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Zweites Kapitel. Undank ist der Welt Lohn

Moschele blieb seinen Vorsätzen getreu, und unterdrückte allen Groll und Zorn gegen Richard, so angelegentlich dieser sich auch Mühe gab, ihn bei jedem zufälligen Zusammentreffen immer von Neuem wieder zu reizen und anzustacheln. Moschele that, als ob er nichts sehe und höre, und antwortete nie eine Sylbe auf die gegen ihn gerichteten Schmähungen.

So kam allmälig die Zeit heran, wo die beiden Knaben die Schulen verließen, um zu ihrem künftigen Lebenslaufe eingeweiht zu werden. Richard trat als Lehrling in das große Handelsgeschäft seines reichen Vaters ein, und Moschele mußte das Päckchen auf den Rücken nehmen und als Schacherjüdchen über Land wandern, von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus, von einem Bauernhofe zum andern, um hier ein Tüchlein von bunter Wolle, dort ein Kattunkleid, und dort ein schönes Band, oder sonst irgend eine Kleinigkeit von seinen Waaren zu verkaufen.

Es war das kein leichtes Geschäft. Der schwere Packen drückte die Schultern, und oft zeigten sich die Wege rauh und beschwerlich, die Moschele wandern mußte. Im Sommer bräunte ihn der Strahl der glühenden Sonne, im Winter machte die Kälte seine Glieder erstarren. Dem Regen, den Stürmen, dem Schneewehen, allem Ungestüm und aller Rauhheit der wechselnden Jahreszeiten mußte Moschele trotzbieten, und bisweilen kam es sogar vor, daß er Nachts im Freien schlafen mußte, wenn die Dorfschaften zu weit aus einander lagen, oder wenn er in der Dunkelheit in dichtem Walde, oder auf pfadlosen Haiden vom rechten Wege abkam. Aber das Alles ertrug Moschele mit Geduld, und wanderte unverdrossen im Lande umher, nur immer bemüht, Tante Blumele zufrieden zu stellen und ihr zu beweisen, daß er nicht der Schlemiehl sei, als den Nachbar Schlaume und seine Spielkameraden ihn verschrieen hatten.

Fleiß, Willenskraft und Geduld halfen ihm dabei. Obgleich es ihm Anfangs schwer wurde, seine Waaren anzupreisen und sich eine gute Kundschaft auf dem Lands zu erwerben; obgleich er in den ersten Wochen nur geringe Geschäfte machte, und mitunter Abends den Packen eben so schwer wieder heim brachte, wie er ihn Morgens fortgetragen, so gelang es ihm allmälig doch, hie und da ein Handelchen zu machen, und nachgerade brachte er es sogar so weit, daß er öfter mit leerem Packen und gefülltem Beutel von seinen Wanderungen nach Hause kam, als umgekehrt mit gefülltem Packen und leerer Tasche. Die Leute auf dem Lande lernten Moschele kennen, und Mancher gewann ihn lieb und nöthigte ihn in seine Stube herein, der ihn früher mit schnöden Worten von seiner Schwelle abgewiesen hatte. Das machte, weil Moschele immer bescheiden war und weil er sich von Anfang an den Grundsatz erwählt hatte, daß ehrlich am längsten währt. Nie ging er darauf aus, die Leute zu betrügen und sich einen unerlaubten Profit zu machen, sondern er begnügte sich mit einem geringen Gewinne, und handelte unter allen Umständen mit der gewissenhaftesten Redlichkeit. Als die Leute erst dahinter kamen und sich davon überzeugten, hatte Moschele keine Noth mehr, und seine Geschäfte gingen so flott, daß schon nach dem ersten Jahre kein Mensch ihn wieder Schlemiehl schimpfte. Vielmehr galt er für einen rechten Barjen, Nachbar Schlaume sogar meinte, er werde es noch zu etwas Rechtem bringen, und Tante Blumele nun vollends strahlte von Glück und Seligkeit, wenn von ihrem Moschele-Leben die Rede war, oder wenn er nach tagelanger Abwesenheit müde und bestäubt, oder durchnäßt, oder durchfroren in den dunkeln Hausflur trat, und mit heller Stimme sein Salem Alekem (Friede sei mit euch) der Tante zurief. Da hättet Ihr sehen sollen, wie das gute Blumele ihm alle Liebe und Zärtlichkeit einer Mutter bezeigte, wie sie ihm mit geschäftigen Händen das Gepäck abnahm, wie sie ihm Sommers den kühlsten, Winters den wärmsten, und zu jeder Jahreszeit den besten Platz im Hause abtrat, wie sie dann rannte und lief, um ihm irgend eine Erfrischung zu bereiten, und wie andächtig sie nachher sich ihm gegenüber setzte, um auf seinen Bericht von der Reise zu lauschen, nach deren Beendigung immer irgend etwas Merkwürdiges zu erzählen war, wenn auch nur merkwürdig für das Ohr der guten alten Blumele, für die Alles und Jedes, was Moschele-Leben betraf, das höchste Interesse hatte, weil eben sie alle Liebe und Zärtlichkeit ihres weichen Herzens auf sein gesegnetes Haupt häufte.

Das waren schöne Stunden für Blumele sowohl, wie auch für Moschele, und wenn dieser im ärgsten und schlimmsten Wetter unterwegs war, wenn Regengüsse ihn durchnäßten, oder eisige Winde ihn durchschauerten, und das Blut in seinen Adern erkälteten, dann dachte er nur an daheim, an den Augenblick seiner Rückkehr, an Tante Blumele und das behagliche Plätzchen am warmen Ofen in der kleinen Hinterstube, und mit diesem Gedanken kam immer neue Kraft und Zuversicht über ihn, und unverdrossen wanderte er weiter seines Weges, bis er irgend ein Haus oder eine Hütte fand, die ihm freundlich ein gastliches Obdach gewährte.

So führte der ehrliche Moschele im Grunde ein zwar mühseliges und beschwerliches, aber bei aller Mühe und Beschwerde doch glückliches Leben, und nur Eines gab es, was zuweilen, aber auch dann nur auf Augenblicke, den ruhigen Frieden seiner Seele störte. Dieß Eine war die Bitterkeit des Grolles über die Verachtung, mit welcher Richard Wilberg ihn überhäufte, so oft er des armen Schacherjuden ansichtig wurde. Schon gleich im Anfange, als Moschele mit dem Päckchen auf dem Rücken zum ersten Male an dem großen Hause des reichen Kaufmanns Wilberg vorüber ging, fügte Richard ihm eine Kränkung zu. Mit boshafter Freude über die scheinbare Erniedrigung des ehemaligen Spielkameraden, der es einst gewagt hatte, ihm Widerstand zu leisten, riß er das Fenster auf und schrie hinaus: »Moschele-Schlemiehl, was trägst im Packen? Willst schachern gehen, Moschele? Aber wer wird dir was abkaufen? Bleib' daheim und laß Gras wachsen vor deiner Thür, denn der Dalles (das Gespenst der Armuth) kommt doch über dich, wenn du dir auch die Sohlen an den Füßen aufläufst!«

Moschele wurde roth im Gesicht vor Aerger und Entrüstung über Richards Bosheit, aber schweigend ging er vorbei, und gönnte dem übermüthigen Buben nicht den Triumph, ihn seinen Verdruß sehen zu lassen. Aber Richard paßte auf, und so oft Moschele wieder vorüber kam, besonders wenn er, wie das anfänglich öfters geschah, mit schwerem Packen vom Lande zurückkehrte, so oft wiederholte er auch seine Spöttereien und den Zuruf, Moschele solle Gras wachsen lassen vor seiner Thür, denn dem Dalles könne er doch nicht entrinnen, und wenn er laufe bis an der Welt Ende. Er trieb das so lange, bis doch einmal dem Moschele die Geduld ausging und er sich umdrehte, um Gleiches mit Gleichem, das heißt Hohn mit Hohn zu erwidern. Aber noch zu rechter Zeit besann er sich, was er einst der Tante Blumele in die Hand versprochen, daß er nämlich lernen wolle, sich selbst zu beherrschen, und anstatt zu schimpfen, antwortete er nur einfach die Worte Salomo's, die er in seiner Bilderbibel gelesen hatte: »Was willst du und was verfolgst du mich, Richard. Bedenke doch, was Salomo spricht: ›Mancher ist arm bei großem Gut und Mancher ist reich bei seiner Armuth!‹ Spotte nicht über den Dalles, Richard! Der Dalles ist ein grausames Gespenst, und wer seiner spottet, den verzehrt er!«

Bei seiner Antwort war Richard bleich geworden und so bestürzt, daß er nicht gleich gewußt hatte, was er darauf erwidern sollte. Als er sich endlich wieder besann, war Moschele schon weit weg, und für's Erste bekam er ihn nicht wieder zu sehen. Denn von jener Zeit an vermied es Moschele, an dem Hause seines Feindes vorüber zu wandern, und machte lieber einen weiten Umweg, um nur dem bösen Buben nicht wieder zu begegnen. Da hatte er Ruhe, denn alle anderen Menschen, wenn sie das gute ehrliche Gemüth Moschele's nur erst ein wenig kennen gelernt hatten, gewannen ihn lieb und dachten nicht entfernt daran, ihn kränken oder demüthigen zu wollen.

So verstrich eine geraume Zeit, und Moschele trieb mit zufriedenem Herzen sein beschwerliches Geschäft, ohne von Richard anders als nur gelegentlich einmal, etwa wenn er ihm zufällig auf der Straße begegnete, gestört zu werden, als es der Zufall fügte, daß er doch wieder einmal, und zwar unter ganz besonderen Umständen, mit ihm zusammentraf. Einige Meilen von Moschele's Vaterstadt lag ein damals berühmter Badeort, zu welchem während der Sommerzeit Hunderte von Badegästen aus allen Gegenden Europa's hinströmten, die Einen, um ihre erschütterte und geschwächte Gesundheit von den heilkräftigen Bädern wieder herstellen zu lassen, die Andern, um ihrem Vergnügen zu leben, und noch Andere, um dem aufregenden und verderblichen Laster des Spieles zu fröhnen. Moschele ging auch öfters dahin, mitunter zwei, drei Mal die Woche, aber nicht der Gesundheit wegen, denn, Gott sei Dank, er war kerngesund an Leib und Seele, auch nicht des Vergnügens wegen, und am allerwenigsten wegen des Spieles, sondern um Geschäfte zu machen, wozu sich bei dem Zusammenflusse so vieler Menschen die beste Gelegenheit darbot.

Eines Tages, im heißen Sommer, langte er auch an nach einem beschwerlichen Marsche in der glühenden Sommerhitze, die ihm manchen Schweißtropfen ausgepreßt hatte. Der Abend dämmerte schon, und für heute war es also zu spät, noch mit seinem Krame hausiren zu gehen. Er gab ihn dem Wirthe der Herberge, wo er gewöhnlich über Nacht zu bleiben pflegte, in Verwahrung, und setzte sich dann still in eine Ecke, wo er ein bescheidenes Abend-Süppchen und ein großes Stück Brod dazu verzehrte.

»Was nun, Moschele?« sagte der Wirth freundlich zu ihm, als er seine einfache Mahlzeit beendigt hatte. »Du wirst doch nicht den ganzen Abend hier sitzen bleiben wollen, wie sonst immer?«

»Und warum nicht?« fragte Moschele zurück. »Ich bin müd' vom langen Weg, und mag nicht mehr umherlaufen.«

»Aber so weißt du also nicht, daß heute großes Feuerwerk ist zu Ehren des Herzogs, dem Jeder zusehen kann umsonst, und ohne einen Kreuzer zu zahlen? Solltest auch hingehen, Moschele. Alle Welt ist dort, und du hast gewiß dein Lebtag noch nichts Schöneres gesehen.«

Moschele ließ sich leicht zureden. Wenn das Zuschauen Geld gekostet hätte, wär' er wohl nicht gegangen, denn er war sparsam und hielt jeden Kreuzer in Ehren, weil er ihn sauer verdienen mußte. Nur, bevor er ging, ließ er sich erst vom Wirth eine Bürste geben, und säuberte seine Kleider vom Staube der Landstraße, putzte auch seine Stiefeln blank, und nun, obgleich er nicht gerade wie ein Stutzer einherging, sah er doch wenigstens sauber aus und anständig. Als er vor das Wirthshaus trat, war's schon ganz dunkel, aber das machte ihm nichts aus, denn er wußte wohl Bescheid und brauchte nicht erst nach dem Garten zu fragen, wo das Feuerwerk abgebrannt werden sollte. Bald war er dort, und als nun zischend und Feuer sprühend die Raketen hoch zum dunkeln Himmel emporstiegen, als die Feuerräder ihre glänzenden Funken ausstreuten und die Schwärmer-Kasten lustig prasselnd ihren Inhalt entluden, da freute sich Moschele, daß er dem Rathe des Wirthes gefolgt war, denn so etwas Prächtiges hatte er allerdings in seinem ganzen Leben noch nicht geschaut.

Nach dem Feuerwerke, das dem Moschele viel zu früh aus war, drängten sich die meisten Zuschauer in die Gesellschaftssäle hinein, und auch Moschele sah sich auf einmal mitten drin und wunderte sich, wie er eigentlich hinein gekommen sei. Aber er war einmal da, und keinem Menschen fiel es ein, ihn wieder fort zu weisen. Das war ihm ganz recht, denn er weidete seine Augen an dem Glänze und der Pracht der großen Säle, in welcher Kronleuchter mit hundert Lichtern brannten und fast Tageshelle verbreiteten. Auch die vielen geputzten Menschen, die in den Sälen auf und ab wogten, ergötzten ihn, und Moschele setzte sich seiner bescheidenen Gewohnheit nach in eine der dunkelsten Ecken des Saales, von wo aus er die ganze, vor ihm ausgebreitete Heiterkeit am besten und ungestörtesten übersehen konnte. Eine Stunde oder zwei unterhielt er sich da ganz gut, aber allmälig wurde er doch müde, denn seine gewöhnliche Schlafenszeit kam heran, und außerdem war er heute erschöpfter als sonst, weil er in der Sonnenhitze mit dem schweren Packen auf dem Rücken einen so weiten Marsch gemacht hatte. Er wollte aufstehen und davon schleichen, aber er getraute sich's nicht, weil sich gerade vor ihm, keine zehn Schritte entfernt, eine Gesellschaft von geputzten Damen befand, durch welche er hätte hindurch gehen müssen, und da fehlte ihm das Herz dazu. So blieb er noch ein Weilchen sitzen, indem er hoffte, daß die Damen sich bald entfernen, und ihm den Weg frei lassen würden, aber als eine Minute nach der andern verstrich, ohne daß sie gingen, so wurde er immer müder und müder, an seine Augenlider schienen sich Bleigewichte zu hängen, so schwer wurden sie, und zuletzt konnte er nicht länger widerstehen, sondern sank unwillkürlich in die weichen Kissen des Divans zurück und schlummerte ein.

Niemand bemerkte ihn, Niemand achtete auf ihn. Die Säle wurden allmälig leerer von Menschen, und gegen Mitternacht war Alles geräumt, bis auf den Saal, in welchem Moschele sein Schläfchen machte. Aber auch hier hatten sich Alle, die noch gegenwärtig waren, um einen einzigen, großen, mit grünem Tuche überzogenen Tisch gedrängt, um den Spieltisch nämlich, wo sie ihrer Leidenschaft fröhnten, und Gold- und Silberstücke so leichtsinnig von sich warfen, als ob es nur schlechte Zahlpfennige von Messing gewesen wären.

Plötzlich, es mochte wohl eine Stunde nach Mitternacht sein, wachte Moschele aus seinem Schläfchen auf und erschrack nicht wenig, als er sich noch in dem Saale erblickte, den er zum ersten Mal in seinem Leben betreten hatte. Anfangs wollte er seinen Sinnen nicht trauen, und rieb sich die Augen, um sich zu überzeugen, daß er nicht träume, aber bald merkte er, daß er wirklich eingeschlafen sein müsse, und wollte nun ganz heimlich davon schleichen. Schon stand er auf, um sich zu entfernen, als er ganz unerwartet ein bekanntes, wenn auch nicht gerade ein befreundetes Gesicht unter den Spielern am grünen Tische erblickte, welches auf einmal seine ganze Neugierde erregte und ihn von Neuem an seinen Platz fesselte. Er saß hier fast ganz im Dunkeln, denn alle Kronleuchter im Saale waren ausgelöscht bis auf zwei, welche gerade über dem Spieltische hingen und diesen mit ihrem hellen Lichte überströmten. Er konnte also nicht wohl entdeckt werden, wogegen er ganz genau und deutlich Alles bemerkte, was an und um den Spieltisch herum vorging.

Das Spiel selber interessirte unsern Moschele eigentlich nicht, denn er verstand nichts davon und hatte in seinem ganzen Leben noch kein Kreuzerle am grünen Tische verloren, aber desto mehr interessirte ihn das bekannte Gesicht, das er so unerwarteter Weise gesehen hatte, denn es war das Gesicht Richards, seines ehemaligen Spielkameraden, der ihn so oft verhöhnt und verspottet hatte.

»Schau, schau, kommst du auch daher,« murmelte Moschele leise vor sich hin. »Thätest wohl auch besser, du gingest heim und legtest dich in's Bett, statt daß du hier stehst und verlierst dein Geld. Doch was kümmert's, mich? Ich will machen, daß ich davon komme!«

Ja, er sagte es wohl, der Moschele, aber er that es nicht. Vielmehr blieb er wie festgebannt in seinem Winkel sitzen und verwandte kein Auge von Richard, der so tief in das Spiel versunken war, daß er für nichts Anderes mehr Sinn und Gedanken zu haben schien. Er hatte einen großen Haufen Geld vor sich liegen, Gold, Silber- und Papiergeld durcheinander, und von Zeit zu Zeit setzte er ganze Hände voll davon auf den Spieltisch, als ob er über alle Schätze der Welt gebieten könne. Bald gewann er, bald verlor er, und Moschele, der sparsame Moschele, der jeden Kreuzer erst dreimal in der Hand umdrehte, eh' er ihn ausgab, erschrack ordentlich und fuhr zusammen, so oft er sah, daß der Bankhalter mit seiner hölzernen Krücke alle die blanken Goldstücke und Kronenthaler Richard's an sich zog, worauf dieser immer von Neuem sein Geld verschwendete, als ob gar nichts geschehen wäre.

Ein halb Stündchen sah Moschele vom Hintergrund aus dem Spiele noch zu, allmälig verlor er aber das Interesse daran und die noch nicht ganz ausgeschlafene Müdigkeit meldete sich wieder. »Jetzt wird es Zeit, daß du gehst und in's Bett kommst,« sagte er zu sich selbst, »sonst kommt am Ende der Schlaf noch einmal, und du wirst unsanft aufgeweckt und vielleicht gar zur Thür hinausgeworfen.« Er stand auch richtig auf und warf nur noch einen einzigen letzten Blick auf Richard. Aber das war gefehlt! Nachdem er den Blick gethan, der Moschele, konnte er nicht wieder von der Stelle. Er sah nämlich, daß ein Mensch mit blassem, wüstem Gesicht sich dicht hinter Richard geschlichen hatte, und hier einen scheuen, lauernden Blick umher warf, wie um zu sehen, ob er von Niemanden beobachtet würde.

»Was mag der im Sinne haben?« dachte Moschele. »Viel Gutes wohl nicht, warum brauchte er sonst so heimlich zu thun.«

Moschele brauchte nicht lange zu warten, so sah er, was der Mensch wollte. Stehlen wollte er. Sobald er sich überzeugt hatte, daß Keiner von den Spielern auf ihn Acht gab, fuhr er ganz leise und vorsichtig mit den Fingern in Richards Rocktasche, und zog sie gleich darauf mit einem rothen, saffianenen Notizbuche wieder zurück, das er geschwind in seine eigene Tasche gleiten ließ. Richard hatte nichts von dem Diebstahle bemerkt, und eben so wenig ein Anderer, denn Aller Aufmerksamkeit war ganz allein auf den Spieltisch und die Wechselfälle des Glückes gerichtet. Moschele dagegen hatte von seinem dunkeln Winkel aus jede Bewegung des Gauners bemerkt, und las jetzt in seinen Mienen die Freude, daß ihm sein Diebesgriff so gut gelungen war.

Moschele schwankte und wußte nicht recht, was er in diesem Falle thun sollte. Sein erster Gedanke war, auf den Spitzbuben loszustürzen, ihn zu fassen und laut auszuschreien, was er gesehen hatte. Aber im nächsten Augenblicke besann er sich wieder eines Anderen. Was ging ihn der Dieb, was ging ihn das Notizbuch, was ging ihn am Ende Richard an, daß er sich seiner annehmen sollte? Hatte Richard etwas dieser Art um ihn verdient? Oh, nein! Richard war immer gehässig gegen ihn gewesen, hatte das arme Schacherjüdchen immer mit verächtlichem Hochmuthe behandelt. »Mag er sehen, wie er sein Notizbuch wiederkriegt,« murmelte Moschele und rührte sich nicht von der Stelle.

Der Dieb machte es ebenso. Richard, der eine Zeit lang viel Geld verloren hatte, gewann jetzt wieder, und hatte nach wenigen Minuten wieder einen ganzen kleinen Berg von Banknoten, Gold und Silber vor sich liegen. Er nahm davon ein paar Hände voll und steckte sie achtlos in seine Tasche. Moschele sah's, und der Dieb sah es auch. Kaum hatte sich Richard wieder dem Spiele zugekehrt, so zeigten sich auch die langen Finger von Neuem geschäftig, und es dauerte nicht lange, so hatten sie richtig die Tasche wieder ausgeleert und ihr ganzer Inhalt war in die Tasche des Diebes herüberspaziert. Richard merkte noch immer nichts; der Spitzbube mochte aber wohl denken, daß es jetzt Zeit sei, sich mit seinem Raube davon zu machen, denn er glitt leise von Richard hinweg und stellte sich an das andere Ende des Tisches ihm gegenüber.

Moschele ließ ihn zwar nicht aus den Augen, aber dennoch war er immer noch unschlüssig, ob er Richard benachrichtigen sollte oder nicht. Endlich, als der Spitzbube nach seinem Hute griff, der an der Wand hing, und Miene machte, den Saal ganz zu verlassen, da endlich dachte Moschele, es sei doch unrecht, den Bestohlenen nicht zu benachrichtigen, wenn dieser auch zufällig Richard, sein alter Feind, wäre. Zudem hatte Richard wieder verloren, und griff hastig in seine Tasche, um das eingesteckte Geld von Neuem auf's Spiel zu setzen. Seine bestürzte Miene verrieth, daß er jetzt den Diebstahl bemerkt hatte. Aber wer konnte der Dieb sein? Richard warf einen mißtrauischen Blick auf seine Nachbarn. Aber diese kümmerten sich gar nicht um ihn, und sahen überhaupt zu achtbar aus, als daß ein Verdacht sie hätte treffen können, und mit verdrießlichem Gesicht forschte Richard weiter, als jetzt plötzlich sein Auge auf Moschele fiel, der aus der dunkeln Ecke des Saales grade auf ihn zukam.

»Der wird doch nicht der Dieb sein?« dachte Richard.

»Nein, nein,« flüsterte Moschele, als ob er die Gedanken seines alten Feindes und Verfolgers errathen hätte. »Schauen Sie dorthin, Herr Wilberg, – der Mann im blauen Frack mit dem blassen Gesicht hat nicht nur Ihr Geld, sondern auch Ihr Notizbuch gestohlen. Ich hab's gesehen mit meinen leiblichen Augen.«

»Das Notizbuch auch?« flüsterte Richard erschrocken und mit einem tiefen Griffe in die Tasche, wo er es aufbewahrt hatte. »Wahrhaftig, es ist fort, und wie es scheint, will sich der Spitzbube auch aus dem Staube machen! Aber halt einmal da!«

In der That hatte der Dieb, als er Moschele aus dem dunkeln Hintergrunde des Saales auftauchen und mit Richard flüstern sah, Verdacht geschöpft und war im Begriff, sich in aller Heimlichkeit abseits zu drücken, als Richard mit einem Sprunge wie ein Tiger hinter ihm her war, ihn noch an der Thür erwischte und ihn mit so nervigem Griffe am Kragen packte, daß der Gauner einen leichten Angstschrei ausstieß.

»Herr, was wollen Sie von mir, lassen Sie mich gehen!« rief er dann, indem er sich in die Brust zu werfen und ein beleidigtes Ansehen zu geben suchte.

»Erst mein Notizbuch und mein Geld heraus, Spitzbube!« donnerte ihn dagegen Richard an und zog ihn mit überlegener Körperkraft mitten in den Saal zurück.

»Ein Dieb, meine Herren!« rief er den Spielenden am grünen Tische zu, die bis jetzt von dem ganzen Auftritte nichts bemerkt hatten, nun aber sich rasch um Richard und seinen Gefangenen versammelten. »Ein Dieb! Er hat mich, und wahrscheinlich auch einige von Ihnen bestohlen! Leere deine Taschen aus, Kerl, oder wir lassen Kellner und Hausknechte kommen und dich durchsuchen!«

Der Gauner mochte einsehen, daß er nicht mehr entwischen könne, und leerte mit kläglicher Miene seine Taschen aus. Da kam zuerst Richards Notizbuch und Geld und dann noch manches Andere zum Vorschein, was von verschiedenen Seiten als Eigenthum in Anspruch genommen wurde. Uhren, goldene und silberne Dosen und mehr dergleichen, was der Spitzbube im Laufe des Abends den eifrigen Spielern entwendet hatte. Man machte kurzen Prozeß mit ihm, übergab ihn den Hausknechten mit der Weisung, ihn in Verwahrsam zu nehmen, und wünschte sich dann gegenseitig Glück, daß man sich noch zu rechter Zeit seiner bemächtigt habe.

»Aber woher wußten Sie, daß er der Dieb war, Herr Wilberg?« fragte Jemand. »Haben Sie ihn auf der That ertappt?«

Erst bei dieser Frage erinnerte sich Richard wieder Moschele's, welcher bescheiden bei Seite stand. »Nicht ich, der Schacherjude da ertappte ihn,« antwortete er. »Komm her, Moschele! Da, nimm den Thaler! Und nun mach', daß du fort kommst!«

»Ich gehe schon,« entgegnete Moschele verletzt. »Ihren Thaler behalten Sie nur. Ein freundliches Wort des Dankes wäre mir lieber gewesen!«

Nach diesen Worten entfernte er sich rasch, aber doch nicht rasch genug, um nicht noch Richards spöttisches Lachen und die Aeußerung zu hören: »Seh' Einer den Schlemiehl! Er bildet sich wohl ein, daß wir Freunde werden müßten, weil er mir zufällig einen Dienst geleistet hat! Wahrhaftig, diese verwünschten Judenjungen werden immer unverschämter!«

Moschele wollte nichts weiter hören. Er hielt sich die Ohren zu und lief, was er laufen konnte, um aus Richards Nähe zu kommen. »Das ist der Dank dafür, wenn man rechtschaffen gegen ihn handelt!« murmelte er. »Aber es soll mir auch nicht zum zweiten Male passiren, daß ich mich seiner annehme!«

Er ging heim, der arme, gekränkte Moschele, und legte sich zur Ruhe. Sein grollendes Herz ließ ihn aber lange nicht einschlafen. Die Undankbarkeit Richards hatte ihn zu heftig aufgeregt. Und doch, am nächsten Morgen, als die Sonne mit hellem, goldenem Glanze in sein Kämmerchen schien und ihn aufweckte, grollte da der Moschele noch? Nein, der Aerger war vorbei. Zwar erinnerte er sich ganz genau der Auftritte der vergangenen Nacht, aber er fühlte den Schmerz der Kränkung nicht mehr.

»Was thut's am Ende, wenn die Menschen Einen mit Undank lohnen?« sagte er nach dem Morgengebet zu sich selbst. »Kann mir Richard das Bewußtsein nehmen, daß ich rechtschaffen an ihm gehandelt habe? Nein, er kann's nicht! Warum also willst du dich noch ärgern, Moschele? Thu' deine Pflicht, und im Uebrigen laß dir dran genügen, daß du sie gethan hast

Mit diesen Worten schwand die letzte Regung von Groll aus seiner Seele, und die letzte Falte von seiner Stirn. Ruhig und zufrieden wie sonst nahm er seinen Packen auf die Schulter und ging seinen Geschäften nach. Richard begegnete ihm öfter als einmal des Tages. Moschele sah ihn wohl, aber Jener schien ihn nicht zu bemerken, sondern blickte hoffährtig zur Seite, wenn das Schacherjüdchen in seine Nähe kam. Moschele ärgerte sich nicht, er lächelte nur. »Thut er doch so stolz,« dachte er, »und möcht' ich doch nicht mit ihm tauschen, was das Bewußtsein anbetrifft, und wenn er mir noch etwas zugebe. Der weise Salomo hat ein wahres Wort gesprochen, da er sagte: ›Mancher ist arm bei großem Gut, und Mancher ist reich bei seiner Armuth!‹ Lauf hin, Richard, die Zufriedenheit meines Herzens sollst du mir niemals nehmen!«


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