Hans Hoffmann
Bozener Märchen und Mären
Hans Hoffmann

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Die heilige Kümmerniss.

Eine Legende.

In den Zeiten, als es noch Heilige gab, wurde einem Bürger der gesegneten Stadt Bozen, einem ehrsamen Handwerksmanne, Holzschnitzer seines Zeichens, als einziges Kind eine Tochter geboren, die von früher Kindheit ihres Gleichen nicht hatte an wunderbarer Schönheit. Ihre strahlenden Augen waren von der Farbe des tiefen Sommerhimmels, und die weichen Locken glichen, wenn der Wind sie leise aufblies und die Sonne hindurchschien, recht deutlich einem 96 goldenen Heiligenscheinchen. Ihr Gang war so leicht und heiter, als würde jedes ihrer Gliederchen von einer frischen Welle getragen, und wenn sie tänzelnd durch die Gassen schwebte, blickten die Leute ihr nach mit reiner Erquickung, wie man ein Frühlingswölkchen über den Himmel ziehen sieht, und ihre Mienen behielten auch inmitten der Arbeit noch lange den Ausdruck, als hätten sie eben einen goldenen Traum gehabt.

Die Kleine, welche Notburga hiess, wuchs heran in ungemischter Fröhlichkeit, wie es denn gemeiniglich ergeht, dass sehr schönen Kindern unter Jedermanns stiller Beihülfe alle Wege leicht gemacht werden. Auch musste sie das wohl fühlen, dass alle Welt ihr freundlich gesinnt war und ihr nach Kräften Liebes that; und weil ihr Niemand mit Worten sagte, das sei allein um ihrer Schönheit willen, so wusste sie es nicht anders, als dass sie die Menschen überhaupt von Hause aus für gute und liebevolle Geschöpfe hielt, und das vergalt sie ihnen durch eine sorglos zutrauliche Heiterkeit, welche hinwiederum ohne ihr Wissen ihre Anmuth noch um ein Beträchtliches erhöhte.

97 Sie wuchs so leise heran, und Niemand achtete recht darauf, dass ihre Glieder im Stillen sich kräftigten und die Art ihrer Schönheit langsam verwandelt ward, indem ihre reinen Züge grösser und freier sich bildeten. Ihre herrlichen Augen nur blickten auch dann noch immer so klar und zuthulich wie in den ersten frommen Jahren.

Als nun einmal wieder Frühling geworden war und am ersten Mai die Bozener ihr schönes Blumenfest feierten, geschah etwas Neues, das ihnen wie zu einer Offenbarung wurde. Es war Sitte damals, dass an diesem Tage alle Gärten der Stadt und weit umher den jungen Mädchen zum Pflücken und Plündern offen standen, und Niemand durfte ihnen wehren, an Blumen mitzunehmen, so viel jede zu tragen vermochte, Rosen, Goldlack, Maienglocken, Nelken, Tausendschön und Reseda, und was sonst an Duft und Farbe noch dies reiche Land erzeugt, das wie eine breite lichte Schale voll Weinlaub zwischen seinen schirmenden Bergen liegt. Solchen ihren holden Raub brachten die sohönen Kinder zu Markte auf den Obstplatz und verkauften öffentlich Alles für so viel 98 Geld, als jede ihren Käufern mit List und Lachen abzugewinnen vermochte. Die Käufer sammelten sich reichlich aus der männlichen Jugend und auch wohl dem heitern Alter der Stadt und der glücklichen Thäler weit bis hinauf nach Meran oder Brixen und hinab bis ins wälsche Gelände. Den Erlös des Tages aber brachten sie Alle ohne Abzug Abends der heiligen Jungfrau dar, die den reichen Gewinn zu einem besonderen Zwecke bestimmt hatte, nämlich zu einem Heirathsgute für arme und zugleich hässliche Mädchen, indem sie meinte, dass der freie Ueberschuss, den die Lust der Männer an der Schönheit der Blumen und weit mehr noch ihrer Verkäuferinnen ergeben hatte, auf solche Art am allerfeinsten verwendet wäre. So kam es, dass durch dieses Fest in jedem Jahre eine erkleckliche Zahl von Hochzeiten erzielt wurde und zwar fast mehr noch hässlicher als schöner Mädchen. Und daran hatte die barmherzige Gottesmutter ihre Seelenfreude.

In diesem Jahre nun stand die holdselige Notburga zum ersten Male als eine erblühte Jungfrau unter den Blumenverkäuferinnen 99 am Obstplatz. In ihrer sorglosen Bescheidenheit hatte sie nicht allzu viele Blumen gesammelt, denn sie ahnte nicht, wie gross der Begehr nach ihrer Waare auf dem Markte sein werde. Es erfand sich aber sogleich, dass ihre Blumen vor denen aller Anderen so emsig gekauft wurden, dass sie schon in der ersten Morgenstunde auf die Neige gingen, und jetzt erhub sich um ihre letzten Veilchen und Vergissmeinnicht ein so gewaltiger Wettstreit und fast ein Raufen, dass jede einzelne Blüthe bezahlt wurde nicht anders, als wenn sie aus lauterem Golde gewesen wäre.

Als das die armen Hässlichen bemerkten, die auf dem Platze und von den Fenstern her mit sorgendem Fleisse umherwitterten, machten sie sich eiligst hinaus in die Gärten und in die Weinberge, rupften und zupften, was sie fassen konnten, bis herab auf die Gänseblümchen und schäbigen Butterblumen, am allermeisten aber draussen von den Hecken die wilden Rosen, die in duftiger Fülle an allen Wegen wuchsen und sonst für keinen Menschen irgend den geringsten Werth hatten: die rafften sie alle zusammen, ohne der Dornen 100 zu achten, schleppten sie herbei auf den Obstplatz und häuften sie über den Markttisch der schönen Notburga. Aber je reicher die Waare ward, desto grösser schien nur die Zahl und Lust der Käufer zu wachsen; kaum war es der munteren Jungfrau möglich, sie Alle nach Wunsch zu befriedigen.

Die armen Hässlichen rannten nun immer hitziger durch den weiten Thalboden und bis hoch an den Bergen hinauf, rissen im Eifer gleich ganze Zweige herab und Sträucher mit der Wurzel heraus, schleppten und kamen mit blutenden Händen und warfen ihre Last vor Notburga nieder. Und als ihr Tisch überfüllt war und andere Tische auch, die man eilig herangeschoben, da fielen die Rosen und Ranken nach allen Seiten in reichem Gedränge zur Erde, sich höher und höher um sie häufend wie eine wildgewachsene prächtige Hecke. Ueber den Blumenwall hinweg aber funkelten und klirrten die Goldstücke wie ein Wetterfall von goldenen Hagelkörnern.

Notburga ward zuletzt von dem Getöse und der Wirrniss dieses Festes, sowie auch durch den übermässig starken Duft der 101 unzähligen Blumen so sehr betäubt, dass sie zur Seite auf die Rosen sank wie auf ein Bette, nicht zwar krank noch einer Ohnmächtigen ähnlich, sondern wie eine sänftlich Schlummernde, einem Kinde gleich, das mitten im Spiel und Plaudern in Schlummer fällt. Da machten die Jünglinge andringend aus ihrem Tische eine Bahre, legten die Schlafende mit allen Blumen und Zweigen darauf und trugen sie also köstlich gebettet in das Haus ihres Vaters.

So bewirkte die Schönheit eines einzigen jungen Weibes, dass nach diesem Feste eine ganze Schar ihrer hässlichen Mitschwestern trefflich konnte ausgestattet und für freiende Männer verlockend gemacht werden.

Als nun am anderen Morgen Notburga zum Nachdenken kam und in sich mit leisem Schauder gewahr ward, mit wie seltsamer Ehre sie ohne ihr Verdienst über alle ihre Genossinnen und über die vornehmsten Fräulein war erhöht worden, und wie das doch so vielen Anderen herrlich zu Gute kam, da ward sie ganz stillen Herzens, und eine feierliche Demuth drückte die junge Seele übermächtig darnieder.

102 So erschien sie plötzlich Aller Augen wunderbar in ihrer Art verwandelt: wo sie sonst treuherzig und keck wie ein zahmes Vögelchen hindurchsprang, da wandelte sie nun schüchtern und gesenkten Hauptes vorüber, als ob eine unsichtbare harte Krone allzuschwer ihre Stirn bedrücke. Und wenn sie ja einen Blick zu einem Begegnenden aufhob, so lag es darin wie ein trübes Flehen, ihr nun nicht mehr so fremder Ehren anzuthun.

Es konnte aber trotzdem nicht anders werden, als dass die Augen der Männer durch diesen neuen Liebreiz der Demuth nur noch mehr angelockt wurden, und dass die Dreisteren unter ihnen ernstlich daran gingen, mit feurigen Lobpreisungen, Schmeicheleien und auch Geschenken sie überschwenglich zu feiern und um ihre Gunst zu werben. Sie aber schritt durch alle diese schädlichen Dünste gelassen und rein hindurch, wie die Morgensonne rein über schleichende Gewölke hinwegscheint. Und wo sie Geschenke empfing, die übermachte sie alle ohne eigenes Begehren der gnadenreichen Jungfrau Maria.

Es gab aber auch in jenen Zeiten schon 103 das seltsame Geschlecht der Gevatterinnen, Klatschbasen, Spürnasen, Unheilsdohlen oder wie man den Greuel sonst benennen mag, das blödsinnig scharfsichtige Gezücht, das in allen Winkeln das Böse und Niedrige herauszuspüren vermag und so lange schnatternd daran herumstöbert, bis es recht lebendig wird, aufflattert und umherstäubend weithin seinen Gestank verbreitet.

Diese Art Vetteln waren es, die zuerst an den Ehren, die man der reinen Schönheit anthat, von Herzen ein Aergerniss nahmen.

»Wie?« raunten sie, »diese armselige Puppe, eines Holzschnitzers Kind, soll so sehr über Ihresgleichen erhoben werden, bloss weil ihr der liebe Herrgott einen schönen Leib und ein zartes Gesicht gegeben hat, dafür sie nichts kann, und das sich auch, wie man weiss, mit einem schlechten Herzen sehr gut verträgt? Ja, und wenn sie vielleicht auch jetzt noch ganz guten und schlichten Sinnes sein mag, was Niemand bestreitet, so muss sie doch in kürzester Frist mit aller Nothwendigkeit verderbt werden, theils durch die unzähligen Fallstricke, die 104 man ihrer weiblichen Tugend legt, theils durch die unvermeidlichen Laster der Eitelkeit, Hoffart und des greulichen Spiegelguckens. Dass dies mit ihr so kommen muss, ist gar kein Zweifel.«

Nachdem sie solcher Art sich unter einander in ihrer Meinung und Voraussicht gefestigt hatten, fingen sie an, auch die schöne Gute selbst damit zu bedrängen. Wenn ihrer Zwei oder Drei sie vorübergehen sahen, so falteten sie die Hände mit jämmerlichen Beileidsmienen, wackelten kläglich mit den verschrumpelten Köpfen und stöhnten unter sich, aber doch laut genug, dass Jene es hören musste: »Ach, du Arme! Ach du Arme!«

Es konnte nicht fehlen, dass die arglose Notburga aufmerksam ward auf dies verrückte Gebahren und sich heimlich darum zu ängstigen begann. Doch als sie sich endlich mit vieler Mühe und Scheu entschloss, zu fragen, was jene Klageweiber etwa meinten, schüttelten diese abermals geheimnissvoll und schrecklich die Köpfe, sagten durchaus nichts und liessen nur dunkel merken, es sei ein ganz schweres, jedoch leider nicht 105 unverdientes Schicksal, das sie für die Aermste befürchteten.

Hierdurch ward sie alsbald so schwer verängstigt, dass sie sich nicht einmal mehr getraute, weiter zu forschen, sondern voll düsterer Ahnungen von dannen ging und in ihrer Kammer die Einsamkeit suchte, um zu beten und nachzusinnen. Es ward ihr aber nicht leichter in der Stille, sondern nur noch verworrener und trüber; sie vermochte ihr Herz nicht rein emporzuheben zum Gebet, sondern es schien ihr, dass eine verborgene tiefe Schuld wie ein Nebel aus ihrem Busen qualmend sich emporballe zu einer Wolke, die schwarz und schwer sich zwischen sie selbst und die selige Himmelskönigin schiebe.

So bohrte die heimliche Angst sich tiefer und tiefer; sie fühlte wie eine schwere Luft es um sich lagern und meinte, sie müsse ersticken an dem unbekannten Schreckniss. Da that sie leise die Läden auf, um im Freien ihr Angesicht zu kühlen. Es war nun Nacht geworden und ganz leer auf der Gasse; sie vernahm das Rauschen der unterirdischen Wasser, die von den Bergen herabsprudelnd die Stadt durchspülen, gleich 106 dumpfen, murmelnden Stimmen, sie zu warnen oder zu verklagen, und die funkelnden Sterne des Nachthimmels blickten hernieder wie leidvolle Augen.

So verging ihr die Nacht in bitterer Noth, und am Morgen eilte sie hastig zu denselben Weibern und flehte herzlich, ihr endlich zu offenbaren, welches Unheil ihr drohe oder was sie Uebles möge begangen haben.

Da erweichten sich die Vetteln und standen ihr endlich Rede: indem sie mit schreckbar feierlicher Richtermiene ihr zuriefen: »Lass ab, Dich Deiner Schönheit zu überheben! Es hat auch Schönere gegeben, die doch in Elend und Schande zu Grunde gingen. Wer mag überhaupt wissen, ob solche verblendende und herzbethörende Schönheit eine Gabe des Himmels sei oder nicht vielmehr des Bösen, da sie Dir doch selber nichts Besseres einbringt als hundert Versuchungen Deiner Tugend, denen Du nimmermehr lange wirst widerstehen können, Anderen aber viel sündige Begierde, Sehnsucht, Jammer, Wirrniss und Herzenspein? Oder glaubst Du, es sei unter all' jenen reichen Jünglingen, die Dich umtänzeln, 107 auch nur Einer, der Dich als sein ehrliches Ehegemahl heimzuführen irgend gewillt sei? Du betrügst Dich selbst mit so unberathenem Ehrgeiz und wirst die Wahrheit bald mit Schrecken erkennen! Und da dies so ist, wem wird nun diese Deine übermässige Schönheit zum Segen, dass Du Dich ihrer berühmen und in Eitelkeit und Hochmuth Dich blähen solltest? Vielmehr müsste solche Person nur erst recht fleissig an ihre Brust schlagen und sprechen: Gott sei mir Sünderin gnädig!«

Als Notburga diese Reden vernahm, wich die dunkle Beklemmung von ihr, als wenn ein Schleier fiele, und es wuchs eine neue Kraft des Stolzes in ihr auf. Denn sie empfand genau, wie bittere Ungerechtigkeit aus den Weibern sprach, und dass geheimer Neid allein es war, der sie so verunglimpfte. So ging sie anders davon, als sie gekommen war, und neue Gedanken keimten in ihrer Seele. Denn jetzt allererst war es ihr zu einem Wissen geworden, dass sie schön sei über alle Anderen und dass ihr in der Schönheit allein eine Macht gegeben sei über die Herzen der Menschen. Und sie begann 108 hinfort die Stirne höher und freier zu tragen.

Doch indem sie der Versuchungen gedachte, die ihr voraus verkündet worden, lächelte sie und sprach: »Wer soll mir schaden?« Denn sie fühlte sich stolz und wehrhaft in ihrer Reinheit, und nur ein herber Trotz erregte sie gegen die Männer, dass sie Unreines je wagen dürften von ihr zu erhoffen.

So trat sie künftig keck und zuversichtlich hin, begegnete den feurigen Bedrängern mit trotzig scherzender Heiterkeit und liess die Schmeichelreden lachend an sich vorüberrauschen wie plätschernde Wellen, die viel plaudern und doch nichts Neues sagen.

Mit dieser neuen Art bezwang sie erst die berauschten Herzen ganz, und wen ihre Demuth nicht ergriffen hatte, den entflammte jetzt der freudige Blitz ihrer herrschenden Augen. Und wo sie nun auf einem Tanzfest sich zeigte, was sie fortan gern that, und sich munter umherschwang, da gab es des Jubels die überschwängliche Fülle und taumelnder Seligkeit, hinterher aber in den Nächten viel Seufzen und Sehnen und 109 das schmerzliche Rasen ungestillten Verlangens.

Notburga aber schritt gelassen hindurch, und all' die lärmvollen Liebesklagen vermochten ihre trotzende Seele zu keinem Erbarmen noch zu einer Schwachheit zu rühren.

Da geschah es eines Tages, dass ein junger Handwerksmeister von der Zunft ihres Vaters, Namens Gotthart, sich den Muth nahm, ehrbar mit ihr zu reden und sie für sich zum Weibe zu begehren. Er that das mit stillen und ernsten Worten, indem er nicht allein von seiner redlichen Liebe sprach, sondern auch bescheiden darauf hinwies, es möge für sie selber ein rechtschaffeneres Loos sein, wieder im Frieden eines traulichen Hauses zu leben als draussen so viel vor der lauten Bewunderung der Leute.

Sie meinte jedoch aus dieser schlichten Rede ein weniges herauszuschmecken von dem öden Sinne der unkenhaften Gevatterinnen und dachte in hastigem Aufflammen: »Glaubt dieser täppische Ehrenmann meine Tugend besser verwahren zu können, als ich selbst es immerdar ohne Noth vermochte? Und soll ich die edle Gabe der Schönheit darum 110 empfangen haben, dass in der Enge der Werkstatt etliche Lehrbuben daran Freude haben?«

In solchen Gedanken des Zornes sprach sie ein kühles, hartes Nein und ging ihres Weges. Sogleich aber, wie der Hauch ihres Mundes verklungen war, empfand sie ein dumpfes Weh in ihrem Herzen, als ob sie ein Glück unachtsam verloren habe, das nun nicht wiederkomme; und es war wie eine Sehnsucht nach den Tagen ihrer Kindheit. Und doch vermochte sie ihr Wort weder zurückzunehmen noch zu bereuen, sondern sie sprach nachdenkend zu sich selber: »Ich konnte nicht anders.«

Am selben Abend tanzte sie auf dem Rathhause mit dem jungen Grafen von Eppan, und als dieser ihr heisse und süsse Worte genug ins Ohr raunte, dachte sie gelassen: Wenn dieser solche ehrliche Frage an mich thäte wie der gute Gotthart, ich würde nicht Nein sagen. Denn es würden in seinem Schlosse viele Menschen mich sehen und an mir Freude haben.«

Der Graf von Eppan that aber diese Frage nicht, sondern vertobte seine Gluth in 111 wirren Liebesreden, die nicht an ihre Seele rührten.

Am andern Morgen, als sie zur Messe ging, traf sie einen jungen Mönch, der hastig zur Seite trat und sich in der Thür eines Hauses barg. Und als sie nach ihm hinblickte und freudig lächelte, empfing sie aus glühenden Augen einen Blick voll Qual und hinsterbend in Leidenschaft, und es stand in dem Blicke wie mit Flammen geschrieben: »Sprich ein Wort, und ich werfe für Dich mein Leben dahin, mein Gelübde und meine ewige Seligkeit.«

Da erbebte sie bis ins Herz und begann sich zum ersten Male vor ihrer Schönheit zu fürchten. Sie schritt in Eile vorüber und vermochte sich nicht zum rechten Gebet zu sammeln; denn die glühenden Augen standen fort und fort über ihrer Seele.

Als sie in das Haus ihres Vaters zurückkam, vernahm sie, dass der junge Meister Gotthard die Stadt und all' sein Gut und Geschäft verlassen habe und nordwärts gezogen sei, um über den Bergen ein neues Glück zu suchen. Bei dieser Kunde ward ihr Herz bewegt von tiefer Trauer, und es war nicht 112 anders, als ob ihr soeben ein Bruder gestorben sei.

Doch als es Abend wurde, standen die ganze Nacht hindurch im Wachen wie im Traum die gewaltigen Augen des Mönches über ihrer Seele.

Und wieder am andern Tage kam der junge Graf von Eppan in heissem Ritte herangesprengt, sprang ab vor ihrem Hause, stürmte hinauf und begehrte Notburga mit heftigem Dringen zu seinem ehelichen Weibe.

Sie aber ward blass, wich einen Schritt zurück vor seinem Ungestüm und schüttelte leise und zagend das Haupt. Zu reden aber zögerte sie noch, denn sie erwog im Herzen die Gedanken, die sie wenige Tage zuvor über ihn gehegt hatte. Indem sie ihn ängstlich ansah, fand sie seine Augen brennend von trotzigem Wollen und trunkenem Verlangen: aber sie fand nicht den ertrinkenden Blick unerbittlicher Leidenschaft, den sie jüngst bei dem Mönche gesehen. Da fand sie den Muth und sagte fest und still: »Ich kann es nicht. Ich kann es nicht.«

Der Graf fuhr auf, als hätte ihn ein Pfeil getroffen, und rief in zornigem Schmerze: 113 »So ist ein Anderer mir zuvorgekommen, den Du liebst, und willst Dich ihm zu eigen geben. Ich aber werde den Feind zu finden wissen.«

So stürmte er in Wildheit von dannen und warf sich in den Sattel.

Notburga blieb und wusste in dieser Stunde: »Und käme ein Mann zu mir mit den Augen jenes Mönches, er möchte begehren von mir, was ihm gefiele, ich stünde hülflos vor ihm, und weder Tugend noch Stolz noch Zittern könnte mich schützen.«

Und neue dunkle Angst befiel sie vor der Uebergewalt ihrer Schönheit, die keine Grenzen kannte, sie selbst und andere zu verderben. Sie hörte wieder die Wasser murmeln wie klagende Stimmen, und die Wolken des Himmels stiegen auf vor ihr gleich drohenden Gestalten.

Am andern Morgen, da sie zur Messe ging, fand sie die Stadt voll Rufens und Staunens, und Glocken dröhnten, und als sie aufhorchte und mit den Augen fragte, vernahm sie: »Der junge Graf von Eppan ist im Zweikampf gefallen; ein Nebenbuhler erschlug ihn, den er vors Schwert gefordert.«

114 Notburga floh zur Kirche und sah mit ihren Augen den Todten aufgebahrt, von Weihrauch umwirbelt, und die Orgel hub eben an zu tönen mit einer furchtbar herrlichen Gewalt, und das weite Gewölbe erfüllte sich wie mit einem Sturmwinde.

Notburga entwich, von Grauen umwittert, und eilte dem Thore zu; denn sie meinte, dass die Enge der Gassen sie erdrücken müsse. Als sie an dem letzten Kloster vorüberglitt, ertönte von innen her ein dumpfes, qualvolles Schreien eines Menschen; von Schrecken und Mitleid erschüttert blieb sie stehen und lehnte sich schaudernd wider die Mauer.

Dort ersah sie der Bruder Pförtner, der im Thürbogen stand, und sprach zu ihr mit düsterer Stimme: »Bruder Aloisius ist es, der drinnen gegeisselt wird. Er hat die Augen begehrend zu einem Weibe erhoben und hat sich selber reuevoll der Sünde bezichtigt.«

Notburga stöhnte laut auf und floh zur Stadt hinaus und am Talferflusse hinauf, bis sie in eine friedliche Einsamkeit kam, wo am Bergesfusse ein Kapellchen stand, das der heiligen Jungfrau insonderheit geweiht und 115 mit einem schönen Holzbilde derselben geschmückt war. Indem sie noch stand und einzutreten zauderte, gingen ihre Blicke zurück über das schimmernde Thal mit seinem Segen, als ob sie in ein lachendes Antlitz voll Lieblichkeit und Freude sähe; doch hoch über den zackigen Zinnen der Berge schwebte schwer eine schwarze Wolke, und in der Wolke zuckte es leise wie in einem zornigen Auge.

Da floh sie in das heilige Gewölbe, warf sich nieder vor dem Gnadenbilde und flehte laut aus zerknirschter Seele: »Allerheiligste Gottesmutter, thu an mir die Gnade und nimm diese Schönheit von mir, die mein Verderben ist. Ich wandle daher wie eine goldne Wolke, die hundert Ungewitter in ihrem Schosse birgt; und die Blitze, die von mir gehen, schlagen alle auf mich zurück und verzehren mich selber. Reiss die Schönheit von meinem Leibe; ich bin zu schwach, ihre Last zu tragen und ein Gefäss des Schreckens zu sein. Lass mich hässlich werden wie jener Hässlichsten eine, auf dass ich in Frieden lebe mit einem guten Manne in bescheidener Tugend und ohne Versuchung. 116 Ist es nicht besser, Einem zum Segen zu sein als Vielen zum Unsegen?«

Die gnadenreiche Jungfrau vernahm diese seltsame Bitte, deren Gleichen sie noch niemals gehört hatte, und schüttelte ungesehen leise das Haupt, davon ein Duft sich in dem stillen Raume erhob, wie wenn ein Frühlingswind durch Orangenblüthen streift. Jedoch war dies Kopfschütteln nur ein gross Verwundern und kein Versagen; denn die Madonna ist von Hause aus so gutmüthig, dass sie selbst thörichte Bitten nur ungern abschlägt. Notburga's Wunsch aber schien ihr auch nicht thöricht, sondern sie sprach gedankenvoll zu sich selber: »Als Gott die Schönheit schuf, hat Satan das Erkennen ihrer selbst ihr beigeben. Schönheit, die von sich selber weiss, ist eine allzu gewaltige Gabe für das Herz der unglückseligen Menschenkinder und mag leichter Vielen zum Unheil werden als Wenigen zum Segen. Darum ist es besser, dies fromm verlangende Herz von solcher Schwere zu erlösen.«

Also goss sie einen Schlaf über das Mädchen, nahm einen der Nägel, mit denen einst ihr göttlicher Sohn gemartert worden, und 117 bohrte ihn hastig durch die beiden blühenden Wangen der Schlummernden, vermeinend sie solcherart gründlich zu entstellen und ein garstiges Mal ihr aufzuprägen, das all' ihre andere Schönheit vernichten sollte. Doch siehe, als sie ihr Werkzeug bei Seite gelegt und ihre Arbeit beschaute, da lachte Notburga im Traum, und es erfand sich, dass sie nur noch ein gut Theil anmuthiger geworden war, als zuvor; denn sie trug in den Wangen zwei Grübchen, die ihr so wunderreizend zu Gesichte standen, dass die Madonna selbst einen leisen Ruf des Vergnügens nicht unterdrücken konnte. Sie besann sich aber alsbald ihres Vorhabens und kränkte sich, dass es misslungen war. Auch wusste sie sogleich zu erklären, was ihr umwandelnd im Wege stand. »Es war von jeher freilich meine Art,« sprach sie verdriesslich, »dass ich nichts Hässliches erschaffen und nichts Geschaffenes zerstören kann. Dieses Beides ist des Teufels rechte Arbeit, daran er auch seine Freude hat. Mir aber formt sich, was ich nur leise berühre, zu lauter Licht und Schönheit, und wenn ich Dornen säe, so wachsen Rosen daraus. Das 118 Andere müsste ich erst von dem Widersacher lernen.«

Indem sie diese Worte sprach, ward ihr selbst jene ihre Kraft und Unkraft allererst zur Gewissheit: denn jedes Wort, das durch den Mund der heiligen Jungfrau geht, ist ihr alsbald eine neue Offenbarung.

Sie mochte aber doch nicht abstehen von dem Werke, das sie angefasst hatte, und das ihr gut und freundlich schien um des bekümmerten Mädchens willen. Auch gibt es keine gute Frau im Himmel und auf Erden, die nicht ein wenig eigensinnig wäre.

Nun wusste sie keinen andern Rath, als dass sie es unternahm, dem Teufel heimlich nachzugehen und ihm seine Geheimnisse abzulauschen, wie er es mache, Hässliches zu schaffen und Schönes zu verderben. Also nahm sie selbst die Gestalt eines jungen Teufelchens an und suchte die Gesellschaft des alten Meisters.

Als dieser den jungen zierlichen Kerl erblickte, der in seinen Fussstapfen glitt, ward er für eine Secunde seelenvergnügt, so schwer ihm das wird, und lächelte fast: und diese Secunde ward für die Welt ein Jahr des 119 überschwänglichsten Wachsthums und aller Glückseligkeit.

Hiernach fuhr der alte Beelzebub das Etschthal hinab, und als er in das wälsche Gebiet kam, ärgerte er sich über die feine Sprache der Leute dort, und dass sie so schön zu schreiten und sich zu tragen wussten, und im Zorn stiess er mit den Hacken an einen Berg, dass der in Trümmer ging und eine ungeheure Masse wüsten Gesteines niederprasselte, dadurch eine Stadt verschüttet und eine breite Strecke des blühenden Thals für alle Zeiten mit scheusslichem Felsgebröckel roh und widrig übersäet ward.

Als nun die heilige Jungfrau sah, wie gemächlich dieser höllische Werkmeister mit einem leichten Fussstosse eine wunderschöne Landschaft in eine grauenvolle Wüste verwandelt hatte, versuchte sie alsbald zu ihrer Uebung ein Gleiches zu thun. Doch wollte sie keinem Lebendigen einen Schaden zufügen, darum fuhr sie zurück hinter Bozen in eine einsame Gegend, in der Niemand wohnte, ein schlichtes Waldthal zwischen sehr hohen Bergen, das Sarnthal geheissen.

120 Hier machte sie sich hurtig an ihre Arbeit, streifte die Aermel auf und riss und schmiss in heiliger Wuth die Felsen wild umher, dass auf hundert Meilen hin die Alpen erdröhnten und erzitterten bis in ihre Wurzeln und eine ungeheure Wildniss entstand mit himmelhoch starrenden Wänden und zackig gethürmten Riesenblöcken, durch die ein rasendes Wildwasser seine schreckliche Bahn sich riss.

Als aber das Alles vollbracht war und die Göttliche neugierig sich umschaute, die Augen an dem erzeugten Greuel zu weiden, siehe, da hatte sie wiederum eine wunderbare Herrlichkeit erschaffen, nämlich ein grossmächtiges Wildthal, dessen schaurige Schönheit bis auf den heutigen Tag des Wanderers Blicke mit staunender Lust begeistert.

Als die Jungfrau das sah, was sie angerichtet hatte ganz wider ihren Willen, da seufzte sie laut, dass die neuen Felsen hallten, und sprach zu sich selber: Wie klein ist die Macht, die mir gegeben ist, dass ich nicht schaffen kann, was ich will, sondern schaffen muss, was von selbst und ungewollt aus meinen Händen quillt! Und will ich des 121 Teufels eigene Werke treiben, es wird doch immer nur Schönes daraus.«

Von einem leisen Zorne durchwallt, fuhr sie jäh über hangende Wolken hinauf zu Gott Vater und klagte gelinde schmollend, dass dem Teufel eine grössere Macht gegeben sei als ihr selber: »Denn er kann Hässliches schaffen und Schönes nach eigener Willkür; und auch die Schönheit, die er tobend hinwirft, ist mächtiger über die Menschen als die Schönheit, die sanftströmend sich in meinen Händen formt.«

Sie hauchte diese Worte nur mit unendlicher Zartheit und zagender Furcht vor der grossen Nähe des Allerhöchsten: auf der Erde aber wurden sie dennoch kund als ein ungeheures Donnergewitter, davon die Berge erbebten und die Thäler schauerten, als sollten sie in Schrecken ersäuft werden.

Gottvater reckte die Hand aus und schlang eine Schicht von Wetterwolken um sie Beide her, die kein Auge der Engel noch der Erzengel zu durchdringen vermochte, und sprach zu ihr mit einem schauerlichen Flüstern: Was klagst Du, Maria, dass Deine Schaffensgewalt umschränkt ist? So vernimm denn 122 eine furchtbare Kunde, die sonst keiner der Sterblichen ahnt und keiner der Unsterblichen, weil dies Geheimniss allzu gewaltig ist für ihre Seelen alle: auch die Allmacht Gottes, des Vaters, ist in geheime Grenzen gebannt, die kein Wollen durchbricht: auch Gott der Vater vermag nie und nimmer das Kleinste zu schaffen und zu wirken, das nicht am letzten Ende das Gute wäre, das ewig Gute. Gottes Arme sind machtlos, Böses zu vollbringen. Die Allmacht hat Einer allein und die Freiheit, Böses und Gutes zu wirken nach seiner Willkür: und dieser Eine ist tausendmal unselig und hunderttausendmal. Und siehe, hier ist eine ewige Schranke gesetzt auch für Gottes Erkennen: auch Gott der Vater vermag nicht das arme Herz des Teufels in seinen öden Tiefen zu durchdringen und das Unmass des Elends zu ermessen, das darinnen wohnet. Dies Elend ist weltentief gebunden in Satans Brust, sein Antlitz darf ewig nichts zeigen als Grinsen und höhnisches Lachen: denn dränge ein einziger Tropfen vom Gift des verborgenen Leides hinaus in die Welt, der Tropfen genügte, Millionen Welten in 123 einem Aethermeer von Qualen zu ersticken und zu vernichten für alle Zeiten. Und wenn Du fragst, wie solches Elend seines schwarzen Busens heisst, so höre: es heisst Allmacht und Freiheit.«

Als Gottvater diese Worte sprach, rissen die Wolken um ihn her auseinander und zerstoben in namenlose Fernen von dem Donner seines Mundes, da er doch flüsterte und raunte; und der Donner seines Mundes ward auf der Erde vernehmbar als ein weites Schweigen des Entsetzens.

Und die Sonne verfinsterte sich, und das Leben des Lichts erlosch; aber ein Nordlicht schoss grausige Strahlen über die schwarzen Weiten des Himmels.

Die Jungfrau verhüllte ihr Haupt vor dem Auge Gottes und sank schwebend hinab und kam in die tieferen Lüfte und wagte nun wieder zu athmen und um sich zu schauen. Und alsobald auch lächelte sie wieder, und wiederum so ging es wie ein ungeheurer süsser Sonnenschein über alles Land, wo sie wandelte, und die Sonne selber that ihr leuchtendes Auge auf, und die Lüfte erwachten und tummelten sich in Jubel, und 124 das Schweigen verschwand in seligem Recken und Regen.

Und als sie ins Bozener Thal zurückkam und ein Weilchen ruhte, floss ein Strom des Duftes und Segens von ihr aus und lagerte sich über die Ebene; und es ist etwas hängen geblieben von solchem Duft zwischen jenen Bergen bis auf den heutigen Tag.

Die Jungfrau kam nun heim in ihr Kapellchen und fand Notburga wie zuvor in zartem Schlummer; denn es war seit ihrer Ausfahrt nicht mehr Zeit vergangen als der hundertste Theil einer Secunde. Sie beugte sich über das schöne Mädchen und liess eine Thräne des Mitleids auf ihre Stirn fallen.

Mit dieser Thräne aber erwachte in der Gottesmutter die innere Urgewalt des Schaffens und ward unwiderstehlich in ihr voll stürmischer Seligkeit; ein Strahlen ging von ihr aus wie ein Strom gluthflüssigen Goldes, und die Wölbung des Kirchleins zerbarst von dem Drange und zersplitterte in Millionen Goldfunken, die über den Himmel sprühten und sich sammelten und fügten zu einem feurigen Bande; das schwang sich 125 hinüber wie ein Regenbogen bis zu dem Berge, der am allerhöchsten dort seine Zinnen gegen den Himmel streckt und starr von ewigem Schnee und Schuttfeldern umlagert ist: und mitten aus eisigem und ewigtodtem Gestein erwuchs an diesem Tage eine überschwängliche Fülle rothblühender Rosen. Die sind nun wieder verwelkt und verwittert seit vielen hundert Jahren; aber der Berg heisst Rosengarten bis auf den heutigen Tag, und manchmal noch, wenn die Sonne sinkt, flammt er tiefinnerlich in Rosenfarbe glühend auf, als ob eine träumende Erinnerung an jenen Wonnetag ihn heimlich durchwärmte.

So wunderbar entquoll die Schaffensfülle der allerseligsten Jungfrau ohne ihr eigenes Wollen, und sie stand starr hingegeben wie in heissem Traume und liess die ungeheuern herrlichen Kräfte sanft leidend leise von sich widerstrahlen. Und als das Wunder vollbracht war, löste sich der wallende Ueberschwang ihrer Seele auf in Thränen still nachquellender Wonne.

Da war sie befreit von allem Druck mitfühlender Qual, denn sie wusste auch ohne zu sehen, dass sie etwas Grosses an ihrem 126 Schützling gethan hatte. Und als sie den ersten Blick auf die Schlummernde warf, da sah sie, dass deren Schönheit mächtig über sich selbst gesteigert war und ein Abglanz göttlicher Herrlichkeit über ihr reines Antlitz floss.

Die göttliche Jungfrau weckte sie leise mit der Hand, segnete sie und sprach: »Siehe, Dein Gebet ist erhört worden, nur anders, als Du gedacht hast. Deine Schönheit ist nicht von Dir genommen, aber sie ist in sich selbst verwandelt und zu so strenger Herrlichkeit erhöht, dass kein Begehren mehr an sie zu rühren vermag. Du wirst fortan in Heiligkeit unter den Männern wandeln; sie werden Dich sehen mit ruhigem und reinem Auge, wie sie mein eigenes Gnadenbild beglückt betrachten. Gehe hin und wirke künftig neue Wunder unter den Menschen. Doch wirst Du selbst hinfort nichts mehr von Deinen Wundern wissen.«

Notburga ging und kam zur Stadt zurück und wandelte in gelassenem Frieden unter den Menschen. Und die sie erblickten, hoben die Augen nur wie in zagendem Traum gegen die übermächtig reine Schönheit dieses 127 Angesichts; die Leidenschaft versank wie ein heisser Wind in Abendkühle, und neuer Friede drang voll Kraft und Andacht ernst in ihre Seelen. Und wer sie erblickt hatte, der vermochte an demselben Tage keinen bösen noch unreinen Gedanken mehr zu denken; und er sah auch die übrige Welt und alle ihre Wesen vielmal schöner als zuvor, weil eine innere Heiterkeit ihm nun die Welt verklärte.

So lebte Notburga und that im Stillen und ohne ihr Wissen eine Fülle beglückender Wunder an ihren Mitmenschen. Sie selbst aber verfiel binnen Kurzem in eine Schwermuth, die je grösser und grösser ward und wie ein heimliches Fieber an ihrem zarten Leben zehrte. Denn es ist einem irdischen Leibe nicht gegeben, die Last der reinen Himmelsschönheit zu tragen, und keine geschaffene Seele erträgt es, in den Herzen der Menschen nur Ehrfurcht zu wecken und Andacht und niemals Liebe. Solch eine Seele muss böse werden oder in sich selbst vergehen.

In so heiliger Herzenseinsamkeit schwand Notburga dahin wie eine Waldblume auf 128 schattenloser Höhe. Doch die Schönheit ihres bleichen Angesichts ward nur immer süsser und edler, und der Segen, den sie ausströmte über tausend Herzen, ward täglich reicher. Sie selbst aber wusste von ihrer Gabe nichts und kannte auch nicht den Grund, warum sie trauerte. Und obgleich niemals eine Klage über ihre Lippen kam, so stand der Kummer doch allzu sichtbar in ihren Augen und auf der müden Stirn geschrieben. Die Leute nannten sie drum »die heilige Kümmerniss«.

So starb sie bald an ihrer einsamen Schönheit, wie eine Flamme, die den Andern leuchtet, sich selbst verzehrt. Der Tag, an dem sie bestattet ward, war wiederum der Tag des Blumenfestes am ersten Mai, und alle die Blumen, die man sonst auf dem Markt verkaufte, wurden auf ihre Bahre gehäuft und weit um die Bahre her verstreut wie eine Fluth von glänzenden Wellen. Und wieder strömten die Tausende herbei aus allen Thälern und Städten, und Jeder, der einen Blick auf das selige Antlitz werfen durfte, war für sein Leben gefeit, dass nie mehr das Unglück ihn ganz übermeisterte, auch 129 wenn ihm das Liebste starb und genommen ward. Das war das letzte und grösste Wunder, das die arme Heilige wirkte. 131

 

 


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