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Fünftes Bild

Im Gartenlokal des Josef Lehninger. Mit Musik.

Die Faschisten trinken Bier und singen:

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin,
Ein Märchen aus uralten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl, und es dunkelt,
Und ruhig fließet der Rhein –

Ein Faschist Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein –

Alle Faschisten Wir alle wollen Hüter sein!

Lieb Vaterland magst ruhig sein,
Lieb Vaterland magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein,
Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein!

Die Faschisten mit dem Bierkrug in der Hand: Heil! Heil! Heil! Saufen.

Musik spielt nun: »Stolz weht die Flagge schwarz-weiß-rot«.

Der Leutnant mit der Landkarte; er winkt einen Faschisten an sich heran: Also unsere Nachtübung. Hinter diesem Morast liegt zum Beispiel Frankreich, gleich neben der angelsächsischen Artillerie. Oben und unten Bolschewiken. Verstanden?

Der Faschist Zu Befehl!

Der Leutnant Und wir? Wir sind hier im Wald. Im deutschen Wald. Eigentlich ist das sogar symbolisch. Wir werden überfallen, selbstverständlich. Es läßt sich doch durch die ganze Weltgeschichte verfolgen, daß wir Deutschen noch niemals einem anderen Volke irgend etwas Böses getan haben. Nehmen wir nun mal an, die ganze Welt wäre gegen uns –

Wirt Entschuldigens bitte!

Der Leutnant Herr Lehninger!

Wirt Herr Leutnant, ich brauch jetzt nämlich mein Lokal –

Der Leutnant Was soll das?

Wirt Es wird allmählich Zeit – Sie müssen jetzt mein Lokal verlassen –

Der Leutnant Mensch, was erlaubt er sich?!

Wirt Aber das ist doch nur meine vaterländische Pflicht, daß ich Sie daran erinner – sonst versäumen Sie ja noch Ihre diversen Nachtübungen –

Stille.

Der Leutnant läßt den Faschisten wegtreten; ruft: Czer – nowitz!

Czernowitz ein Gymnasiast: Zu Befehl, Herr Leutnant!

Der Leutnant Herr Major erwarten uns im Wald. Herr Major werden sein Referat in unserem deutschen Walde halten. Haben Sie das Referat fertig?

Czernowitz Jawohl, Herr Leutnant! Er reicht ihm einige Blätter aus einem Schulheft.

Der Leutnant Titel?

Czernowitz Was verdanken uns Deutschen die Japaner?

Der Leutnant Richtig! – Kerl, warum haben Sie das nicht ins reine geschrieben?

Czernowitz Sie kennen meinen Vater nicht, Herr Leutnant! Der kümmert sich nur um meine Schulaufgaben! Meine Familie versteht mich nicht, Herr Leutnant. Als ich mich neulich freute, daß wir so viele Feinde haben, weil das doch eine Ehre ist – da hat mir mein Vater eine heruntergehauen. Wenn meine Mutter nicht wär, Herr Leutnant – meine Mutter ist noch die einzige, die mich versteht – Mein Vater ist liberal.

Stille.

Der Leutnant Weggetreten!

Czernowitz kehrt.

Der Leutnant Angetreten!

Die Faschisten treten an.

Der Leutnant Stillgestanden! Rechts um! Abteilung – marsch!

Die Faschisten ziehen ab. Und die Musik spielt den bayrischen Präsentiermarsch.

Wirt holt die schwarzweißrote Fahne herunter und hißt die schwarzrotgoldne.

Nun ist es finster geworden und nun steigt die republikanische italienische Nacht. Mit Girlanden und Lampions, Blechmusik und Tanz. – Mitglieder und Sympathisierende ziehen mit Musik in das Gartenlokal ein, und zwar auf die Klänge des Gladiatorenmarsches; allen voran der Stadtrat Ammetsberger, Kranz, Betz, Engelbert mit ihren Damen. Auch Karl und Leni sind dabei. Und auch Martin kommt mit seinen Kameraden, finster und entschlossen – und setzt sich abseits mit ihnen.

Stadtrat Meine Damen und Herren! Kameraden! Noch vor wenigen Stunden hatte es den Anschein, als wollte das uns Menschen, und nicht zu guter Letzt uns Republikanern, so feindlich gesinnte höhere Schicksal, daß unser aller heißer Wunsch, unser ersehnter Traum, unsere italienische Nacht nicht Wirklichkeit wird. Kameraden! Im Namen des Vorstandes kann ich euch die erfreuliche Mitteilung machen, daß wir unser Schicksal überwunden haben! Wenn ich hier diese stimmungsvolle Pracht sehe, diesen Jubel in all den erwartungsvollen Antlitzen, bei jung und auch bei alt, so weiß ich, was wir überwunden haben! Und so wünsche ich, daß diese unsere Gartenunterhaltung, diese unsere republikanische italienische Nacht allen Anwesenden unvergeßlich bleiben soll! Ein Hoch auf das in der Republik geeinte deutsche Volk. Hoch! Hoch! Hoch!

Alle ausser Martins Kameraden erheben sich: Hoch! Hoch! Hoch!

Musiktusch.

Stadtrat Setzen!

Engelbert Meine Damen und Herren! Kameraden! Liebe Sympathisierende! Ich freue mich, daß wir hier sind! Antreten zur Française!

Der Stadtrat, Betz, Kranz, Engelbert usw. mit ihren Damen tanzen nun eine Française – Martin und seine Kameraden sehen finster zu. jetzt spielt die Musik einen Walzer.

Damenwahl! Damenwahl!

Martin zu seinen Kameraden: Daß mir nur keiner tanzt! Disziplin, muß ich schon bitten – Disziplin und Opposition!

Einige Fräuleins wollen mit Martins Kameraden tanzen, werden aber abgewiesen.

Leni zu Karl: Also darf ich jetzt bitten?

Karl schweigt.

Leni Also darf ich jetzt bitten zum letztenmal?

Karl schweigt.

Leni Wie kann man ein Fräulein nur so bitten lassen -

Karl Glaubst du, daß ich das so leicht überwind?

Leni Zu was sind wir denn da, wenn wir nicht tanzen?

Karl Das hat einen tieferen Sinn.

Leni Und du willst ein Mann sein? Und traust dich nicht einmal zu tanzen?

Karl Man kann als Mann vieles zurückziehen, aber sein Ehrenwort niemals.

Leni Ein richtiger Mann kann alles. Nein. Tu die Hand da weg.

Karl Was für eine Hand?

Leni Die deinige.

Karl Du weißt noch nicht, was Konflikte sind – sonst würdest du nicht so appellieren – Er kommt mit ihr unwillkürlich ins Tanzen, und zwar links herum.

Erster Kamerad Du, Martin, der hat doch deiner Anna sein Ehrenwort gegeben, daß er unser Mann ist –

Martin Er hat bei meiner Anna seine Ehre verpfändet, daß er keinen Schritt tanzen wird, sondern daß er sich unseren Parolen anschließen wird, und zwar durchaus radikal.

Zweiter Kamerad Ein Schuft, ein ganz charakterloser.

Dritter Kamerad Einer mehr.

Erster Kamerad Und jedesmal wegen einem Frauenzimmer –

Vierter Kamerad Die bildet sich aber was ein!

Dritter Kamerad Gott, wie graziös!

Erster Kamerad Die wirds auch nimmer begreifen, wos hingehört.

Zweiter Kamerad Wer ist denn das Frauenzimmer?

Vierter Kamerad Auch nur Prolet.

Erster Kamerad Nein. Das ist etwas bedeutend Feineres. Das ist eine Angestellte – Er grinst.

Dritter Kamerad lacht.

Vierter Kamerad Wann gehts denn los?

Dritter Kamerad verstummt plötzlich.

Martin Wenn ich euch das Signal gib! Ich! Er erhebt sich, tritt nahe an die Tanzenden heran und sieht zu; jetzt spielt die Musik einen Walzer, einige Paare hören auf zu tanzen – u. a. auch der Stadtrat Ammetsberger.

Stadtrat Na was war das für eine Idee?

Engelbert Eine Prachtidee!

Stadtrat Ich wußte es doch, daß so ein zwangloses gesellschaftliches Beisammensein uns Republikaner menschlich näherbringen würde.

Kranz ist leicht angetrunken: Ich freu mich nur, daß wir uns von dieser Scheißreaktion nicht haben einschüchtern lassen, und daß wir diese bodenlose Charakterlosigkeit unseres lieben Josef mit einer legeren Handbewegung beiseite geschoben haben. Das zeigt von innerer Größe.

Stadtrat Eine Prachtidee!

Engelbert Eine propagandistische Tat!

Kranz Diese Malefizfaschisten täten sich ja nicht wenig ärgern, wenn sie sehen könnten, wie ungeniert wir Republikaner uns hier bewegen! Er torkelt etwas.

Engelbert Wo stecken denn jetzt diese Faschisten?

Betz Ich hab was von einer Nachtübung gehört.

Engelbert Na viel Vergnügen!

Kranz Prost!

Stadtrat Dieser kindische Kleinkaliberunfug.

Betz Aber sie sollen doch auch Maschinengewehre –

Stadtrat unterbricht ihn: Redensarten, Redensarten! Nur keinen Kleinmut, Kameraden! Darf ich euch meine Frau vorstellen, meine bessere Hälfte.

Kranz Sehr erfreut!

Engelbert Angenehm!

Betz Vom Sehen kennen wir uns schon.

Die bessere Hälfte lächelt unsicher.

Stadtrat So – woher kennt ihr euch denn?

Betz Ich habe dich mal mit ihr gehen sehen.

Stadtrat Mich? Mit ihr? Wir gehen doch nie zusammen aus.

Betz Doch. Und zwar dürft das so vor Weihnachten gewesen sein –

Stadtrat Richtig! Das war an ihrem Geburtstag! Der einzige Tag im Jahr, an dem sie mitgehen darf, ins Kino – Er lächelt und kneift sie in die Wange. Sie heißt Adele. Das heut ist nämlich eine Ausnahme, eine große Ausnahme – Adele liebt die Öffentlichkeit nicht, sie ist lieber daheim. Er grinst. Ein Hausmütterchen.

Kranz zu Adele: Trautes Heim, Glück allein. Häuslicher Herd ist Goldes wert. Die Grundlage des Staates ist die Familie. Was Schönres kann sein als ein Lied aus Wien. Er torkelt summend zu seinem Bier.

Betz Ein Schelm.

Engelbert zu Adele: Darf ich bitten?

Stadtrat Danke! Adele soll nicht tanzen. Sie schwitzt.

Pause.

Engelbert tanzt mit einer Fünfzehnjährigen.

Adele verschüchtert: Alfons!

Stadtrat Nun?

Adele Ich schwitz ja gar nicht.

Stadtrat Überlaß das mir, bitte.

Adele Warum soll ich denn nicht tanzen?

Stadtrat Du kannst doch gar nicht tanzen!

Adele Ich? Ich kann doch tanzen!

Stadtrat Seit wann denn?

Adele Seit immer schon.

Stadtrat Du hast doch nie tanzen können! Selbst als blutjunges Mädchen nicht, merk dir das! Blamier mich nicht, Frau Stadtrat! Er zündet sich eine Zigarre an.

Pause.

Adele Alfons, warum hast du gesagt, daß ich die Öffentlichkeit nicht liebe? Ich ging doch gern öfters mit. – Warum hast du das gesagt?

Stadtrat Darum.

Pause.

Adele Ich weiß ja, daß du im öffentlichen Leben stehst, eine öffentliche Persönlichkeit –

Stadtrat Still, Frau Stadtrat!

Adele Du stellst einen immer in ein falsches Licht. Du sagst, daß ich mit dir nicht mitkomm –

Stadtrat unterbricht sie: Siehst du!

Adele gehässig: Was denn?

Stadtrat Daß du mir nicht das Wasser reichen kannst.

Pause.

Adele Ich möcht am liebsten nirgends mehr hin.

Stadtrat Eine ausgezeichnete Idee! Er läßt sie stehen; zu Betz. Meine Frau, was? Er grinst und droht ihr schelmisch mit dem Zeigefinger. Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht.

Betz Das ist von Nietzsche.

Stadtrat Das ist mir wurscht! Sie folgt aufs Wort. Das ist doch ein herrlicher Platz hier! Diese uralten Stämme und die ozonreiche Luft – Er atmet tief.

Betz Das sind halt die Wunder der Natur.

Stadtrat Die Wunder der Schöpfung – es gibt nichts Herrlicheres. Ich kann das besser beurteilen, weil ich ein Bauernkind bin. Wenn man so in den Himmel schaut, kommt man sich so winzig vor – diese ewigen Sterne! Was sind wir daneben?

Betz Nichts.

Stadtrat Nichts. Gott hat doch einen feinen Geschmack.

Betz Es ist halt alles relativ.

Stille.

Stadtrat Du, Betz, ich hab mir ein Grundstück gekauft.

Betz Wo denn?

Stadtrat Fast ein Tagwerk. Mit einer Lichtung. – Schau, lieber guter Freund, die Welt hat Platz für anderthalb Milliarden Menschen, warum soll mir da nicht von dieser großen Welt so ein kleines Platzerl gehören –

Erster Kamerad hat unfreiwillig gelauscht: Feiner Marxist!

Stille.

Stadtrat Was hat der gesagt?

Betz So laß ihn doch!

Adele Er hat gesagt: Feiner Marxist.

Stadtrat Wie du das einem so einfach ins Gesicht sagst. – Toll!

Adele Ich hab ja nur gesagt, was er gesagt hat.

Stadtrat Wer? Was sich da diese unreifen Spritzer herausnehmen! Überhaupt! Er deutet auf Martin und seine Kameraden. Dort hat noch keiner getanzt – saubere Jugend! Opposition und Opposition. Revolte oder dergleichen. Spaltungserscheinungen. Nötige Autorität. Man muß – Er will an seinen Biertisch, stockt jedoch, da er sieht, daß Martin und seine Kameraden eine leise debattierende Gruppe bilden; er versucht zu horchen – plötzlich geht er rasch auf Martin zu. Martin, was hast du da gesagt? Feiner Marxist, hast du gesagt?

Martin Ich habs zwar nicht gesagt, aber ich könnts gesagt haben.

Stadtrat Und wie hättest du das gemeint, wenn du es gesagt hättest?

Martin Wir sprechen uns noch. Er läßt ihn stehen.

Akkord und Gong.

Engelbert auf dem Podium: Meine Damen und Herren! Kameraden! Eine große erfreuliche Überraschung hab ich euch mitzuteilen. Es steht euch ein seltener Kunstgenuß bevor. Frau Hinterberger, die Gattin unseres verehrten lieben Kassierers, hat sich liebenswürdigerweise bereit erklärt, uns mit ihrer Altstimme zu entzücken! Bravorufe und Applaus. Ich bitte um Ruhe für Frau Hinterberger!

Frau Hinterberger betritt das Podium, mit Applaus begrüßt: Ich singe Ihnen eine Ballade von Löwe, Heinrich der Vogler.

Sie singt die Ballade; großer Beifall, nur Martin und seine Kameraden beteiligen sich nach wie vor an keiner Ovation; nun wird wieder weitergetanzt.

Leni zu Karl: Das war aber schön. Ich bin nämlich sehr musikalisch.

Karl Das hab ich schon bemerkt.

Leni An was denn?

Karl An deinem Tanzen. Du hast ein direkt exorbitantes rhythmisches Feingefühl –

Leni Das hängt aber nicht nur von mir ab. Das hängt auch vom Herrn ab.

Karl Hast es also nicht bereut, daß du mir hierher gefolgt bist?

Leni lächelt: Werd mir nur nicht wieder politisch. – Versprichs mir, daß du es nimmer werden wirst, auf Ehrenwort.

Karl Das ist nicht so einfach.

Leni Wieso?

Karl Nämlich, ich geb nur dann gern ein Ehrenwort, wenn ich dasselbe auch halten kann. Man bricht nämlich viel leichter so ein Ehrenwort, als wie daß man es hält.

Leni Wenn du es mir gibst, dann geb ich dir auch ein Ehrenwort –

Karl Du?

Leni Eine Frau hat nicht viel zu geben – aber wenn sie was gibt, macht sie den Mann zu einem König.

Martin zu Karl: Karl, darf ich dich einen Augenblick –

Karl Bitte. Zu Leni. Pardon! Zu Martin. Nun?

Martin Du hast doch der Anna versprochen, nicht zu tanzen – alsdann: ich möchte nur konstatieren, daß du dein politisches Ehrenwort wegen einer Lustbarkeit gebrochen hast.

Karl wird nervös: Hab ich das?

Martin Ja. Du hast mir sogar versprochen, daß, wenn es jetzt hier zu der bevorstehenden weltanschaulichen Auseinandersetzung –

Karl unterbricht ihn: Also bitte, werd nur nicht wieder moralisch!

Martin Du hast halt wieder mal dein Ehr geschändet.

Karl Ist das dein Ernst?

Martin Jawohl, du Künstlernatur –

Pause.

Karl lächelt bös: Martin, wo steckt denn deine Anna?

Martin Was soll das?

Karl Die wird wohl bald erscheinen?

Martin Hast du sie gesehen?

Karl Ja.

Martin Allein oder mit?

Karl Mit.

Martin lächelt: Dann ists ja gut.

Karl Meinst du?

Martin Ja.

Pause.

Karl grinst: Honny soit qui mal y pense!

Martin Was heißt das?

Karl schadenfroh: Das ist französisch.

Pause.

Martin Ich bin dir ja nicht bös, du tust mir leid. Es ist nämlich schad um dich mit deinen Fähigkeiten. Aber du hast immer nur Ausreden. Ein halber Mensch – Er läßt ihn stehen.

Akkord und Gong.

Engelbert auf dem Podium: Meine Sehrverehrten! Kameraden! Und abermals gibts eine große erfreuliche Überraschung im Programm! In dem Reigen unserer künstlerischen Darbietungen folgt nun ein auserlesenes Ballett, und zwar getanzt von den beiden herzigen Zwillingstöchterchen unseres Kameraden Leimsieder, betitelt »Blume und Schmetterling«

die herzigen Zwillingstöchterchen dreizehnjährig, betreten das Podium, mit mächtigem Applaus begrüßt.

Stadtrat Bravo, Leimsieder!

die herzigen Zwillingstöchterchen tanzen einen affektierten Kitsch – plötzlich ertönt aus Martins Gegend ein schriller Pfiff, die herzigen Zwillingstöchterchen zucken zusammen, tanzen aber noch weiter, jedoch etwas unsicher geworden; die, denen es gefällt, sehen entrüstet auf Martin – da ertönt abermals ein Pfiff, und zwar noch ein schrillerer.

Kranz brüllt: Ruhe, Herrgottsakrament! Wer pfeift denn da, ihr Rotzlöffel?! Lümmel dreckige windige!

Engelbert Wems nicht paßt, der soll raus!!

Rufe Raus! Raus!

Tumult.

Die herzigen Zwillingstöchterchen weinen laut.

Erster Kamerad schlägt mit der Faust auf den Tisch: Wir wollen hier kein Säuglingsballett!

Kranz Halts Maul, sag ich!

Zweiter Kamerad Halts du!

Eine Tante Seht, wie die Kindlein weinen, ihr Rohlinge!

Dritter Kamerad Hoftheater!

Vierter Kamerad Hofoper! Oper!

Stadtrat Jetzt wirds mir zu dumm!

Einige Kameraden Huuu!

Stadtrat Oh, ich bin sehr energisch!

Die Kameraden Huuu!

Stadtrat Jetzt kommt die Abrechnung!

Dritter Kamerad Tatü tata!

Die Tante Oh diese Jugend!

Vierter Kamerad Feiner Marxist!

Die Kameraden im Sprechchor: Feiner Marxist! Feiner Marxist! Feiner Marxist! Feiner Marxist!

Stadtrat Wer? Ich?! Ich hab das Kommunistische Manifest bereits auswendig hersagen können, da seid ihr noch in den Windeln gelegen, ihr Flegel! Pfiff.

Die Tante Diese Barbaren stören ja nur den Kunstgenuß!

Vierter Kamerad Du mit deinem Kunstgenuß!

Dritter Kamerad Blume und Schmetterling!

Erster Kamerad Mist! Mist! Mist!

Kranz Oh ihr Kunstbarbaren! Er fällt fast um vor lauter Rausch.

Engelbert Seht, was ihr angerichtet habt! Kindertränen! Schämt ihr euch denn gar nicht?! Oder habt ihr denn keine Ahnung, mit welcher Liebe, das hier einstudiert worden ist – Wochenlang haben der Kamerad Leimsieder und seine Frau jede freie Minute geopfert, um uns hier beglücken zu können!

Ein Fremder Kamerad aus Magdeburg: Hätte er doch lieber seine freien Minuten geopfert, um die Schlagstärke unserer Organisation auszubauen!

Totenstille; maßlose Überraschung über die fremde Mundart.

Stadtrat Ah, ein Preuße –

Sturm.

Die Dvorakische Stören Sie unsere Nacht nicht!

Martin Solche Nächte gehören gestört!

Der Fremde Kamerad Kameraden!

Martin Jetzt red ich! Kameraden! Indem daß wir hier Familienfeste mit republikanischem Kinderballett arrangieren, arrangiert die Reaktion militärische Nachtübungen mit Maschinengewehren!

Der Fremde Kamerad Genossinnen und Genossen! Wollt ihr es denn nicht sehen, wie sie das Proletariat verleugnen, verhöhnen und ausbeuten, schlimmer als je zuvor?! Und ihr?

Martin unterbricht ihn: Und ihr?! Italienische Nächte! Habt ihr denn schon den Satz vergessen: Oh, wenn doch nur jeder Prolet sein Vergnügen in der republikanischen –

Der fremde Kamerad unterbricht ihn: In der revolutionären! In der revolutionären Tätigkeit fände! Es bleibt zu fordern –

Stadtrat Hier bleibt gar nichts zu fordern!

Martin Es bleibt zu fordern: sofortige Einberufung des Vorstandes und Beschlußfassung über den Vorschlag:

Der fremde Kamerad Bewaffnung mit Kleinkalibern!

Kranz Halts Maul, Malefizpreuß dreckiger!

Rufe Raus damit! Raus!!

Der fremde Kamerad Genossinen und Genossen!

Martin Jetzt red ich, Herrgottsakrament! Du bringst mich ja noch ganz aus dem Konzept! Ich möchte doch auch dasselbe, aber so kommen wir auf keinen grünen Zweig nicht! So laßt doch hier die angestammten Führer reden!

Stadtrat Kameraden! Ein Frevler wagt hier unser Fest zu stören, bringt kleine Kinderchen zum Weinen. – Kameraden, was Martin verlangt, ist undurchführbar! Wir wollen nicht in die Fußstapfen der Reaktion treten. Wir nehmen keine Kanonen in die Hand, aber wer die demokratische Republik ernstlich zu bedrohen wagt, der wird zurückgeschlagen!

Martin Mit was denn?

Stadtrat An unserem unerschütterlichen Friedenswillen werden alle Bajonette der internationalen Reaktion zerschellen!

Siebenter Kamerad lacht ihn aus.

Stadtrat So sehen die Leute aus, die die Macht der sittlichen Idee leugnen!

Erster Kamerad Sprüch, du Humanitätsapostel!

Stadtrat Das sind keine Spruch! Wir wollen keine Waffen mehr sehen, ich selbst hab zwei Brüder meiner Frau im Krieg verloren!

Vierter Kamerad Im nächsten Krieg sind wirs, ich und der Stiegler, und der da und der da!

Kranz ahmt ihn nach: Und ich da und ich da und ich da!

Stadtrat Es hat eben keinen Krieg mehr zu geben! Dieses Verbrechen werden wir zu vereiteln wissen! Das werd ich schon machen.

Martin Genau wie 1914!

Stadtrat Das waren ganz andere Verhältnisse!

Der Fremde Kamerad Immer dasselbe, immer dasselbe!

Stadtrat Wo warst denn du 1914!? Im Kindergarten!

Der Fremde Kamerad Und du? Du hast auch schon 1914 mit den Taten deiner Vorfahren geprotzt, das können wir Jungen ja allerdings nicht!

Martin Kameraden!! Wenn das so weitergeht, erwachen wir morgen im heiligen römisch-mussolinischen Reich deutscher Nation!

Der Fremde Kamerad Genossinnen und Genossen!!

Kranz außer sich: So schmeißt ihn doch naus, den Schnapspreußen, den hergelaufenen! Naus damit! Naus!!

Martin Ruhe!! Ein Preuße her, ein Preuße hin! Kurz und gut: der langen Rede kurzer Sinn: derartige italienische Nächte gehören gesprengt! Radikal, radikal!

Stadtrat Zur Geschäftsordnung! Ich fordere kraft unserer Statuten den sofortigen Ausschluß des Kameraden Martin!

Engelbert Bravo!

Stadtrat Und zwar wegen unkameradschaftlichen Verhaltens!

Martin Bravo! Kommt! Ab mit seinen Kameraden.

Stadtrat Wir lassen uns unsere italienische Nacht nicht spalten, Kameraden! Seit vierzehn Tagen hab ich mich auf diese Nacht gefreut, und ich laß mich nicht spalten! Musik! Setzen!


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