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Es war so einsam und doch so bewegt, so einförmig und doch so reich. Das Träumen drängte sich von selbst in den Kopf des jungen Mannes, er ließ die Zügel schlaff hängen und sein Thier gehen wie es mochte. Er hörte die Töne rings, er betrachtete, was ihn umgab: es schien immer und überall dasselbe.

Allein der Weg war nicht mehr derselbe geblieben. Bis dahin, wo Freidorf gestern Abend vom Grenzjäger Abschied genommen, war es denn doch, immer noch ein Pfad, gangbar für Menschenfüße und die Hufe eines Pferdes. Ueber diese Stelle mußte er aber schon weit hinaus sein und vor ihm lag jetzt kein eigentlicher Weg mehr, sondern der Wald selbst, allerdings nicht mehr so dicht wie vorhin ihm zur Seite, jedoch mit Baum und Busch, mit Moos und dem üppigsten Rasen, mit Kräutern und Blumen bunt durcheinander ringsum. Es zog sich auch ein leidlich offener Raum hindurch, Rasen und Moos schienen hin und wider auch von Fußtritten abgenützt; kurz er war, ohne daß er's ahnte, auf einen von den Wegen gestoßen, welche die Schmuggler sich durch das Holz gesucht hatten. Hier ging es um eine Eiche herum, die stolz und prächtig ihm entgegentrat, dort zog sich ein tiefes, üppiges Bosket entlang, das er umreiten mußte, hier ging es durch einen schnell dahinfließenden Bach und ein paar darin liegende Steine machten die Passage gerade nicht leichter. Oder es erhob sich eine Gruppe so dicht gedrängter Stämme, daß er nicht hindurch konnte, oder er ritt durch Büsche hin, die das Pferd auseinander schieben mußte, deren Zweige ihm in's Gesicht streiften, oder der Huf seines wackern Thiers strauchelte über alte Wurzeln und Stammenden und verwickelte sich in die Schlingen, welche der Epheu ausbreitete.

Da rüttelte er sich empor aus seiner Träumerei: er zog die Zügel an und sah sich bedenklich um. Vom Wege, den er gekommen, war nichts zu sehen. Da war nichts zu thun, als geduldig weiter zu reiten; beim Umkehren konnte er sich noch weiter verirren, vorwärts hoffte er endlich doch auf einen Pfad, auf eine der Alleen stoßen zu müssen, von denen der Grenzjäger ihm bereits gesagt hatte. Er ritt also fort und nach einer Viertelstunde etwa mußte er durch eine dichte Masse von Gebüsch und Stämmen brechen: das Pferd ging durch einen Graben, und blauen Himmel und Sonnenlicht über sich, sah er sich wirklich in einer Allee, die links in nicht großer Entfernung auf einen freien Platz zulief, rechts aber sich gerade und eben fast eine Stunde weit hinzuziehen schien und im Hintergrunde anscheinend durch den Horizont begrenzt wurde. In der Ferne sah er einen Mann daher kommen, den er, da er ihm näher ritt, bald für einen Zollbeamten und dann als Frühauf erkannte.

Der Mann wunderte sich nicht wenig über Freidorfs Erscheinen auf einer Stelle, wo er keinen Pfad zu kennen erklärte. Er wunderte sich noch mehr, als er die Einzelheiten von des Assistenten Irrwegen vernahm, und wünschte ihm lachend Glück, daß er so schnell und gut davongekommen. Eben so gut, meinte er, hätte er auch bis zum Abend und noch länger im Walde umher reiten können. Dann fragte er nach Freidorfs Absicht bei diesem Ritt, und als er hörte, der Beamte wolle zuerst zum Posten und dann zum Wildpaß hinüber, zuckte er lächelnd die Achseln und erklärte, das Erstere sei schon möglich, da der sogenannte Posten nicht fern vom obern Ende der Allee liege; allein von dort könne man zum Paß nicht anders als auf Jägerwegen durch den obern Wald oder auf dem regulären Wege über jenes Dorf gelangen, dessen Krug der Assistent vor kurzem verlassen. Damit kamen sie in ein weitläufiges Gespräch über die Gegend und auch wieder über den Schleichhandel, und indem sie dabei bald anhielten, bald langsam dem Wege folgten, sagte Frühauf endlich: »Den Hauptschauplatz unserer vergeblichen Mühen kann ich Ihnen in der Nähe zeigen.« Er führte sofort den jungen Mann links in's Holz, über einen bald bruchig und feucht werdenden Boden, an einer Wiese vorbei, die der Jäger als die Engelswiese und als Pachtgut des alten Krügers bezeichnete, und indem sie endlich um einige Büsche bogen, lag unerwartet ein nicht unbedeutender See vor des erstaunten Freidorfs Augen.

Schilf und hohes Rohr und allerlei Wassergewächse säumten nur den nächsten Rand, links dagegen trat die Wiese zwischen Gebüschpartien nahe heran, rechts zogen sich die Ausläufer des Waldes mehr und mehr bis an die Ufer, bis in's Wasser hinein, und brachen die Einförmigkeit einer ebenen Umgebung auf's Reizendste; gegenüber war alles wieder hoher, dichter Wald. Das Wasser war wunderbar klar und still, die Sonnenstrahlen sanken tief hinein, einige Enten schossen beim Erblicken der Menschen von der offenen Flut in's Rohr, am Ufer sah man die junge Fischbrut sich in dichten Schaaren lustig umhertummeln, hier in der Sonne ruhen, dort neckisch durch Kraut und Strauchwerk schießen. Drüben konnte man die hohen Wipfel des jenseitigen Ufers sich ruhig in der glatten Fläche spiegeln sehen.

»Hier ist die Grenze unserer Nachforschungen,« sagte Frühauf endlich. »Jenseits der Wiese wissen wir durch Rusch und Busch des Waldes keinen Pfad zu finden, und auf dem See – man heißt ihn Glockensee, weil ein Kirchdorf darin versunken sein soll – geht's auch nicht weiter. So klar er aussieht, ist er doch voll Kraut und Geranke, im Frühjahr ist er bunt wie eine Wiese, da sehen Sie auch die weißen und gelben Mummeln, und da kann denn kein Mensch Ruder und Stange hindurch bringen.« – »Und wenn nichts hilft,« erwiderte Freidorf, »besetzt man denn nicht ein Dorf, wenn die Leute davon sind, und nimmt sie bei der Rückkehr in Empfang?« – »Ei ja« versetzte der Jäger, »man thut es schon, aber was nützt es? Sie sind hier zu Lande schon eingeschult, und dann,« fuhr er fort und drückte kopfschüttelnd leicht das eine Auge zu, »dann, Herr Assistent, wissen sie auch von uns mehr als wir von ihnen. Denn es gibt Verräther unter uns; ja, es ist eine Schande, aber leider Gottes wahr: es gibt Verräther.«

»Und das ist doch recht gut,« sagte plötzlich hinter ihnen die Stimme des alten Krügers, der sich ihnen unvermerkt genähert hatte und nun, da sie sich betroffen umwandten, sie lachend und ungezwungen begrüßte. Er knöpfte jetzt auch den letzten der zinnernen kugelförmigen Knöpfe an der dunkeln langen Jacke auf, nahm den niedrigen Hut ab und fuhr sich mit dem Aermel über die heiße, runzelvolle Stirn. »Ich kam da von der Wiese,« fuhr er dann fort, setzte den Hut wieder auf und lehnte sich bequem auf den langen Dornstock; »ich mußte dort doch einmal nach der Nachmahd sehen. Da seh' ich euch kommen, höre zuletzt auch eure Worte und muß noch einmal wiederholen: es ist doch gut so mit der Verrätherei und Spionerie.

»Ja,« fuhr er fort, ohne sich durch Freidorfs ärgerliches Kopfschütteln stören zu lassen, und schaute dabei dem Jäger in das betroffene und leicht geröthete Gesicht, »die Herren Beamten sind mit uns verschiedener Ansicht. Weßhalb sollen denn die armen Leute euch partout in die Hände laufen und ihr Brod verlieren? Sie zu retten und zu warnen ist Christenpflicht, das ist Eins. Dann habt ihr Verräther unter ihnen und sie unter euch; wie du mir, so ich dir: das ist das Andere. Und zuletzt bezahlen sie ihre Spione und Verräther, wie ich mir habe sagen lassen, ganz proper. Und da solltet ihr das liebe Geld wegwerfen? Ei behüte, ihr denkt wie jener: Hans, sei du der Klügste!« – »Ein braver, anständiger, ehrlicher Mann denkt gewiß nicht so!« rief Freidorf. – »Ach ja, Anstand und Ehrlichkeit!« erwiderte der Alte mit spöttischem Lächeln; »das sind recht gute Dinge, aber ein Stück Fleisch dazu schmeckt immer noch besser als das trockene Brod allein. Ich verdenk' es keinem. Bezahlt wird er gut und zu thun hat er nichts, als hie und da ein Wort fallen zu lassen. Allein,« sprach er abbrechend weiter, »wollen die Herren denn hier in der Sonne braten? Wohin des Wegs, Herr Assistent? Zum Recognosciren oder zum Paß?« Freidorf antwortete, der Alte bestätigte Frühaufs Angaben und jener beschloß daher notgedrungen zum Kruge zurückzukehren und von dort am Nachmittag weiter zu reiten.

So wendeten sie sich um und zogen auf einem andern, gebahnten Wege durch den Wald zurück. Vor der steigenden Sonne verstummten allmälig Wind und Vögel, und der junge Mann lauschte mit Vergnügen auf die Worte des Krügers, der bald von den prächtigen Jagden erzählte, die in seiner Jugendzeit hier abgehalten worden, bald berichtete, wie der allgemeine Feind auch diese Gegenden durchzogen und die Bewohner bedrückt habe, bis sie verzweifelnd sich gerächt. Von der Zeit würde der Wald, mancherlei zu erzählen wissen, wenn nur seine grünen Zungen richtig zu sprechen vermochten. Frühauf schritt, den Karabiner übergeworfen, schweigend neben her; der redselige Mann war seit dem plötzlichen Erscheinen des Alten ungewöhnlich still und einsilbig geworden und schien Gedanken nachzuhängen, die nicht die heitersten sein mochten.

Endlich, da sie mitten im Holz zu einer neuen Wiese gelangten, blieb er stehen, sah erst nach der Sonne, die jetzt fast über ihnen stand, dann kopfschüttelnd nach der Uhr und sagte: »Die Wege scheiden sich hier: welchen werdet Ihr einschlagen, Krüger?« – »Den nächsten durch die Wiese,« versetzte dieser. »So leben Sie wohl, Herr Assistent,« sprach Frühauf weiter und umfaßte mit einem hastigen scharfen Blick den ganzen vor ihm liegenden Raum; »ich habe noch dies und das zu besorgen und heut keinen Dienst beim Kruge.« Und indem er an die Mütze faßte und dem Alten zunickte, ging er mit raschen Schritten den Pfad längs des Holzes hinauf und war alsbald aus den Blicken der Nachschauenden. Der Alte säumte gleichfalls nicht und schritt dem Reiter voran auf dem Steig durch die Wiese hin.

»Heut keinen Dienst beim Kruge? Was heißt das?« fragte Freidorf. – »Ei,« erwiderte der Alte, »der Beamte, der bei uns stationirt war, ist gestorben und sein Dienst wird bis zur neuen Besetzung vom nächsten Posten aus versehen. Sie können ja ruhige Leute nicht in Frieden lassen.« – »Ihr liebt uns nicht,« bemerkte der Beamte lächelnd, »das sieht man. Und doch steht Ihr mit dem Frühauf anscheinend freundlich?« – »Weil er noch der Manierlichste ist,« versetzte der Alte; »er molestirt uns nicht mehr, als er muß. Seinen Kameraden genügt das oft nicht, und einige sind schlecht genug auf ihn zu sprechen.«

Der Weg zog sich jetzt näher an den Rand der Wiese, der durch hereintretende Büsche mannigfach gebrochen wurde; Freidorf's Pferd neigte den Kopf zum frischen hohen Grase, und indem so ein unwillkürlicher kurzer Halt entstand, glaubte der Reiter eine Stimme in der Nähe flüstern zu hören. Da hielt er wirklich an, lauschte und sah sich neugierig um, und indem seine Augen zufällig durch einen Zwischenraum des Gebüsches drangen, erblickte er plötzlich einige Männer. »Hollah!« rief er und trieb sein Pferd der Stelle zu, »wen haben wir da?« Aber da er durch die Büsche gekommen war, fand er sich durch einen tiefen und breiten Graben aufgehalten, den er mit seinem Thier weder durchreiten noch überspringen konnte.

Es waren sieben bis acht kräftige Männer, welche in gleichmüthigster Ruhe auf den am Boden liegenden Packen saßen, die Jacken abgeworfen, die Hüte gelüftet, die kurzen Pfeifen in vollem Dampf. »Wer seid ihr?« fragte Freidorf hastig. – »Packträger, wie der Herr sieht,« versetzte einer mit dem höchsten Gleichmuth. – »Was tragt ihr?« forschte jener weiter. – »Kolonialwaaren und fremde Zeuge,« entgegnete der andere Sprecher. – »Woher?« – »Von jenseits.« – »Wo habt ihr die Bescheinigung des Zollamts über die Versteuerung?« – »Bescheinigung? Versteuerung?« fragte der Träger unter dem rauhen Lachen der übrigen; »du lieber Gott, guter Herr, damit molestiren wir die Herren Beamten nicht, die haben so schon genug zu schreiben.« – »Ihr seid also Schmuggler?« rief Freidorf heftig. – »Nun ja, was denn sonst?« erwiderte der Träger lachend. »Und thut nur nicht so, als ob Ihr das jetzt erst merktet. Aber,« fuhr er fort, »der Herr ist verdammt neugierig. Was geht Euch unser Kram eigentlich an?« – »Das will ich euch sagen,« rief Freidorf und streckte die Hand nach dem Pistolenholster aus. »Ich bin Beamter und befehle euch, euch zu ergeben! Solch ein Treiben ist allzu frech!«

Die Leute verharrten noch immer in ihrer Ruhe, nur das Lachen verschwand blitzschnell aus den sich verfinsternden Mienen und dieser und jener langte nach dem derben Stock. Der bisherige Sprecher aber trat an den Graben vor, legte seine Arme über den Rücken und sprach ruhig: »Ihr sagt, ihr seid ein Beamter. Das kann Jeder sagen; Ihr tragt die Kleidung nicht und mögt uns was vorlügen. Aber Ihr könnt es immerhin sein, das ist egal. Laßt das Ding da im Holster stecken und reitet Eurer Wege. Uns könnt Ihr nichts thun; wir sind ruhige Leute von jenseits, die ihrem Geschäft nachgehen und einem Menschen nur unnod' Niederdeutsches Wort, so viel als: sehr ungerne. was zu Leide thun. Aber so müßt Ihr uns nicht kommen. Und nun adje und guten Weg!« Er wandte sich kurz um und nahm unbekümmert wieder Platz. Freidorf starrte den Sprecher schweigend an; die Wahrheit der Worte war zu einfach und offenbar, als daß er noch länger bei seinem ersten Vorsatz hätte verharren sollen. Er war weder feig noch nachlässig, allein er sah hier nichts vor sich als seinen eigenen sichern Tod, ohne daß dieser das Weiterschaffen der Waaren verhindern konnte. So wandte er denn nach einem harten Kampfe mit sich selbst sein Pferd und ritt, ohne zurückzusehen, in raschem Schritt auf den Fußsteig zurück, von wo aus der Krüger schweigend die beschriebene Scene mit angesehen hatte.

»Vorwärts, Alter!« sagte er zu diesem, »schnell in's Dorf, daß ich Mannschaft erhalte, hier muß ich die Schurken zwar gewähren lassen, aber in's Land sollen sie mir nimmermehr.« – Der Klüger lächelte. Er meinte, das werde man doch nicht verhindern können. Die Leute seien meistens im Felde, requiriren ließen sie sich zu solchem Geschäfte nur höchst ungern; darüber werde viele Zeit vergehen und bis dahin seien die Schmuggler lange wieder auf und davon. – Freidorf hörte diese Reden mißmuthig an. »Daß uns auch der Frühauf verlassen mußte!« murmelte er zürnend vor sich hin. – Der Alte schritt neben ihm auf dem jetzt breitern Pfade'; er sah flüchtig forschend zu dem Reiter empor und bemerkte dann: »Nun, das wäre ein Schuß und ein Todter mehr gewesen. Ihr seid vernünftig, Herr Assistent, daß Ihr ihnen nachgabt; die Jungen haben den Teufel im Leibe.« So plauderte er weiter, allein der Beamte fühlte sich zu sehr verstimmt, um sich in ein Gespräch einzulassen. Auch der Klüger schwieg endlich; sie gelangten auf den Weg, den der Reiter schon kennen gelernt hatte, und kamen dann aus den Büschen in's Freie, auf den Hof. Mittag war vorüber. Ein Pferd war an den Ring neben dem Thor gebunden und fraß aus einer vorgestellten Krippe; Decke und Holster so wie der am Sattel befestigte Karabiner zeigten, daß es einem Grenzbeamten gehöre.

»Das ist der Jeremias,« murmelte der Alte mit einem schweren Fluch und eilte in's Haus, wohin ihm Freidorf folgte. Georg mit den Leuten war schon lange wieder zum Mähen hinaus. Im Wirthszimmer, wohin er dem Krüger nacheilte, fand er in dem Grenzjäger wider sein Erwarten eine wohlgenährte Gestalt von mittlerer Größe. Der runde Kopf zeigte nur noch wenig Haare, die indessen mit möglichster Sorgfalt über die kahle Mitte glatt zusammengestrichen waren. Glatte Wangen und breite Lippen sprachen von üppiger Genußsucht. Er erhob sich jetzt, indem er Mund und Hände am Tischtuch abwischte, langsam und anscheinend ungern. Freidorf trat rasch auf ihn zu, und nachdem er Namen und Rang angegeben, zog er den sich tief Verbeugenden auf die Seite, theilte ihm eilig das Gesehene mit und forderte ihn auf, so schnell wie möglich mit ihm vereint die geeigneten Mittel in Anwendung zu bringen, um die Waaren und ihre Träger aufzufangen.

»Ei, ei!« rief der Jäger und sein schlaffes Gesicht belebte sich wunderbar. »Fremde, sagen Sie, verehrter Herr Assistent? Und bei der Pfaffenwiese? Hollah, da müssen wir hinterher! Sogleich, sogleich! Wir müssen zum Schulzen und Mannschaft requiriren; das soll eine Jagd werden! Entschuldigen Sie mich nur eine Sekunde,« fuhr er fort, trat zum Tisch zurück und ergriff Messer und Gabel. »Die schöne Frau Wirthin hat mir ein gar appetitliches Essen vorgesetzt.« Während er aß und auch Freidorf und der Alte sich zu den inzwischen herbeigebrachten Speisen setzten, ward nicht weiter geredet. Nur der Krüger sagte einmal mit spöttischem Lächeln zu dem hastig speisenden Jäger: »Schlingt doch nicht so, Mann, es könnte ja Euer Tod sein.« Die Antwort war nur ein behagliches Lächeln. Nach kaum einer Viertelstunde war das Mahl zu Ende und die beiden Beamten brachen auf.

Da sie vom Hofe herunter ritten, hielt der Jäger sein Pferd an. »Wenn Sie es mir erlauben, verehrter Herr Assistent,« sagte er, »so möchte ich einen andern Plan vorschlagen. Wir thun besser, die Mannschaften nicht hier zu requiriren, obgleich ich's den Leuten gern zum Schabernack thäte und mich schon ordentlich auf die finstere lange Nase des Schulzen gefreut habe. Allein bis wir das widerspenstige Gesindel hier zusammentreiben und nachsetzen können, geht mehr Zeit verloren, als wenn wir nach dem nächsten Dorf reiten und von dort beginnen. Da ernten sie noch nicht, wie ich weiß.« – »Aber unterdeß können die Schufte ihre Waaren hieher bringen,« versetzte Freidorf ungeduldig. – »Das sollte ich nicht denken, verehrter Herr,« sprach Jeremias: »denn so arg das Schmuggeln hier auch sein mag, Fremde nahmen sie bisher nie auf, da sie viel zu geizig und eifersüchtig auf ihren eigenen Erwerb sind.« – »Nun gut denn, Sie müssen Land und Gelegenheit besser kennen. Vorwärts!«

Sie ritten rasch den Weg am Holze hinauf, fragten, wo sie Arbeitern auf dem Felde begegneten, und erhielten nur widerwillige, kalte und nichtssagende Antworten. Beim Forsthause forschten sie eben so vergeblich; der Förster war im Busch, ein paar Jägerburschen, die eben heimgekommen, wußten von nichts. So kamen sie zum nächsten Dorf, requirirten und erhielten mit Hülfe des dort stationirten Grenzjägers ziemlich schnell die gewünschten Leute und begannen das Holz abzustreifen. War aber auch der Schulze des Dorfes willig und freundlich gewesen, die Requirirten selbst waren desto mürrischer und langsamer, verrichteten den von ihnen verlangten Dienst auf's lässigste und die Beamten traf mancher böse Blick. Man streifte rechts und links in den Wald, man kam zur Pfaffenwiese, wo die Begegnung stattgefunden, man suchte bis zu den Brüchen und Seen und wieder hinauf fast bis an den Krug; allein sie fanden keinen Menschen, mit Ausnahme einiger Holzträger und Beerensammlerinnen, die wieder von nichts wissen wollten, und selbst Spuren waren nirgends zu sehen.

Als die Sonne niederging und sie sich mehr und mehr von der Nutzlosigkeit des weitern Suchens überzeugen mußten, beschloß Freidorf zum Paß aufzubrechen und die fernere Wache dem andern Jäger und Jeremias zu überlassen, von dessen Eifer und Aufmerksamkeit er im Lauf des Nachmittags vielfache Beweise erhalten hatte. Es ward dunkel im Wald, von den Leuten hatten sich einige heimlich davon gemacht, die andern waren müde und selbst der Jäger erklärte alles für beendet. »Ich hab's gleich gedacht,« sagte er zum jungen Beamten in seiner devoten, langsam und geziert betonten Weise, »denn bis der Herr Assistent mich trafen, waren die Schufte sicher schon in der Heide, wo denn alles Nachsuchen umsonst sein dürfte. Diese unsere Hetze ist aber dennoch recht gut: sie hält unser hiesiges lässiges Gesindel in Respekt und Athem und zeigt ihnen, daß wir auf den Beinen sind.«

Er hoffte, daß aus dem heutigen vergeblichen Suchen Gutes entstehen würde: die Leute würden sicher gemacht und liefen ihnen nächstens desto gewisser in die Hände. Ein großer Schlag stehe bevor. Er sei am vergangenen Tage in der jenseitigen Grenzstadt gewesen, habe bei den Kaufleuten und Händlern Haufen von Trägern gefunden, Frachtwagen mit Waaren und auch einige Leute aus dieser Gegend, die als Schmuggler bekannt seien. Ihm sei die Sache jetzt ziemlich klar; die Schleichhändler haben in der letzten Zeit Unglück gehabt und daher sei es seither stiller als gewöhnlich gewesen; nun werden sie von neuem anfangen. »Die Jenseitigen müssen beginnen, weil sie weniger riskiren; da es gut gegangen, werden die Diesseitigen bald folgen, und er, Jeremias, werde nächstens Botschaft zum Paß senden und Hülfe verlangen. Man möge nur den Frühauf wegschaffen, der nicht sicher sei. Er machte den Assistenten auf das Benehmen des Jägers aufmerksam und regte dadurch im Kopf des jungen Mannes Gedanken an, die dieser am Morgen, wenn auch nur flüchtig, selbst gehegt hatte. Er dachte jetzt weiter über alles Geschehene nach und die Sache schien ihm immer weniger unwahrscheinlich. Wenn wir erst über einen Menschen schlecht zu denken anfangen, finden wir in jedem Wort und Zug, in jeder, selbst der unschuldigsten und gleichgültigsten Handlung, nur zu leicht eine Bestätigung unserer Ansicht.

»Aber, Herr Jeremias,« sagte Freidorf endlich, »wie wollen Sie bei alle dem die Zeit dieses Zuges erfahren?« – »Ach,« versetzte er mit einem sanften, selbstgefälligen Lächeln, »wir haben unsere Quellen, Herr Assistent, und eine neue, denk' ich, wird sich mir bald erschließen. Im Vertrauen darf ich es Ihnen wohl gestehen, daß ich schon länger der saubern Sohnsfrau des Alten im Kruge nachgehe; ich thäte dem Gesindel gern einen rechten Tort an, denn sie haben's um mich verdient. Die Frau will noch immer nicht recht anbeißen, aber ich habe ihr oft und viel von meiner Liebe vorgeredet, und heiße Liebe, heißt es, bricht harte Herzen. Dann wird auch ihr eheliches Verhältniß täglich schlechter, und da findet sich denn schon ein schwacher Augenblick, wo unser eins an die Reihe kommt. Sie macht's mir sauer, aber, Herr Assistent, das wird auch eine Freude werden, wenn es mir gelingt und ich das ganze Pack in einen Sack schieben kann.«

Freidorf nahm Abschied, ohne etwas zu erwidern; der Mann wurde ihm trotz all seines Eifers und seiner sonstigen Tüchtigkeit mehr und mehr zuwider. Und je mehr er an alles dachte, was er gehört und selbst gesehen hatte, desto unleidlicher ward ihm zu Muthe. Die Einsamkeit des langen Weges, die Stille des Abends waren seinen düstern Gedanken günstig, und tief verstimmt langte er spät auf dem Passe an.

Unterdeß entließ Jeremias endlich die immer aussätziger und ungeduldiger werdenden Leute und ritt selbst seinem Posten zu. Als er dabei den Krug passirte, fand er alles todtenstill und nirgends mehr ein Licht. So ritt er vorbei, ohne sich aufzuhalten und ohne sich träumen zu lassen, daß er hier einige Stunden früher gefunden hätte, was er so eifrig gesucht und von dem er erklärt hatte, daß es sicher nicht im Kruge getroffen werden könnte.

Die beiden Beamten waren am Nachmittag kaum den Blicken des nachschauenden Krügers entschwunden, als sich bereits ein Mann bei ihm einfand, in dem Freidorf sicher eines der verwegenen Gesichter erkannt hätte, denen er am Morgen einige Minuten gegenüber gestanden. Er erkundigte sich lachend, ob alles sicher sei, ging dann und kehrte mit den beladenen Gefährten, die inzwischen im Gebüsch gerastet hatten, durch das hintere, gegen den Wald führende Thor zurück. Die Waaren wurden alsbald auf die Seite und in sichern Versteck gebracht, die Männer ließen es sich am gut besetzten Tisch wohl sein, kehrten sich nicht viel an den Krüger, der schweigend und mürrisch dabei saß, lachten über das Begebniß des Morgens und daß die Beamten sich selbst so »sauber« angeführt hätten, kehrten dann nach einigen Stunden frei und ungenirt durch den Wald zurück und passirten ungehindert die Brücke, welche bei dem Posten über den Fluß führte.

Dieser Zug war der erste Versuch, einen neuen großartigen Plan in Ausführung zu bringen, den die Lieferanten im Nachbarlande mit ihren diesseitigen Abnehmern verabredet hatten. Da nämlich die Wege von der Grenze bis an die erste bedeutendere Stadt sowohl weit als beschwerlich waren und in den kurzen Sommernächten nicht zurückgelegt werden konnten, so daß dann oft ein empfindlicher Mangel an wohlfeilen Waaren zu entstehen pflegte, und da ein auf die bisherige Weise unternommener größerer Transport überaus kostbar und gefährlich wurde, so war der Schmuggel bisher noch immer mehr oder minder beschränkt geblieben. Denn eigentlich ward er nur auf Rechnung und Gefahr der einzelnen oder zu kleinen Gesellschaften vereinigten Träger fortgeführt, welche die empfangenen Waaren bald im Ganzen an Kaufleute und Händler absetzten, bald auch selbst davon im Kleinen an diesen oder jenen verkauften, wie es Umstände und Gelegenheit gerade passend erscheinen ließen. Nun hatten aber die Kaufleute, die den großen Nutzen eines solchen Handels recht gut erkannten, die Sache selbst in die Hand genommen, sie hatten Verträge abgeschlossen und die bisher beschäftigten, bereits geübten Leute als Träger geworben. Die Jenseitigen sollten die Waaren bis zum ersten Lagerplatz durch den Wald schaffen, von dort andere Träger sie bis zu einer sichern Stelle in der Heide führen, wo dann die Abnehmer selbst sie übernehmen und in den Handel bringen wollten. So ward die Gefahr der Entdeckung verringert, die Raststunden wurden bedeutend abgekürzt, ein viel größerer Transport ermöglicht und die kürzeste Sommernacht bedeckte mit ihren Schatten Anfang und Ende der Wege.

Es war den Unternehmern gelungen, auch den alten Krüger, der mit seinem Sohn bereits an der Spitze einer bedeutenden, weitverzweigten Verbindung stand, für ihren Plan zu gewinnen, obgleich er nur ungern und so spät wie möglich sich dazu entschloß. Denn er begriff sehr wohl, daß mit der Zahl der Wissenden und Theilnehmer auch die Unsicherheit zunehmen und der Verrath erleichtert werden mußte. Er hatte den jenseitigen Trägern, wie Jeremias ganz richtig angab, nie ihren Verdienst von diesem Handel gegönnt; denn, war seine Ansicht, sie haben nicht die Nachtheile dieser Sperre und brauchen also auch nicht die Vortheile des Schmuggels. Er betrachtete außerdem die Krugwirthschaft nur als eine geringe Zugabe zu seinem übrigen Besitz und betrieb sie demgemäß eigentlich nur nebenbei und so zu sagen nach seinem Gefallen. Krämer, Hausirer, loses Gesindel, dessen es an der Grenze im Ueberfluß gibt, nahm er entweder gar nicht oder nur im höchsten Nothfall bei sich auf; bei ihm sollte es, wie er sagte, ordentlich und gesetzt zugehen, sein Haus sei kein Quartier für Räuber und Diebe. Das fürchtete er bei diesem neuen Geschäft ferner nicht streng genug durchführen zu können. Allein das alles wurde endlich in seinen Augen durch den eigennützigen Gedanken überwogen, daß er mit den Seinen dieser Gesellschaft gegenüber unterliegen könne und werde. So hatte er sich denn ergeben, seinen Antheil beim Geschäft übernommen, und er war ein Mann von altem Schlage, der bei seinem Wort bis in den Tod verharrte. Aber ruhig und zufrieden fühlte er sich nicht, und mit finsterer Stirn und schwerem Herzen hatte er den ersten Transport empfangen.

Am Abend, als Georg mit den Leuten vom Felde kam, nahm der Alte ihn bei Seite und theilte ihm Ankunft und Sicherung der Waaren mit. »Schon gut,« entgegnete mürrisch der wilde Gesell, »aber gefallen thut's mir nicht. Acht Päcke! Was soll der Bettel? Wir haben fünfzig Träger, und wenn's darauf ankommt, können wir vielleicht hundert stellen. Da können wir ewig und drei Tage warten, bis wir eine Ladung zusammen haben. Und so lange sollen wir das Zeug im Hause behalten? Das taugt nichts. Der Teufel könnte uns eine Nachsuchung auf den Hals schicken und dann sitzen wir in der Suppe.« Der Alte zuckte schweigend die Achseln, da der Sohn aussprach, was ihn selbst seit Mittag verdrießlich gemacht hatte. »Und dann,« fuhr Georg fort, »wie war es mit dem Assistenten? Der Bursche hat unsern Weg bei der hohlen Eiche gefunden? Und nachher seid ihr vielleicht den Leuten gar begegnet?«

Der Vater erzählte vom Morgen, meinte, Freidorf habe den Pfad schwerlich bemerkt und nichts davon erwähnt, und berichtete dann von der Begegnung an der Wiese. Georgs dünne, aber dunkle Brauen hatten sich während dessen immer düsterer zusammengezogen. »Es ist doch ein jämmerliches Gesindel die von jenseits!« sagte er in höhnendem, bitterem Ton. »Die schwatzen da lange herum; wir hätten dem Kerl eins auf den Kopf gegeben, und es wäre abgethan.

»Ja, ja, Vater,« fuhr Georg fort, »der Frühauf kam zu mir in höllischer Angst und Eile und meinte, die Bursche seien bereits im Wald und vermuthlich bei der Pfaffenwiese; daher habe er sich davon gemacht. Und das bringt mich darauf, daß es mit Frühauf nichts mehr ist. Der Schuft fragte wieder nach unsern Wegen; er müsse bei solchen Gelegenheiten doch einen Dritten davon entfernen können; so wisse er nicht, was zu verbergen und was gleichgültig sei. Und dennoch, wett' ich, kennt er schon die Wege und verräth uns bei nächster Gelegenheit aus purer Angst.«

»Hm!« sagte der Krüger trocken, »da werden wir ihn denn wohl auf den allerrichtigsten Weg bringen müssen. Aber das Schlimmste ist, daß wir bei unserer Rückkehr den Jeremias hier trafen.« – Mit einem Fluch fuhr Georg empor. »Der Hund!« rief er, »der infame Schleicher! Ich schlage ihn todt, wo ich ihn treffe! Und wo war die Else, die –.« – »In der Küche mit der Magd,« unterbrach ihn der Alte, »und ich habe sie wieder vor dem Gewürm gewarnt.« Und sofort erzählte er das Weitere. – »Dann dürfen wir auch einer Nachsuchung entgegensehen,« meinte der Sohn, »und ich gebe für unser ganzes Geheimniß keinen Pfennig mehr. Der Jeremias ist ein regulärer Bluthund, wo er auf eine Spur stößt, und er oder wir müssen dran.«

Dann gingen sie zu den Gästen zurück, die sich heut Abend viel zahlreicher als sonst eingefunden hatten. Von der Begegnung des Assistenten und der Schmuggler war auch ihnen dies und das zu Ohren gekommen; es wurde viel darüber gesprochen und gelacht. Einige unter ihnen mochten auch genauer wissen, was dieser Transport zu bedeuten hatte; die meisten jedoch hielten ihn für einen gewöhnlichen, gut ausgeführten Schmugglerstreich und wußten nicht, wo Leute und Waaren geblieben. Das war eine Folge der günstigen isolirten Lage des Krugs und zu gleicher Zeit auch der Ernte, welche die Leute nicht müßig umherlungern ließ.

Der folgende Tag war ein Sonntag, allein an's Kirchgehen dachte auf dem Krügerhofe niemand; denn in der Erntezeit gibt es immer so viel zu thun, daß die Leute den weiten Weg in's Kirchdorf gewöhnlich zweimal bedenken und ihn dann lieber unterlassen. Der Morgen also gehörte der Arbeit und Nachmittags ging alles bis zum Abend seinem Vergnügen oder der Ruhe nach. Frühauf fand sich ein und hatte mit dem Krüger und Georg allerlei zu bereden; später kam auch der Förster und es stellten sich einige Leute aus dem Dorf ein, allein sie zogen sich zeitig zurück, da der nächste Tag wieder voll harter Arbeit war. Für den späten Abend hatte Georg sich einige Männer bestellt, um die gestern angelangten Waaren in die Heide zu bringen.

Nach dem Abendessen waren in der Küche wieder dieselben Personen vereinigt wie bei jener heftigen Scene im Anfang dieser Erzählung, und ziemlich auch eben so beschäftigt. Georg war, von Ungeduld gepeinigt, schon während des ganzen Tages in heftiger, wilder Stimmung gewesen; er setzte sein Schelten auf den Jeremias fort und auch Else bekam ihren gewöhnlichen Theil. Als aber die Magd die Küche verlassen hatte und er noch immer warten mußte, trieb ihn die Ungeduld und der sich an sich selbst steigernde Aerger zu immer heftigeren und roheren Ausbrüchen, und eine Flut von Schmähungen und sinnlosen Drohungen, von gerechten und ungerechten Beschuldigungen, von thörichten Eifersüchteleien strömten auf das Weib herab, das ihm wie gewöhnlich meistens mit Schweigen und nur selten mit einigen kalten herben Worten begegnete. Das schier wahnsinnige Benehmen und Treiben seines Sohnes fiel diesmal sogar dem Krüger auf. Mehr als einmal hatte er ihn vergeblich zu beruhigen und auf andere Dinge zu bringen versucht und endlich sagte er ärgerlich: »Hör' Georg, wenn du absolut närrisch sein willst, so sei das draußen bei den andern; da ist Zeit und Raum dazu und du hast auch Männer gegenüber, die dir zu antworten wissen. Aber hier mag ich deine Tollheit nicht immer mit anhören.« – »Ist's meine Schuld?« rief der Sohn und schüttelte die Faust gegen die ruhig spinnende Else. »Reizt mich das Weibsbild dort nicht ewig durch ihr schabernäckisches Schweigen, durch ihr kaltes, steifes Vornehmthun, durch ihren Ungehorsam? Was hat sie mit dem Jeremias gestern geredet, da sie doch weiß, ich will's nicht? Scheltet mit der, wenn Ihr Lust habt, aber nicht mit mir.«

»Bursch!« sprach der Alte drohend und seine Augenbrauen zogen sich zusammen, »mache mich nicht auch toll, denn du weißt, dagegen bist du ein Wurm. Du mich berathen und belehren? Du? Und ich sage dir, du sollst nicht so sinnlos toben gegen dein Weib! Sie hat Fehler – ja, ich hab's nie geleugnet, das weißt du; aber jetzt hat sie nichts gethan, das weiß ich, und du mußt es auch wissen. Und wenn der Jeremias kommt und dies und das fragt und verlangt, so muß sie antworten.« – »Das soll sie nicht, die Thür soll sie dem Hunde weisen!« schrie der Sohn und schlug mit der Faust auf den Tisch; aber dann besann und faßte er sich gewaltsam; denn er wußte, daß mit dem Alten nicht zu scherzen sei. »Ja,« sagte er dann mit Hohn und schoß auf Elsen einen giftigen Blick, »ich will das nicht und habe einen Grund für Euch, Vater, und für mich. Wer steht uns denn dafür, daß das Weib dort, die sich um uns nicht so viel kümmert und die doch alles weiß, was uns und unsern Handel betrifft, wer steht uns dafür, daß sie nicht einmal dem Jeremias davon erzählt? Das wäre so ein Stücklein Verrath! Dabei gibt's keine Arbeit, das –«

Else ließ plötzlich den Fuß ruhen, legte die Arme in den Schooß und lehnte sich langsam an den Stuhl zurück; die hektische Röthe ihrer magern Wangen war fast gänzlich verschwunden, die schmalen blassen Lippen zeigten sich fest gepreßt und aus dem krankhaft großen dunkeln Auge brach ein Blitz von solchem Haß und solcher Verachtung auf den höhnisch lächelnden Mann, daß dieses Schweigen und dieser Blick im Nu das Lächeln von seinem Gesicht jagte und ihn erbleichen ließ. Im nächsten Augenblick sprang er auf sie zu und das Spinnrad flog vor seinem Fuß bei Seite. »Weib,« schrie er, »noch ein solcher Blick und dir wird, was du lange verdient!« – Aber ihr Blick blieb immer derselbe und sie regte sich nicht. »Du willst mich schlagen,« sprach sie starr und langsam; »nun, Mann, es wäre der erste und letzte Schlag für mich. Schüttle deine Faust nicht so drohend, ich fürchte dich nicht! Schlag zu, und im nächsten Augenblick sitzt mir das Messer im Herzen!« Sie streckte die Hand aus und nahm ein Messer vom Herde. »Schlag' zu, herzloser Wicht!« – Er holte aus mit der Faust, sie fiel, aber auf den Arm des dazwischen springenden Alten. Dann fühlte er sich durch die Faust des Vaters ergriffen und zurückgedrängt. »Soll ich durch dich hirnverrückten Racker Mord und Todtschlag im Hause haben?« sprach der Krüger mit tiefer, vor Zorn bebender Stimme. »Noch einmal solch ein Spektakel und – du kennst mich! Da –« unterbrach er sich dann, da eben draußen der Hund anschlug – »da sind die Bursche! Aufgeladen, Georg, und fort mit euch!«

Der Sohn machte sich schweigend hinaus, der Alte folgte, Else saß todtenstill und starr. Sie saß noch so, als die Männer schon abgezogen waren und der Krüger wieder hereintrat. Er sah sie scharf und bedenklich an, ohne daß sie es merkte. Er hatte ein beruhigendes, versöhnendes, herzliches Wort auf der Zunge; aber er nahm die Lampe und ging schweigend in seine Kammer. Hätte er das Wort gesprochen! Es wäre dann vielleicht die letzte schwache Scheidewand nicht gefallen und die Rache wäre nicht eingezogen in Elsens Herz.

Als auch der Alte fort war und alles rings um sie still, schien sie zu erwachen. Sie setzte das Spinnrad bei Seite, sie schob die Stühle an ihre Plätze, sie stand lange und hielt die schmächtige kleine Hand fest an die Stirn gedrückt; aber der Kopf war noch immer keines Gedankens fähig. Mechanisch ging sie in den Garten und setzte sich auf ihren Platz.

Da traf sie Jeremias, der umherschlich, den Krug zu beobachten. Der würdige Mann kam zwar zu spät, um den Weitertransport der Waaren zu erspähen, allein er traf Elsen und einen von den schwachen Augenblicken, von denen er gleichsam prophetisch zu Freidorf gesprochen hatte. Er nahte sich ihr sanft und schmeichlerisch, aber er wurde bald durch ihre furchtbare todtenartige Starrheit und Kälte zurückgeschreckt. Wir lesen in der Geschichte der Hexenprozesse und in andern dahin einschlagenden Schriften von der seltsamen Erscheinung, wo aus dem todtenartigen Körper einer Angeschuldigten oder Kranken hervor der böse Geist sich in nur ihm eigenthümlichen, vom Wesen der Besessenen gänzlich verschiedenen Reden und Wendungen erging. Aehnliches schien auch hier vorzugehen. Elsens Körper und Geist verharrten noch in tiefer, schier bewußtloser Betäubung, drinnen aber lebte und wogte ein böser Geist, die Rache. Die sprach aus ihr mit rauhen, harten und dennoch leisen Tönen, die enthüllte in fliegenden, klanglosen Worten alles, was sie über Weg und Steg, über Verbindungen und Plane der Schleichhändler und zumal ihres Gatten wußte. Sie sprach, ohne zu wissen was, sie redete, ohne recht zu erkennen, wer der Hörer sei; die Rache spürte nur, daß die Worte dahin gelangten, wo man sie gebrauchen könnte und würde.

Jeremias fühlte sich durch ihr seltsames, ihm durchaus unverständliches Wesen allerdings mit einem gewissen Schrecken erfüllt und hielt sich daher in respektvoller Entfernung. Aber wenn er auch ihren Kopf für etwas gestört zu halten begann, die Enthüllungen und Angaben, welche er von ihr empfing, erschienen ihm so lichtvoll und interessant, daß er es für Sünde hielt, solch einen seltenen Augenblick zu verlieren, und einer allerdings höchst unbehaglichen Empfindung wegen vielleicht für immer in seiner bisherigen Unwissenheit verbleiben zu müssen. Er lauschte daher mit der tiefsten Aufmerksamkeit und ohne sie zu unterbrechen. Als sie jedoch schwieg und er einige Minuten vergeblich auf die Fortsetzung ihres Berichts gewartet hatte, hielt er es für passend sich zurückzuziehen und machte sich mit einigen flüchtig dankenden Worten schnell und leise, und mit diesem unverhofften glücklichen Nachtwerk höchlich zufrieden, in den Wald und davon.

Else bemerkte Jeremias' Entfernung kaum; sie war noch immer ohne ein wirkliches Gefühl ihres Zustandes, der Umgebung und Gegenwart. Die dämmerten erst wieder in ihr empor, als eine andere Stimme ihr Ohr berührte und sie Fritzens leise Worte zu hören glaubte: »Else, kannst du es sein?« – Da fuhr sie empor. Sie strich sich mit den Händen über Augen und Stirn und die Besinnung begann zu ihr zurückzukehren, sie fing an zu wissen, was ihr begegnet war und was sie gethan. Der Förster trat aus dem Schatten der Bäume. »Else,« sagte er, »was hast du mit dem Jeremias zu thun?« – »War's der?« fragte sie tonlos; sie stand starr und sah ihn mit ausdruckslosen Blicken an. Der Mond war eben aufgegangen und ein heller Strahl fiel durch eine Oeffnung im Laube auf ihr leichenblasses Gesicht. Fritz fuhr entsetzt zurück. »Else, um Gotteswillen, was hast du?« – »Ich weiß nicht.« – »Else, Else, was ist geschehen? was ist los?« – »Nichts: es ist eben alles zu Ende.« – »Else, du bist krank!« – »Nein.« Sie sprach noch immer mit hartem rauhem Ton und ihre Gestalt, ihre Züge, ihre Augen blieben ohne Bewegung. – »Else, was hast du mit dem Jeremias zu thun?« – »Geh, Fritz.« – »Else, liebste Else, ich möchte dich gern immer gut, immer die alte ehrliche Else bleiben sehen!« – »Fritz!« – sie richtete sich auf und ihr Auge schleuderte einen Blitz auf den traurigen, bewegten Mann – »wirst du auch toll? Zweifelst du auch an mir?« – »Nein,« sagte er nach einer Pause und schüttelte schwermüthig den Kopf, »ich kann es nicht! ich habe dich viel zu lieb. Und wenn alles wider dich spräche und die ganze Welt dich verdammte – du bist gut. Du thust nur was du mußt, was du nicht anders kannst. Und nun,« fuhr er fort und wandte sich rasch gegen den Wald, »gute Nacht. Geh' schlafen, du bist krank.«

Sie stand und sah ihm nach. Sie fragte sich, ob sie ihm alles sagen wolle, und ihre Antwort war ein heftiges Kopfschütteln. Er war auch schon fern und nichts mehr zu hören. Der Spalt, den sein Ton und Wort bis in den Kern ihres Herzens aufgerissen hatte, schloß sich wieder: sie dachte nur noch an das, was ihr geschehen und wie sie sich gerächt habe. Sie saß und saß, sie dachte und dachte: von Reue wußte sie nichts, und auch nicht von Sünde: denn wo ein Leben durch einen solchen ewigen moralischen Todeskampf endlich zu Grunde gerichtet, wo die Rache und das Verbrechen gewissermaßen hineingezwungen wird, da entschwindet auch der Gedanke an die Sünde und die Möglichkeit der Reue, und es bleibt nichts übrig als die furchtbare Ueberzeugung: das mußte so sein.


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