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Zweites Bild

Der Eilzug vierhundertfünf, dem kein Signal gegeben wurde, ist unweit des kleinen Bahnhofes mit einem Güterzug zusammengestoßen. Wir befinden uns an der Unglücksstätte. Wirre Trümmer auf dem Bahndamm im Hintergrunde. Die Verletzten und die Toten wurden bereits abtransportiert. Pioniere sind mit den Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Rechts im Vordergrund steht ein kleiner schwarzer Tisch mit einer Lampe. Der Staatsanwalt mit Gefolge ist bereits längst zugegen, zur Zeit besichtigt er das Signal auf dem Bahndamm, es leuchtet rot. Von der ganzen Gegend sind Schaulustige eingetroffen, unter ihnen der Wirt vom Wilden Mann, seine Tochter Anna und seine Kellnerin Leni. Im Vordergrunde links hält ein Gendarm mit aufgepflanztem Bajonett die Neugierigen in Schach. Der Morgen graut, es wird ein fahler Tag. Alles fröstelt.

Gendarm Zurück. Leute, zurück! Könnt euch denn gar nicht satt sehen an einer Katastrophe?

Wirt Sowas sieht man nicht alle Tag –

Leni zum Gendarm: Ist er eigentlich entgleist?

Gendarm Nein, er ist zusammengestoßen. Der Eilzug mit einem Güterzug – vor fünfeinhalb Stunden.

Leni Schrecklich! Als wär die Erde explodiert – Sie schmiegt sich unerklärlich an den Wirt. Ich werd noch davon träumen –

Wirt drückt Leni unwillkürlich an sich: Also das ist Gottes Hand, auf und nieder.

Nun taucht der Heizer des Unglückswagens auf, er trägt einen Verband um den Kopf.

Leni zum Wirt: Schauens, ein Verletzter!

Heizer nickt Leni leutselig zu: Jaja, um ein Haar wäre ganz Habedieehre gewesen. Ich denk mir nichts, auf einmal gibts einen infernalischen Krach und Ruck, ich flieg in die Luft, wie ein Aeroplan und dann wirds mir schwarz vor den Augen – und wie ich aufwach, lieg ich auf einer Wiese im Heu und hab mir nichts gebrochen. Bloß der Schädel brummt mir, wie ein Rad.

Wirt Da habens aber schon einen ganz besonderen Schutzengel gehabt.

Heizer Möglich ist alles, wissens, ich steh auf der Lokomotive –

Leni unterbricht ihn: Sind Sie der Herr Lokomotivführer?

Heizer Nein, ich bin nicht der Pokorny, der Arme. Ich heiße Kohut.

Gendarm zu Leni: Er war nur der Heizer!

Wirt Aha.

Heizer Ein Heizer ist auch sehr wichtig, meine Herrschaften. Ein Heizer ist oft wichtiger wie ein Lokomotivführer.

Leni zum Heizer: Ist es wahr, daß es über hundert Tote gegeben hat?

Heizer Ich weiß nur von siebzehn.

Gendarm zum Heizer: Achtzehn, hab ich gehört.

Wirt Das genügt auch.

Heizer Es soll ein Signal überfahren worden sein oder vielmehr: besagtes Signal soll gar nicht gegeben worden sein oder vielmehr, es soll erst hinterher gegeben worden sein mit anderen Worten: zu spät! Der Staatsanwalt ist schon seit drei Stunden da, er schaut sichs grad an, das Signal. Zum hundertsten Mal.

Wirt Und wer ist schuld?

Gendarm Das wird sich schon noch herauskristallisieren.

Heizer Ich sag der Stationsvorstand.

Wirt Unser Hudetz?

Heizer Ich weiß nicht, wie er sich schreibt. Ich weiß nur, der selige Pokorny war ein äußerst pflichttreuer Lokomotivführer. – Augen hat der gehabt wie ein Luchs.

Wirt Also das müßt schon mit dem Teufel zugegangen sein, wenn unser Hudetz was verbrochen hätt! Ich sag: ausgeschlossen.

Heizer Die Sonne bringt es an den Tag. Wenn euer Hudetz das Signal nicht rechtzeitig gestellt hat – unter drei Jahren kommt er nicht davon.

Gendarm Und die Stellung verliert er auch.

Heizer Ohne Pensionsanspruch.

Gendarm Das ist nur natürlich.

Heizer Einen Zeugen müßt er halt haben, einen Zeugen, der es beschwört, daß er das Signal rechtzeitig gestellt hat.

Gendarm Dann wäre er gerettet. Aber er war halt allein, mutterseelen allein.

Heizer Dann ist das eine persönliche Tragik.

Anna leise zum Wirt: Vater, ich muß dir etwas sagen –

Wirt Was gibts?

Anna Etwas Wichtiges. Der Vorstand war nämlich nicht allein, wie das passiert ist –

Wirt Was?! Was phantasierst denn da herum?

Anna Der Herr Vorstand hätt schon einen Zeugen –

Wirt Was? So red doch schon!

Anna Ich. Ich war am Bahnhof, wie das passiert ist.

Wirt Du?! Am Bahnhof?!

Anna Nicht so laut! Ich hab doch den Ferdinand zur Bahn gebracht und dann hab ich mit dem Herrn Vorstand ein paar Worte geredet, nur ein paar Wörtel –

Wirt Na und – und?

Anna sehr leise: Und – Sie spricht unhörbar mit ihm.

Leni Befinden sich jetzt noch Tote unter den Trümmern?

Heizer Wo denkens hin, Fräulein?

Leni Und auch keine Verletzten mehr?

Heizer Aber – aber! Wenns da noch Verletzte gab, die täten schön schreien, da tätens Ihnen beide Ohren zuhalten!

Gendarm Das glaub ich! Er lacht.

Jetzt erscheint der Staatsanwalt mit seinem Kommissar, übernächtig und fröstelnd; in einiger Entfernung folgt Hudetz, begleitet von einem Polizisten mit aufgepflanztem Bajonett.

Der Staatsanwalt! Zurück, Leut, zurück! Er drängt den Wirt, Anna, Leni und alle Schaulustigen nach links ab, nur der Heizer bleibt zurück.

Staatsanwalt leise zum Kommissar, damit ihn Hudetz nicht hört: Das Signal geht leider in Ordnung, es steht auf halb. Es läßt sich nur nicht beweisen, ob es bereits vorher oder erst hinterher auf halb gestellt worden ist.

Kommissar Die, die es uns hätten beweisen können, sind leider nicht mehr vernehmbar.

Staatsanwalt Zu dumm! Ein undefinierbares Gefühl sagt mir, daß dieser Hudetz nicht unschuldig ist. Er macht zwar einen gefaßten Eindruck – Er lächelt.

Kommissar grinst: Für meinen Geschmack ist er auch ein bißchen zu sehr gefaßt.

Staatsanwalt seufzt: Nun, versuchen wirs zum zehnten Mal – Er setzt sich an den kleinen schwarzen Tisch und blättert in den Protokollen.

Kriminaler kommt rasch von rechts und grüßt den Staatsanwalt: Herr Staatsanwalt, ich komme drüben vom Bahnhof und hab die Frau Hudetz verhört. Ich werde das undefinierbare Gefühl nicht los, daß uns die Frau etwas zu sagen hätt –

Staatsanwalt »Undefinierbares Gefühl«, das hör ich gern! Man bittet um schärfere Präzision.

Kriminaler Verzeihung, aber ich pflege mich manchmal auf meinen Instinkt zu verlassen und ich freß einen Besen, wenn die Frau Hudetz nicht etwas verschweigt.

Staatsanwalt Woraus schließen Sie auf diesen Schluß?

Kriminaler Es scheint sie etwas zu belasten, sie macht einen ganz verheulten Eindruck.

Staatsanwalt Bringen Sie die Frau her!

Kriminaler Sofort! Rasch ab nach rechts.

Staatsanwalt ruft: Herr Kohut! Herr Josef Kohut!

Heizer tritt vor: Hier!

Staatsanwalt sehr leise, damit ihn Hudetz nur ja nicht hört: Sie bleiben also dabei, daß Sie das Signal nicht gesehen haben? Reden Sie leise.

Heizer Ich hab überhaupt nichts gesehen, Herr Staatsanwalt, ich bin ja grad mit dem Rücken zur Fahrtrichtung gestanden und hab Kohlen geschaufelt, da kam der Ruck –

Staatsanwalt unterbricht ihn ungeduldig: Von dem Ruck haben Sie uns schon erzählt.

Heizer Und außer dem Ruck habe ich nichts zu erzählen, ich kanns nur immer wieder beschwören, daß der selige Pokorny noch nie ein Signal überfahren hat, nicht beim dichtesten Nebel!

Staatsanwalt Stimmt! Seine Qualifikation ist erstklassig.

Heizer Das war überhaupt ein erstklassiger, seelenguter Mensch, Herr Staatsanwalt, aber jetzt hinterläßt er drei unversorgte Kinder – Er blickt empor. Armer Pokorny! Jetzt stehst vor deinem obersten Richter.

Staatsanwalt Zur Sache!

Heizer Alsdann, wie jener Ruck sich abgespielt hat, da hat der Pokorny grad von einer Gehaltsaufbesserung gesprochen –

Staatsanwalt unterbricht ihn: Das gehört nicht hierher. Ich danke, Herr Kohut.

Heizer verbeugt sich: Bitte – bitte! Ab.

Staatsanwalt ruft: Herr Thomas Hudetz!

Hudetz tritt vor.

Sie bleiben also dabei, daß Sie das Signal rechtzeitig auf halb gestellt haben?

Hudetz gefaßt, jedoch innerlich unsicher: Herr Staatsanwalt, ich kann mir gar nicht vorstellen, ich war doch immer ein pflichttreuer Beamter –

Staatsanwalt unterbricht ihn: Das habens uns jetzt schon hundertmal erzählt.

Hudetz Es ist auch alles.

Stille.

Staatsanwalt fixiert ihn; leise, jedoch eindringlich: Ich werd das undefinierbare Gefühl nicht los –

Hudetz unterbricht ihn: Ich hab nichts zu verheimlichen.

Stille.

Staatsanwalt droht ihm mit dem Zeigefinger: Herr Hudetz, ein Zusammenstoß ist kein Witz –

Hudetz zuckt zusammen und horcht auf: Herr Staatsanwalt –

Staatsanwalt schreit ihn plötzlich an: Bilden Sie sichs nur nicht ein, daß die Wahrheit nicht ans Tageslicht kommt. Auch wenn Sie das seltene Glück haben, daß der Lokomotivführer und der Zugführer tot sind, so ist doch immer noch einer da, der wie durch ein Wunder am Leben blieb. Der Heizer Josef Kohut! Und dieser Heizer hat uns bereits äußerst instruktive Tatsachen mitgeteilt, Tatsachen, die Ihnen garantiert keine reine Freude bereiten werden.

Hudetz unsicher: Ich kann nur sagen, ich hab noch nie ein Signal versäumt – Er lächelt.

Stille.

Staatsanwalt plötzlich väterlich: Gehen Sie in sich, Thomas Hudetz. Denken Sie an die achtzehn armen Toten, an die große Schar beklagenswerter Verletzter, die jetzt in den Krankenhäusern leiden. Wollen Sie das alles ungesühnt mit sich herumtragen, ein ganzes Leben lang? Sie sind doch ein anständiger Mensch, Herr Hudetz. Erleichterns doch gefälligst Ihr Gewissen –

Stille.

Hudetz Ich bin nicht schuld.

Staatsanwalt ironisch: Sondern?

Hudetz Ich nicht.

Staatsanwalt wie zuvor: Vielleicht der große Unbekannte?

Hudetz Vielleicht –

Jetzt kommen der Gendarm, der Wirt und Anna von links.

Kommissar zum Gendarm: Was gibts?

Staatsanwalt lauscht.

Gendarm Herr Kommissar, da hat sich der Gastwirt vom Wilden Mann gemeldet, der behauptet, seine Tochter hätt etwas Wichtiges auszusagen.

Staatsanwalt fällt ihm ins Wort: Na und? Warum meldet sie das erst jetzt?

Wirt Herr Staatsanwalt, meine Tochter ist noch ein halbes Kind und sie hat sich halt nicht gleich getraut, aber sie hat sich zuvor mir anvertraut und ich hab gesagt, das mußt du sofort mitteilen, denn das ist sozusagen lebenswichtig für den braven Herrn Hudetz –

Staatsanwalt Abwarten!

Wirt Ich hab ihr gesagt, es dreht sich um einen Menschen, du hättest ja keine ruhige Minute mehr und ich auch nicht, wenn man unserem Herrn Vorstand was antun würde. Herr Staatsanwalt, sie hat es genau gesehen, daß er das Signal rechtzeitig auf halb gestellt hat!

Staatsanwalt Rechtzeitig? Er fixiert Anna. Treten Sie näher, Fräulein! Keine Angst, wir beißen nicht –

Anna tritt näher.

Ich mache Sie nur darauf aufmerksam, daß Sie alles, was Sie hier aussagen, vor Gericht wiederholen werden müssen, und zwar unter Eid. Sie wissen, was das bedeutet?

Anna Ja.

Hudetz starrt Anna entgeistert an.

Staatsanwalt lehnt sich zurück: Nun erzählen Sie uns, was Sie wissen.

Anna Er hat das Signal rechtzeitig –

Staatsanwalt unterbricht sie: Der Reihe nach, der Reihe nach. Immer schön der Reihe nach! Los!

Stille.

Anna als würde sie eine Schulaufgabe aufsagen: Ich habe gestern meinen Bräutigam zum letzten Zug gebracht und der hat eine starke Verspätung gehabt und dann, wie der Zug weg war, dann hab ich dem Zug noch nachgewinkt und dann hab ich mit dem Herrn Vorstand ein paar Worte gesprochen, ich hab ihn gefragt, warum er nicht mehr zu uns kommt, er geht nämlich nirgends mehr hin –

Staatsanwalt Was kümmert Sie das?

Anna Ich bin doch eine Gastwirtstochter und kümmere mich um das Geschäft. Sie lächelt.

Wirt zum Staatsanwalt: Entschuldigen, daß ich eingreif, aber der Vorstand geht nirgends mehr hin, weil ihn seine Frau nicht laßt.

Staatsanwalt horcht auf: Seine Frau?

Wirt Herr Staatsanwalt, wissen Sie, was ein böses Weib ist?

Staatsanwalt seufzt: Ja, das ist mir bekannt.

Hudetz Meine Frau ist nicht bös.

Wirt Hör auf, Hudetz! Zum Staatsanwalt. Immer nimmt er sie in Schutz, da wird man schon direkt rabiat. Zu Hudetz. Sie sekkiert dich Tag und Nacht!

Hudetz Falsch!

Wirt Hör auf! Alle wissens!

Hudetz Gar nichts wißt ihr, gar nichts! Es hat alles seine Gründe und ihr könnt nicht urteilen. Ich benehm mich ja auch nicht richtig zu ihr –

Wirt Herr Staatsanwalt, er traut sich schon kaum mehr über die Gasse, immer meint er, er ist an allem schuld, weil sie es ihm einredet, Tag und Nacht, Jahr für Jahr. Und warum? Nur weil die Beziehungen erkaltet sind, was kein Wunder wär bei dem Altersunterschied.

Hudetz schreit den Wirt an: Das spielt keine Rolle.

Wirt zu Hudetz: Du, schrei doch nicht mit mir.

Staatsanwalt Ruhe! Herr Hudetz, es spricht ja sehr für Ihre Wahrheitsliebe, daß Sie für Ihre Gemahlin so tapfer eintreten und die Anklagebehörde nimmt dies auch mit Befriedigung zur Kenntnis, doch dürfte es wohl wenig Sinn haben, wenn man sich selber etwas vormacht –

Hudetz fällt ihm ins Wort: Ich mach mir gar nichts vor.

Staatsanwalt Lassen wir das jetzt mit der Frau – Sie werden ja sowieso psychatriert –

Wirt Narrisch hat sie ihn schon gemacht, narrisch!

Staatsanwalt Ruhe! Zu Anna. Fahren Sie fort, Fräulein!

Anna Ich bin gleich am End. Ich hab es gehört, wie das Läutwerk geläutet hat, dann hat der Herr Vorstand das Signal gericht, und dann erst ist der Eilzug vorbei gefahren –

Staatsanwalt Dann erst?

Anna Ja –

Jetzt erscheint rechts Frau Hudetz mit dem Kriminaler. Sie halten und hören zu, von niemand beachtet.

Staatsanwalt eindringlich: Also: zuerst das Läutwerk?

Anna Dann das Signal.

Staatsanwalt Und dann erst der Zug?

Anna Ja. Und dann – Sie stockt.

Staatsanwalt Na?

Anna Und dann hats in der Ferne ein Donnern gegeben, ein Krachen und Donnern und ein Geschrei – so ein furchtbares Geschrei, oh, ich höre es noch immer – Sie hält sich die Ohren zu.

Staatsanwalt Herr Hudetz. Warum haben Sie uns eigentlich diese Ihre Entlastungszeugin verschwiegen?´

Hudetz weiß keine Antwort.

Frau Hudetz betrachtet Hudetz schadenfroh.

Staatsanwalt zu Hudetz. Na? Hudetz zuckt die Schultern. Komisch.

Anna Herr Staatsanwalt, er wußt es ja gar nicht, daß ich alles gesehen hab –

Frau Hudetz scharf: Alles gesehen?!

Alle zucken zusammen und starren Frau Hudetz an.

Kriminaler zum Staatsanwalt: Frau Hudetz.

Staatsanwalt Ach!

Frau Hudetz fixiert gehässig Anna.

Kriminaler leise zum Staatsanwalt: Es ist nichts aus ihr heraus zu bekommen. Sie behauptet, nichts gesehen zu haben. Sie hätt bereits geschlafen – Er spricht unhörbar weiter.

Frau Hudetz zu Anna: Ärgern hast du mich wollen, ärgern.

Wirt zu Frau Hudetz: Was wollens denn von meiner Tochter?

Frau Hudetz zu Hudetz, sie deutet auf Anna: Ist das deine Entlastungszeugin? Man gratuliert, man gratuliert. Sie grinst.

Wirt Gebens Ruh, Frau Hudetz.

Frau Hudetz Ich hab nicht zu Ihnen gesprochen.

Wirt Also nur nicht so von oben herab.

Frau Hudetz Sie haben mir keine Lehren zu geben. Unterrichtens lieber Ihr Fräulein Tochter, daß sie nachts nicht mit fremden Männern streunt!

Wirt Was hör ich? Meine Tochter soll streunen? Frau Hudetz, spielen Sie sich nicht mit mir!

Staatsanwalt Frau Josefine Hudetz, treten Sie näher!

Frau Hudetz tritt näher.

Sie haben uns also nichts zu sagen?

Frau Hudetz blickt spöttisch auf Hudetz und Anna, nach einer Pause: Nein!

Staatsanwalt Nichts gehört, nichts gesehen, ich danke. Wir benötigen Sie nicht mehr. Gehen Sie – Er blättert im Protokoll.

Frau Hudetz brüllt plötzlich los: Ich geh nicht! Ich geh nicht! Ich laß mir das von euch nicht mehr bieten. Ihr meint, ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt, mit mir und meinem armen Bruder. Nein, ich werd nicht mehr kuschen, ich red, was ich mag, ich red, was ich mag.

Wirt Halts Maul!

Frau Hudetz Ich laß mir von Ihnen nicht das Maul verbieten. Verbietens es lieber Ihrer sauberen Tochter, damit sie keinen Meineid schwört. Jawohl, jetzt sag ich aus, ich! Herr Staatsanwalt, ich stand gestern abend am Fenster im ersten Stock und hab alles gesehen und alles gehört. Alles, alles, alles! Ich habe deutlich gesehen, wie dieses Stück meinem Mann einen Kuß gegeben hat – ich habe gesehen!

Wirt Einen Kuß? Mich trifft der Schlag!

Anna bricht plötzlich los: Lüge, Lüge, Lüge!

Frau Hudetz Ich sage die Wahrheit und werde alles beschwören! Sie hat ihm einen Kuß gegeben, nur um mich zu ärgern, aber es gibt einen Gott der Rache und drum hat er das Signal versäumt – ich kanns beschwören, beschwören, beschwören –

Anna schreit sie außer sich an: Schwörens nur Ihren Meineid, schwörens ihn nur! Sie sind ja ein ganz schlechter Mensch. Nur weil Sie zu alt für Ihren Mann sind, reißens ihn da hinein, Sie könnten ihn ja direkt umbringen, nur weil er sie nicht mehr anrührt. Sie sind ja berüchtigt, Sie, und ich hab ihm keinen Kuß gegeben, so wahr mir Gott helfe. Ich bin doch glücklich verlobt, aber mich wollens auch noch unglücklich machen – Sie weint plötzlich heftig und birgt den Kopf an ihres Vaters Brust. Wirt streichelt sie.

Staatsanwalt zu Frau Hudetz: Sie sind sich wohl im klaren darüber, Frau Hudetz, daß Sie durch Ihre Aussage Ihren Gatten schwerstens belasten.

Wirt empört zu Frau Hudetz: Schämen Sie sich, wo er Sie grad in Schutz genommen hat.

Anna schluchzend zu Frau Hudetz: Immer nimmt er sie in Schutz! Immer!

Frau Hudetz In Schutz? Sie grinst höhnisch. Thomas, du hast mich beschützt?

Hudetz Ja.

Wirt zu Hudetz: Verdient sie es?

Hudetz Nein.

Wirt Na also.

Hudetz Herr Staatsanwalt, alles, was meine Frau gegen mich vorbringt, ist Lüge. Weder hat mich das Fräulein Anna geküßt noch hab ich das Signal versäumt. Meine Frau ist nicht ganz normal.

Frau Hudetz Ich nicht normal? Das tät dir so passen!

Hudetz zum Staatsanwalt: Sie hört oft Stimmen, wenn sie allein ist – sie hat es mir selber erzählt. Und auch ihrem Bruder.

Frau Hudetz Mich kriegst du nicht los. Mich nicht.

Hudetz Jetzt schon – wenn die eigene Frau den eigenen Mann derart belastet –

Frau Hudetz unterbricht ihn: »Mann,« ich höre immer »Mann.« Sie lacht hysterisch. Du willst einer sein? Du bist doch kein Mann!

Hudetz schreit sie an: Schluß damit! Schluß!

Staatsanwalt erhebt sich: Schluß mit dem Krakeel! Es steht hier nicht zur Debatte, ob Sie ein Mann sind oder nicht, es dreht sich hier um ein Eisenbahnunglück, bitt ich mir aus. Und es steht Aussage gegen Aussage. So leid es mir tut, Herr Hudetz, muß ich Sie auf Grund der belastenden Aussage Ihrer Gattin in Haft nehmen.

Wirt In Haft?

Staatsanwalt packt die Protokolle zusammen: Die Sonne dürfte es dann wohl an den Tag bringen bei der Verhandlung – wenn mal ein kleiner Meineid auf dem Spiele steht – Er wirft einen Blick auf Frau Hudetz.

Frau Hudetz unheimlich ruhig: Sie können mich ruhig anschauen, Herr Staatsanwalt, ich hab die Sonne sehr gern.


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