Hugo von Hofmannsthal
Der Unbestechliche
Hugo von Hofmannsthal

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IV. Akt

1. Szene

Ein kleines Zimmer mit einem Bett. Unordnung, wie sie eine elegante Frau umgibt. Im Hintergrund, nicht in der Mitte, das einzige Fenster, ein bis zum Boden gehendes Balkonfenster, verschlossen durch die Glastür mit Vorhängen, die angelehnt ist. Tür links, rechts Tapetentür ins Toilettenzimmer.

Melanie sieht gebückt in einen Stoß beschriebener Blätter, in denen sie liest Natürlich bin das ich. Es schwimmt mir vor den Augen. »M–M–M« das bin ich. – »Begegnung im Walde« »Eine Jagdhütte« – »Ein Aprilwetter« – »Suchende im Walde mit Fackeln« – »Der Ehemann der nachfährt« – Er nennt ihn Gustav. Was nützt das, wenn sonst alle Details stimmen. Kommt jemand? Sie wirft ein peignoir über das Paket, nachdem sie die Blätter schnell geordnet hat, läuft an den Spiegel, richtet sich. Ein Schatten an der Balkontür von außen Jaromir, was fällt Ihnen ein, durchs Fenster zu kommen! Wie können Sie – Theodor durchs Fenster herein, indem er die angelehnte Glastür von außen nach innen öffnet.

Melanie Ah, Sie sind's, Franz?!

Theodor Ich bitte untertänigst um Vergebung. Ich habe in Eile schnellsten Weg genommen, um zu melden wegen der Jungfer. Ich habe mit großer Mühe Verbindung bekommen –

Melanie Sie kommt also –

Theodor Leider – nein! – Es ist dort etwas dazwischen gekommen.

Melanie Ja, was denn? Sie hätten nichts dazwischen kommen lassen dürfen! – Ich will nicht allein bleiben!

Theodor Wenn ich melden dürfte? Ich habe die Jungfer an Telefon rufen lassen, sie läßt Hände küssen und läßt melden, sie könnte nicht abkommen, weil unversehens die Damen Galattis oder so etwas – angekommen sind.

Melanie Meine Schwägerinnen, in Waidsee?

Theodor Unversehens zurück aus Mähren und da hat die Jungfer heiklige Bedienung übernehmen müssen und da ist sie der Meinung, Euer Gnaden selbst, wenn das gewußt hätten, hätten demgemäß unbedingt befohlen dort zu bleiben – und dem hab ich beigestimmt – – weil ich doch weiß, was das für Spioninnen sind diese beiden teilweise unverheirateten, teilweise verwitweten Frauenspersonen – habe ich denn vergessen was uns diese so vor vier Jahren dort an der Riviera für eine Hetze angezettelt haben!

Melanie Ah, diese fürchterliche Geschichte im Eden Hotel in Nervi, die wissen Sie noch!

Theodor Vergesse ich denn so etwas – bin ich denn ein solcher Hudriwudri ein oberflächlicher, daß ich solche Schreckenstage von meiner Seele abbeuteln könnte wie ein Hund die Flöhe? – Sehe ich denn Euer Gnaden nicht dastehen bereits wie eine verlorene Person – Wo? In meinem geistigen Auge! Von damals rede ich, wie diese beiden Schwägerinnen uns nachgereist sind und unversehens dagestanden sind in Hotelhalle! – Und der Herr Gemahl, ist mit ihm zu spaßen? Ist das ein angenehmer Gegner? Täte der ein Erbarmen kennen, wenn noch diese beiden Furien ins Feuer blasen, heute wie damals?

Melanie will etwas sagen, er läßt sie nicht.

Theodor Und die sind zähe Rabenviecher, diese Intrigantinnen! Nicht einmal unsere Verehelichung dahier hat ihnen ganz ihr Mißtrauen eingeschläfert! Und wenn die den kleinsten Anhaltspunkt wiederum bekämen – so ein Dokument – so irgendwelche Inflagrantisachen – so wie damals die Photographien, die der Haderlump, dieser Zimmerkellner aufgenommen von Euer Gnaden und meinem Herrn Baron in einem Mondschein sehr nahe beisammen.

Melanie Wieso erinnern Sie sich denn an das! Das ist doch gräßlich, daß Sie das noch wissen!

Theodor sehr ernst Ich erinnere mich an alles. Deswegen braucht man sich vor mir in keiner Weise schämen. Es gibt Individuen, die interessiert nichts als die eigene Person, zu dieser Sorte gehöre ich nicht. – Ich bin es – nebenbei – gewesen, der diesem Haderlumpen die Platten abgekauft hat und damit ist Beweisstück aus den Händen geräumt gewesen und die Schwägerinnen sind abgezogen als unbeweisbare Verleumderinnen und haben gekocht vor Gift und Galle – – im Zimmer umher, Ordnung machend Ich werde dieser bedienenden Person einschärfen öfter unter Tags aufzuräumen. Sie scheint nicht zu wissen, was eine Damenbedienung ist. – Er hebt das peignoir auf und entdeckt das Manuskript Ah, das ist aber! ja wie kommt denn das daher! Ah da trifft mich der Schlag!

Melanie Sie kennen diese Schriften?

Theodor Ja was ist denn das? Ja wie käme denn das daher! Ob ich das kenne? Das ist doch der neue Roman. Ich habe doch alles miterlebt! Es sind natürlich Ungenauigkeiten darin. Er hat ein schwaches Gedächtnis. Geringschätzig Gelegentlich fragt er mich um etwas: und das ist dann demgemäß die einzelne Sache auf die grade alles ankommt. – Er blättert Aber da bin ich demgemäß sehr überrascht. Hat also Aussprache darüber er zeigt auf das Manuskript stattgefunden und haben in schwacher Stunde Zustimmung gegeben?

Melanie Ich? Gott im Himmel! – Sie zerknüllt ihr Taschentuch zwischen den Händen.

Theodor Aber das ist, halten zu Gnaden, nicht ungefährlich. Käme das diesen Schwägerinnen in die Hände, die möchten schweres Geld geben – – die wären ja im Nachhinein rehabilitiert als rechtschaffene Angeberinnen. Die möchten ja das bereits wie ein corpus delicti benützen! Aber ich bitte um Vergebung! Euer Gnaden werden sich das alles besser überlegt haben. Ich bitte um Begnadigung, wenn ich mich durch alte Anhänglichkeit hinreißen lasse!

Melanie Franz, Sie sind ein alter treuer Begleiter und Diener, ein alter Vertrauter – ich werde Ihnen alles sagen! – Es ist – ich habe – ich bin – ich weiß nicht. Dieses Paket ist da gelegen – ich bin außer mir.

Theodor Also dann nicht Herr Baron hat es überreicht zur Kenntnisnahme?

Melanie Ich sag Ihnen ja! Ich hab keine Ahnung! Es ist da gelegen. Ich habe es aufgeschlagen und war wie vom Blitz getroffen.

Theodor Belieben zu sitzen in einem Fauteuil.

Melanie setzt sich Ich habe im Gegenteil, der Herr Baron hat mich bestimmt versichert – ich meine, ich habe ihn so verstanden, daß er niemals die Erinnerungen, die sich auf mich und unsere früheren Begegnungen beziehen zu einer Aufzeichnung benützen wird.

Theodor Ich verstehe. – Ah, da geht mir aber ein Licht auf! Ah, da sehe ich ja deutlich!

Melanie springt wieder auf Was, Franz, wer? Lieber Franz! Was meinen Sie?

Theodor Jetzt versteh ich!

Melanie Was verstehen Sie?

Theodor Das Herumschleichen von der Milli und so fort. Und diese Rosa steht heute noch in Verbindung mit denen Schwägerinnen: das ist mir bewußt.

Melanie Franz so helfen Sie mir doch! Sie greift nach ihrem Portemonnaie, das irgendwo liegt.

Theodor Es waren sehr viele Geräusche am Telefon, sehr schlecht zu verstehen – aber das ist sicher: die Jungfer hat nicht herkommen wollen! Hat sich Ausrede machen wollen! Diese tückische Person! Die hat Respekt vor dem Herrn Gemahl, die weiß, daß mit dem Herrn nicht gut Kirschen essen wäre, wenn man als Gelegenheitsmacherin in seine starken Hände fallen täte! Euer Gnaden sehen nicht gut aus! Befehlen, daß ich Tee mit Cognac heraufserviere? Melanie winkt nein. Sie hat auch etwas gemurmelt von schlechter Laune von Herrn Gemahl, das fällt mit jetzt erst ein!

Melanie Was soll ich tun Franz? Sie hat ihr Portemonnaie in der Hand.

Theodor Fragen mich – oder benützen nur so allgemeine Redeweise?

Melanie Ich frage Sie, lieber Franz! Natürlich frage ich Sie!

Theodor in bezug auf das Manuskript Das muß aus der Welt! Dann sind die heimtückischen Mitwisser ohne Beweisstück und können sich aufhängen!

Melanie gibt ihm schnell viel Geld aus ihrem Portemonnaie, indem sie es ihm zusammengedrückt in die Hand schiebt Tun Sie, was Sie für gut halten!

Theodor nimmt das Geld, schiebt es in die Westentasche, tritt aber zurück Wie meinen das bitte?

Melanie Räumen Sie es weg, verbrennen Sie es!

Theodor legt das Manuskript weg, auf den Tisch, als ob es ihn brennte Ah, das getraue ich mich nicht! Ja wer bin ich denn? Ich bin in einer dienenden Stellung. – Wo er das bei seinem schlechten Gedächtnis hütet wie seinen Augapfel – ja – da riskiere ich ja meine Existenz! Wenn das aufkäme!!!

Melanie ringt die Hände Mein Gott, so geben Sie mir doch einen Rat!

Theodor Befehlen Rat? Ratsam wäre eines: abreisen, diesen Abend, und mitnehmen die Sache als Eigentum.

Melanie Mitnehmen?

Theodor Man wickelt ein und legt in Koffer. Dann sind Euer Gnaden sicher wie in Abrahams Schoß.

Melanie Aber wie kann ich denn das?

Theodor Wieso können? Was kann er machen geltend? Moralisch? Ah, da möchte ich sehen. Soll er hinfahren und sich wiederholen. Soll er betteln darum. Euer Gnaden werden diktieren.

Melanie Ich kann doch nicht etwas stehlen!

Theodor legts hin Ah, bitte!! dann nicht! Da werde ich mich demgemäß zurückziehen!

Melanie Franz, legen Sie es in meinen Koffer, schnell, ich reise ab!

Es klopft.

Theodor lächelt befriedigt Schlimmstenfalls sagt man, es ist aus Versehen eingepackt worden und schiebt es auf Aushilfspersonal! Er nimmt das Paket.

Melanie Herein. Zu Theodor Packen Sie es in den Kleiderkoffer ganz unten. Nochmals gegen die Tür Herein!

Theodor das Paket unterm Arm, geht langsam gegen die kleine Tür rechts.

2. Szene

Jaromir tritt links ein, erstaunt Was machen Sie schon wieder hier! Leise zu Melanie Ich bin überrascht!

Melanie Wieso denn schon wieder? Ich hab den Franz gerade gerufen. Er muß mir helfen, alles schnell in Ordnung bringen. Sie sieht auf die Armbanduhr Ich reise in zwei Stunden und zwanzig Minuten.

Jaromir Sie reisen? Sie reisen? – von hier ab?

Melanie Um neun Uhr fünfzehn –

Theodor ist eifrig tätig, kleine Toilettengegenstände, Sachets, Pantoffel, Bänder, Handschuhe, die in allen Teilen des Zimmers verstreut liegen, zusammenzusuchen.

Jaromir fassungslos vor Staunen und Ärger Sie – unwillkürlich sich zu Theodor wendend. Was soll denn das heißen?

Theodor hält Jaromirs Blick aus, erwidert ihn mit verbindlichem Lächeln und zeigt auf Melanie.

Melanie Warum fragen Sie denn ihn? Ich will es Ihnen gerade erzählen! Leiser Ich habe beim Fortfahren von zu Haus kein gutes Gefühl gehabt.

Jaromir Inwiefern?

Theodor im Begriff ein Morgenkleid an sich zu raffen, das dort liegt oder hängt, wo Jaromir lehnt, nötigt diesen, ihn devot anlächelnd, seine Stellung zu wechseln.

Melanie halblaut In bezug auf meinen Mann und diesen Ausflug hierher. Ich habe telefoniert. Es war, wie ich gedacht habe. Er nimmt es sehr übel, daß ich ohne ihn gefahren bin.

Jaromir völlig verstört und zu laut, ja mit einem Aufstampfen des Fußes Das ist ungeheuerlich!

Theodor Befehlen?

Jaromir Ich habe nicht zu Ihnen gesprochen!

Theodor lächelt und sammelt Nadelpolster, Photographien, französische Bücher, Flacons und anderes, trägts ins Toilettenzimmer, eilig ab und zugehend.

Melanie sieht wieder auf die Armbanduhr Es bleibt mir gerade die Zeit, mich bei Ihrer Frau Mutter zu entschuldigen und Ihrer Frau Adieu zu sagen.

Jaromir beißt seine Lippen.

Melanie von jetzt an mit einer reizenden Ruhe und Sicherheit Sie haben eine reizende kleine Frau. Leiser Wir haben zu wenig an Ihre Frau gedacht. Und auch zu wenig an meinen Mann.

Jaromir so zornig, daß er nicht mehr höflich ist Jetzt auf einmal, das ist unerhört!

Melanie sehr ruhig und sanft Ich habe das heute Vormittag plötzlich gefühlt.

Jaromir ganz leise und sehr böse Heute vormittag! Ah! Ah!

Melanie wegrückend und zugleich einen lauten Ton nehmend Es hat mich sonderbar und nicht angenehm getroffen, wie Sie diese Geschichte – die im April passiert ist – diesen Abend in der Jagdhütte – wie Sie das sehen –

Jaromir Wie Ich das sehe?

Melanie Ja, die Rolle die mein Mann dabei gespielt hat – dabei und bei früheren Vorfällen –

Jaromir Vorfälle nennen Sie das? Das ist ein etwas unerfreulicher Ausdruck.

Melanie ruhig und halblaut Ich weiß. Ich habe das erlebt, Jaromir, erlebt, gelebt und leiser vielleicht genossen. Ich bin manchmal eine sehr leichtsinnige Person – und – ich kann es nicht ertragen, einen Freund zu verlieren und deshalb reise ich ab.

Jaromir Das ist ein böser Traum! Diese Aufeinanderfolge. Diese Duplizität der Fälle –

Melanie Was haben Sie denn? Welche Duplizität? Ich sage es Ihnen doch: ich habe gefühlt, daß mein Mann nicht sehr gerne sieht, daß ich allein hier bin. Ich bin auf einen Sprung hergekommen, um Ihre Ungeduld zu stillen – denn Sie sind ein ungeduldiger Mensch und ich bin eine alte gute Freundin –

Jaromir Das nennen Sie meine Ungeduld stillen?

Melanie – und ich fahre zurück und komme, wenn es Ihnen recht ist, die nächste oder übernächste Woche – mit meinem Mann. Er wird sich hier sehr wohl fühlen. Er hat einen besonderen Sinn für Wesen, wie Ihre Frau eines ist.

Jaromir wütend Da ist irgend was passiert, das du mir verheimlichst. Dahinter steckt ein Mann, aber nicht der deinige!

Melanie sieht ihn an Oh, wie schlecht Sie mich kennen, Jaromir, das könnte einen beinahe traurig machen!

Jaromir Ich kenne dich schlecht?

Melanie sehr ruhig Sie kennen vielleicht manches von mir. Aber nicht das, was vielleicht das Beste an mir ist. Nicht die Seite, die zum Beispiel mein Mann kennt. Es ist meine Schuld. Ich habe das vor Ihnen versteckt, ebenso, wie ich vor ihm das andere versteckt habe. Und ich weiß wiederum, Sie verstecken geflissentlich vor mir Ihr Bestes – –

Jaromir Ah, ah, das wäre?

Melanie Ihre Ehe und die große Liebe, die nach einem etwas überstürzten, Ihrerseits geradezu frivolen Anfang diese grade, ehrliche, bezaubernde und in Sie verliebte hübsche Person in Ihnen geweckt haben muß –

Jaromir Ah, Sie empfehlen mir meine Frau! Ah – das ist ja eine Serie! Ihr seid eine wie die andere! Sklavinnen eurer mehr oder minder hysterischen kleinen Launen! Seid noch so verschieden von einander, in einem seid ihr gleich, in einer grenzenlosen Selbstsucht – Wer erlaubt euch das Herrliche, das uns euch ausliefert, in dieser Weise zu verwalten? Es klopft an der Tür links.

Melanie schnell Herein.

3. Szene

Theodor hinter ihm Hermine, treten links ein.
Jaromir trommelt wütend mit den Fingern auf der Kommode, nächst der er steht.

Theodor indem er auf seine Uhr sieht Euer Gnaden werden verzeihen, wenn wir mit Packen schon anfangen. Gepäckwagen geht vor acht Uhr.

Melanie Ja natürlich, packen Sie nur. Bringen Sie auch den zweiten Koffer hier heraus, hier ist mehr Platz. Und geben Sie nur acht, Franz, daß später dann das zu unterst gelegt wird, was ich Ihnen früher übergeben habe.

Theodor Sehr wohl, ich werde beaufsichtigen. Ab mit Hermine ins Toilettenzimmer, dessen Tür offen bleibt.

Melanie mit einem Blick auf Jaromir Und jetzt bleibt gerade noch die Zeit, daß Sie mich zu Ihrer Mutter begleiten, damit ich mich verabschiede. Die letzte halbe Stunde dann vor dem Souper will ich mit Ihrer Frau verbringen – aber ohne Sie. Wir Frauen haben einander eine Menge zu sagen.

Theodor und Hermine bringen mehrere Koffereinsätze, auf denen Blusen, Kleider, kleine Morgenmäntel, Kimonos und dergleichen aufgehäuft liegen.
Jaromir will etwas antworten.

Melanie wendet sich indessen an Hermine Ich mache Ihnen viel Mühe meine Liebe, erst mit dem Auspacken, jetzt mit dem Einpacken. Behalten Sie dafür diese Bluse. Ich hoffe, sie gefällt Ihnen.

Hermine Oh, Euer Gnaden! Küßt ihr die Hand.

Jaromir ärgert sich, wütend, murmelt So vergeuden Sie diese letzten paar Minuten!

Melanie wendet sich zu ihm Ihnen, Baron Jaromir, kann ich zum Abschied nichts schenken! Im Gegenteil, von Ihnen nehme ich etwas mit – etwas, das mit mir zu nehmen mir sehr viel bedeutet.

Jaromir ohne zu achten, was sie sagt, mit einem letzten Wunsch, sie zu sich hinüberzuziehen, leise, während Theodor und Hermine für einen Augenblick wieder im Toilettenzimmer verschwunden sind Siehst du dort die kleine Brücke? Sie hätte heute jemandem ein Weg sein sollen – hierher, einem zärtlichen Freund. Melanie! Soll sie umsonst gebaut sein?

Melanie laut, da Theodor und Hermine wieder eintreten, beladen mit Kleidern und Mänteln Wie sagen Sie, Baron Jaromir? Nein, das Hämmern da draußen auf dem Dach hat mich garnicht gestört. Ich schlaf nie nachmittags. Ich habe gelesen, nicht wahr, Franz, Sie haben mich lesend gefunden?

Theodor Jawohl.

Melanie Sie wissen, ich lese ganz selten in Büchern, außer in ganz oberflächlichen, die einem garnichts nützen, aber manchmal passiert es doch, daß ich durch eine Lektüre auf einmal recht weit vorwärts komme. So etwas ist heute nachmittag passiert. Die Grenze zwischen zärtlich attachiert und frivol ist mir auf einmal ganz klar geworden. Und auch die zwischen dem, was man vielleicht noch entschuldigen könnte und dem, was einfach unerlaubt ist.

Jaromir verstockt Ich verstehe Sie absolut nicht.

Melanie sehr ernst So? Sie verstehen mich nicht? Wirklich, Jaromir? Sie haben hier in diesem Hause mehr als Sie verdienen. Und ich habe anderswo das, was schließlich meine Existenz ist. Darum gehe ich jetzt weg und Sie bleiben hier.

Jaromir Ich verstehe kein Wort. Aber ich werde Sie zu meiner Mutter begleiten.

Melanie an der Tür Nein, ich möchte, daß Sie mich allein gehen lassen und über das, was ich gesagt habe, für sich selber ein bißchen nachdenken. Sie geht – ein ganz klein bißchen nachdenken!

Jaromir bleibt zurück und stößt zornig die Zigarette in eine kleine, irgendwo stehende Aschenschale, bis sie verlischt.

Theodor der ihn mit einem eigentümlichen, undurchdringlichen Ausdruck beobachtet Stören wir Euer Gnaden? Sollen wir mit den Koffern ins Nebenzimmer?

Jaromir zuckt zusammen und geht ohne Antwort schnell aus dem Zimmer.

4. Szene

Theodor noch bevor die Tür sich schließt, zu Hermine, ohne sie anzusehen Sie packen ein, ich sortiere und reiche.

Hermine mit ein paar zartfarbigen Kimonos und Ähnlichem überm Arm Schön ist das!

Theodor ohne sie anzusehen Du verlierst ja die Augen aus dem Kopf über diesem Zeug! Da – vorwärts!

Hermine legts in einen Koffereinsatz Wenn man denkt! das anhaben, da muß eins doch das Gefühl haben, als ob man ein Engerl wäre mit Flügerln hinten.

Theodor ebenso Was ist da weiter? Da, pack ein diese Fetzen. Reicht ihr.

Hermine kniet und packt ein Und dabei sollens doch nicht viel wert sein, die Gnädigen.

Theodor Was redst du da? Mach weiter. Ich hab Zeit nicht gestohlen.

Hermine steht auf Ja, vor dir darf ich das nicht sagen, es wird ja gredt, du bist verliebt in die junge Baronin, deswegen ist dir jetzt unsereins viel zu gewöhnlich!

Theodor ohne sie eines Blickes zu würdigen, aber immer so, daß es scheinen kann, er richte, mit dem Sortieren beschäftigt, nur zufällig seine Augen immer anderswohin als auf Hermine Das sind Tratschmäuler, erbärmliche. Diese Menschen haben die Unfähigkeit, einen Menschen wie ich es bin, zu erfassen. Weil ich den einen Blick der Liebe und Aufmerksamkeit auf eine menschliche Kreatur wie diese Anna werfe, deswegen glauben sie schon, daß sie mich in ihre Mäuler nehmen können. Auch noch so eine Melanie, wenn ich sie in meinen Armen in die Höhe gehoben mir denke, er hat eines von Melanies leichten Abendkleidern in der Hand und zieht flüchtig das Parfum ein, das davon ausgeht die ist ja noch zehntausend mal besser, als wie der Gebrauch, den er von ihr macht! Und da hat sie seine Photographie stehen als wie einen Götzen! Ganz ungeniert! Er wirft ihr das Kleid und noch ein paar andere zum Einpacken hin. Was kann er denn an einem menschlichen Geschöpf wahrnehmen, als das da – diese Seiden – diese Pelze, diese Battiste, diese Chiffons – er wirft ihr dergleichen in Haufen zu das ist ja sein Um und Auf! bis dahin reichen seine fünf Sinne – da diesen parfumierten Fetzen versteht er nachzulaufen, darauf hat er Appetit – und dazu muß die ganze Weiblichkeit herhalten und dazu ist eine Stadt nicht groß genug – da müssen Eisenbahnen her und Schlafwagen her und Automobil und Theater muß her und Hotel muß her! Und Dienerschaft muß her und eingepackt muß werden und ausgepackt muß werden und Hetzjagd geht weiter – und Telefon muß her – und Brieferl werden geschrieben und Büchel werden gelesen und englisch wird parliert und französisch und italienisch – und in diese frivole Sprache schlieft er hinein, wie in seidene Pyjama, mit denen er ausgeht auf nächtliche Niederträchtigkeiten. Aber hat er denn eine Seele im Leib, die aus ihm hervorbricht? Ja? Nein? Ja? – Er räumt das unterste Fach einer Kommode mit einem wilden Griff aus, es taumeln Stiefeletten und Halbschuhe aller Arten und Farben ihm entgegen, weiße, graue, schwarze, violette, goldfarbene. Das ist gaunerische Sprache, auf die er eingelernt – da hast du – er nimmt zwei Schuhe auf die Hände und agiert mit ihnen wie mit Puppen kitzlige Sprache, auf die seine blasierten, schläfrigen niederträchtigen Blicke mit Feuer antworten. Da! Da! Er schleudert die Schuhe wie Geschosse gegen die Einpackende. Das ist oberste Vierhundert! Da! Das ist Blüte der Menschheit! Da! Da! Da! Dafür ist die Welt geschaffen von unserem Herrgott, damit auf oberstem Spitzel er mit seinem von irgendeinem Franz geputzten Lackschuh kann fußeln mit dem Ding da, was ich da in Händen halte. Da! Da! Ah du! Dein Gesicht will ich nicht mehr sehen, dein blasiertes, niederträchtiges! So stehst du da in goldenem Rahmen! So! Er hat blitzschnell Jaromirs Photographie aus dem Rahmen gezogen, reißt sie mitten durch und schiebt sie zerrissen wieder hinein.

Hermine springt zurück Was Sie für Augen machen, Herr Theodor, man könnte sich ja fürchten vor Ihnen! Nein, was Sie für einer sind!

Theodor mit einem Sprung, nimmt sie um die Mitte Ists nicht gut, wenn du dich fürchtest?! Bin ich denn böse auf dich? Dir läufts ja, scheint mir, eiskalt über den Rücken herunter?

Hermine tut, als wolle sie sich ihm entziehen, aber nicht mit voller Kraft Nein, lassen Sie mich! Ich bin ja viel zu gewöhnlich für Sie!

Theodor bei ihr Ah, wenn ich zu fürchten bin, dann fürchtest du dich zu wenig! Was hast du denn zu der Wallisch über mich gesagt? Du hast gesagt: Meine Männlichkeit wirkt dir nicht mehr! Du bist mir aus meinen Krallen geschlupft! Ja, da hast du ja ein Sacrilegium begangen! Plötzlich den Ton wechselnd, mit äußerster Zärtlichkeit Freilich hast du diese Gemeinheiten gesagt! Aber das ist mir ja recht! oh, du gewöhnliche Gewöhnlichkeit du – küßt sie wer sagt dir denn, daß ich nicht deine Gewöhnlichkeit mit einer brennenden Liebe rund herum fangen und in die Höhe heben will!

Der kleine Jaromir draußen Papi! Papi!

Hermine Aber lassen Sie mich doch! Draußen ist wer! Herr Theodor!

Der kleine Jaromir an der Tür, noch außen Papi!

Theodor ist sofort in Miene und Ton umgewandelt So, jetzt packen Sie zu Ende!

Der kleine Jaromir wird an der Tür hörbar.

Hermine halblaut Wie kann ich denn jetzt? Jetzt bin ich ja ganz verwirrt!

Theodor ebenso, aber sehr stark Bei deiner Seele! Kein frivoles Wort vor dem Kinde! Er schiebt sie mit einem Griff ins Toilettenzimmer.

5. Szene

Der kleine Jaromir tritt herein Papi, Guten Tag sagen! Er sieht sich ängstlich um, dann bemerkt er Theodor, der in der Türnische zum Toilettenzimmer steht, den Rücken gegen die Tür.

Theodor lächelt liebreich.

Der kleine Jaromir zuerst erschrocken, dann erfreut Theodor! – Wo ist der Papi?! Wo ist der Papi? Ich kann ihn nicht finden und Mutti hat mich auch weggeschickt. Wo ist der Papi?

Theodor zeigt mit einer seltsamen Gebärde, er wisse es nicht.
Der kleine Jaromir lächelt.

Theodor einen Schritt hervortretend Wie sagt der Zauberer zu seinem Kinde?

Der kleine Jaromir ängstlich, aber entzückt Komm, du liebes Kind – fürchte dich nicht – ich sehe aus wie ein gewöhnlicher Mensch – stockt.

Theodor Komm, du liebes Kind, ich habe dich lieb wie Vater und Mutter, ich verstehe deine Seele – ich werde mit dir fliegen! Packt den Kleinen blitzschnell, drückt ihn zart und fest an sich und schwingt sich mit ihm über den Balkon.

Der kleine Jaromir lacht vor Freude.

Vorhang


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