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Jetzt kommt eine ältere verschüchterte Frau und möchte an der Baracke vorbei auf die Brücke. In der Hand hält sie eine Blechbüchse.
Szamek Halt! Was ist, was ist? So einfach vorbei an dem Grenzorgan, an der amtlichen Paßstelle, an der Zollbehörde? Wissens denn nicht, daß wir da aufhören und daß dort drüben ein anderer Staat beginnt?
Frau Oh gewiß.
Szamek Na also!
Frau Aber ich muß ja nur auf die Brücke. Zu meinem Gatten.
Szamek betrachtet sie: Sie haben einen Gatten?
Frau Er angelt.
Szamek Aha! Das heißt: er fischt.
Frau Ja. Er ist nämlich ein leidenschaftlicher Amateurfischer. Wir sind erst seit gestern hier aus der Stadt, um uns zu erholen. Mein Gatte ist Privatpädagoge.
Szamek Was haben Sie denn in der Blechschachtel?
Frau Regenwürmer.
Szamek Ha? Also zeigens nur mal her, diese ominöse Blechschachtel. Frau überreicht sie ihm. Szamek öffnet sie und läßt sie voll Ekel fallen. Brrr!
Frau Um Christi Willen! Meine Würmer! Sie kniet nieder. So helfens mir doch, die Würmer zusammenklauben.
Szamek Ich werd mich beherrschen.
Frau Aber Sie haben sie doch fallen lassen!
Szamek Aber ich kann keine Würmer anrühren! Meiner Seel, ich erbrech mich doch!
Frau klaubt nun die Würmer wieder zusammen; leise: Sie wissen ja garnicht, was Sie mir antun, wenn ich ohne Würmer komm –
Szamek Also gehens nur schon – und guten Appetit!
Frau die sich mit ihrer wiedergefüllten Blechbüchse erhoben hatte: Danke – Ab auf die Brücke.
Szamek sieht ihr nach: Brrr! Man hats nicht leicht als Grenzorgan – aber der Thomas Szamek wacht und fürchtet sich nicht. Treu und bieder, ehrbar und unbestechlich, mit einem offenen, aber durchdringenden Blick – ein Grenzorgan, ein Exemplar von einem Grenzorgan, auf den sich die Grenze verlassen kann, ein Prachtexemplar – Ach, da kommt ja mein gnädiges Fräulein Tochter! Was die schon wieder für ein zuwideres Gesicht schneidet vor lauter Verliebtheit!
Eva kommt mit einem großen Gefäß: Guten Tag, Papa. Ich bring dir nur deinen Kaffee –
Szamek Wieviel?
Eva Zweieinhalb Liter.
Szamek Zweieinhalb! Wie oft soll mans dir denn noch sagen, daß ich mindestens vier Liter brauch, wenn ich Nachtdienst hab! Sonst schlaf ich ja ein und was wird dann?! Geschmuggelt wird dann, daß die Fetzen fliegen! Und übrigens war die Strudel gestern miserabel, und warum war sie miserabel? Weil das gnädige Fräulein Eva bei der Strudel keine Strudel im Kopf gehabt hat, sondern ihren Herrn Konstantin von da drüben und sonst nichts, bis sie noch einmal in andere Umständ kommt vor lauter Liebe!
Eva Geh wirf mir doch das nicht immer vor!
Szamek schreit sie an: Schrei mich nicht an! Ich kenn die Leut da drüben seit sechsundfünfzig Jahren! Die haben alle einen falschen Charakter, alle!
Eva Nein! Aufrichtiger wie mein Konstantin –
Szamek unterbricht sie: Das ist ja grad seine Falschheit, daß er so aufrichtig ist! Die da drüben sind alle verschmitzt und verlogen, sie rennen es dir von hinten hinein, das Messer, den Dolch, das Schwert und was weiß ich!
Eva Da kann ich nur lächeln.
Szamek Lächle nur! Wie oft haben die uns schon verraten in den letzten sechshundert Jahren?! Ein schmutziges Volk!
Eva Der Konstantin ist immer adrett und so fein rasiert –
Szamek Also nur keine Anspielungen! Noch bin ich dein eigener Vater!
Nun erscheint der Gendarm Mrschitzka – er begleitet mit aufgepflanztem Bajonett den vom linken Ufer ausgewiesenen Ferdinand Havlicek.
Szamek Was seh ich? Mrschitzka!
Mrschitzka Szamek? Na, das nennt sich aber eine freudige Überraschung! Er umarmt ihn, wobei er aber durch sein Bajonett gestört wird. Kruzifix!
Szamek Lang haben wir uns nicht gesehen, alter Freund! Acht lange schwere Jahr –
Mrschitzka Irrtum, Thomas. Sieben!
Szamek So? Erst sieben? Wie rasch die Zeit vergeht!
Mrschitzka Was hast denn da für ein sauberes Frauenzimmer? Mir scheint, mir scheint, alter Gauner!
Szamek Leise! Meine Tochter.
Mrschitzka Wer? Die Eva? Die war doch gestern noch so groß – Er deutet einen Meter hoch. Wie die über Nacht aufgeblüht ist – Schweinerei! Da merkt man erst, wie alt daß man wird!
Szamek zu Eva: Erinnerst du dich noch an den braven Onkel Mrschitzka, mit dem du immer Räuber und Gendarm gespielt hast?
Eva lächelt: Aber so etwas vergißt man doch nicht!
Mrschitzka Freut mich, Fräulein Eva! Freut mich sehr!
Eva Mich auch.
Szamek zu Eva: Freu dich nicht, wärm lieber den Kaffee! Zu Mrschitzka. Trinkst doch einen Kaffee?
Mrschitzka Wenn er gut ist. Besonders mit Rum.
Szamek Das hör ich gern. Zu Eva. Also wärm schon!
Eva ab in die Baracke, um den Kaffee zu wärmen.
Mrschitzka sieht Eva nach: Knusprig. Sehr knusprig!
Szamek Ja, die Kinder werden länger und unsere Tage werden kürzer.
Mrschitzka Apropos kürzer; eine unerhörte Geschicht ist das wieder in puncto Gehaltskürzung, was sich die da drinnen in ihrem Exekutivministerium, diese zottigen Büffel –-
Szamek unterbricht ihn: Pst!
Mrschitzka Aber geh, unter uns!
Szamek Und der Herr dort, mit dem du –
Mrschitzka Jessus, den hab ich jetzt ganz vergessen vor lauter Wiedersehensfreud! Maria Josef, also der ist eine dienstliche Angelegenheit. Ich muß ihn hier an der Grenz abliefern.
Szamek Aha! Ein Ausgewiesener!
Mrschitzka Per Schub. Weil er nämlich da hinüber zuständig ist. Havlicek heißt er.
Szamek Aha.
Mrschitzka Ferdinand Havlicek. Ein ruhiges Subjekt.
Szamek Apropos Havlicek: der alte Podlicek hat sich ganz versoffen –
Havlicek plötzlich: Pardon bitte.
Mrschitzka Ha?
Havlicek Ich wollte nur mit dem Herrn Grenzbeamten nämlich hier an der Grenze wollt ich noch einmal sprechen, behufs meiner Ausweisung.
Szamek Dahin bin ich nicht kompetent.
Havlicek Aber man tut mich da einfach hinaus, wo ich doch schon garnichts angestellt hab –
Mrschitzka Schon wieder?! Zu Szamek. Natürlich hat er nichts angestellt, dieser Ausgewiesene, aber sein Vermögen hat er verloren und hierauf sollte er unserer Wohlfahrtspflege zur Last fallen. Aber wieso kommt denn unsere Wohlfahrtspflege dazu, für einen Ausländer, wo doch unser Staat sowieso ein armes Hascherl ist, ein Aschenbröderl ein kleines, das selbst seinen braven Exekutivorganen nur einen Schundgehalt zahlt und sonst nichts!
Havlicek zu Szamek: Pardon, bitte, aber dieser Herr sieht meinen Sachverhalt unter einem anderen Blickpunkt, nämlich ich war hier herüben ein Drogeriebesitzer – es war zwar nur eine bescheidene Drogerie, aber trotzdem: es war immerhin eine Drogerie. Alles konntens bei mir kaufen, Landläufiges und Diskretes, bis ich zugrunde gegangen bin.
Mrschitzka Eben!
Havlicek Aber meine Herrschaften, ist denn das nicht eine Ungerechtigkeit? Übermorgen wirds ein halbes Jahrhundert, daß ich hier leb – dreißig Jahr habe ich Steuer gezahlt, ohne zu zucken, und jetzt, wo mich mein Unglück trifft, da schmeißt man mich raus mit Bajonett-auf!
Mrschitzka Bajonett-auf ist nur eine Formalität.
Szamek etwas verlegen: Das sind halt so die kleinen Ungerechtigkeiten des menschlichen Lebens.
Havlicek Kleine Ungerechtigkeiten – Er lächelt.
Mrschitzka Da hilft sich nichts! Also gehens jetzt nur schön hinüber in Ihre Heimat.
Havlicek ›Heimat‹? Ich war überhaupt noch nie drüben –
Mrschitzka Unsinn! Dummer Unsinn! Wo sinds denn geboren worden, wenn nicht drüben?
Havlicek Pardon, an das hab ich jetzt nicht gedacht.
Mrschitzka Na also! Wohin man geboren ist, dorthin ist man zuständig!
Havlicek Aber vierzehn Tag nach meinem Geborenwerden bin ich schon herüber – und seit der Zeit war ich da. Nur da! Ein ganzes Leben.
Mrschitzka Leben her, Leben hin! Zuständig sinds dort drüben. Kruzifix, wie oft soll ich das jetzt noch repetieren! Zu-stän-dig!
Hier setzt begleitende Musik ein.
Havlicek Ja. Dann muß es halt sein. Also dann verlaß ich jetzt dieses Land. Ich hab hier viel erlebt und gelernt und erfahren – was wird noch kommen? – Also adieu! Er will ab auf die Brücke.
Szamek Halt! Die Musik verstummt. Und seiens so gut, wenns jetzt eh schon da hinübergehen, richtens dem da drüben gleich etwas aus.
Havlicek Wem?
Szamek Diesem Grenzorgan drüben. Konstantin heißt er. Sagens ihm, einen schönen Gruß vom Thomas Szamek und meine Tochter wird heute Nacht nicht kommen!
Havlicek Ich werds ihm bestellen – Ab.
Und wieder Musik.
Szamek Wo bleibt denn nur der Kaffee? Er ruft in die Baracke. Eva! Eva!
Ferdinand Havlicek geht nun über die Brücke nach dem anderen Ufer – an dem Privatpädagogen vorbei, der mitten auf der Brücke leidenschaftlich angelt. Seine Frau, die ihm die Würmer gebracht hat, steht neben ihm und blickt ebenfalls pflichtbewußt hinab, ob etwas anbeißt.
Privatpädagoge zu Havlicek: So tretens doch gefälligst leise auf! Sehens denn nicht, daß man da angelt? Vertreibt einem die ganzen Fisch!
Havlicek Pardon!
Privatpädagoge Rücksichtslosigkeit sowas! Grad jetzt hätt einer endlich angebissen!
Frau deutet hinab: Jetzt!
Privatpädagoge Ruhe! Daß du mir kein Wort! Jetzt ist er natürlich wieder weg, der Hecht. Abrakadabra – abrakadabra – bin ich nervös!
Havlicek setzt nun seinen Weg auf Zehenspitzen weiter und erreicht so das andere Ufer. Dort steht bereits das Grenzorgan Konstantin mitten auf dem Brückenkopf neben seinem halbverfallenen Raubritterturm. Dieses Grenzorgan ist ein fescher Mann mit einer schneidigen Uniform, und er macht einen freundlichen Eindruck.
Havlicek verbeugt sich leicht vor ihm, und wieder verstummt die Musik.
Konstantin Ihren Grenzschein, bitte.
Havlicek Leider, ich kann Ihnen nur hier damit dienen –
Er überreicht ihm seinen Ausweisungsschein.
Konstantin betrachtet ihn: Aha. Eine Ausweisungssache.
Havlicek Innerhalb achtundvierzig Stunden.
Konstantin Per Schub.
Havlicek Weil ich mich geweigert hab.
Stille.
Konstantin Und nun wollen Sie hier zu uns herein –
Konstantin Aber Sie werden nicht können.
Havlicek Wieso?
Konstantin Sie gehören doch nicht unserem Staatsverbande an.
Havlicek Wieso bitte nicht?
Konstantin Weil Sie ein Ausländer sind.
Havlicek Interessant. Aber die Herren Grenzorgane drüben behaupten, daß ich hier herüber zuständig bin infolge meiner seinerzeitigen hiesigen Geburt.
Konstantin Das allein genügt noch nicht. Wir haben bereits vor zwanzig Jahren ein Gesetz erlassen in jener Hinsicht, daß sich ein jeder Staatsbürger, der dauernd im Ausland lebt, innerhalb von fünf Jahren beim zuständigen Konsulat melden muß, widrigenfalls er seine Staatsbürgerschaft verliert, und zwar automatisch.
Havlicek Warum?
Konstantin Nur so.
Havlicek Das ist mir neu.
Konstantin Die Notiz über das Gesetz stand aber in allen Tagesblättern.
Havlicek Aber ich les ja nie eine Notiz, höchstens die Todesanzeigen.
Konstantin Ihre Schuld! Dadurch, daß Sie nur Todesanzeigen lesen, haben Sie naturnotwendig die Anmeldefrist versäumt und gehören nun automatisch nicht mehr da her.
Havlicek Sehr interessant. Aber: wohin gehör ich denn dann, bitte?
Konstantin Dann nirgends.
Stille.
Havlicek lächelt: »Nirgends« – Unfug. Man ist doch immerhin vorhanden.
Konstantin Gesetz ist Gesetz.
Havlicek Aber solche Gesetze sind doch unmenschlich.
Konstantin Im allgemeinen Staatengetriebe wird gar oft ein persönliches Schicksal zerrieben.
Havlicek Schade.
Stille.
Konstantin Kurz und gut: Hier herein könnens ausgeschlossen, denn ich hab meine strikten Vorschriften. Aber wissens was? Schreibens ein detailliertes Gesuch an unseren Innenminister, und besser auch an den Außenminister, daß Sie besagte Anmeldefrist versäumt haben und daß Sie nun wieder um die automatisch verlorene Staatsbürgerschaft bitten. Schreibens auch gleich an den Finanzminister, den geht sowas auch etwas an, und wenn Sie Soldat waren, dann lieber auch gleich an den Kriegsminister. Und selbstverständlich vor allem an den Wohlfahrtsminister, aber das beste wäre natürlich, wenn Sie auch gleich außerdem an den Herrn Ministerpräsidenten persönlich direkt zu Händen ein Extragesuch –
Havlicek Halt! Faßt sich an den Kopf. Lieber Herr, wie schreibt man eigentlich solche Gesuche?
Konstantin Ja, da müßtens schon einen Advokaten fragen.
Havlicek Wo? Da auf der Brück?
Jetzt kommt Frau Hanusch, die Wirtin zur Post, mit einem Gefäß.
Konstantin Ah, das ist aber lieb, Frau Hanusch, daß mir heut gleich die Postwirtin selbst persönlich meinen Nachtkaffee bringt, statt der Klara – Küß die Hand.
Frau Hanusch Die Klara hab ich zum Teufel gejagt – ich kann keine Löhne mehr zahlen, mit meiner Wirtschaft gehts bergab! Der stolze Gasthof zur Post – hundertzweiunddreißig Jahr im Besitze der Familie. Wissens, wenn halt der Mann tot ist –
Konstantin Na, Sie finden schon noch einen anderen Mann, ich bin überzeugt.
Frau Hanusch Das freut mich. Aber bis dahin bin ich krepiert. Ohne Mann geht halt kein Hotel! Zwar gearbeitet hab ja immer nur ich, gekocht, gewaschen und buchgeführt, er hat ja nie etwas getan, mein Seliger – immer hat er nur mit die Stammtischgäst getrunken und Karten gespielt, aber es muß halt wer da sein zum Repräsentieren.
Havlicek beiseite: Das wäre ein Beruf für mich.
Konstantin Tröstens Ihnen nur, Frau Hanusch!
Frau Hanusch Mit was denn bitte? Sie habens natürlich leicht, Herr Konstantin! Sie stehen da herum, kontrollieren die Leut und leben davon – aber ich! Wenn ich bis morgen mittag keine zehntausend auftreib, dann lösch ich mich aus!
Konstantin Seiens so gut!
Frau Hanusch Oder meinens vielleicht, daß ich bis morgen mittag zehntausend auftreib?
Konstantin Kaum.
Frau Hanusch Nie!
Havlicek Es wär ein Wunder!
Konstantin hatte Havlicek momentan vergessen, ärgert sich nun über sich selbst und wird deshalb etwas scharf: Wie bitte?
Stille.
Frau Hanusch Wer ist denn dieser Herr?
Konstantin Niemand. Ein amtlicher Fall.
Havlicek Pardon, daß ich mich da hineingemischt hab mit meinem Wunder.
Konstantin unterbricht ihn: Also gehens doch schon wieder retour! Hier habens nichts verloren!
Havlicek Interessant! Ich werds denen drüben sagen. Er verbeugt sich wieder leicht vor Konstantin und will ab, hält aber plötzlich noch einmal. Sofort! Nämlich ich muß Ihnen ja noch etwas bestellen, hätt ich jetzt total vergessen. Einen schönen Gruß vom Herrn Thomas Szamek –
Konstantin perplex: Szamek?
Havlicek Derselbe. Von dem Herrn Grenzorgan drüben – und er läßt Ihnen sagen, daß sein Fräulein Tochter heute Nacht nicht herüberkommen kann.
Stille.
Konstantin zu Frau Hanusch: Habens das gehört?
Frau Hanusch Vornehm.
Konstantin Ein Rabenvater. Nicht genug, daß er seine zarte Tochter tyrannisiert, macht er sich da auch noch lustig über mich! Zu Havlicek. Also sagens dem Szamek, der Herr Konstantin erwidert seine Grüße auf das Familiärste und er freut sich heut Nacht auf das Fräulein Tochter.
Havlicek Werds ausrichten – Ab, und wieder setzt die Musik ein.
Und wieder geht nun Havlicek über die Brücke – und da er in die Nähe des Privatpädagogen kommt, erinnert er sich und tritt vorsichtig auf den Zehenspitzen auf.
Privatpädagoge Tretens nur ruhig fest auf, lieber Herr! Und trampelns, trampelns! Meiner Seel, da könnt jetzt ruhig ein ganzes Regiment mit Artillerie, es beißt nichts an. Und wer ist dran schuld? Die Würmer!
Havlicek betrachtet die Würmer.
Oder sind das vielleicht keine Krepiererl?! Extra hab ich es ihr eingeschärft, meiner lieben Frau Gemahlin: nur dicke Würmer! Nein! Ganz dünne bringt sie mir daher, bei denen man sich immer ins eigene Fleisch sticht, wenn man sie aufspießt. Zur Frau. Geh und bring mir dicke Würmer! Los!
Frau rührt sich nicht.
Was stehst denn noch da? Hast mich denn nicht gehört?
Frau unheimlich ruhig: Ich such dir keine Würmer mehr.
Privatpädagoge Was sind denn das für neue Töne?
Frau bricht plötzlich los: Ich such dir keine Würmer mehr! Such sie dir selbst! Genug, genug! Jetzt zertritt ich sie dir! Sie zertrampelt hysterisch schluchzend die Würmer auf dem Boden.
Havlicek Halt! Die armen Würmer!
Frau läßt sich nicht stören: Wer fragt, ob ich arm bin? Wer?! Genug! Ich möcht mich doch auch mal erholen, Zeitung lesen oder Roman – wer fragt mich, wer ich bin? Niemand, niemand, du gemeiner Egoist! Rasch ab.
Privatpädagoge zu Havlicek: Furie, nicht! Bringt mir lauter dünne Würmer und dann bin ich der Egoist! Abrakadabra – abrakadabra – man faßt es nicht!
Die Frau geht nun weinend und zitternd über die Brücke – jetzt erreicht sie das linke Ufer, wo Eva gerade den gewärmten Kaffee aus der Baracke bringt. Mrschitzka, der nun keinen Dienst mehr hat, macht es sich kommod. Grad zieht er sich die Schuhe aus.
Szamek zur Frau: Na was hat er gefangen, der Herr Privatpädagog?
Musik verstummt.
Stille.
Frau schaut ihn an, antwortet nicht, sondern lacht nur, und zwar derart, daß es dem Szamek etwas kalt am Rücken wird, und ab.
Mrschitzka sieht ihr nach: Was hat sie denn?
Szamek Lustig ist sie – Zu Eva. Bring noch ein Gefäß, vielleicht trinkt auch der Mrschitzka –
Eva Und ich?
Szamek Wer hat hier Nachtdienst? Du oder ich? Apropos Nachtdienst: grad hab ich es deinem Konstantin ausrichten lassen, daß du heut Nacht nicht nüberkommen tust.
Eva Papa!
Szamek Meinst, ich hab mir das nicht erzählen lassen, wo du deine Nacht zubringst? Kurz und gut: es bleibt dabei!
Eva Nein, ist das aber indiskret –
Szamek Indiskret! Vergiß nicht, daß ich dich gezeugt hab!
Havlicek erscheint und hält, bereits etwas verschüchtert.
Mrschitzka hatte sich inzwischen auch seiner Fußlappen entledigt, er ist nun barfuß und manipuliert an seinen Zehen herum: Au! Mir scheint, ich hab da eine Blutblasen unter die Hornhäuter – Er erblickt Havlicek. Was?! Schon wieder?
Havlicek Pardon bitte, aber ich scheine ein Irrtum zu sein –
Mrschitzka Irrtum?
Havlicek Ein großer. Nämlich die Grenzbehörd drüben laßt mich auch nicht hinein. Sie sagt, ich gehör nicht hinüber, sondern herüber.
Mrschitzka Was sagt er?
Havlicek Er sagt, ich sei dort drüben kein Staatsbürger.
Mrschitzka Unsinn! Dummer Unsinn! Staatsbürger ist man dorthin, wohin man zuständig ist, und zuständig ist man dorthin, wohin man geboren ist! Kruzifix!
Szamek zu Eva: Ein Rindvieh ist er also auch, dieser Konstantin –
Havlicek Aber die drüben haben inzwischen ein Gesetz fabriziert –
szamek unterbricht ihn: Denen ihre Gesetz gehen uns hier nichts an! Radikal nichts, bitt ich mir aus!
Mrschitzka Wir haben unsere eigenen Gesetze! Und hier steht es schwarz auf weiß: Ferdinand Havlicek, geboren in Großenzering –
Szamek Das heißt jetzt Kleinenzering.
Mrschitzka Seit wann denn?
Szamek Seit vorgestern.
Havlicek Interessant.
Szamek Ich weiß das genau, weil ich dort einen Schwager hab – ein verlogener Mensch. Zu Eva. Wie alle da drüben! Zu Mrschitzka. Der hat mir erst gestern geschrieben, wie das dort jetzt aussieht.
Havlicek Wie? – Entschuldigen, aber ich kenn nämlich meine Heimat garnicht.
Mrschitzka Dann schauns, daß nüberkommen und lernens es kennen.
Havlicek Aber der drüben läßt mich ja nicht hinein.
Mrschitzka Er muß! Wo solltens denn sonst hin?
Havlicek Eben.
Mrschitzka Also gehens nur zu in Gottes Namen! Marschmarsch!
Havlicek Moment! Nämlich der Herr drüben hat noch gesagt, ich soll einen familiären Gruß an den Herrn Thomas Szamek –
Szamek gießt sich grad Kaffee ein: Das bin ich!
Havlicek Das weiß ich!
Szamek Aber wieso familiär?
Havlicek Was weiß ich?
Szamek Weiter!
Havlicek Und weiter laßt er Ihnen vielmals grüßen und danken für Ihre freundlichen Grüße und er erwartet das Fräulein Tochter heute Nacht.
Szamek Eine Gemeinheit! Zu Eva. Feix nicht! Zu Havlicek. So! Und jetzt gehens nur hübsch wieder nüber und sagens ihm einen väterlichen Gruß und ob er sich nicht erinnern tut vielleicht, was ich ihm vor vierzehn Tag kategorisch geschrieben hab! Daß ich nämlich als Familienvorstand niemals meine Einwilligung zu dieser Verbindung geben werde – und wenn er sich aufhängt, dann auch nicht.
Havlicek Aber ich bin doch kein Postbot!
Mrschitzka Marsch-marsch!
Havlicek zuckt etwas resigniert die Schulter und ab.
Szamek zu Eva: Verstanden?
Eva Nein.
Szamek Wirst mich schon noch kennenlernen, damit deinem Herzerwählten. »Familiäre Grüße«! – Ein feiner Mensch ist das, ein ganz ein impertinenter –
Eva Er wird nur lachen. Über deine ohnmächtige Wut.
Szamek Werden schon sehen, ob ohnmächtig – Er trinkt Kaffee. Brrr! Ist das ein miserabler Kaffee!
Eva Du hast doch gesagt, daß ich von heut ab den billigsten –
Szamek unterbricht sie: Weil wir sparen müssen – spa-ren! Vergiß das nicht gefälligst!
Eva Als tät ich nicht sowieso sparen.
Szamek Erst gestern hast du dir wieder eine Fliederseife –
Eva unterbricht ihn: Aber ich muß mich doch waschen als Frau! Und etwas pflegen!
Szamek Waschen ja, pflegen ist überflüssig. Mrschitzka magst keinen Kaffee?
Mrschitzka hat sich inzwischen gepflegt und noch immer manikürt er sich mit seinem Bajonett: Wenn einer da ist –
Szamek zu Eva: Gib ihm!
Eva schenkt ein.
Mrschitzka Merci! Er trinkt und sieht verstört aus. Was ist das bitte? Kaffee oder Tee?
Szamek Mokka. Aus Sumatra.
Mrschitzka Sumatra. Also ein Sumatranser möcht ich nicht sein –
Szamek Wirst halt noch nie in deinem Leben einen wirklich feinen Kaffee getrunken haben.
Mrschitzka Ist schon möglich! Man muß sich halt an die teueren Sorten erst gewöhnen, oft schmeckt einem der billigste besser – Er trinkt wieder. Ein eigenartiger Kaffee. Aber allmählich kommt man auf den Geschmack – Und wieder trinkt er.
Szamek plötzlich zu Eva, die so nebenbei fort möchte: Wohin?
Eva Spazieren.
Szamek Über die Brücke?
Eva Ja.
Szamek Du bleibst! Grad wo er deinen Vater so impertinent hat grüßen lassen, erfordert es das familiäre Ansehen, daß du als Tochter dableibst.
Eva Ach was Tochter! Ich muß! Ich hab ihm mein Ehrenwort gegeben, daß ich heut komm!
Szamek Ein Weib hat kein Ehrenwort.
Mrschitzka Gut so.
Eva Aber sei doch nicht so altmodisch, Papa!
Szamek Ach was altmodisch! Ich werd nicht neumodisch, verstanden? Und daß du mir da bleibst bei mir!
Stille.
Eva spitz: Du vergißt, daß ich volljährig bin – seit dem sechsten Mai.
Szamek zu Mrschitzka: Sie ist ein Sonntagskind.
Mrschitzka Gratuliere.
Szamek Und volljährig.
Mrschitzka Merkt man ihr an.
Szamek grinst: Und sie ernährt sich selbst.
Eva Werd ich auch tun!
Stille.
Szamek Wodurch?
Eva schweigt.
Wer soll dich denn schon ernähren?
Szamek Sei so gut!
Eva Richtig! Ein Mann. Mein Mann.
Szamek »Mein« Mann? Mrschitzka! Sie sagt: »mein« Mann!
Mrschitzka Tableau.
Eva Er ist mein Mann!
Szamek drohend: Seit wann? Der Konstantin?
Eva Derselbe. Auch wenn wir noch nicht verheiratet sind – er ist und bleibt mein Mann.
Mrschitzka Noch ein Tableau!
Stille.
Szamek zu Mrschitzka: Jetzt ist mir ein Stein vom Herzen gefallen. Ich hab schon geglaubt, daß sich das gnädige Fräulein Tochter heimlich getraut haben –
Szamek Das ist wurscht! Hintenherum ist dasselbe wie vorneherum! Zum Beispiel ich hab drei Töchter, und eine jede hat mir ein außereheliches Bankert ins Haus gebracht, und zwar die Jüngste als erste, Kruzifix! Und bei der Ältesten hat man den Vater sogar garnicht eruieren können und derweil bin ich doch Polizeiorgan und kenn mich aus mit solchen Recherchierungsfragen – Jaja, Thomas, gegen die Liebe helfen auch keine kriminalistischen Fortschritt! Und wenn ich tausend Töchter hätt wie der Padischah von Istambul, dann hätt ich jetzt tausend Bankert, Kruzifix!
Eva Was reden denn Sie für ein ungereimtes Zeug daher? Bei mir ist das doch ein ganz anderer Tatbestand!
Mrschitzka Immer derselbe, Fräulein Eva! Enthaltsamkeit ist die Mutter der Vorsicht! Zu Szamek. Wieviel Kinder hat sie denn, das Fräulein Tochter?
Szamek Was?!
Eva Noch keines, leider!
Szamek »Leider«! Na servus!
Eva Hoffentlich ist aber bald etwas unterwegs.
Szamek lächelt: »Hoffentlich« – jetzt werd ich verrückt. Jetzt wird mir aber alles wurscht! Da kämpf ich ja gegen eine chinesische Mauer, wie ein Ochs renn ich dagegen! Schad, daß ich heut Nachtdienst hab, sonst springet ich noch ins Wasser – Geh nur nüber zu deinem Gigolo und verlaß deinen armen alten Vater, der dich gezeugt hat – Er vergräbt seinen Kopf in den Händen.
Stille.
Eva Sag Papa: was hast du eigentlich gegen den Konstantin?
Szamek plötzlich verändert, in sanftem väterlichen Ton: Mein Kind. Ich möcht mit dir mal offen reden: gegen deinen Konstantin hab ich nur das eine, daß er nämlich kein Geld hat. – Schau, du bist doch ein hübsches Kind, ein frisches, und ich möcht, daß du glücklich wirst. Reich sollst du heiraten, sehr reich, damit auch dein armer alter Vater was von dir hat – ausschaun tust ja eklatant wie dein Mutterl selig und die hätt auch keinen solchen Bettler von einem Zöllner heiraten sollen, sondern einen reichen Großkaufmann, aber sie hat mich eben unsterblich geliebt und ist halt drum nur eine Zöllnersgattin geworden – und was hat sie von ihrem Leben gehabt an meiner Seite? Nichts. An die Riviera hätte sie fahren können oder in ein Bad –
Eva Ich brauch kein Bad.
Szamek Das hat dein Mutterl selig auch gesagt. Trotzdem.
Und abermals kommt Havlicek.
Mrschitzka außer sich: Was seh ich? Schon wieder?! Na jetzt laß ich Ihnen aber gleich durch mich verhaften und dann müssens erst noch bei Wasser und Brot, bevor daß ich Ihnen wieder per Schub in die Freiheit hinauslaß.
Havlicek »Freiheit« ist gut.
Mrschitzka Sie, witzeln Sie sich nicht mit mir, ja?!
Havlicek schreit ihn plötzlich an: Ich bin doch kein Witz. Und übrigens hab ich ja nur wieder was auszurichten da – von der Behörd da drüben, von der verliebten!
Mrschitzka Das ist zweierlei. Also los! Richtens aus und fahrens ab!
Havlicek Kommandieren laß ich mich aber nicht, Sie – wenn ich schon die Freundlichkeit hab, als ein wanderndes Billetdoux herumzulaufen.
Mrschitzka Nur keine Vorlautheiten!
Havlicek Ziehens Ihnen lieber zuerst die Schuh an, bevor daß Sie mit mir dienstlich reden!
Mrschitzka perplex: Schuh?
Eva zu Havlicek: Herr –
Havlicek Havlicek.
Eva Szamek.
Havlicek verbeugt sich galant: Angenehm!
Eva Und bitte, was hätten Sie uns nun auszurichten, Herr Havlicek?
Havlicek Nicht viel, nicht wenig, Fräulein Szamek! Der Herr Bräutigam dort drüben laßt nämlich dem Herrn Papa da sagen, daß es ihm dort drüben eigentlich leid tut, sehr leid, daß der Herr Papa so heftig gegen ihn agiert.
Eva Leid? Sie wirft einen Blick auf Szamek. Das hat er gesagt?
Havlicek Aufrichtig leid!
Szamek »Aufrichtig«! Wenn das einer von drüben sagt!
Eva Und sonst hat er nichts hinzugefügt?
Havlicek Sonst hat er nur noch hinzugefügt, daß er dort drüben persönlich kein sanfter Engel ist und daß er sich das also nicht mehr lang mitanschaut, wie daß sich der Herr Papa da als ein Außenstehender in seine Liebeserlebnisse hineinmischen –
Szamek unterbricht ihn: Was! Ich ein Außenstehender? Als der eigene Erzeuger?! Na servus!
Havlicek Herr Szamek! Auch für die eigenen Herren Erzeuger kann es unter Umständen gefährlich –
Mrschitzka unterbricht ihn: Was hör ich?! Sie halten hier Reden! Das auch noch?!
Havlicek fährt ihn an: So lassens einen Menschen doch ausreden, nicht?
Mrschitzka schweigt perplex.
Szamek zu Mrschitzka: Laß ihn, Mrschitzka! Laß ihn sich ausreden, es ist so angenehm blöd –
Havlicek Vielleicht! Und dennoch: zum Beispiel hab ich mal eine gewisse Frau Hörl gekannt, eine geborene Spitzinger, und die hat einen alten Vater gehabt, einen gewissen Emanuel Spitzinger, der sich nämlich auch immer in die Liebesarten zwischen Tochter und Schwiegersohn hineingemischt hat – und das Ende vom Liede? Der alte Spitzinger hat den Hörl und die Frau Hörl hat den alten Spitzinger erschlagen. Alles mit der Axt. Die Tochter den leiblichen Vater mit der Axt. Um Mitternacht! Glauben Sie einem geschlagenen Mann, Herr Szamek, es tut nicht gut, wenn man sich hineinmischt –
Mrschitzka Da hat er recht, dieser Ausgewiesene! Da könnt ich euch aus meiner Praxis noch ganz andere Legenden erzählen, Herrschaften! Stundenlang könnt ich euch da auseinandersetzen, wie sich ganze Familiengruppen gegenseitig ausgerottet haben, bis in das letzte Glied – und wegen was? Wegen nichts!
Szamek plötzlich zu Eva: Eva. Könntest du mich mit einer Axt –
Eva fährt ihn an: Frag doch nicht so dumm!
Stille.
Mrschitzka zu Havlicek: Na, was stehens denn da noch herum?
Havlicek Wo soll ich denn sonst stehen?
Mrschitzka Da nicht! Dort ist die Tür! Er deutet auf die Brücke.
Havlicek »Tür« ist gut. Er will ab.
Szamek Halt! Sagens dem drüben: der Thomas Szamek ist ein alter Mann und überläßt sich von heut ab dem Schicksal.
Havlicek Also dem Schicksal – Ab.
Havlicek geht nun wieder über die Brücke und wieder Musik – aber jetzt angelt er allein, der Privatpädagoge.
Havlicek mitfühlend: Habens noch immer nichts gefangen?
Privatpädagoge kleinlaut, resigniert: Nein.
Havlicek Schicksal.
Privatpädagoge braust auf: Aber was Schicksal! Würm! Zu dünne Würm! Abrakadabra! Manchmal ärger ich mich schon so über meine Ehehälfte, daß ich lieber schon selber ein Hecht sein möcht!
Havlicek Um hernach von sich selbst gefischt zu werden! Haha.
Privatpädagoge Heut hätt ich schier nichts dagegen! Schauns, wie ich mit die Nerven herunter bin, weil meine Gattin epileptisch ist, gleich hat sie Schaum vor dem Mund – deshalb fisch ich ja nur, damit ich mich beruhig. Aber wenn ich jetzt nicht bald was fang, werd ich noch selbst epileptisch.
Havlicek Also nur das nicht! Er geht weiter. Wiedersehn!
Und wieder drüben bei Konstantin und wieder verstummt die Musik.
Konstantin Na was hat er gesagt, der Szamek?
Havlicek Schicksal!
Konstantin Was heißt das?
Havlicek Er ist ein alter Mann, hat er gesagt, und überlaßt sich von heut ab dem Schicksal.
Konstantin erfreut: Tatsächlich! Na bravo! Vor dem Schicksal hab ich keine Angst! Mein Schicksal heißt Eva und kommt, wann ich möcht!
Havlicek Ein schönes Schicksal, ein braves – Armer Havlicek! Dreißig Jahr hast Steuern gezahlt, ohne zu zucken. Nur gut, daß ich keine Familie hab, sonst steheten wir da jetzt zu mehreren.
Konstantin Sinds Junggeselle?
Havlicek Ja, aber kein eingefleischter.
Stille.
Konstantin Ich denk mir oft: man weiß es nicht, was besser ist: heiraten oder ledig bleiben –
Havlicek Heiraten. Auf Ehr und Seel! Können es mir glauben, junger Herr, denn ich bin nicht verheiratet: und so einsam ist man, nirgends zuhaus, selbst wenn man sich noch so einrichtet. Zum Beispiel hab ich mir einen Spiegelschrank –
Konstantin unterbricht ihn: Spiegelschrank?
Havlicek Einen großen, schönen. Wo man sich so ganz sehen kann. Auf einmal.
Konstantin Aha.
Havlicek Ja – Er fährt plötzlich hoch. Jetzt hab ich eine Idee! Wissens was, kommens mit mir da zu denen hinüber und sagen Sie es denen persönlich aber mal tüchtig, daß ich hier strikte nicht hereinkann, dann müssen die drüben mich doch nämlich hinein – das ist der Ausweg!
Konstantin »Ausweg«? Ich dahinüber? In Uniform? Na das gäb ja einen gediegenen Grenzzwischenfall mit unabsehbaren außenpolitischen Nachspielen, Noten, Interpellationen im Senat und diplomatischen Demarchen und was weiß ich noch was! Ausgeschlossen! Ich darf ja nicht mal auf die Brücke und derweil ist die doch nur neutral! Jetzt erst noch auf das andere Ufer – das ist grotesk!
Havlicek Und ich bin vielleicht nicht grotesk? Großer Gott, wie kompliziert!
Konstantin Völkerrecht, Herr! Haag und Genf. Stille.
Havlicek Und was ist diese Brücke bitte? Neutral?
Konstantin Eine neutrale Zone. Weder Fisch noch Fleisch.
Havlicek blickt über die Brücke zum Privatpädagogen hinüber: Ja, Fische scheints da nicht viel zu geben – Stille.
Konstantin Also gehens nur wieder brav retour – probierens es halt immer wieder und lassens nicht locker! Probieren geht über studieren!
Havlicek Das schon. Also dann: Auf Wiedersehen – Ab.
Und wieder geht Havlicek über die Brücke. Musik. Der Privatpädagoge ist nun bereits seiner Gattin gefolgt, denn es dämmert schon leise. Mitten auf der Brücke begegnet Havlicek der Eva, die unterwegs ist zu ihrem Konstantin. Er grüßt, sie dankt.
Havlicek hält, sieht ihr nach, und überlegt; plötzlich: Fräulein Szamek!
Eva hält: Herr Havlicek?
Havlicek Pardon, daß ich Ihnen aufhalt, ich weiß, es ist kostbare Zeit, wenn man so hinübermöcht – aber ich hätt ein für mich großes persönliches Anliegen, liebes Fräulein Szamek! Geh, könntens nicht ein freundliches Wörtchen für mich einlegen –
Eva Gern, wo?
Havlicek Bei Ihrem lieben Herrn Bräutigam – daß er nämlich vielleicht ein Auge zuschließen und mit dem anderen Aug mich übersieht, wenn ich über seine Grenz –
Eva Ach so.
Havlicek Schauns, es dämmert nämlich schon, und ich komm in keine Heimat – Nur ein Auge, Fräulein Szamek, ich bin geschwind wie der Wind.
Eva Nein, das wird er unmöglich, weil ihm sein Gesetz über alles geht.
Havlicek Aber wenn Sie, als gewissermaßen sein Schicksal –
Eva unterbricht ihn: Auch über mich geht sein Gesetz hinweg, und das ist sogar recht so, denn darum ist er der Mann.
Havlicek Darum? Jetzt könnte ich Ihnen vom Gegenteil gar manche historische Anekdoten erzählen – Geh probierens es halt mir zu lieb! Probieren geht über Studieren und Sie wären ein Engel.
Eva lächelt: Ein Engel?
Havlicek Ein schöner großer, so mit Flügeln, bei dem man gleich weinen muß vor lauter Freud.
Stille.
Eva Also dann probier ich es halt, aber es ist nicht viel Hoffnung dabei, Herr Havlicek. Ab.
Havlicek Die Hoffnung überlassens nur mir! Er sieht ihr nach, für sich. Ein Engel. Er singt.
Ob ich auch mal ein Engerl werd,
wenn ich verlasse diese Erd? Möglich.
Ob man auch dann den neuen Gast
nicht ohne Paß in' Himmel laßt? Möglich.
Steh ich jetzt hier auf dieser Bruck
und kann nicht hin und kann nicht zruck,
so will ich Trost darin finden,
ich büß hier schon alle Sünden.
Haben Sie schon einmal eine Pechserie ghabt so wie ich?
Sicher habens noch nie eine Pechserie ghabt so wie ich!
Denn wann Sie schon einmal so im Pech gsessen waren wie ich
so warns sicher schon längst aus der Haut gfahrn – ich noch nicht!
Ob so ein reizendes junges Weib
auch in der Eh' ein Engel bleibt? Möglich.
Ob der am Ende nicht besser fahrt,
der sich die Illusion bewahrt? Möglich.
Wenn man so oft, wies mir passiert,
schon in der Wahl sich hat geirrt,
merkt man leider bald ihre Mängel
und wird skeptisch gegen Engel.
Haben Sie schon einmal eine Pechserie ghabt? usw.
Eva erreicht nun das rechte Ufer und trifft dort Frau Hanusch. Musik aus.
Eva Guten Abend, Frau Hanusch! Wo ist denn der Konstantin?
Frau Hanusch Der telephoniert grad – mir scheint, amtlich. Ich bin jetzt nur noch einmal her um meinen Niedergang mit ihm durchzubesprechen, er ist doch der einzige anständige Mensch unter uns, der einer alleinstehenden Witwe wertvolle Ratschläg geben kann. Morgen soll ich den Konkurs anmelden, sonst sperrens mich noch ein! Und dann kommt das Gas.
Eva Aber Frau Hanusch! Der Tod ist ein schlechter Kamerad. Sie lächelt.
Frau Hanusch Sie habens natürlich auch leicht! Kommen da abends herüber und genießen Ihr Leben! Schad, daß ichs nicht auch so gemacht hab, wie ich noch jung situiert war – jetzt find ich keinen Mann mehr!
Eva schweigt.
Meinens wirklich, daß ich keinen Mann mehr find?
Konstantin kommt aus seinem Raubritterturm: Ach, Eva! Er gibt ihr einen Kuß, dann zu Frau Hanusch. Das wär was für Sie, Frau Hanusch! Grad ist amtlich telefoniert worden, daß sich hier in der Gegend gefährliche Rauschgiftschmuggler herumtreiben und auf ihre Ergreifung sind runde zwanzigtausend ausgesetzt.
Frau Hanusch Zwanzigtausend! Meiner Seel, ich täts gleich verhaften! Und köpfen auch, dann wär ich saniert!
Konstantin Na so einfach geht das nicht. Solche Rauschgiftschmuggler sind verwegene Subjekte, die schrecken vor nichts zurück, vor keiner Untat – Raub, Mord, Schändung –
Frau Hanusch unterbricht ihn: Schändung auch?
Konstantin Denen graust es vor nichts! Kommen daher mit direkt amerikanischen Methoden, Panzerauto und Maschinengewehr –
Eva Gib nur acht!
Konstantin Auf alle Fälle hol ich mir jetzt mal gleich meinen Dienstrevolver – Er will wieder ab in seinen Raubritterturm.
Havlicek erscheint.
Konstantin erblickt ihn und ist ungeduldig überrascht: Na und?
Havlicek wirft einen verstohlenen Blick auf Eva; schüchtern: Und aber –
Konstantin Hier gibts kein Aber! Wie oft denn noch, lieber Mann? Unmöglich und ausgeschlossen!
Havlicek Aber es wird doch Nacht.
Konstantin So sekkierens mich doch nicht! Jetzt muß ich meinen Revolver – Ab in seinen Raubritterturm.
Havlicek Revolver? Großer Gott!! Rasch ab.
Eva sieht Havlicek nach: Nein, diese Angst –
Frau Hanusch Ich kenn den Fall. Der geht da immer hin und her – bis er noch verhungert. Ein amtlicher Fall. Armer Mensch! Macht übrigens einen ganz sympathischen Eindruck –
Eva Oh, er ist gebildet! Und nirgends lassens ihn hinein –
Frau Hanusch Ich ließ ihn schon hinein, bei jeder Grenz! Wem tät das schon was schaden? Mir nicht!
Eva So ohne Heimat möcht ich nicht sein. Überall fremd, überall anders –
Konstantin erscheint nun wieder, und zwar mit seinem Dienstrevolver: Das ist er. Ein Trommelrevolver. Wenn er auf das dritte »Halt«! nicht hält, kann ich ihn auf der Flucht erschießen und mir passiert nichts. – Wer kommt denn da? Eine Nonne?
Frau Hanusch Ja, das ist eine Krankenschwester mit einer sehr vornehmen kranken Dame – wahrscheinlich eine diskrete Krankheit, stell ich mir vor.
Eva Warum?
Frau Hanusch Na sonst wärens doch nicht ausgerechnet da in unserem Drecknest hinterm Mond! Übrigens mein einziges Publikum. Pst!
Frau Leda und die Krankenschwester gehen nun langsam vorbei. Die Krankenschwester ist aber gar keine Krankenschwester, sondern ein verkleideter Mann, namens Schmugglitschinski, der eben mit Frau Leda zusammen, deren Krankheit natürlich auch nur Maskerade ist, das doppelköpfige Haupt der fieberhaft gesuchten Rauschgiftschmugglerbande ist. Jetzt täuschen sie einen langsamen Abendspaziergang vor, um das Terrain an der Grenze bequem rekognoszieren zu können.
Frau Hanusch Ergebensten Diener, meine Herrschaften! Schon erholt? Frau Leda und Scbmugglitschinski nicken ihr freundlich zu und langsam ab.
Eva sieht ihnen nach: Schlecht schaut die Dame aus, ganz gelb.
Frau Hanusch Und am Vormittag, zwischen Acht und Zwölf ist sie immer gelähmt aber am Nachmittag treibts Gymnastik. Und wie die Schwester sie pflegt.
Konstantin Rührend, nicht?
Frau Hanusch Eine Heilige ist das und sonst nichts.
Eva Manchmal denk ich mir, wir denken alle miteinander zu wenig an das Jenseits.
Konstantin Wer glauben kann, ist ein glücklicher Mensch.
Stille.
Frau Hanusch So, jetzt muß ich aber nach Haus, das Souper herrichten für meine einzigen Gäst!
Eva Sicher Diät?
Frau Hanusch Aber einfach! Die Dame darf abends nichts essen und die Schwester fastet! Also empfehle mich, meine Herrschaften! Ab.
Konstantin und Eva Gute Nacht, Frau Hanusch.
Nun ist es Nacht geworden.
Und wieder erscheint Havlicek – und gleich erblickt er den Dienstrevolver, den Konstantin noch immer in der Hand hält und macht sofort »Hände-hoch«!
Konstantin überrascht durch diese Geste: Was ist? Was treibens denn mit die Händ?
Havlicek Ich ergib mich.
Konstantin perplex: Wieso?
Havlicek Nicht schießen, bitte!
Konstantin Ach so! Er lacht und steckt seinen Dienstrevolver in seinen Dienstgürtel.
Havlicek nimmt die Hände herab und lächelt: Sie sind doch ein freundlicher Mensch!
Konstantin Möglich.
Eva Sicher!
Konstantin Oh, du bist lieb – Zu Havlicek. Aber für Sie bin ich nur das Grenzorgan und kein Mensch, und jetzt reißt mir aber ehrlich die Geduld! Das halt ich nicht aus, daß Sie da immer wieder erscheinen, man ist doch schließlich auch nur ein Mensch!
Havlicek Eben.
Konstantin Also schauns, daß Sie jetzt endgültig verschwinden, ja?!
Havlicek Aber drüben hat er mich grad bedroht, daß er mit der Kanon kommt, wenn ich noch einmal –
Eva Mit der Kanon?
Havlicek Ja, ich denk, der Herr Papa sind nicht mehr ganz nüchtern und der Herr Gendarm Mrschitzka auch nicht mehr so ganz –
Eva Sie trinken?
Havlicek Schnaps. Und Rum.
Eva zu Konstantin: Schon wieder!
Havlicek Man riecht es schon auf der Brück.
Eva Fürchterlich!
Havlicek So hat halt jeder seine Sorgen!
Stille.
Konstantin Also seiens bitte vernünftig –
Havlicek unterbricht ihn: Ich werd nicht vernünftig.
Konstantin Und ich werd verrückt.
Havlicek Von mir aus!
Konstantin Von Ihnen aus schon, aber nicht von mir aus!
Havlicek Und wo soll ich schlafen?
Konstantin Auf der Brücke! Schluß.
Stille.
Havlicek Also Schluß. Drohend. Jetzt mag ich aber dann auch nicht mehr! Jetzt bleib ich dann auf der Brück! Jetzt werd ich aber dann auf der Brück schlafen, verstanden?! Bei Wind und Wetter und Sonne und Mond! Werdet es schon noch erleben, Ihr!! Rasch ab.
Nun weht der Nachtwind.
Konstantin verdutzt zu Eva: Was droht der uns? Eva Er ist halt arm. Immer hin und her – da muß ein Mensch verblöden.
Konstantin Ich wasch meine Hände in Unschuld. Zu was haben wir die blöde Grenz?
Eva Das sagst du? Als Grenzorgan?
Konstantin Das sag ich privat.
Stille.
Eva Du Konstantin. Könntest jetzt nicht mal so privat in deinen Turm dort hinein?
Konstantin perplex: Warum?
Eva Weil derweil könnt da ein Mensch vorbei – er wäre gerettet, geschwind wie der Wind.
Konstantin Eva! Möchtst mich verführen? Da kenn ich aber keinen Spaß!
Eva Aber wo soll der denn schlafen?
Konstantin Meinst, der tut mir nicht leid? Doch ich verbeiß mein Herz vor lauter Pflicht!
Stille.
Eva Komisch seid ihr Männer.
Konstantin unangenehm berührt: Komisch?
Eva Ja. Ich denk jetzt speziell an den Papa – daß er sich neuerdings wieder dem Alkoholteufel verschrieben hat, das ist tragisch. Erst neulich Nacht, wie ich mal nicht bei dir gewesen bin, da hat er mich gräßlich beschimpft, in seiner Trunkenheit – oh so gräßlich! Jedoch erst im Verlaufe dieser Schimpforgie ist mir allmählich ein Licht aufgegangen, daß er ja nämlich garnicht mich gemeint hat, sondern mein armes Mutterl selig, die doch schon längst das Zeitliche gesegnet hat, aber eben in seiner Trunkenheit hatte er das vergessen und hat mich mit ihr verwechselt.
Konstantin Mußt viel leiden, du Arme, Liebe, da drüben –
Eva Ich sehn mich auch immer herüber, kaum kann ich die Nacht erwarten, hier drüben ist alles so licht.
Konstantin Komm. Setzt sich auf die Bank vor seinem Raubritterturm, und sie setzt sich auf seinen Schoß. Stille. Und wie steht er jetzt eigentlich?
Eva Wer? Was?
Konstantin Ich meine, wie steht jetzt dein Vater zu unserem Bunde, anscheinend lenkt er ein –
Eva Das glaub ich ihm nicht. Der Papa denkt nur an das Geld. Reich soll ich heiraten, damit er an die Riviera kann – Manchmal könnt ich ihn wirklich schon mit einer Axt –
Konstantin Still, Süße – Sie küssen sich.
Eva Lieber arm, aber glücklich.
Konstantin Vielleicht kannst mal mit mir an die Riviera, wenn ich beispielsweise heut diese Rauschgiftleut – zwanzigtausend! Aber wenn ichs auch diesmal nicht erwisch, die Schmuggler sterben nicht aus, Gott sei Dank. Er betrachtet automatisch seinen Dienstrevolver. Hoppla! Gut, daß ich ihn betracht, meinen Dienstrevolver! Da sind ja gar keine Patronen drin, da hätten jetzt aber unsere zwanzigtausend gelacht! Er erhebt sich.
Eva Du, ich hab Angst!
Konstantin Mein Weib darf keine Angst kennen, das hängt mit meinem gefährlichen Beruf zusammen – Er will ab.
Eva Wohin?
Konstantin Ich hol mir nur die Patronen – Ab in seinen Raubritterturm.
Eva allein. Sie sieht sich scheu um in der Nacht. Es ist sehr still. Doch plötzlich ertönt aus dem Raubritterturm heraus Tanzmusik.
Eva erschrickt und lauscht: Musik –? Musik?
Konstantin erscheint wieder mit den Patronen und ladet seinen Revolver: Na? Da spitzt wer seine Öhrchen? Ich hab ganz vergessen, dich damit zu überraschen.
Eva unterbricht ihn: Radio.
Konstantin Fein, was?
Eva Mein Traum.
Konstantin Jetzt ist jemand glücklich!
Eva Nicht verschrein! Überall sitzen die bösen Geister und verhexen das Gute – sie wohnen im Fluß und in der Nacht tauchen ihre Köpf herauf und horchen und wer sich laut freut, den schauen sie an und schon muß er weinen.
Stille.
Komm, tanzen wir!
Konstantin tanzt mit ihr.
Jetzt kommt der Chef der Regierung auf dem rechten Ufer mit seinem Sekretär. Da er strenges Inkognito zu wahren wünscht, wollen wir ihn X nennen. Konstantin und Eva, die im Scheine der Laterne am Brückenkopf tanzen, erblicken die beiden Herren nicht und tanzen infolgedessen seelenruhig weiter.
Sekreträr Also hier ist besagter entlegener Brückenkopf.
X unterbricht ihn: Wie bitte? Hier tanzt unser Grenzorgan? Die Grenze als Tanzbar? Penetrant! Schad, daß ich mein Inkognito nicht lüften darf, penetrant schad! – Aber die Maid hat Charme. Übrigens erinnert sie mich an ein weibliches Wesen aus der Vorkriegszeit.
Sekreträr An die Panilla, Exzellenz.
X Richtig!
Sekreträr Aber die Panilla hatte andere Hüften.
X Woher sind Sie denn derart penetrant informiert? Die Panilla könnt doch Ihre Großmutter sein – Nanana, junger Mann!
Sekreträr Meine Informiertheit beruht ja nur auf meiner Mama, Exzellenz! Die hat sich nämlich oft ausführlich beklagt bei mir, über den Papa. Wegen der Panilla.
X Jaja, der arme Papa – ein braver Mensch. Friede seiner Asche. Aber die Panilla war mal eine fesche Katz! Jetzt ist sie leider blind – So, und jetzt lassens mich allein. Wo ist mein falscher Paß?
Sekreträr überreicht ihn: Hier, Exzellenz!
X Und Sie warten im Dorf mit dem Wagen!
Sekreträr Gewiß, Exzellenz! Ab.
X nähert sich nun den Tanzenden.
Eva erblickt ihn zuerst: Ach, da kommt wer. Schad!
Konstantin löst sich von Eva und wendet sich an X: Ihren Grenzschein, bitte.
X Hier mein Paß – Er überreicht ihm seinen falschen Paß.
Konstantin blättert ausführlich und überlegt.
X ungeduldig. Nun, dauert es noch lange?
Konstantin Ruhe!
X Aber ich habe dringendst zu tun!
Konstantin Möglich! Aber auch wenn ich hier mal tanz, hab ich meine Augen überall und es treiben sich allerhand Rauschgiftschmuggler herum –
X Machen Sie doch keine penetranten Spaße, nicht?
Konstantin fährt ihn an: Ruhe! »Penetrant« ist Amtsbeleidigung! Und die Photographie stimmt übrigens auch nicht.
X Stimmt nicht? Aber ausgeschlossen!
Konstantin Da!
X betrachtet die Photographie: Oh dieses Kamel.
Konstantin Da ist ein Vollbart und Sie sind rasiert. Glatt, Und außerdem ist auch der Paß falsch – dieser Stempel gehört nämlich vorschriftsmäßig über diesen Rand und nicht unter diesen Rand. Ich kenn nämlich meine Vorschriften.
X Das hab ich noch garnicht gewußt, daß ich diese Vorschrift erlassen hab.
Konstantin Tut mir leid, aber ich muß jetzt zu einer ausführlichen Leibesvisitation schreiten – ich sage nur: Kokain! Also los kommens!
X beiseite: Kokain? Laut. Halt! Könnens schweigen?
Konstantin perplex: Warum?
X Ich muß mich leider demaskieren.
Konstantin Ihre einzige Möglichkeit. Und wo ist das Kokain?
X So lassen Sie doch dieses penetrante Kokain! Hier ist mein richtiger Paß! Aber schweigen!
Konstantin betrachtet den Paß, stutzt, steht stramm, und salutiert.
X gedämpft. Rührt Euch! Nur kein Aufsehen – Inkognito, strengstes Inkognito! Sonst wäre das eventuell noch eine Katastrophe für die ganze zivilisierte Welt!
Konstantin Können sich auf mich verlassen, Herr Ministerpräsident!
X Und auch nicht dem Fräulein Braut etwas sagen – übrigens, es freut mich, daß wir so gewissenhafte Grenzorgane haben, das mit dem Vollbart war schon gut, aber das mit dem Stempel war phänomenal! Na, ich werd mich schon erinnern, daß wir Ihre pflichtbewußte Kraft gehörig ausnützen!
Konstantin Hocherfreut, Herr Ministerpräsident!
X Aber abermals: Amtsgeheimnis!
Konstantin Amtseid!
X Danke! Ab.
X geht nun über die Brücke, und es wäre sehr finster, wenn am Himmel nicht ein großer Mond hängen und blöd scheinen würde.
Havlicek lehnt mitten auf der Brücke an dem Brückengeländer, er sah bereits X kommen und betrachtet ihn nun interessiert.
X gleich auf ihn zu: Pardon, Kollege, daß ich Euch so lange warten ließ, aber meine Grenzorgane sind zu gewissenhaft. Er lächelt. Es freut mich aufrichtig, Euch kennen zu lernen, schon auch im Interesse unserer beiden Länder, deren Interessen eine heimlich menschliche Aussprache der beiden Regierungschefs dringendst erheischen.
Havlicek beiseite: Großer Gott! Ein Narr!
X Es war eine selten glückliche Idee Ihrerseits, daß wir uns hier auf dieser abgelegenen Grenzbrücke treffen, hier können wir doch mal ausnahmsweise friedlich alle Strittigkeiten, die unsere beiden Länder berühren, berühren.
Havlicek Interessant! Beiseite. Nur immer Recht geben, sonst läuft er vielleicht noch Amok!
X Wir leiden unter unseren Grenzen.
Havlicek Oh wie wahr!
X Es erfüllt mich mit ungeheurer Freude, daß Sie der Ansicht sind!
Havlicek Und ob ich der Ansicht bin.
X Ihre Ansicht erfüllt mich mit Hoffnung.
Havlicek Die Hoffnung ist ein schwankes Rohr.
X Das aber schwerer bricht im Sturmgebraus, wie eine starke Wettertanne.
Havlicek beiseite: Ein Poet!
X Um aber auf unsere Grenzen zurückzukommen –
Havlicek Sehr richtig!
X So muß und darf und soll und will und kann ich nur betonen, daß diese Grenzen eine Plage sind.
Havlicek Plage ist gar kein Ausdruck.
X Aber wenn wir das nun laut sagen würden, dann würden unsere gesamten öffentlichen Meinungen laut aufzischen vor Wut –
Havlicek Na die »gesamten« – Es gäb auch welche, die es begrüßen. Zum Beispiel ich.
X Sie natürlich. Ich sage nur ein Wort: Macchiavelli!
Havlicek Wie bitte?
X Oh, wir verstehen uns bereits, lieber Freund – darf ich Sie »Freund« nennen? Sie stehen so herrlich über diesen Dingen!
Havlicek Ich steh nur zwischen den Grenzen.
X Sie formulieren herrlich und ich wäre glücklich, wenn wir zu einer Einigung gelangen könnten, theoretisch und praktisch.
Havlicek Also vor allen Dingen, weil ich mich hier schon bald erkält!
X Sie belieben zu scherzen – hehehe!
Havlicek Aber keine Idee! Spürens denn nicht den Zug! Diesen Mitternachtswind? Meiner Seel einen Katarrh hab ich schon!
X Jaja. Opfer über Opfer.
Havlicek Und was hat man davon? Nichts.
X Nur Undank.
Havlicek Das nebenbei –
X Apropos Undank: darf ich Ihnen gratulieren zu Ihrer schier wunderbaren Errettung von diesem ruchlosen Attentat?
Havlicek Was für ein Attentat?
X Wie? Sie erinnern sich nicht mehr?
Havlicek beiseite: Attentat? Ein Obernarr! Laut. Ach, jaja! Aber wissens, ich hab schon soviel Attentate hinter mir, daß ich ein jedes gleich wieder vergiß.
X Heroisch.
Havlicek Mein Gott. Er lächelt.
X Bescheiden und heroisch! Aber hier ziehts tatsächlich unerträglich.
Havlicek Daß Sie es nur merken.
X beiseite: Meine Bronchitis – Laut. Also prinzipiell wären wir uns ja bereits einig – und was die einzelnen untergeordneten Punkte betrifft: ich bin zu jeder Konzession bereit.
Havlicek Ich auch, aber was nützt das?
X Allerdings nur zu einer jeden solchen Konzession, die sich mit unserer Würde verträgt.
Havlicek »Würde«? Jetzt steh ich da und keiner laßt mich hinein!
X Wieso nicht hinein?
Havlicek Nicht rechts, nicht links –
X Wo nicht hinein, ich versteh kein Wort.
Havlicek fährt ihn an: Dann machens Ihre Ohrwascheln gefälligst auf, ja? Groß genug wärens ja und abstehen tuns auch!
X Abstehen?
Havlicek Und verschonens mich überhaupt mit Ihren Irrenhausgesprächen! Hör mal her, du Narr! Spiel dich nicht mit mir, freu dich lieber, daß du kein Regierungschef bist, sonst könntest du jetzt was erleben von mir, verstanden?
X Was ist das, das ist ja ein Anderer!
Havlicek Ich bin kein Anderer! Ich bin der Ferdinand Havlicek und Punkt! Jetzt reißt mir aber die Geduld, ich bin ein Drogist und kein Narrenwärter!
X Oh Himmel tu dich auf und verschling mich! Havlicek! Na das gibt einen europäischen Skandal!
Havlicek beiseite: »Europäisch«! Größenwahn!
X Dumm! Das Ende meiner Karriere! Meine Demission! Gott, ist mir übel! Er beugt sich über das Brückengeländer. Stille.
Havlicek beiseite: »Demission« – Hm. Vielleicht ist die Sach doch komisch und es steckt was dahinter – und parfümiert ist er auch, ich riech das gleich beruflich. Ein sehr teures Parfüm – Er nähert sich schnuppernd. Ist Ihnen schlecht? X rührt sich nicht.
Ist Ihnen schlecht?
X So fragens doch nicht so penetrant! Sehens denn nicht, daß ich mich erbreche?
Havlicek Das schon!
X Also!
Stille.
Havlicek Ist Ihnen jetzt leichter?
X Nein. Jetzt trifft mich bald der Schlag.
Havlicek Entschuldigens, aber wer sind denn der Herr eigentlich?
X Ich? Ich? Ein Narr! Ein Obernarr!! Er lacht hysterisch.
Havlicek beiseite: Wie der lacht.
X plötzlich ernst: Ich lache da! Und morgen lacht die ganze Welt über uns zwei.
Havlicek Über Sie vielleicht! Über mich kaum.
X Sicher!
Havlicek Geh, was geh denn ich schon die Welt an?
X Man wird sich totlachen!
Havlicek Tot? Von mir aus.
X Ein Havlicek als Eingeweihter – da wird sich nichts verheimlichen lassen. Hören Sie, lieber Freund: vor Ihnen steht der Chef der Regierung dieses Landes – Er deutet nach rechts – und dieser Chef wollte mit dem Chef der Regierung jenes Landes – Er deutet nach links – eine heimliche lebenswichtige Besprechung über unermeßliche Probleme –
Havlicek unterbricht ihn: Was hör ich?
X Ja.
Havlicek Sie sind der Chef? Ohne Witz?
X Noch bin ich es, aber morgen schreib ich meine Memoiren, die allerdings erst zwanzig Jahre nach meinem Tod veröffentlicht werden dürfen. Ich freu mich schon auf das Kapitel Havlicek.
Stille.
Havlicek Und der andere Chef von da drüben kommt auch daher?
X Er müßte schon längst hier sein, schon vor mir!
Havlicek Was? Beide Chefs? Na freuts euch, Freunderln.
Jetzt kommt Y, der Chef der Regierung auf dem linken Ufer, rasch von links und wendet sich sogleich an Havlicek; wieder Bühnenmusik.
Y Oh verzeihen Sie, daß ich mich derart penetrant verspätet habe, aber leider hatte ich Panne auf Panne, und einen Hund haben wir auch überfahren, einen Rattler – also abermals: Verzeihung Herr Ministerpräsident!
X Der auch! Er lacht hysterisch.
Y verwirrt: Wer lacht denn da?
Havlicek Der Andere!
Y Was für ein Anderer?
X Gratuliere, Kollege!
Y Wer gratuliert mir denn da? Himmel, ich bin ja so kurzsichtig, und bei der vierten Panne ist mir meine Brille zerbrochen und jetzt seh ich nichts!
Havlicek Macht nichts, ist eh stockdunkel!
X Gratuliere abermals! Sie suchen nämlich mich, aber ich habe Sie verwechselt und nun sind Sie auch an den Falschen geraten! Penetrant!
Havlicek An den Falschen? An den Richtigen, meine Herrschaften! Na das freut mich aber, daß ich euch zwei beide triff – grad bin ich in Stimmung! Hörts mal her! Warum machts denn ihr zwei so penetrante Gesetz? He? Da fabriziert ein jeder lustig drauflos, aber keiner denkt dabei zum Beispiel an so einen armen, ehemaligen Drogeriebesitzer!
Y Das halte ich nicht aus!
Havlicek Ich auch nicht.
Y Ich geh, und es ist nichts geschehen!
Havlicek Nichts? Das sind euere Gesetze!
Y Ich laß alles dementieren!
Havlicek Sie, mich könnens aber nicht dementieren! Für mich nicht! Schauns mich an, wenn ich mit Ihnen red!
Y Was soll ich Sie denn anschaun bei der Finsternis! Ohne Brille seh ich nichts!
Havlicek »Finsternis«! Und der Mond? Mein lieber guter Mond!
Jetzt verschwindet der Mond hinter einer Wolkenbank und da wird es sehr dunkel.
Havlicek sieht überrascht empor, betroffen. Jetzt ist er weg!
Y beiseite: »Mond«! Das auch noch! Laut. Schluß! Ich dementier, ich dementier und zwar kategorisch! Auch mich selbst! Zu X. Wiedersehen, Kollege! Ich könnt heut eh nicht unterhandeln, so ohne Brille bin ich zu unsicher. Rasch ab nach links.
X für sich: »Wiedersehn«! Ein Optimist! Na adieu du schöne Welt! Langsam ab nach rechts.
Havlicek allein, er schaut nach rechts und nach links: Weg sind sie; ein Optimist, der dementiert und ein Pessimist, der demissioniert. Und was bin ich?
Jetzt erscheint der Mond wieder.
Schaut empor. Bist wieder da, Herr Mond? Bist ein feiner Freund. Da gefällt einem so ein Mondgesicht schon seit der frühesten Kindheit, aber wenn man ihn braucht, dann geht er hinter eine Wolkenbank.
Ein Hahn kräht im fernen Dorf.
Das war ein Hahn. Ist es denn schon so spät oder so früh? Und ehe der Hahn dreimal kräht, wirst du mich dreimal verraten – Gott, was für ein tiefes Wort!
Er singt.
Ein tiefes Wort tut manchmal gut,
wenn dich verlassen möcht dein Mut,
es hilft dir zwar nur indirekt,
wenn du so sitzst wie ich im Dreck –
Dann hat halt alles keinen Sinn,
her und hin.
Vor allen Dingen brauchen wir
ein Stück gestempeltes Papier,
und weh dem armen Untertan,
der kein Papier vorweisen kann!
Er ist verdammt und muß nun ziehn
her und hin.
Bist du noch so auf der Hut,
ohne Stempel wird nichts gut,
ohne Stempel gibts kein Leben,
ohne Stempel gehts daneben,
ohne Stempel kannst riskieren,
bis zum jüngsten Tag zu spazieren
als ein Pendel ohne Sinn
her und hin.
Jetzt geh ich da so hin und her
und her und hin und hin und her
und wieder her und wieder hin,
mich wunderts nur, daß ich noch bin,
bei alldem Her und Hin!