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An Karl Grafen Schönfeld.
Mein teurer Graf!
Ich sitze auf dem Schloßberge, am kleinen Tische im Boskett dicht unterm Uhrturme. Mit Bleistift kritzle ich diese an Sie gerichtete Vorrede. Weshalb ich mir's nicht bequemer mache vor meinem großen Schreibtische? Aufrichtig gesagt, es war eine kindische Laune, die mich jetzt hier herauf trieb. Ich wollte durchaus die Zueignung zu diesem Buche gerade heute und nahe bei dem alten Gemäuer entwerfen, aus welchem einst ein theatersüchtiger Junge seinem Vater, dem ehrenbemeldeten Herrn Turmwächter entlaufen sein soll, um – Komödiant und nebenbei Deutschlands erster Hamlet, kurz einer unserer berühmtesten Schauspieler zu werden. Er hieß Brockmann.
Sie sehen, die kindische Laune hatte einen tieferen Sinn.
Daß ich meinen »letzten Komödianten« Ihnen widme, wird Sie nicht befremden. Logaus Motto auf dem Titelblatte, soll es zwischen Ihnen und mir zur Anwendung kommen, ist leicht beantwortet.
Auf die erste Frage: »Leser, wie gefall' ich dir?« haben Sie mir schon früher Auskunft gegeben. Auf die zweite: »Leser, wie gefällst du mir?« erwidere ich Ihnen: Wollte Gott, sie wären alle so! Womit ich nicht meine, so nachsichtig wie Sie; sondern vielmehr so warm-teilnehmend, so lebendig-eingehend, so ganz bei der Sache!
Ja, wollte Gott! Aber ach, Er scheint nicht zu wollen.
Und gestehen Sie, Graf, ist es nicht entsetzlich, wie die meisten lesen? Viele bilden sich ein, daß Romane, die sie »leichte Lektüre« nennen, ein für allemal nichts anderes sein können, als Zeitvertreib einer faulen, müßigen Viertelstunde; sie lesen ein paar Seiten, gähnen, plaudern dazwischen, werfen das Buch weg und beklagen sich, daß der Verfasser sie nicht zu fesseln versteht. – Hat der Autor nicht das Recht, ihnen zu entgegnen, daß sie nicht verstehen zu lesen.
Der Leser soll mit uns vertraulich wandern, sich unserer Führung überlassen, uns folgen, nicht neben uns herumspringen wie ein kläffender Hund, der tausendmal zurückbleibt, abschweift, bellt.
Fehlen euch Zeit, Geduld, Lust, Interesse, das Buch festzuhalten, seinen Inhalt redlich in euch aufzunehmen, wie er redlich, fleißig ausgearbeitet euch dargeboten wird ... nun, dann leset uns gar nicht! oder urteilt wenigstens nicht hochmütig über das, was ihr im Totaleffekt weder begriffen noch empfunden habt. Solches Lesen, solches Urteilen ist ja moralischer Totschlag.
Und dann: giebt es etwas Abgeschmackteres als dieses verbrauchte allgemeine Gerede von »leichter Romanen-Lektüre?« Was ist denn damit gemeint? Auf welche Romane soll sich's denn beziehen? Doch nicht auf diejenigen, die sich's zur Pflicht machen, eines Menschendaseins folgerechte Entwicklung mit biographischer Konsequenz darzustellen? Ein solches Buch kann mißlungen sein, es kann verletzen, es kann langweilen, es kann die verschiedenartigsten Wirkungen auf verschiedenartige Individuen äußern ... aber für leichte oberflächliche Lektüre kann es dem gebildeten denkenden Leser unmöglich gelten, wofern der Verfasser seinen wichtigen Zweck fest im Auge behalten hat. Dies gethan zu haben darf ich mir nachrühmen. Ich habe in fünf größeren Romanen behandelt: Poesie und Prosa des Vagabundentumes – christliche Duldung (Lammfell) – die Ehre des Handwerks (Schneider) – die Ehre des Adels ( Noblesse oblige) – das Wesen des Schlesiers (Eselsfresser) – und in vorliegendem, sechsten fand ich mich mit dem Theater ab. Jedwedes dieser Bücher umfaßt ein in sich abgeschlossenes Leben. Keines derselben erstrebt Auszeichnungen, welche man historischen, kulturhistorischen, naturhistorischen, geographischen, ethnographischen, landschaftsmalerischen, musikalischen und ähnlichen Romanen zugesteht. Ich gab und gebe meine schlichten Erzählungen ohne Ansprüche. Nicht einmal »die Übersetzung in fremde Sprachen wird vorbehalten;« mir genügt an aufmerksamen deutschen Lesern. Aber ich gebe sie mit dem begründeten Selbstgefühl, daß ich sie nicht aus andern Büchern entlehne und zusammenschreibe; daß sie mein sind, Eigentum meines Geistes und Gefühles in Erfindung, Anlage, Durchführung; hervorgegangen aus eigener Beobachtung, Menschenkenntnis, Erfahrung; innerlich wahr; mit Fleiß und gutem Willen geschaffen. Wer nicht lange gelebt, nicht viel erlebt, nicht viel geirrt, verschuldet, erlitten, gerungen, gedacht hat, der kann keinen solchen Roman liefern. Man schreibt solche Bücher nur mit dem Blute seines Herzens. Deshalb protestiere ich entschieden gegen die »leichte Lektüre.« Meine Romane, wenngleich sie mit Scherzen durchwebt sind – und vielleicht dadurch um so mehr! – müssen jedem Leser, der sie vorurteilsfrei und verständig auffaßt, sehr ernsthaft erscheinen; so ernsthaft wie das Leben selbst. Ob sie ihm gefallen können? ... das steht auf einem andern Blatte. Mein Protest gilt nur dem vornehmverächtlichen Abfertigen der Gattung. Mein schriftstellerisches Talent unterwirft sich bescheiden; ich habe unparteiischen einsichtsvollen Tadel stets hoch zu achten gewußt. Übersättigte Gespannt-sein-woller werden mich rasch beiseite werfen. Materialistische Pedanten, enragierte Politiker, bornierte Gelehrte und Vielwisser werden sich hoffentlich um meine Arbeiten nicht bekümmern. Hörte ich doch einen, der gewissermaßen letztere drei Klassen in sich vertritt, den Satz aufstellen: Man dürfe überhaupt nur positiv-wissenschaftliche Werke lesen; sämtliche schöne Litteratur sei vom Übel!
Als ob man nur aus wissenschaftlichen Werken lernte! Als ob das Leben kein Lehrmeister wäre! Als ob Romane, die es gründlich schildern, nicht eindringlicher zu überzeugen vermöchten, denn trockenes Wissen? – O, es ist unglaublich, zu welchen Dummheiten eitle Weisheit bringen kann!
»Nur Eines giebt es in der Welt, was dem Schriftsteller
dauernde Beliebtheit verschafft; und dies ist die
Wahrheit!«
(James.)
Wenn meinen litterarischen Versuchen sonst alles fehlt, diesen Vorzug soll ihnen niemand streitig machen. Auch dem Buche nicht, welches ich Ihnen, teurer Graf, hiermit zueigne und empfehle.
Geschrieben Gräz in Steiermark an Goethes Geburtstage 1862.
Ihr getreuer