Hans Hoffmann
Tante Fritzchen
Hans Hoffmann

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Die unversicherte Brigg.

Ich habe Tante Fritzchen als Knabe gekannt und wiederum später als erwachsener Mensch, in ihren letzten Jahren. Aber ich muß sagen: Die beiden Erinnerungsbilder passen schlecht genug zu einander, decken sich nur in wenigen Punkten; das Bild aus der Kinderzeit steht vor mir streng und herb und ernstlich furchterweckend, das spätere zeigt mir etwas wie eine komische Alte mit einem goldenen Herzen. Es scheint also, daß auch das sonst so sichere Gefühl des Kindes ausnahmsweise doch einmal sehr gründlich irren kann. Freilich war Tante Fritzchen selbst eine Ausnahme von allen vernünftigen Regeln.

Und so wurde sie denn auch von den andern Leuten des kleinen Hafenstädtchens je nach deren eigenen Erfahrungen so grundverschieden beurtheilt, daß es ein Wunder zu hören war; schier alle menschlichen Eigenschaften von ausbündiger Herzensbosheit bis zur selbstlosesten Engelgüte wurden ihr zugesprochen. Der Auszug und Durchschnitt aller dieser Meinungen lautete ungefähr: sie ist am Ende doch nicht ganz so schlecht, als es den Anschein hat.

8 Die Lösung dieses Widerspruches, so einfach sie war, ist mir doch erst ziemlich spät aufgegangen, erst als ich schon eine Menge Geschichten, die im Volksmunde von ihr umliefen, eifrig gesammelt und mit eigenen Erlebnissen und Beobachtungen verglichen hatte. Diese Lösung war die, daß sie von Hause aus so weichen und liebreichen Gemüthes, so recht empfindsam im guten Sinne des vorigen Jahrhunderts gewesen ist, daß es bis zur Hülflosigkeit ging. Und da es nicht ausbleiben konnte, daß solche Güte wieder und wieder gemißbraucht wurde, so hatte sie sich zu ihrem Schutze allmählich mit künstlichen Stacheln und Dornen umkleidet, die im Laufe der Jahre immer länger und spitzer wurden und zuletzt die wahre Natur ihrer Seele dem oberflächlicheren Blicke oft fast gänzlich verbargen.

Diese oberflächlichen Blicke aber waren naturgemäß immer in der Mehrzahl, und da die Vielen, die von ihr Wohlthaten empfangen hatten, sich nicht gerade immer gedrängt fühlten, dies laut auf offenem Markte zu verkünden, so kam kein rechtes Gegengewicht auf die Wagschale der öffentlichen Meinung. Tante Fritzchen wurde alle Zeit mehr gefürchtet als geliebt in dem guten Städtchen.

Und man muß bekennen, sie verstand ihr Gesicht in Falten zu legen, die solche Furcht reichlich zu rechtfertigen schienen, und die Blitze, die sie in 9 scheinbarem oder wirklichem Zorne hinter ihrer großen Hornbrille hervorschoß, konnten auch wohl einen Muthigen in Schrecken setzen. Daß sie von Wuchs ein sehr kleines und zartes Persönchen war, vergaß man über solchen Falten und solchen Blitzen vollkommen, ja, das gab der Scheu vor ihr eher noch einen gewissen dämonischen Beigeschmack, wie uns ein böses Gezwerg leicht noch unheimlicher sein mag als ein drohender Riese.

Ihres Zeichens und Standes war Tante Fritzchen die kinderlose Wittwe eines Seekapitäns, der es durch Tüchtigkeit und glückliche Fahrten zu stattlichem Vermögen gebracht hatte, aber auch frühzeitig eines echten Seemannstodes im fernen Weltmeer gestorben war. Seine Gelder hatte er alle wieder in Schiffen angelegt, und die Wittwe verwaltete die schwierigen Geschäfte dieser umfangreichen Rhederei mit größter Umsicht und Thatkraft weiter, so daß ihre Einkünfte trotz einer fast verschwenderisch geübten stillen Wohlthätigkeit sich beständig mehrten.

Sie wohnte am Bollwerk neben meiner Großmutter, die ebenfalls Kapitänswittwe war; und so kam ich als kleiner Junge öfter in ihr Haus und sah und erlebte dort mancherlei Dinge, die ich meist nicht verstand, die mich aber um ihrer Absonderlichkeit willen verwunderten und sich eben darum 10 meinem Gedächtnisse merkwürdig fest einprägten, so daß ich aus eigener Erinnerung allerlei Geschichten von ihr erzählen und andere wieder aus der klaren Anschauung ihres Wesens und ihrer Manieren mir mit Leichtigkeit so zurechtlegen und vorstellen kann, als wäre ich mit Augen und Ohren dabei gewesen.

Ich pflegte allerdings nur zwiespältigen Herzens zu ihr zu gehen. Ihre Person stieß mich ebenso entschieden ab, wie mich gewisse Kuchen, die sie unvergleichlich zu backen verstand und davon sie freigiebig spendete, wieder lebhaft anzogen; und aus dem Parallelogramm dieser Kräfte ergab sich dann ein nicht allzu häufiger, aber doch immer wiederholter Besuch ihrer Wohnung. Auch diese selbst wirkte auf mich ebenso anziehend als stille Scheu erweckend; sie war angefüllt mit allerhand überseeischen Merkwürdigkeiten, die äußerst unterhaltsam, aber zum Theil doch recht unheimlich zu betrachten waren.

Ganz besonders die seltsamen Fischungestalten, die ausgestopft in Glaskästen aufbewahrt wurden oder auch frei von der Decke herabhingen, gaben meiner Phantasie nach beiden Richtungen hin viel zu schaffen. Freundlicheren Ansehens waren die bunten Muscheln, doch deren abenteuerliche Größe und das geheimnißvolle Summen aus ihrer tiefen 11 Höhlung konnten doch auch stille Schauer erwecken. Ganz ungetrübtes Entzücken aber bereiteten mir die allerliebsten Schiffsmodelle, die hier und da auf breiten Wandbrettern aufgestellt waren.

Einmal, als ich so wieder in ihrem Zimmer saß und unbeachtet in einer Ecke knabberte, entnahm ich aus einem Gespräch Tante Fritzchen's mit andern Besuchern, daß ihr Schiff »Der Seehund« am andern Tage auslaufen, und zwar in diesem Jahre zum ersten Mal unversichert gehen werde.

Ich kannte die schöne Brigg natürlich ganz genau und liebte sie zärtlich, und auch mit der Mannschaft stand ich auf gutem Fuße, vor Allem mit dem jungen Steuermann Reinhold Völz, der mich in die Cajüte mitzunehmen und mit Schiffszwieback zu füttern pflegte und überhaupt ungemein menschenfreundlich war. Und eben darum erfüllte mich der Ausdruck »unversichert« mit einem schmerzlichen Schauer.

Wie ich später lernte, hatte Tante Fritzchen die Gewohnheit, ihre Schiffe so lange zum vollen Werthe zu versichern, bis sie das in sie gesteckte Capital zusammt den Zinsen herausgefahren hatten, was in jenen glücklichen Zeiten der Segelschiffahrt meist ziemlich schnell ging; dann versicherte sie zum halben Werthe, bis das Capital verdoppelt war, und das ging natürlich noch schneller; und dann 12 fuhren sie unversichert, jetzt bei jeder glücklichen Fahrt glänzenden Gewinn bringend; gingen sie nun doch am Ende verloren, konnte das nicht mehr als Verlust rechnen.

Damals aber, als ich von diesen Dingen noch keine Ahnung hatte, stellte ich mir in meinem Kinderkopfe unter dem Versichern eine seltsame Veranstaltung vor, durch welche die Schiffe gegen Scheitern und Untergehen geschützt würden, also etwa einen Schwimmgürtel im Großen oder so etwas Wunderbares: folglich, wenn eines unversichert fuhr, war ihm diese Schutzvorrichtung entzogen, man gab es hülflos den Stürmen und Wogen preis, man weihte es dem Untergange mit Bewußtsein und Absicht.

Und weil ich wohl gelegentlich schon davon hatte läuten hören, daß nichtswürdige Rheder zu bestimmten gewinnsüchtigen Zwecken, die ich freilich auch nicht begriff, seeuntüchtige Schiffe auslaufen ließen und solcher Art die Besatzung der dringendsten Todesgefahr aussetzten, so verwechselte ich Tante Fritzchen's unterlassene Versicherung mit diesem abscheulichen Verfahren und schob ihr in Gedanken eben die gleichen schändlichen Absichten unter. Natürlich, was war dieser gefürchteten Person mit der schwarzen Hornbrille nicht Alles zuzutrauen!

So entsetzte ich mich denn im Stillen über 13 jene Aeußerungen gewaltig, indem ich besonders des gutherzigen Steuermanns gedachte, wagte aber erst recht nichts darüber zu äußern; denn die Befürchtung lag nahe, die große Verbrecherin möchte mich dann gleich mit in das Schiff stecken und dem Tode überliefern. Und Angesichts der greulichen Seeungethüme, die jetzt gerade an der Decke sich leise zu bewegen schienen, hatte der Tod im wilden Meere durchaus nichts Verlockendes für mich.

Ich machte mich vielmehr so bald als möglich aus dem Staube und vertraute nachher einem Kameraden geheimnißvoll an, was ich Fürchterliches erkundet hatte. Der gute Junge erschauderte gleichfalls, zweifelte so wenig wie ich an Tante Fritzchens Mordgier und hatte das gleiche Bedürfniß wie ich, sein Herz durch Weitertragen des schrecklichen Geheimnisses ein wenig zu erleichtern.

Solcher Art geschah es, daß am nämlichen Tage noch mit unglaublicher Eile das Gerücht sich im Städtchen verbreitete, der »Seehund« sei ein alter Kasten, ein halbes Wrack, und die unglückliche Mannschaft werde einem fast sicheren Tode entgegengejagt. Wie viele Leute wirklich die Narren waren, davon etwas zu glauben, kann ich nicht überliefern; doch muß ich fürchten, gar so wenige, wie ich wünschen möchte, sind es nicht gewesen.

Am anderm Tage wurde ich mit einer 14 Bestellung abermals zu Tante Fritzchen geschickt. Ich sträubte mich zwar heftig, denn ich hatte gerade keinen großen Hunger; doch meine Großmutter konnte gegen grundlose Launen gelegentlich recht streng sein, und ich mußte gehorchen. Gleich nach Ausrichtung meiner Botschaft hätte ich wohl entschlüpfen können; aber dann ging es doch wieder nicht, denn inzwischen war ich zu Appetit gekommen.

Während ich nun kuchenknuspernd in meiner gewohnten Spielecke saß, kam ein anderer Besuch und zwar ein nicht gewöhnlicher: es war der Prediger Hülsbach, ein noch sehr junger Mann von beträchtlichem Sitten- und Glaubenseifer. Als eine Specialität betrieb er die häusliche Seelsorge; er ging unermüdlich von Haus zu Haus und redete den Leuten mit großer Kraft ins Gewissen. Einige pflegten sich rühren zu lassen, Andere nicht.

Tante Fritzchen gehörte gewohnheitsmäßig zu den Ungerührten. Sie war eine ganz gute Christin und besuchte den Gottesdienst nicht bloß zum Zeitvertreib oder um des Brauches willen, sondern mit ehrlichem Ernst; aber eine gewisse Gattung geistlicher Herren konnte sie im Privatleben nicht ausstehen: diejenigen nämlich, die, wie sie sich ausdrückte, Talar, Barett und Bäffchen auch außerhalb der Kirche immer unsichtbar mit sich herumschleppten, sich gar so johannesmäßig frisirten und in Reden 15 und Gebärden selbst beim Essen und Trinken vom Oel der Gottseligkeit troffen, kurz, in Allem zu verstehen gaben, daß sie sich jederzeit für auserwählte Rüstzeuge des Herrn angesehen wissen wollten. Und wenn die nun gar unerbetene Predigten in die Häuser trugen, so erklärte sie das für eitel Selbstüberhebung und Dünkel; denn das bißchen einstudirte theologische Weisheit verleihe ihm nicht im Geringsten mehr vernünftige Klugheit in weltlichen Dingen, als sie andere Leute auch hätten.

Gerade zu dieser ihr unliebsamen Gattung aber gehörte der junge Hülsbach, und so war er denn hier mit seinem feurigen Eifer sehr an die Unrechte gekommen.

Sie empfing ihn kühl, ließ ihn aber ruhig ausreden. Es schien ziemlich lange zu dauern, bis sie begriff, was er eigentlich wollte und meinte, während ich merkwürdiger Weise es sehr bald heraus hatte; sie schüttelte zu seinen einleitenden allgemeinen Bußreden und anpirschenden Bibelsprüchen immer wieder sonderbar den Kopf und machte Augen, als ob sie ihn in den Tiefen ihrer bösen Seele feierlich für übergeschnappt erklärte.

Am Ende aber wurde ihr doch auch klar, worauf er lossteuerte: daß er sie nämlich des Verbrechens bezichtigte, ein seeuntüchtiges Schiff ausschicken zu wollen, und daß er sie mit allem 16 heiligen Feuer zur Umkehr, Buße und Besserung ermahnte.

Als sie das erfaßt hatte, da begannen ihre Augen höchst seltsam zu funkeln, aber nicht eigentlich zornig wie sonst so oft, sondern eher von einem boshaften und hämischen Uebermuth. Mir war sie so noch unheimlicher als je, zumal ja dieser ehrwürdige Priester des Herrn meine eigene Unterstellung von ihren schrecklichen Absichten vollauf bestätigte, weshalb ich nicht umhin konnte, ihm ermuthigend zuzunicken, obgleich er mir so ziemlich den Rücken zukehrte – oder eben darum, denn sonst würde ich so etwas doch wohl kaum gewagt haben.

Bis ins Mark aber durchschauerten mich die wahrhaft gottlosen Reden, die Tante Fritzchen nunmehr von sich zu geben anhub. Mit einer haarsträubenden Gelassenheit erkannte sie seinen ungeheuerlichen Vorwurf als völlig begründet an. »Ja wohl,« sagte sie, »das Schiff ist zum Untergange bestimmt; und die Mannschaft – sehen Sie, es ist ja immer möglich, daß die sich rettet; und wenn auch nicht, was kann an diesem ordinären Volk denn viel gelegen sein? Sie wissen ja selbst, was das meist für rohe Burschen sind; und in die Kirche gehen sie fast niemals, weder auf See noch am Land. Nur Schnaps trinken sie fürchterlich; da 17 ist es ja ordentlich eine christliche Abwechselung, wenn sie einmal Seewasser zu schlucken kriegen. An solchen Sündern kann nichts gelegen sein. Ja, wenn die Besatzung aus lauter geistlichen Herren bestünde, da würde ich mich natürlich zehnmal besinnen, ehe ich die in Gefahr brächte. Ich will mir's indeß überlegen, ob ich nicht einmal so ein geistliches Schiff ausrüste und dann selbstverständlich dreifach versichere – oder vielleicht auch gar nicht; denn ein so bibelfestes Schiff muß doch am Ende auch seefest sein.«

In diesem lästerlichen Tone ging das weiter. Der arme junge Prediger war Anfangs ebenso starr vor Entsetzen über solche Verworfenheit wie ich; allmählich nahm sein Gesicht dann einen ängstlich forschenden Ausdruck an, genau so, als ob er nun seinerseits wieder sie für übergeschnappt erachte. Auf einmal aber schien ihm doch ein Licht aufzugehen, daß sie ihn schnöde zum Besten hatte; er wurde glühend roth, stotterte allerhand verworrene Entschuldigungen und trat endlich ganz bekniffen, unter Aufgabe aller geistlichen Würde, einen eiligen Rückzug an.

Am liebsten hätte ich mich unter seine langen Rockschöße geduckt und wäre heimlich mit hinausgeschlüpft; allein dazu gehörte doch auch wieder ein Muth des Entschlusses, den ich in der Eile nicht 18 aufbrachte. Aber mir war ganz kläglich zu Muth, so schutzlos allein mit diesem gefährlichen Weibe; ich hielt mich mäuschenstill in meine Ecke geschmiegt und wagte nicht einmal mehr, Kuchen zu knabbern.

Sie aber überließ sich nunmehr auf eigene Faust einer ausbündigen Heiterkeit, die mir entweder vollkommen sinnlos oder vollkommen teuflisch vorkommen mußte. Sie trippelte mit ihren kleinen Füßen im Zimmer auf und ab und lachte immerfort mit einem gewissen ingrimmigen Behagen vor sich hin. Meine Anwesenheit hatte sie, wie es schien, zu meiner großen Beruhigung gänzlich vergessen.

Nicht lange jedoch war ihr dieser stille Triumphmarsch vergönnt. Abermals klingelte die Hausthür, und abermals klopfte es. Diesmal aber war es kein geistlicher Würdenträger, der auf ihr etwas grollendes »Herein« die Zimmerthür öffnete, sondern ein feines, hübsches und wohlgekleidetes Mädchen, das ich ganz gut kannte, Tante Fritzchen jedenfalls auch; es war das einzige Kind einer Offizierswittwe, die sich des wohlfeilen Lebens wegen in unser Städtchen zurückgezogen hatte.

»Was bringst Du, Kind?« fragte Tante Fritzchen, welche die merkwürdige Gewohnheit hatte, alle jungen Mädchen, bekannte wie unbekannte, bis etwa zu deren dreißigstem Lebensjahre ohne Weiteres zu duzen. Sie ließen sich das meist sehr gern gefallen, 19 denn das erste »Sie« der wunderlichen Dame bedeutete ungefähr so viel wie eine feierliche Erklärung zur alten Jungfer oder als wenn ein Anderer die Anrede »Mütterchen« oder »Gute Alte« gebraucht hätte. Dieses junge Fräulein aber machte doch dabei ein Gesicht, als ob ihr diese Gemüthlichkeit etwas gegen den Strich ginge. Doch Tante Fritzchen fuhr ganz unbekümmert fort:

»Und wie heißest Du doch gleich? – Käthe wohl, denk' ich. Käthe Berghoff, wenn ich mich recht erinnere. Mein Gedächtniß wird so schwach.«

Es ist hier zu bemerken, daß sie noch viele Jahre später, selbst im höchsten Greisenalter, keinen Namen und kein Gesicht, das sie noch so flüchtig gesehen hatte, je wieder vergaß. Und ihr Zahlengedächtniß blieb mir immer geradezu beängstigend, da ich selbst in diesem Punkte recht dürftig veranlagt war.

»Ja,« sagte das Fräulein, ihr Unbehagen unterdrückend, »und ich wollte mir eine Frage erlauben.«

»Frage los!« sprach Tante Fritzchen ziemlich streng, denn sie mochte so ein zurückhaltendes, zimperliches oder vornehmes Wesen nicht recht leiden.

Fräulein Käthe Berghoff gab sich nur desto mehr Würde und sagte mit etwas bemühter Gleichgültigkeit im Ton:

»Ach Gott, die Leute reden solche wunderliche 20 Dinge. Und es ist natürlich Alles nicht wahr. Und eben das möchte ich gern von Ihnen selbst hören, daß es Alles nicht wahr ist.«

»Ja, was denn zum Kuckuck?« rief die alte Dame ärgerlich; »ich kann doch nicht wissen, was die Gänse schnattern, und es ist mir auch ganz gleichgültig.«

Fräulein Käthe kämpfte jetzt einen ersichtlichen Kampf, um nicht aufzufahren und sich solchen Ton zu verbitten; aber sie bezwang sich, hob nur das hübsche Näschen noch etwas höher und sagte leichthin:

»Die Leute behaupten, das Schiff ›Seehund‹ sei zum Untergehen mit Mann und Maus bestimmt, um der hohen Versicherung willen, sagen sie – davon verstehe ich nichts, und ich glaube auch wirklich kein Wort von dem ganzen Gerede, ich kenne ja die kleinstädtische Klatschsucht, aber – aber ich möchte es gern von Ihnen selbst hören, daß es nicht wahr ist.«

Tante Fritzchen's Gesicht nahm jetzt den Ausdruck unendlicher Heiterkeit und sogar eines entschiedenen Wohlwollens an. Auch ich empfand, obgleich noch nicht im schönheitsreifen Alter, doch etwas von der rührenden Anmuth dieses zwischen Verlegenheit und vornehmer Selbstbeherrschung schwankenden Geschöpfchens; aber eine so 21 herzbezwingende Wirkung auf die steinerne Brust unter der großen Hornbrille überraschte mich doch. Ihre Rede stand allerdings wenig damit im Einklang.

»Mit andern Worten, Du glaubst es doch,« sagte sie nach einigem Nachdenken kühl, »und da thust Du auch sehr recht, mein Kind, denn es ist wirklich so: der elende alte Kasten muß endlich einmal auf gute Art von der Welt, und man will dabei doch auch einen kleinen Profit haben. Und auf die paar lumpigen Schiffer kann es da wahrhaftig nicht ankommen.«

Das junge Mädchen prallte förmlich zurück bei diesem grausigen Bescheid, ihre vornehme Haltung ging gründlich in die Brüche, und sie starrte verstört in das jetzt bitterernste Gesicht der großen Verbrecherin.

»Aber das ist ja gar nicht möglich!« schrie sie endlich auf, und ihre großen Augen kämpften mühsam mit Thränen.

»Aber warum soll es denn nicht möglich sein?« fragte Tante Fritzchen mit gräßlicher Seelenruhe; »ich habe sogar daran gedacht, eine Höllenmaschine in der Stille an Bord zu bringen und die Brigg auf hoher See in die Luft fliegen zu lassen; aber schließlich schien mir diese Veranstaltung zu kostspielig und jedenfalls überflüssig, denn das klägliche Wrack geht bei der leichtesten Brise von selbst in 22 Stücke. – Aber nun sag' mal, Kind, was geht Dich die Sache eigentlich an? Wenn Du etwa Lust hast, die Fahrt mitzumachen, sollst Du es ganz billig haben. Und das muß ich sagen, interessant ist solcher Schiffbruch immer.«

Das hübsche Fräulein wurde nun doch etwas mißtrauisch bei diesen krausen Reden und gewann wieder etwas Haltung; doch suchte sie vergebens nach einer Antwort.

»Also bitte, was geht Dich diese einfache Sache eigentlich an?« drängte die alte Dame im Ton einer ungeduldigen Lehrerin bei der Hauptprüfung. »Man rückt fremden Leuten doch nicht so ohne Weiteres mit Gewissensfragen aufs Leder, wenn man nicht einen sehr triftigen Grund hat.«

Fräulein Käthe empfand die Berechtigung dieses stillen Vorwurfs, nahm sich zusammen und sagte mit einiger Feierlichkeit, wenn auch etwas gepreßt:

»Bitte, wir haben einen Verwandten auf dem Schiffe.«

»So, so,« sprach die schlimme alte Frau bedächtig, »das ist etwas Anderes. Aber das ist ja dann wieder ganz einfach. Den Verwandten müssen wir retten, der darf nicht mit untergehen. Das heißt, es kommt auf den Grad der Verwandtschaft an. Wie steht es damit? Vielleicht ersten Grades? Also Dein Vater?«

23 Fräulein Käthe schüttelte erstaunt den Kopf.

»Mein Vater ist ja todt. Und er war Major der Infanterie, als er starb.«

»So, so. Also nur zweiten Grades. Da es Dein Enkel nicht sein kann, also Dein Großvater oder Dein Bruder? Das beides auch nicht? Bleibt nur Onkel oder Neffe übrig als leidlich vernünftige Verwandtschaft. Denn die ganze Vetterschaft kann man doch nicht mitrechnen.«

Das Fräulein erröthete heftig, sprach aber stolz erhobenen Hauptes und würdevoll abweisend:

»Bei uns rechnen auch die Vettern. Und nehmen Sie an, es sei ein Vetter.«

»Ach, bloß ein Vetter!« sprach Tante Fritzchen gedehnt, »das ist aber merkwürdig, daß Du Dich darum so aufregst. Vettern hat man doch immer genug übrig. Vettern ertranken mir in meiner Jugend jährlich so und so viele, ohne daß ich darum Lärm schlug. Jetzt natürlich sind sie schon seltener geworden, jetzt sind mehr so die Großneffen dran. – Aber vor Allem, welcher ist denn Dein Vetter? Wie heißt er? Ist es einer von den Matrosen?«

»Aber!« sprach Käthchen in etwas hochmüthigem Ton.

»Nun, nun,« sagte die alte Dame mit Nachdruck, »Dein Vater ist auch einmal Gemeiner gewesen. Wer ist's aber denn sonst? Der Kapitän 24 ist verheirathet und also keiner von der Art Vettern, die in Betracht kommt. Ach so, ja, da ist noch der Steuermann, der Reinhold Völz, ein tüchtiger Seefahrer, ja wohl, und ein angenehmer Junge. Die Verwandtschaft würde mir gefallen; man könnte sie berücksichtigen und seine Rettung ins Auge fassen. Aber sage 'mal, lohnt sich's denn auch, ihn zu retten? Ist er Dir sicher, meine ich? Bei einem Seemann ist das mit der Treue meist eine wacklige Sache.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sprach das Fräulein mit großer Entrüstung, »ich rede überhaupt gar nicht von dem Einen allein, sondern von Allen zugleich. Kein Einziger darf der Gewinnsucht geopfert werden; das ist offenbarer Mord, das darf nicht geduldet werden.«

Taute Fritzchen lachte kurz auf. »Da wird das Militär einschreiten müssen,« sagte sie gleichmüthig. »Aber wir haben hier keins, und bis ein Regiment herkommandirt wird, ist die Brigg längst in der Ostsee. Die Polizei aber, die wir hier haben, bindet mit mir nicht an; die kennt mich und hat vor mir mehr Respekt als vor ihrem Präsidenten in Stettin. Aber ich will Dir einen Vorschlag machen, Kind. Du hast ja militärisches Blut in den Adern, und wenn Du einschreiten willst, hilft das gewiß. Also komm' mit mir nach dem Schiffe; 25 noch ist's gerade Zeit, es läuft heut' Abend erst aus: da wollen wir sehen, ob Du bei den Leuten etwas ausrichten kannst.«

Käthchen streckte heftig abwehrend die Hände aus.

»Bei den Leuten?« stotterte sie verwirrt, »als ob sie freiwillig in die Todesgefahr gingen!«

»Wer weiß?« sagte Tante Fritzchen gelassen, »dem Einen wenigstens, dem Steuermann nämlich, traue ich es ganz und gar zu, daß er absichtlich den Tod sucht. Er war in der letzten Zeit auffallend schwermüthig.«

»Ach – aber mein Gott!« stieß Käthchen im ersten Schrecken hervor, faßte sich jedoch schnell und suchte etwas Vernünftiges zu sagen. Doch die alte Dame schnitt ihr das Wort ab und sagte kühl:

»Ja, und es war so eine besondere Schwermuth, eine von der ganz schlimmen Sorte. Solche Leute gehen mit Wonne ins Wasser. Das kenne ich. Da wird schwer etwas zu machen sein, wenn Du es eben nicht zu Stande bringst. Aber jetzt in allem Ernst, liebes Kind: also Dein erklärter Bräutigam ist er noch nicht?«

»Aber das ist empörend!« rief Käthchen außer sich und wandte sich hastig der Thüre zu.

»Nun, nun,« sprach Tante Fritzchen, »ich habe meiner Zeit auch einen Bräutigam gehabt, und viele junge Mädchen haben noch jetzt einen und 26 finden gar nichts dabei. – Nun also, Du hast keinen. Und es geht ja auch so. Aber nicht wahr, der Reinhold Völz ist so im Allgemeinen sehr nett zu Dir gewesen? Wenn Du mir das zugibst, will ich ihn zu retten suchen.«

»Aber ich sage doch, Alle müssen gerettet werden, Alle!« rief das Fräulein zornig von der Thüre her mit der Klinke in der Hand, aber sich doch wieder umdrehend. »Und warum soll der Herr nicht nett zu mir gewesen sein?« fügte sie ängstlich einlenkend hinzu. »Das schickt sich doch gar nicht anders. Und die Andern sind gewiß auch alle sehr nette Leute; ich meine, in ihrer Art, wie Matrosen so sind.«

»Nun, meinetwillen denn auch Alle,« sprach die alte Dame, »es kommt mir auf die lumpigen paar Leute ja gar nicht an. Ich bin überhaupt an sich nicht so sehr auf das Umbringen von Menschen aus. Bloß natürlich, Geschäft ist Geschäft. Aber ich darf ja wohl annehmen, daß Du mir den Schaden, den ich dabei mache, ersetzen wirst, Du oder Deine Mutter. Ihr habt doch Mittel?«

Käthchen starrte die schreckliche alte Frau an wie einen bösen Geist. Und die sah jetzt wirklich ganz hexenmäßig aus, sie erinnerte ordentlich an die boshafte Fratze eines der Fische, die da über ihr an der Decke hingen.

27 »Nein,« brachte Jene endlich mühsam heraus, »wir haben nichts als die kleine Pension, und die reicht lange nicht aus für uns zum anständigen Leben, wir müssen noch arbeiten.«

»Arbeit macht das Leben süß,« sprach Tante Fritzchen trocken, »ich arbeite auch genug und zwar sogar mit dem Kopf, was bei Weitem das Schwerste ist. Und es ist immer gut, wenn man bei Zeiten arbeiten gelernt hat; man weiß nie, was kommt. Zum Beispiel, wenn man heirathet, kann man's meist sehr brauchen. – Also mit der Aussteuer, sagst Du, sieht es schwach bei Dir aus?«

»Kein Wort habe ich davon gesagt,« rief Käthchen trotzig. »Ich denke überhaupt nicht ans Heirathen. Erstens schon, weil ich keine Aussteuer bekommen kann. Da würde ich viel zu stolz sein zum Heirathen, selbst wenn mich Einer haben wollte.«

»Narrethei,« sprach Tante Fritzchen streng, »ich habe auch nichts mitgebracht und habe doch geheirathet. Für das Geld sind die Männer da. Was ein rechter Mann ist, dem ist's desto lieber, je weniger die Frau hat: er hat dann nachher den Stolz, daß Alles von ihm ist. Und das ist ein vornehmer Stolz, den man ihm gönnen soll; und die Frau soll sich darum nicht schämen, sondern im Gegentheil: sein Stolz ist ihr Stolz. Ich bin ein blutarmes Ding gewesen und bin jetzt eine 28 wohlhabende Person: und immer noch ist's meine beste Freude, daß mein Mann das Alles mit Mühen und Gefahren für mich erworben hat. Und so ist's das Richtige. Mancher nimmt sich eine reiche Frau und denkt recht was dran zu haben: aber nachher ist es doch nichts, weil ihm der fröhliche Stolz fehlt. Besser ganz ohne Aussteuer, als mit einer zu großen; das laß Dir gesagt sein, und heirathe frischweg, wenn Einer kommt, der Dich mag und der Dich ernähren kann. Darauf freilich mußt Du sehen: denn Hunger im Haus frißt die Liebe auf. – Wenn aber vielleicht eines schönen Tages, und wär's gleich heute, ein Freier zu Dir kommt und ehrlich sagt, daß ich ihn geschickt habe: auf den kannst Du Dich verlassen, der ist kein Hungerleider, der kann Dich ernähren. Dafür bürge ich. – So, und nun will ich mir das mit der Brigg überlegen. Oder vielmehr, es soll schon überlegt sein. Der ›Seehund‹ soll nur in seetüchtigem Zustand auslaufen, das schwör' ich Dir zu. Und dem schwermüthigen Steuermann werde ich sagen, das Militär sei zu seinen Gunsten eingeschritten.«

»Ach, bitte, nein, sagen Sie so etwas nicht,« bat die Kleine zugleich angstvoll und energisch, jetzt mit Thränen in den Augen, »für die ganze Mannschaft bin ich eingetreten; Sie dürfen nichts sagen als die reine Wahrheit.«

29 »Gut,« meinte Tante Fritzchen, »ich werde sagen: für die ganze Mannschaft, einschließlich sogar des Steuermanns. Wenn Du sonst noch Wünsche hast, sprich sie getrost aus. Vernünftigen Leuten stehe ich gern zu Diensten, und aus Dir kann noch einmal eine ganz vernünftige Person werden, vornehmlich wenn Du einen Mann kriegst, der weiß, was er will und sich nicht um das Geträtsch der Leute kümmert. Und diese Kunst wirst Du dann vielleicht auch lernen: leicht ist die nicht, aber gut ist sie.«

Und sich schnell zu mir umwendend, befahl sie:

»Hans, lauf mal schnell hinüber zum ›Seehund‹, Du weißt ja, wo er liegt, und sage dem Steuermann Völz, er soll gleich mal zu mir herüberkommen, ich muß mit ihm reden wegen der Abfahrt und ob auch Alles dicht ist. – Nun, und Du, Kind,« sprach sie wieder zu dem Fräulein, »Du bleibst dann wohl der Sicherheit wegen gleich so lange hier, bis er kommt.«

Käthchen wurde dunkelroth fast bis über die Grenzen des Möglichen, gewann aber alsbald eine so stolze Haltung wie nie zuvor und sprach mit dem Anstand einer Königin:

»Frau Kapitän, ich habe von Anfang an das Gefühl gehabt, und jetzt weiß ich es sicher, daß Sie immer Ihren Spott mit mir treiben. Und ich muß 30 wohl annehmen, daß ich eine rechte Dummheit gemacht habe mit meiner Einmischung; aber das kam so über mich, ich weiß nicht, wie, ich konnte nicht anders. Ich bin sonst nicht so naseweis. Die Mannschaft jammerte mich zu schrecklich, und die Andern hatten ja alle Furcht vor Ihnen und wagten nur hinter Ihrem Rücken zu tuscheln, aber das dann um so eifriger. Meine Dummheit war gewiß, daß ich ihnen so ohne Weiteres geglaubt habe. Ich verstehe aber eben gar nichts von diesen Dingen, und wo man nichts versteht, muß man dann schon glauben –«

»Ganz recht,« fiel Tante Fritzchen ihr schnell in die Rede; »sprich darüber doch mal mit dem Prediger Hülsbach, was der so denkt über Glauben und Nichtverstehen, und ob er meint, von der Schiffahrt etwas zu verstehen, und ob man der auch mit dem Glauben beikommt. Ob er mit seinem Glauben Berge versetzen kann, weiß ich nicht; aber Schiffe vom Untergang retten, das kann er gewiß. Es geht nichts über einen handfesten Glauben, besonders an sich selbst.«

»Sie spotten noch immer,« versetzte Käthchen, und ihre vornehme Art wich einer stillen Traurigkeit, die ihr wunderbar lieblich zu Gesichte stand; »aber wenn man sein Unrecht einsieht, verdient man doch keinen Spott mehr; und ich bitte Sie 31 herzlich, jetzt anders zu mir zu reden, und dann besonders – besonders vor diesem Herrn Steuermann nicht von mir zu sprechen und mich in meiner schrecklichen Dummheit nicht so bloß zu stellen. Sie machen mich ganz und gar unglücklich, wenn Sie nur ein Wort von mir reden. Und das werden Sie nicht wollen; ich weiß jetzt, Sie sind ganz anders, als die Leute von Ihnen klatschen.«

»Na, laß das nur gut sein,« fiel Tante Fritzchen schnell ein, »ich bin, wie ich bin; und wie ich bin, das geht Niemanden etwas an, und Du brauchst Dich auch nicht weiter drum zu kümmern. Aber im Uebrigen fängst Du ja schon an, ganz vernünftig zu reden. Da kann ich Dich allenfalls Deinem Schicksal überlassen. Also gut, von Deinem bißchen Dummheit werde ich schweigen, die bleibt unter uns Frauenzimmern. Mein Wort darauf. Aber Du wirst ganz gut thun, Dich jetzt zu entfernen, daß es mit dem Steuermann nicht doch noch eine Collision gibt. Collisionen sind die größte Gefahr für Schiffe und manchmal auch für Schiffer, besonders wenn sie jung und der Gegenpart nicht so sehr häßlich ist. Also lebe jetzt wohl. Aber ich denke, wir sehen uns irgendwie wohl noch einmal wieder.«

Sie gab dem jungen Mädchen sehr freundlich die Hand, und dieses machte sich mit etlicher Eile von dannen. Ich gleich hinterdrein.

32 Nach einem halben Stündchen kam ich mit Reinhold Völz zurück und kroch wieder in meine Ecke.

Jetzt war Tante Fritzchen's Gesicht zum Erstaunen verwandelt: sie sah äußerst vergnügt und fast menschenfreundlich aus; vielleicht lag das aber nur daran, daß sie die große Hornbrille abgenommen hatte.

»Hören Sie mal, lieber Völz,« sagte sie heiter und drückte ihm kräftig die Hand, »ich bin da zufällig dahinter gekommen, daß Sie ein arger Schwerenöther sein müssen. Ich hätte es Ihnen kaum zugetraut, aber es gefällt mir von Ihnen. Das gehört sich für einen Seefahrer, der muß in jedem Hafen sein Schätzchen haben.«

Der junge Steuermann machte große, erstaunte Augen. Zum anderen Male an diesem Tage gerieth Tante Fritzchen in den Verdacht, daß es mit ihr nicht recht richtig sei. Doch er kam bald damit zurecht und sagte mit einem ruhigen Lächeln:

»Nun, es läßt sich noch halten mit der Schwerenötherei, Frau Kapitän. Ich hätt' es schon ganz gern so und ließe mir auch an jedem Arm drei Schätze gefallen, aber leider langt es nicht so weit, denn so was kostet Geld.«

»Kostet immer noch weniger als ein einziger richtiger Schatz, den man nämlich heirathet,« behauptete sie mit einem forschenden Blicke.

33 Dem jungen Manne entfuhr ein flüchtiger Seufzer. Doch wieder faßte er sich schnell und lächelte heiter.

»Drum läßt man' s auch lieber und begnügt sich mit dem Zusehen,« erklärte er harmlos.

»Und entschädigt sich dadurch, daß man ehrlichen jungen Mädchen die Köpfe verdreht,« bemerkte sie scharf, »und die müssen sich nachher auch mit dem Zusehen begnügen.«

Jetzt merkte Reinhold Völz die Absicht eines ernsthaften Hiebes und fragte verwundert und sehr bestimmt:

»Soll das mir gelten, Frau Kapitän? Dann trifft's einen Unrechten. Ich versteh' mich nicht drauf, jungen Mädchen die Köpfe zu verdrehen, und hab' auch nicht das Zeug dazu. Da müssen Leutnants oder Ladendiener kommen.«

»Nun, sehen Sie,« nickte Tante Fritzchen gelassen, »ich hab' es ja gleich gedacht, daß es wieder mal Unsinn ist, was die Leute von Ihnen reden. Ich kenn' so was auch und weiß mein Liedchen davon zu singen.«

»Was reden die Leute?« fragte Völz auffahrend.

»Na, Dummheiten natürlich,« versetzte sie gleichmüthig.

»Und welche Dummheiten?« betonte er scharf, »ich bitte sehr dringend, mich davon in Kenntniß 34 zu setzen. Was sie von mir reden, kann mir ganz gleichgültig sein, zumal ich heute in See steche; aber daß vielleicht andere Personen von dem Geklatsch mit getroffen werden, darf ich nicht dulden.«

»Das scheint sich allerdings ungefähr so zu verhalten,« bemerkte sie lässig. »Sie sollen in der letzten Zeit ein bißchen reichlich nett gewesen sein zu einem Fräulein Käthe Berghoff, Majorstochter, und ihr etwas in den Kopf gesetzt haben, und jetzt gehen Sie ihr durch die Lappen. Na, wenn's wahr wäre, schlimm wär's ja auch nicht, am wenigsten für einen Seemann; aber, die Wahrheit zu sagen, grade von Ihnen hab' ich es gleich nicht recht geglaubt.«

Der Steuermann war blutroth geworden und machte ein gründlich verblüfftes Gesicht.

»Aber das ist ja ein ganz niederträchtig infames Gerede!« rief er empört, »nein, aber so was! Das wär' ja rein zum Krankärgern, wenn's nicht gar so dumm wäre.«

»Nun, an sich wär' es so sehr dumm eigentlich auch wieder nicht,« meinte Tante Fritzchen; »ein hübsches Mädchen ist sie immer und auch sonst die Uebelste nicht. Wenn Sie an der Geschmack gefunden hätten, wär' nichts dagegen zu sagen. Aber wenn Sie höher hinaus wollen, ist's freilich noch klüger. Geld hat der Engel nicht.«

»Aber Frau Kapitän, wie können Sie nun 35 bloß so etwas denken,« sagte er vorwurfsvoll, »das liegt doch grade umgekehrt. Ich kann doch mein Lebtag nicht im Ernst an solch ein Fräulein denken, das an Leutnants und Referendare und Adlige gewöhnt ist. Und grade diese mit ihrer vornehmen Art! Hochmüthig ist sie ja nicht, das weiß ich sehr wohl, aber stolz und fein. Ich wär' ja rein ein Narr, wenn ich mir da etwas einbilden wollte. Und eben darum, weil Niemand und am wenigsten das Fräulein selbst auf solche Gedanken kommen konnte, bin ich denn ja wohl, wie Sie sich ausdrücken, ein bißchen reichlich nett zu ihr gewesen. Warum sollt' ich ihr nicht zeigen, daß sie mir gefiel und ich sie gern hatte, wenn ich doch sonst nichts von ihr wollte, und sie natürlich von mir erst recht nichts. Darin kann ich kein Unrecht sehen; und wenn die Leute nun doch reden, so lass' ich sie reden, und das Fräulein braucht sich auch ganz und gar nichts draus machen. Die schwatzen heute dies und morgen das, und übermorgen wissen sie kein Wort mehr von dem allen. Wissen Sie denn, Frau Kapitän, was die Leute sonst noch faseln? Noch keine halbe Stunde ist's her, daß mir Einer den Unsinn hergebetet hat, der ›Seehund‹ soll nicht mehr seetüchtig sein und soll ein heimliches Leck haben und eine Höllenmaschine zum In-die-Luft-sprengen im Raum versteckt, und was 36 sonst nicht noch Alles für Wunderdinge. Und die Mannschaft soll aufgeopfert werden aus purer Bosheit und Mordgier von Ihnen – was sagen Sie dazu? Daran kann Einer mal lernen, was das Sprichwort werth ist: Volkes Stimme Gottes Stimme.«

Er lachte laut und fröhlich und tippte dabei mit dem Zeigefinger gegen die Stirn.

»Sie wollen sich also nicht warnen lassen?« fragte Tante Fritzchen mit einem schrecklich funkelnden Blicke, »es könnte doch etwas Wahres an der Sache mit der Aufopferung sein – natürlich nicht aus Mordgier, aber doch aus Gewinnsucht.«

Er wiederholte nur schweigend seine Fingerbewegung.

»Nun, wie Sie wollen,« sagte sie ruhig, »aber eins muß ich doch bemerken: das mit dem Mädchen ist so einfach nicht, wie Sie sich das ausrechnen. Sie reden da von Leutnants und Referendaren, die ihr wohl den Hof machen mögen. Aber glauben Sie im Ernst, daß Einer von diesen sie heirathen wird? Da kennen Sie die Herren schlecht: sie ist so arm wie eine Kirchenmaus. Und wenn nicht zufällig ein Anderer kommt, der weniger schön geschniegelt ist und weniger Redensarten macht, dafür aber den Muth und das Ehrgefühl hat, ein armes Mädchen zu nehmen, wenn er ihm den Kopf 37 verdreht hat, dann bleibt sie rettungslos sitzen, und zwar wie? Im kläglichsten Elend, wenn auch die Mutter mal stirbt.«

Der Steuermann blickte mit großen, erstaunten Augen zu ihr nieder.

»Ich verstehe nicht recht,« versetzte er unruhig, »Sie können doch nicht meinen –«

»Allerdings! Grade das meine ich!« unterbrach sie ihn schnell. »Ob Sie ihr wirklich etwas in den Kopf gesetzt haben, kann ich ja nicht wissen; aber versucht haben Sie's doch nach eigenem Geständniß. Und warum sollte es Ihnen nicht gelungen sein? Stellen Sie sich nicht gar so blöde und kläglich an, Völz; Sie sind ein Mann, der sich sehen lassen kann trotz einem. Und Ihren Stand brauchen Sie wahrhaftig auch nicht gering zu achten, ich meine nach außen hin, vor den dummen Menschen; nach innen thun Sie's schon ganz von selbst nicht. Mein seliger Mann hat hier genug was vorgestellt in der Stadt in seinen letzten Jahren, so jung er noch war; und angefangen hat er doch auch als ein armer Steuermann. Und was das Vornehmthun von dem kleinen Mädchen betrifft – du liebe Zeit, das schmilzt wie Butter an der Sonne, und ich kenne die Sonne, vor der es am schnellsten schmilzt. Sie würden aber ganz gut thun, von der Art etwas auf sich abfärben zu lassen; in der Welt 38 hilft das vorwärts, denn die Welt ist dumm und glaubt jedem Menschen seine Manieren. Also, meine Meinung ist die: wenn Sie dem Mädchen schön gethan haben, sind Sie auch verpflichtet, sich darum zu kümmern, ob sie das nicht am Ende ernst aufgefaßt und sich zu Herzen gezogen hat. Möglich ist das jedenfalls immer; und die Möglichkeit legt Ihnen die Pflicht auf; da kann ich nichts ablassen.«

»Ja, wie soll ich denn das heraus bringen?« fragte er erschrocken und doch mit einem Schimmer verschämter Hoffnung auf dem gebräunten Antlitz.

»Ja, wie bringen Sie es denn beispielsweise heraus,« fragte Tante Fritzchen, »ob eine Stelle auf einem Schiff für Sie zu haben ist?«

»Ja, da – da meld' ich mich beim Makler,« sagte der Steuermann, »indessen hier –«

»Nun, wenn Sie hier nichts weiter brauchen als einen Makler,« fiel sie lebhaft ein, »der soll Ihnen nicht fehlen. Oder eine Maklerin ist in diesem Falle wohl besser. Und wenn Sie mich etwa nehmen wollen, will ich es billig machen.«

»Mein Gott, wenn Sie das für mich thun wollen –« stammelte er verwirrt, »aber solche große Güte verdiene ich ja gar nicht. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken sollte –«

»Aber ich sag' Ihnen ja, ich mache es billig,« unterbrach sie ihn abermals, »Sie brauchen dafür 39 im Herbst, wenn Sie Ihr Kapitänsexamen gemacht haben, nur von meinen Schiffen eins zu übernehmen, da rechnen wir nachher schon ab.«

Er beugte sich tief nieder und küßte ihr schweigend die Hand.

»Dann können Sie eine Frau ganz gut ernähren,« fuhr sie gleichmüthig fort, »schon gleich von Anfang, und nachher mit jedem Jahre besser; die Zeiten sind nicht schlecht, ein ordentlicher Mensch kann etwas zurücklegen. Und das Mädchen ist zwar nicht reich, aber an einer kleinen Aussteuer wird es ihr doch nicht fehlen; da lassen Sie sich von ihr nichts einreden, wenn sie Ihnen etwa mit dieser Sache kommen will und darum zimperlich thut. Ich weiß es zufällig, sie kriegt eine Aussteuer, nämlich von einer alten Freundin her, die sie ihr ausgesetzt, aber bisher davon geschwiegen hat. Die Kleine soll erst davon erfahren, wenn sie wirklich Braut ist. Besagte alte Freundin ist nämlich eine ziemlich verrückte Person und steckt voller Schrullen und sogar voll allerhand Bosheiten. Nun, so können wir denn getrost an die Maklerarbeit gehen. Ihren Auftrag also hab' ich?«

»Ich muß ja aber heut' Abend noch in See gehen,« wendete er schüchtern ein, »wie soll ich da grade vorher –«

»Drum eben haben wir Eile,« versetzte sie 40 schnell, »also halten Sie mich nicht auf. Ich will auf der Stelle gehen. Und Sie können inzwischen die Ringe besorgen.«

»Wenn sie nun aber Nein sagt?« fragte er bedenklich. »Und ich fürchte trotz alledem mehr als ich hoffe.«

»Dann verwahren Sie die Ringe für den nächsten Fall. Ein junger Mann sollte überhaupt immer Verlobungsringe in der Tasche tragen, er weiß ja nie, was ihm passirt. Im Uebrigen aber: glauben Sie wirklich, sie könnte Nein sagen, wenn ich für Sie werbe? So etwas gibt's nicht. Ich denke, Völz, Sie sollten mich kennen. Ich fang' kein Geschäft an, wenn ich nicht im Voraus weiß, es wird glücken. Ich sage, kaufen Sie die Ringe, schon allein damit Sie eine Beschäftigung haben; sonst zappeln Sie sich ja todt vor innerer Unruhe, bis Sie die Antwort kriegen.«

»Da könnten Sie fast recht haben,« seufzte der Steuermann leise.

Gemüthsruhig nahm sie nunmehr ihren Umhang aus dem Spinde und trippelte auf die Thüre zu. Die Klinke in der Hand aber drehte sie sich noch einmal herum und sagte im trockensten Ton, doch mit einem schalkhaften Augenzwinkern:

»Da fällt mir aber ein: Sie sind im Einkaufen von Verlobungsringen gewiß nicht sehr 41 geübt; man könnte Sie übers Ohr hauen. Wie wär's denn, wenn wir tauschten, Sie dies Geschäft lieber mir überließen und dafür das andere selbst besorgten? Geübt sind Sie zwar darin auch nicht: doch übers Ohr gehauen werden Sie da nicht.«

Der Steuermann wurde feuerroth und erklärte hastig:

»Lieber ist es mir so. Ich wollte den Vorschlag schon selber machen.«

»Nun, dann sind wir einig,« sagte Tante Fritzchen, »also grüßen Sie mir das Mädchen – vergessen Sie das nicht; ich weiß genau, sie gibt etwas darauf. Und ich hole nun die Ringe.«

Damit schlüpfte sie aus der Thür. Reinhold Völz stand noch einen kurzen Augenblick mit gefalteten Händen. Auf einmal entdeckte er mich in meinem lauschigen Kuchenwinkel, zog mich in die Höhe und küßte mich heftig ab. Mir war das sehr unangenehm, denn sein Bart war rauh, und ich strampelte mich los.

»Ach, die arme Braut!« dachte ich, »die wird's gut haben!« Denn ich verstand schon etwas vom Brautstand.

Und da war er auch schon verschwunden. 42

 


 


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