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Am hellen Nachmittag rollte mein Wägelchen über das etwas unsanfte Pflaster der saubern kleinen Stadt und hielt vor dem Wirthshause zum rothen Engel. Schon unterwegs, auf der fünfstündigen Fahrt durch das schöne ebene Land in heiterer Herbstsonne, hatte ich es meinem Freunde Dank gewußt, daß er mich zu dieser Abschweifung von der trostlos geraden Eisenbahnlinie veranlaßt hatte. Ich trug eine Vollmacht von ihm in der Tasche, den Verkauf eines ihm vererbten Weingärtchens in der Umgegend der kleinen Kreisstadt abzuschließen, und einen Empfehlungsbrief an den Herrn Kreisrichter. Die Bekanntschaft des Mannes wird dich nicht gereuen, hatte mein Freund gesagt, und die Bekanntschaft der Gegend lohnt sich wahrlich auch. Wer weiß, ob ich das Stück Land, das mir jetzt zur Last ist, nicht einmal zurückkaufen werde, wenn ich um einen Winkel der Welt verlegen bin, wo man sich ohne Haß vor ihr verschließen und das Restchen Leben friedlich tropfenweise ausschlürfen kann.
In der That schien mir der Ort gleich auf den ersten Blick wohl dazu angethan. An der Schwelle der gelinde ansteigenden Vorberge lag der bescheidne Häuserhaufen schon von fern gesehen in großer Behaglichkeit da, während die Winzerhütten und kleinen Landhäuser sich lachend im Grünen über die Abhänge zerstreut und die weitere Aussicht in Besitz genommen hatten.
Der Wein, der hier wächst, ist unberühmt, aber, wie manche geringere Landweine, von einem sehr bestimmten Geschmack und zarter hellroter Farbe. Wer ihn nur einmal flüchtig gekostet, pflegt ihn hinfort unter die Getränke zu rechnen, die nicht die Gabe haben, das Menschenherz zu erfreuen. Die Landesünder und Andere, die sich in ihn hinein getrunken haben, verspüren dann und wann in der Gesellschaft der edelsten und kostbarsten Weine aller Zonen ein Heimweh nach ihm, das ich an mir selbst erleben sollte.
In der Gaststube zum »rothen Engel« war es um diese Stunde leer, wie denn auch die Gassen in tiefer Nachmittagsruhe lagen, als mein Gefährt hindurchrasselte. Der Wirth aber hatte sich tapfer sein Schläfchen abgebrochen und zu mir gesetzt, auch der Gelegenheit wahrgenommen, ein höfliches Glas mitzutrinken. Nach mancherlei Kriegs-, Staats- und Erntegesprächen kam er auf das Neueste vom Jahr, eine große Hochzeit der Bürgermeisterstochter mit dem Sohne des hiesigen größten Kaufmanns, dessen Laden mir, wie ich dem Wirth zu seiner nicht geringen Befriedigung sagen konnte, durch die Mannigfaltigkeit der ausgestellten Produkte und eine stattliche Spiegelscheibe, die einzige im Orte, im Vorüberfahren aufgefallen war. Das junge Paar ist gestern verreist, sagte der Wirth. Das ist ja die leichtsinnige neue Mode, während es sonst für das Beste galt, den Ehestand im eignen Nest anzufangen. Da bleibt nichts übrig, wenn das ledige junge Volk nicht um sein Tänzchen kommen soll, als eine Nachhochzeit, wie sie heut Abend drüben beim Brautvater gehalten wird. Die meisten meiner Abendgäste sind zwar geladen, aber ich fahre dennoch nicht schlecht dabei, fügte er pfiffig hinzu. Man hört die Musik über den Markt her deutlich genug, und wir lassen die Fenster auf. Es wird auf den Abend voll werden im rothen Engel, aber ein Plätzchen am Fenster soll Ihnen aufgehoben sein. Wäre jetzt noch ein Schöpplein gefällig?
Ich dankte, seinen Wein belobend, und bat ihn, mir den Weg zum Hause des Herrn Kreisrichters zu sagen, da ich mein Geschäft mit ihm bald zu erledigen wünschte. – Warten Sie, unterbrach sich mein Mann in einer sehr gewissenhaften Wegweisung, da kommt mein Heinrich eben aus der Schule und soll Sie begleiten. Der Herr Kreisrichter hält was auf ihn, wie er überhaupt hübsche Kinder und sauberes junges Volk gern um sich hat. Die Bürgermeisterstochter, die gestern geheiratet hat, war sein Augapfel, und alle jungen Mädel hat er am kleinen Finger, obwohl er schon in Jahren ist und sein Lebtag nicht war, was man eine schöne Mannsperson nennt. Schönheit vergeht, Häßlichkeit besteht, heißt's im Sprüchwort. Als er jung war, mögen sie sich nicht so arg um ihn gerissen haben.
Damit rief er seinen Buben, der draußen über den Flur gelaufen kam. Es war ein krausköpfiger lebhafter Junge mit schönen schwarzen Augen. Zutraulich faßte er meine Hand und wir wanderten zusammen unseres Weges.
Sie werden den Onkel jetzt zu Hause treffen, sagte mein kleiner Führer. Wenn die Birnen erst reif sind, geh' ich jeden Nachmittag mit Hans, dessen Vater nebenan wohnt, von der Schule aus an Onkels Garten vorbei. Sobald er uns sieht, ruft er uns herein, und wir dürfen sogar auf den Baum steigen. Hernach geht er wieder aufs Gericht, bis an den Abend.
Nicht lange, so hatten wir das Ende der Stadt erreicht, und mein Führer machte Miene, auch noch das Thor zu passiren. Wohnt der Onkel draußen? fragte ich.
Freilich, am Wall; es ist nicht mehr weit zu ihm.
Wir bogen links ab und betraten den schattigen Spaziergang, der auf den ehemaligen Schutz- und Trutzwerken des friedlichen Ortes hinlief. An einem altertümlichen grauen Hause stand der Knabe still. Hier! sagte er. Man sah durch eine Gitterthür neben dem Hause in den Garten hinein. Vorn in der Tiefe des früheren Stadtgrabens standen prachtvolle Nußbäume, die mit ihren Aesten bis an die oberen Fenster herüber reichten. Keine menschliche Seele außer uns genoß ihren Duft und Schatten zu dieser Stunde. Oben aber hörte man eine Geige aus dem geöffneten Fenster und die Vögel zwitscherten mit hinein.
Ist das der Onkel, der spielt?
Der Knabe nickte. Vater sagt, er spiele besser als unser bester Stadtgeiger. Aber er spielt keine Tänze, und fast immer aus dem Kopf.
Ich gab meinem kleinen Freunde die Hand und stand noch eine Weile unten an den steinernen Stufen, während der Knabe dem Thore zusprang. Meine gute Meinung von dem Onkel wuchs, je länger ich in die Fülle des grünen Laubes starrte. Es war ein überaus einsamlicher, erquickender Ort, und zugleich mußte in anderen Stunden eine lustig spazierende wohllöbliche Bürgerschaft die freundlichste Staffage machen.
So erstieg ich endlich, meiner Vollmacht froh, die saubere Treppe. Das untere Geschoß schien unbewohnt, wenigstens hingen die Epheuranken, mit denen die Wände des luftigen Flurs, wohin man blickte, übersponnen waren, wuchernd vor den Thüren und hielten Schloß und Thürgriff umklammert. Nun erscholl das Spiel der Geige voller in dem geschlossenen Raum des Treppenhauses, und da ich langsam stieg, den verstohlenen Genuß mir nicht selbst abzukürzen, war ich noch nicht zur Hälfte hinauf, als ein verwundertes Gesicht oben an den Stufen erschien. Der Mann hatte offenbar eine kurze Abfertigung auf der Zunge, denn ich sah, wie er mit sehr ungehaltener Geberde ans Geländer trat und den Besuch, der augenscheinlich die Stunde schlecht gewählt hatte, mit raschem Händewinken zur Umkehr bewegen wollte. Als er ein ganz fremdes Gesicht sah, ergab er sich in die Notwendigkeit einer wörtlichen Verständigung und ließ mich völlig heraufkommen.
Er trug einen langen hellen Sommerrock und Schuhe, und ein grauer Schnurrbart bemühte sich umsonst, den harmlosen Zügen einen martialischen Anstrich zu geben.
Ich fragte nach dem Herrn Kreisrichter und hielt ihm meinen Empfehlungsbrief entgegen.
Sie hören, daß der Herr Kreisrichter spielt, sagte er mit Achselzucken und einem mühsamen Anlauf zur Höflichkeit. Um diese Stunde besucht ihn sonst Niemand, mein Herr; es weiß ein Jeder, daß ich ihn dann nicht stören darf.
Ich entschuldigte mich, daß ich fremd sei und dieser schätzbaren Kenntniß bisher ermangelt habe. Dabei schob ich alle Schuld auf den Wirth und seinen Sohn. –
Diese unnützen Buben! fuhr er auf, gleichwohl die Stimme dämpfend. Von ihnen läßt sich der Herr Kreisrichter Alles gefallen. Wir haben keine eigenen Kinder, setzte er vertraulicher hinzu. Da denkt der Mensch immer Wunder welch ein Segen ihm abgeht, und dankt seinem Nachbarn, wenn der ihm vom seinigen borgt, so oft er ihm lästig wird. Manchmal haben wir den ganzen Garten voll, und die Taugenichtse fallen wie die Heuschrecken über Sträucher und Bäume her.
Ist keine Frau Kreisrichterin im Hause?
Der Alte schüttelte den Kopf. Wir sind nicht verheiratet, sagte er mit dem Tone eines Mannes, der mit Befriedigung, aber ohne Ueberhebung, sich eingesteht, weiser gehandelt zu haben, als die meisten seiner Nebenmenschen.
Während dieses halblauten Gesprächs an der Treppe wogte der schöne starke Ton der Violine immer auf und ab und fesselte mich so sehr, daß ich ganz vergaß, was mich hergeführt hatte. Der Alte schien durch mein respectvolles Lauschen gewonnen zu werden. Wenn Sie sich ganz ruhig verhalten wollen, sagte er, will ich Sie ins Vorzimmer treten lassen. Da hören Sie besser und können es ruhig abwarten, bis der Herr die Geige weglegt. – Er öffnete vorsichtig die nächste Thür, legte noch einmal den Finger auf den Mund und drückte, nachdem ich eingetreten war, die Thür von außen behutsam wie an einem Krankenzimmer ins Schloß.
Ich befand mich in einem überaus hellen, geräumigen Gemach, dessen drei tiefe Fenster, fast bis auf den Boden reichend, den Blick zwischen den Baumwipfeln über Hügel und fernes Gebirg frei ließen. Die reine Luft wehte herein und bewegte die weißen Vorhänge und die Blätter der hochstaudigen Gewächse, die in den Fensternischen standen. Einige Sessel, ein Sopha, dazu ein Schrank mit Musikalien, Alles einfach und bequem, machten das Mobiliar des kleinen Saales aus. Aber die schönsten Kupferstiche an den Wänden und in der einen Ecke, dem günstigsten Licht zugekehrt, die herrliche antike Statue des betenden Knaben nahmen dem Raum alles Ungastliche der Leere. Man sah einen feinen Sinn in der Auswahl der Bilder und in der Anordnung des Ganzen, und nur der gekräuselte Sand auf den Dielen erinnerte daran, daß der Herr Kreisrichter zu den Honoratioren einer kleinen Stadt gehörte.
Sehr zufrieden mit meiner Lage ließ ich mich auf einem der Sessel nieder, und indem meine Augen zwischen den Stuckarabesken des weißgetünchten Plafonds herumgingen, horchte ich mehr und mehr hingerissen dem Concert im Nebenzimmer.
Es war nicht allein das Fremde und Wunderliche meines Zustandes, das Unverhoffte und Heimliche, was mir den Genuß erhöhte; ich weiß es ganz bestimmt, daß ich niemals vor- und nachher so habe spielen hören. Offenbar war es freie Phantasie, denn es mischten sich gelegentliche Anklänge an bekannte Weisen ein, wie man im Erguß eines innerlichen Gesprächs dann und wann sich an ein schönes Wort eines Dritten erinnert, das die eigenen Gedanken schlagend zusammenfaßt. Aber wenn irgend Musik eine seelenbezwingende Macht hat, so hatte sie diese. Sie war ohne alles Pathos, ohne jegliche Rhetorik. Unscheinbar, ja sogar nüchtern bewegte sich bald dieses, bald jenes Thema, und wuchs unversehens, und verstärkte sich an ernster Energie der Behandlung, und hatte mich bezwungen, ehe ich mich dessen versah. Eine andere Melodie löste dann die erste ab und spielte leichter mit meinen Sinnen, bis die erste wieder auftauchte und daran erinnerte, daß sie ein älteres Recht auf mich hatte. Die dämonische Gewalt des Einfachen habe ich nie so deutlich an mir empfunden, wie hier. Wenn der heitere Herbsttag draußen selbst den Bogen geführt hätte, es hätte nicht mehr Stimme der Natur in seinem Spiel sich offenbaren können.
Und so verklang es auch ohne feierliche Schlußcadenz, wie der Wald plötzlich zu rauschen aufhört, wenn der Wind schweigt. Ich hörte einen eigenthümlich ungleichen Schritt und ein Klappen, aus dem ich entnahm, daß die Geige zur Ruhe gebracht wurde. Nun besann ich mich wieder, wo ich war, im Vorzimmer des Herrn Kreisrichters, eine gerichtlich beglaubigte Vollmacht in der Tasche.
Den alten Diener hörte ich jetzt durch eine andere Thür zu seinem Herrn treten und mich anmelden. Einen Augenblick noch, und er öffnete die Thür nach meinem Saal und bat mich, einzutreten.
Mit einer seltsamen Befangenheit trat ich über die Schwelle, und der Anblick, dem ich begegnete, war nicht geeignet, mich in die Stimmung eines Geschäftsbesuches sogleich zurückzuführen.
Das Gemach war kleiner, aber nicht minder hell, und durch einen Teppich wohnlicher, als das erste. Ein großer Schreibtisch stand mitten im Zimmer zwischen den tiefen Fenstern, zu beiden Seiten mächtige Oleanderbüsche in voller Blüthe. Die Wand mir gegenüber war mit einem einzigen großen Bilde geschmückt, einer Copie jenes wunderbaren Meisterstücks des ältern Palma, das über dem Seitenaltar in Santa Maria Formosa zu Venedig steht: die heilige Barbara im dunkelrothen Gewand, das Haar goldbraun, die lebendigen Augen ernsthaft auf den Beschauer gerichtet. Unter dem Bilde stand ein niedriges Canapee, ein Tischchen davor. Sonst kein Bild in dem ganzen Zimmer und die übrigen Wände mit Bücherschränken verstellt.
Am Tische stand der Kreisrichter.
Ich hatte die Worte meines Wirths, die mich auf die Bekanntschaft eines nicht eben schönen Mannes vorbereiteten, über dem Concert gänzlich vergessen. Ich war auf einen einfachen, rüstigen und stattlichen Mann gefaßt, dessen heiter vornehmes Gesicht in den Rahmen dieses Hauses wohl hineinpaßte. Fast das völlige Widerspiel meiner Erwartungen stand mir gegenüber.
Eine hochaufgeschossene, unreife Gestalt, wie eines zu rasch gewachsenen Knaben, ungeschickt in den Kleidern hängend, trug einen Kopf von der entschiedensten Häßlichkeit. Der Blick eines einzigen hellgrauen Auges fiel mir ruhig entgegen, das andere, das zu fehlen schien, war von der Wimper verschlossen, die Nase und der untere Theil des Gesichts sehr schmal und verkümmert; man konnte nicht glauben, daß jemals das Roth der Jugend auf diesen Lippen und Wangen geschimmert hatte. Die Stirne sprang vor, wie in alten Häusern das obere Geschoß über dem untern, breit und hoch; einige Büschel fahlblonder Haare hingen darüber herab. Aber selbst diese bedeutende und ungewöhnliche Bildung des Schädels vermochte die Nüchternheit des Gesichts nicht sonderlich zu beleben und die Häßlichkeit zu einer solchen zu machen, welche die Franzosen le beau du laid zu nennen pflegen. Ich habe nie einen Kopf von so erloschenem Colorit gesehen.
Nicht minder unglücklich war die Haltung der Gestalt. Der Kopf neigte sich leicht auf die linke Seite, der linke Arm war offenbar ein wenig kürzer, als der rechte, und wie der Mann an dem Tische stand, auf den rechten Fuß gestützt, den linken mit der Spitze gegen den Teppich gestemmt, war es unzweifelhaft, daß sich die Uebervortheilung der linken Seite bei der Vertheilung der natürlichen Gaben bis auf den Fuß herab erstreckt hatte.
Unwillkürlich glitt mein Blick von der seltsam vernachlässigten Mannesgestalt auf das Bild der Heiligen, das in sicherer Fülle der Schönheit fröhlich neben ihm blühte und den goldenen Rahmen verdunkelte.
Er weidete sich offenbar an meinem Erstaunen, und ich sah ein sehr feines Lächeln über seine Züge fliegen. Dabei öffnete er leise die Lippen, und eine Reihe der schönsten Zähne gab plötzlich dem unscheinbaren Munde Reiz und Adel.
Sie müssen das Original des Bildes gesehen haben, fing er an, ohne eine weitere Vorstellung meinerseits abzuwarten. Ich sehe es an Ihren Augen, daß Sie es nicht zum erstenmale bewundern. Dieser Copie hier, obwohl sie mit Sorgfalt und Verstand gemacht ist, fehlt denn doch gerade das, was an der ächten Barbara auf den ersten Blick hinreißt.
Dabei hatte er den Kopf flüchtig nach dem Bilde gewandt und war von dem Tisch zurückgetreten. Seine Bewegungen waren rasch und frei, das Auge glänzte zu dem Gemälde hinauf, und seine Stimme klang voller und tiefer als man der schmalen Brust zugetraut hätte.
Ich sagte ihm, daß ich allerdings die kaum verjährte Erinnerung an dieses Bild aufs Lebendigste Zug für Zug in mir trüge.
Sie werden Sie behalten, so lange Sie leben! sagte er feierlich; dann in leichterem Ton: Werden Sie glauben, daß ich mit diesem Bilde schon Todte erweckt habe?
Ich sah ihn fragend an.
Verstehen Sie mich, fuhr er lächelnd fort, meine Todten gingen aufrecht auf ihren Füßen herum, aßen, tranken und schliefen, und Einige trieben den Hochmuth so weit, daß sie sich sogar einbildeten, zu wissen, was Leben sei. Und doch waren es Menschen ohne Lebensflamme, wie sie eine kleine Stadt denn eben vielfach beherbergt. Wenn sie mich lange genug gedauert und geärgert hatten, führte ich sie auf die Stelle, wo Sie jetzt stehen. Da kamen sie nach und nach zu sich und wurden demüthig, und die Schuppen fielen ihnen von den Augen. Wo es nicht zündete, war sicher ein Stein in der Brust. Aber ich hüte mich wohl, mein Wunder zu oft zu thun. Manche gute Gesellen sind eben zu schwach, das Leben zu ertragen; es macht sie unglücklich, wenn man sie ihrem Scheintod, ihren mittelmäßigen Wünschen, ihren engen Bedürfnissen entreißt. Die Schönheit ist nur für den frommen Mutigen, der keine Götzen haben will neben ihr. Für die Anderen – ist das!
Mit diesem Worte zog er einen grünen Seidenvorhang an einem Schnürchen über das Bild. Im Nu ist es dunkler im Zimmer, sagte er ernsthaft. – Aber Sie kommen in Geschäften. Dafür giebt uns die Sonne draußen Licht genug.
Er schob mir einen Sessel neben den Schreibtisch und setzte sich selbst. Nachdem er den Brief gelesen und die Vollmacht geprüft hatte, sagte er: Bis auf den Einen Punkt, der mit dem Käufer mündlich zu erledigen ist, steht dem Vollzuge des Kaufs nichts im Wege. Ich kann Sie zu jenem Herrn führen, mit dem Ihr Freund in Unterhandlung steht, und die Sache ist mit drei Worten und einem Federzug abgethan. Eilt es Ihnen mit der Abreise? Gut, so machen wir uns unverzüglich auf den Weg. Wollen Sie aber die Nacht darangeben, so fügt sich Alles besser. Ich mache es mit dem Wirth schon aus, daß Sie mein Gast sind und unter meinem Dach übernachten. Auf den Abend lade ich Sie zu einer Tanzgesellschaft bei unserm Bürgermeister, meinem braven alten Freund. Dem Käufer des kleinen Grundstückes werden Sie dort ebenfalls begegnen und können bei einem Glase Wein den Handel freundschaftlich ins Reine bringen. Ich sehe es Ihnen an, daß Sie bleiben. Machen Sie mir die Freude! –
Ich schlug in die herzlich dargebotene Hand. Wie schlecht verstünde ich mich auf meinen Vorteil, sagte ich, wenn ich solcher Bitte widerstehen könnte. Leider haben Sie keinen Tänzer an mir.
Wenn die Mädchen damit zufrieden sind, ich lasse mir's schon gefallen, einen bloß schauenden Menschen neben mir zu haben. Die Jugend hier ist gesund, und das ist in jungen Jahren die halbe Schönheit. Auch haben sie noch Race. Achten Sie auf die feine Form der Köpfe und die Schläfen, und im Gang und Tanz und Sitzen die natürliche Anmuth. Väter und Mütter sehen das wohl auch und mögen es auch gern von mir hören; wenn sie es nur völlig zu schätzen wüßten! Aber von dem ersten besten jungen Fant hören sie es doppelt so gern.
Ich habe Sie da gleich mit meiner Schwäche bekannt gemacht, fuhr er heiter fort, indem er aufstand. Allein ich habe ein Vertrauen zu Ihnen gefaßt; und auch das kommt von oben, wie alles Gute. Lassen Sie mich's denn genießen, was mir nicht oft beschieden ist, meinem alten Hange nachzuhängen, ohne daß mich meine biedern Nachbarn für einen Narren halten, dem man vieles hingehen lassen muß, weil er sonst eine ehrliche Haut ist. Sie sind in Italien gewesen. Sie wissen, wie einem Herz und Augen zuweilen übergehen.
Er rief dem Diener und ließ sich den Hut bringen. Jetzt in die Kanzlei, sagte er, und Abends zu Ihnen in den Engel, Sie zum Fest abzuholen.
Wir gingen zusammen den grünenden Treppenflur hinab. Ein Schwalbenpaar flog durch das offne Fensterchen schwirrend hinaus. Dort im Winkel ist ihr Nest, sagte der Kreisrichter. Das sind meine sommerlichen Hausgenossen und die einzige Familie hier am Ort, deren Kinder sich nicht an den Onkel gewöhnen wollen. Es muß wohl an ihnen liegen, denn ich habe die Gelbschnäbel herzlich gern.
Damit traten wir auf den Wall hinaus, und mein Gastfreund machte mich auf einen Weg aufmerksam, der quer durch den schattigen Grund in die jenseitigen Hügel hinüberlief. Er führt Sie auf einen Punkt, wo Sie die ganze Herrlichkeit unseres Städtchens überschauen. Möge sie Gnade vor Ihren Augen finden.
Ich folgte dem Fußweg, während er dem Thor zuwanderte. Hinter einem der Bäume blieb ich stehen und sah ihm nach, wie er mit seltsam schleifendem Gang, das Haupt auf die Seite geneigt, von den spielenden Sonnenlichtern überflogen unter den Bäumen hineilte, die Arme auf dem Rücken, bei aller Ungestalt und Verwahrlosung des Aeußern eine wohlthuende Erscheinung. Oder waren meine Augen schon von seiner Stimme bestochen?
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