Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II

In der frischen Nordwestbrise, die vom Meere heraufstrich, flatterten die Fahnentücher. Zwei Mäste flankierten die Werfthafeneinfahrt. Der mächtig hinauslangende Wimpel des einen zeigte die weiße Hamburger Burg in rotem Felde, der nicht weniger stattliche Wimpel des zweiten Mastes seltsamerweise die grün-rot-weißen Farben Helgolands. Auf dem ragenden Dachfirst des Bureaugebäudes rauschte einsam und majestätisch Deutschlands Fahnentuch Schwarz-Weiß und Rot. –

Twersten ging seinen Begleitern schnellen Schritts voran. Im Bureaugebäude, vor seinem Privatkontor erst machte er halt.

»Du bist natürlich von der Arbeit dispensiert, Robert. Zeige deinem Gast den Modellsaal. Einem Hamburger Kind, schätze ich, wird das immerhin am meisten Vergnügen machen. Auf Wiedersehen nachher. Ich lasse euch rufen.«

Er saß vor seinem großen Arbeitstisch, der keinerlei Schmuck zeigte als eine volle, purpurne Spätrose in einer hohen Kristallvase. Während die Augen über die aufgehäuften Briefschaften flogen, schrieb die Hand Notizen nieder. Eine Stunde fast arbeitete er, ohne aufzusehen. Die verlorene Zeit wollte wieder eingeholt werden. Dann legte er den Bleistift fest auf das Papier. Fertig für jetzt. Ein Klingelzeichen rief den Bureaudiener herbei.

»Ich lasse Herrn Prokurist Schnürlin und Herrn Oberingenieur Feldermann bitten.«

Der Prokurist erschien sofort. »Guten Morgen,« grüßte er. Und der Chef grüßte ebenso zurück.

»Sie finden schon alles auf den Briefrändern bemerkt, Herr Schnürlin. Heute muß es auf diese Weise erledigt werden. Ich bin aufgehalten worden, und Punkt elf Uhr geht die ›Ingeborg‹ von Stapel.«

»Jawohl, Herr Twersten.«

»Sollte im Laufe des Tages etwas Dringliches vorkommen – ich habe Herrn und Frau Theodor Bramberg als Tischgäste – so telephonieren Sie mir in die Alte Rabenstraße, in die Privatwohnung.«

»Jawohl, Herr Twersten.«

»Übrigens komme ich, bevor ich die Werft verlasse, noch einmal herauf. – Ah, da sind Sie. Guten Morgen, Herr Feldermann. Danke, Herr Schnürlin. Also, Herr Feldermann, in zehn Minuten ist es so weit. Alles klar auf der Helling?«

»Alles klar, Herr Twersten.«

»Ich frage nur, weil eine Dame dabei sein wird. Sonst – ist das ja selbstverständlich. Das wäre also die ›Ingeborg‹. Und wie steht's mit dem ›Theodor Bramberg‹? Geht's flott voran mit der Umarbeitung?«

»Die englische Werft, die ihn baute, wird ihn nicht wiederkennen, Herr Twersten. Vierzig Fuß angesetzt. Das sollen sie uns nachmachen. Wenn die ›Ingeborg‹ montiert ist, wird auch der ›Theodor Bramberg‹ hinaus können.«

»Angenehme Botschaft. Ein andermal mehr darüber. Aha« – er stand auf und horchte. Vom Werfthafen tutete ein Signal herüber. »Hamburger Pünktlichkeit.«

Er nahm seinen Hut, nickte dem Oberingenieur, der sich schleunigst zur Helling begab, kurz zu und schlug den Weg zur Anlegebrücke ein. Vorn an der äußersten Spitze nahm er Aufstellung. Wenige Sekunden, und die Barkasse der Reederei Bramberg und Co. legte sich quer vor.

»Bitte um Ihre Hand, Frau Bramberg. Fest. Das ist ein herzhafter Griff. Ein Sprung, und Sie sind auf Twerstenschem Boden. Bravo. Und nun: Willkommen, gnädige Frau.«

Ohne Zieren hatte Ingeborg Bramberg den Kleidersaum gehoben und sich an der unverrückbaren Manneshand auf die Brücke geschwungen. Sie stand vor ihm und lachte ihn an. Ihre schlanke Größe erreichte fast die seine. »Das tut gut,« sagte sie. »Man weiß, wo man ist.«

»Lieber Twersten, hier ist noch jemand. Bitte um freundliche Unterstützung,« meldete sich Theodor Bramberg. Aber schon hatten ihn die Brückenwärter übergeholt. Er nahm den Kneifer ab und schüttelte Twersten die Hand.

»Was? Nun sagen Sie mal was? Auf die Minute, wie? Meine Frau scheint Ihnen gegenüber das Hofzeremoniell einzuführen. Um acht Uhr ließ sie mich schon wecken.«

Ingeborg Bramberg ließ den Blick von den knallenden Wimpeln zu der rauschenden Fahne schweifen.

»Es ist Festtag heute. Davon gebe ich kein Jota her.«

»Du lieber Gott,« meinte Bramberg und wischte sich die immer feuchte Stirn, »Festtag! Ich nenn' es einen neuen Sorgentag. Wieder all das schöne Geld in einen neuen Kasten hineingebaut!« »Sie spaßen,« sagte Twersten nur und reichte der Dame den Arm. »Wenn es Ihnen genehm ist, Frau Bramberg, begeben wir uns sofort zu den Hellingen. Die »Ingeborg« erwartet sehnsüchtig ihre Namensschwester.«

»Keine weiteren Gäste da?« fragte der Reeder, als sie die Werftgasse entlang schritten. »Oder taufen wir auf trockenem Wege?«

»Ich habe mich strikt nach dem Wunsch Ihrer Frau Gemahlin gerichtet, Bramberg, der doch wohl auch der Ihrige war: keine weitere Zeremonie. Doch hatten Sie die Güte, mir für nachher Ihre Gegenwart bei einem kleinen Lunch zuzusagen.«

»Ihr Lunch! Kenne ich. Wird die verschämte Umschreibung für Diner sein.«

»Na, dann hätte ich doch in dieser Beziehung wenigstens Ihren Geschmack getroffen.« Und sie lachten alle drei.

»Ist Ihr Sohn nicht hier?« fragte Frau Bramberg, als sie das Bureaugebäude erreicht hatten.

»Entschuldigung.« Er rief dem Portier ein paar Worte zu. Und er erklärte. »Durch Zufall haben wir gerade heute einen Gast. Ein junges Mädchen. Die Tochter des Schiffsmaklers und Spediteurs Vanheil. Sie werden die Firma kennen, Bramberg. Martin Vanheil.«

»Wie soll ich jeden kleinen Krämer kennen! Bin froh, wenn mich mein eigenes Geschäft zum Luftschnappen kommen läßt.«

»Aber es bekommt Ihnen nicht schlecht, das Luftschnappen.«

»Was versteht Ihr Arbeitswüstlinge vom Leben!« »Da haben Sie recht. Und hier – meinen Sohn kennen Sie ja – Fräulein Vanheil – Herr und Frau Bramberg.«

Die Damen reichten sich die Hände. Robert küßte Frau Bramberg mit tiefer Verbeugung die Hand.

»Bekomme ich nicht auch ein Patschhändchen?« schmunzelte der Reeder. »O, überstürzen Sie sich nicht, Herr Robert. Das Fräulein kann das ja gleich für Sie mit abmachen. So! Das mag ich gerne haben.« Und er bot Fräulein Vanheil galant den Arm.

Twersten schritt mit Frau Bramberg voraus. Als sie die langgestreckte Schiffbauhalle passiert hatten, aus deren weitgeöffneten Toren sinnverwirrendes Lärmen scholl, sahen sie, dem Strome zugekehrt, auf Pfahlrammungen fundamentiert, die vier großen Hellinge der Werft vor sich liegen. Zwischen mächtigen Gerüstbauten wuchsen die Rümpfe der Schiffe. Hier war der Kiel gestreckt, die Grundsteinlegung des Neubaues erfolgt. Dort schon die Spanten, die Rippen des Schiffes, in den Kiel eingefügt. Und drüben – Twersten wies leicht mit der Hand hin – wuchtete im festen Kleid der Wand- und Deckplatten ein hochragender Schiffskörper: Die »Ingeborg«.

»Wollen Sie mir nicht erklären –?«

Twersten sah seine Begleiterin an. Und er sah ihre Augen in heller Bewunderung schimmern. Das gefiel ihm an ihr. –

»Wenn es Ihnen recht ist, Frau Bramberg – nachher.«

Sie nickte nur und schritt rasch mit ihm weiter, auf die Gruppe der Ingenieure und Arbeiter zu.

»Herr Oberingenieur Feldermann!« »Hier, Herr Twersten.«

Karl Twersten wandte sich um und wartete das Näherkommen der übrigen Gesellschaft ab.

»Mein Wort darauf, gnädiges Fräulein,« hörte er Bramberg sagen, »so was wie diese Musical-Clowns im Hansatheater –«

»Gestatten Sie, Herr Bramberg, daß ich Ihnen den Oberleiter der Bauten, meinen ersten Ingenieur Herrn Feldermann vorstelle. Ich darf wohl sagen, daß er gerade Ihren Schiffen, den Schiffen der Firma Bramberg und Co., seine ganze Liebe geschenkt hat. Und Liebe heißt bei ihm – ingenium.«

»Daher der Name – Ingenieur,« sagte Bramberg und blickte den Techniker wohlwollend durch den Kneifer an. Twersten machte eine vorstellende Geste gegen Frau Bramberg. »Herr Oberingenieur Feldermann.« Und Ingeborg Bramberg trat auf den Bauleiter zu und schüttelte ihm die Hand. »Wer kann sagen, was wir Ihnen alles zu verdanken haben, Herr Feldermann. Das wächst ja wie durch Zauberei.«

»Ich bin nur die Maschine,« entgegnete der Ingenieur und errötete leicht. »Der belebende Dampf, das ist Herr Twersten.« Und er trat mit einer schwerfälligen Verbeugung zurück.

Twersten führte seine Gäste um das Schiff herum. Kein überflüssiges Wort kam aus seinem Munde. Nur noch Inhaber der Werft, gab er kurze, fachmännische Erläuterungen. In seinen Augen leuchtete es. »Nun wollen wir an Bord. Die Taufe kann geschehen.«

Und er führte Frau Bramberg an die Treppe.

»Sie, lieber Twersten,« sagte Theodor Bramberg und legte dem Voranschreitenden die Hand auf den Arm. »Die Geschichte ist etwas anstrengend. Mit gütiger Erlaubnis sehe ich mir die Sache von unten an, bleibe an Land und nähre mich redlich.« Und er zündete sich eine Zigarre an.

»Ganz nach Belieben.«

Twersten stieg mit seiner Begleiterin die Treppe hinan. Was ging ihn dieser träge, witzelnde, fahlgesichtige Mann an? Was ging ihn seine ganze Umgebung an? Er betrat sein Schiff! Noch war es seines! Und wenn er es jetzt, auf einen Wink seiner Hand, zu Wasser ließ, so setzte er wieder einmal dem Riesen Ozean den Fuß auf den Nacken und zwang ihn, seinem Willen zu gehorchen, Länder und Erdteile zu verbinden, statt sie zu trennen. Und Hamburgs Flagge im Vordertreffen!

Kaum bemerkte er, daß sein Sohn und Marga Vanheil ihnen gefolgt waren, kaum die strammstehende Arbeiterschar an Bord, die Ingenieure und Maaten an den Registrierapparaten und den Ankerspillen. Und sein Stolz sprang auf die Frau an seinem Arm über, daß sie hochaufgerichtet, den Blick weit voraus, an seiner Seite schritt und, ohne sich zu besinnen, am Bug des Schiffes die Schaumweinflasche aus seiner Hand nahm und den kraftvollen Arm hob. Totenstille trat ein. Und Frau Bramberg sagte schnell und laut: »Ingeborg heiße du, wie die, die dich tauft. Sei treu dem, der dir die Seele gab. Dann bleibst du nah, und warst du auf fernster Fahrt. Fahr wohl, Ingeborg!«

Und am Bug splitterte die Flasche und rauschte der edle Taufwein.

Karl Twersten sah sie an. »Germanenblut,« lachte es in ihm. So froh gestimmt war er lange nicht mehr gewesen. Aber kein Wort kam über seine Lippen. Schnellen Schrittes führte er den Gast zum Heck des Schiffes, das zuerst das Wasser traf. Von der festen Brüstung aus, die das Heck umschloß, tönte sein Befehl an den Oberingenieur, der ihn in selber Sekunde weiter gab.

»Stopper los!«

Hell und durchdringend klang das Kommando.

Ein Atemzug der Spannung – und sausend kappte das Fallbeil das Tau der ›Ingeborg‹. Schon aber springen Hunderte von Arbeitern zu. Wie Pionierkompanien gegen eine Schanze anspringen. Und mit mächtigem Schwung treiben die langgestielten Hämmer in Eisenfäusten die schmalen Holzkeile zwischen die Schlitten, auf denen der riesige Rumpf des Schiffes ruht.

Man hört nur das hastige Geklapper der Hämmer, das Stöhnen des Holzes.

Noch rührt sich der Koloß nicht.

Da – Zoll für Zoll – beginnt er anzurücken.

Brausende Hurras schwingen sich vom Werftplatz zum Schiffe empor, brausende Hurras ertönen an Deck. Und plötzlich mit dem Feuer eines edlen Renners jagte die ›Ingeborg‹ die geglättete Holzbahn hin, krachend zersplitterten vor ihren eisernen Planken die letzten Hindernisse, und unter erneutem Hurragebrause tauchte das Schiff ins Wasser, um sich ruhig und majestätisch wie ein Schwan aus den Fluten zu erheben. Die ›Ingeborg‹ war von Stapel. –

Einmal nur hatte Frau Brambergs Hand in Twerstens Arm gezuckt, als die Fahrt ins unbekannte Element begann. Dann lag die Hand ganz still. Sie hatte den starken Druck verspürt, der sie getroffen und ruhig gemacht hatte. Leicht an die Reling gelehnt, standen die beiden hochgewachsenen Menschen Schulter an Schulter und blickten hinaus, als erblickten sie weit dort hinten vor der Mündung des Elbstromes das Meer, das rätselhafte, wilde, das kampfgierig lauernde – das stählende Meer!

»Ich danke Ihnen, Frau Bramberg.«

»Und ich danke Ihnen, Herr Twersten.«

Die Anker rasselten nieder, das Fallreep sank rasch die Bordwand hinab. Drunten legte ein Ruderboot an, um die Gäste zur Werft zurückzubringen. Nun erst gewahrte Twersten die jungen Leute.

»War's schön?« fragte er freundlich die Tochter des alten Freundes.

Marga Vanheil nickte heftig. »Wunderbar war's,« stieß sie hervor und erschrak selbst über den aufgeregten Ton ihrer Summe. Und sie hielt sich ganz zurück.

»Was ist dir?« fragte sie Robert besorgt.

»O du. Nichts. Nichts ist mir. Aber hast du denn was vom Stapellauf bemerkt?«

»Was denn?«

»Ich sah nur deinen Vater. Und die Frau an seiner Seite. Wie ein Wikingerpaar – irgend woher, irgend wohin, dem Siegesbewußtsein folgend. Ich phantasiere, nicht wahr? Wir haben wahrhaftig heute morgen zuviel von alten Märchen geschwatzt, und das sind nun die Folgen. Komm, Bob, werden wir wieder nüchtern.«

»Wie seltsam du bist. Nun zank du mich noch einmal aus wegen romantischer Ideen.«

»Ach, Bob, Mädchen haben immer ein paar romantische Flausen im Kopf. Das gehört zu uns, wie zu euch der Tatendrang. Aber man muß die Wirklichkeit dabei in Rechnung stellen, sonst geraten wir alle miteinander ins Blaue. Steig schnell ein, damit wir einen soliden Eindruck machen.« –

Auf der Werft empfing Bramberg Twersten mit einem gnädigen Händedruck.

»Das ging ja wie geschmiert. Nein, Twersten, es war wirklich hübsch. Und nicht ein bißchen seekrank? Nein? Und weder Hunger noch Durst? Das ist rein verwunderlich.«

Karl Twersten lachte über die Redensarten hinweg. Er war viel zu froh gestimmt, und so wenig er diese seltene Empfindung zu zergliedern gedachte, so wenig wollte er sie sich heute rauben lassen. »Kommen Sie,« sagte er, »Sie werden Sehnsucht nach dem ›Theodor Bramberg‹ haben. Ich will sie erfüllen.«

»Theodor Bramberg? Damit meinen Sie doch mich? Twersten, Sie haben das getroffen. Ich habe langsam – Sehnsucht nach mir.«

»Der Steamer liegt in Dock II,« fuhr Twersten unbeirrt fort. »Es wäre mir lieb, wenn Sie den Fortschritt der Arbeiten sähen. Rechts, wenn ich bitten darf. Nur wenige Schritte.«

Er ging voraus, und Ingeborg Bramberg ging neben ihm, frei und sicher. Der gleiche Rhythmus war in ihrem Schritt. Und sie bemerkten es beide. Und beiden war, als gingen sie noch Arm in Arm.

»Hier kann man aufleben,« sagte sie. »Wie das alles pulst und drängt und aufrüttelt!«

Zum ersten Male sah er an ihr hinab. Und er sah die verhaltene Kraft dieser schlanken, festen Glieder. »Da sind wir, Frau Bramberg. Die anderen konnten schon wieder nicht nach.«

»Nehmen Sie, bitte, meine Freude als das Interesse der Firma Bramberg und Co.«

»Ein alter Geschäftsmann küßt Ihnen dafür in Gedanken die Hand.«

»Alt?« Ihr Auge suchte die Näherkommenden. Und dann sagte sie so einfach, daß keine Erwiderung einen Anhalt gefunden hätte: »Sie sind der Jüngste am Platze. Und Sie wissen es.«

»Was haben Sie denn da mit dem Schiffe vorgenommen?« rief Theodor Bramberg. »Aber nein – sagen Sie einmal – der Bursche hat ja einen nagelneuen Magen? Twersten, die Prozedur könnten Sie auch einmal an mir vornehmen. Das wäre von mir aus kein weggeworfenes Geld.«

»Tja –« sagte Twersten, und dann weidete er seinen Blick an diesem Stückchen deutscher Schiffbaukunst. Der Dampfer lag im Dock. Trockenen Kiels, zeigte der Koloß seinen nackten Riesenleib, an dem die Menschlein wie spannenlange Wichtelmänner arbeiteten, glühten und nieteten. Und doch hatten dieselben Wichtelmänner im Dienste einer starken, gebietenden Idee den Riesenleib mittschiffs, dicht vor der Maschine, wie einen Butterkloß von oben nach unten durchschnitten, die beiden Hälften mit hydraulischer Kraft auseinandergezogen und eine Verlängerung von vierzig laufenden Fuß eingebaut. Der große Kran auf dem Dockhafenkai hob die Tausende von Zentnern schweren Schiffsteile und Dampfmaschinen wie Spielwerk aus dem Schiff auf den Kai, vom Kai in das Schiff, wie es ihm geboten wurde. Es wurde ganz still in dem kleinen Kreis. Selbst Bramberg fühlte, daß er für seine Randglossen keine Zuhörer finden würde.

Dann sprach Karl Twersten. Nur wenige Worte, und auch sie nur, als habe er Ingeborg Bramberg eine Aufklärung zu geben. ... »Das entschädigt. Für schlaflose Nächte. Für frühzeitig grau gewordenes Haar. Für den Verzicht auf so vieles, was die anderen ›Leben‹ nennen. Ich hätte beinah Liebe gesagt.« Und unvermittelt ging er zu einer kurzen, plastischen Schilderung des Umbaues über. »Sie können sich gratulieren, Bramberg. Sie kriegen eines der schönsten Schiffe, das die Hamburger Flagge zeigt. Einen Leviathan der See.«

»Na, wenn Sie es selbst loben, brauch' ich es nicht.«

»Loben? Was sind die paar Worte! Das Schiff lobt sich selbst, und es hat recht! Nur die Lumpe sind bescheiden.«

Er nickte dem Dampfer zu. Und in dem stummen Gruß ruhte die Aufforderung: Halt dich wacker. Mach mir Ehre.

Auf dem Rückwege lag die Schiffbauhalle, und sie bogen durch das Tor und gingen hindurch. Schneeweiß vor Hitze schmorten die kantigen Eisenblöcke in den Glühöfen. Und in die Brutstätte hinein, in der sich Feuer und Eisen zur Zeugung vermählt hatten, packten die Zähne der Dampfzangen und zogen Block um Block hervor. Wie ein Liebhaber erwartete sie der Schürmeister, ein hagerer, von der Hitze ausgedörrter Alter, aber mit Armen wie Gorillaarme, und Händen wie breite Fischflossen. Und in Armen und Händen ruhte der Eisenstab, mit dem er die weißglühenden Eisenbrote auf Weichheit und Schmiegsamkeit prüfte. Dann wandelte sich das knochige Gesicht zu einer liebevollen Grimasse, die Kiefer begannen zu kauen, und die Zunge leckte die Lippen mit dem Behagen des Feinschmeckers. Der Schürmeister wurde zum Koch, alle Sinne in ihm verschmolzen zum Spürsinn, und die ungeheuerlichen Arme und Hände strömten eine mädchenhafte Zärtlichkeit aus. Jetzt lagerte sich unaussprechliche Seligkeit auf seine Züge. Ein Ruf, der Vorsicht heischte, flog auf. Und die langen, glühweißen Eisenblöcke schwangen sich durch die Luft, legten sich unter die Schmiedepresse, die sie wie weichen Ton zusammenpreßte und zum Schiffskiel streckte, oder ließen sich auf den Richtplatten geschmeidig wie Wachs zu Spanten und Planken biegen. Dann stand der Schulmeister, hager und gedrückt, melancholisch auf seinen Stab gestützt, bis aufs neue die Türen zur Ofenhölle aufgerissen wurden, die für ihn die Freuden des Himmels barg.

Weiter gingen sie, durch die Maschinenfabrik, in der die Dampfmaschinen brausend die Transmissionen trieben und flinke Laufkräne über die Galerie rollten, die stahlspleißenden Hobel- und Bohrmaschinen dem Fingerdruck gehorchten und die Schiffsmaschinen zur Überholung an Bord in Reih und Glied montierten. Durch die Kesselschmiede, in der sich bauchige Ungetüme rundeten. Durch die Tischlerei, in der eine Schar von Künstlern allen Arten von Hölzern zu gebieten schien. Und durch die Betriebe der Schlosser, Klempner, Bleiarbeiter und Maler. So oft sich eine neue Halle öffnete, gewahrte das Auge ein neues Bild, und jedes Bild fügte sich unmittelbar den anderen ein und ließ zum Schlusse den Eindruck eines Gesamtgemäldes zurück, das in seinen tausend Farben und Formen weniger verwirrte, als die erregte Seele in hingebungsvolles Staunen versetzte.

Stumm schritten Karl Twersten und Ingeborg Bramberg die Treppe zu den Kontoren hinauf. Der Reeder hatte es abgelehnt, auch hierhin zu folgen. »Dies fragliche Vergnügen genieße ich ja bei mir selber. Höchstens daß bei Ihnen die Herren Schmidt heißen und bei mir Schulze.« Und er bat sich die Gesellschaft der jungen Leute aus.

»Hier also arbeiten Sie,« sagte Ingeborg Bramberg, ging langsam auf den großen Arbeitstisch zu und strich nachdenklich, mit leise zärtlicher Bewegung, über die Tischplatte. ... »Das also ist, was man die Betätigung eines Menschenlebens, eines Mannesdaseins nennt. Fast so hatt' ich es mir gedacht.«

»Hat es Sie nicht müde gemacht?«

»Müde –? Fragen Sie mich lieber, ob es mich nicht neidisch gemacht hat.«

Sie sah die volle purpurne Herbstrose im Kristallglas. Und ihr Blick ging von der Rose zu ihrem Besitzer.

»Ich habe Blumen gern,« antwortete er auf die stumme Frage, »und diese besonders.«

»Diese –?«

»Es ist eine Herbstrose. Und sie sammelt alle ihre Kräfte und gibt die tiefste Farbe, den vollsten Duft her. Frühling und Sommer scheint sie noch einmal in sich zusammenzufassen.«

»Sie ist voll erblüht,« sagte Frau Bramberg, umfaßte die Rose mit weichen Händen und drückte ihr Gesicht in den Kelch. »Nur das Vollerblühte verheimlicht keine Knospenschäden. Das ist bei den Blumen wie bei den Menschen. Man weiß, mit wem man es zu tun hat, und ob es sich lohnt.«

Sie streichelte noch immer liebkosend die purpurnen Blätter, die schwellend rot von Lebensblut schienen.

»Wollen Sie die Rose von mir annehmen, Frau Bramberg? Ich habe Ihnen keine andere zu bieten.«

Sie hob ohne Entgegnung die Blume aus dem Kristallkelch und barg sie an ihrem Kleid. Nun blickte sie ihn an ...

Irgend etwas in ihm drängte ihn, irgend etwas zu tun. Irgend etwas in ihm schrie. Nach einem Trunk Wasser. Nach einem Rosenblatt, nach einem Duft. Dann war er wieder der Chef der Firma K. R. Twersten, und er öffnete die Tür und ließ den Gast vorangehen.

»War's interessant?« fragte drunten Theodor Bramberg und täuschte ein Gähnen vor. »Voller prickelnder Geheimnisse, so eine Schreibstube. Ach du lieber Gott!«

»Nun bin ich zufrieden,« sagte sie und blickte sich in der Sonne um. »Nun können wir von dannen.«

»Sagt' ich's nicht? Die Schreibstube! Und sofort heißt's: von dannen! Für diese Offenbarung nehme ich übrigens seit einer Reihe von Jahren Vaterrecht in Anspruch. Bitte, meine Herrschaften, wo ist das Zimmermannsloch?«

Gerade strömte die Arbeiterschaft aus den Speisehallen zurück. Sie bildete Spalier bis zum Werfthafen und schrie Hurra. »Hoch Herr Theodor Bramberg – hoch!« Überrascht sah Frau Bramberg auf ihren Gatten. Sie hatte einen anderen Namen erwartet.

»Du siehst,« und Bramberg lächelte ironisch, »auf welcher Seite die Popularität ist. Brauche ich mich mit Erfindungen anzustrengen? Ich habe einen Tausendmarkschein zur Verteilung dagelassen.«

Die Barkasse fuhr ab. Hinter ihr drein flatterten vom Steg aus der Hamburger und der Helgoländer Wimpel, und ihre Quasten überschlugen sich in der frischen Nordwestbrise vor Freude. –

Marga Vanheil saß im Heck. Sie hörte kaum auf den Anekdotenkram des Reeders, der in ihr seine dankbarste Zuhörerin gefunden glaubte. Sie dachte beständig an die Veränderung, die mit der schönen, kühlen Frau dort vorn während des Werftganges geschehen war, Schritt für Schritt, bis zu dieser starken, inneren Fröhlichkeit, aus der sie keinen Hehl machte. Ob in dieser reichen, in Hamburg hochgestellten Frau auch dieselbe Mädchensehnsucht lebte? Nach der Bewunderung einer Kraft, eines Willens, und der geheimen Seligkeit, diese Kraft und diesen Willen mit der Fülle ihrer Liebe zu speisen und zu tränken? Und plötzlich wußte sie: »so wie ich, so hat auch diese vornehm gekleidete Frau an diesem Morgen gedacht. Und einen Herzschlag lang hat sie in das Paradies ihrer Träume geblickt.«

Da wandte sich Karl Twersten nach ihr um.

»Liebes Fräulein,« sagte er herzlich, »nun müssen Sie uns auch den Nachmittag schenken. Mitgefangen, mitgehangen. Ich telephoniere gleich von der Wohnung an den Papa, daß Sie bei uns speisen, und er sich nicht zu ängstigen brauche. Gilt es?«

»Das ist nicht möglich,« stammelte sie. »Ich darf nicht stören, nein, das darf ich nicht.«

»O – o!« – wehrte Twersten, »dann ist es also abgemacht.« Und kopfschüttelnd fügte Theodor Bramberg hinzu: »Nein, so etwas! Wie können Sie nur denken, daß Sie stören! Scharmant sind Sie.«

Sie stiegen aus, und sie warf einen hastigen Blick auf Frau Bramberg. Frau Bramberg aber nahm ihren Arm, preßte ihn mit einer jähen, mädchenhaften Bewegung in den ihren und schritt mit ihr der Twerstenschen Equipage zu, neben der das Kabinett Brambergs hielt. Und mit mädchenhaftem Übermut fragte sie die jüngere Begleiterin: »Wen wählen wir zu unserem Ritter?«

»Herrn Twersten.«

»Es sind zwei.«

»Nein, noch ist es nur einer.«

Und die beiden Frauen blickten sich an und erkannten, daß sie sich lieb hatten.

So fuhren sie, Twersten mit den Damen, und Bramberg mit Robert, zu Twerstens Haus.

Als die Gäste aus den Garderoben zurückkehrten, empfing sie der Hausherr im Salon. Der Hauch eines feinen exotischen Parfüms schien in der Luft zu schweben, an den seidenen Überzügen der Empiremöbel haften geblieben zu sein. Aus schweren Rahmen schauten die Gemälde alter Hamburger Maler in das Gemach, verwundert über den Duft, der die neblige Luft ihrer Hafenbilder umspielte.

»Ich bitte Sie,« sagte Twersten, »freundlichst Nachsicht walten zu lassen. Die Hausfrau ist auf längerer Reise begriffen. Sie wird sehr bedauern, daß sie so angenehme Gäste nicht selbst begrüßen durfte.« Und da der Diener meldete, daß serviert sei, bot er Frau Bramberg den Arm und führte sie ins Speisezimmer.

»Ah!« machte sie erstaunt, als sie den Blumenschmuck der Tafel gewahrte, die langen, fremdländischen Rosenranken, die sich zu Kränzen ineinander schlangen. »Daß Sie dafür Sinn haben!«

»Ich habe nur mein Haus und meine Werft.«

»Sie sind glücklich.«

»Ja,« erwiderte er nur, »die Voraussetzungen wären gegeben,« und er schob ihr ritterlich den Stuhl hin. Sie saßen an einem runden Tische, der die Gäste einander näher brachte, auf schweren Stühlen, alte schwere Pokale vor sich. Ein weißgekleidetes Mädchen servierte. Der Diener schenkte Champagner ein. Karl Twersten erhob sich sofort wieder.

»Gestatten Sie mir,« sagte er, »dieses erste Glas der Dame zu weihen, deren Güte ich diese Stunde verdanke.« Er neigte sich gegen Frau Bramberg, leerte das Glas und hielt den Kelch dem Diener hin. »Und nun bitte ich Sie, mit mir gemeinsam zu trinken auf das Wohl des Hamburger Kaufmannes, den heute hier die Firma Bramberg und Co. repräsentiert, auf Hamburgs Handel und Schiffahrt, auf alles das, was uns Fürstenstolz verleiht und das Glücksempfinden, auf diesem Posten zu stehen, und das wir zusammenfassen in dem einen Wort: Hamburg!«

»Donnerwetter,« meinte Theodor Bramberg, »Sie schmeicheln.«

»Nein,« versetzte Twersten und ließ sich wieder nieder, »es ist das Selbstbewußtsein, das aus Hamburger Kaufleuten Feldherrn macht.«

»Feldherrn mit dem Hauptbuch, Twersten. Mit Rechenmaschinen statt Donnerbüchsen.«

»Jeder Krieg hat seine Ökonomie, und jede Zeit hat ihre Formen. Ich gebe Ihnen die Versicherung, Bramberg,« und Twerstens Augen leuchteten heiß auf und seine Schultern dehnten sich zurück, »wenn ich vor etlichen Jahrhunderten auf die Welt gekommen wäre, es wäre mir ein Vergnügen ureigenster Art gewesen, von Bord einer Hamburger Kogge aus den feindlichen Schiffen mit dem Enterhaken auf den Leib zu rücken. Aber den Enterhaken, den fühle ich auch heute noch in der Faust, wenn auch in anderer Gestalt.«

»Seien Sie ehrlich, Twersten. Zum Schlusse kommt's doch nur aufs Geldverdienen heraus.«

»Ja,« sagte Twersten und schloß halb die Augen, »aber es ist zweierlei.«

»Was? Geldverdienen und Geldverdienen? Das ist toute même chose.«

»Auf den Gesichtspunkt kommt es an. Wir können das Geld zusammenraffen, es in Kisten packen, oder unseren Leib damit mästen. Aber wir können es auch erobern, um den Feind zu schwächen, um es unseren eigenen Werken als neue Lebensquellen zuzuführen und sie unaufhaltsam wachsen und wirken zu lassen als deutsche Hochburgen gegen das lauernde Ausland. Es gibt nur noch eine Politik, und das ist die Wirtschaftspolitik. Und hier, in unseren Seestädten, balanciert sie. Denken Sie an die Tage der napoleonischen Kontinentalsperre. Solange ein reiches Hamburg ist, ist ein wohlhabendes Deutschland. Deshalb ist unser Geldverdienen nicht eine Krämerbeschäftigung, sondern eine Mission.«

»Hui, Twersten, das ist ja beinah eine Senatsrede. Na ja, schön. Da wir's haben, können wir so sprechen.«

»Wir verstehen uns scheinbar nicht, Bramberg. Fürstliche Vermögen, die es bei uns gibt, legen fürstliche Pflichten auf. Nur aus dieser Wechselwirkung entspringt das Gedeihen in höherem Sinne, das Gedeihen des Vaterlandes. Sie können meinen, ich als Schiffbauer rede pro domo. Aber ich sage Ihnen trotzdem: laßt euer Geld werben! Dazu verdient es! Und wenn unsere Handelsflotte die mächtigste sein wird, so kann unsere Kriegsflotte nicht dahintenbleiben. Nicht aus Angriffsgelüsten. Aus Erhaltungstrieb. Um fremde, hungrige Enterhaken backbord und steuerbord in Schach zu halten. Wissen Sie, vorgestern, am Sonntag, war ich im Sachsenwald. Da saß mir der Alte gegenüber. Der Alte, der Deutschlands Bewußtsein verkörpert. Und ich sprach mit ihm, und er sprach zu mir. Und als ich ging, wies der Fürst auf seinen Wahlspruch. ›Sehen Sie, lieber Freund Nachbar,‹ sagte er, ›aus diesem Grunde soll Deutschland seine Schiffe bauen:

Dat Wegkraut sollt ihr laten stahn,
Hüt di' Jung, sind Nesseln dran.

Denn die Kolonialpolitik wird nicht durch Generäle und Geheime Räte gemacht, sondern durch die Kommis von Handlungshäusern.‹ Und diese Worte des Alten vom Sachsenwalde erzeugten einen Klang in mir, als hätte meine eigene Seele sie geboren.«

Er blickte in sein Glas, drehte den Stengel und trank das Glas langsam aus.

»Bismarck,« sagte er. Als ob ein Sohn vom selben Blute den Vater grüßte.

»Gut, gut,« brummte Bramberg, »das ist Temperamentssache. Ich will meine Ruh' haben.«

»Als Hamburger Kaufmann – Ruh' haben?« »Gott, was wollen Sie nicht alles vom Hamburger Kaufmann! Als ob das ein Geschlecht von Königen sei.«

»Ist es auch.«

»Ich lache mich tot, Twersten. Wenn ich die Firma nicht geerbt hätte, ich hätte mich besonnen. Ich kann mein Geld angenehmer ausgeben, als immer und immer wieder fürs Geschäft. Kaufmann!«

»Es ist eben zweierlei um den Kaufmann, lieber Bramberg. Es gibt Kauf leute und Kauf herren

»Ach du lieber Himmel,« warf der Reeder hin, »im Grunde hausieren wir alle mit Hosenträgern.«

Frau Bramberg hatte still zugehört. Eine leise Röte hatte ihre Wangen gefärbt, und das dunkle Blau ihrer Augen hatte einen fast schwarzen Glanz. Sie atmete tief auf, hob den Kopf und lächelte.

»Ja,« sagte sie, »wenn Karl Twersten mit Hosenträgern hausieren würde, er wäre doch – der Kauf herr...«

Eine plötzliche Stille trat ein. Und immer noch schwebte durch die Stille das Lächeln der schönen Frau.

Und dann antwortete Twersten: »Ihr Vertrauen, gnädige Frau, erquickt mehr als der edelste Wein.«

Er war blaß geworden, und seine Blicke wanderten durch das Zimmer und blieben an dem Platze haften, auf dem die Hausfrau fehlte.

»Sie müssen mir noch eine Flaggensprache erklären, Herr Twersten,« bat Frau Bramberg und rührte leise an seine Hand. Da fand er sich wieder.

»Wie kommen die Helgoländer Farben zu dem Ehrenplatz auf Ihrer Werft?«

Der Widerschein einer Freude zog über das ernste Gesicht des Hausherrn. »Die Helgoländer Farben? Das ist eine Familiengeschichte. Mein Großvater Karl Twersten war ein Helgoländer Schiffer. Oder vielmehr: er wollte es nicht mehr sein und arbeitete im Bootsbau. Eines Tages kam er auf einem selbstgefertigten Kahn auf der Unterelbe an. Mit zwanzig Talern in der Tasche. Und er verkaufte den Kahn und baute neue, verkaufte sie und baute Segelschiffe. Das war die Grundlage der Werft. Als er hochbetagt in den Sielen starb, übernahm mein Vater das angewachsene Erbe. Und er übernahm es« – Twerstens Augen öffneten sich weit – »er übernahm es nach dem Goethischen Wort: Erwirb es, um es zu besitzen! Er ging zum Dampfschiffbau über. Und als auch er starb, vom Konstruktionstisch weg, konnte er seinem Vater frohe Meldung bringen. Als ich zum ersten Male als Chef die Werft betrat, ließ ich neben der Hamburger die Helgoländer Fahne hissen. Das sollte mir und den Nachkommen zurufen: Von Helgoland ging's nach Hamburg. Von Hamburg geht es in die Welt! Damit wir uns vor dem Tatendrang der Väter nicht zu schämen brauchen. Mein Feld – ist die Welt! Prost Robert! In diesem Sinne.«

Hastig stieß Marga Vanheil den Freund unterm Tisch an. Er hatte geträumt, von südlichen Küsten und immer heiteren Menschen, von dem Leben der Schönheit und Freude, und von seiner schönen, fröhlichen Mutter, die dies Leben so liebte, daß sie immer wieder Hamburg entfloh ...

»Ja, Papa. Prosit Papa.«

Karl Twerstens Auge ruhte lange auf dem Sohn, und unter seinem Blick rötete sich langsam das Gesicht des Sohnes. Da wandte er den Blick ab und begegnete dem Auge Ingeborg Brambergs.

»So allein?« fragte ihn das Auge. »Still, still, ich bin es auch.«

Und er las weiter.

»Beide – sind wir allein. Du hast es von mir gespürt, wie ich von dir. Und nun wissen wir es voneinander.«

Mehr noch wollte er lesen.

»Laß mich teilhaben an deinem Planen und Vollführen. Und wir sind nicht mehr allein. Soll es Geltung haben?«

»Ja!« sagte er plötzlich laut, hob die Tafel auf und beugte sich über Ingeborg Brambergs Hand, die sich fest und vertrauend um die seine schloß, als seine Lippen sie streiften.

In dieser Stunde waren Karl Twersten und Ingeborg Bramberg Freunde geworden. – –


 << zurück weiter >>