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IV. Katharina II. und Grimm.

I.

Schade, daß die Briefe der Kaiserin nicht in zwei oder drei handlichen Bänden erschienen sind.

[Fußnote: Pisma Imperatrizi Ekaterini II k Grimmou (1774 bis 1796) und Pisma Grimmou k Imperatrizi Ekaterine, isdannia J. Grota. (Briefe der Kaiserin Katharina II. an Grimm (1774–1796) und Briefe Grimm's an Katharina II. herausgegeben von J. Grot. – St. Petersburg, 1878 und 1880. Zwei Großoctavbände von 734 und 439 Seiten.

Herr Grot hat vor zwei Jahren im 23. Bande der großen Sammlung der K. Russischen historischen Gesellschaft 273 Briefe Katharina's II. an Grimm veröffentlicht und bietet uns jetzt als ziemlich werthlose Vervollständigung dieser werthvollen Korrespondenz 45 Briefe Grimm's an die Kaiserin. »Welch' unberechenbare Massen von Grimm's Blättern mögen noch in der Petersburger Bibliothek schlummern, welche darauf warten erweckt und fallen gelassen zu werden, fragte sich Carlyle schon vor bald fünfzig Jahren; und in der That, das ist das Einzige, was wir mit diesen endlosen Episteln des redseligen Schwätzers thun können, während wir die Antworten seiner kaiserlichen Korrespondentin mit stets wachsendem Interesse lesen. Der Briefwechsel erstreckt sich über zweiundzwanzig Jahre (1774 bis 1796); die Briefe Grimm's sind fast ausschließlich aus der Zeit vom Juli 1780 bis August 1781 und vom August 1790 bis Mai 1791. Die ganze Korrespondenz ist zum größten Theile in französischer Sprache geschrieben, die nur ausnahmsweise mit der deutschen, der Muttersprache beider Korrespondenzen, abwechselt. Vorrede, wie Anmerkungen und Register sind leider in russischer Sprache abgefaßt, was den Gebrauch des Buches für Ausländer sehr erschwert. Der zweite Band bringt statt der Anmerkungen eine fortlaufende russische Übersetzung unterm Text. Es soll daraus dem Herausgeber kein Vorwurf gemacht werden. Eine kaiserl. russische Gesellschaft, welche die Briefe einer russischen Kaiserin veröffentlicht, muß wohl die Landessprache gebrauchen, selbst wenn der Text kein einziges russisches Wort enthält; und einmal muß doch der Anfang gemacht werden mit der strengen Einführung dieser Landessprache. Auch eine Ausgabe der Werke Friedrichs II. mit deutschen Anmerkungen wäre vor hundert Jahren den Ausländern ein wenig unbequem gewesen. Vielleicht kommt die Zeit, wo die Gelehrten Europas auch das Russische werden verstehen müssen, wie sie heute das Deutsche zu lesen gezwungen sind; einstweilen aber ist's recht lästig, wenn man alle diese 1200 Großoctavseiten durchblättern muß um zu finden, was man sucht, und wenn man in den Anmerkungen gar keine Hilfe findet. Jedenfalls hätte der Herausgeber das Namenregister wenigstens mit lateinischen Buchstaben drucken lassen können, da ja doch im Texte alle Eigennamen mit solchen Lettern gedruckt sind, Franzosen und Engländer, sowie Russen selber, sind den gelehrten Herausgebern der »Politischen Correspondenz Friedrich's des Großen« gewiß sehr dankbar, daß sie das Register – wie übrigens selbst den Text der deutschen Briefe – in lateinischen Lettern haben drucken lassen. Wie dem auch sei, Herr Grot wird es mir nicht übel nehmen, wenn ich ihm nicht dasselbe Lob wie Herrn Dr. Reinhold Koser spenden kann, dessen anspruchslose Anmerkungen nicht nur einen gewaltigen Schatz sichersten Wissens verrathen, sondern auch die Benutzung der werthvollen Sammlung so außerordentlich erleichtern: ich weiß eben nicht, was in Herrn Grot's Anmerkungen steht. Übrigens sind gar viele wenig bekannte Namen und Anspielungen da, bei welchen überhaupt keine Anmerkung gegeben ist. Der Text ist sehr korrekt, sowohl in den deutschen Stellen als im Französischen. Eine kleine Pedanterie muß uns der Herausgeber schon zu Gute halten: er druckt konsequent Guiméné anstatt Guéménée, wie der Name der in Rede stehenden Linie der Rohan's lautet.]

Sie bilden ein Buch zum Blättern, Aufnehmen und Nachschlagen, nicht zum Durchlesen, trotz, vielleicht auch wegen, der bunten Fülle von Geist, Witz, Weisheit und merkwürdigen Facten, die es enthält. Es ermüdet in fortgesetzter Lektüre und doch will es ganz gelesen sein. Der erste Eindruck ist kein angenehmer: je weiter man aber liest, desto lebhafter drängt sich Einem die gewaltige Persönlichkeit der großen Frau auf. Entwickelt sie sich selber immer weiter fort von Jahr zu Jahr? Läßt sie sich mehr und mehr gehen? Giebt sie sich selber immer unbefangener? Muß man sich an ihren Ton gewöhnen? Es ist schwer zu antworten. Sicher ist, die ersten fünfzig Briefe haben etwas Forcirtes, das nicht angenehm berührt: die Sprache erscheint absichtlich derb; die Schreiberin hascht etwas gar zu sehr nach Witz; eine gewisse unweibliche Trockenheit des Herzens wird geradezu herausgehängt und durch Alles spielt die liebe Eitelkeit mehr als gut ist durch. Dieser Eindruck macht dem ganz entgegengesetzten Platz, wenn man sich in das merkwürdige Buch hineinliest, das uns jedenfalls die bedeutende Frau besser als alle Frühererschienenen vor die Augen führt. Hier ist's die etwas spätgereifte, selbstgewisse, in ihrer Bedeutung anerkannte, in ihrer Thätigkeit erfolgreiche Fürstin, die sich uns in der ganzen Fülle ihrer reichen Natur zeigt, aber abgeklärt, mit gedämpfter Sinnlichkeit, allgegenwärtig mit ihrem Geiste, wo nur irgend etwas des Interesses Werthes sich in Europa regte. Die vor etwa zwanzig Jahren von Herzen veröffentlichten Memoiren dagegen zeigten sie uns in ihrer Jugendzeit vom 14. bis 30. Jahre, in abhängiger Stellung, eingepuppten Geistes, ohne höhere Interessen politischer oder literarischer Art, ganz beherrscht von dem Gefühle des unleidlichen Druckes, des Hasses gegen den unwürdigen, rohen Gemahl, des Bedürfnisses nach Betäubung und Genuß. Sie zeigten uns die halb-asiatische Welt, in welche die kleine lutherische Prinzessin plötzlich versetzt worden, in greifbaren Umrissen; sie zeigten uns diese Prinzessin selber noch im moralischen Chaos, aus dem sich ihr Geist und ihr Charakter herauszuringen hatten und siegreich herausrangen.

[Fußnote: Ich halte nämlich diese Memoiren weder für durchaus unächt wie Bernhardi, noch für durchaus ächt wie Sybel und Rambaud. Gegen erstere Annahme spricht der Umstand, daß da Dinge berichtet werden, welche nur die Großfürstin selber wissen konnte, die aber dermaßen das Gepräge der Wahrheit tragen, so mit allen Andern zusammenpassen, daß man sie nicht für erfunden halten kann; gegen die letztere Annahme gilt zwar nicht durchaus Bernhardi's Erwägung, daß »nach manchen Nebenumständen« – er denkt wohl an die Erwähnung von Beniowsky's Flucht aus Sibirien – »Katharina diese Denkwürdigkeiten nicht vor dem Jahre 1780 geschrieben haben könnte. Sie wären demnach ein Werk der Zeit, in der sich ihr Geist zur vollen Reife entfaltet hatte. Da müßten sie doch jedenfalls das Werk einer eminent gescheidten Frau sein. Das sind sie nun aber ganz und gar nicht. Sie sind vielmehr das Produkt eines sehr dürftigen Geistes, dessen Schwingen weder sehr hoch noch sehr weit tragen.« Dies ist viel zu viel gesagt. In den Denkwürdigkeiten zeigt sich hin und wieder ein großes Darstellungs- und Erzählungstalent, freilich keine tiefen Gedanken, Urtheile, Witzworte, aber oft ein außerordentliches Leben, viel Humor und Leichtigkeit, manchmal scheint die Leidenschaft selbst die Feder geführt zu haben. Das kann sie nur in ihrer wilden Zeit geschrieben haben, da Liebe und Haß noch frisch waren. Jedenfalls würde die fünfzigjährige Katharina ihre Geschichte nicht so geschrieben haben; denn sie liebte damals die Dinge von oben zu besehen und zu beurtheilen, allgemeine Sentenzen aufzustellen, die Ereignisse unter weite Gesichtspunkte zu bringen; das politische Interesse herrschte durchaus vor, der Groll gegen den Gemahl war längst verraucht und sie war durchaus keine nachtragende Natur. Mehr fällt deshalb Bernhardi's Einwurf in's Gewicht, daß man nicht wohl begreifen könne, »was eine so kluge Frau, die doch sonst Maß zu halten weiß, bewogen haben sollte, gerade in Beziehung auf die Geburt ihres Sohnes so rücksichtslos wahrhaft zu sein, ohne zu bedenken, welche Gefahren sie dadurch heraufbeschwören könnte;« und dasselbe läßt sich von vielen anderen Angaben sagen. Auch würde das beste Gedächtnis nicht ausgereicht haben, um sich nach dreißig Jahren so genau aller Umstände und Daten zu erinnern; das schlechteste nicht, um gewisse Anachronismen zu begehen, die hier mitunterlaufen. Dazu kommt endlich, daß die Kaiserin in vorliegender langer Korrespondenz mit Grimm, in welcher sie ihrem Vertrauten alles mittheilt, was sie thut und schreibt – Komödien und Gesetzesentwürfe, ihre »Geschichte Rußlands« und ihr Wörterbuch von 200 Sprachen – nie von diesen Denkwürdigkeiten spricht, außer einmal und dann um die Sache auf's Entschiedenste zu verneinen: »Ich weiß nicht, schreibt sie am 22. Juni 1799, was Didot mit meinen Memoiren meint; aber sicher ist, daß ich keine geschrieben habe und daß, wenn es eine Sünde ist, es nicht gethan zu haben, ich mich zu derselben bekennen muß.« Dagegen scheint mir unzweifelhaft, daß die junge Großfürstin ein äußerst lückenhaftes Tagebuch hielt, Rückblicke auf das in der Woche oder dem Monat Geschehene und daß eine nicht sehr intelligente, noch wohlwollende Hand die Aufzeichnungen ihrer Sturm- und Drangperiode aneinandergereiht, böswillig und ungeschickt vervollständigt und überarbeitet hat, wobei dann jene groben Irrthümer entstanden sind, deren Katharina sich gewiß nicht schuldig gemacht hätte. Es ist dies der Vorgang, durch den die meisten sogenannten Fälschungen entstanden sind, und so lange wir nicht erfahren, wie die Memoiren in Herzens Hände gekommen, müssen wir annehmen, daß der berühmte Agitator das Opfer eines solchen Halbbetrugs war.

Wie dem auch sei, die uns heute gebotenen Briefe sind von unzweifelhafter Ächtheit und vervollständigen auf's Willkommenste die schon früher herausgegebenen und nicht weniger authentischen an Fr. von Bielke. Auch ihres Geheimsecretär's (Krapowitsky) Tagebuchblätter lassen die Kaiserin ganz reden, als ob sie unbehorcht wäre, wenn wir anders Herrn Rambaud's Analyse des merkwürdigen Buches (in der Revue politique et littéraire vom 16. Oct. 1880) glauben dürfen. Die politische Korrespondenz der Kaiserin mit Joseph II., wie sie das »Russische Archiv« und Arneth mitttheilen, dient zwar auch dazu, den Charakter Katharinen's aufzuklären, doch nur, wenn man sie mit diesen vertraulichen Ergüssen vergleicht und durch dieselben kontrolliert. Die Denkwürdigkeiten Ségur's, der so lange an ihrem Hofe beglaubigt war und auch in diesen Briefen einen großen Platz einnimmt, die Aufzeichnungen Fürst de Ligne's, dem Katharina so wohlwollte, daß sie ihn sogar zum russischen Feldmarschall ernannte, und die Auszüge aus den Berichten der französischen und englischen Botschafter (La Cour de Russie il y a cent ans. Berlin, Schneider 1858) bringen uns die Eindrücke und Beobachtungen von bedeutenden Menschen, die ihr nahe kamen, und es muß gesagt werden, daß ihre eignen Briefe die Auffassung dieser Beobachter fast durchgängig bestätigen; denn eine Heuchlerin war Katharina sicherlich nicht; das geht aus jeder Zeile dieses höchst interessanten Buches hervor.

Ich habe schon gesagt, daß der zweite Band, der Grimm's Briefe an die Kaiserin enthält, weit weniger interessant ist. Immerhin wird man mit Belehrung und Antheil die Briefe lesen, welche die Auflösung des 18, Jahrhunderts durch die Revolution äußerst drastisch schildern. Man sieht die ganze Welt vor sich auseinanderstäuben, und auch Grimm selber in sein Nichts zurücksinken. Von höchstem Interesse sind die Fragmente aus Prinz Heinrich's von Preußen Briefen an Grimm (S. 373-403). Man sieht daraus, wie sehr Friedrtch's des Großen Bruder, – dessen knappes, lebhaftes Französisch, beiläufig gefügt, sich sehr wohlthuend abhebt von Grimm's fahler Phraseologie – den Krieg gegen Frankreich mißbilligte und wie jämmerlich ihm überhaupt die europäische Politik im Allgemeinen, die Herzberg's insbesondere, erschien. (Das Wort sarmante p. 382, welches dem Herausgeber nicht recht erklärlich scheint, bezieht sich einfach auf die Mischung des Polenthums mit dem Deutschthum, seit 1772.)]

Unser Briefwechsel beginnt 1774, d. h. als die Kaiserin bereits fünfundvierzig Lebens- und zwölf Regierungsjahre zählte. Der sechs Jahre ältere Grimm war damals schon längst nicht mehr der arme Teufel, den Rousseau als Secretär des Grafen Friesen gekannt. Schon seit Jahren war er, noch ehe er eine amtliche diplomatische Stellung einnahm, »der Ministerresident und Chargé d´affairesder (europäischen) Mächte bei der französischen Meinung und dem franzosischen Geiste, und zugleich der Dolmetscher und Secretär des französischen Geistes bei den Mächten«. So Sainte-Beuve und er fügt hinzu, was wir nicht so ganz unterschreiben können: »Er füllte diese doppelte Mission sehr würdevoll aus.« Rousseau und Duclos, freilich seine Busenfeinde, urtheilen anders; aber auch unser Mozart hat wenig Gutes von ihm zu berichten; selbst seine Geliebte, Mme. d'Epinay, hatte ihn am Ende durchschaut; ja sogar sein eigener Secretär, der ihn höchlich bewunderte, meinte, »er habe damals schon viel von jener Natürlichkeit und Einfachheit verloren, welche ihm der liebe Gott ertheilt« und habe sich, »sobald er Titel und Bündchen gehabt, nicht mehr vor der Eingebildetheit ( infatuation) zu hüten gewußt.« Katharinen war der Mann sehr nützlich: er war ihr Agent in Westeuropa, kaufte Bilder und Statuen, Bibliotheken und Medaillen für sie ein, zahlte die Pensionen aus, die sie gar manchen armen Teufeln verabreichte, und legte ihr über seine Geschäfte Bericht ab. Einige dieser Berichte, welche ganz anderer Natur sind als die Correspondance littéraire, die er ihr wie seinen anderen Abonnenten schickte, haben wir hier vor uns. Sie enthalten Nichts als verbrämte Rechnungsablagen, in den letzten Jahren auch wohl obligate Heulereien über die Revolution und »die Höhle der 1200 Advokatenkönige«, Mirabeau's »Jargon« und Condorcet's »Hollengeist«, vor Allem aber die fadesten, überschwänglichsten, eintönigsten Lobeserhebungen der Kaiserin, der Minerva des Nordens etc. Und diese Speichelleckerei ist nicht nur unwürdig und langweilig, sie ist auch geschmacklos im höchsten Grad. Selbst Katharinen, die eine aufrichtige Freundschaft für ihn hegte, wurden manchmal seine Höflingsschwächen und mehr noch diese seine Schmeicheleien lästig: sie lachte über ihren Souffredouleur – es war dies sein Spitzname, denn wer mit ihr in Berührung kam, erhielt einen Spitznamen – »der in jeden Schafskopf (pécore) von deutscher Fürstin verliebt sei«; ja bereits zwölf Jahre vorher schreibt sie ihm einmal: »Ich weiß schon lange, daß Sie nie glücklicher sind, als wenn Sie bei, nahe, neben, vor oder hinter einer deutschen Hoheit sind und Gott weiß, wo Sie sie alle ausgraben«. Er aber schwelgt in ihrer Gunst wie eine Katze in der Sonne: »wenn er sich von ihr reißen will, ist's ihm als risse er sich vom Dasein los«; er bittet sie »ihn unter ihren Hunden zu behalten«. Ihre Korrespondenz wird für ihn »das einzige Gut, der einzige Schmuck seines Lebens, die Angel seines Glückes, so wesentlich zu seiner Existenz als das Athemholen«. Empfängt er einen Brief von ihr, so will er zu seiner »unsterblichen Herrin hineilen, ihre Kniee küssen und sie mit Thränen der Freude und des Dankes benetzen«, oder seine Augen »verwandeln sich in zwei strömende Quellen und er zerschmilzt in Thränen, er küßt tausendmal die geheiligten Buchstaben, gezeichnet von jener hehren Hand, auf der er ersterben möchte vor Rührung und Dank«. Bekommt er keinen Brief, so lebt er von dem Letzten, so lange er kann: »Lorsque je fus à sec, je me dis: du armes Blümlein, du mußt nun verwelken, denn deine himmlische Gärtnerin hat Deiner vergessen«. Nicht er allein, alle seine Freunde haben die »Katharinensucht. oder, nach Anderen, die Nord-Minervenkrankheit, er als ihr Leibmedikus hat einen harten Stand« ... Und so fort 400 Seiten lang; es ist zum Übelwerden. Das sind nicht mehr die konventionellen Formen des Jahrhunderts, das ist bewußte Augendienerei, bei der der Fuchs seinen Vortheil wohl wahrzunehmen weiß – sucht er der »unsterblichen Herrin« ja sogar die Diamanten seiner Geliebten, der d'Epinay, aufzuschwatzen. Manchmal muß sie sich denn auch seine Schmeicheleien rund verbitten. So als er ihr ein Büchlein »Katharina in ihren Thaten« widmet: »Hören Sie mal, Souffredouleur, es ist nicht erlaubt die Leute so unmäßig (à toute outrance) zu loben ohne für einen argen Schmeichler zu gelten und es sieht ganz danach aus. So wäre ich denn in meinen alten Tagen noch das Muster der Könige geworden! O, mein Gott! was für ein schlechtes Muster, wenn man all das Übel glauben darf, das man von ihr gesagt hat und noch sagt. Wissen Sie wohl, daß nicht die Lobeserhebungen mir wohlgethan haben; aber wenn man Übles von mir sagte, dann sprach ich zu mir selbst mit edler Zuversicht und indem ich mich über die Schwätzer lustig machte: Rächen wir uns! Strafen wir sie Lügen! Aber eine Kyrielle von Lobeserhebungen wie die da, wozu ist das wohl gut? Das ist lang und langweilig und weiter Nichts«. Als er gar die Augendienerei so weit treibt, ihr den Panegyricus als Lektüre für den Enkel (Alexander I.) anzurathen, bricht sie los: »Ah, diesmal, Souffredouleur, erlauben Sie mir Ihnen zu sagen, daß ich wirklich keinen gesunden Menschenverstand mehr hätte haben müssen, wenn ich M. Alexander ein Buch gegeben hätte, worin nur von mir und in faden Lobeserhebungen meiner Person die Rede ist. Was hätte er von mir gedacht? Er, der die Bescheidenheit in Person ist?« – Grimm fragt sich einmal wohlgefällig in einem seiner Briefe, was wohl die Nachwelt dazu sagen würde, wenn sie diese vertrauliche Korrespondenz zwischen der mächtigen Kaiserin und dem kleinen Literaten zu sehen bekäme. Die Antwort dürfte wohl die einstimmige Rückfrage sein, wie eine gescheidte Frau diese »allerunterthänigsten Vorträge des thönernen Gefäßes ihrer Schöpfung«, die wahrlich das übrigens recht schlechte Papier nicht werth sind, auf welchem sie gedruckt stehen, nur hat durchlesen können; wenn sie dieselben anders durchlas, woran ich zweifeln möchte. Er bediente sie prompt und genau: da wird sie die ewigen Bücklinge des Faktotums resigniert mit in Kauf genommen haben.

Wohl blieben ihm, wie man oft gesagt hat, alle Freunde, außer Rousseau und Duclos, ihr Leben lang treu: der leidenschaftliche Diderot, an den, als »den deutschesten Franzosen, der französischste Deutsche« sich eng angeschlossen hatte – das Wort ist von Sainte-Beuve –, Saint-Lambert, d'Holbach, Helvetius, vor Allem aber Mme. d'Epinay. Es soll auch nicht geleugnet werden, daß Rousseau's Anschuldigungen in den Thatsachen ganz unbegründet sind – aegri somnia vana –, im Wesen mochte der arme Wahnsinnige doch Recht haben: Grimm macht den Eindruck eines vollendeten Komödianten, den die seinen Franzosen nicht leicht durchschauten – Verschiedenheit der Nationalität ist, wie Geschlechtsverschiedenheit, ein trefflicher Schirm für Komödianten: man schreibt das Zweideutige der Fremdheit zu, während es doch ganz dem Menschlichen angehört. Er selbst sprach sich »ein deutsches Herz und einen französischen Geist« zu. Das klingt ja recht schön, man sollte meinen, es heiße Etwas, es heißt aber doch Nichts. Grimm war ganz ein Mann solider deutscher Bildung, was ihm eine große relative Überlegenheit über die französischen »Philosophen« gab; er hatte sich die französische Form ganz angeeignet, was in Deutschland imponierte; war gewandt und eitel – er schminkte sich sogar weiß – aber die Gewandtheit war größer als die Eitelkeit: nie opferte er einen reellen Vortheil für eine Genugthuung der Eigenliebe. Kühl bis an's Herz hinan wußte er auch seine Freundschaften zu wählen. Er war sicher im Verkehr, wie ein guter Geschäftsmann; dienstfertig dabei; doch konnte er auch das Gegentheil sein. Die Franzosen bewunderten die Objektivität seiner Kritik; und in der That ward es ihm, als einem Fremden, leichter als ihnen, sich über den litterarischen Parteien zu halten und er war Einer der Menschen, die es verstehen, sich nie Feinde zu machen; hatte er aber einmal Einen, so schonte er ihn auch nicht. Ich kenne nichts Hämischeres als seine Analyse der »Confessions« in der »Gazette littéraire« von 1787, wie überhaupt seinen Ton, so oft er von Rousseau spricht. Wahr, Rousseau hatte ihn grausam mitgenommen, aber Rousseau war seit neun Jahren todt; der Wahnsinn und die Krankheit sprachen unverkennbar aus jeder Zeile seiner Anklage. Grimm dagegen war bei ganz kaltem Blute, hatte überhaupt eine wohl äquilibrirte Natur und, wenn er auch nicht der unfehlbare Kritiker war, den die Franzosen heute aus ihm machen, so war er doch hinlänglich mit der antiken Literatur genährt, um das wirklich Schöne sofort zu erkennen und zu würdigen. Wie konnte er die Stimmung finden, um eines der größten Meisterwerke aller Zeiten, den ersten Band der Confessions, nur vom moralischen und persönlichen Standpunkte aus gehässig zu persifflieren, ohne auch nur ein Wort der Anerkennung für das Anerkennenswerthe? Ja selbst das Porträt Mme. d'Epinays, mit der er so lange Jahre verbunden gewesen (( Gaz. litt. 1783) verräth nicht den Geliebten, der seine Freundin verloren; der hätte geschwiegen oder andere Worte gefunden. Doch lassen wir die Confessions und die Gazette littèaires und kommen wir zu unserem Briefwechsel zurück, worin freilich wenig von jenem »Geschmack« Grimm's zu finden ist, wenn auch hier und da ein witziges Wort mit unterläuft, wie wenn er sagt »in einem gewissen Alter müsse man in seinem Kopfe lesen, und wenn man nichts darin fände, den Laden schließen und vegetieren«. Aber solche Gedanken sind selten; der gescheidte Mann hebt sie offenbar für die Correspondance littéraire auf, wo er sie bezahlt bekommt.

Grimm hatte schon längst seine literarischen Berichte an alle deutschen Höfe und auch an Katharina geschickt, als er 1773 im Gefolge der großen Landgräfin nach St. Petersburg ging, um dort der Kaiserin persönlich vorgestellt zu werden. Auch Merck befand sich in der Gesellschaft; und sonderbar! soviel mir bekannt, erwähnt der Kriegsrath nie den Herrn Hofrath und vice versa. Auch scheint Merck weder Grimm noch der Kaiserin je ein Wort von seinen Freunden Goethe und Herder gesagt zu habend. Vielleicht wird in dem mir leider unzugänglichen »Briefwechsel der großen Landgräfin« (herausgeg, v. Walther, Wien 1877) Näheres über diese Reise mitgetheilt. Ich habe das Buch bei seinem Erscheinen gerade nur gesehen und flüchtig durchblättert, und verweise die Glücklichen darauf, welchen deutsche Bibliotheken erreichbar sind. Auch enthält ein früherer Band der Sammlung der k. russ. hist. Gesellschaft die Denkschrift, welche Grimm über den Ursprung seines Verhältnisses zur Kaiserin geschrieben, sowie Briefe Katharinens an Frau von Bielte in Hamburg. Da mir dieser Band ebenfalls nicht zur Hand ist, so entnehme ich zwei charakteristische Citate aus demselben dem Aufsatz A. Rambaud's über die Korrespondenten Katharinas (in der »Revue des Deux Mondes« vom l5. Januar 1877), indem ich jedoch bemerke, daß jene Denkschrift etwa dreißig Jahre nach der Petersburger Reise geschrieben worden sein muß, was Herr Rambaud anzumerken vergessen hat, obschon es Vieles erklärt. Merkwürdig, die Kaiserin kennt unser deutsches Unterrichtswesen aus dem Grunde, bewundert und beneidet die Organisation unserer Volksschulen, Gymnasien und Universitäten; sie spricht auch oft von deutscher Literatur, sie ist ganz entzückt von der Weise, wie man die deutsche Sprache handhabt – »wer hätte je geglaubt, daß diese harte Sprache solcher Annehmlichkeit fähig wäre?« – aber es sind immer die Nicolai und Thümmel, die sie bewundert – stellt sie doch Ersteren neben Fielding und Voltaire! – höchstens finden auch noch Zimmermann, Mme. de la Roche und Lavater Gnade vor ihren Augen. Wieland's »Abderiten« erwähnt sie einmal; Lessing nennt sie nie, freut sich aber so über die Schläge, welche Pastor Götz (Goetze) erhält, daß sie ihn wohl gelesen haben muß, ohne seinen Namen zu beachten; aber, obschon die Korrespondenz bis zum Jahre 1796 reicht, ist nie von Herder, der doch in ihren Staaten seine »Fragmente« geschrieben, geschweige denn von Goethe und Schiller die Rede; vielleicht weil die »Allgemeine deutsche Bibliothek«, die sie mit aufmerksamster Bewunderung las, ihre Hauptquelle war und Nicolai bekanntlich darin die junge Schule sehr von oben herab behandelte, obschon Merck darin den »Werther« höchlich gepriesen hatte. Und dabei spricht sie mit großem Bedauern von Friedrich II., weil er diese entstehende deutsche Literatur nicht kenne oder verachte. Als seine Schrift über dieselbe herauskam, sagte sie: »Was wollen sie? Er hat einmal den Bug (il a pris son pli); er sieht wenig Leute, und wenn er welche sieht, spricht er und die Andern horchen; Niemand hat ein Interesse daran, ihm zu widersprechen und man fürchtet ihn. Das sind Quellen genug, die dazu beitragen, daß er gar Manches nicht erfährt. Dazu das Alter. Im Jahre 1740 waren wir jung und wir sind's nicht mehr.« Ja, sie meint die Franzosen – sie nennt sie seit Voltaire's Tod nur »die armen Leute« – wären ganz aus dem Feld geschlagen durch Sebaldus Nothanker, Wilhelmine, Spitzbart u. s. w. »Die armen Leute (diese Citation ist deutsch im Text) haben nicht ein einzig Büchlein anfzuweisen, was diesen beikommt, seit mein Meister todt ist. Elende Versspinner und weise Quäckler mit Tausendkünstlern, die nichts aus dem Grunde studiert haben, und dennoch ihre diverse Kindereien für's non plus ultra ausgeben, der haben sie die Menge!« Auch Grimm, an dem Duclos (nach Mme. d'Epinay's Memoiren) schon 1754 kein anderes Talent fand, als daß er »die monstruösen Schönheiten der deutschen Literatur« in Frankreich zur Geltung brachte, hatte einen hohen Begriff von seinen Landsleuten: er meinte, es sei »nicht zu leugnen, daß der erlauchte Herr Verfasser (Friedrich II.) seiner Materie nicht gewachsen sei und von der deutschen Sprache ohngefähr wie ein Blinder von der Farbe urtheile«, – aber auch er spricht weder von den »kritischen Wäldern« noch von der »Dramaturgie«, weder von »Götz« noch von den »Räubern«.

Der eigentliche Briefwechsel beginnt sofort nach jener Reise und zwar mit einer Anspielung auf den Tod der großen Landgräfin, der kurz nach ihrer Rückkehr nach Darmstadt erfolgt war (März 1774). »Diese Landgräfin war eine einzige Person, schreibt die Kaiserin im ersten Brief. Wie sie zu sterben gewußt hat! Wenn die Reihe an mich kommt, werde ich ihr nachzuahmen suchen und, wie sie, alle Weiner von meinem Bette jagen.« Man weiß, daß Friedrich ebenso von der Freundin Moser's dachte und ihr eine Marmorurne mit der Inschrift: » Sexu femina, ingenio vir« setzen ließ; die Großen des Geistes aber, Goethe und Wieland, Herder und Merck, blieben in ihrer Bewunderung nicht hinter den Großen der That zurück. – Der Briefwechsel zwischen Grimm und der Kaiserin ward noch lebhafter und namentlich vertrauter, nach einem zweiten Aufenthalte des Literaten in Rußland (Sept. 1776 – Aug. 1777) und danach mit kurzen Unterbrechungen bis zum Tode der Kaiserin (Oct. 1796). Die längsten dieser Unterbrechungen währten nur 4-5 Monate und waren verursacht, einmal durch die historisch so wichtige Reise Josephs II. an den Hof der Kaiserin, das andere Mal durch den Tod ihres Günstlings Lanskoi, der sie auf Monate hin niederschlug und betäubte. Grimm erhielt von Katharinen einen Jahrgehalt von 2000 Rubel und, nachdem er in der Revolution Vieles eingebüßt und im Sommer 1791 Frankreich hatte verlassen müssen, machte sie ihm verschiedene Freundschaftsgeschenke, die sich auf etwa 50-60,000 Rubel belaufen zu haben scheinen. Kurz vor ihrem Tode ernannte sie ihn noch zum russischen Ministerresidenten in Hamburg. Geadelt war er schon geraume Zeit und seine hohen Orden zählte er gar nicht mehr. Man weiß, daß er 1807 als ein Vierundachtzigjähriger in Gotha starb.

Diese lange Unterhaltung zweier Deutschen in einer fremden Sprache ist so recht ein Stück des 18. Jahrhunderts. Nie war der Kosmopolitismus in geistigen Dingen größer als in der Zeit Horace Walpole's und Gibbon's, Gllliani's und Diderot's, während doch im Staatlichen die nationalen Individualitäten sich immer bestimmter ausbildeten. Freilich waren Katharina und Grimm auch durch ihr Leben im Auslande der Heimath mehr als andere Humanitarier der Zeit entfremdet worden: Grimm lebte von seinem 24. bis fast zu seinem 70. Jahre in Paris und Italien; Katharina gar kam vierzehnjährig nach Rußland und sah ihr Vaterland nie wieder. Ihr Deutsch ist darum doch, wenn auch weniger korrekt als das Grimm's, weit deutscher als seins. Es erinnert, wie auch ihre Gedanken, oft an Frau Rath. Sie braucht es selten und nur in Parenthesen, aber bei allen altfränkischen Wendungen, grammatischen Fehlern und Vulgaritäten des Ausdrucks ist ein sehr richtiges Sprachgefühl darin und zwar ein bewußtes Sprachgefühl: » Cela vous fera manquer le débotter à Petersburg, schreibt sie ihm einmal, car ce débotter sera sur les cofins de 1775; und im übrigen tausendmal wie niemals; der Herr wird thun was ihm beliebt und kann schaffen wie er's versteht. Voila de l'allemand comme on pourrait en produire à Vienne; j'ai un goût décidé pour ce mot »schaffen«: il me semble qu'en droite ligne il tient à la création; j'ai toujours trouvé cette création unu jolie chose.« Oder: »Nun habe ich die ... und werde sie schon durchhecheln als Flachs durch den Kamm. Ist dieses nicht wahrlich eine so schön ausgesonnene Vergleichung als selbst der ehrwürdige Homerus sie hätte dermalen aussinnen können?« Die »Prüfungen« des Herrn Pastor Wagner waren nicht verloren, mit denen das Prinzeßchen in ihrer Jugend gequält worden: ihr Deutsch hat von dieser lutherischen Erziehung etwas Biblisches behalten, das Einem sehr Wohl thut und gegen ihre volksthümliche Derbheit fällt Grimm's Gottschedische Prosa gar sehr ab. Ähnlich im Französischen welches Beider wahres Werkzeug ist. Seine Sprache ist feiner, geschliffener, macht sich auch nie eines wirklichen Schnitzers schuldig, wie Katharine, die sich vorkommenden Falles wohl einen groben Germanism erlaubt (wie z. B. ce qui me manque« – was mir fehlt – statt ce que j'ai); auch hütet er sich, wie's in seiner Stellung allerdings natürlich war, vor dem familiären Ton der Kaiserin, die stets mit einem kleinen Fluche bei der Hand ist, und sich manchmal gar zu sehr gehen läßt; aber hier ist im Grunde die Sprache empfundener als bei dem Schriftsteller vom Handwerk; manchmal fast rabelaisisch in ihrer Willkür: » Laissez les galvauder: ils galvauderont comme galvaudeux de profession et en sortira galvauderie parfaite,« sagt sie einmal von gewissen deutschen Herren. Man sieht, sie spricht nur die Wahrheit, wenn sie sagt, sie verstehe nur die Altfranzosen, M. Régnier oder Molière. »Ich bin eine Gauloise des Nordens,« sagte sie einmal zu Fürst Ligne. »Ich begreife nur das alte Französisch. Ich verstehe das Neue gar nicht. Ich habe Eure Gelehrten in iste (die Encyclopädisten) versucht, habe Einige herkommen lassen; ich schrieb ihnen auch gelegentlich. Sie haben mich zu Tode gelangweilt, und haben mich nie verstanden. Es gab eben nur meinen guten Beschützer Voltaire ... Wissen Sie, daß es Voltaire war, der mich in die Mode gebracht hat?« Ganz anders ist denn auch ihr Briefwechsel mit Voltaire: da nimmt sie sich zusammen; wir wissen, daß sie die Briefe an den Patriarchen von Ferney oft dreimal aufsetzte. Da wollte sie sich nichts vergeben; sie sah in ihm einen Potentaten; in Grimm sah sie nur ihre »Sache«, das »Nichts ihrer Majestät«, wie er selber sich demüthig nannte. »Hier sind zwei Ihrer Briefe vor mir, schreibt sie einmal, Nr. 14 und 15, die auf Antwort warten. Freilich sind da auch zwei vom König von Preußen, drei vom König von Schweden, zwei von Voltaire, dreimal soviele von Gott weiß wem, alle älteren Datums, und vor Ihren angekommen; aber da sie mich nicht amüsieren, weil ich sie schreiben muß, und ich mit Ihnen plaudere, nicht schreibe (merken sie sich das, das ist neu), so ziehe ich vor, mich zu amüsieren, und meine Hand, meine Feder und meinen Kopf gehen zu lassen, wohin's ihnen beliebt.« »Faselen wir ein wenig, da wir doch einmal von Ammen gesprochen,« schreibt sie ein andermal. »Wissen Sie, warum ich den Besuch der Könige fürchte? Weil sie gewöhnlich langweilige, abgeschmackte Personen sind und man sich steif und gerade halten muß mit ihnen. Auch berühmte Leute halten meine Natürlichkeit im Respekt; ich will witzig sein comme quatre/; und oft brauche ich diesen Witz comme quatre/; sie anzuhören und da ich zu schwätzen liebe langweilt mich's zu schweigen.« Mit Grimm ließ sie sich eben ganz gehen.

Der sachliche Inhalt dieser Briefe, namentlich der Grimmschen ist freilich etwas mager oder vielmehr, er ist zerstückelt und zuviel an sich Unwichtiges nimmt einen zu breiten Platz darin ein. Der Ton ist meist heiter und humoristisch; aber man sieht, er ist nicht dazu gemacht, lebendig gedruckt zu werden, wie sie denn auch ihren Korrespondenten hundertmal bittet, alle diese Briefe mit ihrem Klatsch und Geplauder sofort zu verbrennen, damit sie ja nie veröffentlicht würden. Sie schont die Leute nicht, mit denen sie in Berührung kommt; namentlich kommen Mama (Marie Theresie) und Brüder Ge und Gu (George III. und Gustav III.) sehr übel weg; die Politik nimmt fast ebensoviel Raum ein als die Genealogie Sir Thomas Anderson's, ihres Hundes, und seiner zahlreichen Nachkommenschaft; viel auch die Beschreibung der Reisen oder Feste, der Landgüter, die Rechenschaft über ihre Beschäftigungen vor Allem und ihre Lektüre. Gegen Ende freilich wird die Politik, die im Grunde doch ihr oberstes Interesse war, immer wieder zum Hauptgegenstand der Unterhaltung. Ein fortlaufender Kommentar über die Verhältnisse der inneren Politik, sowie über die Personen wäre durchaus nothwendig, um das werthvolle Buch in ein größeres Publikum einzuführen: doch könnte man mit geschickten Scheeren, wenigen Anmerkungen und einer eingehenden ganz thatsächlich gehaltenen Einleitung aus dem schwerfälligen Bande ein Büchlein machen, das es mit den interessantesten Briefsammlungen des vorigen Jahrhunderts aufnehmen dürfte.

II.

Nicht Katharinens Politik, wohl aber ihre Persönlichkeit tritt uns aus ihren Briefen an Grimm sehr deutlich entgegen und manche Seiten derselben, die bis jetzt im Schatten geblieben, werden hier zum ersten Male voll beleuchtet. Das Menschliche an ihr soll denn auch der Vorwurf dieser kleinen Studie sein. Da ich aber wohl weiß, wie schwer es ist, den Staatsmann vom Menschen zu trennen, vor allem bei Katharinen, wo Dieser ganz in Jenem aufging, so werde ich diese Trennung auch nicht einmal versuchen. Katharina war in der That jeder Zoll ein Staatsmann und zwar ein großer Staatsmann, wie andere Frauen vor und nach ihr, denn die Staatskunst ist eine der wenigen männlichen Künste, worin die Frauen ihrer Naturanlage nach vortheilhaft mit uns konkurrieren können. Den Politiker darf man also bei ihr nie vergessen, wenn man der Person gerecht werden will: Aber den Inhalt ihrer Politik darf ich doch wohl als bekannt voraussetzen. Was sie darin geleistet, hat Sybel in seiner trefflichen Charakteristik der Kaiserin (Kl. hist. Schriften Bd. I. 3. Auflage, Stuttgart 1880) so bestimmt hervorgehoben, er hat in wenig Worten die thatsächlichen Erfolge ihrer inneren und äußeren Politik in so schlagender Weise zusammengestellt, er hat so klar dargelegt wie noch heute sich keine brennende Frage in Deutschland erhebt, »wo wir nicht den Spuren von Katharinas Politik begegnen«, – daß ein langer Panegyrikus sie viel weniger gelobt haben könnte. Allein um Lob handelte sich's ja auch dort so wenig wie hier. Man wünscht eine solche Persönlichkeit nach allen ihren Seiten zu kennen, und man kennt sie nicht, wenn man vergißt, welche Rolle die Politik in ihrem Leben spielte: denn bei ihr beherrschte und bestimmte das Staatsinteresse alles Andere oder ging doch allem Anderen voran – darin gehört sie ganz zu jener edlen Fürstengeneration des 18. Jahrhunderts, die ihren Vortheil und Ruhm allein im wohl- oder übelverstandenen Interesse ihrer Unterthanen sehen wollten. Ward aber Katharinens Politik von Privatgefühlen nie beeinflußt, so gingen diese doch oft, gleicher Weise unbeeinflußt von der politischen Thätigkeit neben dieser her, bis es, da eine völlige Parallele doch nicht möglich ist, zu einem Zusammenstoße kam, wo dann immer das Staatsinteresse den Ausschlag gab.

Wie die bedeutendsten Zeitgenossen, wie unser Merck z. B., über die Kaiserin urtheilte, wie Diderot, Marmontel, wie Voltaire, das wissen wir. Dieser hatte, zum großen Skandal von Mme. de Choiseul, die nicht begreifen konnte, wie man ein »monstre« bewundern konnte, welches so lieblose Gesinnungen gegen den Eheherrn gehegt und an den Tag gelegt hatte, – Voltaire hatte von ihr gesagt (1767): »Es giebt eine Frau, die sich einen großen Ruf erworben hat. Das ist die Semiramis des Nordens, welche 50,000 Mann marschieren läßt, um in Polen die Toleranz und Gewissensfreiheit herzustellen. Es ist das ein einziges Ereignis in der Weltgeschichte und ich stehe Ihnen dafür, das wird weit gehen. Ich darf mich vor Ihnen wohl rühmen, daß ich ein wenig in ihrer Gnade stehe: ich bin ihr Ritter gegen und wider Alle. Ich weiß wohl, man wirft ihr einige Kleinigkeiten gegen ihren Mann vor; aber das sind Familienangelegenheiten, in die ich mich nicht mische; übrigens ist es auch recht gut, wenn man ein Übel wieder gut zu machen hat; das legt es Einem nahe, große Anstrengungen zu machen, um sich die Achtung und Bewunderung des Publikums zu erzwingen; und sicher hätte ihr gräulicher Mann nicht eines der großen Dinge verrichtet, welche meine Katharina alle Tage ausführt.«

Voltaire hat hier in seiner seinen tiefen Weise, die Alles sagt, ohne daß sie nur an die Dinge zu rühren scheint, auch die Schwächen »seiner« Katharina, wie gewisse Triebfedern ihrer großen Handlungen angedeutet. Nicht zufällig hat er die zweischneidige Vergleichung mit der asiatischen Königin eingeführt, und wieviel die Ruhmsucht, Katharinas stärkste Leidenschaft, zu ihrer großartigen Thätigkeit beitrug, ist nicht vergessen. Auch die Erwähnung des »gräulichen Mannes« ist nicht zwecklos: Peter III. erklärt eine ganze Seite von Katharinen. An die Mitschuld der Kaiserin bei seinem Morde glaubt Voltaire sowenig wie irgend ein Zeitgenosse, der sie persönlich kannte, – selbst Rulhière nicht – und alle ernsthaften Historiker unserer Zeit sprechen sich im selben Sinne aus. Nur die Fernerstehenden, wie der klatschesfrohe H. Walpole, glaubten ohne Prüfung, wie sie später an Alexanders Mitschuld beim Morde seines Vaters glaubten. Die Denkwürdigkeiten der Fürstin Daschkoff, die ja die Hauptrolle in der Palastrevolution spielte, durch welche Peter gestürzt und Katharina auf den Thron erhoben wurde, sprechen sie ganz frei von aller Mitwissenschaft, und die Fürstin Daschkoff schrieb ihre Memoiren, als sie längst die Gnade ihrer Herrin verscherzt hatte. Dagegen geben diese Aufzeichnungen der Jugendfreundin, geben Katharinens eigene Tagebuchnotizen, von denen ich oben sprach und welche drei Jahre vor der Zeit aufhören, wo die der Fürstin beginnen, ein Bild Peters, welches das ganze Verhalten Katharinens gegen ihn erklärt und entschuldigt, wenn auch nicht durchaus rechtfertigt. Ich meine nicht nur seine Thronenthebung; die war eine Art legitimer Selbstvertheidigung, denn er ging damit um, sich ihrer zu entledigen und eine seiner Geliebten zu heirathen, und man durfte sich wohl eines Schlimmeren als der Verstoßung von ihm gewärtigen; ich spreche von ihrem ersten Unrecht gegen ihn. Man denke sich das vierzehnjährige Prinzeßchen, obschon belle et grande pour son âge et toute taite, wie Friedrich II. an Kaiserin Elisabeth schrieb, Polit. Corresp. (II. 459. vgl. 495.) Friedrich hatte sie als Braut vorgeschlagen, nachdem er seine eigene Schwester in weiser Selbstbeschränkung verweigert hatte. S. ebend. II. 268. Übrigens scheint Elisabeth, die dem Andenken ihres frühverstorbenen Bräutigams Karl von Holstein, trotz ihrer vielen Liebesintriguen, eine romantische Verehrung bewahrt hatte, sich für dessen Familie und insbesondere seine Nichte, die kleine Sophie Friederike, die einst Katharina II. sein sollte, interessiert zu haben. – immerhin ein Kind, das in den strengsten sittlichen und religiösen Grundsätzen und den bescheidensten, fast bürgerlichen Verhältnissen herangewachsen, nun mitten in diesen halbasiatischen Hof versetzt wird, wo sich ein verschwenderischer Luxus, wüsteste Sitten, Intriguen aller Art breit machen; eine launische, jeder Wollust fröhnende Herrscherin, feile Diener, zerrüttete Familienverhältnisse rings um sie her; die Ehescheidung so alltäglich, daß die Frau univira noch seltener war als zur Zeit Cäsar's; das Liebhaberwesen im vollsten Flor; dazu nun einen vor der Zeit verderbten Bräutigam, kaum dem Knabenalter entwachsen, der seiner kleinen Braut alle seine Liebesabenteuer anvertraut, dann, nachdem er sie anderthalb Jahr später, noch immer als ein Kind, geheirathet, seine vielfachen Verhältnisse offen fortsetzt, selten aus der Trunkenheit herauskommt, die Pfeife nicht aus dem Munde läßt, seine Meute Jagdhunde im Schlafzimmer hält, seine junge Frau roh anfährt, sobald sie ihm eine Vorstellung macht, halbe Tage auf der Wachtstube zubringt oder mit Puppen spielt. »Ich bedaure die arme Königin von Dänemark,« schrieb sie viele Jahre später an Fr. von Bielke, »daß man so wenig aus ihr macht. Es giebt nichts Schlimmeres als ein Kind zum Manne zu haben. Ich weiß, was die Elle davon werth ist und ich gehöre zu den Frauen, die glauben, daß es immer die Schuld des Mannes ist, wenn er nicht geliebt wird; denn wahrhaftig, ich hätte Meinen sehr geliebt, wenn er nur die Güte gehabt hätte, es zu wollen.« Ein Wunder, wie die lebhafte junge Frau, gereizt durch ein unerträgliches Spioniersystem, selbst der Korrespondenz mit ihrer Familie beraubt, zu tödtlicher Langweile oder ewigem Taumel verdammt, jeder Versuchung ausgesetzt, umgeben von dienstfertigen Werkzeugen und Verführern, fast von der Kaiserin dazu gedrängt auf eine oder die andere Weise für einen Nachfolger zu sorgen, nur so lange ihre Treue wahrte. Wie sie als 23 jährige Frau, nach neun Jahren an jenem Hofe, endlich der Versuchung unterlag, hat sie höchst naiv in ihrem Tagebuche (Mem. 331 und 332) erzählt: »Ich gefiel, und folglich war der halbe Weg zur Verführung zurückgelegt; und es ist in solchem Falle im Wesen der menschlichen Natur, daß die andere Hälfte unfehlbar folgt: denn Verführen und Verführtwerden liegen gar nahe beieinander und, trotz der schönsten moralischen Maximen, die man seinem Kopfe eingeprägt, mischt sich doch immer das Gefühl (la sensibilité) hinein; sobald aber das zum Vorschein kommt, ist man schon unendlich viel weiter als man glaubt und ich weiß bis jetzt noch nicht, wie man es verhindern kann zum Vorschein zu kommen. Vielleicht könnte uns die Flucht dagegen helfen; aber es giebt Fälle, Lagen, Umstände, wo die Flucht unmöglich ist; denn wie soll man fliehen, ausweichen, den Rücken wenden, an einem Hofe? Das selbst würde Gerede machen. Wenn man aber nicht flieht, giebt's nichts Schwereres als Dem zu entgehen, was Einem im Grunde gefällt. Alles was man zum Gegentheil sagen mag ist nur prüdes Geschwätz, welches nicht vom menschlichen Herzen abgenommen ist; und Niemand hält sein Herz in der Hand und drückt es zu oder läßt es los, indem er je nach Gutdünken die Faust ballt oder öffnet.« Allerdings, nachdem sie einmal in diese Bahn eingelenkt, blieb sie nicht halben Weges stehen; die Befriedigung der Sinnlichkeit wurde zur Gewohnheit; und sie ward am Ende nicht viel wählerischer als Männer in dieser Beziehung zu sein pflegen: denn da der Unterschied in der Anschauung solcher Verhältnisse nicht in der verschiedenen Natur beider Geschlechter, sondern nur in der Erziehung und Gesellschaft begründet ist, so handeln bekanntlich die Frauen, welche einmal die inneren und äußeren Schranken, die ihr Geschlecht umzäunen, niedergerissen haben, genau wie die Männer, wovon die Geschichte ja der Beispiele genug aufweist. Auch ihre Unterhaltung war ganz die eines Mannes: als Diderot, der immer vergaß, mit wem er zu thun hatte und ihr immer in der Lebhaftigkeit der Unterhaltung »die Kniee blau und schwarz schlug«, einmal selber vor seiner Derbheit erschrak, rief sie ihm zu: » Allons, entre hommes tout est permis.« Und die Frauengesellschaft floh sie wie die Pest. »Ich weiß nicht, ist es Gewohnheit oder Neigung, sagte sie einmal, aber ich kann mich nur mit Männern unterhalten. Es giebt nur zwei Frauen in der Welt, mit denen ich eine halbe Stunde hintereinander reden könnte.«

Was noch wunderbarer ist, als der lange Widerstand ihrer ersten Erziehung gegen die sittliche Fäulnis, mit der sie so früh in Berührung kam, ist, daß das geistige Interesse, das in ihrer Kindheit nicht geweckt worden, in solcher Umgebung erwachen konnte. Denn die russische Gesellschaft hatte damals noch nicht einmal den Firnis abendländischer Geistesbildung, den sie heute trägt. Nur das Kostüm und die Sprache waren französisch: alles Andere war noch halb-barbarisch. Im Grunde ganz leer, scheinen die Leute Alle an einer chronischen Langweile zu laborieren. Sie ist der große Feind, den sie von früh bis spät bekämpfen, gegen den sie überall Hilfe suchen: im Wein, im Spiel, in der Wollust; denn was anderswo Befriedigung überströmender Sinnlichkeit ist, wird hier zum Ausfüllen der ewigen inneren Leere gebraucht; und das Rennen und Jagen nach Geld und Gunst und Macht hat keinen anderen Zweck als den, sich die Mittel zu jenem betäubenden Genuß zu verschaffen. Dabei eine naive Geringschätzung der Standesunterschiede, der konventionellen Bande und der gesellschaftlichen Vorurtheile, die uns anfangs fast angenehm berührt, bis wir dahinter kommen, daß es nicht so sehr das Gefühl des rein Menschlichen, als Leichtsinn und Frivolität sind, welche dieser Mißachtung zu Grunde liegen. Diderot ist ganz im Recht, wenn er von Fürst Galitzin, demselben der auch Grimm's Beziehungen mit der Kaiserin vermittelt, sagt, was noch heute von fast allen vornehmen Russen gilt: »er glaube an die Gleichheit der Stände aus Instinkt, was mehr werth sei als aus Nachdenken daran zu glauben;« nur hätte er hinzufügen dürfen, daß der Instinkt geleitet sein will, wenn er nicht ausarten soll.

In dem wüsten Rausch dieses wirbelnden Lebens, mitten in dieser zum System ausgebildeten Gedankenlosigkeit und Scheinkultur, in diesem Gefängnis ohne Einsamkeit, erwacht Katharinens Interesse für das Höhere, Bessere. Das erste Jahr ihrer Ehe hatte sie nur Romane gelesen; die fingen aber an sie zu langweilen. Da fielen ihr zufällig Mme. de Sévigne's Briefe in die Hände. Die Lektüre sprach sie an und sie hatte die Bände bald verschlungen. Dann sah sie sich nach ähnlichem um und verfiel auf Voltaire. Von da an brachte sie mehr Wahl in ihr Lesen: Montesquieu, Tacitus, Platon wurden gelesen und wiedergelesen: doch ihr Meister und Lehrer, ihr Orakel blieb Voltaire. Man sieht, sie war schon weit entfernt von der Zeit, wo es sie soviel Überwindung kostete, ihren Glauben aufzugeben um die griechische Religion anzunehmen. Vgl. darüber die äußerst interessante und inhaltsreich kleine Schrift von F. Siebigk »Katharina der Zweiten Brautreise nach Rußland« (Dessau, 1873), S. 57. Dieselbe ist zum größten Theil auf Studien in dem Anhalt-Zerbstischen Hausarchive begründet und giebt viele Inedita vom höchsten Interesse. »Der Religionswechsel«,hatte damals (1744) der preußische Gesandte an Friedrich geschrieben, »macht freilich der Prinzessin große Angst und ihre Thränen fließen in Strömen, wenn sie allein ist mit Leuten, die ihr nicht verdächtig sind. Indeß, fügte er klug hinzu, der Ehrgeiz gewinnt am Ende doch die Oberhand.« – Sie sprach davon späterhin freilich sehr lose. Als ihre künftige Schwiegertochter erwartet wird, meint sie: »Sobald wir sie haben, machen wir uns an die Bekehrung. Um sie zu überzeugen wird's wohl vierzehn Tage brauchen, denke ich; wie viel es brauchen wird, ihr beizubringen, das Glaubensbekenntnis deutlich und richtig auf russisch zu lesen, weiß ich nicht.« So leicht hatte sie's doch nicht genommen, dreißig Jahre vorher, als sie fast direkt aus dem Katechismus Pastor Wagners, der strengen Zucht ihres Herrn Papas und der Aufsicht von Mlle. Cardel »in Greifenheims Hause auf dem Marienkirchhof« zu Stettin, herausgekommen war. Welchen Eindruck dieses Kinderleben hinterlassen, sieht man aus vielen vorliegender Briefe an Grimm.

Der alte Fürst war »Lutheraner, wie man's in den Zeiten der Reform war«, sagte Friedrich II.; .seine Lehren und sein Beispiel hatten sich tief eingeprägt in Katharinens jungen Sinn und es erforderte nicht wenig Anstrengung ihr und dem Vater die Überzeugung beizubringen, daß eigentlich das lutherische und griechische Glaubensbekenntnis ein und dasselbe wären, sich nur in Äußerlichkeiten unterschieden. »Der Vater war etwas halsstarrig,« schrieb Friedrich II. an die große Landgräfin. »Ich hatte viel Mühe seine Scrupel zu besiegen; auf alle meine Vorstellungen antwortete er: Meine Tochter nicht griechisch werden. Aber ein Pfarrer, den ich zu gewinnen wußte, war gefällig genug, ihn zu überreden, daß der griechische Ritus dem Lutheranischen gleich wäre und er wiederholte nun unausgesetzt: Lutherisch-griechisch, griechisch-lutherisch, das geht an.« Leichteren Stand als mit Vater und Tochter hatte man mit der jugendlichen Mutter: »Der schmeichelhafte Gedanke, schrieb der preußische Gesandte aus Petersburg, einst sagen zu können »die Kaiserin« wie man sagt »mein Bruder«, benimmt ihr jedes Bedenken und hilft ihr die Tochter zu beruhigen.« Daß die Aussicht auf die Kaiserkrone nicht auch ein großes Überredungsmittel gewesen, will ich nicht sagen. »Elle se plait aux grandeurs qui l'environnent, schrieb ihre Mutter an Friedrich II., und in einem Briefe an ihren Mann meinte sie »Figgen« – die kleine Braut trug noch ihren protestantischen Namen Friederike, – »Figgen southeniert die fatige besser als ich, doch sindt wir beyde Gottlob wohl, der regiere und führe uns Ferner.« Und Katharina selber in ihren Memoiren (p. 17), wo sie von ihrem Bräutigam, dem Großfürsten Thronfolger spricht: »Er war mir beinahe gleichgültig; aber die Krone von Rußland war es mir nicht« ...

Wie dem auch sei, die Bekehrung war gründlich und die kleine Lutheranerin ward die impönitenteste Heidin, die je auf einem Thron gesessen: selbst ihr Idol Voltaire konnte nicht unehrerbietiger von dem »Flegel« (rustre) Luther, nicht dreister über das heilige Oel der griechischen Kirche scherzen, als seine hohe Schülerin. Letzteres sollte alle möglichen Übel durch seine Wunderkraft heilen, sie schickt es aber dem leidenden Grimm doch nicht: »Je ne suis pas en état de vous faire parvenir le présent d'huiles saintes fricassées en ma présence, car elles sont devenues puantes, sauf le respect qui leur est du«. Die Briefe Katharinens sind alle französisch geschrieben; meine Zitationen daraus sind übersetzt; nur wo mir die Übersetzung unmöglich gewesen ist, gebe ich den französischen Text. Katharinens eigenes Deutsch, das man überdies sofort herauserkennen wird, ist immer in Sperrschrift gedruckt. Man sieht, die Bekehrung war nicht so sehr das Werk des Archimandriten Theodorsky als der Herren »Philosophen« in Paris, vor Allem des Erzfeindes Voltaire. Der war schon seit ihrem 16. Jahre ihr einziger Lehrer und Tröster. Sie, die nicht leicht empfindsam wird, strömt über, wenn sie von dem Manne spricht, dem sie ihr geistiges Leben verdankt, ohne ihn je persönlich gesehen zu haben. Als sie von seinem Tod und von der Verweigerung des Begräbnisses hört, ruft sie aus: »Man wagt einen solchen Mann nicht zu begraben, den ersten der Nation!« Und zwei Monate später: »Seit Voltaire todt ist, kommt es mir vor, als habe die gute Laune ihre Ehre verloren. Er war die Gottheit der Heiterkeit ( agrément). Verschaffen Sie mir doch gleich ein recht vollständiges Exemplar seiner Werke, um meine natürliche Anlage zum Lachen zu erneuern und zu stärken; denn, wenn Sie mir sie nicht bald schicken, bekommen Sie von mir nur noch Elegien.« Und wiederum zwei Monate später: »Schon lange reflektiere ich in meinen Handlungen auf zwei Dinge nicht mehr: den Dank der Menschen und die Geschichte. Ich thue das Gute um's Gute zu thun, nichts weiter; und das hat mich wieder aus der Muthlosigkeit und Gleichgiltigkeit für alle Dinge dieser Welt aufgerichtet, die mich bei der Nachricht von Voltaire's Tod überkommen hatten. Denn er ist mein Lehrer; er oder vielmehr seine Werke haben meinen Geist und Kopf gebildet. Ich glaube es Ihnen schon oft gesagt zu haben, ich bin seine Schülerin; als ich noch jünger war, wünschte ich ihm zu gefallen; hatte ich Etwas gethan, so mußte es, um mir zu gefallen, werth sein, ihm mitgetheilt zu werden; und sogleich erfuhr er es. Er war so daran gewöhnt, daß er mich zankte, wenn ich ihm keine Nachricht gab und er sie von anderswoher erfuhr.« »Geben Sie mir hundert Exemplare der Werke meines Meisters, damit ich sie überall niederlege. Sie sollen zum Beispiel dienen; man soll sie studieren, auswendig lernen, ich will, daß die Geister sich daran nähren ... Die Werke sollen chronologisch geordnet werden, nach den Jahren, in denen sie geschrieben. Ich bin eine Pedantin, die den Geistesgang des Autors in seinen Werken verfolgen will.« Sie will sich eine casa santa, wie die von Loreto vom Hause in Ferney machen lassen. »Hören Sie doch, wenn wirklich die Kraft, Tiefe und Anmuth (die Grimm gerühmt hatte) in meinen Briefen und meiner Ausdrucksweise ist, so danke ich alles Voltaire: denn lange lasen, studierten und lasen wir wieder Alles, was aus seiner Feder kam und ich darf sagen, ich habe ein so feines Gefühl dafür erlangt, daß ich mich nie über Das getäuscht habe, was von ihm war oder nicht; die Klaue des Löwen hat eine Weise anzupacken ( empoignure die noch kein Mensch bis jetzt nachgeahmt hat.«

III.

Diese Begeisterung für die Philosophen, die übrigens im Grade sehr verschieden war, die Gastfreundfchaft, die sie Diderot und Grimm angedeihen ließ, das Anerbieten, das sie bei ihrem Regierungsantritt schon d'Alembert machte, die in Frankreich bedrohte Encyklopädie in ihren Staaten weiter zu veröffentlichen, ihre Übersetzung des in Frankreich verbotenen »Belisar« von Marmontel – Alles Das mag zum Theil Berechnung gewesen sein, aber doch nur zum Theil. Wir wissen, sie war nicht ohne Eitelkeit. Wie sie gar sehr zu hören liebte, daß ihr Profil dem Alexanders des Großen glich, so war es ihr wohlthuend, von den Gebietern der öffentlichen Meinung als die große Herrscherin des Ostens, die Vorkämpferin der Civilisation gepriesen zu werden und sie hatte eine gute Dosis von Selbstbewußtsein. Alle die ihr nahe kamen und uns von ihr berichtet haben, Ségur, de Ligne, der englische Geschäftsträger Gunning, bezeichnen die Ruhmsucht als ihre herrschende Leidenschaft und das Hauptmotiv ihrer Handlungen. Sie selbst giebt die Intonation an, in welcher sie gelobt zu werden wünscht. Als Grimm den Frieden von Teschen und den Ruhm der Friedensstifter in den Himmel erhebt, schreibt sie ihm: »In meinem Leben habe ich in den gepriesensten Thatsachen wenig Ruhmreiches gesehen. Jeder preist oder preist nicht, je nach seinen Interessen. Das ist meine Sache nicht. Der Ruhm, der mir zusagt, ist oft der, welchen man am Wenigsten preist: das ist der, welcher nicht nur das Gute in der Gegenwart hervorbringt, sondern das Wohl zukünftiger Geschlechter, unzähliger Menschen unzählige Güter; er ist oft nur das Ergebnis eines Wortes, das gesät, einer Zeile, die hinzu gefügt worden; die werden die Gelehrten suchen mit der Laterne in der Hand, und werden mit der Nase drauf stoßen und Nichts davon begreifen, wenn es ihnen an dem Genie dazu fehlt! Ach, lieber Herr, ein Scheffel solchen Nachruhmes wiegt alle Rühmchen auf, von denen sie mir soviel vorreden.« Das war der einzige Idealismus dieser großen Realistin. Sie machte sich zwar gerne über die Idealisten lustig, namentlich über Diderot: »Sie vergessen«, will sie ihm, nach Ségur, gesagt haben, »in allen ihren Reformplänen den Unterschied unserer Lagen: Sie arbeiten nur auf dem Papier, das Alles duldet; es legt ihrer Phantasie und ihrer Feder keinerlei Hindernisse in den Weg; aber eine arme Kaiserin wie ich, arbeitet auf dem Menschenfell; das ist ganz anders reizbar und kitzlich.« Allein sie glaubte an den Fortschritt und sie glaubte, wie das ganze Jahrhundert, an die unbeschränkte Wirksamkeit der Gesetzgebung. Sie Alle – der große Geschichtsschreiber Ludwigs XIV. nicht weniger als die hohe Verfasserin der Geschichte Rußlands – hatten ja nur ein sehr beschränktes Verständnis, und folglich auch eine nur sehr beschränkte Achtung für das geschichtliche Werden: Rußland krankt noch heute an den beiden Experimenten – Peters und Katharinens – eine Kultur ohne die Vorarbeit der Jahrhunderte begründen zu wollen. Grimm freilich will das nicht Wort haben. Er meinte (in einem Briefe an Mad. Necker, den Herr O. d'Haussonville unter vielen Andern aus dem Nachlasse seiner Ururgroßmutter in der Revue des Deux Mondes am 1. März 1880 mitgetheilt hat) – Grimm meinte, der Zweck von Katharinens ganzer Staatskunst sei gewesen, Rußland für die Selbstregierung zu erziehen, »die Grundlagen des Despotismus zu untergraben und ihren Völkern mit der Zeit das Gefühl der Freiheit zu geben« – und er vergleicht natürlich ihr Regierungssystem mit dem Necker's, obschon Katharina diese politische Incapacität von vornherein durchschaut und ihrem Freund denuntiirt hatte; der konnte es aber nun einmal nicht lassen, seinen reichen Gönnern angenehme Dinge zu sagen. Wie dem auch sei, Katharinens Zweck mag die Vorbereitung der staatlichen Freiheit und Ordnung gewesen sein: ihre Mittel waren, wie bei Joseph II., dessen Bruder Leopold und allen Anderen der Zeit, Gesetze, Decrete, Regulative, mittelst deren die politische Kultur erzwungen werden sollte. Daher ihre »Legislomanie«, wie sie es nannte; daher ihr fester Glaube an die Zukunft Rußlands Dank dieser ihrer »Legislomanie«: die russische Literatur wird einst alle anderen überflügeln und »der russische Staat kann nicht zerstört werden; denn wir lieben und suchen und finden und stellen die Ordnung her; sie schlägt Wurzeln und Niemand wird sie wieder vernichten.« »Ich liebe die noch nicht urbar gemachten Länder; glauben Sie mir, es sind die besten. Ich hab's Ihnen tausendmal gesagt; ich tauge nur in Rußland was; merken Sie sich das. Anderswo sieht man die Sancta Natura nicht mehr; Alles ist so entstellt und manierirt.«

In der That war die Rastlose unausgesetzt mit den Angelegenheiten des ihr anvertrauten Reiches beschäftigt; bald auf Reisen, bald im Kabinet, heute mit Plänen der auswärtigen Politik, morgen mit Reformen aller Art, und wenn sie Muße findet, so wird auch diese noch aus ihr Adoptivvaterland verwendet, indem sie eine ausführliche Geschichte Rußlands, nach eingehenden Studien im Reichsarchiv, plant, vorbereitet und niederschreibt. »Wie soll ich mich langweilen,« schreibt sie einmal, »ich bin ja fortwährend beschäftigt.« »Ich arbeite wie ein Pferd,« schreibt sie ein anderes Mal, »und meine Secretäre, vier an der Zahl, reichen nicht mehr hin; ich muß noch einige dazu nehmen. Ich bin ganz Schreiberei geworden und meine Gedanken lösen sich in Tinte auf. Mein Lebetag habe ich nicht soviel geschrieben. (Die Worte in Sperrschrift sind deutsch im Text.) Im Anfange des Krieges wollte ich Nichts sehen und hören als Krieg und jetzt muß ich alles das nachholen, was ich habe liegen lassen, um wieder vor dem Frühjahre das courente zu gewinnen; das ist ein sehr scharfer Lauf.« Selbst die Krankheit unterbricht ihre Thätigkeit nicht. »Nichtsdestoweniger,« schreibt sie nach einem kurzen Bericht über ihr Unwohlsein, »veröffentliche ich diesen Monat wieder drei Regulativen, wovon eine schon ausgefertigt, die andere eben abgeschrieben wird, die dritte durch das Fegefeuer meiner Secretäre geht und so bekommen die Dinge nach und nach eine Gestalt; und dann spricht man nicht mehr davon viel; wenn es einmal in Gang gekommen ist, so scheint es einem Jeden, es kann nicht anders sein; und es ist nicht anders und da es keinen drückt, so fühlet es keiner auch nicht.« Als man ihr bei ihrem zwanzigsten Regierungsjahre von einer Feier spricht, sagt sie: »Die Feste langweilen mich ... und ich liebe es gar nicht, mich selbst zu feiern. Wenn ich irgend eine gute Regulative gegeben habe, so ist das mein Fest und ich genieße es.« Wir lächeln über diese Regulativenwuth der »Universalnormalschulmeisterin«, wie Grimm sie nennt; aber einerseits ist sie selbst die Erste, welche über ihre »Legislomanie« scherzt; andrerseits sollte man doch nicht vergessen, welche Gesinnung solcher naiven Weltverbesserungssucht zu Grunde lag. Auch handelt es sich ja hier keineswegs nur um pedantische Kleinigkeitskrämerei, ist es ja kein Bureaugeist, der aus ihrer Arbeit athmet. Hatte sie doch in ihrer »Instruktion für das Gesetzbuch« »Montesquieu geplündert«, wie sie behauptete, und sie bildete sich nicht wenig darauf ein, daß er in Frankreich verboten worden sein sollte. Sie hat immer leitende Ideen, faßt die Dinge unter allgemeine Gesichtspunkte, verliert nie den Zusammenhang aus dem Auge, was sie selber auch zum Gegentheil sagen mag. »Die Legislomanie geht hinkenden Fußes ( clopin-clopant); doch finde ich hie und da noch Gedanken, aber kein Ganzes; dieses Ganze, worin alles Einzelne von selbst seinen Platz einnahm, das Eine mit der Spitze nach oben, das Andere mit der Spitze nach unten, so daß Alles klappte und wunderbar schön in denselben Rahmen ging, ohne je darüber hinauszureichen, das ist gänzlich verloren und davon ist seit sehr geraumer Zeit keine Spur.«

Kein Wunder, wenn die Philosophen die Weltbeglückerin bewunderten. Nimmt man ihre persönliche Liebenswürdigkeit, ihr vollständiges Sichgehenlassen, ihren nie versiegenden Witz, ihre Aufmerksamkeiten für die Fürsten des Geistes, ihre hohe Stellung in Betracht, so ist's wohl kaum zu verwundern, daß sie die Eroberung aller Freidenker und Menschheitsapostel machte. Selbst ihre äußere Politik ward als die einer Iphigenie betrachtet, welche die Civilisation nach Tauris brachte. Wir sind so gewöhnt von dem »Verbrechen« der Theilung Polens, von der »Eroberungssucht« Rußlands in der Türkei reden zu hören, daß wir ganz vergessen, wie die Zeitgenossen die Sachen anschauten: Voltaire, Diderot, d'Alembert und tutti quanti, König Stanislaus selber, wie wir aus seinen Briefen an Mme. Geoffrin ersehen, sahen in Polen und der Türkei nur zwei Brutstätten des religiösen Fanatismus und willkürlicher Adelsherrschaft, Heerde der Fäulnis und des wirthschaftlichen Verfalles: in ihren Augen war Katharina die Vorkämpferin der Toleranz, der Aufklärung, der Ordnung und Gerechtigkeit. Die Polen waren jener Zeit ebenso verkommene Barbaren als die Türken. Das Nationalitätsgefühl unseres Jahrhunderts war ja noch nicht erwacht und der Katholizismus hatte noch nicht jene Macht über die Gemüther zurückerobert, welche Polen in der Meinung der Welt seitdem so sehr zu Gute gekommen ist. Auch war das Ende Polens in den Augen aller Zeitgenossen ein selbstverschuldetes. »Sie brauchen sich keine Mühe zu geben, die polnische Nation zu annullieren; sie arbeitet selber daran,« schreibt Katharina im Januar 1789 an Grimm. »Ihre tolle Nullität wird sie von einer Extravaganz zur andern führen und der Augenblick wird kommen, wo sie sich gar dumm und reuig fühlen wird. Sie sind in Wahrheit ein großer Politikus,« fährt sie in ihrer franken, neckischen Weise fort; »Sie durchlaufen ganz Europa in zwei Seiten; da es aber nur geschieht, um mir zu sagen, daß ich nur zu thun habe, was in meinem Interesse ist, so bin ich Ihnen sehr verbunden und ich versichere Sie, ich werde es nicht daran fehlen lassen.« Wie wohlthuend diese ächt friedericianische Offenheit – die tugendhaften Journalisten unseres Jahrhunderts nennen es Cynismus – absticht gegen den politischen Cant, der seit der Revolution Mode ward!

Ein anderes Mal (September 1795), im Augenblicke der dritten Theilung Polens, sucht sie ihrem Korrespondenten an der Hand der Geschichte zu beweisen, daß sie »keinen Zoll von Polen« in Besitz genommen, daß der ganze russische Antheil schon früher Rußland gehört, und sie schließt: »Übrigens, wenn diese Nation auch selbst ihren Namen verloren hätte, so könnte sie, will mich dünken, es wohl verdient haben; denn sie hat selber alle Verträge gebrochen, welche ihr Dasein sicherten, sie hat nie Vernunft anhören wollen, und jedes Band der Gemeinsamkeit verloren, da nie zwei Individuen über irgend etwas einig waren. Feil, verderbt, leichtsinnig, wortreich, Unterdrücker und Projektenmacher, ließen sie ihre Privatwirtschaft von den Juden besorgen, die ihre Unterthanen aussaugten und ihnen selbst sehr wenig gaben: so sind die Polen leibhaftig ( voilà en un mot les Polonais tout crachés). Mich wollen sie zur Königin von Polen. Vorher baten sie mich um meinen Enkel, den König von Preußen um seinen Sohn, den Wiener Hof um einen Erzherzog, Alles zugleich; den Kurfürsten von Sachsen um seine Tochter, den König von Spanien um einen Infanten, das Haus Bourbon um einen Prinzen und zu Hause machten sie das Gesetz, um einen Piasten zu haben. Alles Das geht ganz gut zusammen in einem polnischen Kopfe, obschon kein Menschenverstand drin ist.«

Nicht minder billigte die »öffentliche Meinung« des vorigen Jahrhunderts die türkische Politik Katharinens. Noch war das Andenken der großen Eroberungszüge der Ottomanen lebendig; noch sprach man mit Bewunderung von Sobieski und Prinz Eugen; noch war das europäische Interesse nicht entdeckt, welches erforderte, daß das glücklichst gelegene Land der Welt unter türkischer Mißregierung stehe. Laut predigte Voltaire die Verjagung der Türken und die Unterwerfung der Polen, – die Beiden werden in einem Athem genannt, wenn von den Feinden der Civilisation gesprochen wird. »Seien Sie sicher,« schreibt er der Kaiserin schon 1769, »daß Niemand einen größeren Namen als Sie in der Geschichte haben wird; aber die Türken müssen Sie schlagen, um's Himmelswillen, trotz des päpstlichen Nuntius in Polen, der so gut mit ihnen steht:

De tous les préjugés destructice brillante
Qui du vrai, dans tout genre, embrassez le parti,
Soyez à la fois triomphante
Et du Saint-Père et du Mufti.

Wie kann man Leute in Europa dulden, welche die Verse nicht lieben, nicht in die Komödie gehen und kein Französisch verstehen?« Offen konnte Katharina die Bedeutung der Namen gestehen, die sie unter Hunderten für ihre Enkel wählte, die Namen Alexanders, des Civilisators von Asien, und Constantins, des Gründers der christlichen Herrschaft in Byzanz. » Voyez-un peu ce que c'est que les phrophéties prévoyantes et les commèreries des grandmères« schreibt sie bei der Geburt des Ersteren (December 1777) in einem Briefe, den ich lieber nicht übersetze. » Ne voila-t-il pas une preuve de perspicacité? Aber mein Gott, was wird aus dem Jungen werden? Je me console avec Bayle et le père de Tristram Shandy, qui était d'avis qu'un nom influait sur la chose: morgué, celui-ci est illustre; il y a eu des matadors qui le portaient, pourvu que les as ne soient pas passés à cette bande là.« Und zwei Jahre später, als der Zweite kam: »Man hat mich gefragt, wer Pathe sein solle, und ich habe gesagt: ich weiß nur meinen besten Freund, Abdul Ahmed, der es sein könnte; aber da kein Christenkind von einem Türken getauft werden kann, erweisen wir ihm wenigstens die Ehre, ihn Constantin zu nennen. Sofort schrie Alles: Constantin! Und so ist er Constantin, gros comme le poing, und so wäre ich mit Alexander zur Rechten, Constantin zur Linken ... Aber Der ( sti-ci),« fügt sie schelmisch hinzu, »ist zärter als der Ältere und sobald ihn die kalte Luft nur berührt, verbirgt er seinen Kopf in den Windeln; – will warm sein morgué – wir wissen, was wir wissen, aber – still – kein Dreifuß. – Ja, das heißt man wohl mit der Thür in's Haus gefallen!« Wir wissen aus der Korrespondenz der Kaiserin mit Joseph II. – hier wird er immer bei seinem Reisenamen Falkenstein genannt – wie nahe schon drei Jahre später diese Träume ihrer Erfüllung waren.

Man hört oft sagen, Katharina habe nach Ausbruch der großen französischen Revolution ihre Ideale abgeschworen und sich leidenschaftlich gegen die Nation gewandt, die sie so lange vergöttert und gegen die Schüler, welche die Lehren ihrer Meister angewendet. Ja, noch kürzlich hat Herr Rambaud behauptet, sie habe die Büste Voltaire's aus ihrem Zimmer entfernen lassen. Nichts könnte ungerechter und unbegründeter sein. Den Einen, dessen Ideen man zu verwirklichen suchte, Rousseau, hatte sie von Anfang an gehaßt und keineswegs aus Freundschaft für seinen Gegner Grimm; Rousseau's Art von Idealismus war ihr zuwider; auch haßte sie die Rhetorik und war geneigt, selbst das Beste zu verkennen, wo es sich mit Phrase umgab, wie nur zu oft bei Rousseau; alle Abstraktion war ihr ein Greuel und gar die abstrakte Gleichmacherei Rousseau's, sein Krieg gegen die Kultur schienen dieser Heldengötzendienerin und Vorkämpferin der Kultur gotteslästerliche Ketzerei gegen die Religion des Jahrhunderts. So meint sie denn auch schon 1790 mit vollem Rechte, dies sei eine Bewegung gegen den Geist Voltaire's und der »Philosophen«: »Was werden denn die Franzosen mit ihren besten Autoren anfangen? Fast Alle, Voltaire voran, sind Royalisten, Alle predigen Ordnung und Ruhe und das Gegentheil der 1200 köpfigen Hydra (der Nationalversammlung). Wird man sie in's Feuer werfen? Wo nicht, werden sie Maximen daraus schöpfen, die gegen ihr System laufen, wenn sie Eines haben.« Und drei Jahre später: »Die französischen Philosophen, welche die französische Revolution vorbereitet haben sollen, haben sich vielleicht nur in Einem getäuscht, darin, daß sie glaubten, Leuten zu predigen, bei denen sie ein gutes Herz und guten Willen voraussetzten.« Und wiederum: »Also scheint es wirklich am Ende des 18. Jahrhunderts ein Verdienst zu werden, wenn man die Leute mordet; und dann kommt man und sagt uns, Voltaire habe das gepredigt. So wagt man die Leute zu verleumden. Ich glaube, Voltaire zöge vor, zu bleiben, wo man ihn beerdigt hat, als sich in Gesellschaft Mirabeau's in Ste. Geneviève (Pantheon) zu befinden. Aber wird man denn endlich allen diesen Abscheulichkeiten ein Ziel setzen? Es ist sonderbar, daß alle Höfe in der Sache der Absicht und Leitung des Königs und der Königin von Frankreich folgen, die sich in ihrer ganzen Aufführung so schlecht aufgeführt haben ( qui dans toute leur conduite n'ont montré qu'inconduite); ich weiß wohl, woher es kommt; aber da, da, Ursache und Motive mißfallen mir.«

Von Anfang an, schon 1787, hatte sie mit dem unfehlbaren Blick des großen Staatsmannes gesehen, daß Ludwig XVI. der Hauptschuldige war, wie denn heute für Niemanden, der die Geschichte wirklich kennt und unbefangen urtheilt, ein Zweifel mehr ist, daß ein Mann von Wilhelms III. Natur auf dem Throne Frankreichs die Dynastie und mit ihr die Einheit der nationalen Geschichte, die Verjährung der höchsten Gewalt, kurz, alles Das gerettet hätte, was eine freie und gesunde staatliche Entwickelung in Frankreich würde möglich gemacht haben. »Man kann im Allgemeinen nicht sagen, daß man Ludwig XVI. schmeichle,« schreibt Katharina im November 1787: »Man hat alles Mögliche gethan, um ihn zu überreden, sich unter Curatel zu stellen, und ihn zu überzeugen, daß er Nichts vom Geschäft versteht; und doch ist er fleißig, gut, hat gesunden Verstand, will das Rechte. Sehen wir, was der oder die Vormünder thun; der Anfang taugt gar Nichts; wenn man zurückgegangen ist, um besser zu springen, mag's hingehen, aber wenn man zurückgegangen ist und springt nicht ... oh, dann Adieu das Ansehen, das man seit zwei Jahrhunderten erworben und wer wird Denen glauben, die weder Willen, noch Kraft, noch Nerv haben? Nu, das wird denn doch nicht so armselig sein, daß, wenn sie einen Backenstreich vorlieb genommen, sie auch die andere herreichen; das ist zwar evangelisch, aber auch nicht königlich. Zu viel Demuth ist ungesund vor den Staat.« Schon nach den Octobertagen sagte sie dem Könige vor Krapowitzky das Schicksal Karls I. voraus. Als er gute Miene zum bösen Spiel machte, warf sie ihm in einem Briefe an Zubof vor, daß er »zwei Willen habe, einen öffentlichen und einen geheimen.« Und als er sich »discreditirt, erniedrigt, verächtlich und lächerlich macht«, indem er »die extravagante Verfassung (von 1790) unterzeichnet und sich beeifert, Eide zu leisten, die er keine Lust hat zu halten und die ihm Niemand abverlangt«, da ruft sie erzürnt mit dem Dichter:

»Renoncer aux Dieu que l'on croit dans son coeur
C'est le crime d'un lâche et non pas une erreur.
«

Auch Grimm urtheilt ähnlich, wenn schon mit der Behutsamkeit im Ausdruck, die ihm allen Fürstlichkeiten gegenüber zur zweiten Natur geworden: »Ein einziger Franzose hätte dies Wunder (der Rettung Frankreichs) zwanzig Mal, hundert Mal, im Handumdrehen, verrichten können; aber er will es nicht. Der Franzose ist der König.« Die Worte sind 1790 geschrieben. Es ist nicht die einzige Stelle der Art. Die Briefe Grimm's seit Beginn der Revolution sind voller Politik und bekommen dadurch ein Interesse, das den früheren ganz abgeht; wäre es auch nur, daß sie uns lebhaft die geistige und moralische Verwirrung zeigen, in welche jener »Philosophenkreis«, der, ohne es zu wollen, soviel dazu gethan, die große Umwälzung herbeizuführen, durch das Ereignis versetzt wurde. Grimm ist fast der einzige Überlebende; aber man fühlt sehr wohl, Voltaire und Diderot, d'Holbach und Helvetius, d'Alembert, ja selbst Rousseau hätten ebenso gedacht, wenn sie dem Untergange ihrer Welt beigewohnt hätten. Doch kommt bei ihm der Deutsche hinzu, der sich trösten kann, daß er nicht ist »wie Dieser Einer«. »Eins ist unzweifelhaft, schreibt er Ende 1790, die Wälschen sind noch immer Wälsche; Voltaire würde sie wiederfinden, wie er sie gelassen hat, wie sie seit 2000 Jahren gewesen; sie haben durch den Gebrauch, den sie von der Freiheit gemacht, bewiesen, daß sie dazu gemacht sind, wie die Kuh zum Seiltanzen und auf ihre jetzige Extravaganz kann nur der strengste Despotismus folgen« ... »Für das Ansehen der Kirche habe ich keine Angst, sagte ihm der scharfblickende Nuntius Caprara; wir sind vielleicht zu alt, Sie und ich, um sie aus ihrer Asche wiedererstehen zu sehen; aber sie wird wiedererstehen: Ihre Jacobiner haben dies Wunder unfehlbar ( immanquable) gemacht; und wenn sie fähig gewesen wären, diese Revolution mit Mäßigung und Klugheit zu führen, sie hätten ein großes Glück für die Menschheit daraus machen können.« Daran knüpft Grimm nun sofort seine Klagen über den Verfall der Nation, ja selbst der Sprache, meint das Russische würde fortan die Hofsprache werden u.s.w., ergeht sich in Emigrantenphrasen über die Nacht vom 4. August, deren Größe dem Verstande dieses Menschen ja immer ein Räthsel bleiben mußte. Dagegen sind seine Bemerkungen wieder äußerst treffend, sobald er sich auf Beobachtung, und Raisonnement beschränkt. Niemand springt über seinen Schatten: den Werth der Begeisterung im Leben der Nationen zu begreifen, müßte man eben nicht Grimm sein.

Die Kaiserin war von vornherein mißtrauischer gewesen, als ihr Korrespondent: der schwärmte für den reichen Necker und den vornehmen Herzog de Castries, bei denen er zu Mittag zu speisen pflegte; sie hat weder in Necker's noch in irgend eines Franzosen Staatsmannschaft Zutrauen. » Die Leute sind windig und Köpfchen ist schwindlig. Dès que chez vous j'entends parler de parlement, je détourne mon entendement. Tenez, voilà deux rimes, l'une allemande et l'autre française.« Sie hatte, wie wir aus Krapowitzky's Aufzeichnungen wissen, für den amerikanischen Unabhängigkeitskampf geschwärmt, wenn ihr auch die Meister-Hämmerlein-Figur des tugendhaften Franklin leiblich und geistig nicht behagte; aber nicht einen Augenblick läßt sie sich von der europäischen Begeisterung des Jahres 1789 und des Bastillensturmes fortreißen; sie ward auch nicht eine Stunde dem Glauben des aufgeklärten Despotismus – ihrer Religion, der Religion des Jahrhunderts – ungetreu. Vom ersten Tage an rief sie in Prosa, was Schiller in seine reichen Verse kleidete: »Wenn sich die Völker selbst befreien, da kann die Wohlfahrt nicht gedeihen. – – Weh' Denen, die dem Ewigblinden des Lichtes Himmelsfackel leihen! Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden und äschert Städt' und Länder ein.« Alles für das Volk, Nichts durch das Volk, war ihre Devise, wie die fast aller »Philosophen«. »Der Wille der Menge, schrieb Grimm 1790 an's Ende seiner Gazetta littéraire und die Interessen der Menge treffen nur selten zusammen.« »Ich muß gestehen,« schrieb ihm die Kaiserin im Herbst 1789, »ich liebe die Großkreuze nicht, die Nachtwächter werden, noch die Justiz ohne Justiz, noch die barbarischen Laternenhinrichtungen. Ich vermag auch nicht an das große Talent der Schuhflicker für Regierung und Gesetzgebung zu glauben. Lassen Sie nur einen Brief von tausend Personen schreiben, lassen Sie sie jeden Ausdruck wiederkäuen, und Sie sollen sehen, was draus wird.« Und am Anfange des folgenden Jahres blickt sie zurück auf das »große Jahr« und fühlt sich überwältigt » par l'immensité des choses, der Wiedergeburten und Mißgeburten dieser Zeiten, wo man sich nicht mehr in der Welt erwärmt für Alles, das unrecht, mißbillig, grausam, gewaltig, und abscheulich vor diesem hieß, und wo die dümmsten Klötze gedenken, die ersten Stellen eigenmächtig einzunehmen. Hier kann man mit Recht auf gut Holländisch sagen: Ja wol, myn herr, als die käs nicht wär« Sie fürchtete, Frankreich werde sich nicht wieder erholen: » Quelle chute! Les ronces vont croîte sur les grands chemins; Sully se réjouissait de ce que son cher Henry IV les avait fait disparaître; jamais je n'ai tant lu et relu la Henriade et tous les mémoires de ce temps lá que pendant cet hiver. Il faudra que l'assemblée nationale fasse jeter au feu tous les meilleurs auteurs français et tout ce qui a répandu leur langue en Europe; car tout cela dépose contre l'abominable grabuge qu'ils font.» Das Ende dieses vielgerühmten Jahrhunderts beweist, daß es um keinen Heller besser ist als seine Vorgänger.« »Diese schöne Bescheerung,« rief sie bei der Hinrichtung Ludwigs XVI., »war dem 18. Jahrhundert aufgespart, welches sich rühmte, das mildeste, aufgeklärteste der Jahrhunderte zu sein und welches so furchtbare Seelen in der berühmtesten Stadt, die man je gekannt, geboren hat. – – Erinnern Sie sich der Zeit, wo Sie mir sagten, Sie könnten von den Menschen nur Gutes sagen und ich Ihnen antwortete: Aber in welchem Kreise haben Sie denn gelebt?« Bei alledem hielt sie den Republikaner Laharpe, der ihres Enkels Erzieher war, gegen den ganzen Hof bis 1794. Allein ihr Urtheil wird immer befangner. Ihre Entrüstung verblendet sie immer mehr; die Weitsichtige wird nach und nach ganz kurzsichtig: die lokale Bedeutung der Revolution beurtheilt sie noch so ziemlich richtig; – »Wissen Sie, was Sie in Frankreich sehen? sagte sie schon achtzig Jahre vor Fürst Bismarck ( conf. Buschii II. 310). Es sind die Gallier, welche die Franken verjagen« –; aber die allgemeine Bedeutung der Revolution entgeht ihr, ja sie glaubt an eine Rückkehr zum alten Régime: »Sie werden die Franken zurückkommen sehen,« meint sie. Schon im April 1791 hatte sie geglaubt, das Schlimmste wäre vorbei; und einen Monat später: »Nach Allem, was ich von Frankreich sehe und höre, halte ich es für geisteskrank; aber ihr leichter Sinn wird sie rascher über die Krankheit hinausbringen als andere Völker, welche die Epidemie bekommen; diese Krankheit scheint sie alle zweihundert Jahre zu befallen. Lesen Sie ihre Geschichte; wie lange dauerte sie die vorigen Male?« Dann wieder, am Anfang der unseligen Campagne von 1792, sieht sie wohl das Schicksal der Oesterreicher und Preußen richtig voraus: aber sie glaubt, die Emigranten würden jubelnd empfangen werden wenn nur, – »ja wenn sie nur die vier oder fünf kleinen Ingredienzien hätten, die ja so leicht aufzutreiben sind: Muth, Festigkeit, Großherzigkeit, Klugheit und das nöthige Urtheil, um Alles richtig zu gebrauchen.« Sie hält große Stücke auf den Grafen von Artois, meint, Franz II. habe das Herz auf dem rechten Fleck! Sie arbeitet eine Note aus über die Nothwendigkeit einer Restauration in Frankreich, worin sie das ganze alte Wesen mit Ausnahme einiger Mißbräuche wiederherzustellen vorschlägt! In anderen Augenblicken sieht sie heller, sagt schon in klaren Worten Bonaparte, den Retter, voraus. So im Februar 1794, als noch die Schreckensherrschaft wüthete: »Wenn Frankreich da heraus kommt, wird es kräftiger sein als je; folgsam und sanft wie ein Lamm; aber es braucht einen überlegenen Mann, geschickt, muthig, der seine Zeitgenossen, ja das ganze Jahrhundert überrage. Ist er geboren? Ist er's nicht? Wird er kommen? Davon hängt Alles ab.« Und im folgenden Jahre: »Was die Contrerevolution anlangt, so verlassen Sie sich auf die Franzosen selber; sie werden das Geschäft besser besorgen, als alle Coalisierten zusammen... Alles in Allem betrachtet, sind die Leute doch keine Klötze, sie lassen sich wie Lämmer führen, und nie ist ein Volk ruhiger, als wenn es, wie dieses, müde aus dem Trubel kommt.« Merkwürdiger Weise scheint sie den »Retter« nicht zu erkennen, als er auftritt: der Briefwechsel geht bis zum Oktober 1796: die Frühlingssiege von Millesimo und Montenotte, die Sommersiege von Lodi und Castiglione werden nicht einmal erwähnt.

IV.

Katharina war nicht nachsichtiger gegen die Feinde der Revolution als gegen deren Freunde. Keiner kommt gut weg; am wenigsten natürlich Friedrich Wilhelm II. und seine Minister. Schon bei seiner Thronbesteigung schrieb sie: » Je viens de lire dans la Gazette de Berlin F.W. der Bewunderte. Voudriez-vous bien avoîr la bonté de me dire en qoui? J'ai vû les commencements de cet autre (Friedr. II) Sti-là évitait flatterie et forfanterie; sais-tu pourquoi? Parceque nous étions pétris de jugement. A bon entendeur salut,« fügt sie mit feiner Abfertigung der ungeheuerlichen »Flagornerieen« Grimm's hinzu. Die Unzufriedenheit mit frère Gu konnte nach dem Frieden von Basel, der ja an allen Höfen als ein Abfall von der guten Sache empfunden worden, nur steigen. » Le roi de Prusse a négocié sous Varsovie,« schrieb sie im April 1795, » tout comme à Bâle; aus dem einen ist Dr... herausgekommen; aus dem anderen ist dasselbe zu erwarten.« Viel härtere Worte noch entfallen ihr, wenn sie an die Zeiten Friedrichs denkt. Das waren andere Menschen. » La société a changé; ce n'est pas celle de l'année 1740, brillante, spirituelle, annonçant le héros par tous les bouts! Mme. de Sévigné könnte es nicht schöner sagen. Sie bewunderte nicht Alles an Friedrich, den sie oft auf ihrem Wege fand und sie vergaß zuweilen, daß sie dem alten Herodes, wie sie ihn zu nennen pflegte, Alles dankte; aber sie hatte ein lebhaftes Gefühl für große Persönlichkeit. Gegen die Schwachen und Unwahren ist sie unerbittlich. Was man ihr auch vorwerfen mag, sie wußte stets, was sie wollte, und sie war keine Heuchlerin. Dessen war sie sich bewußt und daher ihre Strenge, wo sie Kopflosigkeit und Unentschlossenheit oder Lüge zu sehen glaubte. Unbarmherzig und unablässig geißelt sie die kleinen deutschen Fürsten. »Aber was ist's denn mit diesen Don Quixoten Germaniens,« ruft sie z. B., als sie Custine's Einzug in Mainz erfährt. »Das ruiniert sich mit Truppenhalten, schreit sich heiser sie einzuexerzieren; und wenn sich's drum handelt, sie zu brauchen, so machen sich Ihre Durchlauchten und Erlauchten aus dem Staube mit oder ohne Truppen. Bringen Sie doch ein wenig Ordnung da hinein, da Sie gerade in Ihrem Centrum sind«, fügt sie mit einem kleinen Seitenhieb auf Grimm's Fürstendienerei hinzu; »und sagen Sie ihnen doch, daß man im Kriege, wenn man nicht schlägt, geschlagen ist.« » Was soll man mit die Leute machen,« sagt sie ein andermal, » stolz im Glücke, Advokaten im Unglücke, schnacken, wenn zu thun Zeit ist: halbe Worte und halbe Werke machen nicht Dinge, die ganz gethan sein müßten, sonsten würde in der Welt kein halb und kein ganz sein; nicht ganz ist Gänsegang, diese watscheln, ich liebe die Gänse nicht gebraten, nicht geräuchert, der Geschmack ist nicht angenehm.« Noch härter ist sie mit der Unwahrheit: » Das ist ein König,« sagt sie von Gustav III., » der glaubt, daß er durch Lügen und Betrügen viel Ehre erwerben wird; nichts, mein Herr, wird daraus werden; er wird zur Schande und der Spott der Nachwelt werden: mit Lügen und Trügen macht man sich keinen Ruhm und Ehre.« »Was aber anbelangt die ehrwürdige liebe Frau Betschwester,« sagt sie, noch immer in ihrem ungeschlachten Deutsch, von Maria Theresia, die immer über das Loos Polens weinte, so kann ich von ihr anders nichts sagen, als daß sie große Anfechtungen der Hab- und Herrschsucht leidet. Das Heulen ist ein Beweis der Reue, aber da sie immer behält und ganz vergißt, daß nicht mehr thun die beste Buße ist, so muß doch wohl was Verstocktes in ihrer Brust ruhen; ich befürchte, daß es des alten Adams Erbsünde sein müsse, die so eine verruchte Comédie spiele. Aber was fordert man mehr von einer Frau?« setzt sie mit bitterer Anspielung auf ihren eigenen Ruf hinzu. » Wenn sie ihrem Mann getreu ist, so hat sie ja alle Tugenden und im Übrigen Nichts zu schaffen. Von Herrn Janus (Jofeph II.) kann man wohl, ohne zu fehlen, muthmaßen, daß, wenn er nicht zum großen Mann wird, so wird er sehr böse werden, und seine Bedürfnisse an Leib, Seele und Verstand auf Andere rechnen. Was soll das Gewissensgericht ausrichten, da wo in Worten und Geschäften beständige Bocksprünge hervorkommen?« Doch urtheilt sie nicht immer so hart über die »Habsucht-Habsburg«. So sagt sie 1790 von Marie Antoinette: »Sie hat ganz die Art von Muth ihrer Mutter und die Unerschrockenheit der Familie; denn Joseph II. verdarb seine Sachen, wenn ich so sagen darf, eben durch diese Unerschrockenheit.« Und wiederum von Joseph: »Ich kann noch immer meine Verwunderung nicht überwinden: gemacht, geboren und erzogen für seine Würde, voll Geist, Anlagen und Kenntnissen, wie er es angefangen hat, schlecht und erfolglos zu regieren.«

Im Ganzen jedoch ist ihr Urtheil über die Menschen richtiger im Allgemeinen als im Einzelnen und hier wieder sieht sie, wie's zu gehen pflegt, schärfer, wo sie haßt, als wo sie liebt. Das Charakteristische bei allen ihren Urtheilen ist der gesunde Menschenverstand, die vollständige Phrasenlosigkeit und Wahrhaftigkeit, der herrliche Realismus. Inmitten jener Zeit, wo schon mit Rousseau die falsche Empfindsamkeit und die Rhetorik ihre fast hundertjährige Herrschaft antraten, bleibt sie immer durchaus positiv, fragt die Dinge nach ihrem wahren Werth und Wesen, täuscht sich auch wohl manchmal, aber nimmt wenigstens nie Worte für Dinge oder Gedanken. Nicht einen Augenblick läßt sie sich vom modischen Cagliostroschwindel anstecken. Sie durchschaut den Charlatan am ersten Tage. Nie will sie von den Freimaurern, Rosenkränzern u.s.w. das Entfernteste wissen. Nie auch klagt sie über die Umstände, den Mangel an Helfern u. s. w. » Chaque pays fournit toujours le gens nécessaires pour les choses und da Alles in der Welt menschlich ist, so können denn Menschen auch damit fertig werden.« » Selon moi, aucun pays n'a disette d'hommes; ne s'agit pas de chercher, s'agit d'employer ce qu'on a sous sa patte ... N'y a pas disette d'hommes; y a multitude, mais faut faire aller: tout ira s'il y a cet autre faisant-aller. Comment fait ton cocher, souffre douleur, quand tu es emboité dans ton carosse?« Als von den Notabeln die Rede ist, lacht sie über Necker's drei langweilige Bände: er sollte einfach den Leuten sagen, wie sie selber ihren berühmten Vertrauensmännern: »Hier sind meine Prinzipien; sagt mir Eure Beschwerden. Wo drückt Euch der Schuh? Gut: Machen wir's besser. Ich habe kein System; ich wünsche das allgemeine Wohl und das hat meines zur Folge. Allons, arbeitet, macht Entwürfe. Seht woran Ihr seid.« »Ihr Herr Calonne und alle Ihre Herren mögen bleiben wo sie sind; der weiß zehnmal mehr als ich und handelt zehnmal schlimmer als ich und meine Beamten, die wir keine schönen Phrasen haben.«

Auch die größte Tugend des Jahrhunderts, die Toleranz, fehlt Katharinen nicht. Sie selbst nennt sich wohlgefällig, obschon mit höchst zweifelhafter Berechtigung eine »republikanische Seele.« Eher hätte sie sagen dürfen, was Wenige von sich sagen können, daß sie wirklich allem Parteigeist fremd war: »Wo nur Der vergöttert oder geehrt wird, hat man nur die Tugend, welche gerade Mode ist; die anderen bleiben im Dunkeln und werden nicht mehr kultiviert: das ist gewiß das Mittel Leute zu haben, wie man sie will; nicht aber das Mittel die große Art zu haben.« Eine so absolute Despotin sie auch war und so ungerne sie »die Schuhflicker an der Regierung« sah, so entschieden wollte sie die Freiheit der Bewegung und der Gedanken für Alle: »Ich fürchte die Monopole auf hundert Meilen; ich liebe nicht Alles zu regeln, noch weniger zu behindern. Ich bin wie Basile im »Barbier von Sevilla«, ich habe meine kleinen Maximen, an die ich mich halte und die ich,« fügt sie weise hinzu, »in der Anwendung nur mit Variationen brauche.«

Und wie in der Politik, so sind ihre Urtheile in Fragen der Literatur, der Erziehung, der Psychologie und Moral, keineswegs immer unbestreitbare, aber stets eigene, oft auch tiefe. »Der ist ein Franzose, schreibt sie an Fr. von Bielke über Gustav III., und zwar bis zur Nagelspitze, ahmt in Allem den Franzosen nach. Nun bin ich aber beinahe das gerade Gegenpart; in meinem Leben habe ich das Nachahmen nicht ausstehen können und, um es gerade herauszusagen, ich bin ein ebenso großer Sonderling (aussi franc original) als es nur der eingefleischteste Engländer sein kann.« Keine Berühmtheit imponiert ihr: »Wissen Sie wohl, daß der Roman comique von Scarron gar nicht unterhaltend ist; ich habe ihn lesen wollen, um zu sehen was es ist; aber mich dünkt, er taugt Nichts.« Ebenso strenge urtheilt sie über Beaumarchais' »Figaro«, den es Mode war, in den Himmel zu heben. Die ganze französische Literatur der siebziger Jahre scheint ihr äußerst mittelmäßig: »Gott weiß, alle die jungen Leute wollen mehr wie sie können und ich liebe die Köpfe, die da ohne Wollen von selbsten laufen, ohne sich aufzuziehen. Quand on devient vieux, je croix qu'on devient trop difficile et que c'est lá mon cas.«« Das mag wohl sein; doch beurtheilt sie auch ihre eigenen Altersgenossen höchst unbefangen: »In diesem Jahrhundert haben sich auch Kerle gefunden, die ohne Genie zu haben wie Voltaire schreiben wollten. Sie glaubten, dazu reiche es hin, elegante Phrasen zu drechseln oder auch dreist und keck über Alles in den Tag hineinzureden. Wenn ich das sehe, sage ich: Lieber Gott! Das ist's nicht, Das ist's nicht. Schreibt nicht stark, wenn Ihr keine starke Seele habt, schreibt nicht kühn, wenn Ihr weder Genie noch Anmuth habt.« Fielding und Sterne sind ihre Lieblingsautoren, wie man's von ihr erwarten darf. Ihre Kunsturtheile sind weniger unabhängig: in der Malerei läßt sie sich ganz von Diderot leiten, in der Musik von Grimm. Sie kauft Bilder über Bilder, läßt Paësiello nach Petersburg kommen, um seine Opern zu dirigieren, Falconet um Peter's Statue auszuführen; Der 17. Band vorliegender Sammlung der k. russ. hist. Gesellschaft enthält ihre Korrespondenz mit Falconet. sie bewundert Angelica Kaufmann und Houdon, Mengs und Pigalle, das versteht sich von selbst; zieht gegen Gluck los, der seine Opern in Paris »brüllen« läßt –, ob Grimm das so durchaus gebilligt hätte, bezweifle ich – kurz, sie folgt dem Strom.

Wie ihre literarischen Urtheile, so ist ihr Stil stets originell, manchmal etwas sehr nachlässig, oft unkorrekt, nicht immer klar, sie mißbraucht das Recht der Anakoluthie auf's keckste, auch ist sie zuweilen derber als nöthig; aber welche Natürlichkeit, welches Leben! So ist z. B. ihr Brief über Cagliostro's Abenteuer in Rußland (9. Juli 1781) ein Muster der raschen, leichten Erzählung, das an Sévigné'sche Anekdoten erinnert, wenn auch sonst die Feinheit, Classicität, und das Malerische von Mme. de Sévigné nicht gerade Das ist, was Katharinas Briefe auszeichnet. Dagegen sind ihre Portraits meist sehr gelungen; ich erinnere nur an die Panin's und Orlofs, als sie den fast gleichzeitigen Tod der Beiden erfährt (20. April 1783). Vor Allem aber ist sie glücklich im Ausdruck allgemeiner Ergebnisse ihrer Lebenserfahrung und ihres Nachdenkens, im Hinwerfen bedeutender Anspielungen auf solche Ergebnisse. »Nein, mein Bruder G. schafft nicht, sagt sie von Gustavs III. Reformbestrebungen; er bringt kein Leben hervor; aus dem Miste entstehen die schönsten Blumen, wenn der Samen da ist ... (Ich überspringe eine Stelle, da die Kaiserin weniger zartfühlend in ihren Vergleichen ist, als unsere heikle Leserwelt.) Freilich ist auch da Geburt und Schöpfung, aber wie so viele Geburten und Schöpfungen gehet's vor sich, ohne daß man daran denkt.« Ein andermal spricht sie von Ahnungen und Prophezeiungen: »Die, welche genialen Menschen wie durch höhere Eingebung zu Theil werden, sind gewöhnlich das Ergebnis sehr tiefer, längst gemachter Kombinationen; es sind Schlußfolgerungen, welche das Genie aus oder nach früheren Forschungen des Geistes, des Verstandes, der Erfahrung zieht.« »Gott segne die mittelmäßigen Paßgänger, sagt sie von den ihr so verhaßten Menschen, die sich für und gegen Nichts erwärmen können. » Ihre Seele ist ruhig zwischen und unter allen Herrlichkeiten dieser Welt; ja sie sind glücklich; sie gehen sehr indifferent, so ganz gelassen herum; gut ist gut und schlecht ist schlecht, immer einerlei und Alles nehmen sie vorlieb und lassen sich's gefallen, Alles ist gesehen und gethan in wenig Zeit, denn an Nichts verliert man sie« (die Zeit). Und über die Stolzen: »Ich weiß wie schwer es ist, dem Menschen Vernunft beizubringen, wenn der Himmel ihn mit Stolz straft oder beschenkt ( punit ou munit); dann sind alle seine Organe geschlossen für Alles, das man ihm sagen könnte; was er sieht, imaginiert, meint und Alles was die anderen denken und sagen, und wär's das Beste in der Welt, ist nur eine Beleidigung gegen seinen Stolz; ein Stolzer ist berauscht von seinem Stolz; ich habe deren gesehen, ich male sie nach der Natur.« Vielleicht auch ein wenig nach dem Spiegel?

Wie das ganze Jahrhundert hatte sie natürlich auch eine Schwäche für Pädagogie; sie erkundigt sich immer sehr eifrig nach dem Dessauer Philantropin, liest selbstverständlich Basedow, Pestalozzi, »Emile« und »Emilie« – Grimm's Busenfeind und Busenfreundin – vor Allem aber ist's die Erziehung ihrer eigenen Enkel, die sie beschäftigt und, was man auch von den Ergebnissen dieser ihrer Erziehung denken mag, die Grundsätze, nach denen sie dieselbe leitete, waren ausgezeichnet. Wenn die kaiserlichen Zöglinge, Alexander und Constantin, nicht die Hoffnungen ihrer Großmutter und Erzieherin rechtfertigten, so war's eben, weil die Natur stärker ist als die Erziehung. Die konnte zwar viel zu Wege bringen; den Charakter konnte sie nicht ändern. »Herrn Alexander überlassen sie nur sich selber. Warum soll er durchaus denken und wissen, wie man gedacht hat oder was man gewußt hat vor ihm? Lernen ist nicht schwer: aber meiner Ansicht nach müssen der Kopf und die Kopfesfähigkeit eines Kindes entwickelt werden, ehe man es mit dem Plunder der Vergangenheit betäubt; und aus diesem Plunder muß man auch dann noch wohl erwägen, was man ihm bietet. Mein Gott, was die Natur nicht thut, kann kein Lernen nicht thun, aber lernen erstickt oft Mutterwitz. Et rien de pire que les gens frottés d'esprit et de science selon feue Mm. Geoffrin.« Und über die Herrnhuter Erziehung: »Die Leute engen die Geister ein und haben außerdem auch die hohe Kunst, die Frauen furchtbar häßlich zu machen; nun ist es aber eines meiner Paradoxe, daß die Häßlichkeit des menschlichen Körpers, – weiblich oder männlich, einerlei – ein Erziehungsfehler ist und daß, wenn die Erziehung wirklich gut ist, Schönheit der Seele und Schönheit des Körpers Hand in Hand gehen, aus einander folgen.« Schön wurden denn auch die Enkel, zumal der, den sie nicht mehr erziehen konnte, der kleine Nicolaus, der wenig Monate vor ihrem Tode auf die Welt kam. Sie zeigt seine Geburt sofort an: »Er hat eine Baßstimme, mit der er furchtbar schreit: er ist eine Arschine weniger zwei Verschoks lang und seine Hände sind beinahe so groß als meine; mein Lebtag hab' ich keinen solchen Ritter gesehen. Wenn er fortfährt wie er anfängt, werden seine Brüder Zwerge neben diesem Kolosse sein.« »Ritter Nicolaus,« kann sie zehn Tage später melden, »ißt schon seinen Brei seit drei Tagen, weil er immer essen will. Ich glaube nie hat ein achttägiges Kind ein solches Mahl gehalten. Es ist unerhört. Alle Bonnen sind überwältigt... Er mißt Euch alle Leute von Oben bis Unten und hält und trägt seinen Kopf wie ich.«

Wie groß der Platz war, welchen die Enkel, namentlich Alexander, im Leben der Kaiserin einnahmen, geht aus jedem dieser Briefe hervor. Immer hat sie etwas Neues zu berichten, von den Einfällen, den kleinen Charakterzügen, den Anlagen des Knaben. Sie scheint so recht, was man in Norddeutschland ein Kinderlieb nennt, gewesen zu sein. »Vorgestern, am 9. Februar, schrieb sie im Jahre 1794, waren es fünfzig Jahre seit ich mit meiner Mutter in Moskau ankam; es war auch ein Donnerstag, und folglich hatte ich meine fünfzig Jahre hier in Rußland zugebracht, und von diesen fünfzig Jahren herrsche ich zweiunddreißig, Gott sei Dank!« Und nun beginnt sie alle die Generationen aufzuzählen, die an ihr vorübergegangen sind, sowie die wenigen lebenden Ruinen, die sie als blühende Männer und Frauen empfangen hatten. »Das sind große Beweise des Alters, auch diese Erzählung verräth das Alter, nicht wahr, aber was ist zu machen, und trotz alledem liebe ich leidenschaftlich und wie ein fünfjähriges Kind zu sehen, wie man Blindekuh und alle möglichen Kinderspiele spielt. Die jungen Leute, sowie meine Enkel und Enkelinnen sagen, ich müßte dabei sein, sonst wären sie nicht lustig nach ihrer Art; und sie wären ausgelassener und freier, wenn ich dabei wäre, als ohne mich. Ich bin also ihr Lustigmacher.«

Auch eine gewisse Zärtlichkeit war der derben Matrone nicht fremd, sie liebte härter zu scheinen, als sie wirklich war, nur in der Politik verstand sie keinen Spaß. »Ich kann gut sein,« sagt sie einmal, »ich bin gewöhnlich sanft, aber mein Handwerk nöthigt mich, was ich will, gehörig zu wollen; und das ist ungefähr all mein Werth, nichts weiter; genug über mich selber.« Sie, die bekanntlich kein Todesurtheil unter ihrer Regierung vollstrecken ließ, kann gar hart werden, wenn es sich um einen Staatsverbrecher handelt; so über Pugatschef: »Den biedern Spitzbuben hätten wir; er hat offenbar nicht viel Urtheil, da er sich schmeichelt, er könne seine Gnade erhalten; vielleicht auch kann der Mensch nur leben, so lange er hofft und sich schmeichelt.« Ihr Stolz ließ sie auch oft herber erscheinen, als sie es im Grunde war; schon als junges Mädchen gesteht sie, »ich würde mich für erniedrigt gehalten haben, wenn man mir eine Freundschaft bezeugt hätte, die ich für Mitleiden hätte halten können«. Und doch,

se il mondo sapesse, il cuor ch' ella ebbe,
assai la loda e più la loderebbe.

In der That finden wir hier kaum einen Brief, wo sie nicht Grimm mit Wohlthaten beauftragt, und zwar immer mit der dringenden Bitte, »daß es ja nicht in die Zeitungen komme;« oft auch, daß die Betheiligten nicht erführen, von welcher Seite ihnen geholfen würde. Es ist bekannt, daß sie Diderot otium cum dignitate sicherte; und er war nicht der einzige der »Philosophen«, den sie unterstützte. Wie früher aber die Philosophen, so hatten später die Emigranten von ihrer verschwenderischen Großmuth zu sagen. Selbst die deutschen Schriftsteller, unter Anderen Sofie de la Roche, fanden an ihr einen Retter in der Noth. Und sie bezahlte nicht nur mit ihrer Börse, sondern auch mit ihrer Person. Rührend ist die werkthätige Güte, die sie der armen mißhandelten Auguste von Braunschweig angedeihen ließ, und nie ermüdete sie, dieselbe gegen ihren brutalen Gemahl in Schutz zu nehmen. Hatte sie doch selber Ähnliches in ihrer Jugend erfahren.

Es ist wahr, sie spricht oft von ihren früheren Geliebten mit einer Gleichgültigkeit, die uns verletzt, obschon sie eben nicht die einzige Frau ist, welche solche Meisterschaft im Vergessen gewisser Intimitäten übt: man denke an Charlotte von Stein, George Sand, Daniel Stern, die jene Virtuosität so weit trieben, ihre ehemaligen Geliebten vor der Welt an den Pranger zu stellen. Was anfangs als das Ungeheuerste des Lebens erschien, wird ihnen, nachdem das Weihevoll-Fruchtbare überwunden ist, eine zum Verhältnis gehörige Nebensache, ohne alle ideale Bedeutung, und damit geht denn auch ganz natürlich jene achtungsvolle Scheu verloren, welche die Männer doch immer für den Gegenstand einer früheren Liebe zu bewahren pflegen. Indeß ist Katharinens Bewegung beim Tode Orloff's eine tiefe, obschon ihr Verhältnis zu ihm seit zehn Jahren aufgelöst und er seit drei Jahren geisteskrank hinsiechte. Auch Potemkin's Tod erschütterte sie gewaltig. Es war freilich mehr der Freund, der Mitarbeiter, den sie in ihm beweinte, als den Geliebten, denn schon lange hatte ein Andrer ihr ganzes Herz gewonnen. Es war dies der junge General Lanskoi – sie nannte ihn immer nur das Kind – und diese Herbstliebe der alternden Herrscherin scheint denn auch nächst der Liebe zu ihren Enkeln, das innigste Gefühl gewesen zu sein, das je Macht über sie gewann. Sein unerwarteter Tod war ein Schlag, den die Fünfundfünfzigjährige nicht wieder überwand. – »Als ich diesen Brief anfing,« schreibt sie am 2. Juli 1784, »war ich im Glück und der Freude und meine Tage vergingen so schnell, daß ich nicht wußte, was aus ihnen wurde. Dem ist nicht mehr so, tiefer Schmerz erfüllt mich, es ist aus mit meinem Glück, ich wäre beinahe selbst an dem unersetzlichen Verluste gestorben, den ich vor acht Tagen erlitten habe. Mein bester Freund ist nicht mehr, ich hoffte er würde die Stütze meines Alters werden, er gab sich Mühe, er gewann täglich, er hatte alle meine Neigungen angenommen, es war ein Jüngling, den ich erzog, der dankbar war, sanft und redlich, der all meinen Kummer theilte, wenn ich welchen hatte, und der sich über meine Freuden freute; in einem Wort schluchzend muß ich sagen, General Lanskoi lebt nicht mehr. Ein böses Fieber hat ihn in fünf Tagen in's Grab gebracht und mein Zimmer, sonst so angenehm für mich, ist eine leere Höhle geworden, in der ich Mühe habe, mich herumzuschleppen wie ein Schatten ... Doch bin ich seit gestern wieder aus dem Bette, aber schwach und so schmerzlich angegriffen, daß ich kein menschliches Gesicht sehen kann, ohne daß Schluchzen mich am Reden verhindert. Ich kann weder schlafen noch essen, das Lesen langweilt mich und das Schreiben geht über meine Kräfte. Ich weiß nicht, was aus mir werden soll, aber ich weiß, daß ich in meinem Leben niemals so unglücklich gewesen bin, als seit mein bester, lieber Freund mich so verlassen hat ... Ich kann nicht weiter.«

Nach einer Pause von zwei Monaten erzählt sie Grimm, Wie » à force de sensibilité j'étais devenue un être insensible à tout excepté à la seule douleur«, und wie ihre Freunde sie aus diesem Zustande herausgerissen, doch fügt sie stolz hinzu, daß sie »trotz dieses schrecklichen Zustandes« nicht die unbedeutendste ihrer Pflichten vernachlässigt habe. »Gestern war ich zum ersten Mal in der Messe und habe folglich zum ersten Mal Leute gesehen, und die Leute haben mich gesehen; aber es war eine solche Anstrengung, daß ich mich beim Zurückkommen in mein Zimmer so schwach fühlte, daß jede Andre in Ohnmacht gefallen wäre, etwas, was mir nie passiert ist.« Einige Wochen später, »alles greift mich an und ich habe nie gerne Mitleiden erregt, offenbar ist ein solcher Zustand nicht tödtlich, denn ich bin am Leben und bin nur sechs Tage zu Bette gewesen ... Gestern waren es drei Monate seit der unglücklichen Katastrophe, die mich zu einem einsilbigen Wesen gemacht ... Wenn Sie genau meinen Zustand wissen wollen, so will ich Ihnen sagen, daß ich noch immer untröstlich bin; die einzige Besserung ist die, daß ich mich wieder daran gewöhnt habe, Menschengesichter zu sehen, aber mein Herz blutet noch immer, wie im ersten Augenblick. Ich thue meine Pflicht und suche sie gut zu thun, aber mein Schmerz ist so, wie ich nie einen in meinem Leben gefühlt habe.« Ähnliche Stellen finden sich in allen Briefen der folgenden Jahre.. »Voriges Jahr um diesen Tag,« schreibt sie in ihrem altfränkischen Deutsch, »waren wir todtkrank und fast ohne Hoffnung. Nach vierzehn Tagen zwischen Leben und Tod kommen uns Freunde zu Hilfe; diese halfen, aber ich konnte die Hilfe nicht leiden, kein Mensch war im Stande zu reden, zu denken nach unsrem Sinn; dieser war traurig und man wollte ihn wieder lustig haben, nach der Gewohnheit, das war nicht das, Schritt für Schritt sollte man gehen und bei jedem Schritt war eine Bataille auszuhalten, eine zu geben, eine zu gewinnen, eine zu verlieren. Die Zeit blieb nicht stehen, sie verstrich, sie war lang und alles war zähe und langwierig; der Fürst aber (Potemkin) war sehr schlau, er schlich herum wie eine Katze, wenn ein Umstand nicht anging, so drehte er sich herum und hatte immer einen andren Anschlag fertig. Endlich wurde es etwas lustiger, dieses gefiel dem Herrn, er suchte es noch lustiger zu machen und so weckte er uns aus dem todten Schlaf auf.«

Ich will wahrlich aus der großen Kaiserin keinen weiblichen Werther machen, aber daß neben dem Ehrgeiz und der Ruhmsucht, welche die obersten Triebfedern ihres Lebens waren, auch ein hohes Pflichtgefühl ihre Schritte leitete, daß sie bei aller Sinnlichkeit und nicht abzusprechender Rohheit einer tiefen Empfindung fähig war, ist sicherlich nicht zu leugnen; daß an Wahrheitsliebe und Unabhängigkeit des Geistes ihr wenige Staatsmänner gleich kommen, das lehrt ein jeder dieser gewiß nicht für die Nachwelt berechneten Briefe.


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