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Im Gartenlokal des Josef Lehninger.
Nun ist es finster geworden und nun steigt die italienische Nacht der hiesigen Ortsgruppe des Republikanischen Schutzbundes. Mit Girlanden und Lampions, Blechmusik und Tanz. Eben tanzen der Stadtrat Ammetsberger, Kranz, Betz, Engelbert u.s.w. mit ihren Damen eine Française (Offenbach) – auch Karl und Leni sind dabei. Martin und seine Genossen sitzen etwas abseits und sehen finster zu.
Erster Genosse Ein feiner Genosse!
Zweiter Wer?
Erster deutet auf Karl: Dort.
Dritter Diese Künstlernatur?
Erster Martin. Der hat dir doch sein Ehrenwort gegeben, daß er nicht tanzt?
Martin Ja. Das auch.
Vierter Ein Schuft!
Fünfter Einer mehr.
Erster Und jedsmal wegen einem Frauenzimmer –
Pause.
Vierter Die bildt sich aber was ein!
Dritter Gott wie graziös!
Fünfter Die wirds auch nimmer begreifen, wos hinghört.
Zweiter Wer ist denn das Frauenzimmer?
Erster Auch nur Prolet!
Sechster Nein. Das ist was bedeutend feineres. Das ist eine Angestellte – Er grinst.
Dritter lacht.
Siebenter Wann gehts denn los?
Dritter verstummt plötzlich.
Martin Bald! Er erhebt sich, tritt nahe an die Tanzenden heran und sieht zu; jetzt spielt die Musik einen Walzer, einige Paare hören auf zu tanzen – u.a. auch der Stadtrat Ammetsberger.
Stadtrat Na was war das für eine Idee?
Engelbert Eine Prachtidee!
Stadtrat Ich wüßt es doch, daß solch ein zwangloses gesellschaftliches Beisammensein uns Republikaner menschlich näher bringen würde.
Kranz ist leicht angetrunken: Ich freu mich nur, daß wir uns von dieser Scheißreaktion nicht haben einschüchtern lassen, und, daß wir diese bodenlose Charakterlosigkeit unseres lieben Josef mit einer legeren Handbewegung bei Seite geschoben haben. Er rülpst. Das zeigt von innerer Größe.
Stadtrat Eine Prachtidee.
Engelbert Eine propagandistische Tat!
Kranz Diese Malefizfaschisten täten sich ja nicht wenig ärgern, wenn sie sehen könnten, wie ungeniert wir Republikaner uns hier bewegen! Er torkelt etwas.
Engelbert Wo stecken denn jetzt diese Faschisten?
Betz Ich hab was von einer Nachtübung gehört.
Engelbert Na viel Vergnügen!
Kranz Prost!
Stadtrat Dieser kindische Kleinkaliberunfug.
Betz Aber sie sollen doch auch Maschinengewehre –
Stadtrat unterbricht ihn: Redensarten! Nur keinen Kleinmut, Kameraden! – Darf ich euch meine Frau vorstellen, meine bessere Hälfte.
Kranz Sehr erfreut!
Engelbert Angenehm!
Betz Vom Sehen kenn wir uns schon.
Die Bessere Hälfte lächelt unsicher.
Stadtrat So – Woher kennt ihr euch denn?
Betz Ich hab dich mal mit ihr gehen sehen.
Stadtrat Mich? Mit ihr? Wir gehen doch nie zusammen aus!
Betz Doch. Und zwar dürft das so vor Weihnachten gewesen sein –
Stadtrat Richtig! Das war an ihrem Geburtstag! Der einzige Tag im Jahr, an dem sie mitgehen darf, ins Kino – Er lächelt und kneift sie in die Wange. Sie heißt Adele. Das heut ist nämlich eine Ausnahme, eine große Ausnahme – Adele liebt die Öffentlichkeit nicht, sie ist lieber daheim – Er grinst. Ein Hausmütterchen.
Kranz zu Adele: Trautes Heim, Glück allein. Häuslicher Herd ist Goldes Wert. Er rülpst. Die Grundlage des Staates ist die Familie. Was Schönres kann sein, als ein Lied aus Wien. Er torkelt summend zu seinem Bier.
Betz Ein Schelm.
Engelbert zu Adele: Darf ich bitten!
Stadtrat Danke! Adele soll nicht tanzen. Sie schwitzt. Pause; Engelbert tanzt nun mit einer Fünfzehnjährigen.
Adele verschüchtert: Alfons.
Stadtrat Nun?
Adele Ich schwitz ja gar nicht
Stadtrat Überlaß das mir, bitte.
Adele Warum soll ich denn nicht tanzen?
Stadtrat Du kannst doch gar nicht tanzen!
Adele Ich? Ich kann doch tanzen!
Stadtrat Seit wann denn?
Adele Seit immer schon.
Stadtrat Du hast noch nie tanzen können! Selbst als blutjunges Mädchen nicht, merk dir das! Blamier mich nicht! Er zündet sich eine Zigarre an.
Pause.
Adele Alfons. Warum hast du gesagt, daß ich die Öffentlichkeit nicht lieb? Ich ging doch gern öfters mit - Warum hast das gesagt?
Stadtrat Darum.
Pause.
Adele Ich weiß ja, daß du im öffentlichen Leben stehst, eine öffentliche Persönlichkeit –
Stadtrat Furie.
Adele Du stellst einen immer in ein falsches Licht. Du sagst, daß ich mit dir nicht mitkomm –
Stadtrat unterbricht sie: Siehst du!
Adele gehässig: Was denn?
Stadtrat Daß du mir nicht das Wasser reichen kannst.
Pause.
Adele Ich möcht am liebsten nirgends mehr hin.
Stadtrat Also! Er läßt sie stehen; zu Betz. Meine Frau, was? Er grinst. Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht.
Betz Das ist von Nietzsche.
Stadtrat Sie folgt aufs Wort. Das doch ein herrlicher Platz hier! Diese uralten Stämme und diese ozonreiche Luft – Er atmet tief.
Betz Das sind halt die Wunder der Natur.
Stadtrat Die Wunder der Schöpfung – es gibt nichts Herrlicheres. Ich kann das besser beurteilen, weil ich ein Bauernkind bin. Wenn man so in den Himmel schaut, kommt man sich so winzig vor – diese ewigen Sterne! Was sind wir daneben?
Betz Nichts,
Stadtrat Nichts. Gott hat doch einen feinen Geschmack.
Betz Es ist halt alles relativ.
Pause.
Stadtrat Du, Betz. Ich hab mir ein Grundstück gekauft.
Stadtrat Fast ein Tagwerk. Mit einer Lichtung – Schau, lieber guter Freund: die Welt hat Platz für anderthalb Milliarden Menschen, warum soll mir da nicht von dieser großen Welt so ein kleines Platzerl gehören –
Erster Genosse hat unfreiwillig gelauscht: Ein feiner Marxist!
Stadtrat Was hat der gesagt?
Betz So laß ihn doch!
Adele Er hat gesagt: ein feiner Marxist.
Pause.
Stadtrat Wie du das einem so einfach ins Gesicht sagst. – Toll!
Adele Ich hab ja nur gesagt, was er gesagt hat.
Stadtrat Wer? Was sich da diese unreifen Spritzer herausnehmen! überhaupt! Er deutet auf Martin und seine Genossen. Dort hat noch keiner getanzt – saubere Jugend! Opposition und Opposition. Revolte oder dergleichen. Spaltungserscheinungen. Nötige Autorität. Man muß. Er will an seinen Biertisch, stockt jedoch, da er sieht, daß Martin und seine Genossen eine leise debattierende Gruppe bilden; er versucht zu horchen – plötzlich geht er rasch auf Martin zu. Martin. Was hast du da gesagt? Feiner Marxist, hast du gesagt?
Martin Ich habs zwar nicht gesagt, aber ich könnts gesagt haben.
Stadtrat Und wie hättest du das gemeint, wenn du es gesagt hättest?
Martin Wir sprechen uns noch. Er läßt ihn stehen. Akkord und Gong.
Engelbert auf dem Podium: Meine Damen und Herren! Kameraden! Eine große erfreuliche Überraschung hab ich euch mitzuteilen! Es steht euch ein seltener Kunstgenuß bevor! Frau Hinterberger, die Gattin unseres verehrten lieben Kassiers, hat sich liebenswürdigerweise bereit erklärt, uns mit ihrer Altstimme zu entzücken! Bravorufe und Applaus.Ich bitte um Ruhe für Frau Hinterberger!
Frau Hinterberger betritt das Podium mit Applaus begrüßt: Ich singe Ihnen eine Ballade von Löwe. Heinrich der Vogler. Sie singt die Ballade; großer Beifall, nur Martin und seine Genossen beteiligen sich nach wie vor an keiner Ovation; nun wird wieder weitergetanzt.
Leni zu Karl: Das war aber schön. Ich bin nämlich sehr musikalisch.
Karl Das hab ich schon bemerkt.
Leni An was denn?
Karl An deinem Tanzen. Du hast ein direkt exorbitantes rhythmisches Feingefühl –
Leni Das hängt aber nicht nur von mir ab. Das hängt auch vom Herrn ab.
Karl Hast es also nicht bereut?
Leni lächelt: Werd mir nur ja nicht wieder politisch – Versprichs mir, daß du es nimmer werden wirst, auf Ehrenwort.
Karl Auf Ehrenwort –
Leni Komm!
Karl Schon wieder?
Leni Heut könnt ich mal wieder ewig tanzen! Bis an das Ende der Welt!
Karl Respekt!
Martin zu Karl: Karl, darf ich dich einen Augenblick –
Karl Bitte. Zu Leni. Pardon! Zu Martin. Nun?
Martin nach kleiner Pause: Du hast mir doch versprochen, nicht zu tanzen –
Karl wird nervös: Hab ich das?
Martin Ja. Du hast mir sogar versprochen, daß wenn es jetzt hier zu der bevorstehenden weltanschaulichen Auseinandersetzung –
Karl unterbricht ihn: Also bitte werd nur nicht wieder moralisch!
Martin Du hast halt wiedermal dein Ehrenwort gebrochen.
Karl Ist das dein Ernst?
Martin Ja.
Pause. Karl lächelt böse: Wo steckt denn deine Anna?
Martin Was soll das?
Karl Sie wird wohl bald erscheinen?
Martin Hast du sie gesehen?
Karl Ja.
Martin Allein oder mit?
Karl Mit.
Martin lächelt: Dann ists ja gut.
Karl Meinst du?
Martin Ja.
Pause.
Karl grinst: Honny soit, qui mal y pense!
Martin Was heißt das?
Karl Das heißt allerhand.
Martin Ich bin dir nicht bös, du tust mir leid. Es ist nämlich schad um dich mit deinen Fähigkeiten. Aber du hast immer nur Ausreden. Ein halber Mensch – Er läßt ihn stehen.
Akkord und Gong.
Engelbert auf dem Podium: Meine Sehrverehrten! Kameraden! Und abermals gibts eine große erfreuliche Überraschung im Programm! In dem Reigen unserer künstlerischen Darbietungen folgt nun ein auserlesenes Ballett, und zwar getanzt von den beiden herzigen Zwillingstöchterchen unseres Kameraden Leimsieder, betitelt »Blume und Schmetterling«!
Die herzigen Zwillingstöchterchen dreizehnjährig, betreten das Podium mit mächtigem Applaus begrüßt; sie tanzen einen affektierten Kitsch – plötzlich ertönt aus Martins Gegend ein schriller Pfiff; die herzigen Zwillingstöchterchen zucken zusammen, tanzen aber noch weiter, jedoch etwas unsicher geworden; die, denen es gefällt, sehen entrüstet auf Martin – da ertönt abermals ein schriller Pfiff, und zwar ein noch schrillerer.
Kranz brüllt: Ruhe Herrgottsakrament! Wer pfeift denn da, ihr Rotzlöffel?! Lümmel dreckige windige!!
Engelbert Wems nicht paßt, der soll raus!
Rufe Raus! Raus!
Tumult.
Die herzigen Zwillingstöchterchen weinen laut.
Erster Genosse schlägt mit der Faust auf den Tisch: Runter mit die Kinder und rinn ins Bett! Wir wollen hier kein Säuglingsballett!
Kranz Halts Maul sag ich!
Zweiter Halts du!
Eine Tante Seht wie die Kindlein weinen, ihr Rohlinge!
Dritter Hoftheater! Hoftheater!
Stadtrat Jetzt wirds mir zu dumm!
Fünfter Huhu!
Stadtrat Oh ich bin energisch!
Vierter Tatü tata!
Stadtrat Jetzt kommt die Abrechnung!
Siebenter Bravo!
Stadtrat Kusch grüner Lausejunge!
Siebenter Es kann nicht jeder ein alter Krüppel sein!
Stadtrat außer sich: Was hat der gesagt?! Krüppel hat er gesagt?!
Siebenter Zurück!
Fünfter Zurück! Sonst!
Siebenter Feiner Marxist! Feiner Marxist!
Stadtrat Ich?! Ich hab das kommunistische Manifest bereits auswendig hersagen können, als du noch nicht geboren warst, du Flegel!
Pfiff
Die Tante Diese Barbaren stören ja nur den Kunstgenuß!
Sechster Du mit deinem Kunstgenuß!
Dritter Blume und Schmetterling!
Erster Mist! Mist! Mist!
Kranz Oh ihr Kunstbarbaren! Er fällt fast um vor lauter Rausch.
Engelbert Seht, was ihr angerichtet habt! Kindertränen! Schämt ihr euch denn gar nicht?! Oder habt ihr denn keine Ahnung, mit welcher Liebe das hier einstudiert worden ist - Wochen hindurch haben der Kamerad Leimsieder und seine Frau jede freie Minute geopfert, um uns hier beglücken zu können!
Martin Hätt er doch lieber seine freien Minuten geopfert, um die Schlagstärke unserer Organisation auszubaun! Kameraden! Ich weiß, daß ich als Redner manchen meiner ehrenwerten Kameraden nicht gerade sympathisch bin –
Die Tante Stören Sie unsere Nacht nicht!
Martin Solche Nächte gehören gestört! Und gesprengt! Genossinnen und Genossen! Während wir hier Familienfeste mit republikanischem Kinderballet arrangieren, arrangiert die Reaktion militärische Nachtübungen mit Maschinengewehren! Oder wollt ihr es nicht sehen, wie sie das Proletariat verleumden, verhöhnen, korrumpieren und ausbeuten, schlimmer als je zuvor! Drum Schluß mit dieser Spießerei! Oder habt ihr denn schon den Satz vergessen: oh wenn doch nur jeder Prolet sein Vergnügen in der revolutionären Tätigkeit fände! Es bleibt zu fordern: sofortige Einberufung des Vorstandes und Beschlußfassung über den Vorschlag: Bewaffnung mit Kleinkalibern!
Stadtrat Kameraden! Ein Frevler wagt hier unser Fest zu stören, bringt kleine Kinderchen zum Weinen – Kameraden! Was Martin verlangt, ist undurchführbar! Wir wollen nicht in die Fußstapfen der Reaktion treten, wir nehmen keine Kanonen in die Hand, aber wer die demokratische Republik ernstlich zu bedrohen wagt, der wird zurückgeschlagen!
Martin Mit was denn?
Stadtrat An unserem unerschütterlichen Friedenswillen werden alle Bajonette der internationalen Reaktion zerschellen!
Siebenter Genosse lacht ihn aus.
Stadtrat So sehen die Leute aus, die die Macht der sittlichen Idee leugnen!
Erster Genosse Spruch, du Humanitätsapostel!
Stadtrat Das sind keine Spruch! Wir wollen keine Waffen mehr sehen, ich selbst hab zwei Söhne im Krieg verloren!
Vierter Genosse Im nächsten Krieg sind wirs, ich und der Stiegler und der da und der da!
Kranz ahmt ihn nach: Und ich da und ich da und ich da!
Stadtrat Es hat eben keinen Krieg mehr zu geben! Dieses Verbrechen werden wir zu vereiteln wissen!
Martin Genau wie 1914!
Stadtrat Das waren ganz andere Verhältnisse!
Martin Immer dasselbe, immer dasselbe!
Stadtrat Wo warst denn du 1914! Im Kindergarten!
Martin Und du? Du hast auch schon 1914 mit den Taten deiner Vorfahren geprotzt, das können wir Jungen ja allerdings nicht! Genossen! Wenn das so weitergeht, erwachen wir morgen im heiligen römisch-mussolinischen Reich deutscher Nation!
Engelbert Zur Geschäftsordnung! Ich fordere kraft unserer Statuten den sofortigen Ausschluß des Kameraden Martin!
Stadtrat Bravo!
Engelbert Und zwar wegen unkameradschaftlichen Verhaltens!
Martin Bravo! Kommt! Ab mit seinen Genossen.