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Nille. Jeppe. Der Richter.
Jeppe am Galgen hängend.
Nille (rauft sich die Haare aus, schlägt sich vor die Brust und ruft): Ach, ach, ist das möglich, daß ich meinen braven Mann so schmählich am Galgen hängen sehe! Ach, mein allerliebster Mann, verzeih' mir, wo ich Dir etwas zu Leide gethan habe! Ach, ach, nun wacht mein Gewissen auf! Nun reut mich, aber zu spät, die Härte, mit der ich Dich behandelt habe! Nun vermiss' ich Dich erst, nun komme ich erst dahinter, welchen braven Mann ich verloren habe! Ach, könnt' ich Dich wieder lebendig machen mit meinem eigenen Herzblut!
(Sie trocknet sich die Augen und weint bitterlich. Inzwischen hat der Schlaftrunk zu wirken aufgehört.)
Jeppe (wacht auf, sieht sich am Galgen hängen mit gebundenen Händen, hört seine Frau klagen und sagt zu ihr): Gieb Dich zufrieden, mein Herzensweib, den Weg müssen wir alle. Geh heim, nimm Dein Haus wahr und sorge für meine Kinder! Meine rothe Jacke kannst Du für den kleinen Christoph zurecht machen lassen; was davon übrig bleibt, davon kann Martha eine Mütze kriegen. Vor allem sorge, daß mein Schecke gut gepflegt wird; ich habe das Vieh geliebt, als ob es mein leiblicher Bruder wäre. Wär' ich übrigens nicht todt, wollt' ich Dir noch verschiedenes Anderes sagen –
Nille. Ah . . . ah . . . ah . . . Was ist das? Was hör' ich? Kann ein Todter sprechen? 184
Jeppe. Sei nicht bange, Nille, ich thu' Dir nichts.
Nille. Ach, mein allerliebster Mann, wie kannst Du doch sprechen, wenn Du todt bist?
Jeppe. Wie das zugeht, weiß ich selbst nicht. Aber höre, mein Herzensweib, spring mal fort, wie 'n Lauffeuer, und bring' mir für acht Schillinge Branntwein; denn ich durste jetzt mehr als bei Lebzeiten.
Nille. Pfui, Du Vieh, Du Unflath, Du giftiger Trunkenbold! Hast Du nicht Branntwein genug getrunken bei Lebzeiten? Durstest Du Hundevieh noch, wenn Du todt bist? Das nenn' ich doch ein Schwein durch und durch!
Jeppe. Halt' den Mund, Du Unflath, und bring' mir gleich den Branntwein her. Thust Du das nicht, so will ich, hol' mich der Satan, jede Nacht in Deinem Hause spuken; Du sollst wissen, daß ich den Meister Erich jetzt nicht mehr fürchte, ich fühle jetzt keinen Schlag mehr. (Nille springt hinein nach dem Meister Erich, kommt wieder und prügelt ihn am Galgen.) Au, au, au! Halt' auf, Nille! Halt' auf, Du schlägst mich noch einmal todt! Au, au, au!
Der Richter. Höre, Weib, Du mußt ihn nicht mehr schlagen, gieb Dich zufrieden; um Deinetwillen wollen wir Deinem Mann seine Missethat vergeben und ihn wieder zum Leben verurtheilen.
Nille. Ach nein, gestrenger Herr, laßt ihn nur hängen, er ist nicht werth, daß Ihr ihn leben laßt.
Der Richter. Pfui, Du bist ein garstiges Weib, pack' Dich fort, oder wir lassen Dich ihm zur Seite hängen.
(Nille läuft fort.)
Jeppe. Der Richter.
Jeppe wird vom Galgen abgenommen.
Jeppe. Ach, gestrenger Herr Richter, ist das gewiß, daß ich nun auch wieder ganz lebendig bin? Oder bin ich blos ein Gespenst? 185
Der Richter. Du bist ganz lebendig; das Gericht, welches das Leben abspricht, kann auch ebenso das Leben wieder zusprechen. Kannst Du das nicht begreifen?
Jeppe. Nein, ich kann es meiner Treu' nicht begreifen, ich glaube, daß ich ein Gespenst bin und spuke.
Der Richter. Ei Du Narr, das ist leicht zu begreifen: wer Dir etwas nimmt, kann es Dir doch auch wiedergeben?
Jeppe. So möcht' ich wol den Richter Spaßes halber aufhängen und sehen, ob ich ihn dann auch wieder zum Leben verurtheilen kann.
Der Richter. Nein, das geht nicht an, Du bist kein Richter.
Jeppe. Aber so bin ich wirklich wieder lebendig?
Der Richter. Ja, das bist Du.
Jeppe. So daß ich nicht spuke?
Der Richter. Gewiß nicht.
Jeppe. Auch nicht umgehe?
Der Richter. Nein.
Jeppe. So daß ich derselbe Jeppe vom Berge bin wie zuvor?
Der Richter. Ja.
Jeppe. Und kein Geist?
Der Richter. Nein, gewiß nicht.
Jeppe. Wollt Ihr mir schwören, daß das wahr ist?
Der Richter. Ja, ich schwöre Dir, daß Du lebendig bist.
Jeppe. Ruft den Teufel an, daß er Euch hole, wenn es nicht wahr ist!
Der Richter. Ei, glaube unsern Worten und danke uns, daß wir so gnädig gewesen sind, Dich wieder zum Leben zu verurtheilen.
Jeppe. Dafür, daß Ihr mich losgeschnitten habt, wollt' ich Euch gerne danken, wenn Ihr mich nur nicht auch selbst aufgehängt hättet.
Der Richter. Gieb Dich zufrieden, Jeppe, und sag' uns, wenn Deine Frau Dich wieder schlägt; so werden wir schon Rath dafür finden. Sieh, da hast Du vier Thaler, davon kannst Du Dir schon einige vergnügte Tage machen, und vergiß 186 nicht auf unsere Gesundheit zu trinken. (Jeppe küßt ihm die Hand und bedankt sich, der Richter geht.)
Jeppe (allein).
Nun bin ich funfzig Jahre alt, aber in all der Zeit hab' ich nicht so viel erlebt wie in diesen zwei Tagen. Wenn ich das so recht bedenke, sind es doch verfluchte Geschichten: jetzt ein betrunkener Bauer, nun ein Baron, nun wieder ein Bauer; nun todt, nun lebendig am Galgen – und das ist das Wunderlichste. Aber wer weiß, vielleicht, wenn man die Leute lebendig hängt, so sterben sie; hängt man sie aber todt, so werden sie wieder lebendig. Ein Glas Branntwein, dächt' ich, müßte herrlich darauf schmecken; heda, Jacob Schuster, heraus!
Jacob Schuster. Jeppe.
Jacob. Willkommen zurück aus der Stadt! Nun, hast Du Seife gekriegt für Deine Frau?
Jeppe. Pah, Du Schlingel, weißt Du auch, mit wem Du sprichst? Hut ab! Du bist eine bloße Canaille gegen mich!
Jacob. Von einem Andern ließe ich mir das nicht gefallen, Jeppe. Indessen Du läßt mich täglich meinen Schilling verdienen, da nehm' ich das nicht so genau.
Jeppe. Hut ab, sag' ich, Du Schuster!
Jacob. Was ist Dir nur unterwegs passirt, Du kommst mir ja ganz spanisch vor?
Jeppe. Du mußt wissen, seit wir uns zuletzt gesehen, bin ich gehängt worden.
Jacob. Nun, so sehr was Vornehmes ist das doch eben nicht, das Glück gönn' ich Dir. Aber höre, Jeppe, wo Du Dein Bier getrunken, mußt Du auch Deine Hefe vergießen; Du 187 betrinkst Dich an fremden Orten und dann kommst Du zu mir und machst Spectakel.
Jeppe. Marsch, Hut ab, Schlingel! Hörst Du nicht, wie das in meiner Tasche klimpert?
Jacob (mit dem Hute unter dem Arm). Element, wo hast Du das Geld her?
Jeppe. Von meiner Baronschaft, Jacob. Ich will Dir erzählen, was mir begegnet ist; aber erst gieb mir ein Glas Meth, denn dänischen Branntwein zu trinken, bin ich zu vornehm.
Jacob. Prosit, Jeppe.
Jeppe. Nun will ich Dir erzählen, was mir begegnet ist. Erst wie ich von Dir ging, schlief ich ein; da ich wieder aufwachte, war ich Baron und trank mich voll und toll in Canalliensect; wie ich betrunken war von Canalliensect, erwacht' ich wieder auf dem Mist; wie ich auf dem Mist wieder aufwachte, legt' ich mich hin, um noch mal zu schlafen, in der Hoffnung, mir wieder eine Baronschaft anzuschlafen. Allein ich überzeugte mich, daß das nicht so allemal geht; denn meine Frau weckte mich mit dem Meister Erich und zog mich bei den Haaren, ohne den geringsten Respect vor einem Manne, wie ich gewesen war. Wie ich in die Stube kam, wurde ich, den Kopf voran, gleich wieder hinausgestoßen und sah mich umringt von verschiedenen Vogel GreifsHolberg hat hier einen vortrefflichen, vielleicht dem Rabelais nachgebildeten Ausdruck, der noch jetzt in Dänemark für untergeordnete Polizei und Gerichtsdiener oder überhaupt für unbekannte, zweideutige Menschen in Gebrauch ist: Gripomaenus. Der Ursprung vom französischen griper, gripper ist unverkennbar; der Ausdruck bei Rabelais heißt Grippeminaud. A.d.Ü., die mich zum Tode verurtheilten und vergifteten. Wie ich todt war, wurd' ich gehängt, und wie ich gehängt war, wurd' ich wieder lebendig und kriegte vier Thaler. – So, das ist nun die Geschichte; aber nun überleg' Dir mal, wie das möglich gewesen ist?
Jacob. Ha ha ha, das ist ein Traum, Jeppe.
Jeppe. Hätt' ich nicht diese vier Thaler, würd' ich ebenfalls denken, es war ein Traum. Gieb mir noch einen, Jacob, ich will an die verrückte Geschichte nicht weiter denken, sondern mir einen ehrlichen Rausch trinken.
Jacob. Prosit, Herr Baron, ha, ha, ha!
Jeppe. Du kannst das vielleicht nicht begreifen, Jacob?
Jacob. Nein und wenn ich mich auf den Kopf stellte.
Jeppe. Darum kann das doch wahr sein, Jacob; denn 188 Du bist ein Dummkopf und begreifst oft Sachen nicht, die weit leichter sind.
Magnus. Jeppe. Jacob.
Magnus. Ha ha ha! Ich will Euch eine verwünschte Geschichte erzählen, die einem Manne begegnet ist, mit Namen Jeppe vom Berge. Den hat man gefunden, betrunken und schlafend auf dem Felde, hat ihm andere Kleider angezogen, hat ihn in das beste Bett auf dem herrschaftlichen Schlosse gelegt und hat ihm eingebildet, er wäre der Herr. Wie er aufwacht, betrinkt er sich wieder, man zieht ihm seine alten zerrissenen Kleider an und legt ihn wieder auf den Mist; darauf, wie er erwacht, bildet er sich ein, er wäre im Paradies gewesen. Ich habe mich halb todt gelacht, wie die Leute des Verwalters mir die Geschichte erzählten. Ich gäbe meiner Six einen Thaler darum, kriegt' ich den Narren zu sehen; ha ha ha!
Jeppe. Was hab' ich zu bezahlen, Jacob?
Jacob. Zwölf Schillinge.
(Jeppe wischt sich den Mund und geht beschämt davon.)
Magnus. Warum ging der Mann so schnell weg?
Jacob. Das ist just derselbe Mann, dem sie den Streich gespielt haben.
Magnus. Ist es möglich? Da muß ich ihm nachlaufen. Höre, Jeppe, ein Wort: wie sieht's denn aus in der andern Welt?
Jeppe. Laß mich in Ruh'!
Magnus. Warum bist Du denn so rasch wiedergekommen?
Jeppe. Was kümmert's Dich?
Magnus. Ei, erzähle uns doch noch was von der Reise.
Jeppe. Laß mich in Frieden, sag' ich, oder es geht Dir schlecht.
Magnus. Ei Jeppe, ich bin so begierig noch etwas davon zu hören.
Jeppe. Hans Schuster, zu Hülfe! Leidest Du, daß man mich in Deinem Hause so mißhandelt? 189
Magnus. Ich mißhandle Dich ja nicht, Jeppe, ich frage Dich nur, wie's in der andern Welt aussieht?
Jeppe. Heda, Hülfe! Hülfe!
Magnus. Hast Du niemand von meinen Vorfahren gesehen?
Jeppe. Nun, Deine Vorfahren werden wol wo anders sein, wohin hoffentlich Du und andere Canaillen nach dem Tode ebenfalls kommen. (Reißt sich los und läuft fort.)
Der Baron. Sein Sekretär. Sein Kammerdiener. Zwei Lakaien.
Der Baron. Ha ha ha, die Historie war Geld werth, solche gute Wirkung hatte ich mir nicht davon erwartet. Kannst Du mich öfters so gut unterhalten, Erich, so wirst Du bei mir gut angeschrieben sein.
Erich. Nein, gnädiger Herr, solche Komödie öfters zu spielen, wage ich nicht; denn wenn er den Herrn geschlagen hätte, wie er drohte, so wäre das eine häßliche Tragödie geworden.
Der Baron. In der That, das ist richtig, ich hatte deshalb Angst genug. Aber ich war so verliebt in die Geschichte, daß ich mich lieber hätte schlagen lassen, ja ich glaube, ich hätte mich lieber hängen lassen von ihm, Erich, als daß ich sie ihm verrathen hätte. Du dachtest vermuthlich ebenso?
Erich. Nein, Euer Gnaden, sich blos zum Spaß hängen zu lassen, kam mir doch ein wenig ernsthaft vor; der Spaß wäre zu theuer gekommen.
Der Baron. Ei Erich, das passirt ja alle Tage, wie Viele, ist es nicht auf diese Art, so ist es auf eine andere, nehmen sich nicht das Leben blos Spaßes halber. So zum Beispiel: Einer von schwachem Körper, der voraussieht, daß vieles Trinken ihm Leben und Gesundheit verderben wird, stürmt doch auf seinen Körper los und opfert Leben und Gesundheit für die Lustbarkeit eines Abends. Oder auf eine andere Art: die Großvezire in der Türkei werden meistentheils strangulirt, oder mit einem 190 Strick erdrosselt, einige an demselben Tage, wo sie Vezire werden, andere wenige Tage hernach, und doch reißen sich alle darum, blos um mit einem hohen Titel gehenkt zu werden. Noch auf eine andre Art: die Offiziere opfern einander gern Leib und Seele, um den Ruf der Tapferkeit zu haben, und duelliren sich um ein Nichts, selbst mit Leuten, die ihnen überlegen sind, von denen sie zum Voraus wissen, daß die sie spediren. Auch glaub' ich, man würde viel hundert verliebte Leute finden, die für die Wonne einer Nacht sich gern am Morgen todtschlagen ließen. So sieht man auch bei Belagerungen, daß Soldaten haufenweis desertiren und in die belagerten Städte laufen, von denen sie doch voraussehen, daß sie sich nächstens ergeben werden, und um einen Tag lustig zu leben, lassen sie sich am nächsten hängen. Das Eine ist nicht verständiger als das Andere. Selbst Philosophen hat man in alten Tagen sich ins Unglück stürzen sehen, blos um nach ihrem Tode berühmt zu werden. Darum bin ich auch fest überzeugt, Erich, daß Du Dich würdest lieber haben hängen lassen als diese allerliebste Geschichte verderben.
Aus diesem Abenteu'r merkt Euch, Ihr lieben Kinder, Daß für gemeines Volk gefährlich ist nicht minder Ein allzu schnelles Glück, als es der Tugend ist, Herab gedrückt zu sein durch Neid und Hinterlist. Wo Bauern, Handwerksleut' der Herrschaft Scepter führen, Ob Cajus, PhalarisCajus ist der durch feine an Aberwitz streifende Grausamkeit bekannte Kaiser Caligula; Phalaris und sein angeblich glühender Stier sind noch jetzt auch bei uns in Deutschland sprüchwörtlich. A.d.Ü., der Vorwelt Schreck' und Schauer, Drum nicht beim Pfluge mehr woll'n wir nach Herrschern fragen, |