Elisabeth von Heyking
Der Tag Anderer
Elisabeth von Heyking

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Über einen Hund und die Monroe-Doktrin.

Shorty war ein weißer, braungefleckter Hund unbestimmter Gattung, aber die besten Rassen der Alten Welt hatten offenbar bei seinem Pedigree mitgewirkt und hatten auf einem der Entwicklung neuer Typen so überaus günstigen Boden dazu beigetragen, ihn zu dem zu machen, was er war – zu einem Hunde unbegrenzter Möglichkeiten, wie solche nur jenseits des Ozeans im Lande der Zukunft vorkommen.

Unternehmungslust und trotzigen Kampfesmut hatte Shorty von jenen fernen Ahnen ererbt, die als Begleiter der ersten Auswanderer von Europa nach Amerika gekommen waren, und die im Laufe der Evolution entstandene Potenzierung dieser Eigenschaften hatte sich bei Shorty zu dem Bewußtsein verdichtet, jedem Gegner gewachsen zu sein.

Shorty war kein Luxushund, und die alten Kavaliere, die einst nach Virginia gekommen waren und ihr Hundeideal in jenen King Charles gesehen hatten, deren hochmütig weltfremde Augen uns aus 168 manchen Gemälden Van Dycks anblicken, würden vielleicht wenig Gefallen an dieser neusten Incarnation der caninen Idee gefunden haben, aber dem heutigen Kenner würden die gedrungene Gestalt, das muskulöse Genick und die festen, glänzenden Zähne keinerlei Zweifel gelassen haben, daß Shorty ein zeitgemäßer Hund sei, der überall seinen Platz behaupten würde und mit dem gerechnet werden müsse.

Patriotische Gesinnung war Shorty eigen. Er empfand eine bedingungslose Bewunderung für das Land, dem er entsprossen war, hielt es ohneweiters für das erste der Welt, und war fest davon überzeugt, daß es nichts Schöneres auf Erden wie die Straßen Washingtons gäbe. Alles Fremde erfüllte ihn mit tiefem Mißtrauen, für ihn stand fest, daß es auf amerikanischem Boden nur schädlich wirken könne und daß es daher gelte, es sich möglichst vom Leibe zu halten. So war denn Shorty ein energischer Vertreter amerikanischer Abwehrpolitik und ein Bekenner jener Doktrin, die, in seine Sprache übersetzt, bedeutet, daß kein europäischer Hund sich auf amerikanischem Boden einen Knochen holen dürfe. Und wenn es je einen Hund gegeben, dem solche Gesinnung im Blute liegen mußte, so war es sicherlich Shorty, denn eine Urahnin von ihm war es ja gewesen, die an jenem denkwürdigen 169 2. Dezember 1823 den Boten begleitet hatte, der vom Weißen Hause in Washington des Präsidenten Monroe Botschaft nach dem Kapitol getragen hatte, durch die dem versammelten Kongreß die Doktrin verkündet worden war, daß der Zutritt zu den amerikanischen Jagdgründen den europäischen Mächten für immer untersagt sein solle. Nachdem der Bote damals das Schriftstück auf dem Kapitol übergeben hatte, war er auf dem Rückwege in ein Speisehaus eingekehrt und hatte von seiner Mahlzeit einen saftigen Knochen der ihn begleitenden Stammmutter Shortys zugeworfen; hierauf hatte sich in dieser die Vorstellung gebildet, daß die Monroe-Doktrin mit dem Begriffe eines guten Mahles unzertrennlich verbunden sei; durch Vererbung war diese Vorstellung auf Shorty übergegangen.

Dieser mit so bemerkenswerten Instinkten ausgestattete Hund gehörte Mr. Short, Leutnant in Fort Miles bei Washington, und die Regimentskameraden seines Herrn hatten ihn mit dessen Spitznamen »Shorty« benannt, als er noch ein hilfloses Hundebaby war, das, mit schwerem Kopfe und allzu großen Pfoten, einem kleinen, weichen, weißbraunen Knäuel gleich, im Stroh des Regimentsstalles die Tage verschlummerte.

Seitdem Shorty herangewachsen war, begleitete 170 er seinen Herrn auf allen Ritten. Manchmal lief er ernst und zielbewußt neben dem Pferde her, oft auch jagte er fröhlich bellend vom Wege ab, scheuchte einen Vogel auf, verfolgte ihn weithin durch die Felder und kam dann keuchend und selbstzufrieden, wie so mancher nach unnötiger selbstgeschaffener Arbeit, zu seinem Herrn zurückgesprungen.

Während der letzten Woche aber waren sie beide nicht wie sonst allein durch die Wälder gestreift. Zu Shortys größter Verwunderung hatte Leutnant Short eines Tages zuerst den Weg zum »Arlington-Hôtel« eingeschlagen, wo alsbald eine schöne junge Dame erschien, die sich von ihm auf ein bereitstehendes Pferd heben ließ und mit ihm ein paar Stunden spazieren ritt. Da sich dies von da ab alle Tage wiederholte, so mußte die junge Dame wohl reichlich Gelegenheit haben, sowohl die Umgegend Washingtons wie Leutnant Short und seinen Hund kennen zu lernen.

Die schöne junge Dame hieß Miß Beatrix Sharemill und war die Tochter des großen Eisenbahnunternehmers, der wochenlang in Washington mit dem Syndikat unterhandelt hatte, für das er den durch Mexiko führenden Teil der neugeplanten »Panamerikanischen Behring-Magelhaen Elektroschnellbahn« bauen sollte. Seine Frau und Tochter 171 hatten ihn nach Washington begleitet, und Miß Beatrix, die kurz vorher den letzten Schliff in einer höheren Schule erhalten, hatte sich in der Hauptstadt amüsiert, wie es eines jeden amerikanischen Mädchens gutes Recht ist. Sie war bei einem Empfang im Weißen Hause gewesen und hatte ihrem Staatsoberhaupt die Hand geschüttelt, sie hatte zahllose Jours, Diners und Bälle mitgemacht – und sie war oft und lang mit Leutnant Short spazieren geritten.

All dies sollte nun ein Ende finden. Mr. Sharemills Verhandlungen waren abgeschlossen. In wenigen Stunden wollte er mit seiner Familie nach Mexiko abreisen.

Beatrix, die es verstand, die fliehenden Augenblicke stets möglichst angenehm auszufüllen, hatte diesen letzten Morgen zu einem Ritt mit Mr. Short benützt. Daß diese Ritte unendlich viel für ihn bedeuten, wußte Beatrix längst, und es hatte zuweilen des ganzen Geschicks bedurft, das jeder Amerikanerin eigen ist, um eine von ihm versuchte Aussprache durch einen Scherz abzulenken. Aber er war ja ein mittelloser Leutnant, der selbst auch binnen wenigen Tagen Washington verlassen sollte, um sich mit seinem Regiment nach den Philippinen einzuschiffen – da galt es, keine Dummheiten machen und nicht etwa sich beiden das Leben 172 durch eine aussichtslose Verlobung erschweren. Daß nichts Ernstes zwischen ihnen bestehen konnte, hatte sie von Anfang an gewußt, aber das war ihr nicht als hinreichender Grund erschienen, warum sie nicht die Freuden eines kameradschaftlichen Flirts mitnehmen sollte.

Shorty hatte die beiden wie immer so auch auf diesem letzten Ritte begleitet.

Nun waren sie zurückgekehrt. Mr. Short hatte Beatrix vom Pferde gehoben, und sie standen noch einen Augenblick in der Straße vor dem »Arlington-Hôtel.« Der Leutnant strich nervös mit der Hand über sein glattrasiertes Kinn und hätte gern vieles gesagt, fand aber keine Worte. Beatrix dagegen beherrschte die Situation: »Ja, nun leben Sie wohl, Mr. Short! Unsre Ritte waren so nett, und wir sind immer so gute Freunde gewesen! Ach, aber Ihrem Hund, unsrem treuen Begleiter, dem muß ich doch auch noch Adieu sagen.«

Mr. Short pfiff, und Shorty kam fröhlich angesprungen. Sein Herr hob ihn an den Falten des lose hängenden weißen Genickfelles in die Höhe und hielt ihn dem jungen Mädchen hin.

»Was ich sagen wollte, Miß Trixy«, stammelte er, »wollen Sie mir die Freude machen, Shorty zum Andenken anzunehmen?« Und als sie eine erstaunte Gebärde machte, setzte er rasch hinzu: »Ich 173 bitte Sie drum. Es ist ja auch ein gutes Werk – in Manila wäre mir der Shorty nur im Wege.«

Sie lächelte. »Nun gut, Mr. Short, ich werde ihn nehmen. In Manila würde Ihnen wohl manches nur im Wege sein. Sie und ich – wir sind ja gute Kameraden – und wir müssen uns nun jeder seinen Weg bahnen – Sie in den Philippinen, ich in Mexiko.«

Sie nahm den Hund auf den Arm und reichte Mr. Short noch einmal die Hand, und dann trat sie rasch ins Hôtel. – Solch letzte Augenblicke waren doch recht peinlich!


Die lange Fahrt dauerte nun schon drei Tage. Der Zug, an den Mr. Sharemills Privatwaggon als letzter angehängt war, hatte Neu-Orleans sowie San Antonio Texas längst passiert und den Rio Grande del Norte und mit ihm die mexikanische Grenze überschritten. Durch eine unabsehbare Sandwüste führte nun der Weg, blendend weiß lag sie da unter dem blauen Himmel; hie und da erhoben sich einige seltsam geformte Kakteen, die verkrüppelten Gestalten glichen, deren Glieder sich im Schmerze winden; blaßviolette Schatten warfen sie auf die weiße Fläche. Manchmal fuhr ein scharfer Windstoß über die Wüste, dann erhoben sich hie 174 und dort kleine Staubwolken, die vom Wirbel erfaßt, zu Sandsäulen wuchsen und gespenstisch über die Ebene jagten, um ebenso plötzlich, wie sie erstanden, auch wieder in sich zusammenzusinken. Um die Mittagsstunden wehte der Wind am stärksten; dann war es, als käme er von allen Seiten zugleich gepfiffen und als höbe er die ganze Wüste in die Höhe, so daß sie die Luft erfüllte und verdunkelte. Der Zug keuchte durch den feinen Sand, der durch Doppelfenster und Türen drang und sich beklemmend, einer ungreifbaren Last gleich, auf die Menschen legte.

Mr. Sharemill schenkte den Naturerscheinungen als solchen nie viel Beachtung, sie waren für ihn nur Faktoren, die es in seinem Beruf zu bekämpfen oder auszunützen galt. Mit seinen zwei Sekretären saß er während der ganzen Fahrt in dem als Studierzimmer eingerichteten Teil des Waggons, diktierte ihnen Briefe und besprach technische Einzelheiten des Baues der künftigen panamerikanischen Bahn, dieses Riesenwerkes, das von der Behringstraße bis zur Magelhaens-Meerenge den ganzen Weltteil durchziehen sollte, um, einer gewaltigen eisernen Kette gleich, die entferntesten Länder des Kontinents an die große Schwesterrepublik des Nordens anzuschmieden.

Mrs. Sharemill lag während der Fahrt 175 abwechselnd zu Bett oder in einem Schaukelstuhl. Sie war eine schmächtige, blasse Frau, die neben den kraftvollen Persönlichkeiten ihres Mannes und ihrer Tochter wenig Beachtung fand. Wäre sie befragt worden, so hätte sie sicher gesagt, daß ihr das Schicksal der hispano-amerikanischen Schwesterrepubliken völlig gleichgültig sei und daß sie nichts von der Ausbreitungspolitik der Vereinigten Staaten halte, die für sie persönlich die unbequeme Folge dieser Übersiedlung nach Mexiko aus dem heimatlichen Dakota mit sich brachte.

Beatrix saß meist in einem niederen Strohsessel an einem Fenster des Waggons und blickte melancholisch auf die trostlose Öde draußen. Sie kam sich wie eine Märtyrerin töchterlichen und patriotischen Pflichtgefühls vor, daß sie sich von den sozialen und Herzensfreuden Washingtons getrennt hatte, um ihrem Vater in diese Gegend zu folgen. Es war das erstemal, daß Beatrix in ihrem kurzen, frohen Leben der Niedergeschlagenheit und Wehmut begegnete – und, wie alle jungen Menschen in solcher Lage, dachte sie, daß sie diese Gefährtinnen nie wieder los werden würde.

Shorty hatte sich sogleich in dem Waggon zu seinem Lieblingsplatz ein Sofa erkoren, auf dem eine weiche Reisedecke lag. Zusammengerollt ruhte er dort und knurrte jeden an, der Miene machte, 176 sich in seine Ecke zu setzen, denn er wollte offenbar die Decke als sein anerkanntes Reich und das Sofa als seine stillschweigend zugestandene Interessensphäre betrachtet wissen. Nur wenn er Beatrix sehr melancholisch sah, verließ er seinen Sitz, sprang auf ihren Schoß, drückte seine schwarze Trüffelnase neben ihrem zierlichen, weißen Stumpfnäschen gegen die Scheiben und starrte so mit ihr hinaus.

Das, was Shorty vom weiteren amerikanischen Weltteil durch das Waggonfenster an sich vorbeiziehen sah, gefiel ihm gar nicht; die Gegend und die Stationen, die Hunde und die Menschen in den Stationen erschienen ihm recht minderwertig. Da sah es in Washington denn doch ganz anders aus!

Shorty war ein viel zu kluger Hund, um nicht längst gemerkt zu haben, daß Mr. Sharemills Reise keine gewöhnliche Reise sei, sondern daß es sich bei ihr um höhere Zwecke handle, die Shorty kurz und bündig als das Ergattern eines neuen Knochens bezeichnet haben würde, die aber Mr. Sharemill als die erhabene Mission pries, den Betrieb dieser verschlafenen Gegenden mit amerikanischem Schneid in die Hand zu nehmen. Es gab da ja auch wahrlich ein weites Feld für Verbesserungen! Shorty brauchte nur die elenden, halbverhungerten Hunde zu betrachten, die sich an den Stationen um 177 Abfälle stritten, die er selbst verachtet hätte, um sicher zu sein, daß hier nicht alles war, wie es sein sollte. Nur darüber empfand Shorty bei dieser Reise zuweilen Bedenken, ob jene, die da auszogen nach dem Knochen, sich auch vorher genau seines Wertes vergewissert hatten – was ihm in seiner Hundesphäre stets als Grundsatz praktischer Politik erschienen war. Seitdem er weiter und weiter in der Wüste vordrang, überschlich ihn zuweilen, einer Beklemmung gleich, die Angst, ob er hier nicht vielleicht ahnungslos in einen jener phantastischen Züge hineingeraten sei, wie die Weltgeschichte deren etliche kennt, wo die Teilnehmer voller Zuversicht und Glauben an die Bedeutung ihres Zieles auszogen, die Nachwelt aber mitleidig die Achseln zuckt und meint, daß das Objekt denn doch kaum den aufgewandten Mitteln entsprochen hätte. Aber wie so mancher, der sich in die Abenteuer der Weltpolitik gestürzt, empfand Shorty dunkel, daß, wenn gewisse Würfel einmal gefallen sind, es kein »Zurück« mehr geben kann, daß es bei all solchen Zügen einen Rio Grande del Norte gibt, nach dessen Überschreitung die Losung nur noch »Vorwärts« heißen kann, weil die Frage des Hungers zur Frage der Ehre geworden ist, weil man einen Knochen, auf den man einmal die Pfote gelegt, nie fahren lassen darf – – als noch so 178 minderwertig er sich mittlerweile auch erwiesen haben mag.

Manchmal hielt der Zug mitten in der Wüste, als sei er des Weiterkeuchens durch diese unendlich traurige Gegend überdrüssig geworden und wolle nun nicht mehr weiter – wenigstens war kein andrer Grund zum Halten zu finden, am allerwenigsten in den kleinen, armseligen Lehmhütten, die wie zufällige Bodenerscheinungen sich aus der weiten Sandfläche erhoben und die entweder in wohlklingendem Spanisch nach einem Heiligen genannt waren oder irgend einen unaussprechlichen indianischen Namen trugen.

An solch einer Station waren Beatrix und Shorty ausgestiegen und im Sande auf und ab gegangen, denn sie gehörten beide zu den Geschöpfen, denen Bewegung auch unter erschwerenden Begleitumständen Bedürfnis ist, und sie sahen die Welt stets freundlicher an, sobald sie ein paar hundert Schritte auf ihr gegangen waren.

Wie eine arme kleine Insel, die bald von den Sandwogen verschlungen sein wird, lag die Station mitten in der Wüste. Hinter ihr führte eine Straße landeinwärts; eigentlich bestand sie nur aus ein paar Räderspuren, und der Ort war so unendlich verlassen und trostlos, daß man gar nicht begriff, wie es von hier aus überhaupt noch irgend wohin 179 weitergehen könne. Wie Beatrix und Shorty so dastanden und hinaus in die Leere starrten, bemerkten sie in der Ferne auf dem Wege zwei dunkle Punkte, die sich rasch in der Richtung nach der Station bewegten; bald erkannten sie, daß es zwei Reiter waren, die ihre Pferde zu äußerster Schnelligkeit antrieben. Offenbar wollten sie noch den Zug erreichen. Aber auch in diesem Lande der vielen Zeit müssen Züge schließlich einmal abfahren. Die Lokomotive pfiff, Beatrix und Shorty stiegen ein, blieben aber auf der kleinen Plattform des Privatwagens am Ende des Zuges stehen. Da, als die Räder sich eben zu drehen begannen, kamen die zwei Reiter in wildem Galopp an die Station gesprengt. Der eine sprang vom Pferde, warf dem andern die Zügel zu und stürzte nach dem Zug. Der rollte aber eben vorbei. Doch der Reisende, rasch entschlossen, griff nach dem Geländer der Plattform am letzten Wagen und schwang sich auf das Trittbrett. Beatrix prallte zurück, Shorty aber fuhr dem Eindringling laut kläffend entgegen, und sein Gebell klang so wütend, daß Mr. Sharemill von seiner Korrespondenz und Mrs. Sharemill von ihrem Roman aufsprangen und herzueilten, gefolgt von ihrem schwarzen Diener.

»Dies ist ein Privatwaggon, Sir,« sagte der Neger verweisend. 180

Der Fremde aber zog den hohen, spitzen Sonnenhut, ein blondes blauäugiges und unverkennbar nordisches Haupt entblößend: »Verzeihen Sie diesen Überfall,« stammelte er, nach Atem ringend, »aber ich mußte durchaus mit diesem Zuge zurück. Eine dringende Pflicht ruft mich nach Mexiko. Ein Räuber, der Züge anhält, bin ich übrigens nicht, obschon mein Benehmen diesen Glauben bei Ihnen und Ihrem Hunde hervorgerufen zu haben scheint. Gestatten Sie mir, mich vorzustellen: Graf Wardenskyold, schwedischer Gesandter in Mexiko.«

Mr. Sharemill zog aus den Tiefen seiner Hosentasche seine breite Hand und streckte sie dem Grafen entgegen: »Herr schwedischer Gesandter, entzückt, Sie kennen zu lernen.« Dann, dem plötzlichen Gedanken folgend, daß er hier vielleicht etwas von den geheimnisvollen Ränken der europäischen Diplomatie auf dem amerikanischen Kontinent erkunden könnte, fragte er: »Und darf man wissen, was Sie so dringend nach Mexiko ruft?«

»Gewiß,« antwortete der Graf, »die wichtigste Begebenheit des Jahres, das Diner des Präsidenten. Und beinah hätte ich es versäumt! Ich war hier in der Umgegend auf Jagd – habe übrigens rein gar nichts geschossen – auf dem Wege zur Station ward ich lang aufgehalten, da das Gepäcksmaultier 181 stürzte – und so habe ich mich zum Zuge verspätet.«

So hatte ihre Bekanntschaft begonnen.


Beatrix fand den zweiten Teil der Reise entschieden amüsanter als den ersten. Graf Wardenskyold war der erste Ausländer, den sie näher kennen lernte. Daß dieser Ausländer dazu ein Graf und Diplomat war, schadete ihm nichts in ihren an den Anblick schlichter Republikaner gewöhnten Augen; sie lernte in ihm einen neuen Typus kennen; seine Konversation, die von vieler Herren Länder und von Persönlichkeiten, denen auf der Weltbühne Hauptrollen zugefallen waren, zu erzählen wußte, eröffnete dem regen Geiste der schönen Amerikanerin Ausblicke in bisher unbekannte Gebiete, und die weichen Verkehrsformen, die diesem Sprossen einer alten Kultur so ungezwungen zu Gesichte standen, gaben seiner verhüllten, aber unverkennbaren Bewunderung für ihre eigene graziöse und elegante Erscheinung einen besonderen Reiz.

Mrs. Sharemill fand den neuen Reisegefährten von Anfang an reizend, denn er erwies ihr Aufmerksamkeiten, an die diese amerikanische Mutter längst nicht mehr gewöhnt war. 182

Den Ausführungen Mr. Sharemills über die Behring-Magelhaens-Bahn konnte Graf Wardenskyold stundenlang lauschen, denn er besaß die wichtige Diplomatengabe, ein liebenswürdiger Zuhörer zu sein, und er erkannte in diesen Vorträgen auch sofort eine Fundgrube für Stoffe künftiger Berichte, an denen es ihm sonst zuweilen in Mexiko gebrach.

Der einzige, der sich gar nicht mit dem Schweden befreunden konnte, war Shorty. Die amerikanischen Menschen waren von der Liebenswürdigkeit des Fremden rasch gewonnen worden, ihr Hund aber sah stets in ihm nur den frechen Eindringling, der ohne Umstände in den amerikanischen Privatwaggon gesprungen war. Dieser Anfang der Bekanntschaft hatte bei Shorty einen so tiefen Argwohn hinterlassen, daß er das Gefühl hatte, jeden Sessel im Waggon und vor allem seinen eigenen Platz auf der Reisedecke gegen den Ausländer verteidigen zu müssen; er knurrte, sobald der Graf in seine Nähe kam und begriff nicht, wie seine Herrin so freundlich gegen ihn sein konnte. Wäre doch nur Leutnant Short dagewesen! Der hätte sicher seine Gefühle geteilt.

Aber Leutnant Short war weit weg, auf dem Wege nach Manila, und ahnte nicht, wie sehr die Monroe-Doktrin durch einen schwedischen 183 Gesandten gefährdet wurde an einem Punkte der Welt, wo ihr einziger Verteidiger ein wackerer, weißer, braungefleckter Hund war!

Auch nach der Ankunft in der Stadt Mexiko verbesserte sich das Verhältnis zwischen Shorty und dem Grafen nicht, und es schien überhaupt, als ob sich des Hundes Charakter jetzt von Tag zu Tag verbittere. Er besaß offenbar keine Diplomatennatur, denn er zeigte sich im Auslande keineswegs von der liebenswürdigsten Seite. Es war eben in Mexiko doch gar zu ausländisch für seinen Geschmack! Er stellte beständig Vergleiche zwischen Washington und dieser fremden Stadt an. Dort war er zwischen amerikanischen Soldaten und Offizieren aufgewachsen, hatte das Stern- und Streifenbanner über sich rauschen gehört, und wenn er in den Straßen Washingtons unter schattigen Bäumen wandelte, waren ihm zwar viel fremde Hunde der verschiedensten Rassen begegnet, zottige russische Windhunde, mißgünstige englische Doggen, gelehrige deutsche Pudel und so manches kleine kläffende Hundegesindel – aber sie alle hatten in ihm den Amerikaner, den Hund des Landes verehrt und hatten mit ihm schön getan. – Hier war das alles nun ganz anders! Er fühlte sich vereinsamt, und niemand kümmerte sich viel um ihn. Er gelangte zur bedrückenden Erkenntnis, daß 184 vieler Nationen Flaggen auf Erden wehen, und daß die seinige in Mexiko vielleicht gefürchtet, sicherlich aber nicht geliebt ward. Er mußte sich sogar gestehen, daß er sich den Mitfremden, die aus Europa gekommen waren, innerlich verwandter fühlte, als den Einheimischen dieses Landes, denen er doch als Angehöriger einer nachbarlichen Schwesterrepublik zu nahen geglaubt hatte. Die Eingebornen hatten so gar nichts von dem an sich, was er bis dahin als Merkmale amerikanischen Wesens angesehen hatte, und Shorty sagte sich, daß über die dereinstigen Schienen der Behring-Magelhaens-Bahn viele Züge laufen müßten, bis eine Verschmelzung dieser so ungleichartigen Elemente zu stande käme.

Litt Shorty seelisch am Heimweh, in das sich ja immer ein Tropfen Überschätzung des eigenen Wertes mischt, so litt er körperlich unter der Höhenlage des Ortes, hatte Atembeschwerden und fühlte bei jeder raschen Bewegung das stürmische Hämmern seines Herzens, von dessen Existenz er früher gar nichts gewußt. Mehr und mehr zog er sich mißfällig von allem zurück und lebte ganz auf der Reisedecke, die er schon im Waggon okkupiert hatte und die nun wieder auf dem Sofa im Salon seinen Lieblingsplatz bildete.

Graf Wardenskyold war auch in Mexiko in 185 regem Verkehr mit der Familie Sharemill geblieben und hatte Beatrix fast ebensoviel wie auf der Reise gesehen. Mit seiner Hilfe war ein Haus gemietet worden – es geschah überhaupt alles mit seiner Hilfe. Seine dienstlichen Geschäfte mußten nicht eben bedrückend sein, denn er stand den Damen immer zur Verfügung, dolmetschte für Mrs. Sharemill, suchte für Beatrix Reitpferde aus und führte Tochter und Mutter in das Diplomatenfach par excellence, das Sammeln altertümlicher Raritäten, ein. Er gab auch ihnen zu Ehren eine Reihe Diners, bei denen er sie mit der fremden und einheimischen Gesellschaft bekannt machte. Die schöne Beatrix erregte überall das größte Gefallen, wenn auch die mexikanischen Mütter über ihr unabhängiges Wesen die Köpfe schüttelten und die mexikanischen Jünglinge aus diesem Typus des modernen Mädchens nicht klug wurden, von der bald erzählt ward, daß sie, bei schon dämmernder Stunde allein spazieren gehend, von einem kleinen, schmächtigen Herrn angeredet worden sei: »Darf ich Sie begleiten?« Worauf sie ihn von der dreifachen Höhe ihrer sieghaften Schönheit, ihrer 5 Fuß 9 Zoll und ihres jungamerikanischen Bürgertums herab angeschaut und geantwortet habe: »O gewiß, wenn Sie sich fürchten, allein zu gehen!«

Sobald das neue Haus eingerichtet war, begann 186 Mrs. Sharemill oder vielmehr Beatrix zu empfangen und Feste zu geben mit einer Unternehmungslust und Freigebigkeit, wie sie sonst in dem in tropischem Mittagsschlaf brütenden Mexiko nicht üblich waren. Shorty mißbilligte dies alles im höchsten Grade, aber es entsprach Beatrix' persönlicher Geschmacksrichtung ebensosehr, wie väterlicher Weisung, denn Mr. Sharemill wollte die panamerikanische Elektroschnellbahn auf diese Art sozial populär machen. Er selbst hatte sofort ein Bureau der neuen Bahnunternehmung eröffnet, dessen Tür mit einem großen Plakat geschmückt war, auf dem die Kontinente von Nord- und Südamerika als zwei Frauengestalten dargestellt waren, die sich in der Gegend des Isthmus von Panama einträchtiglich die Hände reichten. Darauf reiste er in das Innere des Landes, um die Trace der künftigen Bahn zu besichtigen.

Nachdem Beatrix alle Antiquitätenladen durchsucht, alle Ausflüge in die Umgegend gemacht und alle irgend einladbaren Menschen eingeladen hatte, begann sie inne zu werden, daß Mexiko eine Stadt ist, deren Möglichkeiten rasch erschöpft sind. Sie setzte sich jetzt oftmals neben Shorty auf das Sofa, lehnte ihr musterhaft frisiertes Köpfchen gegen sein glattes weißes Fell und flüsterte ihm leise zu: »Shorty, hier ist es doch wirklich gar nicht 187 amüsant!« Shorty seufzte überlegen, als wollte er sagen: »Das hab ich viel früher als du erkannt.«

In solchen Stimmungen waren die Besuche des Grafen Wardenskyold besonders wirkungsvoll. Neigung zwischen zwei jungen Menschen ist eine Pflanze, die auf Boden verschiedenster Art gedeiht – viel häufiger, als man glaubt, auf dem der Langweile. Es war zudem schmeichelhaft für Beatrix, von einem Manne, der die ganze Welt kannte, zu hören, daß sie seiner Überzeugung nach geeignet wäre, auf einer glänzenderen gesellschaftlichen Bühne, als Mexiko sie bot, eine leitende Rolle zu spielen. Die Gespräche zwischen den beiden drehten sich immer mehr um das diplomatische Leben in großen Residenzen. Beatrix ließ sich von Hoffesten und Botschafterempfängen erzählen und lauschte gespannt des Gesandten Andeutungen, daß Diplomatenfrauen durch geheimnisvollen persönlichen Einfluß bisweilen die Geschicke von Völkern gelenkt hätten. Die junge Amerikanerin, die bis dahin hauptsächlich in einem Eisenbahnmilieu gelebt, dachte sich das ungefähr so wie eine Fahrt, die sie einst mit ihrem Vater, auf der Lokomotive neben dem Zugführer stehend, gemacht, der auf ihr Geheiß die Maschine zu schnellstem Laufe angetrieben hatte. Sie glaubte noch das prickelnde Gefühl von Macht und Aufregung zu empfinden, mit dem sie 188 damals in rasendem Tempo durch den Raum gesaust war!

Sich selbst noch unbewußt, hegte Beatrix aber doch auch schon weichere Gefühle für den Grafen, als man sie für einen Kollegen in der Lokomotivlenkung verspürt. Sie offenbarten sich ihr ganz plötzlich an einem Nachmittag. Shorty lag wie gewöhnlich mißmutig auf seiner Decke, Beatrix saß hinter ihrem Teetisch und schenkte gerade Tee ein für verschiedene jüngere Diplomaten, die sich zu dieser Stunde um sie zu versammeln pflegten, und, wie das nun einmal ihre Gewohnheit ist, von Versetzungsaussichten sprachen. Ein russischer Sekretär, der auch zu Beatrix' Courmachern gehörte, sagte zu Graf Wardenskyold: »Bei Ihnen soll ja ein großes Revirement bevorstehen, da werden Sie wohl dran kommen; Sie sind doch schon drei Jahre hier?«

»Ja«, antwortete der Schwede, »es ist schon möglich, daß man diesmal an mich denkt.«

Die Teekanne in Beatrix' Hand zitterte leise, was ihr eine ganz neue, rätselhafte Erscheinung war. Sie sann ihr nach, und während die Konversation weiter ging und die jungen Herren die Vorzüge der verschiedensten Posten erörterten, sah sie sich in dem kleinen Kreise um, und da stand plötzlich die Tatsache ganz klar vor ihr, daß, wenn Wardenskyold daraus geschieden wäre, keiner der 189 andren für sie Wert behalten hätte. Es waren ja lauter »nice boys«, wie sie zu sagen pflegte, aber was lag ihr im Grunde an dem kleinen Franzosen, der stets mit einem wohlpräparierten Witz ins Zimmer trat, an dem langen, schweigsamen Engländer, dessen Gedanken wie Polokugeln in weiter Ferne zu schweifen schienen, an dem Abkömmling der Konquistadoren, der sich so sehr vor dem gelben Fieber fürchtete? Was lag ihr gar an den Söhnen des Landes?

Ganz abgesondert von ihnen allen erschien ihr aber der Schwede. Unbeteiligte, so zum Beispiel Shorty von seiner Sofaecke aus, sahen in dem Grafen nur einen von vielen jungen Leuten, die um einen Teetisch saßen und einer jungen Dame den Hof machten. Für die junge Dame selbst war er aber da plötzlich der eine und einzige geworden. Denn jeder Mann findet einmal eine Frau, für die er etwas ganz besonderes ist, so alltäglich er den übrigen Menschen auch erscheinen mag.

Nachdem die Herren alle gegangen waren, dachte Beatrix lang über die plötzliche Entdeckung nach, denn sie gehörte zu einer Rasse, die immer klar sehen und dann handeln will. Sie erkannte, daß Wardenskyold die erste Rolle im Stücke ihres Lebens schon seit Monaten spiele, und sie beschloß, ihm diese Rolle dauernd anzuvertrauen, falls er sie 190 nämlich darum bäte. Aber hierin gerade entstand eine unerwartete Schwierigkeit, denn es vergingen mehrere Tage, ohne daß er sich blicken ließ, und Beatrix, die die ganze Angelegenheit mit der einer jungen Amerikanerin würdigen Ruhe und Überlegenheit hatte führen wollen, geriet in einen unvorhergesehenen Zustand des Hangens und Bangens und ward mehr und mehr von den eigenen Gefühlen überwältigt, als sei sie eine simple Europäerin. Für ihre Umgebung war dies unbequem, denn sie wurde nervös und reizbar, aber wie alles Anormale in Mexiko wurde auch dies auf die Höhenlage und dünne Luft geschoben. Shorty aber hatte völliges Verständnis für seiner Herrin schlechte Laune, denn er selbst befand sich überhaupt nie mehr in einer andren. Er war besonders froh, daß sie sich vor Besuchern verleugnen ließ, da ihm die ausländischen Teetischjünglinge in der Seele zuwider waren. Nun würde man doch endlich Ruhe haben.

Da an einem Nachmittag, als Beatrix mit verschränkten Armen neben Shorty auf dem Sofa saß und mißmutig mit den spitzen Pantöffelchen auf den Boden schlug, ließ sich Graf Wardenskyold melden. Sie wollte in die Höhe schnellen, zwang sich aber zu ruhigem Sitzenbleiben und empfing ihren Gast mit einer, wie sie glaubte, täuschend gespielten eisigen Gleichgültigkeit. 191

»Guten Tag, Graf, bitte, setzen Sie sich«, sagte sie herablassend, wies aber doch auf den Sofaplatz neben sich. Der Schwede, der nicht recht wußte, was er von dem Empfang denken sollte, schien die Anwesenheit Shortys auf dem Sofa gänzlich zu übersehen und wollte sich eben niederlassen, als von der Decke ein böses Knurren erklang, der Hund sich aufrichtete und die Zähne nach ihm fletschte. Es ging aber doch auch wirklich über alle Hundegeduld, daß solch ein Fremder gar nicht behalten konnte, daß diese Sofaecke sein unantastbares Reich sei! Beatrix und der Graf konnten nun beide nicht ernst bleiben bei dem wütenden Ausdruck, mit dem Shorty dastand und den Eindringling anglotzte.

»Ihr Hund,« sagte Wardenskyold lachend, »verteidigt diese Decke, als würde mit ihr die Monroe-Doktrin selbst gefährdet. Aber wir wollen ihn nicht stören. Wie wäre es, Miß Beatrix, wenn wir ein bißchen in den Garten gingen? Es ist draußen so schön.«

Und sie gingen hinaus in den Garten, wo der Abendwind leise in den Eukalyptusbäumen säuselte und aus den großen weißen Glockenblüten der Florifundio süßer, betäubender Duft aufstieg. Shorty aber dehnte sich selbstzufrieden auf der Decke aus im stolzen Gefühl, das Feld behauptet zu haben. 192

Als aber nach einem Weilchen der Graf und Beatrix aus dem Garten zurückkehrten, strahlend, als beschiene sie Frühlingssonne, und Mr. und Mrs. Sharemill herzukamen und ein allgemeines Händeschütteln und Beglückwünschen begann, da wandelte sich Shortys Selbstzufriedenheit in ratloses Erstaunen, und als er dann ganz begriff, was eigentlich vorgegangen, da verließ er sogar seinen Platz auf dem Sofa und schlich sich hinaus in patriotischer Empörung. Daß man ein amerikanisches Mädchen einfach wegnehmen könne, war dem armen Shorty nie in den Sinn gekommen. Er hatte mit aller Energie und wachsender Erbitterung sein Reich, die Decke, verteidigt – und darüber hatte er nicht bemerkt, daß sich der fremde Räuber an Kostbareres herangeschlichen und ihm Beatrix selbst entwendet hatte! Es war zum Heulen! Und Shorty heulte auch wirklich die ganze Nacht nach der Verlobung im Hofe und war nicht zu bewegen, in das Haus zu kommen. »Er heult nach dem Mond,« sagten die Menschen, aber seine Klage galt nicht dem Mond, sondern der schönen amerikanischen Maid, die an das Ausland verloren gegangen war.

Als der russische Sekretär Beatrix' Verlobung erfuhr, sagte er giftig: »Na, nun hat Wardenskyold die Versetzung nach Washington ja in der Tasche.« Und seine Prophezeiung erfüllte sich. Sehr bald 193 traf richtig das Telegramm ein, welches dem Grafen mitteilte, daß er bei dem großen Revirement zum Gesandten in den Vereinigten Staaten ernannt worden sei.

Die Hochzeit wurde beschleunigt, damit Beatrix ihren Mann gleich auf seinen neuen Posten begleiten könne. Sie hatte sich ausbedungen, daß Shorty ihr in das diplomatische Leben folgen solle, denn der arme Hund vertrage wirklich die Höhenlage Mexikos nicht und werde mit jedem Tage leidender. Graf Wardenskyold liebte Shorty zwar wenig, aber er war in der Stimmung, wo Männer nichts verweigern können, und so reiste denn der freie amerikanische Shorty als Hund einer fremden Gesandtschaft und obendrein einer eines monarchisch regierten Landes in seine Vaterstadt Washington zurück. Er litt unsäglich in all seinen politischen Überzeugungen, kam sich degradiert und annektiert vor und konnte sich absolut nicht daran gewöhnen, aus einem Napf zu fressen, auf dem Wappen und Krone prangten. Beatrix war ihm eine Enttäuschung und ein Rätsel. Wäre sie wenigstens traurig gewesen, hätte sie ihren schrecklichen Irrtum eingesehen! Aber sie war scheinbar strahlend – und hatte doch aufgehört, eine Amerikanerin zu sein!

Als nun das junge Paar sich mit Shorty in Washington etabliert hatte, gab Beatrix ein großes 194 Lunch für die Damen des diplomatischen Korps, um die neu eingerichtete Gesandtschaft einzuweihen. Shorty hatte sich zusammengerollt am Kamin hingelegt und suchte zu schlafen, um möglichst wenig von all dem fremden Treiben zu hören. Aber da drangen plötzlich bekannte Töne an sein Ohr. All die Damen sprachen ja Englisch, und zwar sein eigenes Yankee-Englisch! Er horchte gespannt auf – es war wirklich so!

Die Vertreterin eines großen nordischen Reiches erzählte eben von ihrer Vaterstadt Chicago, und die Gesandtin eines uralten Kulturvolkes, dessen Bildwerke wie Boten aus einer fernen Welt der Schönheit in unsren Museen stehen, antwortete, sie stamme aus Milwaukee.

»Wie nett, daß auch Sie eine von uns sind,« sagte eine der Damen zu Beatrix.

»O ja,« antwortete diese, »ich bin eine echte Amerikanerin aus Dakota«.

Und eine Dame, deren Mann eine alte Monarchie vertrat, sagte mit reinster Hobokener Aussprache: »Gottlob, daß wir uns also Ihrethalben, liebe Gräfin, nicht mit einer der dummen fremden Sprachen abzuquälen brauchen. Ist doch eine zu törichte Erfindung! Da fährt man drüben in der Alten Welt einen Tag lang Eisenbahn und muß mehrmals an sogenannten Grenzen umsteigen und soll an jeder 195 eine neue Sprache kennen! Schrecklich kompliziert und unpraktisch! Wir sind doch weit größer wie das ganze Europa, und mit einem Waggon und einer Sprache kommt man von einem Ende der Union zum andern. Als ich mich verheiratete, habe ich auch gleich dem Marquis Guido die Bedingung gestellt: in meiner Gesandtschaft wird nur Englisch gesprochen.«

»Ja, heute sind wir wirklich mal ganz unter uns,« sagte eine Dame, indem sie sich im Kreise all dieser hübschen, jungen und eleganten amerikanischen Frauen umsah.

Da öffneten sich die Flügeltüren, und ein gepuderter Lakai meldete: »Die türkische Botschafterin«.

Shorty spitzte die Ohren und öffnete die Augen weit, denn er war gespannt, die Vertreterin eines Landes kennen zu lernen, von dem ihm erzählt worden war, daß dort die Männer so weise seien, den ihm selbst so sympathischen polygamischen Institutionen zu huldigen.

Die Botschafterin trat ein, aber siehe da, es war keine orientalische Haremschönheit, wie Shorty sie erwartet hatte, sondern eine magere, blasse Frau mit überfeinem nervösen Gesicht, in Kleidung, Gang und Sprache eine echte Newyorkerin.

Denn auch der Halbmond hatte geglaubt, in Washington heller zu glänzen, wenn er einen mit 196 einer Amerikanerin verheirateten Vertreter dorthin sandte.

Doch schon wieder öffneten sich die Flügeltüren, und der Lakai meldete: »Die japanische Gesandtin.«

»O, das ist die Neuangekommene,« sagte die Türkin, »ich habe sie noch nicht kennen gelernt.«

Und herein rauschte eine jener schönen großen blonden Frauen, wie Gibson sie zeichnet und wie sie unter Madame Chrysanthemes Schwestern nicht vorzukommen pflegen.

»Was, bist du das, Grace Dodd?« rief die Türkin verwundert.

»Aber Bella Sharp! Ist's möglich?« antwortete die Japanerin erstaunt.

»Grace Dodd heiße ich allerdings nicht mehr, sondern Grace Isawara Hokowisi.«

»Und ich nicht mehr Bella Sharp, sondern Bella Ali Zulfikar Pascha.«

»O Bella! Wer uns das in der Schule gesagt hätte, daß wir uns hier wiederfinden würden, du als Türkin, ich als Japanerin!«

»Nun, was mein Türkentum betrifft, so nehme ich das leicht,« antwortete die Botschafterin. »Die Sache wirkt nämlich umgekehrt, und Ali Zulfikar ist bereits ganz leidlich amerikanisiert. Aber sag mir, wie bist du nach Asien geraten?« 197

»Nach Asien?« fragte Grace, »ach, da war ich ja nie. Ich lernte Isawara Hokowisi im Hôtel in San Francisco kennen. Es war nachts. Ich schlief in meinem Zimmer im sechzehnten Stock. Plötzlich weckt mich Feuerlärm. Mit einem Satz bin ich an meiner Tür, da schlagen mir schon Flammen aus dem Korridor entgegen. Ich laufe zurück an mein Fenster. Unten in der Straße haben sich Leute angesammelt, sie schreien mir zu, ich solle mich an den äußeren eisernen Balkonleitern hinablassen. Ich aber stand da wie gelähmt – da plötzlich sehe ich, wie jemand an diesen schmalen, geraden Leitern zu mir hinauf klettert – es war Isawara Hokowisi. Alle Welt weiß ja, wie gewandt und mutig die Japaner sind. Oben angelangt, ergreift er mich, ich schließe die Augen – vor Schwindel und auch weil ich doch nicht viel anhatte – und fühle nun wie er mich den grausigen Weg hinabträgt und zieht. Aber plötzlich bleibt er stehen, als wir ungefähr auf der Höhe des zehnten Stockes angelangt sein mußten, und fragt mich ganz ruhig, ob ich ihn heiraten wolle. Unten schreien die Leute: Rasch, rasch 'runter, sonst stürzt das Haus ein! Isawara Hokowisi aber hielt mich fest: Ja oder nein? Na, ich sagte ja – wir konnten doch auch nicht immer da oben zwischen Himmel und Erde auf der Höhe des zehnten Stockwerkes schweben 198 bleiben. Nachher entdeckte ich, daß er nur Attaché beim japanischen Generalkonsulat in San Francisco war – nicht gerade eine glänzende Stellung – aber kaum war unsre Verlobung in Tokio bekannt, da traf von dort ein Telegramm ein, das ihn zum Gesandten in Washington ernannte.«

»Ach, genau wie bei meinem Mann auch,« rief Beatrix.

»Ja,« fuhr Grace Isawara Hokowisi mit wichtiger Miene fort, »in Japan will man jetzt doch in nichts hinter den Europäern zurückstehen, sondern in allem auf der Höhe der Situation sein – sobald man daher in Tokio erfahren, daß die europäischen Regierungen nach Washington nur noch Vertreter senden, die amerikanische Frauen haben, suchte man nach einem japanischen Beamten, der dieses Haupterfordernis für den Posten besäße, und da war mein Mann der einzige.«

»Das Dejeuner ist serviert,« meldete einer der gepuderten Lakaien.

All die reizenden, eleganten amerikanischen Ausländerinnen schritten nun paarweise, je nach Rang und Anciennetät ihrer europäischen Gatten, in das große Speisezimmer, aus dem ihnen der Duft ihrer Blumenschwestern, der langstieligen, purpurroten American Beauty-Rosen, die den Tisch schmückten, entgegenflutete. Wie die Damen so 199 an Shorty vorbeidefilierten, musterte er sie kritischen und doch zärtlichen Blicks, wie Heimatprodukte, die auf ferner Weltausstellung mit vielen Rivalen in Wettbewerb treten sollen. Aber er sagte sich auch sofort voll nationalen Selbstgefühls, daß sie wahrlich keine Vergleiche zu scheuen brauchten, daß sie die eigene Rasse mit Anmut und Schönheit repräsentierten und daß daher auch die Länder, die zufällig ihre offiziellen Vaterländer geworden waren, auf diese Vertreterinnen nur stolz sein könnten. Shorty stimmte auch völlig bei, als er Grace Isawara Hokowisi, ehe sich die Türen des Speisesaales hinter ihr schlossen, in gedehntem, durch ihr niedliches Näschen gezogenem Englisch sagen hörte: »O ja, unsre fremden Männer sollten sein sehr dankbar gegen uns Amerikanerinnen.«

Zum erstenmal seit langer Zeit füllte sich des armen Shortys bekümmertes Herz wieder mit froher Zukunftszuversicht. Amerika, das ihm seit Beatrix' Heirat um sein Bestes beraubt gedünkt hatte, war offenbar gerade jetzt im Begriff, auf seltsamem Umweg seinen Einfluß über die ganze Welt auszudehnen. Was Shorty von seinen schönen Landsmänninnen gesehen und vernommen, hatte des Patrioten Sorgen verscheucht. Er fühlte, daß er ums liebe Vaterland wahrlich ruhig sein könne. In der wohltuenden Wärme des Kamins schlossen 200 sich seine Augen . . . die Monroe-Doktrin? . . . (er blinzelte und gähnte) . . . ach, das war ja eine alte, abgetane Geschichte, die brauchte man gar nicht mehr . . . (Shorty dehnte sich noch einmal, um die Behaglichkeit des Einschlafens voll auszugenießen) . . . mochten sich doch die dort drüben lieber eine neue Lehre zum Schutze ihres armen, alten Erdteiles ausdenken.

Shorty schlummerte nun wirklich und schnarchte gemütlich. Er träumte . . . träumte von einer sich stetig ausbreitenden Flagge . . . Sterne glänzten an ihr . . . und die Sterne waren lauter reizende Frauenköpfe – ja, ja . . . die Amerikanisierung der Welt würde fortschreiten . . . durch die amerikanischen Frauen . . . vor allem . . . durch . . . die amerikanischen Diplomatenfrauen. . . .

 


 


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