauschenden Baum, der den Moder der Vergangenheit zu seinen Füßen aufsaugt und in grünes Licht verwandelt, war ihm zur Bedingung seines Daseins geworden. Er traf sein eignes Fleisch, nun er ihr Bild in den Kot warf und zergeißelte. Während er sie geliebt hatte, weil ihr unerschöpflicher Blütendrang, wie er wähnte, sie befähigte, aus dem Entlegensten sich innigstes Glück zu schaffen, ein aufgelesenes Kind sich bluteigen zu machen, hatte sie, so sah er es jetzt an, weibisch geschwelgt in dem Abbild ihres Geliebten und sich begnügt, ein Stück von ihm zu hätscheln, da sie ihn selbst nicht haben konnte. Einbildungen marterten ihn von verruchten Wonnen, die das unwissende Kind an ihrem Herzen ihr vorgespiegelt hätte. Er saß in seinem Haß wie in einem roten Qualme, durch den gesehen alle Dinge in Feuer zu stehen schienen, der aber zugleich seiner Seele ein rettendes Gewölk war, das sie hinderte, sich zu verbluten; denn sowie der Haß und die Rachsucht nachließen, strömte sein Leben wie aus offenen Wunden weg mit einem Wehgefühl, dem überirdische Wonne beigemischt war.
Erst am folgenden Abend zeigte er sich der Maielies wieder, ihre freundliche Frage grob damit abweisend, daß sie sich nicht darum zu kümmern habe, wo er sei und was er treibe. Als Dragaino in der Freude ihn wiederzusehen auf ihn zusprang, sagte er heftig auffahrend, er solle sich hüten, ihn zu stören, da er lesen wolle. Das Kind, an diesen Ton nicht gewöhnt und ohne Verständnis dafür, erneuerte seinen Annäherungsversuch mit Necken und Schmeicheln, worauf Lasko ihm einen Schlag ins Gesicht versetzte, daß der Kleine taumelte und sich jämmerlich weinend zurückzog. Lasko sprang auf, blutrot im Gesicht, und schrie das entsetzte Kind an, wenn es noch einen Klagelaut hören ließe, würde er es totschlagen. Vor Schrecken unfähig, sein leidenschaftliches Schluchzen zu unterdrücken, stand der Kleine krampfhaft zitternd vor der drohenden Faust, als die Maielies ihn schnell an sich riß und in ihr Zimmer trug. Als sie mit blassem, strengem Gesicht zurückkam, herrschte Lasko sie an, solange Dragaino unter einem Dache mit ihm sei, würde er ihn erziehen, wie er es für gut halte, und wenn sie sich dazwischen dränge, habe sie das Aergste zu befürchten.
»Ich fürchte dich, wie man einen schäumenden Hund fürchtet,« sagte sie kalt; »man weicht ihm aus.« Da sich solche Auftritte wiederholten, fragte sie ihn, ob irgend etwas vorgefallen sei, das ihn aufgeregt oder gegen sie aufgebracht habe.
Er lachte laut und tückisch und sagte: »Vorgefallen? Ja, du hast ein langes Gedächtnis! Worüber du eine Nacht Schlaf gedeckt hast, das liegt begraben. Warum siehst du ärgerlich aus? -- Weil du gestern meine Mutter vergiftet hast. -- Wie du nachträgst! Ich dachte, es wäre kürzlich etwas vorgefallen!«
Es überkam die Maielies, die nicht begriff, was er sagen wollte, ein schauerliches Angstgefühl, als fände sie sich anstatt Laskos, der sie kannte und lieb hatte, einem lauernden Unbekannten gegenüber, der sich unter der Maske ihres Mannes eingeschlichen habe, um ihr wer weiß was zuzufügen. Daß ihm plötzlich die Erinnerung an ihre Liebe zu Rizzo gekommen wäre und ihn so gegen sie verändert hätte, schien ihr unglaubhaft, sofern er überhaupt bei Sinnen wäre, und die Möglichkeit, daß er Dragainos Beziehung zu jenem erfahren habe, hielt sie für ausgeschlossen. Immerhin war es deutlich, daß seine Wut oder Raserei gegen das Kind gerichtet war, und sie suchte zu vermeiden, daß es allein mit ihm bliebe. Doch war das deshalb schwierig, weil Dragaino nicht zurückzuhalten war, wenn Lasko ihn zu einem gemeinsamen Spaziergang oder anderm Unternehmen aufforderte, was er beinah täglich tat. Die rohen Mißhandlungen, die ihm jetzt oft widerfuhren, schreckten ihn nicht ab und schienen die Zuneigung, die er einmal zu Lasko gefaßt hatte, nicht zu unterdrücken; er kam stets wieder, nicht wie ein Hündchen, das sich in blinder Anhänglichkeit von seinem Herrn auch schlagen läßt, sondern tapfer und zuversichtlich, als müsse die Gefahr und das Schrecknis mutig bestanden werden, damit alles wieder gut werden könne. Er setzte sich sogar zuweilen feindselig gegen die Maielies, deren Bestreben, ihn von Lasko zu entfernen, er herausfühlte; aber auch gegen Lasko trat er furchtlos auf und hielt ihm in seiner Kindersprache vor, daß er jetzt böse sei und wieder gut wie zuvor werden müsse, weil er ihm sonst dies und jenes antun würde.
Es gab Augenblicke, wo Lasko, wenn die Maielies nicht dabei war, das kleine, unverstellte Geschöpf fest faßte, an sein Herz drückte und küßte; aber es folgte jedesmal ein um so schlimmerer Ausfall. Eines Tages gegen Abend sagte er zu Dragaino, er wolle im Meere baden und ihn mitnehmen, es sei Zeit, daß er schwimmen lerne, was der Kleine mit hellem Jubelgeschrei beantwortete. Die Maielies sagte erschrocken, sie wolle das nicht leiden, Dragaino sei noch zu klein, um schwimmen zu lernen, auch sei das Wasser um diese Jahreszeit so kalt, daß er sich etwas zuziehen könne. Lasko nahm, ohne zu antworten oder einen Blick auf die Maielies zu werfen, Dragaino bei der Hand und ging mit ihm in das Badehaus, wo er ihn und sich entkleidete. Als Dragaino an seinen nackten Füßen die Kälte des Wassers spürte, zog er sich erschreckt zurück, allein auf einen ermunternden Zuruf Laskos, der bereits schwamm, wagte er sich mit verzweifeltem Mute weiter vor und schlug nach Laskos Anweisung mit beiden Armen so kräftig er konnte auf das Wasser. Nun müsse er ins volle Meer hinaus, feuerte Lasko ihn an, und stieß ihn, da er zauderte, vorwärts, wo er den Grund unter den Füßen verlieren mußte. Die Maielies war ihnen nachgegangen und hatte sich an das Ufer gestellt, entschlossen, wenn Dragaino etwas zustieße, ins Wasser zu springen, um ihn entweder zu retten oder mit ihm zu ertrinken. In dem Augenblick, als sie eine Bewegung machte, weil sie Dragainos bräunlichen Körper zappelnd unter der Oberfläche des Wassers verschwinden sah, griff Lasko nach ihm, zog ihn heraus und trug ihn in das Badehaus, wo er ihn trocknete und ankleidete. Als ob er die Maielies nicht gesehen hätte, ging er Hand in Hand mit Dragaino ins Haus und setzte sich mit ihm an ein Kaminfeuer, gab ihm zu essen und zu trinken und lobte ihn wegen seines Mutes, indem er zugleich versprach, sie würden morgen wieder schwimmen, wozu Dragaino mit großen Augen vergnügt und eifrig nickte.
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Die Maielies lag bis tief in die Nacht ohne Schlaf und erwachte später als sonst. Sie blickte hastig nach Dragainos kleinem Bett, das dicht neben ihrem stand, und sah mit Todesschrecken, daß es leer war. Fast im selben Augenblick tat sich leise die Tür auf, und das runde, von goldbraunen Ringellocken umgebene Gesicht Dragainos lachte herein; wie er mit schnell trippelnden Füßen zu ihr hinlief, stieß sie einen jauchzenden Schrei aus, dann zog sie ihn mit beiden Armen zu sich herein und hielt ihn eine Weile an sich gedrückt unter Küssen und Gelächter.
Lasko fand am Mittag den Tisch für sich allein gedeckt; nachdem er gegessen hatte, kam die Maielies, da sie mit ihm zu sprechen hätte. Er stand nicht auf, und sie setzte sich nicht, wie die Unterredung überhaupt sie sichtliche Ueberwindung kostete; sie sah bleich und alt und unerschütterlich entschlossen aus. Sie sei nicht gesonnen, sagte sie, das Zusammenleben mit ihm länger zu ertragen, und werde noch heute mit Dragaino zu ihren Eltern reisen. Was für eine Wut oder Erkrankung ihn ergriffen habe, frage sie nicht mehr; in jedem Falle wolle sie sich und das Kind nicht länger seiner Bosheit aussetzen. Wie die Beziehungen zwischen ihnen geregelt werden sollten, das könne brieflich oder durch Vermittelung ausgemacht werden, sie willige in alles, wenn sie nur nicht mehr in seiner Nähe leben müsse. Daß er einverstanden sei, setze sie voraus, denn augenscheinlich habe er einen Haß auf sie und ihr Kind geworfen; daß sie nichts andres mehr als Abscheu gegen ihn empfinden könne, werde er natürlich finden.
»Alles finde ich natürlich,« sagte Lasko lachend, »daß du frei von mir sein möchtest, um unbehelligt deine Buhlerei treiben zu können. Aber du trägst meinen Namen, und den sollst du nicht schänden, du Dirne!« Dabei stürzte er mit aufgehobenen Händen auf sie zu, die, ohne sich zu rühren, stehen blieb und ihn ansah. Mit mehr Ekel als Furcht sah sie in sein gelbes, verzerrtes Gesicht, das dicht vor dem ihren war, und es schien, daß sie ihn damit entwaffnete; denn er ließ die Arme fallen und ging schnell aus der nächsten Tür, die er knallend hinter sich zuschlug.
Die Maielies lief sofort Dragaino zu suchen und fand ihn arglos vergnügt im Kinderzimmer spielen; durch das Fenster sah sie, daß Lasko das Haus verließ, wie sie vermuten mußte, um nach der Fabrik zu gehen. Sie wäre gern sofort mit Dragaino zum Bahnhof gefahren und hätte dort gewartet, bis ein Zug ginge, so voll Grauen war ihr das Haus geworden; allein es widerstrebte ihr, zu flüchten, bevor sie alles so geordnet hatte, daß der Haushalt zunächst ohne sie wie gewöhnlich weiterginge. Sie war mit Einpacken beschäftigt, als Moga kam und meldete, daß Lasko zurückgekommen wäre und Dragaino mit auf das Meer nehmen wolle; sie wären schon zum Bootshäuschen hinuntergegangen. Die Maielies lief an Moga vorbei, die vor Aufregung schlotterte, in den Garten und dem Bootshause zu, in dem sie von weitem Laskos und Dragainos Stimmen durcheinanderklingen hörte; aber sie ging nicht hinein, weil sie begriff, daß das Kind durch ihre Gegenwart mehr gefährdet als geschützt sein würde. Anstatt dessen eilte sie die große Treppe hinunter, die ins Wasser führte, und sah von dort aus gleich darauf den Kahn mit vom Winde beschleunigter Fahrt vorüberschießen.
Lasko stand am Ruder, Dragaino saß auf der mittleren Bank und schaute erwartungsvoll zu ihm auf; obwohl Lasko ihm nicht gedroht hatte, sondern lachte und Späße machte, empfand er etwas Ungewöhnliches, halb als Beängstigung, halb als Abenteuer, und wenn Lasko ihm zurief: »Heute sollst du schwimmen wie ein Fisch, mitten im Meere!« nickte und lachte er zustimmend, aber eine schreckliche Furcht wuchs verstohlen in seinem Herzen. Der Wind blies über die Wellen, daß sie aufsprangen und taumelnd über den Rand des Schiffchens schlugen, und die Bewölkung deutete darauf, daß er eher zunehmen als nachlassen würde; auch war weit und breit kein Boot zu sehen, nur in der Ferne strich ein geblähtes Segel wie ein Sturmvogel über das dunkelgrüne Gewoge. Als das Haus durch einen Vorsprung des Ufers verdeckt war, zog Lasko die Ruder ein, sprang an Dragainos Seite und rief: »Nun sollst du schwimmen!«
Der Kleine machte die strahlenden Augen weit auf, nickte und fragte: »Was soll ich tun?«, indem er sich mit den kleinen dicken Händen an Lasko klammerte, da das Boot durch den Sprung in jähe Bewegung geraten war.
»Hineinspringen sollst du!« rief Lasko laut und böse, indem er sich von der anklammernden Hand befreite; »fürchtest du dich etwa?«
In Dragainos Augen traten Tränen, aber er sagte tapfer, wenn auch mit kleiner Stimme: »Es macht nichts,« stand auf und schickte sich an, ins Wasser zu springen und zu versuchen, ob er schwimmen würde.
Indessen faßte Lasko ihn am Arme und fragte rauh: »Und wenn du ertrinkst und die Fische dich fressen?«
Der Kleine drehte sein blasses Gesicht nach Lasko um und sagte noch einmal: »Es macht nichts,« indem er zaghaft lächelte und unwillkürlich nach Laskos Arm tastete.
»Du bist ein Hasenherz,« sagte Lasko scheltend, »bleibe da sitzen und rühre dich nicht,« womit er das Kind auf seinen früheren Platz setzte und selbst die Ruder ergriff. Er mußte sich anstrengen im Kampf mit dem Winde, den er jetzt gegen sich hatte, und ruderte schweigend, während Dragaino ernst und froh das Lied vom Wasser, das Lied von den Sternen und andre Hymnen sang.
Unterdessen stand die Maielies auf der Treppe so weit unten, daß die Wellen von Zeit zu Zeit über ihre Füße liefen, das Gesicht an die feuchte Mauer gepreßt. In ihrem Kopf wirbelte eine Reihe von Vorstellungen, die sie nicht beachtete, und was sie doch peinigte, als wenn es das gleichmäßige Pochen und Sausen einer Maschine wäre. Aus der Beklemmung, die ihre Brust zusammendrückte, rang sich jeden Augenblick ein Seufzer oder ein Stöhnen, das die Mauer erstickte. Sie fluchte sich selber, daß sie Laskos Frau geworden war, den sie haßte wie einen Teufel, und halb betäubt von dem Schluchzen und Rauschen des Meeres neben ihr fühlte sie eine so schreckliche Erbitterung der Gedanken, daß sie mit Genugtuung sein Blut hätte fließen sehen. Von ihren Füßen, die fast im Wasser standen, schlich erstarrende Kälte durch den ganzen Körper und zugleich eine Müdigkeit, die ihr die Augenlider zudrückte. Als endlich das Boot wieder sichtbar wurde, winzig und tanzend auf dem ungestümen Wasser, empfand sie nichts als öde Verwunderung; erst die feine singende Stimme, die plötzlich hell wie ein Strahl durch das Getöse zu ihr drang, machte sie laut aufweinen, und sie beugte sich unwillkürlich vor, als müsse sie augenblicklich mitten durch das Wasser zu dem Kinde hin. Doch hatte sie, so schwer ihr auch das Warten wurde, Besonnenheit genug, um die Treppe hinauf und in das Haus zu eilen, damit Lasko sie nicht sähe. Es verging noch eine gute Weile, bis Lasko den Kahn in das Häuschen eingefahren hatte; kaum dort angelangt, setzte er Dragaino auf die eiserne Treppe und rief ihm zu: »Lauf nach Hause!« mit einem so bösen und tyrannischen Ausdruck, daß der Kleine, dem es ohnehin ein wenig nach seiner Mutter bangte, nichts einwendete, sondern geradewegs mit flinken Beinen über die Wiese ins Haus rannte.
Nachdem Lasko das Boot an die Kette gehängt hatte, ging er sofort in sein Zimmer und legte sich auf einen Diwan; es hatte ihn ein tobender Kopfschmerz, verbunden mit Uebelkeit, überfallen, so daß er die letzten Schritte nur schwankend hatte machen können. Vor seinen Augen und Ohren schaukelte das Wasser herauf und herunter, und gleichzeitig schien von allen Seiten ein starker Geruch von Salz und faulen Fischen auf ihn einzuströmen. Er hatte das Bedürfnis, sich ein nasses Tuch auf die Schläfen zu legen; aber er war unfähig aufzustehen und wollte niemand rufen. Als Moga anklopfte und, da er nicht antwortete, vorsichtig eintreten wollte, rief er ihr so drohend zu, sie solle ihn ungestört lassen, daß sie, auch durch sein entstelltes Gesicht erschreckt, sich augenblicklich zurückzog. Die Maielies fragte nicht nach ihm; sie saß neben Dragaino und ließ ihn erzählen, während Tränen unendlich über ihr bleiches, lächelndes Gesicht flossen.
Es war inzwischen zu spät geworden, um noch abzureisen; auch fürchtete die Maielies, dem Knaben könne die Wasserfahrt geschadet haben, und sie brachte ihn früher als gewöhnlich zu Bett. Sie selbst legte sich angekleidet neben ihn, damit er sich desto lieber zu der frühzeitigen Ruhe bequemte, wurde aber von ihrer großen Müdigkeit überwältigt und schlief eher als Dragaino ein, der durchaus nicht so abgespannt war, wie sie nach der eignen Empfindung schließend sich eingebildet hatte. Sowie er bemerkt hatte, daß sie schlief, kletterte er aus seinem Bett, schlüpfte leise aus dem Zimmer und lief auf nackten Füßen und im langen Hemd zu Lasko, der noch auf dem Diwan lag. »Bist du krank?« fragte er verwundert, und da Lasko traurig nickte, hob er mit einer kleinen belehrenden Gebärde die Hand und sagte: »Siehst du, weil du böse gewesen bist, mußt du sterben.«
In diesem Augenblick stürzte Moga, die das Kind zu Lasko hatte gehen sehen, mit einem Schrei in das Zimmer und wollte es an sich reißen; allein Lasko richtete sich auf und sagte: »Es ist verloren, wenn du es anrührst!« indem er es zugleich mit einem Arm faßte und zu sich auf den Diwan zog. Dragaino sah mit aufmerksamen Augen erstaunt auf Moga, die weinend fortlief, dann in Laskos gequältes Gesicht; eine zärtliche Welle stieg in ihm auf, indem er ihn betrachtete, und er schmiegte sich an ihn und streichelte ihn ernsthaft mitleidig. Lasko hielt eine Weile still, küßte leidenschaftlich des Kindes Stirn, Brust und Hände und trug es dann bis vor die Tür des Schlafzimmers, wo er es auf den Boden setzte und ihm einen stummen Wink gab, es solle sich hinlegen und schlafen.
Nachdem er ein Glas Wein getrunken hatte, fühlte er sich kräftiger, obwohl der Schmerz im Kopf noch mit Heftigkeit andauerte; aber er konnte gehen und frei denken. Eilig packte er von seinen Sachen in eine Handtasche, was er am notwendigsten brauchte, schrieb einen kurzen Brief an die Maielies, den er in seinem Zimmer auf den Tisch legte, und verließ, ohne jemand ein Wort zu sagen, das Haus.
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Moga wußte sich in ihrer Todesangst, als sie aus Laskos Zimmer kam, nicht anders zu helfen, als daß sie zur Maielies lief, sie weckte und ihr alles erzählte: Lasko wisse, daß Dragaino das Kind Rizzos sei, und sie sei gewiß, er wolle es aus Haß und Eifersucht umbringen. Die Maielies, die Augen noch voll Schlaf, sah Dragainos leeres Bett und erschrak bis ins Herz; sie wollte aufspringen, besann sich aber und sagte: »Er wird es doch nicht tun; wir müssen warten.« Die Ruhe, zu der die Maielies sich zwang, löste Moga vollends auf; so spräche sie, rief sie, weil sie des Kindes Mutter nicht wäre, und doch könne nur sie das Kind retten, da sie Macht über Lasko in seinem Wahnsinn habe. Immerhin, wenn sie nicht helfen wolle, möge sie in ihrem Bette liegen bleiben; sie, Moga, werde des Kindes Tod nicht überleben. Da in diesem Augenblicke Schritte hörbar wurden, blieb sie zitternd stehen und stürzte sich mit schrecklich hervorbrechenden Tränen über Dragaino, der gleich daraus hereinschlüpfte. Sie erschöpfte sich in Liebkosungen, deren der Kleine sich zu erwehren suchte, und legte ihn erst ins Bett, als er ärgerlich zu weinen anfing und die Maielies um Hilfe anrief, die regungslos mit abgewendetem Kopfe dagelegen hatte. Mogas Wesen und ihre Worte hatten ihr auf einmal die Dinge so gezeigt, wie sie in Wirklichkeit waren; aber sie hatte das dumpfe Gefühl, als ob sie die unerträgliche Enthüllung noch unterdrücken und ersticken könnte. Sie richtete sich auf und fragte Moga, die unschlüssig an der Tür stehen geblieben war: »Wer bist du denn? Wer bist du?« Aber da die weitgeöffneten heißen Augen des Mädchens einen Zweifel auszusprechen schienen, ob sie ihr einen so großen Schmerz in diesem Augenblick antun sollte, winkte sie ihr, sich schnell zu entfernen, und sagte: »Wir müssen jetzt schlafen, morgen sollst du mir alles sagen.«
Zum Weinen oder zu irgend einem leidenschaftlichen Gefühle war sie infolge der Aufregungen des Tages zu abgespannt; es war ihr so zumute, als gehöre ihr nur noch eine lange, stille Nacht, und sie empfand es dankbar als Wohltat, daß sie die allein neben dem schlafenden Kinde zubringen durfte. Die seltsame Tatsache, daß Rizzo zu der Zeit, als sie am bittersten um ihn litt, Moga verführt und ihre Liebe genossen hatte, stand hell vor ihren Augen, ohne sie zu rühren. Als sein stolzer, phantastischer Kopf lebendig aus der Stille ihrer Erinnerung auftauchte, schauderte sie und ließ ihn, wie man etwas Störendes wegwischt, wieder in der Seele versinken; dann schlief sie, obwohl sie den Schlaf noch fern wähnte, plötzlich ein. Erst am Morgen, als Dragaino seiner Gewohnheit nach in ihr Bett sprang und sie mit Umarmungen weckte, wurde sie sich des Erlebten als einer tödlichen Wunde bewußt. »Wer bin ich?« fragte sie das Kind, das mit strahlender Ueberzeugung: »Mama!« sagte. Sie liebte es mit aller Herzenskraft wie zuvor, und ihr Gefühl sagte ihr so sicher wie immer, daß es ihr angehöre; aber sie konnte es nicht mehr ansehen, ohne zu weinen, ja, es schien ihr, als ob sie an seinem lieben Anblick sterben müsse. Plötzlich fiel ihr ein, wie sie am vergangenen Nachmittag am Meere gestanden und in Verzweiflung Gott beschworen hatte, das Kind nicht umkommen zu lassen; mit heidnischem Willenszauber hatte sie seine ordnenden Hände an ihr Glück zu binden versucht. Wie gern hätte sie jetzt im unempfindlichen Schlaf auf dem Grunde des Meeres gelegen, unzugänglich dem Licht und dem Leben, losgelöst von der engen, schweren Kette der gestrigen und künftigen Tage. Sie schloß die Augen und dachte sich in das feuchte, gewiegte Ruhen hinein, von dem sie jetzt auf immer ausgeschlossen zu sein schien.
Die Nachricht von Laskos Abreise machte keinen bemerkenswerten Eindruck auf die Maielies. Er schrieb ihr, daß er sie nicht aus ihrem Vaterhause vertreiben wolle, lieber ginge er, damit sie bliebe. Sie möge nicht um ihn besorgt sein, er begebe sich auf Reisen und würde bald wieder von sich hören lassen. Er hätte persönlich von ihr Abschied genommen, wenn er nicht annehmen müßte, daß seine Gegenwart ihr unleidlich sei. Sein Benehmen während der letzten Tage möge sie mit seiner krankhaften Reizbarkeit und Laune entschuldigen und es vergessen, so gut sie könne.
Die Maielies empfand keinen Groll mehr gegen Lasko, vielmehr erschien ihr seine Handlungsweise, so wie sie ihn kannte, hinreichend begründet, und sie war sogar überzeugt, daß sie die gefährlichen Anwandlungen hätte überwinden können, wenn sie geahnt hätte, was sie verursachte. Aber alles dies erschien ihr jetzt belanglos; ob Lasko da sei oder nicht, ob er sie liebe oder nicht, das hatte nichts zu bedeuten, nun das Kind nicht mehr ihr Kind, das Leben nicht mehr das Leben war. Wenn sie an die Leiden dachte, die Moga, seit sie das Kind geboren hatte, gelitten haben mußte, wallte grenzenloses Erbarmen für das verlassene Mädchen in ihr auf, und es drängte sie, zu ihr zu gehen, sie fest in die Arme zu nehmen und zu sagen: sei meine Schwester! bleib bei mir, Dragaino soll dein und mein Kind sein! und jeden Widerstand, den sie dagegensetzen könnte, im Sturm der Liebe zu überwältigen. Aber wenn sie ihr in Wirklichkeit gegenüberstand, lähmte ein kaltes Gefühl ihre Glieder und ihr Herz, und sie fühlte selbst, wie die Bewegung ihrer Mienen erstarrte und ihr Blick sich entseelte, so daß ihr Gesicht einer augenlosen Maske auf steinernen Denkmälern gleichen mochte.
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Die Maielies sagte nicht unfreundlich zu Moga: »Warum hast du es erst jetzt gesagt? Du hättest uns viele Schmerzen ersparen können.« Sie würde nie gesprochen haben, antwortete Moga, wenn die Angst um des Kindes Leben sie nicht gedrängt hätte. »Und was soll nun werdend« fragte die Maielies. Nun, sagte Moga, wolle sie mit ihrem Kinde das Haus verlassen. Zwei Mütter eines Kindes, die das Kind gleich sehr liebten, könnten nicht unter einem Dache bleiben, das sei eine unnatürliche Sache. Die Maielies begriff, wie sie es meinte, aber um doch einen Einwand zu machen, sagte sie, es sei bisher gegangen, also müsse es weiter gehen können. Jetzt wüßten sie es beide, sagte Moga, das sei ein Unterschied. Nun begann die Maielies zu fragen, wovon Moga denn mit dem Kinde leben wolle. Sie müsse bedenken, daß das Kind an kräftige Nahrung und sorgsame Pflege gewöhnt sei; ob sie ertragen könne, es entbehren und leiden und sein frisches, festes Gesicht einfallen zu sehen? Oder ob sie von dem Vater des Kindes Unterstützung erwarte? Moga errötete zornig und sagte, sie brauche von niemand Unterstützung, es gäbe zahllose Frauen, die ohne eines Menschen Hilfe ihre Kinder ernährten, sie habe ihr Leben lang gearbeitet und werde es künftig lieber tun, da es für ihr Kind sei; Ueberfluß brauche ein Kind nicht, um glücklich und gesund zu sein. Aber sie sei ja krank, sagte die Maielies; wenn sie nun im Bett bleiben müsse und gar nichts tun könne? »Wer arbeiten muß, ist nicht krank,« sagte Moga hart; ihr Blick, mit dem sie die Maielies ansah, wurde dunkler und böser. Indem diese das zierliche Mädchen betrachtete, nach einem letzten Umstand suchend, der ihr zu Hilfe käme, trat es ihr plötzlich lebhaft vor das Bewußtsein, daß es Dragainos Mutter war, mit der sie stritt, daß das geliebte Kind als ungestalteter Keim in ihr geschlummert, daß sie qualvoll gerungen hatte, um ihn zu gebären, daß es winzig und faltig neben ihrer Brust gelegen hatte wie es jetzt morgens neben ihr lag, während sie, die Mutter, fast drei Jahre lang ihm nur flüchtig ihre entwerteten Liebkosungen hatte geben dürfen. Mit einem Male begriff sie nicht mehr, wie sie das verlassene, gebrechliche Mädchen hatte fürchten oder hassen mögen, wie sie die Verwickelung des Schicksals so schwer als etwas Unentwirrbares hatte nehmen können. Sie streckte rasch beide Hände nach Moga aus und sagte: »Warum wollt ihr mich allein lassen? Ich will euch beide lieb haben! Dragaino soll unser beider Kind und du sollst meine Schwester sein.« Ein Frühling von Hoffnung überhauchte ihr Gesicht, wie sie sich lächelnd und winkend Moga zuneigte, die verständnislos die Veränderung anstaunte. Daß das steinerne Bild unverhofft Liebe und Milde ausatmete, erschien ihr wie eine arglistige Verführung, die sie abwehren müsse und die weit unheilvoller sei als die herben Mienen, aus denen schonungsloser Wille und Unbeugsamkeit sprachen. Sie blickte trotzig und sagte abweisend: »Nein, das ist unmöglich. Ich will nicht länger bleiben. Ich will mein Kind und nichts weiter.« Die Maielies bemächtigte sich einer ihrer dünnen, blutleeren Hände und streichelte sie unter sanftem Zureden, daß sie nicht in diesem Augenblick ja oder nein sagen müsse, daß sie sich still besinnen und an den neuen Gedanken gewöhnen solle, daß sie auch nicht vor ihrer Herbigkeit oder ihrem Hochmut sich fürchten solle; denn so erschiene sie ihr vielleicht. Wenn sie so wäre, so hätte ein Zufall oder ein Geschick ihre Seele verschüttet, und sie fände nicht sogleich Kraft, die Last wegzuwälzen, die Leben und Wärme in ihr unterdrückte. Je reiner ihre Lieblichkeit sich eröffnete, desto ungeduldiger war Moga, sie von sich zu stoßen, als würde mit jedem Augenblick die Aussicht geringer für sie, im Kampfe obzusiegen. Sie hörte schweigend bis zu Ende, was die Maielies sagte, um dann eigensinnig zu wiederholen, es könne keine Gemeinschaft zwischen ihnen sein, wie gut sie es auch meinen möge, so daß die Maielies begriff, sie werde ihr gütlich nichts abgewinnen. »Du sprichst,« sagte sie kalt, »wie eine, die in ihrem guten Recht ist. Weißt du nicht, daß ich deine Unterschrift habe? Wenn ich davon Gebrauch machen will, darf mir niemand das Kind antasten.« Sie hatte bis dahin nicht einen Augenblick daran gedacht, daß es diese Möglichkeit für sie gäbe; denn ihre Meinung war, daß der Mutter, wenn sie es verlange, das Kind zugehöre, und daß sie dies Recht durch nichts verwirken könne; aber Mogas ungerechtfertigter Widerstand reizte sie, ihrer Gerechtigkeitsliebe zum Trotz ihren Willen durchzusetzen. Es lag Moga fern, zu bitten; sie blitzte die Maielies mit hassenden Augen an und sagte, daß man ihren krankhaften Zustand nach der Geburt benutzt habe, um sie zu betören und zu überrumpeln, und daß sie, wenn der Richter sie im Stich ließe, die äußersten Mittel ergreifen würde, um zu erlangen, was ihr zukäme. »Jetzt ist es aus,« sagte die Maielies; »ich nütze nun mein Recht aus, weil meine Güte nichts vermocht hat.« Sie atmete tief und fühlte sich wunderbar erleichtert; denn sie war im Innern überzeugt gewesen, daß sie das Kind verlieren würde, und nun befreite der Entschluß, es festzuhalten und um seinen Besitz zu kämpfen, ihr Herz und gab ihr den Mut zum Leben wieder.
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Dieser Zustand dauerte nur eine kurze Zeit; dann begriff die Maielies, daß sie nicht imstande sein würde, der armen und wehrlosen Moga ihr einziges Gut zu nehmen, und daß sie sofort der schwankenden Qual ein Ende machen müsse. Sie ging noch einmal zu Moga und sagte ihr, sie habe sich anders besonnen, das Kind, das sie geboren habe, komme ihr zu, und sie solle es haben, doch müsse sie augenblicklich ihre Sachen zusammenpacken und das Haus verlassen. Dabei reichte sie ihr in Papier eingeschlagen den Lohn, den sie zu beanspruchen hatte, samt einer größeren Summe, die sie und das Kind zunächst vor Entbehrungen schützen sollte. Ohne Moga Zeit zu einem Wort der Erwiderung zu lassen, verließ sie sie und begab sich in den Park, wo sie warten wollte, bis Moga mit dem Kleinen fortgegangen wäre. Um kein Geräusch vom Hause her zu hören, ging sie tief in den Garten hinein, und da sie an das Häuschen kam, wo ehemals Lastari und später Moga mit Zizito gewohnt hatten, blieb sie stehen und setzte sich auf die Bank, die davor stand. Es kam ihr in den Sinn, daß sie nicht dort gewesen war seit jenem Abend, wo sie sich plötzlich vor Zizito gefürchtet hatte, und ihre Gedanken hielten befremdet vor der vergessenen Erinnerung, die sich unversehrt ihr vorstellte. Sie sah sich selbst, ein junges, üppiges Leben, dem es im innersten Herzen graute vor der Lust zur Vernichtung, die aus den blöden Knabenaugen nach ihr lechzte, so daß sie aufgeschreckt durch die gelichteten Bäume über das Herbstlaub jagte. Das konnte sie nicht mehr nachempfinden; sie rief sich Zizitos schmachtendes Gesicht zurück und dachte, daß sie nicht zurückweichen würde, wenn er jetzt neben ihr säße und die zierlichen gelben Hände würgend um ihren Hals legte. Wieder fiel es ihr ein, daß der Tod dicht an ihr vorübergegangen war, ein ahnender Gott mit der Seele des Erbarmens, und still den verhüllten Arm gehoben hatte, um ihr zu winken; aber sie hatte seine liebende Gebärde nicht verstanden.
Es war ein nasser Wintertag, von den kahlen Aesten tropfte es kalt, und das abgefallene Laub klebte hart aufeinander; man konnte durch die blanken Stämme den Garten nach allen Seiten hin weit überblicken und sehen, daß niemand da war, niemand kam. Die Maielies bebte vor Frost, ohne sich dessen bewußt zu werden, doch stand sie endlich auf, um zurückzugehen, damit nur irgend eine Veränderung käme. In der Nähe des Hauses hörte sie Dragainos Stimme und wandte rasch den Kopf, um ihn nicht zu sehen, wie er mit Moga fortging. Es war ihr, als hätte sie ihn nach ihr rufen hören, aber Moga mußte ihn sogleich mit sich fortgezogen haben, denn alles blieb still, und ob sie wirklich aus der Ferne ein zartes Schluchzen hörte oder es sich einbildete, wußte sie selbst nicht. Ihr aufs äußerste angespannter Wille hatte sie zu einem Stein gemacht, der vernahm und dachte, aber nicht sich bewegen konnte; als sie dann allein in ihrem Zimmer war, weinte sie stundenlang, ohne irgend eine Erleichterung durch die Tränen zu finden oder endlich durch Ermattung von den: einförmigen Schmerz abgelöst zu werden.
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Lasko hatte an seinen Schwiegervater geschrieben, daß er seiner Gesundheit wegen eine Reise machen müsse, und daß Herr Beatus, wenn er es für nötig halte, ihn entweder selbst vertreten oder einen andern an seine Stelle schicken möge; worauf Beatus, dem die Fabrik in Lusinara die wichtigste war, sich entschloß, seinen Sitz für einige Zeit wieder im Seestern zu nehmen. Er glaubte, daß Lasko Kränklichkeit und Erholungsbedürfnis nur vorgeschützt habe, um einem ehelichen Mißverhältnis aus dem Wege zu gehen, das infolge der verbrecherischen Liebe seiner Tochter etwa noch bestände. Auch dies bewog ihn, in die alte Heimat zurückzukehren, denn er besorgte, Rizzo könne sich von neuem einschleichen und Laskos Abwesenheit zu unheilvollen Taten benutzen. Schließlich wollte er die Gelegenheit wahrnehmen, das Kind zu sehen, das die Maielies angenommen hatte, und auf das er die Hoffnung setzte, es könne ihm die Stelle eines Enkels vertreten und sein und Laskos Nachfolger im Geschäfte werden. Als er nach dem Jungen fragte, gewann es die Maielies nicht über sich, das, was in Wirklichkeit geschehen war, auszusprechen, und sagte, weil es das einfachste war, er sei gestorben, wodurch zugleich ihre Traurigkeit, die dem Vater auffallen mußte, erklärt war. Beatus empfand eine gewisse Enttäuschung; aber da er den ganzen Tag arbeitete, kam es doch nicht sonderlich zur Geltung. Er arbeitete jetzt noch länger und ausschließlicher als früher, obgleich es ihn viel mehr als früher anstrengte; denn es hatte sich ein schmerzhaftes inneres Leiden bei ihm ausgebildet, von dem er die bestimmte Ansicht hatte, daß es früher oder später seinen Tod herbeiführen würde, für das er aber keinen Arzt gebrauchen wollte, solange er die daraus entstehenden Widerwärtigkeiten ertragen konnte und seine Leistungsfähigkeit nicht dadurch vermindert wurde. Die Maielies bemerkte, daß er im Gesicht abgemagert und daß sein Haar weiß geworden war, seine Haltung indessen war sehr gerade, wenn auch der steife und langsame Gang verriet, daß es ihm Mühe machte, sich zu bewegen. Da er nicht klagte und seine Person sie überhaupt nicht sehr bekümmerte, fragte sie ihn nicht aus, wie auch er wiederum sie gewähren ließ; sie sahen sich nur bei den Mahlzeiten, da er den Wunsch ausgesprochen hatte, bei ihr zu speisen, und saßen sich an der vornehm gedeckten Tafel schweigsam gegenüber, so daß das gedämpfte Ab- und Zugehen der Dienerin und das schwache Knistern der Holzklötze im Kamin geheimnisvoll vernehmlich wurde.
Uebrigens ließ die Maielies sich nicht gehen: sie war immer gewählt gekleidet und sehr tätig; alle Dienstboten hatte sie entlassen bis aus ein Mädchen, und da ihr im Hause die äußerste Ordnung Bedürfnis war, mußte sie selbst Hand anlegen. Der Garten indessen verwilderte: abgerissene dürre Zweige und verwehtes Laub lagen auf den Wegen, und der häufige Regen verschwemmte den Kies. Herr Beatus, dem ein solcher Anblick zuwider war, wollte sofort einen Gärtner anstellen, aber die Maielies verbat es sich, weil sie die neugierigen Leutegesichter nicht ertragen könne, womit er sich beschied; denn er hatte das Gefühl, als befinde sie sich in einem krankhaften Zustande und dürfe nicht gereizt werden.
Am Nachmittag, wenn die Dämmerung kam, ging die Maielies die Treppe hinunter ans Meer und stand dort, an die triefende Mauer gelehnt, bei jedem Wetter längere oder kürzere Zeit, oft mehr als eine Stunde. Es war ihr anfangs eine Erholung, in das fließende Wasser zu sehen, dessen Anblick sie in Träumerei versetzte, und nachdem sie es einige Male getan hatte, wurde es eine Gewohnheit, von der sie nicht mehr lassen konnte, ohne zu wissen warum. Es war ihr, während sie dort stand, einmal eingefallen, daß Lasko in vergangenen Jahren zu ihr gesagt hatte, ihre Seele stiege jede Nacht, während sie schliefe, hinunter an das sanfte Gestade des Lethe und berauschte sich am Wasser der Vergessenheit, und daher käme es, daß sie sich täglich des Lebens wie einer neuen und herrlichen Sache erfreuen könne. Sie grübelte darüber, warum ihre Seele jetzt den Weg zur Unterwelt nicht mehr fände; denn obwohl sie an die herzzerreißenden Dinge, die hinter ihr lagen, nicht eigentlich dachte, war doch ihr Bewußtsein voll davon und bedeckte sie ganz und gar mit undurchdringlicher Melancholie. Wenn es anfing sehr dunkel zu werden, und unter dem brütenden Nebel nur ein schwarzer, schlangenglatter Wasserstreifen hervorglänzte, der sich flüsternd am Gestein zerbrach und wieder zusammenfloß, war ihr zu Mute, als müsse etwas aus dem wühlenden Dunste tauchen, das für sie wäre, ein gleitender Nachen ohne Fährmann, der sie aufnähme und über den im Weiterfahren die aufgelöste Nacht zusammenschlüge.
Aus dem Hause ging sie niemals, nicht nur weil sie keinen Menschen sehen mochte, sondern weil sie insgeheim glaubte, Dragaino müsse eines Tages an ihre Schwelle kommen als ein bleiches, verhärmtes Bettelkind; denn Moga hatte das Geld, das sie ihr über den Lohn gegeben hatte, zurückgelassen, und sie traute ihr nicht zu, daß sie auch nur das Notwendigste verdienen könnte. Obwohl sie sich sagte, daß es nur ein Traumgespinst wäre, wartete sie doch beständig darauf, aber nicht so, daß es eine Hoffnung oder ein Sehnen gewesen wäre, sondern wie auf das Letzte, das sicher kommen muß wie der Tod, und hinter dem nur gestaltloses Dunkel liegt.
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Eines Nachts, als die Maielies wach lag, hörte sie ihren Vater über sich ächzen, als ob er starke Schmerzen hätte und offenbar hartnäckige, denn das Stöhnen ließ nicht nach, und sie schlief allmählich darüber ein. Sie fragte ihn am andern Morgen, ob er krank gewesen sei, worauf er antwortete, er litte zuweilen an rheumatischen Schmerzen, doch sei es der Rede nicht wert; auch hielt er sich besonders stramm, um jeden Anschein von Leiden zu vermeiden. Sie empfand plötzlich ein warmes Gefühl von Mitleid und Bewunderung für ihn und blickte teilnehmend in sein eingesunkenes Gesicht mit den aschenfarbigen Schatten, dem er den Ausdruck von Lebhaftigkeit und Zuversicht zu geben suchte. Sie versuchte von nun an, ihm Aufmerksamkeit und Anteil zu erweisen, indessen es war ihm auf keine Art hilfreich beizukommen, ja, er wechselte seine Schlafstelle, damit sie von seinen nächtlichen Schmerzensanfällen nichts wieder vernähme.
Nachdem er einige Zeit dort war, besuchte ihn der Pfarrer und redete ihm zu, sich mit seinem Bruder Pius zu versöhnen, wozu dieser selbst ihn ermächtigt habe. Wenn eine Versöhnung zwischen ihnen möglich wäre, sagte Herr Beatus, würde er sich nicht mit ihm überworfen haben. Er hätte damals nicht wie ein unüberlegt aufbrausender Jüngling gesprochen, sondern als ein Mann und fühlte und dächte noch heute ebenso; für eine andre Auffassung war er nicht zu gewinnen. Der Pfarrer sprach davon, daß es keinen Sinn habe, einen Haß so lange zu bewahren; bald würde die Erde ihrer beider Staub schlucken, in ihrem mütterlichen Leibe würden die Ueberreste ihres Daseins sich vermischen, und in einem Weltenschicksal würden sie dabei treuer und inniger verbrüdert als zwei Augen im Kopfe. Herr Beatus erwiderte, er wisse nicht, ob das Christenlehre sei; was die Erde von ihm behalte, möge hinfahren, was unveränderlich und ewig an ihm sei, werde niemals neben seinem Bruder bleiben können. Der Himmel werde Raum genug haben, damit zwei, die sich haßten, einander nicht begegneten. »Nein,« sagte der Pfarrer, hochrot im Gesicht vor Erregung, »für solche hat der Himmel überhaupt keinen Raum, und noch viel weniger die Kirche. Ein unversöhnliches Herz ist ein gottloses Herz.« -- »Und ein schwaches Herz gefällt dem Teufel,« sagte Herr Beatus, womit sie sich trennten. Am folgenden Sonntage ging Herr Beatus mit Pomp in die Kirche. Mit einem langen, feierlichen Rock bekleidet, im hohen Hut und das Gesangbuch seines Vaters in der Hand, setzte er sich, ohne nach rechts oder links zu sehen, gerade unter die Kanzel. Beim Hinausgehen warf er ein Goldstück in die Armenbüchse, stattete dem Totengräber einen Besuch ab, um sich zu vergewissern, daß das Grab seines Vaters in Ordnung gehalten würde, und ging mit gemessenen Schritten wieder nach Hause. Am andern Tage indessen reiste er ab, nachdem er einen zuverlässigen Angestellten mit der Oberaufsicht betraut hatte, bis Lasko wiederkäme.
Herr Pius grämte sich um so weniger über die Unzugänglichkeit seines Bruders, als bald hernach sich etwas ereignete, was sein Herz in erquickendster Weise beschäftigte: Moga nämlich, die durch zunehmende Schwäche an jeder Art von Arbeit verhindert wurde, suchte Zuflucht bei den Großeltern ihres Kindes, die beide mit überschwenglicher Freude aufnahmen und die Kranke mütterlich sorgsam von seiten der Frau Morlesine, und herzhaft launig von seiten des Herrn Pius verpflegten.
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Lasko fuhr zuerst nach Umbla, um seinen Vater aufzusuchen, fand dort aber nur zwei Frauen mit ein paar großen Hunden, die, da um diese Zeit auf dem Felde nichts zu tun sei, das Haus hüteten. Sie empfingen ihn in einem kleinen Gemach, das fast zur Hälfte von einem gewaltigen Herde ausgefüllt war, in dem den ganzen Tag über Feuer brannte und Kaffee warm gehalten wurde. Die Frauen betrachteten Lasko, als er sich zu erkennen gegeben hatte, neugierig und freundlich, setzten ihm Kaffee vor und erzählten ihm von seinem Vater: daß er seit der Abreise des alten Bauern sich nur noch vorübergehend in Umbla aufgehalten habe, daß er in der Zwischenzeit mit seinem Sohne Zizito von Hof zu Hof und von Dorf zu Dorf gehe und die alten Lieder von den Königen und der Krone singe, wogegen ihm Unterkunft und Speise und Trank bereitwillig gegeben würden. Sie sprachen in einer Weise, als ob das eine ausnehmend ehrenvolle Tätigkeit sei, wie sie überhaupt Unterwürfigkeit und Bewunderung für Lastari an den Tag legten, indessen wurde die Bitterkeit, die für Lasko in der Mitteilung lag, dadurch nicht gemildert. Er verschlang hastig, was ihm vorgesetzt war, und verabschiedete sich, unfähig, das behagliche Geschwätz der Frauen mitanzuhören, ohne zu wissen, wohin er gehen sollte. Was die Frauen ihm nachriefen über die Richtung, die er einschlagen müsse, um zu Menschen zu gelangen, nahm er nicht auf; es war ihm recht, in die Oede zu kommen, wo niemand ihn anspräche. Wenn er in früherer Zeit Krüppel oder verkümmerte Greise mit dem Leierkasten durch die Straßen hatte gehen sehen, war er scheu vorübergeeilt, übel im Herzen und oft durch ein brennendes Schamgefühl verhindert, Almosen zu geben. Nun sang so sein Vater vor den Häusern, der stolze, herrische und traurige Mann, von einem blödsinnigen Sohne begleitet, der tierisch mit blanken Zähnen lachte, weil er das heillose Geschick nicht begriff, das auf ihm lag. Es unterlag ihm keinem Zweifel, daß er das verschuldet hatte, der unterdessen angesehen und bequem in einem edlen Hause gewohnt und Muße zu eifersüchtigen Rasereien und Blutgedanken gehabt hatte. Er war unvermerkt aus der Talmulde heraus auf die Hochebene gekommen, die wie ein riesiger Drachenleib über glimmenden Schätzen hingewälzt lag, und es war, wenn der Wind sich für einen Augenblick legte, als vernähme man sein fauchendes Atmen oder ein schwaches Knarren seiner glanzlos dunkeln Schuppen. Der Himmel war weiß und ruhte dicht auf dem Sturm, der laut hinter Lasko her blies; was aus der unendlichen Ebene hervorstarrte -- kahle, wirre Eichen und sausende Föhren, einsam zwischen Gestrüpp und Steinen --, verbreitete sein traumvolles Leben weit in die erregte Luft. Diesen Weg mußte der alte Lastari auch gegangen sein, wenn er auszog, um zu betteln. Lasko dachte sich seine wandernde Gestalt am äußersten Ende des Weges, den er vor sich erkennen konnte, breit und gewaltig, von einem Mantel in Fetzen umflattert, unter dessen Schutze der zierliche Jüngling folgte. Vielleicht ging er im Schlafe, welchen Vermögens er in früherer Zeit sich gern gerühmt hatte, und während er stetig durch die tönende Einöde schritt, schwangen sich die unerschöpflichen Zaubergeburten des Traumes durch seine Seele. Das Rollen des Windes wurde zuweilen so stark, daß es sich anhörte, als ob eine Herde wilder Rosse über die Steppe donnerte, und Lasko mußte von Zeit zu Zeit stillstehen und sich gegen den Andrang stemmen. Es schien ihm, als würde der Raum zwischen ihm und den Gestalten seiner Einbildung immer größer: hinter dem Wanderer sah er ein Volk von Geistern, hohe Luftleiber mit hochgetragenen Häuptern, eingehüllt in Gewänder, von denen nicht ein Zipfel sich im Winde rührte. Die Alten waren es, die ihrem Sohne nachzogen; keiner blickte sich nach ihm um, keiner gab ihm ein Zeichen, keiner erkannte ihn. Es war ihm zumute, als müsse das so sein, als müsse, während jene wie Rauchsäulen über Feuerbergen mächtig und sicher am Horizonte hinrückten, der Sturm mit galoppierenden Hufen ihn zu Boden reißen und zertreten und die zuckenden Seelen seines toten Leibes jauchzend vor sich her blasen, bis sie im Strome der Luft versiegten.
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Auf das Geratewohl umherzureisen und seinen Vater zu suchen, daran konnte Lasko nicht denken; es war ihm unmöglich, allein zu bleiben, der mit sich allein wie mit einem Gespenst ohne Grab oder einem geächteten Mörder eingesperrt war. Seine Gedanken schwirrten um zerbröckelte Vergangenheiten, als wären sie verflucht, einen Schatz darin zu suchen, der doch niemals zu finden wäre. Er suchte nach einer Zeit, einem Tag oder einer Stunde, wo er glücklich gewesen wäre, und er glaubte, damit würde ihm eine Rechtfertigung seines Lebens und alles dessen, was er getan und gelassen hatte, gegeben sein; aber je mehr er sich im Nachsinnen erhitzte, desto schrecklicher wurde er überzeugt, nichts erlebt zu haben als brennende Wünsche und jämmerliche Enttäuschungen, prahlerischen Aufschwung und feiges Versagen. Die wechselnden Bilder der Reise zerstreuten ihn nicht wohltätig, sondern bemächtigten sich seiner Seele und umkreisten sie im Wirbel, in den sie schwindelnd und öde hineinstarrte. Sein Verlangen nach der gewöhnlichen Arbeit wurde so stark, daß er sich entschloß, einige Kunden des Geschäfts zu besuchen, die in der Gegend wohnten. In einem Gasthause, wo er übernachtete, traf er einen Mann, der mit Schuhen und Bändern, wie sie dort verfertigt wurden, hausieren ging und gerade von den verlorenen Bergen herunterkam, und der ihn kannte. Er habe droben in einer kleinen Ortschaft seinen Vater gesehen, erzählte er, der auf dem Platze gestanden und das Volk mit Gesängen unterhalten habe. Lasko jagte ein Glas Wein herunter und sagte auflachend zu dem Manne: »Wer kann wissen, ob du meinem Vater das nächste Mal im Gefängnis begegnest? Du bist Hausierer und mein Vater Straßensänger, die Wege von euresgleichen kreuzen sich oft an solchen dunklen Punkten.« Der Mann fragte schwerfällig, wie das zu verstehen sei, worauf Lasko in derselben Art fortfuhr: in den gut verwalteten Staaten der neuen Zeit dürfe nicht jeder, der Lust und Talent dazu hätte, leiern und betteln; aber seinem Vater munde nun einmal das Almosen fremder Leute besser als der Tisch, den sein Sohn ihm gedeckt habe. So müsse er denn gehen und seine Sohlen zerreißen. Gott habe ein Gebot erlassen, daß die Kinder ihre Eltern ehren sollen, aber er hätte das Gebot zu geben vergessen, das die Kinder vor ihren Eltern schütze. Sie dürften die zitternde Seele ins Leben hetzen und mit der Geißel vorwärts treiben: Gehorche! dulde! arbeite! sorge für mich! leide für mich! du bist mein Fleisch, meine Not ist deine Not, meine Schmach deine!
Der Mann und die andern, die anwesend waren, schüttelten die Köpfe und zählten auf, was sie für ihre Kinder getan, und was für Dank oder Undank sie geerntet hätten, während Lasko hastig die Weinflasche leerte, die vor ihm stand; er war heiß, und seine Augen flimmerten. »Was heißt Vater und Mutter!« fuhr er schnell und leidenschaftlich zwischen das Gespräch der übrigen. »Fragt einer nach Cäsars Vater oder nach des heiligen Franziskus Vater? Die uns zeugen, die schweißen uns an eine Kette, an der wir hängen als ein gemeiner Ring, der sie verlängert, mit der wir rasselnd niederträchtige Dienste tun, Sklaven, Verbrecher und Schlachtvieh. Gnade bringen uns Sterne, die winken, und Bäume, die rauschen, und Gedanken, die leuchten, fern von uns, hoch über uns, die kein Gesetz und die Natur nicht uns verpflichtet; die nähren uns ambrosisch, die heilen uns mit Balsam, die lehren uns Zauber über Blutkraft und Eisenkraft und lieben uns mit Umarmungen, die jede Faser in unsterbliches Feuer verwandeln!« Er hatte etwas Aehnliches, soweit er sich besinnen konnte, niemals gedacht und blickte groß auf die Leute, die bedenklich in sein glühendes Gesicht sahen; aber das grausame Schmerzgefühl, das die Mitteilung des Hausierers erregt hatte, war geschwunden, und obwohl seine Schläfen klopften und sein Herz hämmerte, fühlte er sich leicht, ja, seine ausgelassene Laune neigte zu Tränen höchster Wonne. Indem er den Männern, deren befremdetes Schweigen ihn belustigte, zurief, er sei nicht betrunken und rede nicht irre, stand er auf und ging in sein Zimmer, wo er augenblicklich einschlief.
Vor Tage, als noch niemand außer einem schläfrigen Knecht im Hause wach war, stand er auf und fuhr mit einem Postwagen in die Berge hinein, um seinen Vater zu suchen. In beträchtlicher Höhe hörte die Fahrstraße auf, er mußte aussteigen und zu Fuße gehen. Es war ein heller Tag, und die Sonne, die unablässig auf die schattenlosen Bergkämme strahlte, erzeugte sommerliche Wärme, ohne zu brennen und zu drücken, so daß Lasko nach mehrstündiger Wanderung keine Müdigkeit spürte. Vor einem kleinen Wirtshaus in der Mitte eines Dorfes, dessen Häuser weit auseinander über den Bergrücken verstreut lagen, fand er Lastari, der an einem steinernen Tisch saß und mit augenscheinlichem Wohlgefallen zusah, wie junge Leute einen volksmäßigen Tanz ausführten. Sie hatten sich bei den Händen gefaßt, so daß sie eine lange Kette bildeten, und bewegten sich auf und ab, vorwärts und zurück, in Uebereinstimmung mit einer eintönigen Musik, die anzuhören war wie eine dunkle, wilde Rede zwischen den verkrümmten Eichbäumen, die auf dem Platze standen, und der unfruchtbaren Erde, aus der sie wuchsen. Es war kein Anfang und kein Ende, keine Fröhlichkeit und Liebe dabei, sondern es war, wie wenn losgerissene Blätter, blutrote, braune und zitronengelbe, im herbstlichen Sturme wirbeln, bis sie zu Boden fallen und hinweggefegt werden. In einem der jungen Männer, der vor allen durch anmutiges und leidenschaftliches Tanzen auffiel, erkannte Lasko mit Ueberraschung seinen Stiefbruder Zizito: er glich bald einem Halme, der sich vor dem Winde neigt und hebt, bald einer Welle, die sich hoch aufbäumt, dann zusammenzustürzen und sich aufzulösen scheint, um plötzlich schlank und strahlengleich wieder aufzusteigen. Sein hübsches Gesicht mit den großen, brennenden Augen war durchleuchtet von der Lust der entfesselten Bewegung und hatte dadurch das Leere und Starre verloren. Die Musikanten, drei Männer mit einer winzigere Pauke und mandolinenartigen Saiteninstrumenten, spielten ernst und unerschütterlich, und die älteren Männer, Frauen und Kinder, die das vertraute Schauspiel mit Anteil verfolgten, zeigten durch Bewegungen des Kopfes oder des Oberleibes oder der Füße an, wie der Rhythmus sie erfüllte. Viele standen um Lastari herum, der, als der Tanz zu Ende war, mit gehobener Stimme zu ihnen sprach, wobei er einen Arm in breiter, schleppender Gebärde bewegte.
Wie Lasko inzwischen näher herangekommen war, wurde er seiner ansichtig, nickte ihm zu, stand langsam auf, um ihm entgegenzugehen, und schloß ihn mit einem freudigen Ausruf in die Arme, dem vor glücklicher Erregung die Tränen in die Augen sprangen. Dann drängte er ihn auf einen Stuhl neben sich, rief der Wirtin zu, sie solle Brot und Wein bringen, sein Sohn sei ein reicher Mann und könne ihr ganzes Haus, mit allem was darin sei, kaufen, und betrachtete ihn freundlich, indem er ihm mit seiner großen kühlen Hand die Haare und das Gesicht streichelte. Die Bergleute sahen Lasko anfangs mißtrauisch an, wurden aber bald zutraulich, da er in ihrer Weise mit ihnen zu sprechen und zu scherzen wußte, und als er bemerkte, daß es seinen Vater belustigte, ließ er seinen kecksten Witz spielen, so daß bald ausgelassenes Gelächter über den öden Platz scholl, dem Lastari mit Genugtuung zuhörte, und in das er hie und da gemessen einstimmte. Es störte Lasko nichts, als daß Zizito, der, um nach der Anstrengung des Tanzes auszuruhen, sich abseits auf einen Steinhaufen gesetzt hatte und mit einem Mädchen schäkerte, indem er sie lüstern anlachte und täppisch nach ihr griff, worauf sie mit Geschrei zurückwich, aber gleich wieder in seine Nähe kam und einen neuen Ueberfall erwartete. Sie mochte von seinem Zustande nichts wissen und wurde wohl von seinem hübschen Gesicht und seiner zierlichen Erscheinung, vielleicht auch eben durch seine blöde Begehrlichkeit, angezogen. Lasko sagte halblaut zu seinem Vater, er solle nicht leiden, daß Zizito den Mädchen nachstelle; allein der Alte zuckte lachend die Schultern und meinte, dergleichen Liebesabenteuer ohne Salz und Schmalz könne man dem armen Teufel gönnen.
Mit dem Sinken der Sonne sammelten sich immer mehr Leute, die sich um Lastari scharten und ihn zutraulich ehrerbietig aufforderten, eine Geschichte vorzutragen. Einige baten, er möge das Lied von Dragaino singen, worauf der Ruf: »Dragaino! Singe das Lied von Dragaino!« allgemein wurde, und die, die weiter entfernt standen, sich näher herandrängten, um ihre Bitte zu bekräftigen. Lastari rückte den schwarzen Schlapphut, unter dem das weiße, kurzgelockte Haar kräftig zum Vorschein kam, tiefer in die Stirn, stand auf und trat einige Schritte vor, zum Zeichen, daß er gesonnen war, den ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen. Sofort bildeten Männer, Frauen und Kinder einen Kreis um ihn, in den auch zwei von den Musikanten eintraten; sie legten die mit einer einzigen dicken Saite bespannten Instrumente an die Brust, um den Gesang mit dem schwermütigen Summen und Zirpen ihrer wilden Musik zu begleiten. Dies war das Lied von Dragaino, das Lastari in breitem Tone zwischen Gesang und Rede vortrug:
Das Meer entbrennt in Gold und Purpurfarben,
Wo Held Dragaino und die Krone starben.
Stolz wie die Sonne stieg er in die Fluten,
Gekrönt das Haupt, das Herz in Liebesgluten.
Bist nicht ertrunken, Held, bist nicht verloren,
Aus brünst'gem Meere wirst du neu geboren.
Es schwillt und wächst, an deiner Kraft erglommen --
Schön wie die Sonne wirst du wiederkommen.
Steigst aus dem Meere, jung, mit goldnen Brauen.
Heil unsern Söhnen, die dich, Liebling, schauen!
Hoch und fest stand der alte Mann da, während er das Lied vom Untergange und von der Wiederkehr seines Sohnes sprach; er schien dabei keinen Schmerz zu empfinden, sondern ließ die Worte majestätisch, mit gesättigtem Wohlgefallen auf seiner weittragenden Stimme hinrollen. Lasko horchte glücklich und beruhigt wie ein Kind, das betet; es war ihm, als hätte er das Lied einst gut gekannt und als gehöre es mit zum Segen dieser Stunde, daß sie es ihm wie ein verlorenes Kleinod wiederbrächte. Die Sonne war, als Lastari zu sprechen anfing, unbemerkt versunken, und unter dem hellen Himmel glitten die schmalen Rücken der Berge wie schwarze Schlangen in die lichte Unendlichkeit. Man sah mit scharfen Umrissen die unförmige Kirche, einen öden Turm aus alter Zeit, und die niedrigen, ungegliederten Häuser, weiterhin ähnliche Türme und Häuser, die dunkel über die Berge hinausragten, und noch weiter kleine, unkenntliche Erhöhungen, nichts andres auf allen Seiten. Da rings kein Rauschen von Bäumen und kein Gewässer war, das Klang gab, konnte es so scheinen, als ob das laute Lied den runden Kristall der Welt ganz erfüllte und für einen Augenblick ein Ton war, mit dem mitschwingend ihre feinsten Stäubchen und weitesten Sphären melodisch zitterten.
*
Um die Zeit der Frühjahrsernte kam Lasko nach Umbla, wo er seinem Vater bei der Arbeit helfen wollte, und wohin er auch die Maielies mit dem kleinen Dragaino zu kommen gebeten hatte; denn er erinnerte sich, daß sie selbst einmal den Wunsch ausgesprochen hatte, Lastari ihren Sohn als seinen Enkel vorzustellen. Inzwischen hatte er seine Geschäftsreise abgemacht und freute sich darauf, Ferien zu haben; es kam ihm vor, als würden es die ersten in seinem Leben sein. Er, sein Vater und Zizito waren tätig auf den Feldern: der Alte stieg mit starken, ruhigen Schritten über die Breite des unabsehbaren Ackers und rauschte mit der blaublitzenden Sense durch die bräunlichgelben Aehren, unfehlbar und lustvoll wie ein altertümlicher Gott, der die Menschen unterweist. Zizito schichtete die sinkenden Halme aufeinander, und Lasko machte sich hier und dort zu schaffen, kirschbraun im Gesicht und an den Armen, tropfend von Schweiß und mit schmetternder Trompetenstimme singend oder ruhmrednerisch das Lob seiner Taten kündend. Männer und Frauen luden Garben, die am vergangenen Tage gerichtet waren, auf Wagen, vor denen pralle, glänzende Pferde standen, die mit schlagendem Schweif und Schütteln der Mähne die gierigen Fliegen zu vertreiben suchten.
Die Ernte war fast vollendet; das gehäufte, wankende Korn leuchtete als gelbe Flamme in die siedende Bläue des Himmels, der gegen Mittag von schaumigweißen Gewitterwolken übereilt wurde. Es wurde schnell in die Scheune geflüchtet, was auf den Wagen war, und am Nachmittag ruhte die Arbeit, während Regengüsse fielen. Wind und Sonne trockneten die Nässe geschwind, und als der Abend kam, stand die Sonne wieder im lautersten Glanze am ruhevollen Himmel. Lasko saß auf einer Bank am Hause und sah in die leuchtende Stille. Von den Zweigen und Stämmen und bunten Blumenblättern rann in spiegelnden Tropfen grünes Licht; es war, als ob die Erde, durch den unendlichen Raum rollend, in eine selige Sphäre eingetaucht wäre, die goldner Aether, leicht und berauschend zu atmen, erfüllte. Auf einem Felde, wo Berge aneinander gelehnter Garben in gleichen Abständen errichtet waren, sammelten sich Kinder, um im Schutze der Kornpyramiden Verstecken zu spielen. Lasko gesellte sich zu ihnen, wodurch das Spiel erst stockte, um dann desto übermütiger zu lärmen. Es freute ihn zu sehen, wie die nackten Füße geschwind über die Stoppeln liefen, und wenn sie in die lockere Fruchterde einsanken, empfand er ein tiefes Behagen. Ein winziges Mädchen mit braunem Gesicht und honiggelben Locken, zu klein, um das Spiel zu begreifen, spielte mit sich selbst, indem es um die Aehrenhaufen herumlief und mit zwitschernder Stimme rief: »Wo ist Lisutt?«, denn so wurde es genannt. Als die Sonne im Untergehen war, sah es aus, als quöllen Büschel von Veilchen aus der schwarzen Erde; aber allgemach schwebte die Glut der Erde in süßen Gerüchen nach oben und überflutete blumenfarbig die alabasterne Helle des Himmels. Das Spiel wurde stiller und wilder, als die blaue Nacht leise die Kuppel durchbrach und mit unendlichen Wellen hereinströmte. Einige der leichten Gestalten huschten weit über das leere Feld, während andre in die Kornzellen hineinschlüpften und mit nachahmendem Vogelruf die Suchenden lockten und täuschten. Erst als die Sternbilder sich entschleierten, kamen Frauen und riefen, und die kleinen Gesellen stoben davon, nachdem sie sich von Lasko verabschiedet hatten. Er blieb ausgestreckt auf der Erde liegen und legte den Kopf auf eine Garbe, um über sich in den Himmel zu sehen wie in einen glatten, dunkeln Weiher, in dem der silberne Wandel himmlischer Gestalten aus der Unendlichkeit herab sich spiegelt. Am Bilde der Krone, das ihm gerade zu Häupten war, blieb sein Auge hängen, und indem er sich lächelnd der Worte des alten Bauern erinnerte, hob er träumerisch den Arm, als wollte er sie greifen. Er fühlte mit hoher Sicherheit, daß es in Wahrheit die seine sei, wie wunderbar das auch sein möge, und daß er sie mit so viel Stolz seinem Sohne zeigen könnte, wie wenn er sie in einem wertvollen Schrein oder in einer alten Truhe verschlossen hielte. Nachdenklich starrte er in das Funkeln der Juwele, die die ewige Figur bildeten, bis die Augen ihm zufielen; zugleich glaubte er ein Helles Klirren oben im Raume zu hören und zu fühlen, wie der kristallische Ton, rein durch die kühle Luft stürzend, auf seine geschlossenen Augenlider taute.
Sein Herz war voll von der Freude, die Maielies und Dragaino wiederzusehen; denn er zweifelte nicht daran, daß die unerschöpflich Liebevolle sein wildes Wesen längst verziehen hätte und freudig und treu zu ihm kommen würde, weil er nach ihr verlangte. Sie mußte wissen, daß, was er ihr auch zuleide tat, immer er der Leidende und Bedürftige war, dem ihre reichen Hände Genesung bringen mußten. Wie er sich ihr Gesicht und das des Kindes vorstellte, beglückte ihn die Aehnlichkeit, an die er lange nicht ohne knirschenden Ingrimm und zerfleischenden Schmerz hatte denken können. Das schien ihm weit zurück zu liegen wie Phantasien aus kranken Tagen. Seine Sehnsucht nach der Maielies wurde so groß, daß er unwillkürlich, um etwas ihr Angehöriges anzurühren, nach dem zerrissenen Taschentuch griff, das er jahrelang, seit er sie kannte, auf dem Herzen getragen hatte; aber es fiel ihm ein, daß er es einmal in einer Anwandlung eifersüchtigen Hasses in die Flamme einer Kerze gehalten und verbrannt hatte. Er ließ den Arm wieder sinken, und indem er mit der Hand in die Stoppeln griff, faßte er ein wenig weiche Erde mit einem kriechenden Pflänzchen, was er zusammen an den Mund führte. Es überlief ihn ein inbrünstiger Schauder, als die feuchte, flockige Erde seine Lippen berührte, und er drückte sich tiefer in das wohlige Bett; den Uebermüden und tief innerlich Beruhigten hätte unversehens der Schlaf übermannt, wenn ihn nicht der Alte vermißt, gesucht und ins Haus geholt hätte.
*
Als die Maielies von ihrem Oheim Pius die Nachricht erhielt, daß Moga und Dragaino bei ihm wären, war es, wie wenn sie von einer fremden Sache hörte, die für sie nicht in Betracht käme. Erst am folgenden Tage ging sie hin und besuchte Moga, die zu Bett lag; beim Anblick ihres kleinen, mageren Gesichts, in dem die Augen übergroß glänzten, kamen ihr Tränen, die Moga bemerkte. »Du weinst, weil ich sterben muß,« sagte sie, »wenn ich lebte, würdest du nicht um mich weinen.«
Die Maielies, der es nicht zum Bewußtsein gekommen war, daß sie weinte, schüttelte schnell den Kopf und sagte: »Du mußt nicht sterben, du bist nur recht krank; aber ich werde dich pflegen, bis du wieder gesund bist.«
Sie schickte sich nun in ihrer entschiedenen und geschickten Art an, die Pflege ganz zu übernehmen, Moga indessen drang in Pius und seine Frau, sie möchten sie nicht zu ihr lassen, da der Anblick ihres unbesiegbaren Lebens sie elend mache. Jedoch nach einiger Zeit äußerte sie den Wunsch, daß die Maielies sie wieder besuchen möge, und empfing sie freundlich und zutunlich. Es sei ihr etwas Liebes begegnet, sagte sie; gerade als sie sich am einsamsten gefühlt habe und Gott, nach dem sie in ihrer Ohnmacht gerufen, ihr kein Zeichen seiner Nähe habe geben wollen, sei ihr Blick zufällig auf den Spiegel gefallen, der ihrem Bett gegenüber hänge. »Darin sah ich ein schwarzes Mädchen,« erzählte sie, »das nicht hübsch und nicht häßlich war und mich mit feinen Augen ansah, die lächelten und trösteten: mir kannst du alles sagen, denn ich habe dich lieb und verstehe dich.« Die Maielies streichelte ihr die Haare aus dem Gesicht und fragte nachdenklich: »Kanntest du die denn nicht? Sahest du nie vorher in einen Spiegel?«
»Noch nie im rechten Augenblick,« erwiderte Moga. »Weißt du nicht, daß der Verzauberte nur in der rechten Stunde erlöst und der Schatz nur in der rechten Stunde gehoben werden kann? Wenn ich mich sonst im Spiegel sah, gefiel ich mir über die Maßen gut, oder ich fand mich abscheulich, so daß ich das Bild hätte anspeien mögen; aber nie sprach es zu mir. Jetzt habe ich eine Gesellin, die Tag und Nacht bei mir ist und mich sogar auf dem langen, furchtbaren Weg zum Paradiese begleiten wird.«
Die Maielies fragte, wie sie sich so einsam hätte fühlen können, da sie das Kind hätte.
»Ach,« rief Moga, »Dragaino! Er ist nicht für mich auf der Welt, er mag dir gehören. Er ist zu klein für mich, und ich bin zu jung für ihn. Ich war ja nie eine Geliebte und nie eine Frau, wie könnte ich Mutter sein?«
Von nun an ließ sich Moga mit Behagen von der Maielies pflegen, die darüber, daß sie ein so zartes, empfängliches Geschöpf zu verwöhnen hatte, Dragaino fast vergaß. Als Laskos Brief eintraf mit der Bitte, die Maielies möchte mit dem Kinde zu ihm kommen, war sie unschlüssig, ob sie ihre Kranke verlassen könnte, allein diese selbst redete ihr zu, es zu tun, und zeigte sich erfreut über Laskos Sinnesänderung.
Als die Maielies sich vorstellte, wie sie mit Dragaino in den Frühling hineinfahren würde, wie Lasko ihnen entgegenkommen würde, Wärme und Liebe in seinem Kinderherzen, in seinen lachenden Augen, auf seinem melodischen Munde, wie das Kind ihn wiedererkennen und zuerst sich verlegen verbergen, dann einen tollen kleinen Jubelruf ausstoßen würde, atmete sie tief und besann sich auf ihr Leben. Von der Zinne des Hauses sah sie auf das bräutlich prangende Meer, vor dem sie, so schien es ihr, eine schwere schwarze Nacht lang verzaubert gestanden hatte. Da stand sie nun wieder, das Lenzenwunder, der Rosenbaum, streckte begierig alle Ranken in die reiche, süße Luft und wuchs mit morgenroten Blütenkaskaden über die abgestorbenen Zweige hin. Im Spiegel hatte sie gesehen, daß über ihrem blonden Kopf ein spinnwebdünner Schleier weißer Haare lag; aber es betrübte sie nicht, sondern gefiel ihr und glich in Wirklichkeit einem Hauch aus Tau und Nebel, der in der Frühe wohl über den Wiesen schwebt, wenn ein reiner Sonnentag heraufkommen will.
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Bei der Erntearbeit wußte sich Zizito immer wegzuschleichen und in die Nähe eines Mädchens zu machen, das seine Gefühle entzündet hatte. Laskos schnellen Augen entging nichts davon, und er fuhr jedesmal mit einem derben Scherzwort dazwischen, worauf Zizito ihm aus lächelndem Gesicht heraus einen boshaften Blick zuwarf. Das Mädchen war noch sehr jung und unterschied sich von den übrigen Bäuerinnen durch ein feines, eigentlich zimperliches Aussehen und Wesen. Sie hatte flachsgelbes Haar und hellblaue Augen, über die sie fast beständig die Lider herabschlug, eine hohe schmale Stirn und lange gerade Nase, was ihr den Anschein des Ernstes und der Tugend verlieh. Um ihr feines Hälschen herum trug sie immer ein schwarzes Sammetband, das die Weiße ihrer Haut hob, und sie ging ehrbar mit langen, behutsamen Katzenschritten einher, unter dem flüchtigsten Blick, der sie traf, dunkel errötend. Anfangs meinte Lasko, die züchtige kleine Dame wäre durch Zizitos Gelüsten nicht gefährdet, doch da er einmal dazu kam, wie sie ihm unter den Lidern hervor einen feuchten Blick zuwarf und dazu mit den schmalen Lippen neckisch herausfordernd lächelte, wurde er andern Sinnes und beschloß, sie etwa auch gegen ihren Willen zu schützen.
Der alte Lastari indessen, den er zunächst bat, einzuschreiten, lachte und wollte nichts davon hören, vielmehr erregte ihm Laskos Bericht ein gewisses Behagen, etwa wie einst der gute Pfarrer empfunden hatte, als er Zizito zwischen den verbotenen Früchten seines Gartens lustwandeln sah. »Es ist merkwürdig,« rief er, »der Junge weiß nicht, wieviel zweimal zwei ist, aber ein hübsches Mädchen von einem häßlichen unterscheiden kann er immer,« und erkundigte sich wohlgefällig, ob das girrende Täubchen, wie er das Mädchen nannte, sich von dem kollernden Puter anlocken ließe. Lasko verlangte ungehalten, daß sein Vater die Sache ernst nähme; ob denn da ein Geschlecht blödsinniger Schelme gezüchtet werden solle? fragte er; ob er Zizito zu einem Hausherrn und Familienvater machen wolle? -- So weit wäre die Sache ja noch nicht, entgegnete der Alte, übrigens möchte Lasko sich einmal umsehen, Mensch und Vieh paarte sich in diesen Zeiten, Maikatzen und Maikäfer kämen bei Tausenden, wimmelten eine Weile in der Sonne und verschwänden dann wieder, so ginge es mit den Menschen, niemand früge, ob eins mehr oder weniger sei. Gott schüttelte von Zeit zu Zeit den großen Lebensbaum, da prasselten die Paradiesäpfel herunter, reife und unreife, saure und süße, wurmstichige und angefressene, die einen blieben liegen und faulten gleich wieder in den Boden hinein, andre würden aufbewahrt und heute oder morgen verzehrt, es käme alles auf eins heraus, und lächerlich sei es, von den Knospen oder gar den nackten Zweigen schon voraussehen zu wollen, was einmal daraus kommen könne. Lasko hielt die Aussprüche, die sein Vater nachdenklich und gutgelaunt einen an den andern reihte, nicht mehr, wie er als Knabe getan hatte, für unanfechtbare Weltweisheit, aber er beschied sich mit einem Kopfschütteln und Lachen; denn streiten wollte er darüber nicht und sah ein, daß er in dieser Angelegenheit für sich allein handeln müsse. Froh im Gefühl der Erwartung lebte er schwungkräftig von Augenblick zu Augenblick, ohne die Untiefen zu beachten, die unten verborgen sein konnten. Er litt nicht mehr Zweifel und Reue unter dem Widerwillen, den Zizito ihm einflößte, und scheute sich nicht, ihn einmal hart anzufassen, wenn er es für nötig hielt. Als sie eines Abends in der schwarzen Küche zusammensaßen, Lastari ernsthaft und kunstgerecht im bauchigen Messingkessel einen Maisbrei kochte und Zizito unermüdlich mit ein paar Würfeln spielte, indem er sie rüttelte, zu Boden warf, kichernd und gaffend sich darüber beugte und sie dann wieder in die Hand nahm, betrachtete Lasko ihn lange und ruhig, während er die Glut der Holzkohlen schürte, und gab sich wunderlichen Gedanken hin. Er dachte an das schöne, freche Gesicht seiner Stiefmutter und die Marter und Erniedrigung seines Lebens, staunend, daß es dasselbe sei, an dem er heute noch weiterspann. Wie schimmerte der starke Faden jetzt, der so mürbe und schmutzig und schweißig gewesen war. Gelassen konnte er jetzt in das verhaßte Gesicht sehen wie auf ein verfolgendes Gespenst, dessen mitternächtigen Zauber die Frühstunde gebrochen hätte.
Während er mit gewaltigem Arm den quellenden Brei rührte, fragte Lastari Zizito gutmütig, was er treibe.
»Ich wette,« sagte Zizito und öffnete die blauen Augen ein wenig gegen seinen Vater, indem er die Würfel klappernd auf den steinernen Boden fallen ließ. Lastaris belustigte Frage, auf was er denn wette, schien er nicht zu verstehen, denn er antwortete nicht, sondern kniff die Augen pfiffig zu und lachte, immer wieder neu ausholend, als liege ihm etwas über alle Maßen Komisches im Sinn. Lasko fand das leere Gelächter grausig und wunderte sich, daß sein Vater Spaß daran zu haben schien; ein peinliches Gefühl wandelte ihn an, indem er sich plötzlich daran erinnerte, wie lange er untätig zugesehen hatte, als der blödsinnige Junge zärtlich und mordlustig die Maielies umschlich. Es dünkte ihn fast, als hätte er sie damals nicht geliebt; daß er sie jetzt lieb hatte und immer lieb haben würde, fühlte er. Ueber die Maielies vergaß er Zizito; erst in der Nacht, als ihn ein Geräusch aus dem ersten Schlaf weckte, fiel ihm ein, daß er es sein könnte, der aus dem Hause entwischte, um sich zu einem Stelldichein mit dem betörten Mädchen zu stehlen. Durch das Fenster sah er nichts; dann eilte er in das Schlafzimmer seines Vaters, wo auch Zizitos Bett stand, und bemerkte sofort, daß es leer war. Einen Augenblick blieb er an Lastaris Bett stehen und lächelte zärtlich über das trotzig ernste Gesicht, das der Alte im Schlaf hatte, worauf er sich, um Zeit zu ersparen, aus dem geöffneten Fenster herabließ und dem Obstgarten zulief, da ihm sogleich als das wahrscheinlichste einfiel, die beiden Uebeltäter würden sich in den Schutz und Schatten der alten Birnbäume geflüchtet haben. Als er dort auf dem hügeligen Wiesengrunde angelangt war, hielt er ein und blickte um sich und über sich. Der Himmel war weiß wie Perlen, und die verästelten Zweige der breiten Bäume griffen mit verworrenen Arabesken in seine glanzlose Flut. Laskos Augen blieben eine Minute lang an den labyrinthischen Linien hängen, dann wandte er sich blitzschnell zur Seite, weil er ein Huschen wie von leichten Füßen vernahm. Er sah etwas Helles flattern und rief das girrende Täubchen bei Namen, da er nicht zweifelte, daß sie es sein müsse; auch blieb die zarte Gestalt stehen und schien zu zaudern, ob sie fliehen oder warten solle. Ohne sich zu beeilen, ging Lasko durch das hohe Gras zu ihr hinüber, rechts und links um sich blickend, ob er nicht eine Spur von Zizito entdeckte; plötzlich hörte er ein Knacken in dem Baume, unter dem er stand, sah etwas wie eine wilde Katze oder eine Schlange sich von dem tiefsten Zweige her gegen ihn herunterlassen und spürte gleichzeitig einen Stich in der Brust. Er hatte Zizito sofort erkannt und begriffen, daß er ihm aus Wut und Rachsucht einen Stoß mit dem Messer versetzt hatte, weswegen er abwehrend den Arm ausstreckte in der Meinung, der Erboste würde es bei dem einmaligen Angriff nicht bewenden lassen. Indem er sich aber bewegte, dunkelte und schwankte es vor seinen Augen, und er taumelte und stürzte bewußtlos nach vorwärts, so daß er mit dem Gesicht in das Gras zu liegen kam. Als er in der Frühe gefunden wurde, war er tot, und es ließ sich nicht feststellen, wann er gestorben war und ob er das Bewußtsein noch einmal wiedererlangt hatte; denn Zizito, der, nicht weit von ihm im Grase kauernd, gefunden wurde, die stumpfen Augen stier auf den stillen Körper gerichtet, war nicht imstande, über irgend etwas, was mit seiner Untat zusammenhing, Auskunft zu geben.
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Die Maielies konnte noch vorbereitet werden, so daß sie den Kleinen zu Hause ließ. Lastari hatte ihr gemeldet, es sei Lasko ein Unfall zugestoßen, und sie mußte sich sagen, daß er sie nicht in Schrecken versetzt haben würde, wenn nicht etwas sehr Bedenkliches sich zugetragen hätte; trotzdem hielt ihre Seele die Hoffnung fest. Mit immer neuen Gründen verschanzte sie ihr Glücksgefühl in einem Heiligtum, ja sie suchte sich schließlich einzureden, daß, wenn sie Lasko wirklich sollte verlieren müssen, dies nichts Unerträgliches für sie bedeutete. Sie sagte sich, es sei noch nicht lange her, seit sie ihn verabscheut und ihn umgebracht hätte, wenn haßerfüllter Wille töten könnte. Doch war es ihr, wie sie sich auch bemühte, nicht möglich, sich sein Gesicht zurückzurufen, wie es in jenen Tagen gewesen war, grün, spitz, krötengiftig, als er dem kleinen Dragaino nach dem Leben stellte; anstatt dessen sah sie ihn wider ihren Willen jung, verschlossen und verschwenderisch, wie er vor Jahren in ihres Vaters Haus gekommen war, ein wunderlicher Fremdling, der ihrem befangenen Herzen erschienen war wie ein vorüberschießender Stern, der dunkle Wünsche und Fragen aufregt. Es kam ihr vorzüglich ein kleines Erlebnis in den Sinn, an das sie nie mehr zurückgedacht hatte: wie sie sich einmal in der nächsten großen Stadt getroffen hatten und sie ihn auf einem Gange begleitete, um dessentwillen er hereingefahren war. Er hatte sich nämlich, um ein Fest mitmachen zu können, an dem sie teilnehmen sollte, eine feine Kleidung bestellt; für gewöhnlich ging er in vertragenen Anzügen und besaß auch keine guten, wie er überhaupt damals für seinen persönlichen Bedarf wenig ausgab. Im Grunde freilich hatte er kindische Lust an geschmackvoller Ausstattung des Aeußeren und freute sich darauf, schön geputzt vor ihr zu erscheinen, weswegen er den Schneider mahnen wollte, den Anzug rechtzeitig zu liefern. Der Schneider wohnte in einer langen, engen, ärmlichen Straße, die sie nie vorher betreten hatte, und wo ihrer Meinung nach nur Bettler Hausen konnten. Sie wunderte sich im stillen, was für Gewänder ein Schneider aus dieser Gegend verfertigen möchte, während Lasko, dem es peinlich war, sie dorthin zu führen, über das elende Pflaster und die mangelhafte Beleuchtung und den Qualm, der in der schmalen Gasse stockte, mit derben Witzworten fluchte. In dem Hause, wo der Schneider wohnte, sah es vollends kümmerlich aus: an der Tür gab es einen abgegriffenen, verlotterten Glockenzug und daneben eine Anzahl billiger Namensschilder, und auf dem Halbdunkeln Flur sah man schwarze Winkel, zu denen heranzugehen man sich scheute. Die beiden sahen sich ratlos um, und Lasko sollte sich eben anschicken, eine der krummen und steilen Treppen hinaufzuklettern, als der Schneider selbst herunterkam, der Lasko sogleich erkannte und den Grund seines Kommens erriet. Der Anzug würde nicht fertig, er hätte keine Zeit gehabt, sagte er, nicht entschuldigend, sondern beiläufig, mit einem unverschämt freundlichen Lächeln, wie etwa ein behäbiger Mann zu einem armen Teufel spricht. Sie, die Maielies, mochte er in der Dunkelheit für eine kleine Vorstadtsgeliebte halten, vor der er nur eben vertraulich den Hut lüftete, was ihr aber kaum zum Bewußtsein kam. Die Art indessen, wie er mit Lasko zu verkehren wagte, empörte sie; seine dickbäuchige, schäbig elegante Erscheinung erregte ihr Ekel, und sie hätte ihn wie einen Ohrwurm, eine blanke, klebrige Bestie, mit dem Absatz ihrer feinen Schuhe zertreten mögen. Lasko, der den ungeduldig aufreizenden Blick, den sie ihm zuwarf, nicht bemerkte, tat nichts, als daß er mit einer leichten, wegwerfenden Handbewegung sagte: »Es macht nichts!« und flüchtig grüßend an dem Manne vorüberging. So blieb ihr nichts übrig, als aus dem übelriechenden Vorplatz mit ihm auf die Gasse zu treten, wo sie ihm einen ernstlichen Vorwurf zu machen gedachte, daß er sich ein so ungebührliches Betragen habe gefallen lassen. Wie sie nun aber die feine Linie seines Gesichtes neben sich sah, wurde sie plötzlich unsicher, und es überströmte sie ein Gefühl von Hingebung und Bewunderung; die Unbekümmertheit, mit der er an Schmutz und Beleidigung vorüberging, schien ihr von der Art eines Hochgeborenen zu sein, die gleichgültig oder mit Verwunderung zusieht, wie die Meute des Pöbels ihm nachkläfft. Die Häuser der langen Gasse kamen ihr vor wie in schwarzen Flor gehüllte Gestalten, die mit blinden, ausgeweinten Augen dem edeln Verstoßenen nachschauten, und sie hätte ihm gern gesagt, daß sie ihn kennte und im Elend nicht verlassen würde; anstatt dessen schob sie verstohlen ihre zitternde Hand in seinen Arm. Er empfand die bescheidene Liebkosung sogleich im Mittelpunkte seines reizbaren Herzens, und eine goldene Symphonie von Uebermut und Zärtlichkeit quoll strahlend daraus hervor. Während er vorher gedrückt und übellaunig gewesen war, schüttete er nun einen Ueberfluß der ausbündigsten Einfälle vor sie hin: Ströme von Pathos wechselten mit tollen Schnurren und anmutigen Empfindsamkeiten und innigem Ausdruck süßester Anbetung. Ueber die nackten, schmutzigen Mauern, an denen sie vorübergingen, streute er mit sorglos verschwendender Hand die Kostbarkeiten seiner Herzensglut und Phantasie, so daß das Bild jenes Weges nach so viel Jahren noch im Dufte welkender Blumen und Schimmer puren Goldes aus ihrem Gedächtnis aufstand.
Es kam ihr in ihrer Träumerei auf einmal so vor, als wäre der schmale Wagen, in dem sie fuhr, die Gasse von damals, und unwillkürlich blickte sie zur Seite, ob der treue Kamerad, der Fremdling von den Sternen, neben ihr wäre. Ihr Alleinsein, das ihr nun fühlbar wurde, machte ihr bange. Jetzt fiel ihr ein, wie Lasko manches Mal, um sie zu necken, davon gesprochen hatte, wie er ihr nach seinem Tode allerlei Schabernack spielen, sie mit beiden Händen packen und ihr zuraunen würde: »Du mußt sterben! Sieh mein Geripp!« und andre grasse Sinnsprüche von Tod und Ende. Sie mußte lächeln, und ihre Tränen stürzten; sie wußte auf einmal, daß er tot war, und daß sie ihn auf immer verloren hatte. Obwohl sie nicht glaubte, daß seine Seele ihr entgegengekommen wäre und irgendwo überhaupt sein könnte, fühlte sie doch seinen Abschied kühl überm Herzen, und nicht der Anblick des Toten hätte ihr mehr Gewißheit geben können. Sie weinte und weinte und hatte kaum noch Tränen, als sie endlich in die Kammer geführt wurde, wo der feierliche und verschwiegene Lasko lag.
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Lastaris ungeheure Klage verstummte, als die Maielies kam, der er nun als Tröster zur Seite zu stehen sich verpflichtet hielt. Sie saß an dem Bett, auf dem Lasko mit einem langen weißen Hemde bekleidet lag, und blickte hilflos staunend in sein verwandeltes Gesicht. Sie hatte ihn niemals mit so fest geschlossenem Munde und mit so ruhevollen Mienen gesehen; fremd und schön war ihr dieser Lasko und seine starre Erhabenheit und unzugängliche Größe. War es ein Fluch oder ein Verhängnis, daß er, während er lebte, mit immer wechselnden Gaukeleien seine Würde hatte verhüllen müssen? Es war, wie wenn ein hoher Verfolgter, um in der Verborgenheit zu bleiben, Verstellung geübt und den Stern auf seiner Brust versteckt hätte und nun bei seinem Tode das schwere Geheimnis offenbar würde. Nichts war ihr an ihm vertraut als die bräunlichen Hände, von denen die linke mit dem Ringe, den sie ihm geschenkt hatte, über der tödlichen Wunde lag, und wenn ihr Blick darauf fiel, mußte sie von neuem zu weinen anfangen. Daß die gute, unermüdlich hilfreiche Hand sich nicht mehr rührte, um ihr die Tränen von der Wange zu streicheln, das konnte sie nicht fassen. Die warme, kräftige, die listige, erfinderische und falkenschnelle war umstellt und ermordet worden und lag da leblos, unfähig zu schützen, zu retten oder zu lindern, was auch geschähe.
Lastari saß an des Toten andrer Seite und sprach mit seiner großen und tiefen Stimme Worte, die bestimmt waren, die Maielies zu trösten, denen sie aber nicht zuhörte; sie flossen hin wie heilsames Oel, das seine Seele sich selbst für ihre Wunden erzeugte. Er sprach von Rojenice und Surja und Dragaino, Perlen, die er aus dem Meere des Lebens gefischt und die es ihm wieder entrissen hätte. »Mein war Rojenice, das süße Mitleid, die singende Stimme, mein war Surja, die Herrin, die mondäugige Paradiesestochter, und Dragaino war mein, der Liebling. Nachdem die Brandung sie alle verschlungen hatte, blieb noch das Kind an meiner Seite, Lasko, das Liebesherz, der Engel der Treue, das Löwenjunge. Aus Feuer und Wasser war er gemacht: heiß, lechzend und zerstörend wie die Flamme, spielend, wechselreich und verschwenderisch wie das Meer. Er war hold und unhold, mild und grausam wie das Meer. Ach, wir haben dich nicht genug geliebt, Lasko, wir haben dich nicht genug geliebt! Aber du bist glücklich, wir sind verlassen. Das Meer, deine Mutter, riß dich von meiner Seite und hegt dich im Arm, und ich steige weiter über die Hügel und kämpfe gegen die feuchten Stürme. Ihr sollt meine Begleiter sein in den einsamen Nächten, ihr hohen Geliebten! Eure Schönheit bemalt mir den Himmel, unter dem ich gehe.«
Die Maielies hörte nicht zu, sondern hing ihren eignen ängstlichen Gedanken nach: daß Lasko nun von dem Wasser der Vergessenheit getrunken und in der göttlichen Berauschung eine große, freie Ferne gewonnen hätte, wo die Schwärme des Geschehenen, weder die Wonnen noch die Schrecken, ihn nie mehr verfolgen könnten. Sie sehnte sich bitter nach dem Lasko, der begehrte und bedurfte, der an heimlichen Tränen und schweren Erinnerungen und der übergroßen Liebe seines allbeweglichen Herzens litt, und ging aus der Kammer ins Freie, in der Hoffnung, ihn eher da zu finden, wo sie seinen erstarrten Körper nicht sähe. Draußen legte sie sich in das Gras unter dem Birnbaum, wo man ihr gesagt hatte, daß er gefunden worden wäre, und weinte ungeduldig bittend seinen Namen in die Erde. Nach einer Weile indessen trieb es sie wieder zu der irdischen Gestalt, die glühte, solange das Leben mit dem Rosenleibe sich über sie beugte und sie formte, und die nun kalt in ihrer Vollendung lag, da die Bildnerin ihr Werk verlassen hatte. Noch standen die Türen offen, durch die sie gegangen war, und ihr Duft und ihre Wärme erfüllten noch den Raum; es war, als ob man den Zauber ihres Namens noch anrufen könnte.
Während die Maielies kam und ging, wich Lastari nicht von der Seite seines Sohnes, bis die Zeit der Beerdigung da war. Dazu kamen Herr Beatus und Herr Pius, und auch Dragaino wurde mitgebracht und kämpfte schmerzhaft zwischen Trotz und Tränen, als er seinen guten Vater und Spielkameraden unbegreiflich furchtbar und gefühllos wiedersah.
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Die Maielies erklärte, zunächst mit Dragaino bei Lastari bleiben zu wollen, zum Teil, weil ihr bange war, die Familie möchte sie, nun sie ledig war, wieder verschlingen wollen, sodann, weil sie sich stark von dem Alten angezogen fühlte. Es war nicht nur, daß sie sich verpflichtet hielt, dem kinderlosen Manne das zu sein, was Lasko ihm gewesen war, und daß es sie tröstete, eine Aufgabe aus den lieben toten Händen zu übernehmen: ihr Herz hatte sich ganz und gar dem alten Zauberer eröffnet, dessen Künste Lasko ihr einst gerühmt hatte. Als er an Laskos frischem Grabe stand und stumm mit düsterer Stirne betete, erschien er ihr wie ein Geisterkönig mit hoher Krone und über dem Schwertknauf gefalteten Händen, und es tat ihr wohl, sich mit ihrem wunden Herzen in den purpurnen Schatten seiner majestätischen Trauer zu stellen.
Die äußeren Zeichen der Traurigkeit mußten freilich bald verschwinden, da Dragaino Freude verlangte und Freude ausstrahlte und weder Lastari noch die Maielies das Herz gehabt hätten, das muntere Feuer zu ersticken. Etwas kam der Maielies zu Hilfe: daß sie nämlich ihren Wunsch, Lastari möchte den Kleinen für seinen Enkel, Laskos und ihren echten Sohn, ansehen, fast ohne ihr Zutun sich erfüllen sah. Sie begriff, daß Lasko dafür gesorgt hatte, und fand ein liebes, heimliches Glück in der Vorstellung, daß er und sie, ohne es vereinbart zu haben, dasselbe erstrebt hatten. Bei der Landarbeit, die nun ihren Fortgang nahm, beteiligten sie sich mit Eifer, zum Vergnügen des Alten, der stolz die zunehmende Muskelkraft des Kleinen prüfte und feststellte, daß er die Glieder täglich elastischer regte. Das Feld, wo Lasko gelegen und in die Sterne gesehen hatte, wurde umgearbeitet, um eine neue Saat zu empfangen, und Dragaino rollte seinen strotzenden Körper über den aufgelockerten Boden, laut das rote Lied singend, mit dem er sein tiefstes Genießen auszudrücken pflegte: »Rot ist die Sonne! Rot sind die Bäume! Rot ist die Erde! Rot! Rot! Rot!« Lastari zeigte ihm allerlei Kunststücke und lehrte ihn Purzelbäume und Radschlagen, was der Maielies zuweilen Angst machte; doch freute sie sich, wie der Alte ihr zuliebe seine Wildheit und Lust zum Necken bezähmte und schonende Behutsamkeit gegen das kleine Wesen walten ließ. Wenn Lastari den Pflug über den Acker führte, durfte Dragaino auf dem Pferde sitzen, wobei er von Zeit zu Zeit den Kopf in den Nacken warf, die festen Arme mit aller Kraft wie zwei goldbraune Säulchen in die blaue Luft stemmte und jauchzte. Er und die Maielies begannen sich in Umbla zu Hause zu fühlen. Vor der kleinen täglichen Beschäftigung, die sie daheim gehabt hatte, graute ihr; aber die Bewirtschaftung des großen Gutes, der Dienst der Elemente, das reizte ihre Kräfte zu schaffender Tätigkeit.
Da indessen Mogas Krankheit eine Wendung nahm, die zum Ende führen zu sollen schien, mußte sie noch einmal nach Lusinara zurückkehren, versprach aber Lastari, der sie ungern gehen ließ, sobald es ihr möglich wäre, wiederzukommen; als sie sich mit einem Kuß von ihm trennte, war es ihr, als ob sie sich zu etwas Wichtigem und Wundervollen stillschweigend untereinander verbündet hätten.
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Nachdem Moga gestorben war, mußte die Maielies mit Dragaino ihre Eltern besuchen, was sie ihnen um so weniger hätte abschlagen können, als Olivia, die stets leidend und schwer beweglich war, das Kind noch nicht gesehen hatte. Als sie danach wieder in Lusinara ankam, fand sie eine unerwartete Veränderung: Rizzo war auf die Nachricht von Laskos Tode heimgekehrt, in der Hoffnung, die Maielies jetzt zu seiner Frau machen zu können. Niemand hatte sie darauf vorbereitet, so daß, als das Mädchen ihr ihn meldete, ihr Herz im jubelnden Schrecken anfing zu schlagen wie ein junges Roß, das sich losreißen und davonrasen will. Indessen, sowie er vor ihr stand, verging dies Gefühl, und es wurde ihr leicht, sich zu fassen und ihn, als ob er nichts als ein guter Kamerad aus der Kinderzeit wäre, nach seinen Erlebnissen während der letzten Jahre auszufragen.
Eine Weile erzählte er, was sie wissen wollte, aber er mußte seine Gedanken, die keinen Anteil daran nahmen, mühsam Zusammenhalten, und brach bald ab, um ihr zu sagen, was ihn zu ihr geführt habe. Sie wisse es ja ohnehin, sagte er, er hätte keine Heimat, keine Hoffnung außer ihr, ihr Bild allein hätte sein Leben vor gänzlicher Verwilderung geschützt; sie hätten zu lange ohne einander leben müssen, um nun, da sie sich hätten, ihr Glück auch nur um eines Augenblicks Dauer zu verkürzen. Die Maielies schüttelte langsam den Kopf und sah ihn freundlich an. »Ich fühle nicht wie du,« sagte sie. »Wenn ich fühlte wie damals, als wir uns trennten, wäre ich dir mit offenem Herzen entgegengekommen und hätte dich begrüßt wie einen Geliebten; aber die Zeit muß das ausgelöscht haben.« Rizzo lachte und sagte: »Sie hat nichts ausgelöscht, nur Asche darüber geworfen, unter der es glimmt. Ja, so bist du. Es muß ein Sturm kommen und das Feuer wieder anblasen.«
Die Maielies wehrte seine Liebkosung scheu errötend ab und wiederholte, daß es nicht so sei, wie er glaube; auch sei es nicht etwa so, wie er vielleicht meinte, daß sie sich an Laskos Andenken zu versündigen fürchte, wenn sie jetzt schon einer neuen Liebe Raum gebe; denn wenn die Liebe noch in ihr wäre, so wäre sie nicht neu, und sie würde nicht verhehlen, was sie fühlte, um einen Toten zu schonen, da sie ja den Lebenden nicht geschont hätte. Vollends wegen seiner Beziehungen zu Moga hätte sie ihm niemals gezürnt; doch sei es nun auch so, daß, wenn Moga noch lebte und er sie heiratete, sie nicht eifersüchtig oder traurig darüber sein würde, was am besten bewiese, daß sie ihn nicht liebe. Durch alle diese Erklärungen ließ Rizzo sich nicht abschrecken und kaum verstimmen, sondern beschloß, in Ruhe zu warten; denn er konnte sich nichts andres vorstellen, als daß sie ihn dennoch liebe, und daß nur die lange Gewohnheit, das Gefühl zurückzudrängen, sie noch binde.
Das nächste Mal wußte die Maielies es so einzurichten, daß Rizzo sie im Garten traf, wo sie ihm allerlei zu zeigen hatte, woran sich Erinnerungen aus der Kindheit knüpften und was seitdem verändert war. »Wo ist die kleine Maielies geblieben,« sagte sie wehmütig und lächelnd, »deren Herz klopfte, weil sie mit den Schuhen im Wasser gestanden hatte, und die sich vor der Mutter fürchtete? Ich fühle sie wohl noch in mir; aber für die Augen der andern ist sie verloren gegangen.«
»Du bist jung und schön,« entgegnete Rizzo nach einer Weile, »aber nicht so lieb mehr wie damals.«
Sie lachte und sagte: »Das ist es eben: die alten Katzen spielen nicht so allerliebst und drollig wie die kleinen Kätzchen.«
Als Rizzo unbefriedigt fortgegangen war, setzte sie sich unter einen Kastanienbaum und weinte. Sie dachte an die Glut und das Glück der flammenden Sommertage, als sie Rizzo liebte, und an die Klage seiner heißen Augen, wenn sie jetzt auf ihr ruhten. Es kam ihr leise eine süße Erinnerung, wie gut sie an seinem sicheren Herzen geruht hatte; er hatte sie getragen wie ein Falk, schnell und hoch, sie schwebend rasten lassen wie im Nest am Felsen über Brandungen. Wenn sie sich nachgegeben hätte, fühlte sie, daß sie jetzt auf dem sanften Strome der Rückerinnerung zu ihm hin gelangen könnte, und sie wußte selbst nicht, was sie festhielt. War es Laskos Stimme, die rief: ›Verlaß mich nicht?‹ Aber sie wußte, daß er über sie hinaus war, über Einsamkeit und Treue und Untreue hinaus, im Wirbel des Aethers durch den unendlichen Triumphzug der Gestaltung blitzend. Sie war geneigt, Rizzo zu zürnen, daß er nicht derselbe geblieben war und sie nicht so zweifellos an sich reißen konnte wie einst. Anzusehen war er noch schön genug: er war noch magerer und sehr braun geworden, was ihn gut kleidete; aber anstatt des phantastischen blauen Feuers fand sie in seinen Augen einen kalten Fanatismus, der, wenn er sie anblickte, zärtlich zerfloß. Er war überaus schweigsam, und besonders erzählte er trocken und ungern; sie hatte den Eindruck, als wäre sein Leben draußen grell und wüst geworden, als rase er durch gefährliche, vielleicht freche und grausame Abenteuer, ohne daß sein Herz vor Uebermut oder Grauen oder Trunkenheit heftiger schlüge. Zeigte er ihr gegenüber dann die weichlich sinnliche Empfindsamkeit eines mittleren Bürgers, dessen ideale Gesinnung darin besteht, daß er sich abends nach der Arbeit am warmen Herde gern vom Weibchen herzen läßt, so fühlte sie sich plötzlich abgestoßen, als ob eine unveredelte Hand sich nach ihr ausstreckte. Das indessen warf sie sich bald als ungerecht vor und sagte sich, daß ihre Augen ihn nicht mehr umfassen und verstehen könnten, weil ihr Herz ihm nicht warm und hingegeben wäre wie einst. Aber warum hätte es auch so sein sollen? Warum sollte sie zurück zu jenen Augenblicken, die vergangen waren?
Sie rief Dragaino zu sich, den sie in einiger Entfernung zwischen den grünen und gelben Blättern, mit denen die Erde bestreut war, wühlen und die blanken Kastanien in seine Schürze sammeln sah. Es fiel ihr ein, indem sie ihn ansah, daß er Rizzos Kind war, daß sie ihn deshalb zu sich genommen und deshalb geliebt hatte, noch bevor sie ihn kannte, wie sie später danach getrachtet hatte, das vergessen zu machen, und daß sie und Lasko ihn durch einen Machtspruch ihres Herzens zu ihrem eignen Kinde erklärt hatten. »Möchtest du wieder einen Papa haben?« fragte sie, nachdem sie ihn auf ihren Schoß gesetzt und beide Arme um ihn gelegt hatte.
»Kommt Papa wieder?« fragte Dragaino erstaunt, mit großen Augen.
Die Maielies schüttelte den Kopf und sagte: »Ein andrer, ein neuer.«
»Den würde ich totschlagen!« sagte Dragaino, indem sein kleines braunes Gesicht einen kampflustigen Ausdruck annahm.
Die Maielies lachte glücklich und rief: »Du hast recht, wir brauchen keinen, wir brauchen keinen!« worauf sie ihn kräftig in die Luft schwang, wieder hinstellte und sich auf und ab mit ihm im Garten jagte, daß sein jauchzendes Gelächter hoch in die dünne Herbstluft stieg.
*
Eines Tages kamen Herr Pius und Frau Morlesine zur Maielies, um sie herzlich zu bitten, sie möchte Rizzos Frau werden: dies wäre von jeher ihr Lieblingswunsch gewesen, da sie sie wie eine Tochter geliebt hätten; auch als sie einen andern erwählt hätte, wäre ihr Gefühl für sie unverändert geblieben, und sie hätten sich hineingefunden; da sie aber nun noch einmal frei geworden wäre und ihr Herz schon vorher für Rizzo gesprochen hätte, möchte sie nicht irgend einer Grille zuliebe zerstören, was so verheißungsvoll winkte. Die Maielies hatte ihren Onkel und ihre Tante immer lieb gehabt, aber sie hatten ihr Mitgefühl niemals so erregt, wie es jetzt Frau Morlesine tat. Sie sah mit ihrer gelben, faltigen Haut, der großen, scharfen Nase, dem schmalen, ein wenig vorstehenden Kinn sehr alt und unschön, aber keineswegs unedel aus, und aus ihren blauen Augen, so erloschen sie waren, sprach eine kindliche Seele, die das Leben nicht ausgereift hatte, und die zaghaft nach der Sonne blickte, an der sie warm werden wollte, wenn es zum Wachsen auch zu spät wäre. Die Maielies konnte sich noch darauf besinnen, daß ihre Tante ihr einmal als eine schöne Zauberin erschienen war, um die herum das Leben hoffnungsreicher und wundervoller war als gemeinhin, obwohl ihr nichts Außerordentliches begegnete. Ihre unschuldige Sehnsucht und Gläubigkeit hatte die Kargheit des Schicksals nicht ganz unterdrücken können, und wenn sie es auch verbarg, weil sie fürchtete, kindisch zu erscheinen, hoffte sie doch immer noch auf etwas Allerschönstes, das ihr Leben vollenden würde, und das vielleicht, so träumte sie jetzt, Kinder und Enkel ihr bringen sollten. Onkel Pius hoffte hauptsächlich, seinen Sohn durch die Maielies an die Heimat zu fesseln, was er zwar nicht aussprach, sie aber wohl begriff, und im ersten Augenblick schien es ihr auch, als ob sie dazu verpflichtet wäre. Gerade dadurch wurde es ihr aber erst recht klar, daß sie Rizzo nicht liebte; denn je zwingendere Gründe sich zeigten, daß sie Rizzo heirate, desto banger wurde ihr zu Mute, und sie kam sich wie ein gejagtes Tier vor, das alle Kraft und alle Sinne scharf beieinander halten muß, um sich nicht fangen zu lassen.
Mit Ausdrücken kindlicher Zärtlichkeit entgegnete sie den alten Leuten, daß es sie über alles betrübe, ihnen als ihren liebsten und nächsten Anverwandten eine Enttäuschung zu bereiten, daß sie sich gern als ihre Tochter und Dragaino als ihr Enkelkind betrachte, aber Rizzos Frau nicht werden könne; sie hätte nun einmal beschlossen, sich nicht wieder zu verheiraten, und könne davon nicht abgehen.
Nach einigen Tagen, als kein andres Ergebnis erzielt worden war, eröffnete Herr Pius seiner Nichte, daß auch ihre Eltern der Meinung wären, es müsse zu dieser Heirat kommen, und daß ihr Vater sogar bereit wäre, sich mit ihm zu versöhnen, nun Gott die Irrungen der Vergangenheit so schicklich löste und dadurch zu erkennen gäbe, daß ihrer nicht mehr gedacht werden solle. Er, Pius, habe den hartnäckigen Bruderzwist immer für etwas Abgeschmacktes gehalten und würde froh sein, wenn er vor seinem oder des Beatus Tode beigelegt werden könnte. Wirklich rückten an einem der folgenden Tage zu nicht geringem Schrecken der Maielies ihr Vater und sogar Olivia, die Mutter, heran, um entweder die neue Familienordnung einzuweihen oder, falls die Maielies sich dauernd widerspenstig erweisen sollte, ihr vernunftmäßig zuzureden.
An einem Herbstnachmittag, der leicht und zeitlos wie ein Traum war, saßen die Brüder Beatus und Pius und ihre Frauen nebst dem Pfarrer Nepomuk unter den Kastanienbäumen um einen Tisch, der mit silbernem Kaffeegeschirr und Körben voll Obst und Kuchen lecker hergerichtet war. Um das runde Beet her standen die blühenden Sonnenblumen im Kreise wie Anbetende in Verzückung, doch wurde nicht darauf geachtet, da alle mit Ausnahme des Pfarrers zwischen dem Essen und Trinken damit beschäftigt waren, der Maielies vorzustellen, wie sie sich in Uebereinstimmung mit den Regeln der Pflicht und Lebensweisheit zu verhalten habe.
Herr Beatus betonte zunächst, daß Rizzo der Vater ihres von ihr angenommenen Kindes sei, und daß es sich schön fügte, wenn dies, indem sie ihn heiratete, mit seinem rechtmäßigen Erzeuger wieder vereinigt würde. Es sei dann dadurch, daß sie seines Vaters Frau sei, auch in viel weiterem Sinne als vorher ihr Kind und somit sein Enkel, wonach er sich seit vielen Jahren vergeblich gesehnt hätte. Außerdem aber sei sie noch zu jung, um Witwe zu bleiben, und wenn sie auch durch den göttlichen Segen, der seines Vaters und seine Arbeit immer begleitet hätte, eines Erhalters nicht bedürfe, so müsse das Kind doch einen männlichen Erzieher und sie für die vielen schweren und einsamen Tage, die das Leben auch für die Begüterten bringe, eine Stütze haben. Frau Olivia, die mit ihrem kränklichen Fett auf einem breiten Sessel lag und sich nicht bewegte, sagte empfindlich und ergeben, die Maielies sei stets unter dem äußeren Anschein stiller Fügsamkeit verstockt und voll Eigensinn gewesen und hätte vermutlich keinen andern Grund, nein zu dieser Heirat zu sagen, als daß ihre Eltern sie wünschten; denn ausgemacht und allen wohl bekannt sei, daß sie Rizzo mit übertriebener Leidenschaft geliebt hätte, solange sie daran Anstoß hätten nehmen müssen. Die besten Eltern hätten die widerspenstigsten Kinder, wer Liebe säe, ernte Undank, und es sei ihr nun einmal nicht beschieden, Freude an ihrem einzigen Kinde zu erleben, für das sie sich aufgeopfert hätte. Herr Pius war mit der Art und Weise, wie sein Bruder und seine Schwägerin die Sache anfaßten, nicht zufrieden, polterte aber nur undeutlich und im allgemeinen, weil er es nicht wieder mit ihm verderben wollte, über das Moralische am unrechten Orte, und wiederholte dagegen eindringlich, daß sein Sohn Rizzo ein wackerer Mensch sei, anders als die andern, und sie herzlich liebe, und daß sie ihn durchaus auch lieben müsse, wenn sie sich nur darauf besinnen wollte.
Die Maielies hörte zu, während sie mit Anmut die leeren Tassen füllte und Gebäck anbot, antwortete nur wenig und beteuerte, daß sie Rizzo auf der Stelle heiraten würde, wenn sie ihn liebte, was sie aber nicht täte; um Gesellschaft im Alter zu haben, wolle sie sich nicht verehelichen. Sie war so heiter gestimmt, daß sie immerwährend Lust zum Lachen anwandelte, und wie ein albernes Kind in der Schule stellte sie sich allerlei traurige Dinge vor, um ernsthaft bleiben zu können. Es kam ihr belustigend vor, daß so gewichtige und geschäftige Menschen mit so viel Eifer über ihre künftige Ehe verhandelten und nach immer neuen Gründen suchten, um ihr einen Zwang aufzuerlegen. Da ihr auf keine Weise beizukommen war, wandte man sich endlich an den Pfarrer, der, klein, uralt und in sich versunken, dagesessen und sich still gehalten hatte in der Hoffnung, ohne ein Gutachten durchschlüpfen zu können, mit Vorwürfen, warum er sein amtliches Ansehen nicht ins Treffen führe, um die Maielies zum Guten zu bekehren. Pfarrer Nepomuk versuchte sich gerade aufzurichten und sagte, da er geradezu um seine Meinung befragt werde, wolle er sie äußern, einerlei, ob sie willkommen oder ein Aergernis sei; nämlich, man möchte doch die Maielies mit ihrem Herzen in Frieden lassen. Wozu denn wieder heiraten? Sie habe dem Kaiser gegeben, was des Kaisers sei, und gehöre nun Gott und der Freiheit. Wenn Gott sie in eine neue Ehe hätte setzen wollen, würde er ihr die Lust dazu gegeben haben. Hierauf brachen die Brüder Beatus und Pius in heftige Entgegnungen aus, die namentlich Beatus mit Bibelstellen und christlichen Lehrsätzen erhärtete, worauf der Pfarrer wiederum der Wissenschaft gemäß antwortete, so daß die Maielies Ruhe bekam und still die heitere Fülle ihrer goldenen Laune konnte quellen und mit dem mürben Gespinst der Sommerfäden in den aufgelösten Lüften spielen lassen. Wenn sie die Augen ein wenig schloß und eine Zeitlang blinzelnd ihre Verwandten betrachtete, hinter denen der gelbe Feuerschein der bacchantischen Sonnenblumen flammte, schien es ihr, als wären sie weit weg oder nur bewegliche Figuren, die zufällig dasäßen und schwatzten, aber sogleich verschwinden würden, wenn sie mit den Fingern schnippte oder wenn neben ihr mit weichem Knallen eine reife Kastanie platzte.
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Als Rizzo merkte, was für eine Drangsal die Maielies um seinetwillen auszuhalten hatte, kündigte er seinen Eltern an, daß er wieder auf Reisen gehen würde, und begab sich zur Dämmerstunde noch einmal in den Seestern, um Abschied zu nehmen. Die Maielies saß lesend bei der Lampe, jugendlich lieblich im rotverschleierten Licht, und empfing den späten Gast herzlich, nicht ohne Bangigkeit. Sie billigte seinen Entschluß, wieder nach Afrika zu gehen, wo er, wie sie meinte, bald das Geschick segnen würde, das ihm die Ecke hinter dem Ofen und den Schlafrock des Familienvaters noch vorenthalten hätte. Er zuckte die Schultern und sagte, die Einsamkeit müsse hie und da einmal als edles Labsal genossen werden; wer sich davon nähren müsse, gehe daran zu Grunde. Uebrigens, fügte er hinzu, solle davon nicht weiter unter ihnen die Rede sein; er habe sie nur aufgesucht, um ihr Lebewohl zu wünschen und um ein einziges Mal seinen Sohn zu sehen, der ihr Kind sei und demnach, sie wolle oder nicht, eine Verknüpfung zwischen ihnen bilde. Die Maielies erschrak und beschloß bei sich, daß das nicht geschehen dürfe; er liege schon im Bett, sagte sie, und schlafe, es gehe nicht an. Rizzo sagte, das sei um so besser, das Kind würde ihn, der ihm ja doch ein Fremder bleiben müsse, nicht sehen, er indessen würde sich sein Bild zum Tröste mitnehmen. Die Maielies stand auf und sagte unruhig: nein, er täusche sich, das Bild würde ihm kein Trost sein, sondern eine unendliche Sehnsucht; er würde dann nicht mehr Abschied nehmen können, und sie würde das Recht und die Kraft verlieren, ihn gehen zu heißen. Sie fühle so wie ein Herrscher, der dem Verurteilten Gnade schuldig sei, wenn er ihm den Blick in sein Antlitz gestattet habe. »Es ist mein Kind!« rief Rizzo schmerzlich und ungeduldig aus. »Willst du das Unnatürliche tun und einem Vater den flüchtigen Anblick seines schlafenden Kindes verbieten?«
»Es ist nicht dein Kind,« fiel die Maielies schnell ein. »Gehört das Bäumchen dem, bei gedankenlos den Kern auf den Boden geworfen hat, aus dem es gewachsen ist? Wenn es bei der Geburt oder später gestorben wäre, so hättest du nicht einmal gefragt, wo auf der Welt es begraben läge.«
»Ich wußte ja, daß es bei dir war,« sagte Rizzo traurig. Sie sah ihn an und brach unversehens in Tränen aus, die warm durch ihre Finger rannen, mit denen sie das Gesicht bedeckte. Wieder drängten sich, wie Schatten aus den Winkeln des Zimmers tauchend, die Tage der Vergangenheit an sie heran und hauchten welke, das Herz betörende Gerüche aus. Er wartete, ob sie auf ihn zukommen und ihn halten würde, aber sie blieb stehen, ohne sich zu rühren, nur daß ihr ganzer Körper im Schluchzen bebte. »Soll ich gehen?« fragte er so innig, als fragte er: ›Liebst du mich?‹ Sie nickte, ohne aufzusehen, und als er nach einer Weile über den Teppich zur Tür schritt, die Tür öffnete und hinter sich schloß, mit langen Schritten sich entfernend, rief sie ihn nicht zurück. Am andern Tage wurde sie wieder, ruhig und heiter und fing an, Zurüstungen zur Abreise nach Umbla zu treffen.
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In Umbla wurden die Kartoffeln eingeerntet, und Dragaino wühlte glückselig mit den runden Händen in der Erde. Lastari und die Maielies trugen, als es Abend wurde, Reisig zusammen und entzündeten Feuer, um Kartoffeln daran zu rösten, wobei der Alte sich erinnerte, wie Lasko als kleiner Junge über ein solches Feuer springen wollte, hineinfiel und am ganzen zarten Leibe verbrannte. Stolz erzählte er, wie tapfer das junge Blut den grimmigen Schmerz ertragen, und besonders wenn die Mutter in der Nähe gewesen wäre, keine Klage hätte laut werden lassen. Von sich selbst wußte er aus Berichten seines Vaters, daß er als kaum einjähriges Kind gleichfalls einmal in Gefahr zu verbrennen gewesen war, als er, einer uralten gebrechlichen Großmutter anvertraut, auf dem Herde kauernd, durch den spiegelnden Glanz des großen Messingkessels angelockt, an diesen herankroch, mit den Händen das heiße Metall angriff und mit den Knien in die Glut geriet, die ihn verzehrt hätte, wenn die alte Frau nicht endlich durch sein Zetergeschrei aufmerksam geworden wäre. »Dragaino muß auch durch das Feuer springen!« rief er lachend und wollte den Kleinen ermuntern, an seiner Hand einen Sprung über die Glut zu wagen, die noch niedrig am Boden knisterte; allein er stand davon ab, als er den ängstlichen Blick in den Augen der Maielies sah.
Nach einem warmen Tage war die Sonne noch vor dem Untergange verschwunden, und die helle Wölbung des Himmels schien sich höher und höher zu heben, als sollte die Erde allein unter der unnennbaren Unendlichkeit bleiben. Dragaino trug Kartoffeln zum Rösten herzu und kam jubelnd mit einem kleinen silbernen Fingerring gelaufen, der ihm beim Graben in die Hände gefallen war und in dem die Maielies mit Staunen einen Ring wiedererkannte, den sie als Kind besessen und später Lasko geschenkt hatte. Der dünne Reif war mit einem winzigen Vergißmeinnicht aus Türkisen verziert; als er ihr längst zu klein geworden war, hatte sie ihn noch aus Anhänglichkeit, weil er ihr einst ein großer Stolz und eine Freude gewesen war, an der Uhrkette getragen. Lasko, der immer beklagte, daß er die Maielies nicht ihr ganzes Leben lang gekannt hatte, behauptete, sie sich am besten vorstellen zu können, wie sie als Kind gewesen sei, wenn er den kindischen Ring sähe, und hatte ihn stets bei sich getragen; es unterlag keinem Zweifel, daß er ihn an einem seiner letzten Lebenstage bei der Arbeit auf dem Felde, ohne es zu bemerken, verloren hatte.
Lastari nahm das kleine Schmuckstück in Augenschein und wunderte sich über den seltsamen Zufall, der ein so unscheinbares Ding, das man wiederzufinden nie hätte hoffen können, dem arglosen Kinde in die Hand spielte, und gab es dann der Maielies, die beide Hände fest darum schloß. Es war ihr, als hätte Lasko ihn ihr als ein Liebeszeichen geschickt, nicht der Lasko, den sie tot auf dem Bette hatte liegen sehen, sondern ihr Lasko, der Tränen, Wut, Leidenschaft und Kindergedanken hatte, ihr Lasko mit dem trotzigen, ewig wankenden, unüberwindlich getreuen Herzen. Sie saß still lächelnd an dem zusammensinkenden Feuer, während Dragaino wie ein hungriges Tierchen eine Kartoffel nach der andern verzehrte und Lastari mit lautem Vergnügen zusah, wie die duftenden Erdfrüchte in dem kleinen, gewaltig kauenden Munde verschwanden.
Indessen war es Abend geworden, ein starker Wind hatte sich aufgemacht, und die Eichbäume, die vereinzelt zwischen den Feldern standen, rauschten mit tiefen, weissagenden Stimmen; wenn der Wind ihre Zweige auseinanderschlug und der weiße Himmel dazwischen sichtbar wurde, war es, als blitzte es. Die Nacht war mondlos und sternlos, nur mit scharfem Auge konnte man den weißen Schein der Planeten am farblos hellen Himmel unterscheiden. Dem kleinen Dragaino fielen mitten im Spiel die lachenden Augen zu, und satt und müde schlief er in Lastaris Armen ein, worauf es still wurde. Der Wind blies den Rauch des erlöschenden Feuers weit über das leere Feld, und die Maielies, die aus ihren Träumereien zu sich kam, als der Lärm neben ihr verstummte, fröstelte und stand auf; sie horchte und schaute noch eine Weile und folgte dann, glücklich das weiße Gesicht in die helle Sturmnacht tauchend, dem Alten, der den kleinen Schläfer ins Haus trug.
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Seit einigen Tagen raste der Nordwind über Umbla, daß die kahlen Bäume knackten und morsche Zweige brachen; es gab kein Licht und keinen Schatten, und die Berge standen hart und einsam am reinen Himmel. Lastari und die Maielies hatten alle Vorbereitungen zur Abreise getroffen, um den Winter mit Dragaino in der Stadt zuzubringen, und erwarteten den Augenblick, wo der kalte Wind nachließe. Sie ließen das Gut in der Obhut des alten Bauern Wlasti zurück, der inzwischen von seiner Reise zurückgekehrt war und zufrieden an dem Kaminfeuer saß, das flackernd an einem großen Holzkloben naschte. Lastari saß mit Dragaino am Fenster, zeigte ihm auf dem feierlich öden Rücken der verlorenen Berge den starren Umriß des Turmes, in dem König Zarro gefangen saß, und erzählte ihm dessen Geschichte: Nachdem Ljuburno sich getötet hatte und das Volk von den Eroberern geknechtet war, verehrte es insgeheim noch immer die angestammten Könige, krönte sie und huldigte ihnen in unterirdischen Räumen, deren Majestät nach außen mußte verborgen werden. Hiervon drang ein Gerücht zu Ohren des neuen Herrschers, der gemeint hatte, das königliche Geschlecht sei mit Ljuburno ausgestorben, und als er einmal die Mannschaft musterte, die die Unterworfenen ihm bei Kriegsgelegenheiten zu stellen verpflichtet waren, die sie aber in eigne Tracht kleiden und sogar selbst anführen durften, sah er sich scharf um, ob er nicht eine Spur des heimlichen Königtums auftreiben könnte. Ein alter Mann aus vornehmem Geschlecht, das den Königen von jeher mit vielen Opfern treu angehangen hatte, sah, wie der Blick des feindlichen Herrschers auf die erlauchte Gestalt des Zarro fiel und staunend bemerkte, daß dieser die Adleraugen vor ihm nicht niederschlug, und um zu verhindern, daß er den heimlichen König in ihm erkennte, ging er auf Zarro zu, versetzte ihm einen leichten Schlag ins Gesicht und rief, wie wenn er ein Knecht wäre: »Was drängst du dich vor und gaffst. Unverschämter? Tritt in die letzte Reihe, wo dein Platz ist!« Zarro indessen, rasend vor Zorn, riß einen Dolch aus dem Gürtel, stieß ihn dem getreuen Manne ins Herz, daß er lautlos umsank, und rief: »Auf die Knie, Feigling, vor deinem Herrn!«, worauf ihn die Begleiter des Herrschers augenblicklich umringten und trotz seiner Gegenwehr endlich in Fesseln legten. Er wurde in einen unzugänglichen Turm geschleppt, um den Bewaffnete abwechselnd Wache standen und sorgten, daß niemand in seine Nähe käme. Nach einigen Jahren siedelten sich die Witwe des Zarro mit ihrem Kinde und mehrere andre Familien in steinernen Hütten unterhalb des Turmes an, woraus der Ort Morimont entstand, in dem bis jetzt die Könige lebten, ohne ferner hohe Auszeichnungen zu genießen, vielmehr wie niedere Leute ohne Ansehen behandelt, damit die Eroberer das Geschlecht nicht gänzlich ausrotteten. Zarro wurde nie mehr gesehen; es war verboten, sich bis auf eine Meile dem Turm zu nähern, und viele, die es dennoch taten, um ihm Zeichen zu geben oder Zeichen von ihm zu empfangen, wurden von den Wachen getötet und blieben unbestattet auf den Felsen liegen; denn man durfte ihre Leichen nicht heimholen und mußte von ferne sehen, wie Geier und Wölfe ihr Fleisch fraßen. Aber in stillen Nächten hörte man zuweilen vom Turme her Hämmern und Klopfen, was daher rührte, wie man wissen wollte, daß Zarro sich eine Krone schmiedete, da ihm die alte genommen war, und einige sagen, daß ihm Schlangen und Kröten aus der Tiefe des Turmes Gold dazu herbeigetragen hätten. Niemand kann wissen, ob die Krone, die wir in der Höhle bewachten, die alte war oder die des Zarro aus dem Turme. Es soll auch zuweilen ein eherner Gesang aus dem Turme gedrungen sein, den Zarro sang, wenn er, von Gott und Menschen verlassen, lebendig ins Grab gemauert, eine Krone für sein fürstliches Haupt schmiedete.
Dragaino lauschte mit festlichem Glanz der Augen, ohne etwas zu verstehen, aber bezaubert durch das Zischen der tyrannischen Schwerter und die dunkle Musik des tropfenden Blutes in der Geschichte. Als sie beendet war, holte der alte Bauer Brot, Wein und Gläser und lud Lastari und die Maielies ein, sich an den Tisch zu setzen und den Abschiedstrunk zu trinken. Lastari stand auf, reckte seine mächtige Gestalt und öffnete die Tür, um das Wetter zu prüfen: der Wind hatte nachgelassen und ging mit breitem, gelassenem Zuge um das Haus. Nun nahm er die dickbauchige Weinflasche und winkte der Maielies, die ihm, mit Dragaino an der Hand, ins Freie folgte; nur der alte Bauer blieb schläfrig am glimmenden Feuer sitzen. Sie gingen zu Laskos Grabe, das nach dem Wunsche seines Vaters mitten zwischen den Feldern auf der höchsten Anhöhe von Umbla bestellt und durch einen unbehauenen Felsblock bezeichnet worden war. Man sah von diesem Punkte die Felder voll Weizen und Mais, die Wipfel der Obstbäume, die Weingärten und das Dach des Hauses, und da um diese Zeit alles abgeerntet war, erkannte man die nackte Kraft des Erdleibes, der in göttlicher Muße sich dehnte und von zeugenden Lebensgerüchen rauchte. Lastari schmetterte die Flasche gegen den kantigen Block, so daß sie mit hellem Geklirr zerbrach und der Wein in Bächen über den Stein stürzte und auf allen Seiten herunterfloß. »Lasko, trink mit uns!« rief er, »Lasko!« indem er die Flasche schleuderte, worauf der Kleine laut und wohlgefällig die Worte wiederholte; die Maielies bewegte nur die Lippen. Sie standen schweigend und horchend unter der unermeßlichen Einöde des Himmels, während der Wein an den kalten Flächen des Grabfelsens abfloß und glatt und schwarz, wie der reife Samen eines paradiesischen Lebensbaumes, auf die langsam aufsaugende Erde tropfte.
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