Hans Hopfen
Die Geschichten des Majors
Hans Hopfen

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Der verlorene Kamerad.

Er ringelte langsam den Schnurrbart durch die Finger, wischte sich mit der anderen Hand über die Augen und sprach:

Ich will Euch gern erzählen, was ich von Pius Schicksal weiß. Und Ihr habt Recht mich zu fragen, es weiß unter Euch wohl Keiner mehr als ich davon, denn ich verkehrte in seiner Familie, da er noch ein Knabe war, ich stand mit ihm in dem nämlichen Regimente, als der Teufel sein Spiel mit ihm trieb, und ich war sein bester Freund, so lange man's eben unter diesen Umständen sein konnte.

Schade um den Burschen! Ich hatte immer gedacht, es werde bei guter Gelegenheit ein Kerl daraus werden, von dem die Leute reden und die Zeitungen schreiben sollten! Er fing auch so schön an, da auf einmal . . . . die verdammten Weiber!

Nichts für ungut! Ihr wißt ja, was für welche ich meine. 4

Genauer betrachtet, waren aber nicht nur diese an seinem Schicksal schuld, sondern die anderen auch, und die Guten noch weit mehr. Ihr seht mich verwundert an. Es ist aber doch so und Ihr sollt mir Recht geben, denn ich sagte Euch ja, ich kannt' ihn von Kleinauf, und ich weiß, was ich rede.

Von Kleinauf kannt' ich ihn und wir freuten uns Alle, wenn er so auf dem Exerzierplatz oder im Kaffeegarten zu uns, den Offizieren, herankam, nicht bescheidener, als nöthig, und nicht dreister, als eben gestattet war. Er konnte mitreden, wie wenn er schon zum Regiment gehörte, und manchmal durfte er's auch; es nahm dem offenherzigen flotten Jungen Keiner ein überflüssig Wort übel, denn wir Alle wußten, über kurz oder lang wird er doch denselben Rock und Kragen anziehen, wie wir. Wir verkehrten fast Alle in seines Vaters Hause und dieser wußte es auch nicht anders, als daß Pius ins Regiment gehörte, obschon er selber – er war ein ehrbarer Hofrath und Ministerialdirektor – nichts weniger als kriegerisch aussah und soldatisch gesinnt war. Der alte Herr machte auch aus seiner Gesinnung kein Hehl und daß es ihm bei aller persönlichen Freundschaft zu den Gästen seines Hauses ungleich lieber wäre, wenn Pius, statt mit unseren Epauletten zu liebäugeln, wie sein Vater und seine Väter alle gethan, fein säuberlich Jura studiren und die Beamtenlaufbahn ergreifen möchte, darin ihm bei dem Einfluß der Familie rasche Beförderung in Aussicht stand. Nun war es leider im Hause des Hofraths nicht Brauch, daß die Meinung des Oberhauptes schon als solche den Ausschlag gab. Dafür sorgten die Weiber, die Mutter und die Töchter und vor 5 Allen die Großmutter, die sammt und sonders in den einzigen Sohn und Stammhalter nach Noten vergafft waren.

Pius wußte gar wohl, daß er seinen Wunsch durchsetzen werde, und der Vater wußte das auch. Nur hatte er zur unumstößlichen Bedingung gesetzt, daß der Sohn, für was immer er sich entscheiden möchte, vorerst die Reife zur Universität erworben haben müßte, früher sollte man ihm mit keinerlei Berufswahl anrücken.

Diese Bestimmung fand nun auch die Mutter vernünftig, Pius selber fand sie begreiflich, die Töchter schon wunderlich, die Großmutter gar verbrecherisch.

Sie stammte aus einer Zeit und aus einem Lande, wo man mit vierzehn Jahren Obrist geworden sein konnte.

Hatte sie sich nicht selbst mit vierzehn Jahren schon verheirathet. Sie schwur darauf, daß sie nicht älter gewesen sei, als sie den Großvater genommen, und wer's nicht glauben wollte, dem zeigte sie ihren Trauschein, der vollauf beweiskräftig war – nur schade, daß das Papier so zusammengelegt worden, daß der Bruch gerade durch die vierte Ziffer des Geburtsjahres ging und im Lauf der Zeit die Falte zum Riß geworden war, so daß kein Mensch mehr unterscheiden konnte, ob vordem eine 2 oder 3 oder 5 an der Stelle gestanden hatte. Die Alte freilich las die 5 noch ganz genau. Sie hatte die Uebung.

Außer ihrem Trauschein las sie wenig. Ich erinnere mich nur noch eines alten italienischen Gebetbuches und möchte überhaupt nicht darauf schwören, ob sie lesen konnte, was sie nicht schon auswendig wußte.

Sie stammte aus einer alten, adeligen Familie aus dem Modenesischen oder Parmesanischen – ich weiß das 6 nicht mehr so genau – und war, kurz nachdem der erste Konsul die cisalpinische Republik gegründet hatte, an einen Offizier verheirathet worden. Die Frau Hofräthin, Pius Mutter, war ihre einzige Tochter.

Die kleine rührige Frau, die trotz ihres Alters nur wenig graue Haare in ihren schwarzen Locken trug, hatte viel erfahren, viel gesehen, viel besessen, viel verschmerzt. Nun war Pius ihr Eins und Alles, ihr um und auf; sie lebte nur noch für ihren Enkel und liebte nichts mehr auf der Welt als ihn. Sobald er erschien, war's der unruhigen kleinen Dame erst behaglich; was er sprach, war entzückend; was er that, unvergleichlich. Ihm fehlte nach ihrer Meinung zur Vollkommenheit nichts, als die schmucke Uniform unseres Regiments, und ich glaube, daß Großmama die Zeit, welche den Enkel von dieser ersehnten Uniform noch trennte, länger erschien, als Pius selber. Der lebte allzeit fröhlich in den Tag hinein.

Wie der Junge der Alten diese ihre Affenliebe vergalt? Je nun, wie's eben verzogener Kinder Brauch ist. Er ließ sich alle Güte wie etwas Selbstverständliches gefallen, gab ihr im Herzen Unrecht, wenn sie ihn gegen den Vater in Schutz nahm, behielt aber doch, was er kriegen konnte, und machte sich obendrein ein wenig über Großmama lustig. Die lachte dann meist mit. Und meist von Herzen. Es soll aber darum noch Keiner glauben, daß sie thöricht war. Ganz im Gegentheil! Jeder, der mit ihr zu thun kriegte, mußte bald merken, daß sie selbstständig und folgerichtig zu denken gewohnt war; ihr Gesichtskreis war gewiß nicht weit, aber was ihr vor die Augen kam, prüfte sie auf Zweckdienlichkeit und Schönheit, und 7 eben nur der einzige Pius durfte sich herausnehmen, ihr weis zu machen, daß zwei mal zwei nicht immer viere, sondern ebenso viel oder so wenig waren, als er eben brauchte.

Wenn der ihr das einmal bewiesen hatte, dann freilich sprang auch sie dafür ein und mit einem Eifer, einer südlichen Hitze . . . ich hab' es mehr als einmal mit anhören müssen.

Sonst, wie gesagt, sprach sie klug und man hörte ihr gern zu, wenn sie in ihrer kauderwelschen Art von alten Tagen oder neuen Bekanntschaften plauderte. Bunt genug warf sie freilich eins durchs andere. Unterhaltend war's immer.

Ich habe nie etwas Wunderlicheres vernommen, als ihre Ausdrucksweise. Sie gehörte zu jenen seltenen Leuten, die nach und nach ihre Muttersprache, deren sie sich entwöhnen, verlernen, ohne darum die Sprache, deren sie sich ihrer Umgebung zu Liebe bedienen, anders als nothdürftig zu erlernen.

Bis zu ihrer Verheirathung hatte sie kein deutsches Wort gehört. Seit dem Ende der napoleonischen Kriege war sie in Deutschland. Doch hatte sie fast in einem halben Jahrhundert nicht soviel Deutsch gelernt oder soviel Italienisch behalten, daß sie zwei Sätze hinter einander in ein und derselben Sprache sagte. Ihre Rede war ein Gemisch von deutschen und wälschen Brocken, deutsche Worte mit italienischen Endungen, italienische mit deutschen, ein unverdrossen Gemeng, das jeder Grammatik und jeder selbstgegebenen Regel spottete, das aber, da es frei von aller Absichtlichkeit und allem Gesuchten war, durchaus 8 nicht peinlich berührte, sondern kindlich, gutmüthig und treuherzig klang.

Mit ihrem Gatten mochte sie seiner Zeit wohl noch in der Muttersprache und vielleicht auch noch in dem üblichen Französisch verkehrt haben. Der Mann der Tochter aber, in deren Hause sie seit ihrer frühen Wittwenschaft lebte, konnte wohl die fünf Codes lesen und was man sonst zur Noth noch als Fachmann bewältigen mußte, aber er war trotzdem außer Stande, sich auch nur fünf Minuten in französischer Konversation ohne Herzklopfen zu bewegen. So oft man derlei bei Tische versuchte, verging ihm Hunger und Laune auf einmal.

Mutter und Tochter klatschten wohl noch eine Zeit lang italienisch mit einander. Aber sie mußten merken, daß der junge Gatte von Worten, die er nicht verstand, unangenehm berührt wurde und die Ohren spitzte und Argwohn schöpfte, wo nichts dahinter war. Die Sprache zu lernen, fehlte es dem vielgeplagten, ehrgeizigen Beamten an Zeit und, wie man an seinem Französisch merken konnte, auch an Begabung. So ließen's die Frauen, und die Schwiegermama bequemte sich denn, in ihrer Art mitzudahlen, so gut es ging. Das fand man gewiß im Beginn überaus liebenswürdig und zierlich. Und das freute sie und spornte sie an. Wie man aber anfangen wollte, sie zu belehren, stellte sie sich steif und störrig. Sie wäre kein Schulkind mehr, dem man zwischen Zuckerbrod und Ruthe die Fibel aufpflanzt, sie hätte Ohren am Leibe, um selbst zu hören, wie vernünftige Leute redeten, und wäre dem Schulmeister schon entlaufen gewesen, da die verehrten Anwesenden noch in Windeln gelegen. So zeigte sie sich 9 bei aller Herzensgüte trotzig, wenn's darauf ankam, und bei aller Nachgiebigkeit ungelehrig.

Was indessen den Schulmeister anlangt, von dem sie in solchen Augenblicken des Affekts redete, so hatte er gewiß in ihrem Leben eine verwünscht geringe Rolle gespielt. Und was an der kleinen wunderlichen alten Frau just anzog, war ihre große Natürlichkeit, frei von aller Verbildung, und die angeborene Feinsinnigkeit und Beweglichkeit ihres südlichen Naturells.

Leicht begreift man dabei, daß eine Dame von so mangelhafter Bildung schlechterdings nicht einsah, warum ein vernünftiger, gerade gewachsener Mensch von achtzehn Jahren, aus guter Familie und mit dem ausgesprochenen Beruf zum Soldaten, sich noch immer auf Schulen herumquälen solle, statt je früher je besser für sein späteres Avancement zu sorgen.

Es gab gewiß kein Wesen auf der Welt das weniger lehrhaft gelaunt war, als Nonna Tessa. Und doch fällt mir eben ein, daß Pius etwas bei ihr gelernt hatte, was nicht jeder kann und warum ihn mancher von uns beneidete. Das war seine Aussprache des Italienischen. Er konnte in der süßen Zunge plaudern und singen, daß kein Mensch ihm den Deutschen anmerkte und Jeder darauf schwor, der Mann sei irgendwo zwischen Po und Tiber auf die Welt gekommen.

Ihr werft hier ein, ich hätte nicht die Fähigkeit, das zu beurtheilen. Gewiß nicht! Aber was ich nur empfand, haben Sachverständige mir hinreichend bestätigt.

Nicht nur, daß in unserer Residenz es immer eine kleine Kolonie italienischer Herrschaften gegeben hat, 10 ordentliche Leute, von denen mehrere sogar zu Hofe gingen. Das Regiment traf auch während des ersten Ausmarsches einmal auf ein ganzes Rudel welschen Gesindels, das irgend wie über die Grenze gesprengt worden war und nun sich diesseits weiter trieb, Gott weiß wozu, Gott weiß wodurch. Aber darum hatten wir uns nicht zu kümmern. Ich will nur sagen, daß, wie die vornehmen Gecken daheim, diese Vagabunden im freien Feld Pius, da er zu reden anfing, für einen Landsmann, für einen von jenseits der Berge genommen hatten. Sie drängten sich um ihn, wie Schafe um den Hirten, und ihrer Etliche weinten vor Rührung. Und sie wurden ordentlich böse und hielten es für ein Zeichen der Mißachtung, als man ihnen ausreden wollte, der Mann da sei keiner von den Ihrigen. So täuschend plauderte er mit der welschen Zunge.

Das hatte er von seiner Großmutter gelernt.

Je länger freilich die Unterhaltung dauerte, desto einleuchtender ward es auch den Widerstrebenden, daß sie doch keinen wirklichen Italiener vor sich hatten. Denn Pius beherrschte wohl die Aussprache, jedoch die Sprache nicht. Die gewohnten Phrasen seiner Großmutter waren bald erschöpft und ihr Wortvorrath war wohl überhaupt nie groß gewesen; nun er vollends lang mit deutschem Einschlag war versorgt worden, blieb nicht so viel übrig, um ein paar Stunden einem Dutzend aufgeregter Kerle auf alle Fragen richtigen Bescheid geben zu können.

Je nun! Wir Andern konnten's ganz und gar nicht. Und Pius hatte gewiß Recht, wenn er versicherte, nähm' er sich erst die Zeit und Wörterbuch und Grammatik dazu, 11 so wollt' er in nicht allzulanger Frist der Großmuttersprache ordentlich Herr werden und sie richtig sprechen trotz einem Einheimischen, jedenfalls richtiger, als die Großmutter selber, die tagtäglich ein Bischen von ihrem alten Italienisch verlernte. Die gute Alte!

Es konnte nicht fehlen, daß mehr als ein jüngeres Haupt in der wohlgebornen Familie sich über der ebenso naiven wie ungebildeten Frau hoch erhaben dünkte. Ich selber habe schon gesagt, daß mir nicht Alles lobenswerth war, was sie ihrem einzigen Pius zu Liebe angab. Dennoch hat es mir immer scheinen wollen, als ob die Alte das Herz auf dem rechten Fleck hätte und daß, wenn der Enkel einmal gründlich in die Patsche käme, weder Vater noch Mutter, noch Geschwister ihn so emsig herausarbeiten würden, wie die kleine Greisin mit ihren molligen Händen. Sie hat es oft genug gethan nachher.

Freilich, als es dann Pius wirklich am schlimmsten ging, konnt' ihm ein Weib nicht helfen. Und wo auch war dann die alte gute Nonna Tessa!

Aber dahin war es vor der Hand noch weit und Alles fügte sich nach Pius und seiner Großmutter Wunsch, als im Jahre Neunundfünfzig der große Rummel ausbrach und in keinem Kontingente genug Offiziere waren.

Wir waren zwar, wie Ihr wißt, selber noch nicht in Krieg verwickelt. Aber man hielt den Krieg doch für unausweichbar und rüstete nach Vermögen und in aller Eile.

Studenten und junge Beamte traten haufenweis in die Armee. Und wie nun ein Bekannter nach dem Andern mit zweierlei Tuch in des Hofraths Haus erschien, da war denn endlich auch an Pius kein Halten mehr. Der Vater 12 gab in Gottes Namen nach und kniff von seinem oft wiederholten Grundsatz die letzten zwei oder drei Halbjahre weg. Der Junge trat als Regimentskadet ein und, da wir Leute brauchten und die Vergünstigung für studirte Leute so weit wie möglich ausgedehnt wurde, so war er nach fünf Wochen, als es zum Ausmarsch kam, schon Lieutenant.

Das war ein Jubel! Freilich ein solcher, der mit dem Schmerz des Abschieds Hand in Hand ging. Denn damals glaubte man allgemein, in den nächsten Wochen müßten wir schon in Feindes Land gerathen, und jeder kann sich denken, wie das auf Vater und Mutter und Schwestern und vor Allem auf die Großmutter wirkte.

Nun grollte sie erst recht mit ihrem Schwiegersohne, weil der ihr und dem Jungen erst dann den Herzenswunsch erfüllte, als die Erfüllung die Beiden auch auseinanderriß, so daß die Alte ihre Augenweide kaum im Hausse-col sehen konnte und sofort – vielleicht für immer – von ihr Abschied nehmen mußte. So hatte der Hofrath auch seiner Nachgiebigkeit keinen Dank, wie das meistens der Fall ist.

Pius hielt sich brav und tüchtig. Er war der Liebling des Kommandeurs, seiner Kameraden und bald auch der Mannschaft. Ein Kerl wie er lebte gern und ließ auch gern leben, und wenn schon alle neuen Besen gut kehren, so kam sein Pflichteifer aus voller Ueberzeugung und Freudigkeit. Pius war der geborne Soldat, der Frontoffizier, wie er im Buche steht. Es fehlte ihm nicht an Gelegenheit, sich auszuzeichnen, wie sich beliebt zu machen. Wir freuten uns Alle des tüchtigen Kameraden. Nicht jedes Regiment hatte so vielversprechenden Nachwuchs. 13 Einen leibhaftigen Feind sahen wir diesmal freilich noch nicht. Das kam, wie ihr wißt, erst sieben Jahre später und dann freilich kam's gründlich.

Aber wo war da Pius!

*

Aus dem Kriege war also diesmal nichts geworden, so grimmig wir auch sammt und sonders darauf erpicht gewesen. Dafür schien es unsere oberste Heeresleitung darauf abgesehen zu haben, uns auch im Frieden alle erdenklichen Unannehmlichkeiten des Soldatenstandes so viel als möglich zu Theil werden zu lassen, damit wir doch etwas für unsere Aufregung und unsern Feuereifer hätten.

Tag aus, Tag ein forcirte Märsche, Kampiren und Biwackiren im Freien, im elendesten Wetter ohne Obdach wie ohne Zweck; in aller Hast über Stock und Stein im knietiefen Morast nach einem Hundeloch, wo wir nichts zu suchen hatten, und kaum dort staunend eingerückt, Alarm! und es geht wieder zurück, wie wir hergekommen sind; es war ein Irrthum, der schleunigst wieder gut gemacht werden muß und mit möglichst geringem Verlust an Zeit. Menschen mochten dabei ihrer etliche liegen bleiben unterwegs und Gesundheit und gute Laune durfte Jeder verlieren, so viel er konnte; nur das Einzige, was wir Alle im Ueberfluß hatten, die liebe Zeit, sollte gespart werden. Gespart? Daß Gott erbarm! Gespart, um doch nur auf das Nutzloseste vergeudet zu werden!

Den Ernst an der Sache haben wir Alle erst später kennen gelernt. Damals trieb man ein läppisch Spiel mit 14 uns und meinte, schon was Welthistorisches zu leisten, wenn man Mannschaft und Offiziere kujonnirte und so viele Stiefel und Mägen ruinirte, als nur draufgehen mochten. Die schöne alte Zeit!

Wir sollten so wohl abgehärtet und in etlichen Wochen zu Mustersoldaten geschunden werden. Auch als keine vernünftige Seele mehr an Kriegsgefahr denken konnte, ging das Hin- und Hergeschiebe unserer Truppen noch immer fort. Man hatte Gefallen an der Spielerei gefunden und kam sich dabei im Licht einer europäischen Bedeutung vor, von der man sich zu anderen Zeiten nicht leicht hätte träumen lassen.

Was für Nester habe ich da bewohnt, was für unnennbare Dinge verdaut, was für trostlose ungeheure Langeweile ausgestanden! Wie viele Sünden abgebüßt! Wir vom Leibregimente gar, die wir, außer wenn zu den Manövern ausmarschirt wurde, die Residenz seit Menschengedenken nicht verlassen hatten, wir litten mehr als die anderen, die nur Nest mit Nest vertauschten. Und ich hätte wahrlich es dem Muttersöhnchen Pius nicht übel genommen, wenn er sich in diesem Wetter und an solchen Orten nach den glattgehobelten Bänken seiner trockenen Oberprima zurückgesehnt hätte.

Allein der Sohn des Hofraths hielt sich stramm und froh, und wo wir älteren Offiziere uns zu fluchen und zu räsonniren herausnehmen durften, hielt er sich verpflichtet, nur des Jüngeren unverwüstliche Laune herauszukehren.

Nichtsdestoweniger nahm auch er an dem allgemeinen Aufathmen sein volles Theil, als es endlich mit klingendem Spiel heimwärts ging und die einfältige Plackerei ein 15 Ende hatte und wir in der guten lustigen und bequemen Garnisonstadt die alten Quartiere wiederbezogen.

Es ist kein Wunder, wenn allesammt so thaten, als müßten sie mit doppelter Lebenslust nun einholen, was sie in sechs Monaten draußen versäumt hatten. Man kam den Langersehnten aufmunternd genug entgegen. Und daß die jüngeren und die jüngsten Leute bei aller Lustbarkeit und allem Uebermuth und Unfug vorn dran waren und unter den Jungen und Jüngsten Pius ganz zuvörderst, das versteht sich ja wohl von selber.

Er war nun just über zwanzig, sah schlank, wettergebräunt und keck in die Welt. Hätte ihm der Schnurrbart dichter wachsen wollen, ich glaube, seine Wünsche wären allesammt erfüllt gewesen. Und wahrscheinlich manche nur zu gut.

Ein und anderes Mal gerieth er bald mit Weibern, bald mit Männern ins Gedränge. Mehr als einmal mußte ich als erfahrener Freund den Beistand, den Vertrauten, den Tröster, den Sekundanten, den Elephanten und auch den Sündenbock spielen. Er trieb's toll. Aber es nahm immer ein lustig Ende und hub sofort wieder von Neuem an, womöglich bunter als vordem, wie's eben die liebe Jugend macht. Das ging denn unentwegt so etliche Jahre fort.

Ich kann mich nicht erinnern, daß dem überdurstigen Pius einmal dabei der Athem oder die Laune ausgegangen wäre – das Geld freilich oft genug.

Da gab es dann im Laufe der Jahre ein paar häusliche Szenen, die mir recht peinlich waren – und ich glaube, Piussen auch. Denn er war bei allem Leichtsinn und Humor ein gutherziger Kerl, der Niemand gern kränkte, 16 und den komischen alten Herrn, der sein Vater war, schon gar nicht. Er hörte nicht auf ihn mit dem Kopf, aber er hing an ihm mit dem Herzen.

So lange Großmamachen mit ihren Heimlichkeiten und Ersparnissen auszuhelfen vermochte, blieben die Streiche des Enkels dem Vater undurchdringliche Geheimnisse. Dafür sorgten schon Schwestern und Mutter. Wie sie aber einmal Alle mit einander keinen Ausweg wußten und ein Ausweg eben doch geschafft werden mußte, was blieb übrig, als daß ich, den Alle für des flotten Sünders besten und zuverlässigsten Freund achteten, mich zu dem saueren Gang entschloß und dem Vater zuredete, die Augen und freilich auch die Kasse weiter aufzumachen.

Des Hofraths Kasse war keineswegs aus der Fabrik, in welcher die Höhle Sesams oder das Oelkrüglein der Wittwe von Sarepta war gefertigt worden, wie der richtige Vater meines Freundes sie eigentlich hätte haben müssen.

Er und seine Frau hatten nicht eben ohne Vermögen geheirathet, aber das waren so Vermögen aus alter Zeit gewesen, die beide zusammengelegt noch lange keinen Reichthum geben.

Die Bezüge des Beamten waren auch nach damaligen Begriffen ganz anständige. Allein seine Stellung brachte es mit sich, daß er gewissermaßen ein Haus machte und seiner Würde gemäß lebte und, was wichtiger ist, er hatte neben seinem Söhnchen Pius noch vier Töchter, von denen damals erst eine glücklich an Mann gebracht worden war.

Lauter Dinge, deren der Bursch im soldatischen Leichtsinn nicht dachte, der Alte jedoch in seiner beamtenhaften Schwermuth um so mehr. 17

Ich lernte bei dieser Gelegenheit in dem Hofrath einen ganz anderen Mann kennen, als ich ihn mir bisher, obschon ich ihn bald zehn Jahre lang kannte, vorgestellt hatte. Unter dem stillen, zugeknöpften Aeußeren stak mehr Leidenschaft verborgen, als man dachte; ein ungezügelter Ehrgeiz und ein peinliches, fast ängstliches Ehrgefühl; unter der Schlafmütze, die er nicht selten zu tragen schien, saß ein wacher Kopf, der zu buchen und zu rechnen und in die Zukunft vorauszusehen verstand und die Seinen, einen wie den andern, auf Herz und Nieren geprüft kannte.

Mit einer anderen Hochachtung wahrlich nahm ich die Klinke seines Zimmers beim Scheiden in die Hand, als da ich zum Eintritt geklopft hatte.

Ob eines von den sieben Familiengliedern, die mich drüben erwarteten, eine rechte Ahnung davon hatte, was das da drinnen für ein Mann war, der mit den grauen Haaren und den grauen Schreibärmeln, – mir kamen sie damals nicht so vor. Die Frauen waren, sich die Mühe zu nehmen, wohl schon zu alt, die Mädchen noch zu jung. Und Pius?

Du meine Güte. Der hatte nur den einen Gedanken: Glücklich gerettet! Er fiel mir um den Hals, kneipte sein Großmütterchen sanft und flüchtig ins Ohrläppchen und stürmte zur Thür hinaus mit verdoppelter Heiterkeit; an mich, den Vater, unsere Sorgen und seine Kasse dachte er gewiß nicht mehr, als die Flur an die Wolke, wenn der Regen vorüber ist.

Und wir waren Alle froh, daß die Sache so glimpflich und so glatt abgegangen war. 18

Peinlicher ward mirs, als ich, nach kaum Jahresfrist, zum zweiten Male den Herrn Hofrath anbohren mußte. Ich sträubte mich anfangs allen Ernstes vor der abermaligen Zumuthung. Aber sie betrachteten mich nun einmal sammt und sonders wie etwa den militärischen Vormund des blonden Springinsfeld. Und nachdem Alles überlegt war, gab ich ihnen selber Recht, daß es besser, ich biß noch einmal in den saueren Apfel, als daß ein Dritter, der dem Hause nicht so nahe stand, erst in die Verhältnisse eingeweiht wurde, die mir schon so geläufig waren.

Auch war ich dem Vater als Mittelsperson und Hausfreund nicht mehr überraschend.

Er hielt was auf mich. Man glaubte damals allgemein, daß ich – aber das sei unter uns gesagt – daß ich Pius Schwager werden würde, wenn ich nur erst die Kompagnie kommandirte.

Und man hatte ein gutes Recht, das zu glauben, denn ich, die Hand aufs Herz, glaubte das Nämliche.

Der Hofrath machte merkwürdiger Weise bei dieser zweiten Unterredung weniger Umstände, wie bei der ersten im vorigen Jahre.

Ich hätte fast gewünscht, er hätte mehr gesprochen und ein Stück gescholten. Diese geschäftsmäßige Stille, dieses selbstverständliche Dulden und Opfern hatte – besonders unter den Umständen, wie ich sie kannte – etwas Ungemüthliches, und selbst für mich Unbetheiligten etwas Demüthigendes.

Darum erklärte ich auch meinem unbändigen Kumpan gleich beim nächsten Begegnen, daß er sich im Wiederholungsfall um einen anderen Narren umsehen möge, der ihm die gebratenen Kastanien aus solchem Feuer hole. 19

Freilich, was sagt und betheuert man nicht Alles, und wenn Noth am Mann ist und der Freund in einen dringt und nebenan noch ein Paar Augen, die man lieb hat, einen so gewiß ansehen, und drei Paar andere Hände sich falten – man seufzt und geht hin und thut ihnen den Willen, ob man's auch vorher verschworen hätte.

Was auch wäre das für Freundschaft, die nur in Annehmlichkeit sich bewährte. Wer schwach ist, braucht des Freundes; wer sich stark fühlt und auf der ganzen langen Linie triumphirt, der kann Beistandes entrathen.

Und so ward mir's auch nicht erspart, den saueren Gang zum dritten Mal zu machen.

Ich schämte mich selber, für mich und den Anderen.

Er hatte jedoch diesmal lange auf seine Zumuthung warten lassen. Drittehalb Jahre waren fast seit dem zweiten Besuch verflossen. – Ich war leider (oder soll ich jetzt Gott sei Dank sagen?) ich war noch immer nicht Kompagnie-Chef – und ich hatte mir, wenn ich Pius' Wirthschaften und Hetzen betrachtete, oft genug den Kopf darüber zerbrochen, mit was für Holz er denn die Lokomotive heize. Es scheint, daß Nonna Tessa in irgend einem Schatullenwinkelchen was altes Kostbares ausgekratzt und zu Gelde gemacht haben mußte. Jedenfalls war das Resultat der Bemühungen meines lebenslustigen Kameraden, nachdem es so lang aufgeschoben worden war, dem entsprechend um so überraschender, will sagen die Summe seiner Schulden um so beträchtlicher.

Ich selbst konnte nicht umhin, die allenfallsige Entrüstung des Alten redlich theilen zu wollen.

Der empfing mich mit einem unbehaglichen Lächeln, 20 bot mir mit freundlicher Hand einen Stuhl und sagte – es klang entsetzlich gelassen –: »Ich habe Ihren werthen Besuch lang erwartet.«

Dann schloß er etliche Schrankthüren auf und vor meinen Sitz zurückkehrend fuhr er halblaut und langsam fort: »Hier die Summe – Sie sehen, ich hielt sie schon bereit – und hier meine Bücher!«

Mit einer Offenherzigkeit und Genauigkeit, die meine Hochachtung vor dem ernsten Manne nur erhöhten, legte derselbe mir nun in einleuchtenden Ziffern dar, daß er für Pius Erziehung, Ausrüstung, insbesondere für seiner Schulden Deckung nach und nach, bis auf einen geringen Rest, so viel ausgegeben habe, als der Antheil seines Sohnes an seinem zu hinterlassenden Vermögen belaufen würde, wenn der Vater morgen die Augen schlösse.

Mehr auf ihn zu verwenden, als auf die anderen Kinder, sei in keiner Hinsicht gerechtfertigt. Denn einestheils verdiente der Lieutenant durch sein Betragen gewiß keine Bevortheilung und hieß es nur seinen Leichtsinn ermuntern, je mehr man in dies Faß ohne Boden würfe, und anderentheils seien seine übrigen Kinder Töchter, die schon als solche nicht benachtheiligt werden dürften.

Ich begriff das Alles sehr wohl und saß trotz meines Selbstgefühls und meiner treuen Dienstjahre recht kleinlaut vor dem Mann, der also schloß:

»Ich habe meinen Damen zu Liebe auf Pius Schicksal weniger Einfluß genommen, als ich vielleicht unter anderen Umständen gesollt hätte. Allein ich kannte seine Art. Ich wußte, daß es fruchtlos sein würde, ihn nach rechts zu biegen, wo alles Andere ihn links zu wenden trachtete. 21 Er hatte seinen Willen. In Gottes Namen! Aber Sie sehen, verehrter Freund, es war etwas kostspielig. Ich bin ohne Murren so weit mit meinen Mitteln mitgegangen, als diese reichten. Es ist nicht meine Schuld, daß sie so früh zu Ende gingen. Aber reichten selbige auch weiter, sie würden nicht so weit wie Pius Leichtsinn reichen. Heute oder später, ist in diesem Fall fast einerlei. Unser Herrchen läßt das Licht herunterbrennen, so lang eben der Docht ist. Es hat für mich nichts Ueberraschendes. Aber sagen Sie ihm nun, daß die Kerze zu schanden gebrannt ist und daß ich außer Stande bin, ihm eine zweite aufzustecken.

»Ich bitte Sie, ihm das allen Ernstes zu sagen. Er wird es Ihnen lieber und leichter glauben als mir. Er pflegt den grollenden Alten auf die leichte Achsel zu nehmen. Sie haben meine Bücher gesehen, nicht wahr? Geben Sie ihm einen deutlichen Begriff davon, ohne Uebertreibung, ohne Beschönigung. Ich bin gutmüthig, bin zuweilen schwach; ich weiß das; aber eben darum bin ich auch in allen Stücken, die ich als unabänderlich und pflichtgeboten erachte, unerbittlich.

»Sie glauben das, Pius weiß es.«

»Wenn nicht, um so schlimmer für ihn! Ich kann nichts mehr für ihn thun und werde es nicht. Lehren Sie ihn seine und der Seinen Lage begreifen. Der kleine Rest, der hier noch zu seinen Gunsten verzeichnet – ein Sümmchen, kaum der Rede werth – bleibt für ihn unantastbar, als Sparpfennig für unvorhergesehenen Fall. Er kann schwer erkranken, er kann bei einem ausbrechenden Kriege einiges zu besonderer Ausrüstung brauchen, er kann eine 22 wichtige Reise unternehmen oder sich vielleicht auch um eine passende Partie bemühen wollen – für solchen oder ähnlichen Fall sei ihm der karge Rest dessen, was ihm ohne seine leichtfertige Verschwendung zugekommen wäre, aufgespart. Er hat das Andere vor der Zeit aufgezehrt. Er mag's zufrieden sein. Ich will kein Wort über die traurige Sache weiter verlieren. Hier steht's gebucht. Aber ich erkläre auch Ihnen, daß ich für Schulden meines Sohnes keinen Heller mehr gebe!«

Der Alte, welcher die letzten Worte mit einer Erhebung der Stimme gesprochen hatte, die bei dem sonst so stillen und zugeknöpften Herrn doppelt ernsthaft und überzeugend klang, reichte mir nun, wie wenn er die Härte seiner Worte für den Unschuldigen, zu welchem er sie hatte sprechen müssen, versüßen möchte, recht freundlich die Hand.

Wie ich diese faßte, versprach ich ihm, Alles, was in meinen Kräften als Freund und Kamerad stünde, zu thun, um Pius ins Gewissen zu reden und ihn zu vernünftigerem Thun und Lassen zu bringen.

Und wißt Ihr, daß mir dies Vorhaben rascher und leichter gelang, als ich mir je hätte träumen lassen?

Pius hatte ein gewisses nüchternes Verständniß für positive Thatsachen. Als ich ihm mit dem Einmaleins in der Hand darlegte, daß es mit dem blinden Durchgehen ein Ende haben müsse, daß die Kerze seines Vermögens heruntergebrannt und sein alter Herr außer Willen und außer Stande sei, ihm eine neue aufzustecken, da sagte der prächtige Kerl weiter nichts, als: »Wirklich, schon alle?! . . . Dummer Narr, der ich war! Nun wollen wir Kehrt machen und den Esel nicht weiter spielen.« 23

Von dem Augenblick an war Pius – ein anderer Mensch? Bewahre Gott! Er war und blieb die alte fidele Haut, die überall hin gute Laune mitbrachte. Aber er war der alte lustige Bruder ohne Unsinn, ohne Verschwendung, ohne Uebermuth.

Eine immerhin recht merkliche Veränderung, Ihr könnt mir's glauben. Und man merkte sie wie im Regiment so auch in der Familie. Aber Niemand hatte was dagegen. Erst später hört' ich, daß, wenn der Herr Lieutenant nicht gerade zur rechten Zeit in sich gegangen wäre, von Oben herunter sich ein Donnerwetter auf ihn entladen wollte, das er nicht so leicht abgeschüttelt hätte wie den Regen ein Pudelhund.

Nun mußte sich das angesammelte Gewölk aus dem Gipfel des Regiments verziehen, ohne einzuschlagen. So war doppelter Gewinn bei Pius Verhalten.

Ich gewann den Menschen von diesem Ruck in seiner Laufbahn nur noch viel lieber als vordem und wurde noch vertrauter, als ich schon immer mit ihm gewesen.

Da erfuhr ich denn freilich, daß die überraschende Wandlung in seiner Lebensführung und noch mehr die schöne Beharrlichkeit auf dem besseren Wege nicht so fast die Frucht meines Zuredens und Vorstellens war, sondern daß der Keim zu dieser heilsamen Pflanze schon in ihn gelegt war, da wir noch an die üppige Blüthe seiner Sünden glauben zu müssen meinten.

Wer diese Wandlung eigentlich zu Stande gebracht? Nun, das ist wohl ohne Kopfzerbrechen zu errathen. Wer anders als die leidige Liebe!

Pius war jetzt über 24 Jahr alt. Er hatte 24 Anwandlungen von Ernsthaftigkeit, von Grundsätzen, von Melancholie. Ein Weilchen dacht' ich, daß es Heimweh nach seiner unsinnigen verschwenderischen Vergangenheit wäre. Jedoch der nächste Augenblick, das nächste Wort überzeugten einen Kerl wie mich, der manche Remonte zugeritten und manchen Rekruten gedrillt, wo hier Glück und Schaden beisammen staken.

Ihr habt doch den Oberstlieutenant von Süßenberg gekannt? den nachherigen Generalmajor? Nun und wer den nicht kannte, der kannte doch gewiß seinen Bruder, den ehemaligen Staatsminister von Süßenberg. Den kennt jedes Kind. Stolze Leute, die auch einigen Grund dazu haben. Sie legen sich wie eine der ältesten Familien aus und haben bei mehr als einer Veranlassung den Freiherrnstand, der ihnen leicht zu haben war, von der Hand gelehnt, um im einfachen Adelsstande zu bleiben. Das giebt so eine gewisse Vornehmheit des ererbten Krönchens.

Der Urgroßvater war zwar noch ein Bürgerlicher und ein Bräumeister dazu gewesen, was thut das; ich kann mir vorstellen, wie den anderen Süßenbergern jedesmal, da sie die Baronie bei schicklicher Gelegenheit zu erbitten unterließen, nicht anders zu Muthe war, als wüchse ihrem Adel ein Jahrhundert zu.

Uebrigens, wie schon gesagt, Leute von wirklichem Verdienst, wenigstens der älteste Bruder.

Dieser, der Staatsminister, hatte also eine Nichte, der Oberstlieutenant eine Tochter. Nur Eine hatte er.

Ganz richtig! Die nachmalige Frau von Sametz. Eben dieselbe!

Damals so ein blasses, blondes, überschlankes Wesen. 25 Just so ein Frauenbildchen, wie sie sich Lüdriane auf der Umkehr zum Verlieben auszusuchen pflegen, mit ziemlich niedergeschlagenen Augen, ziemlich gekniffenen Lippen und ziemlich steifer Haltung, daß ihnen nur ein Lilienstengel, ein Paar Flügel und etwas Glanzfirniß zu fehlen scheinen, so würde man sie für einen aus Holz geschnitzten Engel halten.

Nicht mein Geschmack just, aber Gott sei davor, Einem in Geschmacksachen etwas drein zu reden und gar einem Kerl wie Pius einer. Wir waren schon froh, daß er sich überhaupt eine Passion ausgesucht hatte, die nur auf einem ganz anderen Wege zu finden gewesen war, als seine bisherigen Liebeleien. Und wir lobten Gott den Herrn, der den Thunichtgut mit so schneeweißem, weichen Netze zu seiner Heerde wieder eingefangen hatte.

Zudem war die Süßenberg, was man so eine gute Partie nannte; der Schwiegersohn des Oberstlieutenants, der Neffe des Ministers würde schwerlich als ewiger Lieutenant sterben, das war voraus zu sagen.

Besonders vermöglich war die Familie nicht und wenn ich den Hofrath recht verstand in seiner schweigsamen Weise, so war er über die Aussicht, sich demnächst mit den Süßenbergern zu liiren, ebenso wenig entzückt, als er vordem von den argen Streichen seines Pius überrascht worden war. Er sagte nichts dawider, nichts dafür, und wenn je ein übereifriger Freund ihm eine Frage nach solcher Verbindung aufdrängte, so antwortete der alte Herr ebenso vorsichtig als höflich, daß ihm von einer offiziellen Verlobung noch nichts bekannt geworden sei. Damit waren alle weiteren Redensarten abgeschnitten. 26

Um so eifriger wurde Ada von Süßenberg von Pius Mutter und Schwestern gefeiert. Nie hatte nach dieser Meinung ein weibliches Wesen soviel Herzensgüte, geraden Verstand und liebenswürdige Eigenschaften besessen, als dies blaßblonde Fräulein, das sich allen Ernstes dazu verstehen zu wollen schien, meines Lieutenants guter Engel zu werden.

Pius blaue Augen funkelten nur so, wenn er Mutter und Schwestern das Lob seiner Auserwählten singen hörte, während aus ihren zierlichen emsigen Fingern allerhand kleine Geschenke und Aufmerksamkeiten für die zukünftige Schwiegertochter und Schwägerin hervorwuchsen.

Die alte Nonna Tessa guckte und horchte in das ganze Treiben mehr verwundert, als entzückt. Wenn sie den Enkel ansah, der so über die Maßen froh war, lachte sie mit oder fuhr ihm auch gelegentlich mit einem theilnahmvollen Worte, wie »anima poveretta« oder »ragazzino mio!« sanft über das Kraushaar. Indessen schwieg sie mehr als sonst, schaute bald den Einen, bald den Andern mit großen Augen, wie eine Fragende, an und machte mir jedesmal dabei den Eindruck, als ob sie nicht recht verstände, was denn eigentlich Großes los wäre und worüber sie sich denn in der Familie gar so freuten.

Ich selbst hatte mir über Ada von Süßenberg kein rechtes Urtheil gebildet. Ich lernte sie in der Freude über Pius Wandlung zum Guten kennen und ein Strahl dieser Freude verklärte das Fräulein wohl vor meinen Blicken. Wir führten ein angenehmes Gespräch, wie es einem Offizier mit der Tochter eines Offiziers leicht wird und trotz allenfallsiger gelungener Unterhaltung für die geistigen 27 Fähigkeiten des Einen wie der Andern gleich wenig beweist. Diese Kinder des Regiments sind ihrem Ehrgeiz und ihrer Phantasie nach alle Soldaten, sie haben den Klatsch des ganzen Armeekorps an den fünf Fingern abzuhaspeln und die stehenden Redensarten der Garnison sind ihnen geläufiger als Unsereinem. Aus frischem rosigen Mädchenmunde hört sich das Alles immer wieder herzgewinnend an und man kann eine halbe Stunde, kann einen ganzen Abend mit so einem kleinen »Kameraden« in weißem Mull und Blumen in den Haaren verplaudern, ohne recht zu merken, daß Keiner dem Andern was gesagt und zu sagen hat, was der nicht selber auswendig wüßte, und wie lange schon!

Uebrigens gingen uns Andere Geist und Gaben der Tochter des Oberstlieutenants wenig an, wenn Pius damit zufrieden war. Und der strahlte nur so von Glück und brachte seine Huldigungen mit einer ritterlichen Beflissenheit, einer leidenschaftlichen Bravour zu Füßen seiner Braut, daß für die Freunde etwas Rührendes in dieser Werbung eines tüchtigen Degens lag und die ganze Stadt eine Weile von nichts Anderem sprach, als daß der Sohn des Hofraths über kurz oder lang die Nichte des Staatministers heimführen werde.

In eitel Freude ging so der Winter hin und der Frühling folgte demselben mit gleichen Vergnügungen und gleichen Hoffnungen. Das junge Volk schwamm in süßem Jubel.

An dem alten Hofrath, der seit den letzten Jahren, ich wußte selbst nicht warum, mir immer ernsthafter erschien als andern Leuten, an dem alten Hofrath allein bemerkte 28 ich keine Veränderung, als daß er sich ein Paar neue Schreibärmel gekauft und ein Paar graue Haare mehr hatte wachsen lassen – diesmal aber wohl nicht ob seines Sohnes Gebahren.

Um Brautschaften, die er nicht für offiziell erklärt achtete, kümmerte er sich nach wie vor gleich wenig, zum großen Verdruß aller Mitglieder seiner und der anderen Familie.

Um so freundlicher nahmen die Süßenberger das anmuthige Liebesopfer auf, das aus Pius brennendem Herzen stieg und von so viel hilfreichen Händen genährt wurde.

Der Lieutenant verbrachte nachgerade jeden Abend im Hause des Oberstlieutenants oder des Ministers, und waren diese ausgebeten, so verstand es sich ganz von selbst, daß Pius an denselben Ort geladen werden mußte. Wenn ich oder einer der Kameraden meinen Freund um den Tag der Verlobung fragte, so zuckte dieser zwar die Achseln, aber er lächelte dazu, und nicht etwa sauersüß, sondern wie die Glücklichen lächeln, die das Beste, was sie wissen, nicht gern Andern auf die Nase binden.

Da ich selber nicht nur an Pius meinen Narren gefressen hatte, sondern an seiner Schwester noch einen weit größeren, so konnte es nicht fehlen, daß ich mir, wie die Frühlingstage sich dehnten, allerhand Gedanken von Zukunft und Glück machte, die ich mit dem, was ich für Pius Glück hielt, anmuthig in Verbindung zu bringen suchte.

Das übliche Maiavancement hatte sich über Gebühr dies Jahr verzögert. Wir warteten von einem Tag auf den andern auf dessen Veröffentlichung. Es gingen allerhand Gerüchte. Seltsame darunter. Ich hatte es aber 29 ziemlich sicher, diesmal zum Kommandanten vorzurücken, daß mir nicht bange werden sollte.

Was heißt bange! Ich erinnere mich, in keiner Lage des Lebens so ein drückendes Gefühl hier herum empfunden zu haben, wie damals, als ich jeden Morgen nach der neuen Rangliste fragte, um, wenn ich sie erst in Händen hielte, abermals bei Pius Vater anzuklopfen, diesmal aber in einer eigenen und freundlicheren Angelegenheit.

Ich hatte mir's schon ganz zurecht gedacht, wie wir Beide an einem Tag und vor demselben Altar uns mit unsern Schätzen trauen lassen wollten, treue Schwäger und Freunde, Kapitän und Lieutenant.

In der begreiflichen Aufregung, in der ich selber war, merkt' ich vielleicht in diesen Tagen nicht, daß in des Hofraths Haus etwas vorgegangen war, das seinen Damen die Gesichter verzog. Oder wenn ich es merkte, so bezog ich es auf mich, dessen Beförderung und endgiltige Erklärung meiner Erwählten und deren Anverwandten zu lang ausblieb.

Da hatten wir eines schönen Morgens die langersehnte Rangliste in den Händen.

Und bald darauf unsere Patente. Gott verzeih mir's, ich hätte das meine dem Spender am liebsten vor die Füße geworfen. Ich war zum Hauptmann befördert. O ja, aber – ich hätte heute Mühe, Euch mein damaliges Erstaunen, meine rechtmäßige Entrüstung zu schildern – nicht in dem Regimente, in welchem ich von der Pike auf gedient hatte, nicht in meinem, nicht im Leibregimente.

Mir kam diese Beförderung fast wie eine Strafe, sicher wie eine Maßregelung vor. Ein Oberlieutenant vom 30 Garderegimente dünkte sich nicht geringeres als ein Hauptmann von der Linie. Und nun gar dies Regiment mit der Unglücksziffer, mit dem abscheulichen Kragen, der mir nicht zu Gesicht stand, und mit der Garnison unter Pfeffersäcken, Wollballen und Theertonnen, wo der Handel die erste Flöte spielte, der Offizier nichts galt und Katzen und Hunde sich gute Nacht sagten.

Etliche Kameraden, besonders die von Adel pflichteten meiner Entrüstung vollständig bei; andere, was so die Streber um jeden Preis waren, verstanden sie wieder gar nicht; mir selber ging vor Allem der eine Gedanke nicht aus dem Kopf, daß ich der Tochter des Hofraths, die von Kindesbeinen an in der Residenz gelebt hatte und dort gefeiert worden war, nicht zumuthen konnte, mit mir nach jenem Grenzneste zu ziehen und sich dort ein Heim zu gründen, welches in meinen Augen doch nur ein provisorisches sein konnte. Denn da ich ein strammer und pünktlicher Gardist gewesen und mein Gewissen mit keinem Verstoß gegen irgend wen oder irgend was belastet war, so war ich außer Stande, an eine bleibende Verbannung in diese Strafgarnison zu glauben.

Ich wollte vor Allem meiner Zukünftigen und ihrem Vater vorlegen, was ich auf dem Herzen fühlte, und diese Beiden selbst darüber entscheiden lassen, ob die nächste Zukunft meine freundlichsten Hoffnungen verwirklichen sollte oder nicht.

Ich ging dahin in großem Zorn.

Fand aber im Hause des Hofraths die Ohren wenig geneigt, auf meinen Vortrag zu hören, und vor Allen das Mädchen, welches ich liebte, weit mehr mit dem Schicksal 31 ihres Bruders als mit dem eigenen, will sagen mit dem meinigen, beschäftigt.

Was war denn los?

Pius war in ein anderes Regiment versetzt worden.

Und in welches?

In das nämliche mit der Unglücksziffer und dem häßlichen Kragen. Also machen wir die Reise zusammen und feiern zusammen unsern Einzug in das neue Regiment!

Dasselbe kam mir auf einmal gar nicht mehr so abschreckend vor. Wenn der Bruder sich dort heimisch machen mußte, dann durft' ich ja schon eher der Schwester zumuthen, dort selbst ein Gleiches an meiner tapferen Hand zu versuchen. Wie mir im eigenen Aerger nur die Versetzung des Kameraden hatte entgehen können! Wie kann doch Eigensucht den Menschen verblenden! Nun, und weiter war nichts los? fragte ich aufgeräumter, als ich gekommen war. Ist das der ganze Kummer?

Aber ich ward aus den verbissenen Antworten der Frauen nicht klug. Meine jähe Heiterkeit klang durchaus nicht mit der sie beherrschenden Stimmung zusammen. Ich sah es ein und anderem Augenpaar an, daß hier geweint worden war, und sah die Großmutter den Andern abgewandt in einer Ecke sitzen und leise murmelnd die Lippen bewegen, als kochte sie einen Zauber gar, der irgend Jemand schlimm bekommen sollte.

Ich meinte, nichts besseres thun zu können, als zum Hofrath hinüberzugehen und mich mit dem verehrten Mann zu benehmen, der so leicht nicht den Kopf verlor.

Ich fand ihn in seinem Stuhle sitzend in ein Buch 32 vertieft. Er merkte beim eifrigen Lesen gar nicht gleich, daß einer bei ihm eingetreten war.

Als er dann aufblickte, begrüßte er mich mit einer kurzen freundlichen Handbewegung und hieß mich zu ihm sitzen, mit nicht mehr Erregung oder Verstimmung, als etwa täglich an ihm zu beobachten war.

»Ihre Damen sind ja über die Versetzung Ihres Sohnes in großer Betrübniß« . . . fing ich an.

»Nicht so fast wegen der Versetzung,« antwortete der Hofrath, den Zeigefinger zwischen die eben gelesenen Zeilen seines Buches legend und den Rücken des Einbandes mit der andern Hand streichelnd.

»Verzeihen Sie meiner Theilnahme, Herr Hofrath . . . . Ich weiß nicht . . . . was sonst im Stande sein könnte, diesen Himmel zu trüben.«

»Was sonst?« wiederholte der Hofrath; es war einen Augenblick, als lächelte er. Aber genauer beobachtend, fand ich, daß das eine Täuschung war und daß der Mann im Gegentheil sehr ernsthaft dreinsah. »Sie haben mich gezwungen, zu dem Oberstlieutenant zu gehen und bei ihm für meinen Pius um die Hand seiner Tochter anzuhalten.«

»Nun, und haben Sie sich dessen geweigert?« fragte ich erstaunt, denn an ein anderes Mißlingen dieser Zumuthung konnte ich nach der Art, wie die beiden jungen Leute und ihre Familien mit einander in Beziehung getreten waren, nicht glauben.

»Mich geweigert?« sagte der Hofrath fast erstaunt. »Mit Nichten! was auch hätte das geholfen! Wenn die Weiber ihren Kopf einmal auf eine Sache setzen . . . .«

»Nun, und?« 33

»Und ich that ihnen den Willen und sprach mit dem Herrn Oberstlieutenant und ich sagte ihm, daß es mir eine große Ehre wäre u. s. w., aber ich mußte ihm auch sagen, was ich Ihnen vor einiger Zeit gesagt hatte, als ich Ihnen meine Bücher gezeigt. Ich konnte doch unmöglich leugnen, daß mein Sohn kein Vermögen mehr besäße, ich konnte unmöglich zugeben, daß ich um seinetwillen seine Schwestern benachtheiligen würde. Der Erfolg fiel genau so aus, wie ich ihn vorausgesehen hatte von dem Tag an, da die ganze Verliebtheit sich mir bekannt gegeben. Es thut mir leid um meinen armen Jungen. Aber er ißt nun eben aus, was er sich selber eingebrockt hat.«

»Es ist doch nicht möglich, daß Süßenberg sich darum in seinem Wohlwollen gegen Pius ändere, weil . . .«

Ich blieb in meinem Einwurf stecken. Das seltsam traurige Lächeln auf den Lippen des Hofraths ließ mich nicht weiter reden. Welch' bittere Erfahrungen mußte der Mann gemacht haben, der so lächelte. Achselzuckend sprach er:

»Warum nicht? Pius kann aus eigenen Mitteln die Kaution nicht stellen, die er als Offizier zur Verheirathung braucht.«

»Pius! warum soll denn Pius?« rief ich. »Mag doch die Braut sie stellen! Die Süßenberg sind wohlhabend genug dazu.«

»Wer weiß!« versetzte der Vater. »Thatsache ist, daß sie keine Lust dazu bezeigen . . . Glauben Sie mir, aus der Geschichte wird nichts. Pius hat den Bescheid bereits deutlich genug. Und da Leute, wie der Oberstlieutenant und schon gar der alte Staatsminister nichts halb thun, so haben sie höheren Orts gleich dafür gesorgt, daß mein Junge dem Fräulein 34 aus den Augen geräumt werde. Dort in der neuen Garnison wird Ada den einst Geliebten sicher nicht suchen, und daß Pius keinen Urlaub erhält, so lange die Süßenberger einen solchen aus herzenspolizeilichen Gründen nicht wünschen dürfen, darauf können Sie sich verlassen.«

»Aber die jungen Leute lieben sich wirklich,« rief ich dazwischen.

»Jeder in seiner Art!« sagte der Alte leise. »Die Race kenn' ich und bin beruhigt, daß Fräulein Ada nicht an gebrochenem Herzen sterben wird. Mein armer Junge –«

Der Hofrath mußte etwas auf seinem Schreibtisch verlegt haben. Er kramte mit den Händen darauf herum und schien das Weitersprechen zu vergessen. Wenn ich ihn recht verstand, so durfte ich ihm jetzt wie zum Troste sagen: »Und mich schicken sie auch in dieselbe schöne Stadt . . .«

Nun stand der alte Herr kerzengrade vor mir und reichte mir die Hand. »Entschuldigen Sie, Herr Kapitän, daß ich es unterließ, Ihnen zur Beförderung Glück zu wünschen. Mir geht so allerhand durch den Kopf und die neue Garnison wird allerdings weniger erwünscht sein, als die neue Charge. Je nun, vielleicht verdanken Sie diese kleine Aufmerksamkeit den guten Beziehungen zu meinem Hause. Oder vielleicht hatte man für Pius noch so viel – Liebe, daß man ihm einen verlässigen Freund mit auf die Reise geben wollte. Ich bin außer Stande, das zu beurtheilen. Aber ich gestehe Ihnen gern, daß ich etwas wie Trost in dem Gedanken finde, Sie, gerade Sie in Pius Nähe zu wissen – obschon es sich mir nicht verhehlen will, daß jetzt weder Freund noch Vater im Stande sind, das abzuwenden, was kommen soll und muß . . . Ach Gott!« 35

Ich hatte den sonst so festverschlossenen Menschen noch niemals seufzen hören. Wie er aber jetzt so recht aus Herzensgrund stöhnte, das geliebte Buch weit in den Tisch hineinwarf und die Augen mit beiden Händen verhüllte, ergriff mich dieser unwillkürliche Ausbruch tiefer Empfindung nicht gering.

Was ich unter anderen Umständen nie für schicklich gehalten hätte, ich erlaubte mir, ihm begütigend die Schulter zu berühren, und es kam aus ächter Besorgniß, wenn ich sagte: »Schonen Sie sich, Herr Hofrath. Fühlen Sie sich unwohl?«

»Aengstigen Sie sich nicht um mich, lieber Hauptmann,« sprach er darauf und schon wieder in demselben leisen ernsthaften Ton, in dem er sonst immer zu sprechen pflegte, und mit demselben nachdenklichen Blick, der Einem noch mehr als Worte sagte. »Ich fühle mich frisch und gesund. Und ich fürchte, ich werde Manchen überdauern, der heute noch viel vor mir voraus zu haben glaubt. Aber das kommt eben, wie's muß . . . Verzeihen Sie mir diese Redensarten. Es ist der Narren Amt und Gepflogenheit, die Zukunft zu deuten. Vergessen Sie meine letzten unbedachten Worte. Ich freue mich, daß Pius nicht ohne Freund und Anhalt in die fremde Stadt zieht. Ich freue mich aufrichtig.«

Er schüttelte mir die Hände, sah aber dabei seitwärts über die Hände weg in den Schreibtisch. Ich hatte das Gefühl, daß ich ihn nun allein lassen und daß ich ganz gewiß in diesem unglücklichen Augenblick nicht von anderen und eigenen Angelegenheiten mit ihm reden sollte.

Es drängte mich dafür um so mehr nach dem Mädchen. 36 Mit dem wollt ich nun reden. Gute Gesinnung beflügelte meinen Schritt; ich dachte mir's schön, daß durch mich in die verdüsterte Familie wieder ein Strahl der Freude gelangen sollte.

Wie wenn sie mich erwartet hätte, traf ich die Schwester Pius, die mir damals lieber als alle übrigen Frauenzimmer unter Gottes Sonne war, allein. Ich bat sie, mir Gehör zu schenken und sie nickte bejahend.

»Fräulein Eva,« sprach ich, »es ist heut ein böser Tag in Ihrem Hause. Wollen Sie mir helfen, ihn mit etwas Freude aufzumuntern?«

Die schönen grauen Augen, die sie vom Vater hatte, hefteten sich fragend auf meine Lippen. Das gute Kind verstand meine Absicht noch nicht.

»Gerade herausgefragt!« fuhr ich fort, »Die eine Heirath, welche in Ihrer Familie erwartet wurde, wird nun nicht stattfinden. Aber die andere . . . Ich bin Kapitän und Kompagnie-Chef geworden, Fräulein Eva. Wollen Sie Hand in Hand mit mir, zu Vater und Mutter hinüber gehen, daß wir sie fragen, wann die andere Hochzeit . . . die unsrige stattfinden soll?«

Evchen zuckte zusammen und sah mich lang und liebevoll an, bis ihr die beiden Augen voll Wasser standen. Sie hatte Mühe, ein Wort zu finden. Und ehe sie eines auszusprechen vermochte, gab sie mir stumm die Antwort mit schüttelndem Haupte.

»Tausend Dank!« sagte sie dann. »Aber heute nicht. Wie schlecht stände uns heute Glück und Freude, wo mein armer Bruder . . . Mir thut das Herz weh, wenn ich an ihn denke. Und wenn wir zweie, mein liebster bester 37 Hauptmann, wenn Sie und ich einmal Bräutigam und Braut werden, dann will ich mich so recht aus ganzem Herzen freuen dürfen. Und die Anderen sollen sich dann mit mir freuen. So will ich's. Und so gehört sich's auch. Heute würde Keiner recht auf uns hören, und ob sie sich freuen möchten, steht auch dahin. Wir haben unseren Pius Alle zu lieb. Und ehe Sie um mich in aller Form anhalten, muß auch noch ein ander Ding geregelt sein.«

Ich war nicht wenig neugierig zu hören, was denn das für eine geheimnißvolle Angelegenheit sei.

»Wir drei Schwestern, wir wollen nicht, daß Pius um unsertwegen in seinem Glück verkürzt würde. Wir sagen's dem Vater, daß wir unser Vermögen gern um so viel verringert haben wollen, als Pius braucht, um diejenige Frau heimzuführen, die er liebt. Er ist der Sohn und Stammhalter der Familie. Es ist Unsinn, daß er nicht was Besonderes vor uns unnützen Mädchen voraushaben soll. Sehen Sie nicht so bärbeißig drein, mein Herr Hauptmann! Der Aufschub unseres Glücks ist ein geringer. Ich weiß, was ich weiß; Ada läßt nicht von Pius. Da können die Herren Väter aufstellen, was sie mögen. Die Zweie halten fest zusammen. Die Anderen müssen alle nachgeben. Es kann nicht lange währen. Und dann . . . dann, Hauptmann, kommen Sie wieder und dann geb' ich Ihnen die Hand, so wie jetzt, aber dann gehen wir miteinander hinüber zu Papa und Mama und Sie sagen . . . was wir Beide auf den Herzen haben . . . und . . . und wir werden sehr glücklich sein . . . Ja, sehr glücklich. Aber heut' ging' es nicht an. Heute noch nicht.«

Wieder standen ihr die Augen voll Wasser. Sie 38 grüßte hastig mit den Fingerspitzen am Munde. Dann lief sie aus der Stube, mich allein lassend, als fürchtete sie sich vor sich selber und daß ihr schwesterlicher Vorsatz dem Zureden des Bräutigams auf die Dauer nicht Stand halten würde.

Wie oft im späteren Leben habe ich an diese Minuten denken müssen, da die Geliebte selbst die Erfüllung gleichgehegter Wünsche verzögerte, vereitelte.

Ich habe Evchen nie wieder gesprochen.

*

Jeder von Euch wird mir glauben, daß Pius in dieser Verfassung des Gemüths kein angenehmer Reisegesellschafter war, und daß ich in den ersten Tagen unseres Aufenthalts in der neuen Garnison meine liebe Noth mit ihm hatte.

Auch er war der Zuversicht voll, daß ihm Ada unverloren sei und die Verzögerung seines Glücks nur eine lächerliche Quälerei ohne rechten Zweck und Erfolg. Welche Lobreden auf die schöne Süßenbergerin habe ich in diesen peinlichen Stunden nicht mit anhören müssen. Meine größte Sorge war, daß er mir in seiner unbändigen Sehnsucht eines Nachts davongehen und in die Residenzstadt desertiren werde. Aber dafür war er doch ein zu guter Soldat. Auch hielt ich ihn beim Ehrgeiz zurück. Der Vater und der Minister hatten ihm nicht eben allzu zierlich aufgespielt. Gegen die beiden Alten spuckte er Gift und Galle.

Nachdem Ada's Erzeuger sich die Einsicht in Pius 39 Vermögensumstände geholt hatte, ließ der Staatsminister ihn eines Tages zu sich bitten. Er bat ihn schlankweg, die Besuche in seines Bruders Haus einzustellen. Sie kompromittirten ein Mädchen, dessen Zukunft man ihm doch nicht anvertrauen könnte. Und warum nicht? Weil man erst jetzt in Erfahrung gebracht, welch ein leichtsinnig Leben er bis vor kurzen Monaten noch geführt hätte. Solch ein verschwenderischer Sinn, solch ein Uebermuth und Unbedacht böten keine Bürgschaft für dauerndes Lebensglück und ernsthafte Führung eines theueren Kindes.

Aber seit Pius das theuere Kind kannte und liebte, war er ja in sich gegangen und lebte tadellos.

Schott gut! Die Probezeit war doch zu kurz. Indessen er sollte nur auf dem Wege der Tugend verharren und Beweise geben, daß seine Wandlung von Bestand sei, wer weiß, was dann . . . Ja wohl! . . . Vielleicht! . . . Pius sei ja noch so jung! Sie seien Beide noch so jung. Wer weiß, was nicht noch Alles werden möge. Jedoch vor der Hand hieß es, geduldig und ein Mann sein und die Zukunft einer jungen Dame nicht kompromittiren, die unter gegenwärtigen Umständen von der Ehre, seine Frau zu werden, abstehen müsse. Und kurz und gut, es schätzten ihn Alle gar sehr, aber er sollte seine Besuche im Hause des Bruders einstellen.

Die Versetzung in das andere Regiment folgte jener Ermahnung auf dem Fuße.

Alle Schock Schwerenoth und die Faust im Sack halfen nicht, es hieß gehorchen. Und zwar ohne Verzug. Ein Abschiedsbesuch, den der Lieutenant, allen Vettern und Onkeln der Welt zum Trotz, gewagt, ward nicht 40 vorgelassen. Vor einem zweiten Besuch waren die Süßenberg sicher. Dafür sorgte der Armeebefehl.

Wir Beide platzten in das fremde Regiment hinein zu unserer und der neuen Kameraden Ueberraschung. Aber wir wurden mit Auszeichnung empfangen, die Herren hielten dort gut zusammen und wir fanden uns bald behaglicher und heimischer, als wir erwartet hatten. Pius freilich weniger als ich. Und das war ebenso begreiflich, wie verzeihlich.

Er ging umher, wie wenn er einen geheizten Ofen im Leibe hätte. Wer an ihn stieß, konnte sich leicht die Finger verbrennen. Da ich das wußte und er zudem mit keinem Andern davon reden wollte, wovon er doch den ganzen Tag reden mußte, so schieden wir bei Tag und Nacht nicht mehr von einander, als es der Dienst befahl.

Mir summten die Ohren von seinen Litaneien.

Die Alten, ja die ganze Stadt, sollten sich wundern! Ada war nicht von jenen Puppen, die mit sich machen ließen, was man wollte. Hier war noch wahre Liebe und Treue bis in den Tod und was weiß ich, was noch!

Dies Poltern und Betheuern ging denn auch unvermindert fort, bis eines Morgens die Post ein zierlich Briefchen vor meinem Freunde Pius ablegte, darinnen das wohlgeborne Fräulein Ada von Süßenberg ihren verehrten Herrn Lieutenant nun auch ihrerseits höflich ersuchte, seine Bemühungen, die bei den bekannten Gesinnungen ihres Vaters und Oheims fruchtlos und fast beleidigend seien, einzustellen. Mit herzlicher Betrübniß bedauerte sie die Verirrung, welcher ihre Gedanken eine kurze Zeit lang gefolgt seien. Aber so schön noch manchmal die 41 Erinnerung an leider eitle Hoffnungen ihr scheinen werde, Wirklichkeit und Vernunft sprächen ein gebieterisches Nein und, wäre dem auch nicht so, sie habe gelernt, blindlings zu gehorchen, und ihr Gehorsam sei ihr Stolz.

Herz, was begehrst du mehr?!

Nun, Pius Herz begehrte zunächst, alles Erreichbare kurz und klein zu schlagen, dann hielt er das Ganze für Spiegelfechterei und Betrug, dann sprach er davon, sich oder die Falsche oder Beide zugleich und noch einen beliebigen Dritten vor den Kopf zu schießen, und endlich wollt' er auf und davon, um, wie er ging und stand, dem Mädchen Aug' in Auge die Frage vorzulegen, ob, was es geschrieben, ihm auch von Herzen komme und ernsthaft zu nehmen sei.

Ich hatte glücklicherweise ein Mittel gefunden, allen diesen angenehmen Vorsätzen vorzubeugen. Ich legte den schönen Schreibebrief vor ihn hin, und so oft er toll werden wollte, las ich ihm denselben mit einer mädchenhaft wohlerzogenen Betonung vor, deren ich als jüngster Hauptmann eben noch fähig war. Und in diesem Kunststück erreichte ich eine solche Virtuosität durch öftere Wiederholung, daß ich nur anzufangen brauchte, und Pius beschwor mich, nicht in dem abscheulichen Texte fortzufahren; er wolle lieber gut thun.

Gut thun! was er so hieß. Mancher hätte vielleicht einen unfreundlicheren Namen für unser Gebahren gesunden. Allein ich konnt' es ihm nicht verübeln, daß er sich ab und zu ein wenig zu betäuben suchte. Es ist nun einmal so bei gewissen Naturen, daß man einen Teufel nur durch den anderen austreibt. Wenn nur von zwei Uebeln dabei das kleinste gewählt wird, darf man schon zufrieden sein. 42

Da ich selbst, nicht in dem Maße zwar wie Freund Pius, doch aber immerhin auch an aufgezwungener Entsagung litt, so brauchte auch ich Trost und Zerstreuung und leistete meinem armen Kameraden treulich Gesellschaft.

So konnt' ich verhindern, daß er wieder mit dem Gelde toll umsprang. Sowie er zu solchem Unfug Lust bezeigte, mahnt' ich ihn an den Vater. Und meine Mahnung wirkte und noch mehr der Vorwurf seines eigenen Herzens, der ihm sagte: Hätt' ich mein Theil nicht zum Fenster hinausgeworfen, ich wäre jetzt glücklich.

Indessen tröstete er sich über den Entgang des gerade verlorenen Glückes wirklich. Daß das Mädchen, an welches er mit einer schwärmerischen Zuversicht geglaubt, seine guten Gedanken so kleinlich zu Schanden gemacht hatte, daß in dem ausgeblassten Engel, den er vergöttert, so gar keine Spur von Festigkeit und Treue sich erwiesen, daß der ganze Liebesroman, in welchem er in den erhabensten und beseligendsten Gefühlen geschwelgt hatte, wie eine dumme Farce ausging, in der alle Welt die alltäglichsten Grimassen machte und er allein zugleich der einzig Anständige und der einzig Gefoppte war – das warf in sein Herz solche Bitterniß, daß kein Restchen alter Liebe mehr daneben bestehen konnte.

Sowie sich Erinnerung in ihm regte, steinigte er sie, so zu sagen, mit Verachtung zu Tode. Wenn er von Ada ja noch sprach, so geschah es, wie man vom Kleinlichen und Erbärmlichen spricht. Er übertrieb in Empfindung und Ausdruck. Aber zu verargen war es ihm nicht und ich hörte das lieber, als wenn er sich etwa noch in unaustilgbarer Zärtlichkeit nach diesem Bildchen ohne Gnade 43 zurückgesehnt hätte. War mir doch auch durch diese holde Brut mein erstes Herzensglück verdorben und dieses Regiment und diese Garnison geworden.

In Garnison und Regiment fanden wir uns aber, wie schon gesagt, besser, als wir's damals Wort haben wollten.

Ich hatte nur immer zu bedauern, daß Pius, voll des Grausens, das er sich an Süßenberg's Excellenzen geholt, durchaus keinen Geschmack mehr an der sogenannten guten Gesellschaft finden wollte.

Und doch wimmelte die Stadt von ehrbaren und wohlhabenden Leuten, die sich ein Vergnügen daraus machten, uns zu empfangen und zu bewirthen.

Die Stadt liegt, wie Ihr wißt, am Zusammenfluß zweier Ströme und treibt ihren Zwischenhandel bis ans Meer. Viel Reichthum und solide Wohlhabenheit wohnen dort bei einander, und wenn auch meist der Vetter die Muhme freit, damit der liebe Geldsack »up ewig ungedeelt« in der Familie bleibe, so ist es doch auch schon oft genug vorgekommen, daß ein schmucker Offizier sich dort ein reiches Bräutchen geholt hat, das er anderswo kaum und in der Residenz am allerschwierigsten gekriegt hätte.

Wäre Pius irgend bei vernünftiger Laune gewesen, ein bildhübscher flotter Kerl wie er, von guter Familie, mit seinen geselligen Talenten und seinem einschmeichelnden Geplauder, ihm wäre es dort ein Leichtes gewesen, sich in der Erbtochter eines dieser Pfeffersäcke einen Ersatz für die verlorene Süßenbergerin zu gewinnen, daß seinen Widersachern daheim die Augen hätten übergehen und der gehorsamen Ada einige Haare aus dem blonden Zopf fallen sollen. 44

Und wenn er das nicht wollte, da waren hübsche und kokette Frauen genug, die sich während der Börsen- und Comptoirstunden ihrer Männer grimmig langweilten, und andere harmlose Damen, die nur gern tanzten und plauderten und lachten, und Herren, die feine Diners gaben, Pferde hielten und Jagden veranstalteten.

Man glaubt gar nicht, was sich gerade in einer für langweilig verschrieenen Stadt die Leute manchmal für Mühe geben, diesen Ruf nicht zu verdienen.

Freilich hält sich dies löbliche Streben meist nur in der obersten Schichte; jedoch wir Offiziere vom Regiment waren gesuchte Leute, spielten die Aristokratie am Ort, der fast keine andere hatte, und ließen uns verwöhnen.

Aber Pius, der sonst an allen diesen Scherzen nur zu viel Freude hatte, war nicht mehr in Familien zu schleppen. Er parirte jede solche Zumuthung mit der Erinnerung an die Süßenbergischen Excellenzen. Und da es nicht mein Beruf war, gerade diese Erinnerungen in dem Gemüthe meines Freundes zu pflegen, so ließ ich ihn denn nach und nach unangefochten seiner Wege gehen.

Was mich dabei am meisten ärgerte, war, daß er sich fast mehr als an die Offiziere des eigenen Regiments an die des Pionierbataillons hielt und halten mußte, da, wie gesagt, die eigentlichen Kameraden in der Gesellschaft lebten. Die Pioniere besuchten diese Kreise nicht, oder wenigstens nur in Ausnahmen. Sie galten gleichsam für eine mindere Sorte von Offizieren, und obgleich ich, wie Ihr denken könnt, himmelweit davon entfernt bin, diesen tapferen Helden irgend etwas Nachtheiliges aufmutzen zu wollen – gesellschaftlich betrachtet, waren sie nicht gleichwerthig mit uns. 45

Derbe Fachleute, die viel zu thun und schwer zu arbeiten hatten, den langen lieben Tag im Wasser herumpatschten und bauten und kahnten und maßen und im Schmutz gruben und sich Wunder was auf ihr Handwerken einbildeten. Dementsprechend waren ihre Vergnügungen nicht nach unserem Geschmack und ihre Art sich zu erholen etwas ungeschlacht und nicht eben wählerisch.

Vielleicht spricht hier der Korpsgeist aus mir, aber ich kann dafür nicht, auch hatte ich wenig Gelegenheit, mit den Herren genauer bekannt zu werden, da wir uns selten in Gesellschaft trafen.

Wenn man den Pionieren nun auch in den Salons der Banquiers und der großen Kaufleute der Oberstadt kaum begegnete, so waren sie dafür in der Unterstadt, die an den Flüssen gelegen, die populärsten Gestalten.

Für die Proletarier, welche sie Tag aus, Tag ein mit dem Strom, der jene ernährte, mit den Uferbauten, die ihre Häuser schützten, mit Brückenschlagen, Tiefenmessen, Ausbaggerungen und allerhand solchen Hantirungen beschäftigt sahen, von deren Nothwendigkeit oder Nützlichkeit sie leicht zu überzeugen, waren die Pioniere die einzig berechtigten Soldaten auf der Welt. Ihre Offiziere konnten in jedes Bürgerhaus unbekannt eintreten und begegneten freundlichem Gruß und Willkomm; ihre Mannschaft beherrschte die Straßen der Unterstadt in einer Weise, daß wir unseren Leuten den Besuch der dort gelegenen Kneipen und Tanzböden zuweilen untersagen mußten, und wenn sie neue Rekruten einstellten, zog die Jugend der Vorstadt hinter ihnen mit Jubel und Gesang drein, als käme der Zuwachs in die eigene Familie. 46

Was ging das uns an! Aber was fand Pius an den Pionieren so Anziehendes?

Wenn ich ihn zur Rede stellte – und ich hielt das für kameradschaftliche Pflicht – so antwortete der Lieutenant trocken, mit den Leuten vom eigenen Regiment wäre ja nichts anzufangen, wir lägen jeden Abend in einem anderen Salon herum. Er sei nicht auf der Suche nach einer Mitgift, das Süßholzraspeln wäre ihm verleidet und ein Salon sähe, auf die Menschen hin betrachtet, genau so aus wie der andere.

Es war zum ersten Mal, daß ich an meinem Pius ein Abweichen von der strengen, ungeschriebenen Regel des Offiziers bemerkte. Es wäre vor einem Vierteljahr noch nicht denkbar gewesen, daß er den Kreis seines Regimentes so auffallend vernachlässigte und außer demselben lebte. Und schon daran konnt' ich erkennen, welch einen tiefen Ruck die Seele meines braven Kameraden durch die verwünschte Geschichte mit der Süßenberg bekommen hatte.

Er zeigte für Alles, was die Pioniere trieben, auf einmal ein ganz einfältiges Interesse. Wenn der Dienst ihn freigab, machte er ihre Märsche mit. Ich glaube, wenn er die Freiheit dazu gehabt hätte, er wäre mir nichts dir nichts bei dem Regiment eingetreten.

Ich brauchte nicht lange zu suchen, um zu finden, daß der Mensch, mit welchem er am liebsten verkehrte, ein Hauptmann Alexander war. Ein mastiger, breitspuriger Geselle mit einem rostfarbenen Schnauzbart, wie der Schwanz eines Eichkätzchens – meiner da ist Flaum dagegen – und ein paar Augen, wie ein Luchs, ein derb zugreifender Herr, der mit seinen guten Stiefeln 47 unverfroren durch jeden Sumpf zu gehen bereit war, inwendig vielleicht ein guter Kerl, für meinen Pius aber gewiß nicht die richtige Gesellschaft.

Die Beiden fanden viel Gefallen aneinander. Ich sah das begreiflicher Weise nicht mit Vergnügen. Aber ich hielt es unter meiner Würde, mit einem Pionier in Freundschaft zu wetteifern und wartete ruhig ab, wie lange diese Intimität wohl dauern möchte.

Ich konnte das um so leichter abwarten, als ich bald hörte, der Hauptmann sei zu bestimmten Diensten abkommandirt und werde die Garnison demnächst und für längere Zeit verlassen.

Wie wünscht' ich den Tag herbei, da er je früher desto lieber sein Bündel schnürte. Bald darauf konnt' ich nur wünschen, daß er nie gegangen wäre! –

»Bruderherz,« sprach eines Tages der Hauptmann Alexander zum Lieutenant Pius, »Du bist ein Kerl, der Deutsch versteht. Du wirst mir einen Stein vom Herzen nehmen.«

»Wenn's geht . . . warum nicht!« versetzte dieser.

Und Jener lachte, daß die Zähne unter seinem Eichkatzenschweif sichtbar wurden, obschon's ihm in den Augen gar nicht lächerlich schien: »Du nimmst ihn einfach in Deine zwei Arme.«

»Den Stein?« fragte Pius lachend.

»Dir wird sich der Stein schon erweichen, wie jenem Dings da in der griechischen Mythologie. Aber lassen wir die Possen. Mir ist's ernsthaft zu Muthe . . . Du kennst die Röse von den drei Linden . . .^

»Der Teufel auch!« versetzte Pius und drehte als ein 48 Zeichen seiner Anerkennung an seinem kargen blonden Schnurrbart.

»Nun also,« fuhr der Pionier fort; fand aber weiter die rechten Worte nicht gleich und drehte nun auch, aber aus Verlegenheit, an den Borsten unter seiner Nase.

Pius half ihm.

»Nimmst Du sie denn nicht mit?«

»Kein Gedanke! Keine Möglichkeit! Wir werden monatelang auf freiem Felde liegen. Wir kriegen zu thun, daß wir nicht aus noch ein wissen werden. Hier handelt sich's um die Ehre. Zu Allotrien ist kein Platz. Ich will mit Ehren bestehn . . . Aber, alle Sentimentalität bei Seite, es geht mir gegen den Strich, das Mädel so vis-à-vis de rien zurückzulassen. Ich bin ein armer Teufel; ich kann sie nicht mit Geld sicher stellen und, könnt' ich es, das hielte doch nicht vor gegen andere Anfechtungen. Sie war mir lieb, was hilft das! solche Verhältnisse schließt man nicht für die Ewigkeit.«

Es entstand eine kleine Pause, wie wenn Hauptmann Alexander auf eine Antwort seines Freundes wartete. Da keine solche von dem Nachdenklichen laut wurde, fuhr er fort:

»Ich bin nicht der Narr, der da Veilchen pflücken will, wo nur Kirschen wachsen. Was sollen Sentiments an dieser Stelle! Allein es wäre mir ein peinlicher Gedanke, die kleine Person allen Wechselfällen preisgegeben zu wissen. Mag sie sich um meinetwillen trösten; das soll sie . . . aber mit einem anständigen Kerl. Ich möchte sagen, wie es im Studentenliede heißt:

Such' Dir nur einen Buhlen neu,
Doch sei er flott gleich mir und treu. 49

»Und weil wir nun schon einmal beim Citiren sind, so sag' ich zu Dir, meinem Freunde, wie Egmont zum Oranien von seinem Clärchen sagte: Du wirst sie nicht verachten, weil sie mein war.«

Pius nahm die Mütze und meinte, der Pionierhauptmann sollte mit ihm gehen.

»Wohin?« fragte dieser.

»Zu den drei Linden!« sagte Pius mit einem ernsthaften Gesicht, als biss' er in einen sauren Apfel aus Pflichtgefühl der Freundschaft.

»Ei, so ist's nicht gemeint!« versetzte, sich den Säbel um den Leib schnallend, Alexander. »Geh hin und diene von der Pike auf. Allein und wie aus eigenem Antrieb. Kämst Du mit mir und mit diesem redenden Gesicht, sie wiese sicher uns Beiden die Thür. Röse hat ihren eigenen Kopf und will gewonnen, nicht genommen sein. Da sie sich aber über den alten Schatz erbost, weil er sie nicht mitführen kann, und sich in Gedanken noch mehr an dem Einfall erbosen möchte, wie er darauf käme, sie mit in die Wildniß zu nehmen, da endlich am richtigen Tage für erboste Leute Untreue einen gewissen Reiz hat und Dir der Teufel im Leibe spukt, so geh' Du nur allein hin. Ich glaube, Du wirst Glück haben!«

»Erst sehen!« sagte Pius.

Mit der Gelassenheit war es ihm aber nicht Ernst. Als er den Hauptmann nun allein ließ, war's nicht das erste Mal, daß er sich nach den drei Linden auf den Weg begab. Schon vordem hatte er mir gestanden, daß die schwarze Röse einen fühlbaren Eindruck auf seine Sinne gemacht. Ich für mein Theil war nicht abgeneigt zu 50 glauben, daß bei der Freundschaft, welche den Lieutenant mit dem Hauptmann verband, das Wohlgefallen an der Geliebten des Letzteren von Anfang an einen gewissen Antheil hatte. Nicht, daß ich darum behaupten wollte, die beiden jungen Leute hätten noch vorher mit einander sich verständigt und dem wilden Gatten, schon eh' er geschieden, Hörner aufgesetzt; aber jedenfalls waren ihre Herzen für neue Ereignisse günstig vorbereitet, und Pius wünschte den Abzug Alexanders vielleicht ebenso sehnlich heran, wie ich wenn auch aus verschiedenen Gründen.

Nun denn, eines schönen Abends betranken sich die Herren Offiziere von den Pionieren noch deutlicher als gewöhnlich, und am anderen Morgen marschirte der ebenso ehrgeizige wie besorgte Hauptmann zum Thore hinaus.

Er schied getröstet. Röse war versorgt und besser, als sie verdiente.

*

Ich habe es nie begriffen, mit welcher Raschheit, ich möchte sagen, mit welchem Ingrimm sich der sonst so wählerische Pius in das Mädel vergaffte, von dem er doch genau wußte, daß sie sozusagen die Wittwe eines noch Lebenden sei, der nie ihr Gatte gewesen war. Es schien, als thät' er es sich selbst und aller Welt zum Possen, und wär' ihm gerade wohl dabei, weil es so war und ganz anders, als er es sich vor etlichen Monaten mit dem Glück noch ausgedacht hatte.

Er verbiß sich in diese Leidenschaft mit einer Wuth, als hätte er nur darauf gelauert, der Gelegenheit zu 51 begegnen, den Erinnerungen seines Herzens diesen Widerpart aufzulegen.

Ein Menschenkenner belehrte mich einmal, daß ein Mannesherz nie empfänglicher für neue Leidenschaft, als wenn eine frühere noch nicht in diesem Herzen verraucht, und daß scheidende Liebe der sicherste Vermittler für kommende sei. Einmal kalt geworden und an die Kälte gewöhnt, ist es nicht so leicht, sich wieder zu erwärmen: aber so lange seine Wände noch von scheidender Hitze glühen, fürchtet das arme Herz die Kälte, die ihm droht, und verschlingt den neuen Brand mit Begierde.

Es mag wohl so sein! Jedenfalls ist das Menschenherz eine wunderliche Maschine. Und das meines Pius vollends blieb mir oft genug unerklärlich, obwohl ich ihn besser kannte, denn leicht ein Anderer.

Daß einer indessen an besagter Röse sein Gefallen fand, gehörte noch nicht zu den unbegreiflichen Vorkommnissen. Nur daß er sich sogleich über Kopf und Ohren in den Satan stürzte, war überflüssig. Ich habe doch auch mein Tag allerhand mit Gott Amour ausgefochten, aber wozu der Lärm dabei! Und warum gleich ganz den Verstand verlieren? Es geht doch Alles auch ohne den Aufwand, sollte man meinen.

Eh' ich so recht in das Verhältniß hineinsah, war mir's eigentlich gleichgiltig, mit wem Pius seine Zeit todtschlug. Meine Augen fanden die Röse jedenfalls ergötzlicher, als weiland Ada von Süßenberg. Da war nichts hölzern, nichts gefirnißt, nichts angequält. Eine Zigeunernatur. Und wenn sie's d'rauf anlegte – und sie erlaubte sich manchmal den Spaß – machte sie auch unsereinem 52 das Hirn drehen. Aber sie hatte uns nur zum Narren. Auch sie hatte sich gründlich in meinen schlanken Freund vergafft und wenn sie ihm, unter ihrem buschigen Stirnhaar hervor, Augen in Augen bohrte, sah man wohl, daß ihr das wilde Herz durch die Wimpern guckte.

Wer sie eigentlich war? das weiß der Teufel. Ich habe schon gesagt, es war viel Reichthum in der Stadt, und man konnte eine und die andere Dame kennen lernen, deren Existenzmittel nicht dem ersten Besten gleich klar wurden. In ihrem Paß war Röse als Schauspielerin bezeichnet. Aber mit der Truppe, die damals in der Stadt Vorstellungen gab, stand sie nicht im geringsten Zusammenhang. Auch sprach sie nie von einer anderen Schaubühne, so wie es sonst Betheiligte gar nicht lassen können. Und überhaupt handhabte sie die Sprache gar nicht wie Jemand, der irgendwie einmal sich ihrer als Werkzeug seines Berufs bedient hat.

Ich habe mich, trotz ihres Racekopfes, nie lange mit ihr unterhalten können. Für's Erste habe ich überhaupt keine zwingende Schwäche für Frauenzimmer, welche notorisch in einen Andern verliebt sind, und für's Zweite erschien mir die kleine Person in längerem Gespräche geistlos und sogar etwas brutal. Ich gehöre nun einmal zu den Menschen, welche sich nur in guter Gesellschaft wohl befinden. Der ganze Zauberkreis, den Ihr die Halbwelt nennt, übt auf mich keinen Zwang. Die Leute darin finde ich dumm und unartig, und die es nicht sind, stellen sich so. Ich mag mich vertraulicher nur mit Leuten einlassen, die mir einen gewissen Grad von Achtung abnöthigen. Ihr könnt das meinetwegen Eitelkeit nennen. Aber ich 53 gehöre nun einmal zu den Empfindlichen, die nicht gern so rasch die Handschuhe abziehen.

Ich hätte mich übrigens darauf köpfen lassen, daß auch Pius nicht immer in Behagen und Wonne schwamm und mit aller Leidenschaft und Liebe aus dem Wildfang nichts Anderes machen konnte, als er eben war.

Pius sah nicht aus, wie einer, der sich amüsirt. Ein trotziges, aufgeregtes Wesen war in ihm, das ihn innerlich von uns Allen schied. Er mochte wohl empfinden, daß man dies allzu ernsthaft unterhaltene Verhältniß nicht billige, und mit dieser Empfindung geberdete er sich so, als fragte er Jeden: »Geht es Dich was an, wenn ich treibe, was mir gefällt? oder hat vielleicht einer von Euch mir etwas zu bieten, was mehr werth ist, so will ich ihm in's Gesicht lachen!«

Er war nun einmal mit einem weiblichen Wesen eng liirt und gleich kam der Ehrgeiz, der Trotz, der Eigensinn dazu und redeten ihm ein, wie er zeigen müßte, daß er im Stande wäre, ein Weib an sich zu fesseln. Und wenn die geringer geschätzte Dirne bessere Treue hielt als das gebildete Kind vornehmer Eltern, um so schlimmer für dieses.

Ich scheute mich natürlich nicht, ihm eines Tages, da mir der Scherz zu lange währte, meine Meinung zu sagen.

Seine ganze Antwort war: »Laß doch! Das war mein Schicksal! Die Andern wollten es ja nicht anders!«

Nun, so ließ ich ihn denn. Ich war weder sein Vormund noch sein Vater. Und wär ich's gewesen, hätte mir's auch nichts geholfen.

Im Uebrigen war er nach wie vor tadellos im Dienst, gefällig gegen seine Kameraden und gutmüthig gegen die 54 Mannschaft. Auch war von Schuldenmachen nichts zu merken; im Gegentheil schien es, als hielte er seine Groschen vernünftiger zusammen denn je vorher.

Röse gehörte nicht zu den geräuschvollen Frauenzimmern. Sie schien es zufrieden, wenn ihr Geliebter treu blieb und seine freien Stunden mit Niemand Anderem zubrachte. Sie ging fast nie aus und saß den langen lieben Tag in ihrer Giebelstube zu den drei Linden und nähte und strickte und guckte über die hurtigen Finger weg nach dem breitwogenden Strom oder auf die lange Straße, bis Pius blaue Mütze unter den Köpfen im Gewühl auftauchte. Dann sprang sie jäh vom Schemel auf und stand schon an der Thür, noch eh' er zu pochen brauchte.

Ich weiß nicht, ob das immer so ihre Weise gewesen war. Es gab Kameraden, die das Gegentheil behaupteten und die sie in Saus und Braus kennen gelernt haben wollten. Auf solche Nachrede darf man indessen nicht zu viel geben. Und wenn sie sich wirklich erst Pius zu Liebe zu Eingezogenheit und Sparsamkeit bequemte, darum war sie gewiß nicht zu schelten.

Vielleicht streckte sie sich nur nach der Decke. Wäre Pius ein reicher Kerl gewesen, hätte sie vielleicht all sein Geld mit Anmuth zum Fenster hinausgeworfen und dazu gelacht. Da er selber das Seinige schon verthan hatte und nicht mehr über die Stränge schlagen durfte, setzte sie was drein, an Genauigkeit ein Beispiel zu geben und ihm jedenfalls die Möglichkeit zu benehmen, daß er sie eines Tages aus dem gewöhnlichen Grunde verließ, weil er für sie nicht mehr reich genug sei.

Sie wirthschaftete denn auch für ihn wie eine 55 Hausfrau. Er behielt wohl noch anstandshalber seine Stube und speiste auch zuweilen im Kasino mit uns. Aber wenn man unter Tags einmal in Dienstsachen nach ihm zu senden hatte, so wußte man ganz genau, wo anders als daheim man ihn suchen mußte, und fand ihn auch regelmäßig.

Der Bodensatz im Kelch dieser Freuden schmeckte selbstverständlich bitter. Das Bewußtsein, sich unter seiner Würde aufzuhalten, konnte Pius nicht verlassen. Er sprach nicht wie ein Verliebter und sah nicht aus wie ein Glücklicher. Da aber Keiner von uns im Stande war, ihn glücklicher zu machen, als er war, so ließen wir ihn gewähren, wie er wollte.

So mochte dies verwünschte Verhältniß in aller Stille an die drei Monate gedauert haben, da war eines Tages der Hauptmann Alexander wieder in der Stadt. Ich könnte heute wirklich nicht mehr genau sagen, ob er wieder zurückkommandirt worden war oder ob er nur auf Urlaub und Besuch sich dort umtrieb, es ist auch gleichgiltig. Aber ich sehe ihn noch am Strande stehen, die Mütze hinter'm Ohr, die kurze Korporalspfeife unter dem Schnurrbart, die Hände in den Taschen, die Hosen in den Stiefeln, die Beine ausgegrätscht, den Sarras auf dem Pflaster und rund herum Theerjacken und Rheder, denen er mit trotziger Stimme gesalzene Schnurren zum Besten gab, untermischt mit den Thaten seines Ruhmes und den Abenteuern seiner Reise.

Sie lachten, daß die Schiffsjungen vom Bord und die Lastträger am Ufer mit neidischen Augen nach dem Quai herausguckten, wo ihre Herren und Gebieter sich um den wohlbeleibten Erzähler drängten. Ja das war ein lustiger Kumpan, der Hauptmann Alexander. Und je länger er's trieb, desto mehr lachten die Leute. 56

Auch Pius freute sich nicht wenig, als er des Hauptmanns ansichtig wurde. Und kaum gefunden, staken sie auch wieder den Tag über beisammen. Der Lieutenant kriegte ordentlich ein frischeres Wesen und seine Züge heiterten sich zusehends auf, wenn er mit dem fidelen Kerl über die Straßen ging.

Daß die Beiden wegen Rösens eine Verdrießlichkeit oder gar eine Auseinandersetzung mit einander gehabt hätten, habe ich nie gehört. Es dünkt mich auch gar nicht wahrscheinlich.

Man mag über den derben Gesellen denken, wie man will, in gewissen Stücken sprach er wie ein vernünftiger Mensch, der Land und Leute kennt, und auch darin hatte er recht, wo keine Sentiments hingehörten, trug er keine hin.

Ich selber brachte in seiner Gegenwart das Gespräch auf die schwarzbraune Maid bei den drei Linden und hörte ihn Pius abkanzeln, daß er sich viel zu weit mit dem hübschen Ding eingelassen. Solche Bündnisse schließe man nicht für die Ewigkeit, nicht für's Leben. Wenn einer ein Zelt aufschlüge, mauerte er den Grund nicht aus, wie wenn er ein Haus bauen wollte.

Pius hob nur die Achseln und gab keine Antwort.

Der Hauptmann lachte. Er mochte fühlen, daß ihm Vorwurf und Ermahnung nicht recht zu Gesicht ständen. Und so beschloß er lachend mit derbem Fingerzeig: »ich hätte gute Lust, Euch praktisch auseinander zu treiben!«

Pius warf ihm einen Blick voll Geringschätzung zu, als wollt' er sagen: das versuche Du einmal! Deine Zeit ist um!

Wie die Jugend war er seiner Ueberlegenheit sicher, 57 und wie ein unverdorbenes Herz vertraute er unbedingt, wo er liebte.

Trotzdem schien mir's in der nächstfolgenden Zeit, als ob er seine Geliebte etwas vernachlässigte. Schon der häufige Verkehr mit dem Hauptmann brachte das mit sich, daß er nicht mehr viele Stunden, geschweige gar die ganze Freiheit, die ihm der Dienst ließ, in den drei Linden versäumen konnte. Doch darüber, wie sich diese Freundschaft und diese Liebe in meines Pius Muße theilen möchten, darüber zerbrach ich mir den Kopf nicht. Nur des Hauptmanns letzte Aeußerung ging mir nach, denn gerade dem Kerl traute ich's zu, der überflüssigen Wirthschaft den Garaus zu machen.

Darum hielt ich mich an ihn, als ich ihn das nächste Mal traf. Wir waren ja beide Freunde eines Freundes und so gleichsam mittelbar mit einander vertraut.

Ich erinnerte ihn auch gleich an seine jüngst ausgesprochene Absicht und verhehlte nicht, daß ich mich freuen würde, wäre sie schon ausgeführt.

»Eine dumme Geschichte!« versetzte mir mein Kamerad von den Pionieren. »Aber Pius läßt jetzt nicht luck. Der hält wie ein Bulldog aus purer Rage fest. Sonst haben sie Beide nichts mehr aneinander und könnten unverkürzt auseinandergehen, lieber heut als morgen. Und was die Kleine betrifft, die hat's auch Wort, daß der Honigmond um ist und Pius ihr nicht taugt.«

Ich erstaunte darüber und verhehlte das nicht.

»Sie glauben, ich schwadronirte, Herr Kamerad?« entgegnete mir Jener. »Nun denn, halten Sie mich für einen Gecken, wenn ich vielleicht danach aussehe. Ich glaub' es 58 zwar nicht. Aber daß mir die Kleine nachläuft, wo sie mich findet, davon können Sie sich überzeugen, wann Sie wollen.«

Ich mochte in diesem Augenblick ein ähnliches Gesicht schneiden, wie der Lieutenant eins geschnitten, als der bärbeißige Pionier ihm mit seiner lustigen Praxis gedroht hatte. Denn Alexander nahm mein Schweigen ziemlich verdrossen hin.

»Beliebt es meinem Herrn Kameraden, mich zu begleiten?« sagte er und es klang herausfordernd genug, daß ich mich nicht weigern mochte.

Wir strichen so die Straßen entlang und redeten von gleichgiltigen Dingen. Auf einmal blieb der Kamerad von den Pionieren vor einem schmalen Hause stehen, stellte sich in Positur und ersuchte mich, einzutreten. Er wohne hier.

Ich bat ihn vorauszugehen, um mir den Weg zu zeigen. Er willfahrte höflich, aber lächelnd.

»Dacht' ich's doch,« hörte ich ihn in seinen Bart murmeln, als er die Thür seines Zimmers aufstieß, um mir den Vortritt einzuräumen.

Mitten in der Stube an einem runden grünverdeckten Tisch saß eine weibliche Gestalt, einen schwarzen Schleier um Haupt, Gesicht und Hals gewickelt, die Stirn in den Händen, die Ellenbogen auf der Platte, lesend, grübelnd oder schlafend, man hatte nicht Zeit, das wahrzunehmen, denn, wie die Schritte auf der Diele knarrten, warf sie das Haupt empor und ich sah, daß es niemand anders war, als die Röse von den drei Linden mit ihren schwarzbraunen Augen und ihrem starren Gelock über der Stirn die hier auf den Kameraden von den Pionieren wartete. 59

»Ah, Du bist nicht allein!« das war der ganze Gruß, den sie auf unseren erwiderte.

Ich wollte mich sofort zurückziehen. Aber sie selbst hinderte das und Hauptmann Alexander sagte: »Warum nicht gar!« und die Röse ergänzte: »Was fällt Ihnen ein! Ich genire mich vor Niemand.«

Sie stand aber doch vom Tisch auf und ging ans Fenster und winkte den Andern zu sich, als wollte sie wenigstens ein paar Worte mit ihm sprechen, die ich nicht hören sollte.

Alexander trat in die Fensternische und ich machte mir so weit ab als möglich an der andern Seite der Stube mit Büchern und Zeitungen zu schaffen. Trotzdem mußt' ich doch jedes Wort hören, denn, nun sie am Fenster drüben stand, hielt Röse jede weitere Vorsicht für überflüssig und dämpfte die Stimme kaum.

»Nimm mich mit!« sagte sie zu dem Hauptmann.

»Das geht nicht, mein Kind,« war die Antwort.

»Warum nicht? . . . Was das Weib will, will Gott . . . Nimm mich mit Dir.«

Alexander schüttelte verneinend das Haupt.

Sie seufzte auf und stampfte mit dem Fuß die Diele.

»Wie könnt' es mir einfallen, einem Freunde sein Liebchen abzujagen?«

»Hat er sich besonnen, mich Dir abzujagen?«

»Das war was Anderes.«

»Warum?«

Zu meinem Bedauern hielt es mein Kamerad von den Pionieren unter seiner Würde die gewünschte Erklärung zu geben. Er begnügte sich damit, die Kleine auszulachen 60 und ihr mit einem Anflug von Zärtlichkeit die Versicherung beizubringen, daß sie und Pius ja nach wie vor in einander verliebt wären. Also gerade das Gegentheil von dem, was er mir gesagt hatte und was er wirklich glaubte. Seine Absicht dabei war wohl, das Mädel plaudern zu machen. Und diese Absicht gelang.

Röse fand sichtlich nicht gleich Worte, die ihr paßten. Sie sah stier vor sich auf's Fensterbrett und zupfte nervös mit der einen Hand an der andern, bis sie sagte:

»Das ist nicht wahr! . . . . Pius hat mich genommen aus Aerger, aus Langweile, zum Zeitvertreib, weil ich ihm gerade in den Wurf kam. Er vernachlässigt mich jetzt. Er ist überhaupt ein moroser Geselle. Er langweilt sich mit mir, und ich mich mit ihm . . . . Ich will fort!«

Der Hauptmann antwortete: »Wenn das Alles wahr ist, was Du da vorbringst, warum trennt Ihr Euch nicht auf eigene Faust? Gieb ihm den Laufpaß und geh Deiner Wege!«

»Das sagt sich leicht! Er will mich aber nicht gehen lassen. Und ich selber . . . .«

»Nun, und Du?« mußte jetzt Alexander fragen, da Röse stockte.

Sie schüttelte sich wie eine Widerwillige und sprach: »Ich weiß nicht, was mit mir ist. Aber wenn er bei mir ist, kann er mich glauben machen, was er will. Er hat Gewalt über mich, wie wenn er mich verhext hätte. Es macht mich wild. Ich möchte mit den Zähnen knirschen, ich möchte mich selber darum schlagen; aber wenn er vor mir steht, fühl' ich mich nicht viel freier als ein Hund vor seinem Herrn. Er hat mir's angethan. Das heißt, so 61 lang ich ihn eben sehe. Wenn er fort ist, hass' ich ihn, mich, Gott und die Welt. Ich schäme mich. Ich finde diese Art von Abhängigkeit, dies alberne einförmige Dasein abgeschmackt. Es kann nicht so dauern! Seit Du wieder da bist, Alexander, fühl' ich dies noch deutlicher als je vordem . . . . Damals! es war doch anders . . . . Geh, mach mich los! sprich kein Wort, aber nimm mich mit!«

Dem Kameraden von den Pionieren schien die ganze Auseinandersetzung nicht besonders gemundet zu haben. Er antwortete nur mit stummen Geberden, mit Hauptschütteln und Achselzucken und trat dann lächelnd zu mir herüber, als fühlte er das Bedürfniß, sich vor seinem Gaste zu entschuldigen, daß die Kleine so viel ungereimtes Zeug schwätzte.

Wie Röse sah, daß der Hauptmann ihr nicht weiter zuhören wollte, trat auch sie vom Fenster weg, nahm hastigen Griffes ihren Hut vom Tisch, und während sie mit erhobenen Händen das Bischen schwarzen Sammet auf der krausen Fülle ihrer Haare befestigte, sprach sie zu Alexander und dabei funkelten ihr die dunklen Augen und die weißen Zähne blinkten: »Und Du wirst mich doch nicht los! Verstelle Dich vor Anderen, als vor mir! . . . Alte Liebe rostet nicht!« Sie tickte sich dabei auf's Mieder, als wollte sie sagen: Hier drinnen fühl' ich es und rede aus eigener Erfahrung. Aber sie lachte dazu wie eine Negerin. Lachend ging sie zur Thür hinaus. Mir klang es gar nicht so zuversichtlich, wie sie's wohl glauben machen wollte. Und ward mir unheimlich dabei und, mit einer pharisäischen Anwandlung, die man mir verzeihen mag, pries ich meinen heiklen Geschmack, der es mir ein für allemal verleidete, auf solche Teufeleien mich einzulassen. 62

Aber der Kamerad von den Pionieren, der war ja solchen Hexensabbat gewöhnt. Ich konnte mich, da das herausfordernde Lachen der kecken Mamsell nicht mehr zu hören war, nicht entbrechen, ihm mit meiner ganzen Gemüthlichkeit den Vorschlag zu unterbreiten:

»Machen Sie der dummen Geschichte doch den erwünschten Schluß. Wenn Sie wirklich von hier abziehen, nehmen Sie das Ding mit und . . .

Ich konnte den Satz nicht vollenden, denn Meister Alexander lachte mir ins Gesicht, daß es meine Worte übertönte, und die Borsten in dem Eichkatzenschweif unter seiner Nase sträubten sich ordentlich über seiner Heiterkeit.

»Ihr Herren von der Garde seid doch manchmal gar zu gnädig!« rief er und noch wackelte ihm die Brust vom Lachen. »Glaubt Ihr wirklich, ein Kerl wie unsereiner sei gerade gut genug, Euch die abgetragenen Kleider und die unbequemen Weiber abzunehmen, damit Ihr nicht weiter genirt seid, Euch neue anzuschaffen? Mit Verlaub, Herr Kamerad, aber sorgt für Euch selber, wie wir auch. Ich für mein Theil bin froh, daß ich die freche Dirne los bin, und denke nicht daran, eine altbackene Liebschaft noch einmal aufgewärmt zu genießen. Non bis in idem.«

Wir standen um Haaresbreite vor ernsthaften Händeln. Aber ich fühlte, daß ich im Unrecht war und dem Anderen sein Aufbrausen nicht übel nehmen durfte. Und wie ich es für meine Pflicht hielt, mich vor ihm zu entschuldigen, so kehrte auch er gleich wieder die behagliche Seite heraus und wir schieden eine Viertelstunde später im besten Einvernehmen. 63

Ich nahm aus dem Zwischenfall keine andere Veranlassung, als einmal, da sich das Gespräch dazu günstig wendete, meinem Pius die Vermuthung hinzuwerfen, daß er sich mit seiner Dulcinea von den drei Linden nicht mehr so gut stände, als da er noch tiefer in den Flitterwochen seiner Liebe war.

Er blies meine schlau gegebene Zumuthung mit dem Dampf seiner Cigarre bei Seite und sagte vornehm und gelassen nichts als: »Weiberlaunen, wer wird derlei Gewicht beimessen!«

Trotzdem kam mir eines Abends, und recht unerwartet, die schöne Hoffnung, daß es auf ganz andere Weise gelingen werde, meinen liebsten Lieutenant aus den Klauen böser Gewohnheit und schlechter Gesellschaft zu befreien und ganz der unsrigen wiederzugewinnen.

Unser Regiment erhielt einen neuen Obristen, nachdem der frühere zu bestimmten Zwecken ins Ministerium berufen worden war. Und als der neue Obrist, der ein reizendes Familienleben genoß, in leutseliger Weise den Wunsch aussprach, die Offiziere des Regiments in seinem Salon zu sehen, so verstand es sich von selbst, daß keiner von uns diese Aufforderung unbeachtet lassen durfte, und Pius eben auch nicht daran denken konnte, sich allein auszuschließen.

Es mag ihm wunderlich genug vorgekommen sein, sich wieder einmal in dem heilsamen Zwang zu bewegen, mit dem die gute Sitte zu anmuthiger Unterhaltung anleitet. Doch versteht es sich von selbst, daß ein Mensch von seiner Erziehung am unrechten Orte keine falsche Originalität zur Schau trug, und ebenso selbstverständlich wird es Euch 64 sein, daß er dem Obersten und den Seinen gleich vortheilhaften Eindruck machte.

Das that ihm sichtlich wohl. Er thaute mir ordentlich am Arm wieder auf, als er im Lichterglanz über das spiegelblanke Parquet schritt und unbefangen davon sprach, was ihm in dieser wiedergewonnenen Welt heute just am Besten gefiel. Was mir heute am Besten gefiel, das waren die Töchter des Obersten. Und ich hätte daraus kein Hehl gemacht, wenn ich nicht bald bemerkt hätte, daß mein Kamerad Pius ganz der nämlichen Ueberzeugung voll war. In seiner klugen Weise, für jede Wahrnehmung gleich einen bezeichnenden Ausdruck zu finden, schilderte er die süßen Kinder, ihr Aussehen, ihr Gehaben, ihr Geplauder, daß man nur immer nicken und sagen konnte: ganz aus meinem Herzen gesprochen! obwohl Einem selber das artige Zeug niemalen eingefallen wäre.

Wie ich mir so denken mußte, daß meinem abirrenden Freunde Gottes Güte vielleicht durch eine dieser schönen Hände einen wirksamen Fingerzeig angedeihen lassen möchte, der ihn auf den rechten Weg wieder zurückführte, da verbot ich mir, alles Wohlgefallen an den Töchtern des Obersten zu wärmeren Empfindungen ausarten zu lassen, und wollte vor Allem ein treuer Freund und dem Glück meines Freundes förderlich sein. Denn je länger sein unordentlich Wesen dauerte, desto lebhafter wurde in meinem Herzen die Angst, daß wir ihn über kurz oder lang preisgeben müßten.

Da ihm der Ruf eines lockeren Zeisigs gewiß auch in den Salon des Obersten vorangegangen war und er über der Wahrheit dessen, was der Ruf verkündete, die 65 einschmeichelnden Manieren guter Erziehung noch nicht verlernt hatte, so durfte ich mich nicht wundern, weil ich bemerkte, daß Pius auch den Töchtern des Regiments-Chefs gefiel – und der jüngeren noch deutlicher als der älteren.

Das war ein süßes Geschöpf, schlank und biegsam, mit lichten Augen und Haaren; ihr Gang war so lieblich, daß man ihr unwillkürlich nachsah, wo sie einem vorüberschwebte; nichts war gezwungen, nichts gemacht an ihr; unbefangen wie eines Kindes und sicher wie einer Frau war ihr Wesen; Valerie hieß sie mit Namen.

Ich sah die Beiden tanzen, lachen und schwatzen. Dachte mir mein Theil, fluchte auf den Störenfried bei den drei Linden und faßte allerhand energische Vorsätze.

»Was für allerliebste Leute!« sagte mir Pius, da wir in einer Tanzpause ein Gläschen am Büffet schlürften. »Wie glücklich muß unser Oberst sich in seiner Familie fühlen!«

»Nicht so glücklich vielleicht wie derjenige, welcher mit seiner Tochter Valerie eine Familie gründen darf.«

Ich weiß nicht, warum das gerade Pius zum Lachen reizte. Da er den Wein noch auf der Zunge hatte, konnte er den Mund nicht öffnen und prustete mit möglichem Anstand, um sich nicht die Uniform zu bespritzen. Aber so etwas kam bei ihm nicht vor.

Bist Du schon so übermüthig, dacht' ich, dann kannst Du gleich noch mehr vertragen!

Und als wir die Gläser wieder auf den Tisch gestellt und die Schnurrbärte gerichtet hatten, schob ich meinen Arm in den seinen und flüsterte herzlich, wie ich es meinte: »Pius! Wie wär's? Sieh einmal die schönen Augen, die 66 sich dort auf Dich richten! Möchtest Du den Wurf nicht wagen und dem Glück des Obersten nacheifern, Valerie an der Hand?«

Er ließ sofort meinen Arm fallen und sah mich mit einem Blick an, der nicht viel Schmeichelhafteres zu sagen schien, als: wie kann der Mensch so dumm in den Tag hineinreden! Laut sprach er nur:

»Derlei paßt nicht für mich. Ich möchte dieselbe Erfahrung nicht noch einmal machen!«

»Aber Pius . . .«

Er unterbrach mich, halb abgewandt, indem er sagte: »Ich hätte eigentlich noch eine Polka mit Valerie. Sei so gut, mich bei ihr zu entschuldigen und den Tanz für mich zu leisten. Sie tanzt gut, Du wirst die Stellvertretung nicht bedauern. Gute Nacht! Ich gehe.«

»Zu den drei Linden?«

»Wohin sonst!«

Er lachte, da er abging. Und doch warf er noch einen Blick zurück, dem ich, der den Jungen kannte, die Sehnsucht abmerkte, zu bleiben. Ich eilte ihm nach und redete ihm zu, wie einem kranken Kinde. Aber der Dämon der Erinnerung hatte ihn gefaßt und hielt ihm die Ohren zu gegen jeden heilsamen Spruch.

»Man spielt schon zur Polka auf!« war seine ganze Antwort und es klang ordentlich brutal, wie er mich guten Gesellen höhnte. »Laß die liebe Valerie nicht sitzen, sonst bist Du noch ungezogener, als ich. Um mich ist doch kein Schade mehr. Rette Du die Ehre des Regiments.«

Man hörte wirklich schon das Ritornell zum Tanze bis in den Vorsaal. Auch mir regte sich die Galle. 67

»Ei so geh' Du und der Teufel!« sagte ich, eilte zurück, entschuldigte meinen Kameraden wegen plötzlichen Uebelbefindens und tanzte die Polka mit der schlanken Regimentstochter, ohne einmal abzusetzen.

So waren wir, das Vergnügen, welches ich mit der gewandten Tänzerin empfand, gar nicht gerechnet, des Unbehagens überhoben, über den unartigen Narren ein Wort zu verlieren, der hier trotzig davonlief, wo er so gern geblieben wäre.

Ob Valerie in der Nacht darauf mit ihrem Kopfkissen ebenso wenig von dem schmucken Fant, der vor ihr ausgerissen, geplaudert hat, wie mit mir, das möchte ich nicht behaupten. Ich hatte es bei dem ersten Wort der Entschuldigung gesehen, in diesen Augen ging bei der Nachricht etwas vor . . . in diesem Herzen wohl auch.

Und nichts war natürlicher. Wenn es Pius darauf angelegt hätte, die Einbildungskraft des Mädchens mit seinem lieben Ich zu beschäftigen, er hätt' es auch nicht geschickter anfangen können, als er es blind im Trotze getroffen.

Sie war ihm gewiß vermeintlich arg böse. Und als sie sich bei der nächsten Gelegenheit wiedertrafen, erwies sie ihm auch die Ehre, ihn das merken zu lassen. Sie verweigerte ihm rundweg den Tanz, um den er bat. Ihre ganze Ballkarte war bereits vollgeschrieben.

Mein guter Pius, der jüngst mit zweischneidiger Waffe um sich geschlagen, hatte sich selbst so gut verletzt, wie jene. Der blinde Eifer, mit dem er sich um eine Freude gebracht, hatte durch Entbehren nur die Sehnsucht gesteigert, der er in seinem Trotz auf einmal den Garaus gemacht zu haben glaubte. 68

Er forderte Niemand anderen zum Tanz auf. Da ereignete sich die unerhörte Thatsache, daß die jüngste Tochter des Obersten, obwohl sie vordem schon alle Tänze vergeben hatte, bei einem der nächsten in aller Form Rechtens, will sagen, »in Folge einer kleinen Konfusion«, sitzen blieb. Selbstverständlich, daß gleich ein halb Dutzend von uns die Säbel abschnallte und im Hui über's Parquet vor der Dame angeschlittert kam. Sie dankte mit einem königlichen Lächeln und legte ihre schlanke Taille in den Heldenarm des Zunächstgekommenen.

Da Pius schon lange vorher kein Auge von ihr abgewendet, hatte er auch den Schaden zuerst bemerkt und war uns bei all unserer Hurtigkeit um eine Nasenlänge zuvorgekommen.

Wie ich die Beiden tanzen sah, dacht' ich mir: Gott Amour, sei diesen armen Seelen gnädig! Der Grenadier in seinem Trotz kehrt Dir den Rücken, aber er hängt schon an Deiner Leine, und so Du willst, lenkst Du ihn wohin er gehört. Ich salutire Dich in Demuth!

Die Konfusion auf der Ballkarte Valeries war an jenem Abend eine so vollständige, daß Pius nicht umhin konnte, noch einmal in ähnlicher Weise den Lückenbüßer zu machen, wie vorhin. Sie sahen Beide gar schön und zufrieden aus, wie sie so mit verschlungenen Armen vorüberwirbelten. Ich freute mich, wie ein Ballvater, ich meinte, den alten Pius aus glücklicheren Tagen wiederzusehen, und schwor, das Eisen gehörig zu schmieden, so lang es glühte. An früheres Verschwinden dachte der Bursche heut' selber nicht. Der Kotillon wollte kein Ende nehmen und der Waffenrock meines Kameraden war mit 69 Orden und Schleifen nur so bespickt. Ich schlich zu den Musikanten und versicherte dem Hauptkerl mit der Geige, daß es noch lange nicht Zeit zum Aufhören und der Hausherr und Regiments-Chef in der rosigsten Laune sei. Je länger, desto besser! Das war mein einziger Gedanke! Zu Pius heut' ein aufmunterndes Wort oder überhaupt nur irgend etwas zu verlautbaren, nahm ich mich nach meinen letzten Erfahrungen wohl in Acht. Mit Valerie tanzt' ich einen Tanz, wie das in der Ordnung war, und ich täuschte mich darüber nicht, daß sie es heute freudiger that, als das letzte Mal.

Wir wurden endlich so heiter, daß ich schließlich selber nicht hätte sagen können, wie ich in meinen Mantel und auf die Straße gekommen, ich weiß nur, daß dieser gute Tag, wie alles Gute in der Welt, auch ein Ende genommen und früher, als uns lieb war. Es war spät nach Mitternacht, da ich noch mit Pius Arm in Arm durch die stille Stadt schlenderte. Die Richtungslaternen an den Straßenecken, die allein noch brannten, warfen gelbliche Höfe in den Nebel; auf dem Pflaster klangen die nachschleppenden Säbelscheiden; unsere Bärte waren feucht und der Rauch, den wir aus unseren Cigarren bliesen, verlor sich im Nebel, der uns sanft umwallte, zu wunderlichen Arabesken. Mir ist, als wär' es gestern gewesen.

Der Kamerad an meiner Seite war wie berauscht von seinem Glück. Er wußte, daß die schlanke Valerie ihm von Herzen wohl wollte. Flott und tapfer, wie sie war, hatte sie dessen kein Hehl gehabt. Und auch dem guten Pius schien heute auf dem Ball das Herz ein paar Mal mit der Zunge durchgegangen zu sein, und wenn auch 70 nicht, so konnten die Lippen schweigen, wo die Augen so verrätherisch redeten.

Er selber stellte natürlich Alles in Abrede. Gar nichts Besonderes ginge in ihm vor. Er habe sich nur heute einmal recht angenehm unterhalten. Es sei ihm lange nicht so wohl in seiner Haut gewesen.

Nun, mir lag nichts ferner, als Geständnisse herauszulocken. Ich war mit dem, was ich sah und hörte, schon zufrieden. Mir kam's nur noch auf einen kleinen Punkt an. Wie es so oft auf solchen Heimwegen nach angeregter Unterhaltung zu geschehen pflegt, es war ein Jeder von uns am Arm des Anderen schon ein- oder zweimal vor seiner Hausthüre gewesen, hatte aber immer noch das Gespräch nicht beendet, die Behaglichkeit nicht erschöpft, den Schlaf nicht nöthig, so daß man zunächst lieber noch einmal den Anderen heimgeleitete, der einem dann, vor seiner Thür angelangt, de Liebesdienst wieder zurückgab. Also schon eine Weile in perpendikulärer Bewegung zwischen Pius Hausthor und dem meinigen, kamen wir doch endlich auf die unumstößliche Wahrnehmung, daß es höchste Schlafenszeit wäre. Das war so mitten im Wandeln. Ich hätte im Augenblick gar nicht sagen können, in welcher Straße wir eigentlich standen. Pius führte mich nur an eine Ecke, dort reichte er mir die Hand und sagte:

»Nun, weil's denn doch einmal heute geschieden sein muß, gute Nacht, Freund, oder, wenn's Dir lieber ist, gleich guten Morgen.«

»Wünsche wohl zu träumen!«

»Danke! . . . Du findest Dich doch hier in dem 71 Winkelwerk von Straßen zurecht? Sonst will ich den Herrn Hauptmann noch einmal geleiten.«

»Warum nicht gar . . . Aber . . .«

»Nun denn, ich bin zu Hause. Gute Nacht!«

Ich sah, erst jetzt aus den Gesprächen recht auftauchend, um mich. Es war stockfinster. Der Nebel näßte. Der Wind pfiff.

Der Wind pfiff vom Strome herauf. Der floß ja dort unten zur Rechten. Hatt' ich das wirklich bislang nicht gemerkt? Wir standen also auf dem Quai.

Ich sah der scheidenden Gestalt meines Freundes nach. Am Licht einer Laterne blinkte noch einmal die Säbelscheide, die unter dem langen Mantel hervorhing. Ein grauer Fleck im grauen All schwand er zurück. Ueber ihm griffen drei kahle Lindenbäume mit langen Zweigen in den Nebel hinein. Und hinter diesen Zweigen schimmerte durch die nassen Luftschleier ein viereckiger Schein, wie von einem nahen Giebelfenster.

In der nächsten Minute sah ich den Kameraden nicht mehr, der mich eben verlassen hatte. Aber ich hörte den Klang noch, den der nachschleifende Pallasch auf dem Pflaster schlug.

»Pius!« rief ich, und in der Sorge, die mich plötzlich befallen, mochte es barscher und befehlerischer lauten, als ich sonst mit ihm zu reden gewohnt war.

»Hier!« rief er zurück, und in wenigen Sekunden standen wir wieder neben einander.

Ich legte meinen Arm fest in den seinigen und sprach:

»Weißt Du, es ist doch so eine Sache mit dem nach Hause finden.« 72

Er lachte.

»Wirklich, Du findest Dich hier nicht heim?«

Damit schlug er auch schon den Weg nach der Oberstadt ein und ich sagte:

»Von mir, mein Lieber, ist eigentlich nicht so fast die Rede. Ich meine Dich!«

Er blieb stehen und ich fühlte es im Arm, wie er sich voll plötzlichen Unmuths losreißen wollte. Aber ich stemmte mich wie ein Gaul und dazu sagt' ich:

»Pius! willst Du Dir das wirklich selbst anthun? Und heute?!«

Ich konnt' es alsbald deutlich merken, wie mein gutes Wort mächtiger als alle meine Leibeskraft auf den Widerstrebenden wirkte. Er sagte nicht ja noch nein; aber er ging gleichen hastigen Schrittes neben mir, als hätt' er Eile, hinauf in die Oberstadt und nach Hause zu kommen.

Nur einmal zuckte er mir so am Arm auf und sprach vor sich hin: »Verdammte Gewohnheit! . . . ich habe mir dabei keine Gedanken gemacht!«

Und als wir vor seinem eigentlichen Heimwesen – das er freilich in den letzten Zeiten weniger, als ihm selber lieb war, benutzt haben mochte – Abschied von einander nahmen, sprach er auch weiter nichts, sondern preßte mir nur die Hand, aber so nachhaltig und leidenschaftlich, wie einer, der einem seinen Dank ausdrückt oder der ohne Worte zu verstehen geben will: Du hast Recht gehabt!

Ich hörte, wie Pius innen das Thor abschloß. Aber es ließ mich der Argwohn noch nicht fort. Ich blieb unten auf der Straße stehen, bis ich oben in seinem Fenster ein 73 Licht auftauchen und nach etlicher Weile wieder verschwinden sah. Das Schloß in der Hausthür blieb unangefochten, der Mann also blieb daheim und schlief und träumte von Walzern und Galoppaden und von den schönen Augen der schönen Valerie! So sollt' es sein!

Mir selber fielen, wie ich so im Nebel an der Mauer lehnte, die Augen zu. Endlich athmete ich auf und sagte mit gutem Gewissen: Ablösung!

Ich erinnere mich noch, daß ich den Rest jener Nacht und einen Theil des folgenden Morgens auf dem »herrlichen Ruhekissen« meines guten Gewissens wie ein Gott geschlafen habe.

Pius erfreute mich auch in den nächsten Tagen. Er schloß sich, durch den Einfluß des Obersten und seines Hauses wieder ins rechte Geleise gebracht, auch im gewöhnlichen Leben mehr an uns, seine Regimentskameraden, wieder an, als früher der Fall gewesen. Da dies ganz das natürliche Verhältniß war, fiel es Anderen wohl weniger auf, als mir, der ihn vordem mit aller Sorge beobachtet hatte. Der Hauptmann Alexander von den Pionieren hielt sich auch viel zu uns. Er war rasch beliebt und gern gesehen.

Ich war im Stillen bemüht, die Besserung zu erhalten. Demnach sann ich allerhand kleinen Zeitvertreib aus, den ich, ohne die Absicht merken zu lassen, vorschlug. Der Kamerad von den Pionieren war darin mein zuverlässigster Bundesgenosse, wenn auch ohne jegliches Einverständniß. Aber einem Burschen, wie er, war, wenn ihn der Dienst nicht in Athem hielt, jedes Pläsirchen genehm.

Wenn wir nun nichts Besseres wußten, machten wir 74 auch ein Spiel. Denkt an nichts Heftiges dabei. Wie hätte ich mich bei meinen Beziehungen zum Hause des alten Hofraths mit seinem Pius an einen Tisch setzen können, darauf Geld in Haufen verloren gehen sollte! Bewahre! Ich rede von einem gemüthlichen Ecarté, von einem ordonnanzmäßigen Whist mit oder ohne Strohmann. Die Sache war so unbedeutend, daß ich sie gar nicht des Erwähnens werth erachtete, wenn sich nicht dabei ein scheinbar geringfügiger Umstand ereignet hätte, der mir damals kaum auffiel, hinterher aber nur zu oft wieder in den Sinn kam.

Es war nicht mehr als billig, daß Pius, der so unverschämtes Glück in der Liebe hatte, zuweilen im Spiel verlor.

Eines Tages verlor er auch an mich. Eine kleine Summe. Als wir fertig waren, steckte mein Partner gelassen die Hand in die Tasche wie Einer, der zu bezahlen Miene macht.

»Je,« rief er erstaunt, »ich habe kein Geld bei mir. Aber wir gehen ja miteinander.«

»Laß doch den Bettel! hat bis zur Revanche Zeit!« rief ich.

»Ich habe morgen keine Zeit zum Spielen,« antwortete Pius, »und Spielschulden sollen nicht alt werden.«

»Das ist korrekt,« mußt' ich sagen und, wie es ohnehin in unserer Absicht gelegen war, machten wir mit einander einen Spaziergang durch die belebtesten Straßen der Stadt.

»Ich springe nur in meine Stube hinauf, um mich mit Geld zu versehen, und bin gleich wieder bei Dir,« sagte Pius. 75

»Aber das ist ja Deine Wohnung gar nicht.«

Wir standen schon wieder einmal vor dem verwünschten Hause hinter den drei Linden am Quai.

»Sei doch nicht thöricht,« versetzte Pius, »die Röse wirthschaftet nun doch einmal für mich, und sie wirthschaftet gut, glaube mir's. Sie kocht und wäscht und näht für mich trotz einer Pariser Grisette. Sie ist sparsam und hat mich sparen gelehrt. Die kahlen vier Wände meines Stübchens sind mir verleidet. Hier oben hab' ich zum ersten Mal nach langem Kummer, Zorn und Abscheu ein mitleidend Menschenherz wieder an dem meinigen schlagen gefühlt. Wer weiß, ob ich es nicht der Röse zu verdanken habe, daß ich noch lebe; jedenfalls dank' ich es ihr, daß ich hier nicht ärgere Streiche beging, als vordem daheim. Ich gebe Euch trotzdem zu, daß das kein Verhältniß für's Leben sein soll. Ich gebe Dir . . . nur Dir zu, daß ich seit etlichen Wochen sogar von Herzen wünsche, ich hätte die Röse nie gesehen, oder sie wäre, wo der Pfeffer wächst, oder es gäbe überhaupt für mich kein Frauenzimmer auf der Welt als die einzige Valerie . . . . Aber mit Wünschen baut man sein Leben nicht aus, man kann nicht immer seine Vergangenheit von den Schultern werfen mir nichts, dir nichts, weil sie einem eben unbequem ist. Auch ist es leichter schelten als gerecht sein. Ich aber versichere Dich, die Röse ist kein unbequem Ding, und Gewohnheit beherrscht uns Alle.«

Ich hielt es bei einem langsam Genesenden, wofür ich Pius achtete, nicht gerathen, gleich wieder schroffer aufzutreten, und sagte nur: »Schon gut! Aber Dein Geld läßt Du auch dort oben?« 76

»Gewiß! Wo wär' es sicherer? In meinem Stübchen kann man mich nach Belieben bestehlen, da es den Tag über leer steht, und die Hausleute in ihrer Arglosigkeit Jeden eintreten lassen, wer mag.«

»Nun, Jeder nach seiner Gewohnheit! Ich würde mich immer lieber auf meinen eigenen Schlüssel verlassen, als auf einen fremden.«

Pius lachte und sprach: »Du weißt aber aus Erfahrung, daß, was ich mit meinem Schlüssel beschlossen, den kürzesten Weg in alle vier Winde genommen hat. Also . . .!«

Diesem Argument war nun freilich zu meinem Bedauern nicht zu widersprechen. Auch war es richtig, daß Pius, seit er die Röse gefunden, ein rangirter Mensch ohne Schulden war und nicht wie früher Unfug trieb.

»Komm mit herauf!« sagte der Lieutenant.

Ich entschuldigte mich mit dem schönen Wetter, das ich im Freien genießen wollte.

Das war ihm auch recht. Er verschwand für etliche Minuten und kehrte, mit seinem Gelde versehen, rasch zurück. Die schwarzbraune Schöne stand am offenen Giebelfenster, da wir die Straße hinaufgingen, und winkte uns grüßend zu, da wir uns nach ihr umsahen. Sie trug ein weißes hausfräulich Häubchen mit langen Zipfeln auf dem dunkeln Haar, hielt Linnen und Nadel in Händen und lachte.

Es war weiter von ihr zwischen uns Beiden nicht die Rede. Ich achtete nun für das Gescheiteste, den Dingen ihren natürlichen Lauf zu lassen, und hoffte zuversichtlich auf die menschliche Vernunft im Allgemeinen 77 und auf die Untreue der Verliebten, Valeries schöne Augen und Alexanders Schnurrbart im Besonderen.

Ich selber dachte an die so oft verwünschte Röse unwillkürlich mit freundlicheren Gedanken. Und war das Unrecht, so ergab sich bald genug die Gelegenheit, mich vom Gegentheil zu überführen.

Die Geselligkeit des Winters stand in schönster Blüthe, ein Ball, ein Konzert, ein Rout jagte die andern. Pius fehlte nirgends, wo er Valerie zu finden hoffte. Und da der Oberst mit den Seinen zu den gesuchtesten und gefeiertesten Gästen gehörte, so war Pius überall und es gefiel ihm überall und er desgleichen. An melancholischen Anwandlungen, an Vorwürfen gegen sich selbst, an verzweifelten Versicherungen, daß für ihn doch kein Glück unter diesen Lichtern und Girandolen erblühen könnte, fehlte es selbstverständlicher Weise nicht. Aber all diese unausbleiblichen Ergüsse einer verliebten Seele verschloß ich sorgsam in meinen Freundesbusen und machte weiter keinen Gebrauch davon.

Beim Bürgermeister sollte ein großes Fest gefeiert werden. Er machte gleichsam im Namen der Gemeinde die Honneurs und durfte darum den Rathhaussaal für diese Feierlichkeit ausschmücken und beleuchten lassen. Die ganze Stadt plauderte schon etliche Tage im Vorhinein von all der zu erwartenden Herrlichkeit. Das ganze Offizierkorps war selbstverständlich geladen. Daß Pius nicht fehlen würde, konnt' ich mir denken; dennoch hatten wir für den Fall, daß das Gewühl und Gedränge bei der Masse der Eingeladenen gar zu arg werden sollte, bestimmte Vorbereitungen getroffen, wann und wo wir uns 78 in einem der kleineren Säle treffen würden. Wir wollten uns auch dort nach Möglichkeit in unseren Kreisen halten. Pius war sicher, dabei nicht den Kürzeren zu ziehen. Da ich dicht neben dem Stadthause wohnte, da es sternklare Nacht und das Straßenpflaster trocken wie ein Parquetboden war, so ließ ich mir nicht erst einen Wagen kommen, sondern ging, den Mantel über meiner Ballpracht, in Lackstiefeln zu Fuß die wenigen Schritte.

Vor der Pforte des Stadthauses ballte, staute sich die neugierige Menge. Wer nicht geladen war – und das waren denn doch die Mehreren – der wollte wenigstens die glücklicheren Geladenen sehen. Sowie ein Wagen seinen Inhalt zwischen Schutzdach und Teppich entließ, wurden die Aussteigenden mit Namen genannt und ihre Kleider, Haartracht, Putz bekrittelt, ihr Vermögen taxirt, ihre Kinder gezählt, ihre Vergangenheit erwogen und die Berechtigung, auf des Bürgermeisters Ball zu erscheinen, erörtert. Nicht immer ohne Witz, aber manchmal ohne Höflichkeit. Wie ich so durch den Pöbel mich hindurch bat, hört' ich über diesen und jenen meiner Mitbürger einige gesalzene Anmerkungen, mit deren Wiedergabe droben im Saal ich bei einigen hübschen spottsüchtigen Ohren viel Ehre einzulegen hoffen durfte.

Vor der Hand wünscht' ich selber das Portal zu erreichen, was nicht ganz leicht war, obwohl einige hilfreiche Schreier »Platz für den Herrn Hauptmann!« riefen.

Da, als ich schon an den Rand der Menge gediehen war und eben auf die Stufe vor der Pforte treten wollte, zupfte mich hinterrücks Jemand am Mantel. 79

Ich drehe mich um und sehe die Röse von den drei Linden neben mir stehen. Sie war sehr zierlich in Schwarz gekleidet, sie sah mich mit runden Augen an und spitzte das lächelnde Mäulchen. »Bitte, bitte, Herr Hauptmann,« flüsterte sie artig und einschmeichelnd, »zeigen Sie mir den Obersten und seine Töchter!«

»Welchen Obersten?« fragte ich leise, nicht ganz ohne Unbehagen.

»Nun den Eurigen! welchen sonst!«

»Pardon, mein gutes Kind, ich kann hier nicht stehen bleiben,« sagt' ich und wollte fort, aber es hatten sich vor den Verweilenden schon etliche Gaffer gedrängt, die erst wieder beseitigt werden mußten.

Derweilen raunte mir Röse zu: »Sie sagen hier herum, die Fräulein säßen in einem der nächsten Wagen,« und dabei hielt sie mich fest am Mantel. Man konnt' es im Gewühl nicht merken und ich es nicht recht hindern.

Im nächsten Augenblick fuhr wirklich der Wagen des Obersten vor das belagerte Portal. »Platz!« sagte ich im Kommandoton zu den Bengeln vor mir. Die wichen auch rasch und ich faßte die Falte meines Mantels energisch an, dann begrüßte ich meinen Regimentschef in aller Form und war den Damen beim Aussteigen behülflich.

Ich weiß nicht, warum Fräulein Valerie gleich hier mich mit etlichen artigen Worten auszeichnete. Es behagte ihr wohl, dem Freund des Freundes etwas Freundliches zu sagen. Sie wandte mir dabei das volle Gesicht mit den strahlenden Augen zu, das im breiten Rahmen der mit weißem Pelz verbrämten Kapuze gar lieblich sich ausnahm. 80

Der schwarzen Katze hinter mir hatt' ich in diesem Augenblick ganz vergessen.

Wie ich aber, dem Obersten und seinen Damen den Vortritt lassend, mich ein Weilchen vor der Stufe verzögere, höre ich hinter mir lautes Lachen und Rösens deutliche Stimme, die da sagt: »Und das nennt Ihr schön?! . . . Ihr Männer habt auch zuweilen die Augen, weiß Gott wo!«

Und wieder und heller tönte die Lache der frechen Person. Die Damen konnten die Worte nicht mehr gehört haben, Gott sei Dank! Nichtsdestoweniger mußt' ich Pius droben bei Seite nehmen und ihn bitten, er möge Donna Rosa etwas Mores lehren und ihr bedeuten, daß sie nach der heutigen Unverschämtheit mich fortan ungeschoren lassen möge.

Ich bereute es fast, da ich es trotz aller Freundschaft nicht in gelinderem Ton zu ihm sagen mochte, als der Hauptmann zum Lieutenant sprechen darf. Ich war mit Recht ungehalten – wenn auch nicht gerade gegen ihn. Als ich aber sah, wie ihm das erregte Blut wie eine Flamme in die Wangen trat und er wüthend sich auf die Lippen biß, meint' ich, daß ich ihm ein gut Theil der Freude dieses Abends verdorben hätte. Das that mir leid und unwillkürlich mußt' ich dabei denken: wenn es nur keine schlimmeren Folgen hat!

Zum ersten Mal fiel mir ein, daß ein losgebundenes Geschöpf, wie diese Röse, auch gefährlich werden und mit Willen schaden konnte. Die Freiheit, die sie sich hinter meinem Rücken herausgenommen hatte, gegen mich, der sie kaum kannte, ja sogar gegen eine Dame, wie Valerie, 81 welche sie gar nicht kannte, erschien mir wie ein recht böses Zeichen. Jedenfalls hatte die Röse Lunte gerochen, war eifersüchtig und wußte auch warum und gegen wen.

Und nun ich Pius ansah, wie die Wuth in ihm kochte, so mußt' ich mir denken, wenn der und sein schwarz-brauner Teufelsbraten heut oder morgen zum Aussprechen miteinander gedeihen, so werden sie sich nicht lauter angenehme Dinge sagen.

Je nun, wandt' ich mir selber ein, dann kommt's vielleicht auch gleich zum erwünschten Bruch!

Aber ich weiß nicht warum, ich wurde dieser Vorstellung nicht recht froh. Wahrscheinlich, weil ich nicht recht daran glauben konnte.

Beim zweiten Walzer hatt' ich übrigens, wie gebührlich, die Röse von den drei Linden bereits vergessen und unterhielt mich von da ab ungestört.

Das Fest verlief auf's Allerschönste. Ich sah nur fröhliche Gesichter und man tanzte bis in den grauenden Morgen hinein.

*

Ich hatte die folgenden Tage scharfen Dienst. Pius kam mir wohl vor's Gesicht, aber nur flüchtig. Erst in der nächsten Woche konnten wir wieder behaglicher mit einander verkehren.

Ich fand ihn aufgeregter als sonst, barsch und kurz angebunden in seinem ganzen Benehmen. Er sah, so oft ich mit ihm neuerdings zusammentraf, immer aus wie einer, der sich eben geärgert hat. 82

Gelegentlich einmal warf ich die Frage hin: »Nun und die Röse?«

»Die Bestie!« war Alles, was er zur Antwort gab, und das kaum hörbar, denn er preßte die Zähne und die Lippen zusammen und wandte sich ab, um an ein Billard zu gehen.

Aha! dacht' ich mir und wollte schier frohlocken. Also so weit in der Erkenntniß ihres Werthes bist Du schon gediehen; dann wird sich ja das Uebrige bald von selber geben. – Darin dacht' ich nun nicht ganz richtig. Denn es ist einmal so in der Welt, daß nicht jedes Verhältniß, welches als Last empfunden wird, darum gleich aufhört; nicht Alles, was man verflucht, stirbt an dem Fluche. Ob sie sich schon nicht liebten, sondern vielmehr haßten, setzten sich Pius und Röse doch noch nicht ganz auseinander. Der Zusammenhang der Beiden konnte keineswegs mehr erquicklich sein; sie hatten sich wenig Erfreuliches mehr mitzutheilen und verschwiegen einer vor dem andern, was eigentlich ihre Seelen erfüllte. Jeder von Beiden hätte die entscheidende Trennung, wäre sie erst vollzogen gewesen, für eine Wohlthat empfunden. Pius war auch zum Bruch entschlossen, aber nun that Röse dergleichen, als ob sie nicht von ihm lassen wollte. War das Band der Gewohnheit noch so mächtig, daß es ihre trotzige Seele wider Willen zwang? war es die Eitelkeit, die es nicht duldete, den schmucken Ritter an eine andere zu verlieren? war es dunkler Trieb uneingestandener Rachsucht, der instinktiv auf eine Gelegenheit lauerte, den Geliebten zu verderben? Das wird Keiner je aufklären. Schon aus dem einen 83 Grunde nicht, weil es in Rösens Seele nie hell genug wurde, um ein Gefühl vom andern recht zu unterscheiden.

Pius duldete gegen seine bessere Einsicht, aber er meinte als Mann tragen zu müssen, was er sich aufgesackt, wenn auch in einer unbedachten Stunde aufgesackt hatte. Dabei verkam er innerlich; da er sich die liebsten Gedanken versagen mußte, ward er zeitweise gedankenlos. Er konnte stundenlang in den Rauch seiner Cigarre gaffen oder noch länger ohne die geringste Aufmerksamkeit Zweien auf die Karten gucken, die ein ihm in jeder Hinsicht gleichgiltiges Spiel spielten. Er selber griff wohl auch öfters wieder nach Karten und Würfeln als vordem, aber er spielte ohne Achtsamkeit, spielte schlecht und verlor.

Ich sah dem Allen mit Widerwillen zu. Pius stellte einem wirklich die Geduld auf harte Proben. Ich konnte mir nicht verhehlen, daß, je weiter er sich von der verwünschten Röse entfernte, desto näher wieder der alten wilden Wirthschaft rückte, die ihm daheim schon ein Stück seines Lebensglücks untergraben hatte. So kam mich in der That die Furcht an, daß er, einmal ganz von Jener gelöst, nichts eiligeres zu thun haben werde, als sein Geld wieder zum Fenster hinauszuwerfen und sein Lebenslicht an beiden Enden anzustecken.

Aber nein! Davor war Valerie gut. Wenn ich an diese holde Gestalt dachte, dann wußt' ich, wo sie voranging und Pius erst sich frei genug fühlte, dem lichten Engel zu folgen, da würde sie ihn auch nur zum Guten leiten. Des armen Lieutenants Trübsinn und Gedankenflucht waren ja nur Ausflüsse seines unentschiedenen Zustandes, Wirkungen seiner Seelenqual, in der er sich holder 84 Sehnsucht entschlagen zu können und unter einem verabscheuten Joche ausharren zu müssen meinte.

Manchmal, wenn mich mein Weg des Abends an den drei Linden vorüberführte, sah ich zu dem Giebelfenster empor und dachte mir, wie viel häßliche Gedanken hast Du bedeckt, wie viel trübe Stunden gesehen, wie viel harte Worte gehört! Wär' alle dem ein Ende!

Der Zufall brachte mir eines Tages die Röse in den Wurf. Es war auf dem Quai. Ich schlenderte just allein dahin. Als sie mich erblickte, fiel ihr wohl ihre jüngste Ungezogenheit vor dem Stadthausball ein. Mit einem spöttischen Lächeln wollte sie mir ausbeugen und nicht dergleichen thun, als kennte sie mich.

Ich wär's zu jeder anderen Zeit zufrieden gewesen; diesmal aber ergriff mich, kaum daß ich ihrer ansichtig geworden war, der Gedanke: wäre die erst, wo der Pfeffer wächst, sollt' Alles sich in Raschheit zum Guten wenden! Laß einmal sehen.

»Fräulein Röse!« sagt' ich, ihr den Weg vertretend. »Ich möcht' Ihnen einen Vorschlag machen.«

»Sie mir? Ah!«

Ich ließ ihr keine Zeit, das ungeheuchelte Erstaunen weiter auszudrücken, und fuhr fort: »Sie wissen, ich war vor einiger Zeit unfreiwilliger Zeuge einer kleinen Unterredung, in welcher Sie den Hauptmann Alexander baten, Sie von hier wegzubringen. Wünschen Sie noch, von hier fortzugehen?«

»Mit wem?« war ihre Antwort.

»Gleichviel! fort!« 85

»Pardon! Die Gesellschaft ist die Hauptsache, der Ort gleichgiltig.«

»Nun dann vertauschen Sie den hiesigen mit einem andern, der Ihnen vielleicht weniger gleichgiltig ist.«

»Mit welchem?«

Sie stand rathlos vor mir da, nicht wissend, was sie aus meinem Vorschlag, der sie doch erregte, machen, wie sie ihn sich zurechtlegen sollte.

»Geht denn Alexander fort?« fragte sie nach einer Pause und sah mich von der Seite an. Sie hatte mich öfter mit dem Kameraden von den Pionieren, einmal sogar in seiner Stube gesehen, wo er kein Hehl vor mir zu haben schien; so mochte sie einen Augenblick in ihrer ungewissen Seele zweifeln, ob ich mehr der Freund des einen oder des andern sei.

Ich beging vielleicht einen Fehler, indem ich sie zu rasch darüber aufklärte. »Was gehen mich die Herren Pioniere an! Ich will Ihnen nur den Vorschlag machen, zu verreisen. Und ich werde mich glücklich schätzen, Ihnen die Mittel dazu so reichlich und bequem an die Hand zu geben, als Sie es wünschen.«

»Ach so!« entgegnete das Persönchen jetzt und in ihren schwarzbraunen Augen blinkte ein Funke, wie wenn ihr Bosheit zum Verständniß hülfe. »Die Herrschaften meinen, es wäre höchste Zeit, Pius Herz zu evakuiren? Und darum sollt' ich im Geschwindschritt über die Höhe? . . . Hm . . . . Mein guter Kapitän, der Beweggrund mag für Eure starken Herzen zwingend sein. Ich schwaches Weib mache mir nicht so viel daraus. Bedaure lebhaft, weiß aber nicht, was ich anderswo suchen soll. Ich liebe diese Stadt und 86 bin hier gern. Jetzt gar! Und fiele mir's wirklich ein, zu verreisen, so braucht' ich Ihr Geld nicht dazu, liebster Hauptmann. Ich könnte ja einfach von Pius Geld nehmen, was ich brauchte, und Alles, wenn ich wollte. Es liegt ja da! . . . Donnerwetter! nun geht mir erst ein Licht auf! Sie machen mir wohl im Auftrag meines Herzliebsten den sauberen Antrag? Ist Pius wirklich meiner schon so satt, daß er sich einen Freund abrichtet, mir unter der Hand seinen – letzten Willen beizubringen? I, das wäre ja über die Maßen zärtlich und zierlich!«

Ich sah's, jetzt hatte sie der Teufel ganz am Bande. Ihre Seele glühte, ihre Gedanken kochten und ihr Hirn war so voll Rauch, daß ich schwören und betheuern konnte, so viel ich wollte, wie Pius keine Ahnung von meinem Schritte hätte, wie ich Alles nur aus reiner Freundschaft, in der eigenen Einsicht, daß sie Beide sich auf die Dauer nicht glücklich machen könnten, unternommen, und wie mir nicht früher, als eben, da ich ihr begegnet, der ganze Einfall gekommen wäre – sie hörte und verstand kein Wort mehr von alledem.

Sie war in der blinden Wuth, wo man nicht mehr sehen und hören, nicht mehr Vernunft annehmen will. Sie verrannte sich blindlings in den Gedanken des Verraths, daß Pius sie auf die unsanfte Weise fremder Vermittelung habe loswerden wollen, und als ich darauf bestand, ihr diesen Irrthum auszureden, da konnt' ich selber ihre Entgegnungen zwar nicht verstehen, denn die Worte traten der Wüthenden wie Schaum vor den Mund, aber was sie vorbrachte, erwiderte sie mir mit solchem Ungestüm im Ton und mit Gebärden so voller Rücksichtslosigkeit, daß 87 ich, der den Rock des Königs auf dem Leibe trug, so eilig als möglich diese heillose Gesellschaft verließ, nicht viel mehr dabei denkend, als Pius das letzte Mal selbst über den vormaligen Gegenstand seiner ungezwungenen Anbetung geäußert hatte.

Die nächsten Ereignisse bewiesen, daß er ihr damit kein Unrecht gethan.

Ich sagte zwar Pius nichts von meinem mißlungenen Vermittelungsversuche. Doch meint' ich zu bemerken, daß er ihm von anderer Seite und wohl nicht in der anmuthigsten Form war beigebracht worden.

Er schien mir nicht böse darum. Und weshalb auch! Er mußte meine gute Absicht selbst aus solcher Wiedergabe erkennen.

Dennoch vermied ich ihn etliche Tage, vom bösen Gewissen geplagt, ihm trotz meiner guten Absicht keinen viel artigeren Dienst erwiesen zu haben, als der Bär dem schlummernden Freunde, dem er, um dem Schlafenden die Mücke von der Nase zu scheuchen, ein Felsstück an den Kopf geworfen und sich dann auch mit bona fides entschuldigt hatte.

Bald trieb's mich aber doch an des Freundes Seite. Und wie er just so beim Kartenspiel saß, hockt' ich mich neben ihn auf einen Stuhl und fragte nur so obenhin, während des Mischens:

»Nichts Neues?«

»Ausgerückt!« sagte Pius, ohne das Pfeifchen aus dem Munde zu nehmen.

»Ah!«

Ich war sprachlos vor Erstaunen und vor Freude. 88 Aber ich mußte warten, bis die Tour vorüber war und wieder frisch gegeben wurde.

»Wirklich ausgerückt, die Röse?« fragte ich dann so leise, als ich konnte, und doch wohl schlecht mein Entzücken verhehlend.

Pius nickte nur mit dem Kopf und steckte die Karten in seiner Hand zurecht.

»Seit wann?«

Er zuckte die Achseln.

»Und wohin?«

»Ach, sie wird nicht weit sein!« gab er jetzt, mich einigermaßen ernüchternd, zur Antwort. »Eine Finte, eine Laune! Gleichviel! Vielleicht findet sie Gefallen an der Entfernung. Der Herr erleuchte sie!«

»Voyons, voyons, meine Herren,« brummte jetzt der Partner gegenüber. »Pius, das ist kein jeu! Plaudert oder spielt, mir einerlei, aber wenn Ihr plaudern wollt, hört auf zu spielen!«

Der Mann hatte mit seinem Einspruch nicht Unrecht und Pius bezahlte meine Unterbrechung theuer; er verlor Stich um Stich. Und als ob ihn meine Unterbrechung überhaupt auf abirrende Gedanken gebracht hätte, er warf seine Karten auf den Tisch, wie wenn er aller Ueberlegung bar geworden wäre und die gemalten Tüpfelchen nicht mehr von einander unterscheiden könnte. Ein Spiel nicht zum Ansehen, das selbst den Gewinnenden in Aerger versetzte. Als die Partie zu Ende war, gab es eine ganze Summe zu bezahlen.

Ich stutzte, wie ich das hörte. und besann mich, wie 89 es denn nur um Gottes Willen anzufangen wäre, den unbändigen Menschen im ordentlichen Geleise zu erhalten.

Derweilen sagte Pius Partner:

»Du hast Deine Revanche schlecht genommen. Du spielst zu unaufmerksam. Ich mag wirklich nicht wieder mit Dir spielen.«

»Laß nur!« lachte der Lieutenant. »Morgen ist auch noch ein Tag! Heute mir, morgen Dir!«

»Nein!« versetzte der andere Lieutenant. »Ich spiele wirklich so bald nicht wieder mit Dir. Es ist keine Ehre dabei, einem so zerstreuten Menschen sein Geld abzugewinnen. Regeln wir unsere Rechnung.«

»Morgen!« sagte Pius, die Hände in den Taschen.

»Das hast Du gestern auch gesagt und dann kam es so!« entgegnete der Andere; aber er sagte es in aller Gemüthlichkeit, ohne dabei ein Arg zu haben.

Mir jedoch, der ich in diesen und ähnlichen Sachen zu den Empfindlichen gehöre, klang es peinlich, und ich sah, daß es auch Pius in die Krone fuhr, vielleicht gerade, weil ich es mit anhörte.

»Spielschulden kreditirt man nicht über den andern Tag,« sagte ich. »Erlaube mir, für Dich auszulegen.«

Das war sanft wie Oel gegeben, aber es wirkte wie Oel in's Feuer. Ich war der Hauptmann, er der Lieutenant. Er stand kerzengerade vor mir, mit einem Kopf, in den alles Blut geschossen war.

»Bewahre Gott!« rief er. »Ich bin nur zwei Tage nicht heimgekommen und darum ohne Geld. In zehn Minuten bin ich wieder hier. In zehn Minuten!«

Ich sah, wie er vor der Thüre einen 90 vorüberfahrenden Miethswagen halten ließ und hineinsprang. Während die Räder über's Pflaster rasselten, klangen mir seine letzten Worte noch in den Ohren. Zwei Tage nicht daheim? Das will wohl sagen: zwei Tage nicht bei den drei Linden und erst recht in meiner eigenen Stube, wo ich aber mein Geld nicht aufbewahre . . . . Und an diese Ueberlegung knüpfte ich die Frage: ob er die Röse nun wohl daheim treffen wird?

Daß sie in der Stadt war, meint' ich gewiß zu wissen, denn ich hatte am frühen Morgen den Kameraden von den Pionieren mit einem Dämchen am Arme gesehen, das Niemand anders, als der schwarzbraune Wildfang gewesen sein konnte.

Der Lieutenant, welcher Pius sein Geld abgewonnen hatte, störte mich in meiner Meditation. »Schade, daß er in allen Stücken so exzentrisch wird!« sprach er.

»Ja, ja,« sagte ich, »das war früher nicht so. Die verdammten Weiber!« Ich weiß nicht mehr, ob wir sonst noch viel Gescheidtes mit einander geredet haben. Eine Ordonnanz trat ein und wurde abgefertigt. Ein Paar Kameraden setzten sich zum Spiel. Ich sah nach dem Wetter. Der Lieutenant bat um Feuer. Ein Wagen rasselte heran und da war auch Pius schon wieder zurück.

Der Unmuth war aus dem Antlitz des Leichtsinnigen bereits spurlos verflogen. Er ließ sich zunächst eine größere Banknote wechseln, zahlte seinem Partner die Spielschuld von gestern und heute blank auf's Brett und lehnte sich dann neben mich an den Thürpfosten. Die Mütze flott über dem rechten Ohr, die lange Cigarre im linken Mundwinkel, die zwei Dutzend Haare seines Blondbärtchens gen 91 Himmel gedreht, den Dolman quer über der Schulter, den Pallasch zwischen den Beinen, rekelte er sich behaglich vor dem Gesimse und machte Witze über die dicken Wollsäcke und schlechtbeweibten Banquiers, die in Kaleschen von verwichener Mode die breite Straße vorüberfuhren, um sich zwischen Börse und Diner ein wenig von der Wintersonne bescheinen zu lassen.

Ich fühlte mich in diesem Augenblick nicht gedrungen, gleich wieder den Sittenprediger zu machen und die Unterhaltung in pejus zu reformiren. Ich begnügte mich mit der Frage: »Niemand getroffen?«

»Niemand! Wohl aber die Spuren holder Anwesenheit. Röse muß hier sein.«

»Ich sah sie heute früh.«

»Sie hat, wie ich eben hörte, meine Sachen zum größten Theil nach meiner Stube schaffen lassen.«

»Also Bruch?!«

»Es scheint so.«

»Hallelujah!«

Thor, der ich war, jetzt mit einem Hallelujah zu freveln! In demselben Augenblick vollzog sich das Unglück.

Pius lehnte noch immer neben mir und lachte bald über diesen, bald über jenen, der harmlos vorüberging. Er lachte und ahnte nicht, daß er bereits ein verlorener Mann war.

Das Wetter wurde schlecht, die Wintersonne verkroch sich vor der Zeit. Es wurde schon in der vierten Stunde nach Mittag so trübe, daß man allenthalben die Lampen anzünden mußte. 92

Ich wäre längst gern abgefahren. Ich weiß nicht, warum ich mich nicht entschließen konnte, heut Pius von der Seite zu gehen. Ich forderte ihn endlich auf, im Kasino zu speisen. Er war einverstanden.

Ich widerstrebte auch nicht, zur Abwechselung einmal eine besondere Flasche mit ihm auszustechen. Das Mahl mundete uns beiden. Da, wir waren just zwischen Birn und Käse, geht die Thür auf. Ein Regimentsadjutant kommt herein und sieht sich um, sieht uns und tritt heran.

Er hatte so was in seinem Gesichte stehn, das einen unwillkürlich wie ein Alarmzeichen anmuthete. Hollah, hier hat's was gegeben! Das etwa war die Empfindung, mit der wir uns beide rasch von den Stühlen erhoben und den Adjutanten empfingen.

Der wandte sich sofort zu Pius: »Entschuldigen Sie die Frage, Herr Lieutenant. Waren Sie heute Mittag in der Wohnung einer gewissen Rosa Capot oder Capotte?«

»Zu Befehl,« versetzte Pius, unbefangener als ein Kind.

»Und haben Sie dort . . . . Verzeihen Sie meiner Besorgniß die zudringliche Frage, aber Sie werden sie bald öfter beantworten müssen . . . . haben Sie dort Geld mitgenommen?«

»Ja doch! Mein Geld.«

»Ihr Geld dort oben?! Ihr Geld in der Wohnung einer . . . . Dirne?«

»Sie sind zu strenge. Besagte Röse ist meine Geliebte, so lange wir hier in Garnison liegen. Das ist stadtbekannt. Ich weiß nicht –« Pius stockte mitten in wohlgemuther Rede. Er sah den Adjutanten an, der kreidebleichen Angesichts ihm zuhörte. Er sah mich an, dem auch zu Muth 93 war, als würd' ich versteinert. Ihm selber wich auf einmal das Blut aus den Wangen. Ungeduldig, zornig rief er: »Macht mich nicht toll! Was giebt's denn? Was will man denn von mir?«

»Ich will Ihnen gern sagen, was los ist,« sprach der Adjutant. »Die Sorge um Sie, die Achtung vor Ihrer Familie hat mich hierher getrieben, um Ihnen einen Wink zu geben, sich zu fassen, sich zu besinnen, sich auf Verantwortung zu besinnen . . . .«

»Verantwortung? wofür?!« rief Pius und warf sich in die Brust und wollte sich erbosen.

Der Adjutant blieb kalt und gemessen und fuhr also fort: »Dafür! Vor etwa zwei Stunden kam beim General-Kommando ein Brief ein, folgenden Inhalts: Aus meiner Wohnung, im Hause zu den drei Linden, am Quai Nr. 74, wurde heute Mittag aus meinem Portemonnaie eine Banknote von fünfzig Thalern entwendet. Alle Anzeichen lassen darauf schließen, daß besagte fünfzig Thaler von Niemand anderem, als dem Lieutenant (nun folgt Ihr voller Name), von dem hier garnisonirenden Grenadier-Regimente, Nummer so und so viel, Prinz von u. s. w., in der Absicht mich zu schädigen, genommen worden sind. Denn Niemand anders als besagter Herr Lieutenant hat während meiner Abwesenheit meine Wohnung besucht. Zu Zeugen für seinen Besuch erbieten sich meine Wirthsleute (folgen deren Namen). Ich ersuche ein hohes Generalkommando, den Herrn Lieutenant, ungeachtet seines Standes und seiner Familienbeziehungen, zu strenger Verantwortung zu ziehen und mir das Meinige unverkürzt zurück kommen zu lassen und verbleibe mit dieser ganz gehorsamsten Bitte um Gerechtigkeit &c. &c.« 94

Pius hatte noch Laune genug, um laut aufzulachen, nachdem der Adjutant den Inhalt der verdammten Denunziation aus seinem Gedächtniß hergesagt hatte. »Was, zum Teufel!« rief er, »ich werde doch mit meinem Gelde machen können, was mir beliebt!«

»Je nach dem!« versetzte der Adjutant, dem es sichtlich immer unbehaglicher wurde. »Sie reden von Ihrem Gelde! Aber wie kommt Ihr Geld in die Wohnung, in das Portemonnaie dieses Frauenzimmers?«

»Ach was, Frauenzimmer, dieses oder jenes, Wohnung, Portemonnaie . . . . das sind ja alles Spitzfindigkeiten! Zwei mal zwei sind viere. Mein Geld ist nicht das eines Anderen. Ich habe mein Geld, nicht eines Anderen Portemonnaie genommen, einen Theil meines Geldes, welches ich meiner Maitresse zum Aufbewahren übergeben, genommen, wo ich es gefunden habe. Voilà tout. Die Sache ist so klar, wie eine. Ich weiß nicht, was man will, und begreife nicht, wie sich das löbliche Generalkommando von einer eifersüchtigen Närrin in's Bockshorn jagen läßt und sich in Dinge mischt, die es nichts angehn!«

»Sachte, sachte, Herr Lieutenant,« warf der Adjutant strengeren Tones ein. »Es ist leicht möglich, daß Sie in der Sache, so wie Sie sie darlegen werden, vor einem rechtsgelehrten Gerichte oder gar vor bürgerlichen Geschworenen nicht verdammt werden würden. Aber bedenken Sie, Herr Kamerad, Sie, wie Ihre Herren Richter, tragen den Rock des Königs und wir, die wir ihn tragen, richten und werden in einem Ehrengerichte gerichtet. Ich will Gott danken, wenn es Ihnen gelingt, auch diese Richter auf Ihre Seite zu bringen. Aber verzeihen Sie einem 95 älteren Offizier, einem Freund Ihrer Familie, wenn er die verwickelte Geschichte ängstlicher betrachtet als Sie, und hören Sie auf meinen Rath. Thun Sie den Trutz und Uebermuth bei Seite, besinnen Sie sich auf jede Kleinigkeit, die zu Ihren Gunsten, und zwar deutlich reden kann, und folgen Sie mir stehenden Fußes zum Generalkommando. Auf diese Weise wird so viel als möglich Aufsehen vermieden und Sie können vielleicht der Sache noch bei Zeiten eine solche Wendung geben, daß sie im Keim erstickt und nichts davon an die große Glocke gehängt wird. Aber, wie gesagt, Besinnung, Klugheit, Vorsicht!«

»Geh, geh!« sagt' ich zu Pius. »Wir wollen alle thun, was in unseren Kräften steht. Folge dem guten Rath.«

»Warum nicht? Ich habe mich vor dem Generalkommando nicht zu scheuen,« antwortete der Leichtsinnige und rief den Aufwärter um seinen Mantel.

Während er den Säbel umschnallte und sich noch eine frische Cigarre geben ließ, raunt' ich dem Adjutanten zu: »Um Gottes Willen, Herr Kamerad, thun Sie, was Sie können! Mein Leben zu Ihren Diensten!«

Der Andere seufzte und zog die Augenbrauen hoch, wie Einer, der verzweifelt.

»Wissen Sie keinen besseren Rath?« flüsterte ich.

»O ja!« der Andere. »Nehmen Sie ihn statt meiner mit. Legen Sie auf den Tisch Ihres Zimmers eine geladene Pistole und lassen ihn mit ihr allein. Das wäre wohl das Beste in dieser verfahrenen Geschichte.«

»Davor sei Gott!« versetzt' ich leise. »Pius ist gewiß ohne Schuld und wird sich rechtfertigen.« 96

»Ich habe die Ehre, Herr Hauptmann!« antwortete der Adjutant und grüßte mit einem Ton in der Stimme, wie wenn er mir zu verstehen geben wollte: Wenn Ihr solche Grundsätze aus dem Garderegiment zu uns gebracht habt, gratulire ich, aber ich mag mich nicht länger mit Euch unterhalten.

»Ich stehe zu Diensten!« rief Pius. Und sie gingen.

*

Mir war wie einem, den der Schlag gerührt hat. Ich hatte alle Mühe, mich physisch aus einer Betäubung heraus zu winden, die mich wie eine Ohnmacht befiel. Ich glaube wenigstens, daß einem etwa so zu Muthe sein muß, wenn einen die Sinne verlassen. Mir kreiste es zwischen Stirn und Augen so wunderlich. Ich taumelte. Der Stuhl, an dem ich mich halten wollte, zerbrach unter meiner Hand. Da hatt' ich mich wieder in der Gewalt.

Pius! Pius! rief ich vor mich hin. Ich fühlte jetzt erst, wie nahe mir der Bursch an's Herz gewachsen war.

Mein nächster Gedanke war: Fort zur Röse!

Erst auf dem Hinwege macht' ich mir klar, was ich eigentlich bei ihr wollte. Aus dem Wagen steigend sah ich Licht hinter dem Giebelfenster und war nun sicher sie zu finden. Ich stürmte die Treppe hinauf und fand sie auf ihrem Sopha, halb sitzend, halb liegend, den Rücken an die Lehne gedrückt, die Kniee übereinander geschlagen, das eine Pantöffelchen an ihrer Fußspitze balancirend, 97 zwischen Hand und Mund einen Borsdorfer Apfel, an dem sie mit unentschlossenen Zähnen herumknabberte.

»Ei, ei, der Herr Hauptmann! Was verschafft mir die Ehre?« sprach das Weib, als wäre nichts geschehen.

Wiewohl ich mir vorgenommen hatte, vor Allem das Wichtigste und nur das zu sagen, konnt' ich doch jetzt nicht anders, als sie mit Vorwürfen überhäufen.

Sie lachte, spuckte ein Paar Apfelkerne von sich und sprach: »Lassen Sie's nur gut sein, Capitän meines Herzens! Ihr macht sobald nicht wieder den Versuch, mich auf Reisen zu schicken!«

Sie kicherte nochmals, streckte sich in die Höhe und, mir die Stirne so nah als möglich zuwendend, fuhr sie trotzig fort: »Ich werde nicht geschickt; ich schicke die Anderen, wenn's mir beliebt. Merkt Euch das und Hand von meinen Schätzen!«

Ich parlamentirte nicht lange mit ihr hin und her, ich ergriff sofort das Mittel, von dem allein ich mir Wirkung versprach, und sagte: »Sie müssen die Anzeige zurücknehmen. Sie müssen an das Generalkommando schreiben, daß ein Irrthum Sie befangen, daß man das Geld nur verlegt, daß es sich wiedergefunden habe. Ich will Ihnen den Brief diktiren. Nennen Sie die Summe, welche Sie für diesen Brief verlangen! Ich werde sie bezahlen. Pius muß gerettet werden! Was begehren Sie, um ihn zu retten?«

»Eine Million!« rief sie spöttisch und krümmte sich vor Lachen.

»Reden Sie vernünftig! Seien Sie ernsthaft, ich bin es auch!« 98

Sie stutzte vor meiner Heftigkeit. Sah mich an, schlug von der Steinplatte des Tisches den Teppich zurück und sagte in herabgestimmtem Tone: »Geben Sie mir Schreibzeug und diktiren Sie!«

Ich brachte mit einem Griff herbei, was man zum Schreiben braucht, und lehnte mich bereit über den Tisch.

Röse hatte die Feder schon gefaßt, da sah sie mich an wie eine Wartende. Sowie ich aber die Lippen regte, lachte sie wiederum schrill auf, warf die Feder weit von sich in's Zimmer und steckte den Apfel in den Mund.

Ich redete ihr zu, was ich konnte: sie solle bedenken, was sie thue. Pius wäre ihr doch lieb gewesen – sie schlug ein Schnippchen mit der freien Hand. – Ihre Anzeige, wenn sie nicht schleunig widerrufen würde, müsse ihn verderben – sie sagte, sie habe ihn nicht gebeten, ihr Geld aus ihrem Täschchen zu nehmen. – Pius könne unter diesen Umständen nicht weiter dienen – es sei nicht nothwendig, daß alle Leute als Offiziere die Zeit todtschlügen. – Er könne infam kassirt werden – »dann wird er von der Schande nippen, die ich bis auf die Hefe getrunken habe, und bin ich nicht daran gestorben, wird er's auch überleben. Prosit!«

Mir riß die Geduld. Ich zog andere Saiten auf. Ich fragte sie hämisch und herausfordernd, wie sie denn beweisen wolle, daß das Geld ihr Geld gewesen. Sie habe nichts, als was ihr Pius gegeben, und was er ihr zur Aufbewahrung gegeben, sei nicht geschenkt.

Sie lachte mir in's Gesicht; so knapp sie von Gedanken war, auf diesen Einwurf schien sie gefaßt. Mir kam der Argwohn, und nicht zum ersten Mal, daß sie sich, wenn 99 nicht bei einem sachverständigen Liebhaber, so doch bei einem Winkeladvokaten genau um das Gelingen ihres teuflischen Planes hatte unterweisen lassen. »Zwingen Sie mich doch zu dem Beweise, daß ich nur von Pius Geld hatte! Ich werde Ihnen die Antwort nicht schuldig bleiben. Wohl weiß ich, daß mir das Herrchen all sein Geld gegeben hat. All sein Geld! Es lohnt der Mühe, von dem Bettel zu reden . . . . Beweisen Sie mir doch, daß mir andere Leute nicht auch Geld gegeben. Wer? Je nun, vielleicht Alexander, vielleicht Sie selber, der Oberst, Gott Vater, was weiß ich. Geld zum Aufheben gegeben! . . . Jawohl, ich bin diejenige, welcher man was zum Aufheben giebt! Reizt Sie das nicht zum Lachen? Oder besinnen Sie sich eben darauf, in welches Behälter ich eigentlich mein Geld hätte bringen müssen, um es noch deutlicher als mein Eigenthum zu kennzeichnen, als in mein Portemonnaie? Mein Portemonnaie? Das in meiner Wohnung lag? Unversperrt freilich. Ich hatte nicht gewußt, daß Schloß und Riegel vor solchen Herren nöthig wären. Potz Tausend!«

Es trieb mir die Schamröthe in die Stirn. In diesem Augenblick wär' ich im Stande gewesen, Pius den Rath zu geben, welchen mir der Adjutant für ihn zugeflüstert hatte. Wahrlich, er verdiente Strafe, daß er Unsereinen solche Dinge zu hören aussetzte und aus welchem Munde! Ein Anderer durfte sagen: die allerstrengste Strafe. Ich . . .? Ich war sein bester Freund. Ich hoffte noch in diesem Augenblick, einmal sein Schwager zu werden, hoffte es mit dem Herzen. Seine Schande schimpfirte auch die Familie! Sein Unstern rannte auch mein erhofftes 100 Glück zu Schanden. Ich sammelte noch einmal alle Geduld und schluckte die Wuth hinunter.

»Lassen Sie doch mir gegenüber diese Possen und Sophismen! Ich weiß, wie die Sachen stehen; ich weiß, daß Pius keinen Heller genommen, der nicht sein war; ich weiß, daß er trotzdem vor einem Ehrengericht verloren ist; ich weiß, daß Sie sich an ihm rächen wollen . . .«

»Ich weiß, ich weiß,« unterbrach mich das Weib, das wie vom Teufel besessen schien. »Wenn Sie das Alles wissen, was wollen Sie noch von mir?«

»Röse, Sie handeln in einem Anfall von Wuth, von Eifersucht, von Rache. Besinnen Sie sich! Sie haben ihn geliebt. Es wird Ihnen nachher bitterlich leid thun!«

»Mir?!« rief sie. »Und dem schlanken Fräulein Valerie erst? Was wird's dem leid thun? Wo die Beiden nun wohl Hochzeit machen werden? Wo und wann?«

Sie rieb sich die Hände, als wär' ihr weiß Gott was gelungen.

»Ja, lieben Sie selber denn noch Pius?« rief ich.

Röse zuckte verächtlich die Achseln und wandte mir den Rücken zu.

»Wenn Sie ihn lieben, wenn Sie ihn je geliebt haben, und wenn er Ihnen weiter nichts ist, als ein Mensch in Noth und Gefahr, empfinden Sie denn kein Mitleid?«

Sie wandte sich jäh um, in Augen und Mienen eine Ueberraschung ausdrückend, wie wenn hinter ihr plötzlich geschossen worden wäre.

»Mitleid?« sagte sie, »was ist das?«

»Mitleid ist die erste, die höchste Tugend der Menschen 101 und, Gott sei Dank, die weitest verbreitete, die man Niemand zu lehren braucht.«

»Was Sie sagen! Also etwas dergleichen giebt es? Mir ist nichts dergleichen vorgekommen – niemals! Was ich erfahren, heißt: für Thränen Spottgelächter, für Elend einen Fußtritt, für unverschuldet Unheil Gefängniß, für Noth Strafe, für Bedürfniß Schmach und Schande, für Flehen und Bitten Thüre zu, für Selbstgefühl die Peitsche u. s. w. Das ist die Litanei, mit der mir das Leben geantwortet. Mißtraue Jedem, hilf dir selbst, sonst holt dich der Teufel bei lebendigem Leibe! Ich habe nichts Anderes gehört und gesehen. Auch bei Euch nicht. Nicht, daß ich wüßte. Und Sie singen mir was von Mitleid vor? Wie hübsch! Ich soll mitleidig sein? Gegen mich ist es nicht Einer gewesen. Aber ich soll es sein gegen Euch?«

Sie klopfte mit den Handknöcheln ihrer rechten Faust auf die bloßgelegte Marmorplatte des Tisches und sagte: »So hart bin ich. Nun wissen Sie das auch!«

In dem nächsten Augenblick ging die Thüre. Der Hauptmann von den Pionieren trat ein. Er nahm den Säbel nicht auf, legte den Mantel nicht ab, lupfte die Mütze nicht. Ohne mich zu grüßen ging er auf Röse zu.

Mir hätte Niemand erwünschter kommen können. Gott verzeih' mir's, aber mir war während der Reden dieses wüthenden Frauenzimmers mehr als einmal der Gedanke aufgestiegen, daß der vormalige Liebhaber irgendwie am Verderben seines Nachfolgers mitschuldig sei, daß er, ich will nicht gerade sagen, die Rachsüchtige mit Absicht berathen, aber doch irgendwie bei dem jämmerlichen Handel 102 die Hand im Spiele gehabt habe. Ihr wißt, ich hatte dem lustigen Gesellen nie zu weit über den Weg getraut.

Nun aber!

Er stand vor dem Tisch. Röse wich ihm aus nach der anderen Seite. Der Tisch flog links hin. Alexander faßte das Weib an einem Handgelenk, hielt es fest und sah ihm in die Augen. Noch war kein Wort zwischen ihnen gesprochen worden. Der Kamerad von den Pionieren schien noch keines Wortes mächtig, aber sein Athem ging so heftig, daß die rothen Barthaare unter seinen Nasenlöchern zitterten.

»Was willst Du von mir?« sagte das Frauenzimmer endlich, aber in dem Ton klang keinerlei Lachen mit.

Alexander redete noch nicht, aber wie unwillkürlich bewegte sich seine Hand hin und her, daß die Gestalt, die er am Arme hielt, wie eine Taumelnde ins Schwanken gerieth.

»Laß mich los! und rede, was Du willst!«

Er ließ sie los, aber so, daß sie in eine Ecke des Kanapees sank und, die Hände über dem Haar am Halse, still liegen blieb und ihn anstarrte, ein Bild, darin Trotz und Furcht gleichgetheilt waren.

»Du hast Deinen Geliebten denunzirt –«

»Pius war mein Geliebter nicht mehr!«

»Du hast einen braven Offizier des Diebstahls bezichtigt! Du hast meinen Freund infam und unmöglich gemacht!«

Er griff abermals nach ihr. Sie schrie auf. Ich warf mich zwischen Beide.

»Kamerad,« rief ich, »die Röse will's ungeschehen machen! Sie wird schreiben, daß sie sich übereilt, daß sie sich geirrt, daß sie das Geld gefunden . . .!« 103

Ich gab in dieser Sekunde keinen Heller für Rösens Genick. Der riesige Pionier stand vor ihr wie ein entschlossener Mörder. Die Wuth, die ihn wortkarg, minutenlang sprachlos machte, ließ mich für die Schuldige das Aergste befürchten. Ich meinte noch einmal den Vorschlag zur Güte machen zu sollen, meinte ihn aus der Gefährdeten Seele heraus zu machen.

»Schreib!« knirschte der Hauptmann zwischen seinen Zähnen hervor und schob ihr das Schreibzeug dicht zu.

Ich sehe Rösen noch die Hand ausstrecken. Kreideweiß war ihr Angesicht. Ihre Finger bogen sich langsam wie eine Kralle herab. Sie nahm das Tintenfaß und hob's und warf es über den Tisch zwischen uns in's Zimmer, daß es zerschellte und die Tinte von sich spritzte. »Da!« war Alles, was sie sagte. Dann sprang sie vom Sopha auf.

Ich weiß nicht, wie's zuging. Alexander war wie ein Raubthier an ihrer Seite. Noch ein Augenblick. »Röse!« rief er, da hatte er die Faust in ihren Haaren. Das Weib krümmte sich, laut auf um Hilfe schreiend, über seinen Knieen.

Ich umfaßte den Zornigen mit aller Gewalt. »Besinnung!« rief ich. »Sie verschlimmern nur des Freundes Schicksal! Soll dieses schändliche Weib noch einen braven Offizier verderben? . . . . Bedenken Sie, wenn man Sie noch der Gewaltthätigkeit bezichtigt! Man wird sagen, daß Sie, daß wir ein helfendes Geständniß erpressen wollten . . . .«

Alexander ließ das Opfer aus seinen Händen fahren. Röse schüttelte das Haupt, daß ihr schwarzes Kraushaar nur so flog, und rief im ungebändigten Trotze: »Ja das wird man sagen . . . und mit Recht! . . . Aber daß ich's 104 zu sagen nöthig hätte! So viel besonderer Anstrengung braucht's nicht, um Dich den Weg des Andern nachzuschicken. Ich kann's bequemer machen!«

»Versuch's!« war Alles, was ihr Alexander zur Antwort gab. Aber wie er so mitten im Zimmer stand und unwillkürlich die zehn Finger von seinen mächtigen Händen spreizte, da meinte man zu hören: Versuch' es, auch mich zu verleumden, und ich reiße Dir mit diesen meinen Händen Glied für Glied vom nichtsnutzigen Leibe! Ich sah den Mann und sah dies Weib wie Leute aus einer fremden Welt an. Aber ich hatte trotz Rösens falschem Hohn die Ueberzeugung: den Gesellen würde sie nie verrathen, und wenn er ihr weiß Gott was zum Trotz oder Schaden angethan, und wenn sie ihn haßte und ihn zu hassen Grund hätte. Der Rohe bändigte sie mit seinem Blick. Gut machen konnte der sie freilich auch nicht. Sie wußte nicht, was das war.

Die Armselige zuckte zusammen, wie ihr Alexander jetzt wieder einen Schritt näher trat.

Es wäre, weiß Gott, um ein Geschöpf wie dieses kein Schade gewesen; aber mich jammerte, noch einen Kameraden, und war es auch ein roher Geselle, an die Dirne preis zu geben. Ich faßte den Mann unter dem Arme. »Kommen Sie fort!« sprach ich, »hier ist nichts zu machen. Wir haben nur zu lange in dieser schändlichen Luft geathmet.«

»Fort!« versetzte der Pionierkapitain und ging mit mir zur Thüre.

»Auf Wiedersehen!« rief ihm die Freche aus der Sophaecke nach. 105

Alexander antwortete ihr von der Schwelle: »Glaubst Du, daß ein ehrlicher Kerl noch einen Fuß auf diese Diele setzt, so lange Du Scheusal hier Dein Wesen hast? Pfui über Dich und den Schurken, der solch eine Mörderin noch mit einem Finger berührt!«

Er spuckte in's Zimmer und wir gingen. Auf der Treppe noch hörten wir die Dirne lachen.

»Kamerad, was geben wir nun an!« sagt' ich. »Ich bin rathlos.«

»Ich war es schon, da ich kam. Ich hoffte nichts von der Kanaille. Ich wollt' ihr nur den Hals umdrehen. Schade, daß Sie dies Gott wohlgefällige Werk verhindert haben. Dennoch dank' ich Ihnen. Ich bin unzurechnungsfähig vor Wuth und Schmerz. Dieser Pius!«

»Wie retten wir ihn?«

»Retten? . . . Verloren! Geben Sie sich keiner Täuschung hin. Wenn Sie und ich und lauter Brüder und Schwäger im Kriegsgericht säßen, wir müßten ihn selber verurtheilen. Was gehn uns hier lang Mein und Dein und seine spitzfindigen Auseinandersetzungen an! Er hat's genommen. Geld aus ihrer Tasche. Seins, gleichviel! Genommen aus der Tasche solch' eines Frauenszimmers. Keine Maus beißt davon einen Faden ab. Er henkt an diesem Strick unfehlbar!

»Der Wahnsinnige! Sich solch einem Geschöpf anvertrauen! Der Wahnsinnige, hier erst Confidencen und dann einen waghalsigen Eingriff gedankenlos wie im Schlaf zu machen, wo jene nur auf Gelegenheit lauerte, ihre Rache zu kühlen, es koste, was es koste. Dieser Wahnsinnige! Retten?! Zum Kukuck, wer kann so einen Querkopf retten! 106 Schläft sechs Monate mit dem Teufel auf einem Kopfkissen und weiß nicht, daß der Hörner auf hat!«

Wir gingen vom Kasino in die Wachstube, von der Kaserne ins Kasino . . . wir gingen die halbe Nacht von Einem zum Andern . . . überall dieselben langen Gesichter . . . nirgend ein Strahl von Hoffnung . . . überall dasselbe Bedauern über den Unstern eines so braven Offiziers, aber auch schon überall dieselbe Entrüstung über solch einen unverzeihlichen Streich, uns Allen, ja der Armee, dem ganzen Stande gespielt.

Und – Ihr könnt mich tadeln, wenn Ihr wollt – aber wir sind nun einmal Glieder eines Ganzen. Der Einzelne ein Nichts, kaum der Erhaltung werth, wenn er nicht im großen allgemeinen Körper seine Schuldigkeit erfüllt, wie das Zahnrad einer Maschine, genau aufs letzte Pünktchen. Dann giebt das Ganze seinen Theilen auch jenen Werth und Glanz, der uns vor Anderen auszeichnet. Die Ehre ist nicht ein Produkt des Einzelnen. Starkgeistige Willkür oder geniales Ueberheben des Subjekts können nichts davon, nichts dazu thun. Die Ehre ist ein Standesbegriff. Der Begriff ist unbeugsam. Wer sich seinem Gesetz nicht fügt, schließt sich von selbst von dem Stande aus, den jener Begriff erst zu dem macht, was er ist.

Und darum sag' ich: wenn Einer von Euch mich tadeln möchte, es träfe mich nicht; tadeln, weil ich trotz Freundschaft und Liebe nicht anders denken konnte, wie die Andern, wie Alle.

Pius hatte sich versündigt. Aus Leichtsinn . . . sei's! In unüberlegtem Augenblick . . . wenn auch! Macht ein Augenblick nicht auch zum Mörder und Verräther? Wo 107 Ueberlegung geboten, ist Leichtfertigkeit ein Verbrechen, so schwer wie ein anderes.

So gruben wir in unserem Nachdenken in jener ersten Nacht schon ein Grab, darein wir unsern Pius, nicht den lebendigen, der übrig blieb, aber den, der eben der unsere gewesen, hineinsenkten, und schlossen die Grube mit unserem Andenken.

»Es ist entsetzlich,« sprach ich zu dem Kameraden von den Pionieren, »ich meine, mir bricht das Herz.«

Und Jener erwiderte: »Auch ich hab' ihn lieb gehabt! Die rechte Hand und mehr noch gäb' ich drum, könnt' ich die heillose Dummheit wett machen. Aber ein Narr, der am Geschehenen was ändern will. Das Vergangene kann Gott selbst nicht ändern . . .

»Wir müssen uns fassen, wie wenn's im Felde wäre. Wenn eine Kugel Ihren Herzbruder neben Sie hinwirft, Sie müssen weiter avanciren. Auch das bringt der Stand und die Standesehre mit sich. Wären Sie gefallen und der Andere aufrecht geblieben, er hätt' es auch nicht anders machen dürfen. Es ist die alte Geschichte: ›kann Dir die Hand nicht reichen!‹ Vorwärts!«

Der Kamerad von den Pionieren hatte ganz Recht. Sie hatten alle Recht. Gewiß! Und sie gingen endlich alle schlafen, Einer nach dem Andern. Ich nicht. Ich konnte nicht. Es trieb mich in der Stadt umher. Ich dachte an Pius, ich dachte an Eva.

Das war nun auch dahin! Und ohne unser Verschulden. Auch durch den sträflichen Leichtsinn ihres Bruders! Ich hatte das Mädchen sehr lieb und ich wußte recht gut, daß auch Eva mich liebte. Was half's! Was konnt' ich anderes 108 machen, als mich schweigend zurückziehen. Ich durfte, wenn ich weiter dienen wollte – und das wollt' ich und mußt' ich – ich durfte nicht daran denken, in eine Familie hineinzuheirathen, deren Sohn und Stammhalter soeben mit Schanden aus dem Regimente gestoßen worden; ich durfte nicht zu Pius: lieber Schwager! sagen, zu dem ich nicht mehr: lieber Kamerad! sagen durfte. Wie eine Gnade der Vorsehung betrachtete ich nunmehr die Weigerung Evas, welche mir vor einem halben Jahre so überflüssig wie ärgerlich erschienen. Wäre sie damals mein Weib geworden, wie ich es so innig gewünscht hatte, was wäre mir nun viel übrig geblieben, als den Dienst zu quittiren oder mich unter meinen Kameraden von einer Verlegenheit durch die andere zu drücken und noch jedem vom Gesichte den Vorwurf abzulesen: Dein Schwager ist ein sauberer Patron!

Nun mußt' ich noch zufrieden sein, daß mir nur Herzeleid wurde, und ich nicht auch an der Schande mein Theil bekam. Aber um das süße Kind Eva war mir leid und dies Leiden stimmte mich auch nicht freundlicher gegen den Urheber desselben.

Auch an den armen Vater mußt' ich denken und da fiel mir ein, daß ich der Familie, von der ich ja in Gedanken auf immer Abschied nahm, doch noch einen Dienst erweisen könnte.

Da der Spruch des Ehrengerichts nach Lage der Dinge vorauszusehen war, und ich in der ersten Aufregung, die dieser Beschluß auf den Betroffenen üben mußte, von Pius das Schlimmste befürchtete, so hielt ich es für Pflicht, dem Vater 109 zu telegraphiren, daß er schleunigst hierherreisen, die Familie vorbereiten und vor das Aergste sorgen möge.

Pius hab' ich in jener langen Nacht nicht gesehen. Er saß im Arreste. Einer von uns, der nach der ersten Vernehmung noch etliche Worte in Eile mit ihm gewechselt, sagte mir, er habe sich wie einer gebärdet, der unversehens in einen Narrenthurm gesperrt worden sei. Seine Aeußerungen seien so wüthende und despektirliche, daß man sie kaum wiederholen könne. Wenn er wegen solch arglosen Thuns verurtheilt, ja nur falsch beurtheilt werden könnte, dann säße die Dummheit auf dem Stuhl des Richters, auf dem Thron der Welt. Er wolle noch immer gar nicht für möglich halten, daß er um solch eines Versehens, ja nicht einmal Versehens, den Rock ausziehen müsse, den er mit Ehren getragen. Müsse das aber doch sein, so sei ihm leid um jede Stunde, da er in den bunten Rock und seine Illusionen sich eingeknöpft habe.

Nun, einem Menschen in seiner Lage mochten solche Worte, wie freventlich sie waren, nicht auch noch angerechnet werden. Sein Maß war ja ohnehin voll. Und wenn er jetzt im Trotz, in der Verblüffung, in der Verzweiflung solche Redensarten von sich gab, ich wußte, wie wenig Gewicht ihnen beizulegen war, ich wußte, daß Pius mit Leib und Seele Soldat war, ich wußte, daß er gar keinen Gedanken im Kopf und keine Gewohnheit an seinem Wesen hatte, die nicht zu diesem Rock gehörte, ich wußte, daß er, sobald er diesen jetzt verwünschten Rock auszog, ein dreifach verlorener Mensch war, denn außerhalb desselben fand er eine fremde, widerwärtige Welt, in die er 110 nicht paßte, mit der er sich nicht zu befreunden, ja kaum abzufinden vermochte.

Das war mir, der ihn von Jugend auf kannte, klar. Ich wußte schlechterdings nicht, was Pius, wenn der Spruch, wie nicht zu zweifeln, ausfiel, in der Welt noch wollte. Wieder kam mir der Rath des Adjutanten zu Sinn. Ich fragte mich, ob es nicht Freundschaftsdienst sei, mich zu ihm zu schleichen und ihm eine von meinen geladenen Pistolen zu bringen, ehe der Urtheilsspruch ihm die Ehre nahm.

Wozu hatt' ich dann an den Vater telegraphirt?!

Ich verwarf den grausamen Einfall. Aber wenn er, ein gerichteter Mann, selber zu mir kam und den letzten Freundschaftsdienst verlangte – ich wollte das Herz nicht haben, ihn zu verweigern.

Nachdem ich so mit meinem nächtlich überreizten Denken an dem einen Ende bei der Verzweiflung angekommen, war es wohl natürlich, daß ich auch einem Rückschlag unterlag.

Die äußere Veranlassung dazu? Diese! Auf den stillen Straßen herumstreunend mit meinem Kummer, meiner Angst, führte mich dies ziellose Wandeln auch an des Obersten Haus vorbei. Ich sah empor und sah, daß in dem Zimmer der Fräulein noch Licht war. Und doch war es schon vier Stunden nach Mitternacht! Also auch dort wachte noch eine bange Seele, die Gram und Angst und Liebe nicht schlummern ließen!

Pius, Pius! rief mein Herz im Stillen, wie Viele hast du heute durch deinen Leichtsinn um ihren Schlaf gebracht, wie Viele um das Glück ihres Lebens! 111

Aber auch ein freundlicher Gedanke mischte sich in's Empfinden all' dieser Bitternisse. Ein Gedanke wie ein Gebet. Ich sah im Geiste Valerie bei der Lampe sitzen und weinen. Und ich sagte: Guter Gott im Himmel, du wirst um des Leichtsinns dieses einen willen nicht so viele strafen! Die Thränen dieses Engels werden dich versöhnen. Vielleicht wird um ihretwillen noch Alles gut.

Es ist ja immer ein freventlich Spiel mit dem Unerforschlichen. Der Mensch in seiner Beschränktheit erkennt ja nur ein Theilchen des ewigen Willens. Jedoch in dieser Nacht ward mir der Gedanke ein Trost. Ich ließ ihn nicht mehr. Ich trug ihn gleichsam mit aller Sorgfalt nach Haus und schloß mich ein, um ihn nicht wieder zu verlieren. Ein ganzes Gebäude von Hoffnung baut' ich auf ihn. Und so mit gefalteten Händen und einem Herzen voller Zuversicht schlief ich endlich ein und schlief immerhin zwei erquickliche Stunden, bis mein Fourierschütz kam und mich der Ordre gemäß weckte.

Ich stand auch mit derselben Zuversicht auf. Mit der wiederholten Zusicherung: es kann, es wird noch Alles gut werden! setzt' ich mich an meinen Kaffeetisch.

Ich weiß es noch wie heute. Es war so ein richtiger trüber Aprilmorgen und es regnete in einem fort.

Da brachte mir der Bursche die Zeitung. Wie es meine Gewohnheit und die Eurige wohl auch, fing ich nicht bei der eklen Politik, sondern bei den vermischten Nachrichten an.

Das erste, was ich las, war eine hämisch aufgestutzte Schreibernotiz, in welcher der erste beste Halunke, dem man für eine Zeile etliche Pfennige lohnt, sich den Spaß machte, 112 der Stadt das Geschichtchen von einem Lieutenant zu erzählen, der seiner Liebsten das Portemonnaie leichter gemacht. Sogar der Anfangsbuchstabe seines Namens und noch ein kleiner vorsichtiger Fingerzeig fehlte dem Skandälchen nicht.

Mir sank die Hand in den Schoß, mir lief's kalt über den Rücken, ich sah mich um, wie wenn Jemand im Zimmer sein müßte, dem mein Zorn auszusprechen, mein Jammer zu klagen wäre.

Jetzt war Alles aus! Die große Glocke läutete Pius Ehre zu Tode. Keine Hoffnung mehr!

Da kam der Vater an.

Nun doch ein tiefgebeugter Mann! Aber von der Sorge gehoben: was soll weiter werden? und von der liebevollen Vorsicht: vor Allem gilt es, sein Leben zu erhalten!

Als er mich sah, ergriff er meine beiden Hände. Er konnte nicht sprechen und senkte tief das Haupt, wie wenn er das Weinen nicht mehr zurückhalten könnte und die Thränen des Mannes doch vor dem Manne verbergen möchte.

So faßte er sich, der Vielgeprüfte, und schlang und zwang die Thränen zurück, aber mir trat das Wasser in die Augen, wie ich die gebeugte Gestalt vor mir sah und seine Hände in den meinen zucken fühlte.

Eva! Eva! rief es in meinem Herzen. Ich fing an, unzusammenhängende, nichtssagende Worte vorzubringen.

Der Hofrath wehrte nur ab.

»Ich weiß schon Alles!« sprach er leise, über die Hände weg zur Seite blickend, wie es seine Gewohnheit 113 war. »Sagen Sie mir nichts von anderen Dingen – es ist nicht nöthig – ich bringe Ihnen ja auch keine Grüße mit.«

Also das Band war zerschnitten!

Der Vater setzte sich. Ich berichtete, was ich wußte. Ich zeigte ihm das Zeitungsblatt.

»O Gott!« seufzte er, da er es bei Seite legte, und barg die Stirn in beiden Händen. Wie ich, empfand auch er, daß, sowie der Skandal in die Oeffentlichkeit gedrungen, in Ehrensachen kein Heilmittel als die strengste Strafe war.

Ich führte den Hofrath zum Obersten, zu den Auditeuren, zum Generalkommando. Zu seinem Sohne durft' ich ihn nicht begleiten.

Was red' ich noch lange herum!

Am anderen Tage . . . Man hatte Eile, den Skandal aus der Welt und den Flecken von der Ehre des Regiments zu schaffen. Schon am anderen Tage nahm der alte Herr seinen Sohn mit sich nach der Hauptstadt; er hatte ihm in der Hast von den Kleidern aus seinem eigenen Koffer geben müssen; sie reisten in einem für sie allein gemietheten Coupé.

Wir wollten den verlorenen Kameraden nicht wiedersehen. Wir ersparten ihm billiger Weise diese Demüthigung, wo ein Abschied in Ehren nicht zu nehmen war.

Das Ehrengericht hatte mit allen bis auf zwei Stimmen ihn verurtheilt. Wem die zwei Stimmen gehörten? fragt nicht! Ich wußt' es – damals.

Immerhin fiel ihm das Schicksal nicht ganz so hart, wie es aufgezogen war. Durch die vielen Rücksichten bewogen, die man einer um den Staat so verdienten Familie 114 und zunächst einem Manne, wie dem Hofrath, schuldig war, veränderte sich das Urtheil auf dem Gnadenwege dahin, daß Pius nicht infam kassirt wurde, sondern seinen Abschied bekam. Freilich keinen Abschied mit Ehren, ohne Charakter, ohne Uniform.

Für die Familie war das immerhin eine Vergünstigung, auch für das anderweitige Fortkommen des Betroffenen von Belang; für uns, für das Regiment, für die Armee war es ziemlich dasselbe. Militärisch betrachtet, war Pius todt und für Alles, was zweierlei Tuch trug, ein verlorener Mann.

Wenig im Leben ist mir so nahe gegangen wie der Verlust dieses Freundes, und daß ich ihn gerade so und mit ihm meine Liebe verlieren mußte, hart genug war's.

Ich weiß nicht, wie ich über die Sache weggekommen wäre, wenn nicht bald darauf die allgemeine Aufregung, welche der Kriegserklärung voraufging, alle persönlichen Leiden überschwemmt hätte. Wirklich, es sollte drauf und drangehn! allen Ernstes! Ihr Jüngeren könnt Euch keine Vorstellung davon machen, wie der Gedanke in uns zündete, was für Jubel, Uebertriebenheiten, Phantasien wach wurden, und diese wucherten, daß man Alles andere darüber vergaß und ich auch Pius und was an diesem Gedanken so drum- und dranhing.

Die Aufregung schwankte nur kurze Zeit hin und her. Die Besonneneren unter uns kamen nicht zu Wort. Der Himmel unseres Ruhmes hing voll Geigen. Und endlich war der Krieg erklärt und Befehl zum Ausmarsche da. Welch ein Hurrah!

Hinterherbesehn . . . Ja ja, . . . Prost Mahlzeit! 115 Aber davon wollen wir heute nicht reden. Ihr möchtet nur wissen, was aus den Leuten geworden ist, von denen diese Geschichte erzählt.

Und zunächst, was aus der Röse von den drei Linden? Interessirt Euch diese Bestie? Mich nicht. Ich kümmerte mich nicht um sie und kein anständiger Kerl mehr kümmerte sich um sie. Sie blieb verrufen, wie es ihr der Kamerad von den Pionieren vorhergesagt hatte.

Freilich durch den Ausmarsch verschob sich die Sache ein wenig von selber, indem wir alle gingen und sie blieb. Infanterie und Pioniere verließen die Stadt; was zurückgelassen wurde, war ein unscheinbares Depot: Halbinvalide und Rekruten.

Ich selber habe die Röse nur einmal und nur von fern wiedergesehen. Am Tage des Ausmarsches; sie hatte sich, wie's schien, in ihrer veränderten Lage bereits zurechtgefunden. Die Katze, die vom Dach fällt, aber auf die Füße. Sie fuhr in der Kutsche eines der jüngeren Banquiers, der nie gedient hatte, sah fürnehm auf uns herab, da wir vorübermarschirten, als ließe sie uns Revue passiren, und rümpfte dazu die Nase.

Wir kamen auf dem Marsche auch durch die Hauptstadt. Der Empfang war glänzend, obgleich ein Theil der Bevölkerung mit dem Kriege nicht einverstanden war und das Schicksal, das unser harrte, besser vorhersah als wir, die wir blutgierig und begeisterungstrunken waren – ich weiß jetzt selbst nicht mehr recht, warum.

Wahrscheinlich, weil wir jung und rauflustig von Natur waren und uns der Müßiggang in langer Friedenszeit die Gedanken verdreht hatte. 116

Wir hielten etliche Tage Rast in der Hauptstadt. Es war natürlich, daß ich unter der Hand nach Pius fragte und was denn aus dem Armseligen in den paar Monaten geworden sein mochte.

Man zuckte die Achseln, sprach vom Einfluß der Familie, von der Mühe, die man sich gegeben, und daß der Mensch bei alledem nicht gerade auf den Kopf gefallen sei.

So war er denn bei der Eisenbahn untergebracht worden. Wo auch sonst?! Ein kleiner Büreaubeamter einer Privatgesellschaft. Mein Gott, er hatte sich was anderes geträumt, da er ein Knabe gewesen. Immerhin mußt' ich meinen, daß er noch Gott loben konnte. Ich war froh, daß er den Seinigen nicht auch noch müßig auf der Schüssel lag und sein täglich Brod auf ehrliche Weise verdiente. Ob dies von Dauer sein werde, konnte freilich Niemand sagen. Wenn Einer erst einmal fällt, kollert er leichter noch etliche Stufen tiefer, als daß er sich wieder in die Höhe hebt. Indessen was ging das Alles nunmehr mich noch an!

Selbstverständlicher Weise konnt' ich mich auch nicht entschließen, in der Familie des Hofraths einen Besuch zu machen. Ich wäre auch gewiß dort nicht empfangen worden.

Die Töchter des Obersten waren mit nach der Hauptstadt gefahren. Ich hatte das begreifliche Bedürfniß, mich so nah, als es die Sitte gestattete, an die lieben Mädchen anzuschließen. Wir hatten ja einen gemeinsamen Schmerz. Und ob wir auch nie von der Sache sprachen, dies unsichtbare Band verknüpfte viele unserer Gedanken mit einander und gab uns eine gewisse Weihe der Seelenverwandtschaft, die der Oberst nicht nur billigte, sondern auch theilte. 117

Er, der ganz im Glücke seiner Kinder lebte, der das frohe Gefühl im Herzen seiner Valerie aufgehen und wachsen gesehen und es eines Tages mit hatte vernichten helfen müssen, er war seit jener Unglücksstunde von tiefem Ernste beherrscht. Auch gehörte der Oberst nicht zu Denen, die mit frohlockender Selbsttäuschung in den Krieg zogen. Er war ein Kenner aller europäischen Heere, wußte, was uns bevorstand, verlor darüber kein Wort und that seine Schuldigkeit. Aber der Abschied von den Seinen wurde ihm sehr schwer. Die Mädchen gaben sich alle Mühe, in der Opferfreudigkeit für das allgemeine Wohl sich selbst zu vergessen. Ihre nächste Sorge mußte sein, Papa und die im Heere dienenden Verwandten mit all dem kleinen Komfort zu versorgen, der kümmerlich genug im Gepäck eines zum Kampf ausziehenden Offiziers eben noch Platz finden kann. Sie sorgten auch für mich wie Schwestern. Ich begleitete sie dafür in allen freien Stunden. Die meisten Einkäufe machten wir zusammen. Und je kürzer die Zeit wurde, desto mehr.

Am letzten Tage hatten wir noch immer irgend etwas nachzuholen. So gingen wir auch zusammen in einen Laden, der Wäsche und Wollsachen in gediegenerer Art, als leicht ein anderer, feil hatte.

Laut redend traten wir ein und ließen uns zeigen, was wir brauchten, ohne uns um die etlichen anderen Kunden, die sich in dem Gewölbe vorfanden, zu kümmern.

Einer derselben aber, der den Eintretenden den Rücken gekehrt hatte, machte, da wir dem Ladentische nahten, Platz, und einen Schritt zurücktretend, verbeugte er sich tief. 118

Ein Mann in schlichtem grauen Anzug, ein blondes Haupt, ein blasses Angesicht – Pius.

Ich nickte schandenhalber mit dem Kopfe; »grüß' Dich,« warf ich leise, halb der Gewohnheit, halb der Verlegenheit gehorchend, hin – einen Gruß, wie ein Almosen.

Valerie nickte nicht um eine Linie mit dem stolzen Haupte, sie sah an ihm hin, wie wenn der Mann Luft, wie wenn er gar nicht vorhanden wäre, und fragte, handelte, kaufte, berieth uns und entschied mit lauter ungebrochener Stimme, wie wenn sie Niemanden gesehen, der ihr das Herz zittern gemacht hätte.

Sie war die richtige Soldatentochter, das wackere Kind ihres tapferen Vaters; wie der, entgegen seinen Wünschen, treu seiner Schuldigkeit diente, so stand auch ihr Herz unter der Ehre Pflicht. Sie zwang es und ob es im Schmerz tobte. Vielleicht that sie des Guten dabei ein wenig zu viel, aber sie hatte Pius geliebt . . . und wie und wo war diese Liebe zu schanden geworden! Bedenket doch! Und bedenkt es in ihrem reinen mädchenhaften Sinne!

Pius wandte kein Auge von ihr. Wie auf dem Pranger, wie ein armer Sünder stand er da. Er wollte nicht vorwärts, nicht zurück; es war, als wagte er nicht sich zu rühren. Es war, als würde er immer magerer, immer kleiner, immer unscheinbarer, immer blasser. Und nur die Augen lebten und wuchsen und hingen sich an das schlanke Mädchen, das unerbittlich wie die Schicksalsnorne an ihm vorüberschwebte.

Ich mußte den Armen immer wieder ansehen; ich hätte der peinlichen Scene gern ein Ende gemacht. Ich 119 weiß nicht, ob sie wirklich so endlos lang dauerte oder ob sich nur meinem Mitleid die Minuten so grausam dehnten. Mir war, als schrieen Pius Augen: Was galt mir Alles, was ich bisher erduldet! Was schiert mich Lieutenants-Rang und patentirter Ehrbegriff, was blanker Knopf und steifer Kragen, was all der Firlefanz vom Federbusch bis zur Degenquaste! Du allein bist mein Richter, von dir allein kommt die Gnade und die Möglichkeit, weiter zu leben!

Valerie sah ihn nicht. Der Handel war zu Ende. Der Shawl glitt ihr von der Schulter; sie schob ihn eiligst mit eigener Hand zurecht und wandte sich. Wieder, wenn auch nicht so tief wie das erste Mal, verbeugte sich Pius stumm grüßend. Sie sah ihn nicht und dankte nicht und verließ mit uns den Laden.

Ich konnte nicht anders. Ich mußte noch an der Thüre mich umwenden nach dem verlorenen Kameraden. Nie im Leben werd' ich das blasse stumme Angesicht vergessen, nie, wie er dastand, versteinert, gleichsam vollgefüllt mit Bitterkeit, erst jetzt verurtheilt, erst jetzt vernichtet, gnadenlos, ein Bild der Schande.

*

Was wollt Ihr weiter noch?

Der Krieg war rasch begonnen, rasch beendet. Nach ihm bekam die Welt und auch unsere Armee ein anderes Gesicht. Es ist jetzt besser, als es damals gewesen ist. Lang sind die Scharten von damals ausgewetzt. Bruderzwist und alte Hiebe bedecken die gemeinsamen Lorbern, auf Frankreichs heißen Feldern gepflückt. Ihr wißt, wie ich denke. 120

Aus dem sechsundsechziger Feldzuge heimgekehrt, galt es Manches vergessen und Vieles lernen. Wir nützten die Zeit, hofften auf die Zukunft und ließen das Vergangene vergangen sein.

Ich ward in etlichen Garnisonen herumgezogen. Gründete endlich einen Hausstand, wurde Gatte, wurde Vater, wurde Major.

Auch die Hauptstadt sah ich bei gelegener Zeit zu öfteren Malen wieder. Zufällig traf ich dort auch mit Leuten zusammen, die mit des Hofraths Familie Verkehr hatten, wenn auch nicht gerade allzu intimen.

Ueber die alte Geschichte war langes Gras gewachsen. Ich selber hatte seit Jahr und Tag nicht an Pius gedacht. Nun sich's gerade so gab, fragt' ich – natürlich erst nach dem Vater.

Er diente dem Staate nach wie vor, ein alter Herr, aber noch immer ein tüchtiger Arbeiter und ehrenwerther Charakter.

Von den Töchtern waren zwei verheirathet, eine lebte noch ledig im Hause. Ich wollte nicht fragen, welche.

Und Nonna Tessa? . . . »Wer war das? . . .« Der Mann der späteren Generation wußte nichts von dem alten wunderlichen Großmütterchen, das sein heimisches Italienisch halb vergessen und unser Deutsch kaum halb gelernt hatte. Die gute Alte, die ihren Enkel so über alle Maßen geliebt und verhätschelt hatte, war wohl todt.

Nun und Pius?

»Ach der lüderliche Strick, der Schuldenmacher, der einmal auch in Euerem Regimente – (der gemeinsame 121 Bekannte machte eine geringschätzige Bewegung mit der Hand und vollendete): verdorben! gestorben!«

Gestorben! verdorben! Also ist die Geschichte aus?

Ich weiß nicht recht.

Ihr guckt mich verwundert an. Nein, ich bin es in der That nicht sicher. Ich hatte da in meinem Leben eine Begegnung . . . . Entscheidet selbst! Da ich Euch so lange vorgeplaudert, will ich Euch auch das noch erzählen. Es geht nun in Einem hin.

Es waren gerade zehn Jahre nach dem sechsundsechziger Kriege, da macht' ich mit meiner Frau eine Reise nach Italien.

Ich bin von Haus aus gerade kein Enthusiast. Aber in Verona ging mir das Herz auf. Das ist gleich zu Anfang so eine Offenbarung italienischen Wesens, wie sie – mir wenigstens – auch später nirgendmehr in dieser wohlthuenden Ueberraschung geworden ist. Man hat da die Wunder der Jahrhunderte so hübsch auf kleinem Fleck beisammen: das Amphitheater, die Grabmäler der Skaliger, San Zeno, die Capella Pellegrini, Sankt Georg's Martyrium, die Aussicht von der Höhe des Giustigartens, Paläste und Castel an den Ufern der Etsch – man sieht wohl anderswo mehr dergleichen, schöneres nirgends. Und dabei ist die Stadt so freundlich, so reinlich, und die Leute sind so neu und so sauber.

Ich sah dort auch zum ersten Mal italienisches Militär und das interessirte mich wie billig. Wenn ich kleine, gebräunte, dunkelhaarige Leute mir erwartet hatte, so wurde ich aufs Angenehmste überrascht. Diese lombardischen Regimenter sind voll schmucker, schlankgewachsener 122 Kerle und die lichte Haut und Haarfarbe überwiegt. Insbesondere die Offiziere hatten zum größten Theil blonde Haare und blonde Schnurrbärte und man hätte sie ihrer physischen Beschaffenheit nach ebensogut für deutsche oder skandinavische Offiziere halten können. Im Anfang überraschte mich das, ich gesteh' es; die Italiener, die ich in der Heimath kennen gelernt, hatten alle viel . . . südlicher ausgesehen. Aber es überraschte mich angenehm.

Auch sahen diese lombardischen Herren schmucker und properer aus, als ich sie mir nach Berichten vorgestellt und ich selber sie, tiefer nach Italien reisend, an anderen Orten gefunden habe. Ich weiß nicht, liegt es im lombardischen Wesen oder wirkt die Erinnerung an die schmucken österreichischen Offiziere, die hier gelegen, noch zur Nacheiferung nach: ich sah nur tadellose Wäsche und ordonnanzmäßige Vollkommenheit, während ich an anderen Orten . . . Nie werd' ich eines Offiziers vergessen, den ich in Genua ohne Strippen an den Beinkleidern vor seiner Truppe marschiren sah. Der Mann war gewiß ein Krieger und ein Held, aber ein Offizier vor der Front ohne Strippen, die Beinkleider über die Fußknöchel hinaufgeschrumpft . . . für unser einen ein unmöglicher Anblick.

Nun, das thut hier nichts zur Sache. In Verona hatte ich, wie an allem, was ich sah, so auch an den italienischen Kameraden meine helle Freude. Das heißt, nur par distance. Denn ich reiste selbstverständlich in Civil, wollte mit meiner Gattin ungestörten Behagens genießen und stellte mich Niemand vor. Schon die mangelhafte Kenntniß der Landessprache machte mir jede Annäherung fast unmöglich. Ich hatte, wie gesagt, auch kein Bedürfniß darnach. 123

Ich unterhielt mich göttlich mit meiner jungen, heiteren, kunstsinnigen Frau. Wir gingen und fuhren die Kreuz und Quer, sahen was nur zu sehen war, freuten uns an Stadt und Leuten, an Luft und Sonne, Speisen und Getränken und ließen uns wohl sein wie zwei Schüler in den Ferien.

Am schönsten war es des Abends, wenn vom dunklen Himmel der Vollmond schien. Da strichen wir lange plaudernd, Arm in Arm, in den schöneren Straßen herum, an Villen und Gärten vorüber, hinter deren Mauern und Gittern blasses Buschwerk und schwarze Cypressen in das wunderbare Licht aufragten, und wir sahen empor, schmiegten die Arme fester aneinander und sprachen von Romeo und Giulietta.

Nur ungern gab ich den Wünschen meiner Frau nach und opferte einen dieser reizenden Abendspaziergänge, um auch einmal ins Theater zu gehen. Der lieben Vollständigkeit halber in Gottes Namen! dacht' ich mir. Denn großen Genuß versprach ich mir nicht von der Sache. Wenn es noch eine Oper in der Stadt gegeben hätte! Aber ein Schauspiel und noch dazu von einer piemontesischen Truppe in piemontesischem Dialekt – daß ich davon keine Silbe verstehen würde, war ausgemacht. Indessen diese piemontesischen Dialektvorstellungen waren in allen Städten des Königreichs so in Mode, daß man uns rieth, eine solche Komödie mitzumachen. Und wie gesagt, der lieben Vollständigkeit wegen gingen wir also hin.

Sie nennen es in Italien teatro di confidenza, wenn man vor solch einer Schaubühne, wie es dort geschah, zwanglos und ohne Abendtoilette zusammenkommt und sich 124 was vorspielen läßt. Im Parterre fanden sich keine Sitzreihen, sondern Jeder, der kam, nahm sich einen Strohstuhl, stellte ihn hin, wo es ihm paßte und setzte sich zu seinen Bekannten. Da wir eintraten, hatte das Stück schon begonnen, die Logen waren fast alle besetzt, das Theater wimmelte von Uniformen aller Waffengattungen.

Wie vorausgesehen, ich verstand keine Silbe und reimte mir aus Gebärden und Mienen der Schauspieler nur unvollständig zusammen, worum es sich auf den Brettern handelte. Diese Mühe verlor bald genug ihren Reiz. Um nicht schon im ersten Akt einzuschlafen, verlegte ich mich darauf, das Publikum zu studiren. Ich konnte meinen Stuhl nach Belieben wenden und so musterte ich eine Loge nach der andern mit einem Behagen und einer Genauigkeit, als ob ich ein Maler wäre, der die einzelnen Charakterköpfe für sein Skizzenbuch festhalten will.

Natürlicher Weise interessirten mich auch hier wieder die Offiziere am meisten. Und unter den Offizieren vor Allen die der Bersaglieri.

Man braucht nur einige Tage in Italien zu sein, um die Bemerkung zu machen, daß das Volk für diese Truppe eine auszeichnende Vorliebe an den Tag legt. Infanterie und Kavallerie, Artillerie und Genie hat es schon früher gegeben; aber diese Scharfschützen in ihrer eigenthümlichen, für uns etwas opernhaften, aber recht italienischen Tracht und Ausrüstung sind erst mit dem einigenden Königthum gekommen. In ihnen sieht es mit Vorliebe die typisch-symbolische Gestalt des Befreiers von der Fremdherrschaft und dem Theilfürstenthum. Es ist ihm, als ob sich in ihnen die französischen Zuaven des Jahres 125 Neunundfünfzig, die ja in der italienischen Befreiungslegende eine hervorragende Rolle spielen, ins Nationale und Eigenthümliche übersetzt hätten. Die Augen des Volkes, der Jugend und der Frauen hängen mit Vorliebe an diesen ernsthaften, kriegerischen Gestalten, und mit Recht. In ihrer dunklen, fast schwarzen Tracht mit dunkelrothen Aufschlägen, in ihren kurzen Radmänteln, in ihren breitkrämpigen, schiefgesetzten Hüten mit den bis auf die Schultern wallenden Büschen von schwarzen Hühnerfedern sehen sie eigenthümlich und ergötzlich aus. Am Wunderlichsten blieb mir, daß die Offiziere dieser Scharfschützen schwarze Handschuhe und nur solche trugen. Ich mußte mich erst an die Vorstellung gewöhnen, daß das ordonnanzmäßig sei.

Wie beliebt diese Offiziere auch in der Gesellschaft seien, davon konnte man sich auch in diesem Theater überzeugen. Fast in allen Logen, wo hübsche Damen zu sehen waren, fand man Bersaglieri.

Eine Dame in einer der Logen fiel mir besonders auf wegen ihres ächt italienischen Typus. Ein starkes Profil mit künstlich verkürzter Stirn, darüber die reichen Haare geschmackvoll zur Seite geordnet waren. Ich konnte von der Gestalt nicht mehr sehen, als die Logenbrüstung frei ließ. Sie schien klein zu sein. Der Ausschnitt des Kleides und die Handschuhe über den Armen und ihr Fächer genügten zum Beweise, daß man eine Frau von Welt vor sich hatte.

Das Schauspiel fesselte sie nur zeitweise; sonst unterhielt sie sich plaudernd und lachend mit ihrer Gesellschaft. Häufig wandte sie sich um, damit der hinter ihrem Stuhl 126 aufgepflanzte Herr an ihrem Gespräche so viel als möglich Theil nehmen könnte.

Ein Offizier der Bersaglieri natürlich! Er stand steif und ruhig da, die beiden Hände – in den unvermeidlich schwarzen Handschuhen – auf seinem Säbelkorb gefaltet, nur zuweilen beim Sprechen die eine Hand erhebend, um seinen blonden Schnurrbart zu streichen.

Ich machte die Augen weit auf, schloß sie, öffnete sie wieder und schaute, schaute.

»Schatz,« sagt' ich, meine Frau am Ellenbogen rührend, »gieb mir Dein Opernglas!«

Meine schönere Hälfte, die ganz Aug' und Ohr für die Komödie war, freute sich der Störung nicht und wollte bald den Gucker wieder haben.

Allein ich ließ ihn nun nicht von den Wimpern und drehte mir die Gläser so scharf, als ich es vertrug.

»Nun, was hast Du denn gar so Merkwürdiges zu bewundern?« fragte mich endlich die Gattin.

Ich murmelte wie im Schlaf: »Es ist märchenhaft . . . unglaublich . . . unmöglich . . . aber der Teufel soll mich holen oder das ist Pius!«

Mein Weib wußte nicht recht, was das Wort bedeuten sollte. »Du siehst wohl Gespenster?« sagte sie und lachte.

»Vielleicht,« gab ich zur Antwort, aber es war mir gar nicht zum Lachen.

Wenn mich etwas in dem, was ich deutlich vor mir sah, hätte irre machen können, so wär' es nur der Zweifel gewesen, daß sich Jemand in zehn Jahren so merkwürdig wenig verändert haben sollte.

Das war Pius Zug für Zug. Die Haare waren 127 vielleicht ein Spürchen dunkler, Gesicht und Körper etwas voller, die Wangen gebräunter, die Haltung stramm, steif und in die Brust geworfen, diese freilich so ganz anders, als da ich ihn das letzte Mal in einem Wollwaarenladen der heimischen Hauptstadt gesehen hatte, aber nicht viel anders als in früheren Tagen des Glücks und Uebermuths.

Uebermüthig sah nun der Mann in der Loge nicht aus, sondern verdammt ernsthaft. So wie ein Kerl, der keinen Spaß versteht und leicht was übel nimmt. Wie ein Mann, dem allerhand Wind um die Nase gepfiffen, ohne ihn aus der Fassung gebracht zu haben. Unter dem rechten Schnurrbart, zwischen Mund und Kinn, lief fast bis ans Ohr die fingerbreite Narbe einer Schußwunde. Die Spur der Streifkugel ließ beträchtlichen Substanzverlust merken, doch entstellte sie das Angesicht des Kriegers nicht. Auch nicht in den Augen jener vornehmen Veroneserin, die sich mit bezaubernder Anmuth so oft als möglich zu dem blonden Ritter wendete.

Das alte Glück bei den Weibern! sagt' ich. Aber war er's denn?

Gestorben, verdorben! klang's wie von ferneher.

Warum nicht gar! gab ich zur Antwort und vertiefte mich immer mehr in Betrachtung dieser unverhofften Erscheinung.

So still und ernsthaft der Mann war, man konnte doch sehen, daß ihn mit der lebhaften Frau eine sichere Freundschaft verband, die nicht von gestern sein konnte. Ich sah, wie seine Augen oft und mit Wohlgefallen auf ihrem Haupte ruhten.

Endlich mußte der Bersagliere merken, daß ein Herr 128 im Zuschauerraum, welcher der Bühne hartnäckig den Rücken wandte, ihn unausgesetzt mit seinem Krimstecher betrachtete.

Er wendete meinen Augenröhren den Blick zu. Fest, gelassen, fast herausfordernd . . . doch nein, das war's nicht, denn in dem Antlitz verzog sich keine Miene. Wie eine Erzmaske mit lebendigen Menschenaugen sah er mich kaltblütig an.

Wie der Vorhang über dem Akte fiel, verließen die Herren die Loge. Wenige Minuten später sah ich den Bersagliere in den Saal treten. Ich stand vom Stuhl auf. Er mischte sich bald zu dieser, bald zu jener Gruppe von Kameraden, bald sich auf seinen Säbelknauf stützend, bald die Scheide wagrecht in beiden Händen hinter sich haltend, bald mir ab-, bald mir zugewendet, immer ungestört und behaglich, immer stramm und soldatisch.

Ich sah ihn bald näher, bald ferner. Je näher, desto ähnlicher erschien er dem Bilde, das mein Gedächtniß von Pius bewahrte.

Ich war in meiner Einbildung schon darauf gefaßt, daß der Mann demnächst auf mich zukommen und mich anreden würde. Dies fiel ihm nun nicht ein, wennschon ich meinte, daß sein Blick zuweilen durch die Menge hindurch sich zu dem ihn unablässig Betrachtenden wandte, als wollt' er fragen: Hat sich der Fremdling noch nicht satt gesehen?

Endlich hielt ich mich nicht länger zurück. »Verzeih mir,« sagte ich zu meinem Frauchen, »ich bin gleich wieder bei Dir. Nur einige Augenblicke Geduld!«

Während ich tiefer in den Saal zurückschritt, zog man den Vorhang über der Bühne auf und das Stück wurde 129 weitergespielt. Dies hinderte meinen Gang etwas. Mit einigen Entschuldigungen kam ich aber doch allmälig, wohin ich wollte.

Da, wie ich dem Bersagliere schon ziemlich nahe stand, versagte mir der Vorsatz. Wenn es nun doch nicht Pius ist, wie willst du dich, der Landessprache ohnmächtig, bei dem Fremden entschuldigen?

Der Mann schien dem piemontesischen Stück hier unten im Parterre weit größere Aufmerksamkeit zuzuwenden, als vorhin in der Loge. Er wurde gewiß nicht gern gestört. Je nun!

Einem plötzlichen Einfall gehorchend, stellt' ich mich dicht hinter dem der Bühne zugewandten Offizier auf.

»Pius!« sagte ich recht vernehmlich. Er regte sich nicht. »Pius!« sagte ich lauter und fügte seinen Familiennamen hinzu und wiederholte beide noch lauter.

Der Offizier drehte ein wenig den Kopf nach mir und machte mir dann mit einem halben Schritt nach links Platz, wie einer, der annimmt, die unverständliche Rede des Fremden hinter ihm habe ihm weiter nichts andeuten wollen, als daß der nicht genug von der Bühne sehe.

Ich benutzte die Gelegenheit, ihn zu grüßen.

Er sah mich an, ohne das Haupt zu bewegen, als könnt' er schlechterdings nicht annehmen, daß der Gruß ihm gegolten habe.

»Kennen sie mich denn nicht? Sind Sie nicht . . .?«

Er unterbrach meine Worte mit einem kaum merklichen Achselzucken, als wollt' er andeuten, daß er nicht eine Silbe von meiner Ansprache verstände.

Ich entschuldigte mich auf Französisch.

Dieselbe, sacht ablehnende Bewegung von Schultern und 130 Nacken. Keine Bewegung an der Lippe, kein Zucken in der Wimper.

Ich wollte noch was sagen, da kehrte sich ein Philister vor mir auf seinem Strohstuhl um und rief entrüstet: »«ma chè!... silenzio! und etliche andere schöne Seelen, denen der piemontesische Dialekt vertrauter war, als mir, zischten mich an.

Der Bersagliere, ganz wieder der Bühne zugewandt, runzelte die Stirn, daß die Brauen sich fast über seiner Nase berührten. Der Fremde war nicht mehr für ihn vorhanden.

Es blieb mir nichts übrig, als ihn zu verlassen und zu meiner Frau zurückzukehren, die sich im Gewühl der Wälschen schon lange besorgt nach mir umsah.

Während der Akt langsam zu Ende spielte, besann ich mich auf mein ganzes Italienisch, über das ich in der Unterhaltung zu gebieten vermochte, und studirte mir etliche Fragen zusammen, für ein und anderes Wort, das mir fehlte, meine Gattin zu Hilfe rufend.

Sowie der Vorhang abermals gefallen war, stand ich auf und rannte den ersten besten Bersagliere an, den ich zunächst erwischte.

»Entschuldigen Sie die Frage eines Fremden, mein Herr!«

»Mit Vergnügen, mein Herr.«

»Können Sie mir sagen, wer die elegante Dame dort in jener Loge des ersten Ranges ist, in der zweiten von der Mitte?«

»Die mit den schwarzen Haaren? . . . die Marchesa . . .«

Und nun kam ein langer volltönender Name, oder vielmehr drei oder vier Namen, einer schöner als der andere . . . zu lang und zu viel, um sie zu behalten, zu schön und pompös, um sie sich noch einmal vorsagen zu 131 lassen, ohne für einen Barbaren gehalten zu werden, welcher die Geduld seiner Nebenmenschen mißbraucht.

In demselben Augenblicke trat der blonde Bersaglierenoffizier, den ich für Pius halten mußte, wieder in die Loge und erzählte seiner Dame eine Geschichte, welche sie sehr erheiterte, vielleicht die Geschichte eines Fremden, der ihm verrückt vorkam.

Ich wandte mich wieder zu dem Unteroffizier an meiner Seite: »Noch eine Frage, mein Herr.«

»Favorisca!«

»Wie ist der Name des Offiziers, welcher jetzt mit der Marchesa spricht?«

Wieder hörte ich einen schönen, wenn auch einfacheren italienischen Namen, der mit dem meines Pius kaum einen Buchstaben gemein hatte.

»Sind Sie gewiß, daß Sie sich nicht irren, mein Herr?«

»Wie sollt' ich! Es ist der Hauptmann meiner Kompagnie.«

»Und Sie wissen sicherlich, daß er nicht Pius . . . . heißt?«

Der Brave machte ein Gesicht, als ob das barbarische Wort seinen Kinnladen schon beim Hören weh thäte, und wiederholte dann sehr höflich und sehr bestimmt den wohlklingenderen Namen seines Kompagniechefs.

»Und bei Ihrem Regiment steht kein Offizier des Namens Pius . . . . . . .?«

»Keiner, mein Herr!«

Ich dankte und setzte mich zu meiner Frau zurück. Während das Schauspiel zu Ende geführt wurde, dacht' ich darüber nach, ob ich denn recht gethan im ersten Antrieb überraschter Empfindung, ob ich ihn denn ansprechen 132 gedurft, wenn er wirklich Pius war? Und so lange ich ihn sah, zweifelte ich keinen Augenblick, daß er es war.

Warum hätt' ich ihn nicht anreden sollen? War nicht Gras gewachsen über die alten Geschichten? Verjährt ein Vergehen, wie es Pius begangen, nicht auch? Und war er denn nicht wieder ehrlich und ein Kamerad? Trug er doch den Rock eines kriegerischen Königs und hatte Pulver gerochen und für die Freiheit und Einheit eines schönen Landes sein Blut vergossen? Sein Blut, das ja zum Theil dieses Landes war? Und Alles in Allem, ziemt es dem Sterblichen, unversöhnlich zu sein und nie zu vergeben?

Er freilich, wenn er's war, war nicht versöhnt. Konnt' er es sein? Konnt' er in mir etwas anderes sehen, als den Mann in jenem Laden, wo ich mit Valerie die letzten Einkäufe vor dem Kriege gemacht! Und wenn es nur Klugheit war . . . auch diese gebot ihm Schweigen und Zurückhaltung.

Müßige Gedanken! Und doch ward ich sie nicht los. Auf der ganzen Reise nicht. Auch nicht daheim.

Sobald ich wieder in der Heimath war, nahm ich mir einen Entschluß und schrieb an Eva einen kurzen Brief des Inhalts, daß sie mir über ihres Bruders weiteres Schicksal einige Aufschlüsse geben möchte. Meine Anfrage käme aus altem treuen Freundesherzen und eine wunderliche Begegnung gäbe mir Veranlassung und Muth zu dieser Belästigung. Sie möge sie verzeihen.

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Mit der üblichen Höflichkeit in Eingang und Abschluß, gab sie folgenden Bescheid: »Mein armer Bruder Pius ist nach immer traurigeren Erfahrungen im Spital von Sanct Benno gestorben. Der Vater wollte ihn nicht wiedersehen. 133 Die Mutter war schon todt. Die Schwestern kamen zu spät. Nur ich habe ihn gepflegt.«

Also doch verdorben, gestorben! Das Schreiben Evas erschütterte mich tief. Ich las es öfter wieder. Diese festen, großen Schriftzüge, sie paßten so gut zu der starken kleinen Hand, die ihr Herz so streng beherrschte. Und je öfter ich die wenigen Zeilen las, desto häufiger setzt' ich hinzu: ihr Herz und ihre Feder!

Wenn sich die Gedanken einmal in eine Vorstellung verrannt haben, lassen sie nicht leicht davon. Man glaubt ungern an den Tod eines einst geliebten Menschen.

Stunden lang, Tage lang hab' ich mich mit der Frage gequält: ist Pius wirklich todt, oder lebt er noch drüben über den Bergen?

Eva hat nie gelogen. Sie war so klar, so rein, so ehrlich in allem Thun und Lassen. War es denkbar, daß sie sich hinsetzte und mit ruhigen Schriftzügen mir eine Unwahrheit hinschrieb?

Wenn ich mir Evas Bild so recht vor die Seele zauberte, glaubte ich, daß ihr Bruder gestorben war und so, wie es jene berichtete. Sie konnte nicht lügen!

Auch nicht, wenn es die ganze fernere Existenz dieses vielgeliebten Menschen galt? Wenn es galt, ein Geheimniß zu hüten, dessen Schleier gelüftet, ihn noch einmal vernichtete, unheilbarer als das erste Mal? Und warum sollte sie mit mir solch ein Geheimniß theilen? Mit mir, den der Blitz, der in ihren häuslichen Herd geschlagen, weit weg auf Nimmerwiedersehen gescheucht hatte? Der zehn Jahre nichts mehr von Theilnahme hatte verlauten lassen? Ein Geheimniß, das nicht einmal das ihrige war? 134

Und nun rechnete ich mir zusammen alle Anzeichen, welche die Möglichkeit zur Wahrscheinlichkeit steigerten. Sie sagte, daß Pius allein gestorben sei; also waren gar keine Zeugen seines Todes da. Außer ihr und den Spitalleuten. Was wußten diese, ob da droben ein Pius oder sonst wer im Bette lag. Und sie wollte schweigen und täuschen in diesem Fall aus Liebe zum Bruder. Und da stand auf einmal Nonna Tessa vor meiner Erinnerung. Die alte Italienerin, die sicherlich noch Beziehungen in der Heimath hatte! Einflußreiche Familienbeziehungen . . . . auf dem Lande . . . . unter Verwandten, die, wie Verschworene treu, Geheimnisse zu bewahren und zu nutzen wußten. Und sie war seit Jahr und Tag verschwunden. Nicht einmal Evas Brief that der alten Frau Erwähnung, sagte nicht, daß sie todt war. Wenn sie lebte, setzte sie Himmel und Erde in Bewegung, ihrem Liebling ein neues Schicksal zu ebnen. Das war gewiß. Und wie schön sprach Pius italienisch! Und der Mann in Verona, der blonde Bersagliere, den ich mit eigenen Augen gesehen . . .

War das Pius? oder ist er gestorben, verdorben?

Wem soll ich glauben, meinen eigenen Augen oder Evas Worten?

Beide können täuschen.

Es giebt Tage, wo ich meinen verlorenen Kameraden für glücklich, und andere, wo ich ihn für begraben halte.

Ihr, die Ihr diese wahrheitsgetreue Geschichte mit angehört habt . . . nun, und was glaubt Ihr?

 


 


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