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Sechstes Buch.
Erato

Sechstes Buch

1. So endigte Aristagoras, der Aufwiegler von Ionien. Histiaios aber, der Machthaber von Milet, kam, von Dareios entlassen, nach Sardes. Als er aus Susa dorthin kam, fragte ihn Artaphernes, der Statthalter von Sardes, wie es nach seiner Meinung zum Abfall der Ionier gekommen sei. Darauf versicherte er, er wisse es nicht und wundere sich über das Ereignis, und tat so, als sei er ganz unbekannt mit allen diesen Vorfällen. Artaphernes aber, der seine Verstellungskünste durchschaute und genau über die Aufwieglung unterrichtet war, sagte: »Hiermit, Histiaios, verhält sich's nun so: du hast den Schuh gemacht, und Aristagoras hat ihn angezogen.«

2. So sprach Artaphernes über die Aufwieglung. Da kam Histiaios in Furcht vor Artaphernes, daß er alles wisse, und entwich in der nächsten Nacht an die Küste. Er betrog also den König Dareios, indem er nun, statt Sardo, die größte Insel, versprochenermaßen zu unterwerfen, die Anführung der Ionier im Kriege gegen Dareios übernahm. Er setzte nach Chios über, ward aber von den Chiern in Fesseln gelegt, die ihn bezichtigten, er wolle etwas gegen sie für Dareios anzetteln. Als aber die Chier von der ganzen Sache unterrichtet wurden, wie er mit dem König verfeindet sei, ließen sie ihn frei.

3. Histiaios wurde von den Ioniern gefragt, was ihn so getrieben habe, den Aristagoras zum Abfall vom Könige anzuhalten, wodurch er die Ionier in so großes Unglück gestürzt habe. Er entdeckte ihnen die wirkliche Ursache keineswegs, sondern sagte, König Dareios habe den Plan gefaßt, die Phönizier aus ihrem Lande nach Ionien zu verpflanzen und die Ionier nach Phönizien, und deswegen habe er ihn dazu angehalten. Der König hatte gar keinen solchen Gedanken, aber er setzte die Ionier damit in Angst.

4. Dann sandte Histiaios durch Hermippos, einen Mann von Atarne, dessen er sich als Boten bediente, Briefe an solche in Sardes befindliche Perser, mit denen er sich schon früher über Aufruhr verständigt hatte. Hermippos aber gab die Briefe nicht bei denen ab, an die er gesandt war, sondern lieferte sie in die Hände des Artaphernes. So bekam dieser Kenntnis von der ganzen Sache und hieß nun den Hermippos die Zuschriften von Histiaios denen geben, denen er sie zu bringen hatte, die Antworten aber, welche die Perser an Histiaios richteten, ihm selbst geben. Da nun dieses entdeckt worden war, richtete Artaphernes sofort viele Perser hin. In Sardes herrschte darüber große Unruhe.

5. Als sich Histiaios in dieser Hoffnung getäuscht sah, führten ihn die Chier, die er darum ersuchte, nach Milet zurück. Aber die Milesier waren froh, daß sie den Aristagoras loswaren, und hatten keineswegs Lust, einen andern Machthaber in ihr Land aufzunehmen, da sie nun die Freiheit gekostet hatten. Also ward Histiaios, da er bei Nacht mit Gewalt wieder in Milet einzudringen suchte, von einem Milesier in der Hüfte verwundet. Von seiner Stadt verstoßen, kam er nach Chios zurück und setzte von dort, da er die Chier nicht dazu brachte, ihm Schiffe zu geben, nach Mytilene über und überredete die Lesbier, ihm Schiffe zu geben. Diese bemannten acht Dreiruderer und fuhren mit Histiaios nach Byzanz. Hier setzten sie sich fest und nahmen die Schiffe weg, die aus dem Pontos fuhren, außer denen, die sich bereit erklärten, dem Histiaios zu folgen.

6. Dies taten Histiaios und die Mytilenaier. Gegen Milet selbst war aber ein großes Land- und Seeheer im Anzug; denn die Feldherrn der Perser hatten sich vereinigt und rückten nun mit ihrer gesamten Macht auf Milet los, indem sie die andern kleinen Städte minder beachteten. Beim Schiffsheer waren die Phönizier am eifrigsten: es zogen aber auch Zyprier, die eben erst wieder unterworfen waren, und Zilizier und Ägypter mit.

7. Diese zogen also gegen Milet und das übrige Ionien in den Krieg. Auf die Nachricht hiervon sandten die Ionier ihre Abgeordneten zum Rat nach dem Panionion. Als diese zusammenkamen an diesem Ort und Rat hielten, beschlossen sie, zu Lande kein Heer gegen die Perser zusammenzuziehen, sondern die Milesier sich selbst in ihren Mauern verteidigen zu lassen, die Schiffe aber zu bemannen, daß auch nicht ein einziges zu Hause bleibe, und sie dann aufs schleunigste bei Lade zu sammeln, um Milet zur See zu decken. Lade ist eine kleine Insel bei der Stadt der Milesier.

7. Lade ist heute keine Insel mehr, sondern durch die Anschwemmungen des Mäanders zu einem Teile des Festlandes geworden.

 

8. Nun fanden sich die Ionier mit den bemannten Schiffen ein und mit ihnen auch die Äolier, die Lesbos innehaben, und stellten sich auf, wie folgt. Den Flügel gegen Morgen bildeten die Milesier selbst, die achtzig Schiffe stellten. An diese stießen die Priener mit zwölf Schiffen, und die Myusier mit drei Schiffen; auf die Myusier folgten die Teier mit siebzehn Schiffen, auf die Teier die Chier mit hundert Schiffen; neben diesen standen die Erythraier und Phokaier, und zwar die Erythraier mit acht, die Phokaier mit drei Schiffen; an die Phokaier stießen die Lesbier mit siebzig Schiffen, und zuäußerst standen, auf dem Flügel gegen Abend, die Samier mit sechzig Schiffen. Von diesen allen war die Gesamtzahl dreihundertdreiundfünfzig Dreiruderer. Soviel Schiffe hatten die Ionier.

9. Bei den Barbaren aber betrug die Menge der Schiffe sechshundert. Als nun auch diese vor dem milesischen Lande ankamen und das gesamte Landheer auch da war, gerieten die Feldherren der Perser, da sie die Menge der ionischen Schiffe erfuhren, in Furcht, sie möchten nicht mit ihnen fertig werden können und nicht imstande sein, Milet zu erobern, weil sie ja nicht Herren der See wären. Dann aber hatten sie von Dareios nichts Gutes zu erwarten. In dieser Erwägung versammelten sie die Machthaber der Ionier, die nach der Auflösung ihrer Herrschaft durch Aristagoras von Milet zu den Medern geflohen und jetzt mit im Heere gegen Milet waren – sie beriefen also von diesen Männern die, welche da waren, und sagten ihnen folgendes: »Jetzt, ihr Männer von Ionien, kann sich jeder von euch um das Haus des Königs verdient machen, indem er versucht, die Bürger seiner Stadt vom übrigen Bundesheer loszutrennen. Haltet ihnen dazu folgendes Versprechen vor: ›Wegen des Abfalles soll ihnen kein Leid geschehen; es sollen weder ihre Heiligtümer noch ihre Häuser verbrannt werden, und sie sollen auch nicht mehr zu tragen haben als vordem.‹ Wenn sie das aber nicht tun, sondern es durchaus auf eine Schlacht ankommen lassen wollen, so sagt ihnen das zur Drohung, wie sie's auch wirklich treffen wird: ›Sie sollen, wenn sie in der Schlacht überwunden sind, verknechtet werden, und ihre Söhne werden wir zu Verschnittenen machen, ihre Jungfrauen nach Baktra schleppen und ihr Land Fremden übergeben.‹«

10. Das sagten diese, und die Machthaber der Ionier sandten bei Nacht, jeder an seine Landsleute, diese Botschaft. Die Ionier aber, denen die Botschaften wirklich zukamen, blieben hartnäckig und wollten von dem Verrat nichts wissen; auch meinte jede Bürgerschaft, die Perser entböten das ihr allein. Das geschah gleich nach der Ankunft der Perser bei Milet.

11. Dann berieten die Ionier, die bei Lade versammelt waren, wobei denn mancher andere redete, namentlich aber der phokaiische Feldherr Dionysios, der sagte: »Unser Schicksal, ihr Ionier, schwebt nun doch auf der Schärfe des Schermessers, ob wir frei sein sollen oder Sklaven, und zwar davongelaufene Sklaven; wollt ihr also jetzt Mühsale auf euch nehmen, so werdet ihr für den Augenblick beschwerliche Arbeit haben, aber imstande sein, die Feinde zu überwinden und frei zu sein; werdet ihr hingegen der Schlaffheit und Unordnung euch hingeben, so hab' ich für euch keine Hoffnung, daß ihr nicht dem Könige für den Abfall büßen müßt. Darum folgt mir und vertraut euch mir an, und ich verspreche euch: wenn uns die Götter nicht verlassen, werden die Feinde sich entweder nicht mit uns schlagen oder, wenn sie sich schlagen, bei weitem unterliegen.«

12. Als das die Ionier hörten, vertrauten sie sich dem Dionysios an. Er führte nun täglich die Schiffe erst in langer Reihe hintereinander heraus und ließ dann die Ruderer die Durchfahrt zwischen nebeneinander fahrenden Schiffen üben, stellte die Seesoldaten in voller Bewaffnung auf und hielt den Rest des Tages die Schiffe vor Anker, so daß er die Ionier den ganzen Tag abmühte. Sieben Tage nun folgten sie und taten, was er befahl; am achten aber sagten die Ionier, die an solche Mühen nicht gewöhnt und von Beschwerlichkeiten und Sonnenhitze ganz erschöpft waren, zueinander folgendes: »An welcher Gottheit haben wir uns vergangen, daß es uns also ergeht, da wir in rechter Narrheit und Geistesabwesenheit einem phokaiischen Prahler, der nur drei Schiffe stellt, uns selbst anvertraut und untergeordnet haben? Seit er uns in seinen Händen hat, richtet er uns unheilbar zugrunde, wie denn viele von uns in Krankheit gefallen sind und viele ein Gleiches zu erwarten haben. Statt dieser Übel ist es ja besser, wir lassen uns alles mögliche gefallen und warten lieber ab, wie die drohende Knechtschaft ausfällt, als daß wir die gegenwärtige auf uns liegen lassen. Ja, wir wollen ihm fortan nicht folgen!« Das sagten sie, und darauf wollte gleich keiner mehr gehorchen, sondern sie schlugen wie ein Lagervolk Zelte auf der Insel auf, blieben im Schatten liegen und wollten weder auf die Schiffe steigen noch üben.

12. Die Durchfahrt zwischen nebeneinander fahrenden Schiffen: Das Hauptmanöver der antiken Seeschlacht. Die großen Ruderschiffe, deren Ruder rechts und links herausstarrten, wurden erst unbeweglich gemacht, dann geentert. Man ruderte in raschestem Tempo auf die feindliche Schlachtlinie los, zog im letzten Augenblick die eigenen Ruder ein und streifte beim Hindurchfahren durch zwei feindliche Schiffe deren Ruder ab, die gegenüber dem schweren Schiffskörper verletzlich waren wie Insektenbeine. Wenn die Ruder eines Schiffes gebrochen sind, fährt man zum zweitenmal auf dasselbe los und entert. Das ganze Verfahren konnte nur glücken, wenn es unzähligemal eingeübt worden war, so daß jedes Kommando blitzschnell befolgt wurde. Die anstrengenden Übungsstunden behagten den ionischen Seeleuten nicht, die mit ihren auf der Handelsflotte erworbenen Fertigkeiten auskommen zu können glaubten. Die Überlegenheit der athenischen Kriegsflotte beruhte zu einem großen Teile auf der Ausbildung ihrer Mannschaft im Manöver der Durchfahrt. Im bloßen Schiffsbau hätte das reiche Persien jeden andern Staat schlagen können.

 

13. Als die Feldherrn der Samier dieses Betragen der Ionier bemerkten, nahmen sie nun erst den Vorschlag, den Aiakes, der Sohn des Syloson, auf der Perser Geheiß an sie gesandt hatte, indem er sie bat, das Bundesheer der Ionier zu verlassen – diesen Vorschlag nahmen die Samier an, einmal weil sie die große Unordnung bei den Ioniern sahen, sodann auch, weil es ihnen einleuchtete, daß es unmöglich sei, die Macht des Königs zu überwinden, da sie wohl wußten, wenn sie auch diese Flotte des Dareios überwänden, so werde bald eine andere da sein, fünfmal so groß. Sie hatten also einen Vorwand und sahen nicht so bald die Unwilligkeit der Ionier zu gutem Dienst, als sie's auch nicht für Raub achteten, sich ihre Heiligtümer und ihr Eigentum zu erhalten. Aiakes aber, dessen Vorschlag die Samier annahmen, war ein Sohn Sylosons, des Sohnes des Aiakes, und war als Machthaber von Samos durch Aristagoras von Milet seiner Herrschaft entsetzt worden wie die andern Machthaber von Ionien.

14. Wie also jetzt die Phönizier heranfuhren, führten auch die Ionier ihre Schiffe in langem Zuge hintereinander ihnen entgegen. Als sie aber aufeinander stießen und sich miteinander schlugen, da kann ich nicht mit Bestimmtheit schreiben, welche von den Ioniern in dieser Seeschlacht sich schlecht oder gut hielten; denn sie beschuldigen sich gegenseitig. Die Samier aber sind, sagt man, ihrer Verabredung mit Aiakes gemäß, mit ausgespannten Segeln aus der Schlachtordnung davongefahren nach Samos, elf Schiffe ausgenommen, deren Hauptleute aushielten und die Seeschlacht gegen den Befehl ihrer Feldherrn mitmachten. Diesen widmete die Volksgemeinde der Samier für diese Tat eine Denksäule mit ihren Namen und den Namen ihrer Väter als Männern, die sich gut gehalten hatten, und diese Säule steht auf dem Markte. Als aber die Lesbier ihre Nebenmänner fliehen sahen, machten sie's ebenso wie die Samier, und diesem Beispiel folgten die meisten Ionier.

14. Mit ihren Namen und den Namen ihrer Väter: Es galt als eine Auszeichnung, wenn der Name des Vaters hinzugefügt wurde. In der »Ilias« fordert Agamemnon (X, 67-69) seinen Bruder Menelaos auf:
Ruf auch, wohin du kommst, und ermuntere rings, zu wachen,
Jeglichen Mann nach Geschlecht mit Vaternamen benennend,
Jeglichem Ehr' erweisend, und nicht erhebe dich vornehm!
Herodot gibt bei sehr berühmten Personen nicht nur die Väter, sondern auch noch deren Väter und Großväter an. Diese Ehrung der Väter ist ein Charakterzug heroischer Zeitalter. Auch im »Hildebrandslied« fragt Hildebrand den ihm begegnenden Hadubrand sofort nach seinem Vater und seinen Ahnen.

 

15. Von denen, die in der Seeschlacht aushielten, wurden die Chier am schlimmsten zugerichtet, führten aber auch herrliche Taten aus, statt schändlich zu weichen. Sie hatten nämlich, wie schon oben bemerkt wurde, hundert Schiffe gestellt, und auf jedem standen vierzig auserlesene Krieger von ihren Bürgern. Angesichts der Flucht vieler treuloser Bundesgenossen wollten sie sich doch nicht gleich diesen Feigen betragen, sondern machten mit den wenigen Bundesgenossen, von denen sie nicht verlassen worden waren, die Durchfahrt durch die feindliche Linie und kämpften, bis sie viele feindliche Schiffe genommen und von den ihrigen die meisten verloren hatten. Mit ihren noch übrigen Schiffen flohen die Chier nach Hause.

16. Aber die von den Chiern, deren Schiffe leck waren, und die nun verfolgt wurden, flüchteten sich nach Mykale. Daselbst ließen sie ihre Schiffe auf den Strand laufen und zogen zu Fuß durch das feste Land weiter. Als nun auf ihrem Zuge die Chier ins Ephesische einrückten und nachts ankamen, während gerade die Weiber dort die Thesmophorien feierten, und die Epheser, ohne noch gehört zu haben, wie es um die Chier stand, ein Heer in ihr Gebiet einrücken sahen, hielten diese sie für nichts anderes als Räuber, die es auf die Weiber abgesehen hätten. Sie schlugen Lärm, führten alles Volk gegen die Chier und töteten sie. In solches Unglück stürzten diese.

16. Über die Thesmophorien s. Anm. zu Buch II, Kapitel 171.

 

17. Dionysios aber, der Phokaier, fuhr, sobald er sah, die Sache der Ionier sei verloren, nachdem er drei feindliche Schiffe genommen hatte, davon, aber nicht mehr nach Phokaia. Da er wohl wußte, daß es, wie ganz Ionien, in Knechtschaft kommen werde, fuhr er vielmehr stracks nach Phönizien. Hier bohrte er Kauffahrer in den Grund, erbeutete viele Schätze und fuhr nach Sizilien. Dort lebte er als Seeräuber, vergriff sich aber niemals an einem Hellenen, sondern nur an Karthagern und Tyrrhenern.

18. Die Perser aber belagerten nach ihrem Seesiege über die Ionier Milet zu Lande und zu Wasser, untergruben die Mauern und eroberten es mit Anwendung aller möglichen Belagerungswerke im sechsten Jahr nach dem Abfalle des Aristagoras und verknechteten die Stadt, so daß ihr Schicksal den an Milet ergangenen Götterspruch erfüllte.

19. Die Argiver hatten nämlich in Delphi einen Spruch eingeholt, wie sie ihre Stadt retten könnten, und der Gott gab ihnen einen gemeinsamen Spruch, dessen einer Teil die Argiver selbst betraf, während der Zusatz sich auf die Milesier bezog. Nun werde ich das, was auf die Argiver ging, besprechen, wenn ich in meiner Geschichte darauf komme; was er aber den Milesiern, ohne daß sie anwesend waren, verkündete, lautet so:

Und dann wirst auch du, Miletos, du Stifter von Unheil,
Vielen ein Gastmahl werden und Schatz willkommener Gaben.
Deine Gattinnen waschen den Fuß dann vielen Gelockten;
Unseres Tempels werden in Didymoi andere walten.

Damals also traf dieses die Milesier; denn die Männer wurden größtenteils von den Persern, die wirklich lange Haare tragen, erschlagen, während ihre Weiber und Kinder zu Sklaven gemacht wurden und das Heiligtum in Didymoi, Tempel und Orakelstätte, geplündert und verbrannt ward. Der in diesem Heiligtum befindlichen Schätze habe ich aber schon oft in meiner Geschichte gedacht.

20. Sofort wurden die gefangenen Milesier nach Susa abgeführt. König Dareios verpflanzte sie, ohne ihnen weiter etwas zuleide zu tun, an das sogenannte Rote Meer in die Stadt Ampe, an der vorbei der Fluß Tigris sich ins Meer ergießt. Vom milesischen Lande aber behielten die Perser die Stadt samt ihrem ganzen Feldgebiet; den Bergstrich aber gaben sie Karern von Pedasa zum Besitz.

21. Als dieses den Milesiern von den Persern geschah, vergalten ihnen die Sybariten, die Laos und Skidros nach dem Verlust ihrer Stadt bewohnten, nicht Gleiches mit Gleichem. Bei der Eroberung von Sybaris durch die Krotoniaten hatte nämlich die ganze milesische Jugend ihr Haupt geschoren und große Trauer getragen; denn diese Städte hatten vor allen, von denen wir wissen, in enger Gastfreundschaft gestanden. Ganz anders aber die Athener! Die Athener nämlich gaben überhaupt ihren tiefen Kummer über die Eroberung von Milet vielfach zu erkennen, und als Phrynichos ein Trauerspiel, »Die Eroberung von Milet«, dichtete und zur Aufführung brachte, vergossen alle Zuschauer Tränen, und sie straften ihn, weil er ihnen der Ihrigen Unglück vorgestellt hatte, um tausend Drachmen; auch verboten sie, daß jemals einer dies Trauerspiel wieder aufführe.

21. Laos und Skidros sind Städte in Lukanien. – Phrynichos ist ein Vorgänger des Aischylos. Seine »Eroberung von Milet« war noch nicht das, was wir ein Drama nennen, sondern bestand fast nur aus Chören, d. h. aus Klagegesängen, so daß es kein Wunder war, daß die Zuschauer, denen der Fall Milets naheging, sehr bald in sie einstimmten.

 

22. Milet also ward leer von Milesiern. Von den Samiern aber waren die Begüterten mit dem Verhalten ihrer Feldherrn gegen die Meder gar nicht zufrieden. Sie berieten gleich nach der Seeschlacht und beschlossen, ehe noch ihr Machthaber Aiakes in ihr Land komme, auszufahren und sich anderswo anzusiedeln, statt zu bleiben und der Meder und des Aiakes Knechte zu sein. Die Zanklaier schickten nämlich aus Sizilien um dieselbe Zeit Boten nach Ionien und riefen die Ionier nach Kale Akte, wo sie eine Stadt der Ionier gründen wollten. Dieses Kale Akte ist aber sizilisch, und zwar liegt es an der Seite Siziliens, die Tyrrhenien zugewandt ist. Auf deren Einladung also zogen von allen Ioniern bloß die Samier aus und mit ihnen die Milesier, die davongekommen waren.

22. Kale Akte heißt »schönes Vorgebirge«. Der Name änderte sich dann in Kalakte.

 

23. Unterdessen traf es sich, daß folgendes geschah. Die Samier waren auf ihrem Wege nach Sizilien bis Lokroi Epizephyrioi gekommen, und die Zanklaier samt ihrem König, mit Namen Skythes, belagerten eine sizilische Stadt, um sie einzunehmen. Das erfuhr Anaxilaos, der Machthaber von Rhegion, der damals mit den Zanklaiern in Zwietracht war, ließ sich mit den Samiern ein und überredete sie, es sei das gegebene, Kale Akte, wohin ihr Zug ging, fahren zu lassen und Zankle, das leer von Männern sei, zu besetzen. Da nun die Samier seinem Rate folgten und Zankle in Besitz nahmen, eilten die Zanklaier, auf die Nachricht, ihre Stadt sei genommen, ihr zu Hilfe und riefen auch Hippokrates, den Machthaber von Gela, herbei; denn dieser war ihr Bundesgenosse. Wie nun Hippokrates mit seinem Heere ihnen zu Hilfe kam, legte er den Skythes, den Beherrscher der Zanklaier, unter dem Vorwande, daß er den Verlust der Stadt herbeigeführt habe, samt seinem Bruder Pythogenes in Ketten und schickte sie nach der Stadt Inykos ab; die übrigen Zanklaier aber gab er nach einer Übereinkunft mit den Samiern und gegenseitigem Treuschwure preis. Dafür war ihm zum Lohn von den Samiern zugesagt, daß er von allen Geräten und Sklaven in der Stadt die Hälfte, die draußen auf dem Lande aber samt und sonders bekommen sollte. Die meisten Zanklaier hielt nun Hippokrates selbst als Sklaven in Banden, ihre Vornehmsten aber, dreihundert an der Zahl, gab er den Samiern, um sie hinzurichten, was jedoch die Samier nicht taten.

23. Lokroi Epizephyrioi war von ozolischen Lokrern nahe beim Vorgebirge Zephyrion (das vom Westwind Umwehte) an der östlichen Küste der Südwestspitze Italiens begründet worden.

 

24. Skythes aber, der Fürst der Zanklaier, entrann aus Inykos nach Himera, begab sich von dort nach Asien und ging zum König Dareios hinauf. Dareios hielt ihn für den rechtschaffensten Mann von allen, die aus Hellas zu ihm hinaufgekommen waren. Er ging nämlich mit Bewilligung des Königs nach Sizilien und kam aus Sizilien wieder zum König zurück, so daß er in Persien in hohem Alter und größtem Wohlstande starb. – Die Samier waren also der Mederherrschaft entgangen und waren ohne Schweiß in den Besitz der herrlichen Stadt Zankle gekommen.

25. Nach jenem Seekampfe um Milet aber führten die Phönizier Aiakes, den Sohn Sylosons, auf der Perser Geheiß nach Samos zurück, weil er sich um diese sehr verdient gemacht und Großes geleistet hatte. Auch wurden von allen Empörern gegen Dareios den Samiern allein, als Belohnung für das Entweichen ihrer Schiffe aus dem Seekampf, weder die Stadt noch die Heiligtümer verbrannt. Nach Milets Eroberung besetzten aber die Perser sogleich Karien, indem die Städte sich zum Teil freiwillig ins Joch beugten, zum Teil mit Gewalt dahin gebracht wurden. So geschah dieses.

26. Dem Histiaios von Milet aber, der sich bei Byzanz aufhielt und die ionischen Frachtschiffe, die aus dem Pontos zurückfuhren, aufgriff, ward hinterbracht, wie es mit Milet ergangen war. Da übertrug er seine Angelegenheiten im Hellespont dem Bisaltes, einem Sohn des Apollophanes, aus Abydos; er selbst aber fuhr mit seinen Lesbiern nach Chios. Hier schlug er sich mit der Besatzung der Chier, die ihn nicht eindringen lassen wollte, in den sogenannten Koilen aus dem Chiergebiet. Von diesen erschlug er eine Menge; auch der übrigen Chier, die in der Seeschlacht schwer gelitten hatten, wurde Histiaios mit seinen Lesbiern von der chiischen Stadt Polichna aus Herr.

26. Koilen heißt Schluchten.

 

27. Es zeigt sich aber gern durch Vorzeichen an, wenn großes Unheil über eine Stadt oder ein Volk kommen soll, und so geschahen auch den Chiern vorher große Zeichen. Als sie nach Delphi einen Chor von hundert Jünglingen sandten, kamen nur zwei wieder nach Haus, und die achtundneunzig andern raffte eine Seuche dahin; sodann fiel in ihrer Stadt um dieselbe Zeit, kurz vor der Seeschlacht, über den Knaben in der Leseschule die Decke ein, so daß von hundertundzwanzig Knaben nur ein einziger davonkam. Das waren die Vorzeichen, die ihnen der Gott gab, und dann kam die Seeschlacht, die der Stadt den Stoß gab, und nach der Seeschlacht kam noch Histiaios mit den Lesbiern, der die Chier in ihrem elenden Zustande leicht unterwarf.

28. Von da zog Histiaios nach Thasos mit einer starken Zahl von Ioniern und Äoliern. Da er aber Thasos belagerte, kam ihm Botschaft zu, daß die Phönizier von Milet aus gegen das übrige Ionien heranführen. Auf diese Nachricht verließ er Thasos, ohne es zu zerstören, und eilte mit dem ganzen Heere nach Lesbos. Von Lesbos ging er aber, da sein Heer Hunger litt, aufs Festland hinüber, um in Atarneus Frucht zu schneiden, die dortige sowohl als die am Flusse Kaïkos im Mysischen. In diesen Gegenden war gerade der persische Feldherr Harpagos mit einem ziemlich großen Heere. Der stieß mit ihm, als er gelandet war, zusammen und nahm den Histiaios selbst lebendig gefangen und machte den größten Teil seines Heeres nieder.

29. Gefangen wurde aber Histiaios, wie folgt. Als sich die Hellenen mit den Persern bei Malene in der Landschaft Atarneus schlugen, hielten sie lange stand, aber dann brach die Reiterei los und warf sich auf die Hellenen. Die Reiterei entschied die Schlacht, und die Hellenen flohen. Histiaios aber hatte in der Hoffnung, der König werde ihn für sein Vergehen nicht hinrichten lassen, sein Leben so lieb, daß er sich einem Perser, der ihn auf der Flucht einholte, ergriff und eben niederstechen wollte, durch einen Ausruf in persischer Sprache zu erkennen gab, er sei Histiaios, der Milesier.

30. Wäre er nun gleich, wie er gefangen war, zum König Dareios abgeführt worden, so wäre ihm, denk' ich, kein Leid geschehen, sondern dieser hätte ihm seine Schuld erlassen. Ebendeswegen aber, und damit er nicht, wenn er durchkomme, wieder beim König groß werde, nahmen ihn Artaphernes, der Statthalter von Sardes, und Harpagos, der ihn gefangengenommen hatte, sobald sie ihn in Sardes hatten, und spießten seinen Leib auf den Pfahl; seinen Kopf aber salzten sie ein und brachten ihn so zum König Dareios nach Susa. Als das vor Dareios kam, schalt er die, die solches getan hatten, weil sie ihn nicht lebendig vor sein Angesicht gebracht hatten, und befahl ihnen, sie sollten den Kopf des Histiaios waschen und schmücken und bestatten, da er ein Mann sei, der sich großes Verdienst um ihn und die Perser erworben habe. So ging es mit Histiaios.

31. Das Schiffsheer der Perser, das in Milet überwintert hatte, fuhr im zweiten Jahre aus und nahm mit leichter Mühe die Inseln, die am Festlande liegen, Chios, Lesbos und Tenedos. Auf jeder Insel nun, die es nahm, machten die Barbaren immer eine große Fangjagd auf die Menschen. Ihre Fangjagd ist aber von dieser Art: ein Mann hat den anderen bei der Hand in einer Reihe von der Nordküste bis zur Südküste, und so durchziehen sie die ganze Insel und jagen die Menschen auf. Sie nahmen aber auch die ionischen Städte auf demselben Zug; nur machten sie dort keine Fangjagd auf die Menschen, weil es nicht tunlich war.

32. Da straften die Perserfeldherrn die Drohungen nicht Lügen, die sie den Ioniern angedroht hatten, als sie ihnen gegenüberlagen. Denn als sie die Städte in ihrer Gewalt hatten, lasen sie die wohlgebildetsten Knaben aus, verschnitten sie und machten sie aus Mannhaftigen zu Eunuchen, und die Schönsten der Jungfrauen schleppten sie zum König fort; wie sie dies taten, so brannten sie auch ihre Städte samt den Heiligtümern ab. So wurden zum drittenmal die Ionier verknechtet, zuerst von den Lydern und dann zweimal hintereinander von den Persern.

33. Von Ionien weitergehend nahm das Schiffsheer alles, was links von der Einfahrt in den Hellespont liegt; denn was rechts davon liegt, hatten die Perser bereits zu Lande in ihre Gewalt gebracht. Es liegen aber auf der europäischen Seite des Hellesponts der Chersones, auf dem viele Städte liegen, Perinthos, die thrazischen Festen, Selymbria und Byzanz. Die Byzantiner nun und die gegenüberliegenden Chalkedonier warteten nicht, bis die Phönizier heranfuhren, sondern entwichen aus ihrem Lande ins Innere des Pontos Euxeinos und legten daselbst die Stadt Mesambria an. Die Phönizier aber brannten die genannten Orte nieder und wandten sich gegen Prokonnesos und Artake, die sie gleichfalls dem Feuer übergaben. Dann fuhren sie wieder nach dem Chersones, um noch die übrigen Städte zu verheeren, die sie bei der ersten Landung nicht verwüstet hatten. Gegen Kyzikos unternahmen sie überhaupt nichts, weil sich die Kyzikener von selbst noch vor dem Einlaufen der Phönizier dem König ergeben hatten, durch Übereinkunft mit Oibares, dem Sohne des Megabazos, dem Statthalter zu Daskyleion. Auf dem Chersones aber unterwarfen die Phönizier außer der Stadt Kardia alle andern.

34. Über dieselben war bis dahin Machthaber gewesen Miltiades, der Sohn Kimons, des Sohnes des Stesagoras, nachdem diese Herrschaft zuerst Miltiades, der Sohn des Kypselos, auf folgende Art erworben hatte. Es saßen auf dieser Halbinsel Dolonker thrazischen Stammes. Diese Dolonker sandten, als sie im Kriege von den Absinthiern bedrängt wurden, ihre Könige nach Delphi um einen Spruch über den Krieg. Da sagte ihnen die Pythia, sie sollten den als Ansiedler in ihr Land holen, der sie auf dem Rückwege vom Heiligtum zuerst gastlich einlade. Die Dolonker zogen nun auf der heiligen Straße durch das Land der Phoker und der Böotier und wandten sich, da sie niemand einlud, nach Athen.

34. Die heilige Straße ging von Athen über Eleusis, das Kithärongebirge, Platää, Theben, Haliartos, Chaironeia, Daulis nach Delphi.

 

35. In Athen hatte damals Peisistratos die ganze Macht in Händen, doch war auch Miltiades, der Sohn des Kypselos, ein Großer, aus einem Hause, das ein Viergespann hielt, ursprünglich von Aiakos und der Aigina stammend, nach seinen jüngern Ahnen aber ein Athener, da Philaios, der Sohn des Aias, aus diesem Hause zuerst Athener geworden war. Dieser Miltiades saß in seiner Vorhalle, sah die Dolonker vorübergehen, in ihrer ausländischen Tracht und mit ihren Lanzen, und rief sie an. Sie traten herzu, und da bot er ihnen Herberge und gastlichen Empfang an. Das nahmen sie an und eröffneten ihm nach der gastlichen Bewirtung die ganze Weissagung. Sie baten bei dieser Eröffnung, er möge dem Wunsche des Gottes folgen. Dazu war Miltiades, wie er es hörte, gleich bereit, da ihm die Herrschaft des Peisistratos zur Last war und er sich von ihr zu lösen wünschte. Sogleich reiste er nach Delphi, um das Orakel zu befragen, ob er tun dürfe, was die Dolonker von ihm begehrten.

35. Es hielt ein Viergespann, um sich an den Wettfahrten in Olympia zu beteiligen. Dieser kostspielige Sport war das Kennzeichen der großen Häuser. – Philaios sollte den Athenern die Insel Salamis abgetreten haben und dafür athenischer Bürger geworden sein.

 

36. Da nun auch die Pythia es ihn tun hieß, nahm jetzt dieser Miltiades, der Sohn des Kypselos, der vordem zu Olympia einen Sieg mit dem Viergespann gewonnen hatte, jeden von den Athenern mit, der an dem Zuge teilnehmen wollte, und fuhr mit den Dolonkern hin und besetzte das Land. Darauf setzten die, von denen er geholt war, ihn als Machthaber ein. Nun schnitt er zuerst die Landenge des Chersones durch eine Mauer von der Stadt Kardia bis Paktye ab, damit die Absinthier nicht in das Land eindringen und ihnen Schaden tun könnten. Diese Landenge ist aber sechsunddreißig Stadien breit, und von dieser Landenge ab erstreckt sich der ganze Chersones in einer Länge von vierhundertundzwanzig Stadien.

37. Nachdem also Miltiades den Hals des Chersones vermauert hatte und auf diese Weise die Absinthier abhielt, führte er von den übrigen zuerst mit den Lampsakenern Krieg, wobei ihn die Lampsakener durch einen Hinterhalt gefangennahmen. Miltiades war aber ein guter Freund des Kroisos, des Lyders. Als daher Kroisos dies erfuhr, ließ er den Lampsakenern entbieten, sie sollten den Miltiades loslassen; widrigenfalls er sie wie eine Fichte auszurotten drohte. Da besprachen sich die Lampsakener hin und her, was das Wort sagen wolle, das Kroisos ihnen angedroht habe: sie wie eine Fichte auszurotten. Endlich verstand es einer von den Älteren und erklärte, wie das auch der Fall ist, daß die Fichte allein unter allen Bäumen, wenn man sie abhaut, keinen Schößling mehr treibt, sondern ganz und gar abstirbt. Aus Furcht vor Kroisos gaben die Lampsakener den Miltiades los und frei.

37. Es ist ein Irrtum, daß die abgehauene Fichte keine Schößlinge mehr treibt. Also ist die Deutung, die der greise Lampsakener gibt, falsch. Der alte Name von Lampsakos war aber Fichtenstadt (Pityoessa), und Kroisos hat den Bewohnern von »Fichtenstadt« einfach sagen lassen: »Ich werde die Fichte ausrotten!«

 

38. Dieser kam also durch die Hilfe des Kroisos davon. Er starb kinderlos, nachdem er Herrschaft und Vermögen dem Stesagoras übergeben hatte, einem Sohne Kimons, seines Bruders mütterlicherseits. Ihm opfern noch die Chersonesiten, wie es Brauch ist bei dem Begründer einer Kolonie, und stellen dabei Spiele mit Wettkämpfen und Wettrennen an, bei denen kein Lampsakener mitkämpfen darf. Während eines Krieges gegen die Lampsakener fand aber auch Stesagoras, der gleichfalls kinderlos war, seinen Tod in dem Rathause durch einen Beilhieb auf den Kopf, von einem Manne, der den Überläufer spielte, in Wahrheit aber ein erbitterter Feind war.

38. Die Mutter des Miltiades, der die Herrschaft auf dem Chersones begründet hatte, heiratete nach dem Tode des Kypselos den Stesagoras und gebar ihm den Kimon. Von da ab ist der Stammbaum folgender:

Stammbaum

Oloros II. war Bürger in Athen geworden. Blutmäßig ist Kimon ein halber Thrazier, und Thukydides ist mehr Thrazier als Athener, obwohl er der Enkel des Marathonsiegers ist. Da Thukydides im Gegensatze zu dem anmutigen Erzähler Herodot vor allem Wissenschaftler sein will, ist diese Blutmischung nicht ohne Bedeutung. Die Thrazier gehören wie die Griechen zum indogermanischen Sprachstamm und erinnern in ihren Sitten vielfach an die Germanen. Man kann also ruhig sagen, daß Thukydides einen nordischen Einschlag hat. Es ist kein Zufall, daß Leopold von Ranke sich ihm verwandt fühlte. Eine ähnliche Blutmischung scheint auch bei Aristoteles aus dem mazedonischen Stageira vorgelegen zu haben: »Ich glaube auch«, sagt Wilamowitz (Aristoteles und Athen, I, S. 117), »daß etwas Rassenverwandtschaft zwischen dem Gutsherrn von Skaptehyle und dem Stagiriten ist. Zu dem Mythischen verhalten sie sich ganz gleich, vollkommen indifferent, und sie sehen beide in der Weltgeschichte zwar kein Spiel des Zufalls, aber auch keine Tragödie, von Gott gedichtet, vielmehr das Kämpfen menschlicher Leidenschaft und menschlicher Einsicht, in dem der an Einsicht und Willenskraft Stärkere den Sieg behält, nicht die bessere Sache.« – Als eine Tragödie sah Herodot die Geschichte an.

 

39. Da auf diese Art auch Stesagoras umgekommen war, so ward jetzt Miltiades, der Sohn Kimons, der Bruder des verstorbenen Stesagoras, zur Besitznahme der Herrschaft auf dem Chersones mit einem Dreiruderer von den Peisistratiden ausgerüstet. Sie hatten ihm auch in Athen Gutes erwiesen, als wären sie sich keiner Schuld bewußt am Tode seines Vaters Kimon. Wie es dabei zugegangen war, will ich an anderer Stelle erzählen. Miltiades kam nach dem Chersones und blieb immer in seinem Hause, als wolle er damit seinen verstorbenen Bruder Stesagoras ehren. Da dies die Chersonesiten hörten, versammelten sich von allen Seiten die Großen aus allen ihren Städten, und wie sie nun zur Beileidsbezeugung allesamt zu ihm kamen, legte er sie in Bande. So war Miltiades Herr vom Chersones, hielt sich auch fünfhundert Söldner und heiratete eine Tochter des Oloros, des Thrazierkönigs, Hegesipyle.

39. Die »andere Stelle«, an der Herodot die Ermordung Kimons (I.) berichtet, ist Kapitel 103.

 

40. Dieser Miltiades, der Sohn Kimons, war noch nicht lange auf dem Chersones, als er in Umstände kam, die härter waren als die, von denen ich zunächst zu berichten habe. Schon drei Jahre vor diesen mußte er nämlich vor den Szythen fliehen, indem die Weideszythen, vom König Dareios gereizt, sich vereinigt und einen Zug bis nach diesem Chersones gemacht hatten. Damals flüchtete Miltiades, ohne ihre Ankunft abzuwarten, aus dem Chersones, bis die Szythen abgezogen waren und die Dolonker ihn wieder zurückholten. Dies geschah drei Jahre vor dem, was ihn jetzt traf.

41. Jetzt hatte er, als er erfuhr, daß die Phönizier in Tenedos seien, fünf Dreiruderer beladen mit allen Schätzen, die ihm zur Hand waren, und fuhr nach Athen. Wie er nun von der Stadt Kardia aus durch den Melasbusen gefahren war und gerade um den Chersones herumbog, geriet er mit seinen Schiffen unter die Phönizier. Miltiades selbst mit vier von seinen Schiffen entkam nach Imbros; aber das fünfte Schiff holten die Phönizier ein und nahmen es. Der Hauptmann dieses Schiffes war aber Metiochos, der älteste von den Söhnen des Miltiades, den er nicht von der Tochter des Thraziers Oloros, sondern von einer andern hatte; den nahmen die Phönizier samt dem Schiffe gefangen. Wie sie nun erfuhren, daß er ein Sohn des Miltiades sei, führten sie ihn hinauf zum König, in der Hoffnung, großen Dank davon zu haben, weil ja Miltiades unter den Ioniern die Meinung vertreten hatte, man solle den Szythen folgen, als diese begehrten, sie möchten die Brücke abbrechen und nach Hause fahren. Dareios aber tat dem Metiochos, dem Sohne des Miltiades, wie ihn die Phönizier zu ihm hinaufführten, nichts Böses, sondern vieles Gute; denn er gab ihm Haus und Gut und auch ein persisches Weib, von der er Kinder bekam, die unter die Perser aufgenommen wurden. Miltiades aber kam von Imbros nach Athen.

42. In diesem Jahre geschah auch keine weitere Feindseligkeit von den Persern gegen die Ionier, aber etwas, was den Ioniern sehr nützlich war, geschah in diesem Jahre. Artaphernes, der Statthalter von Sardes, ließ Gesandte aus den Städten kommen und zwang die Ionier zu Verträgen unter sich, daß sie einander rechtspflichtig sein und nicht in Fehde und Raub miteinander leben wollten. Das zwang er sie zu tun, und ihre Lande vermaß er nach Parasangen, wie der persische Name für dreißig Stadien lautet, und setzte auf Grund dieser Vermessung die Abgaben für die einzelnen an. Sie sind seitdem unverändert geblieben, bis auf meine Zeit, wie sie von Artaphernes angesetzt wurden, und sie wurden von ihm ungefähr ebenso angesetzt, wie sie schon vorher waren. Das geschah im Frieden.

43. Mit Frühlingsanbruch aber kam, nach Verabschiedung der übrigen Feldherrn durch den König, Mardonios, der Sohn des Gobryas, an die Küste herunter mit einem sehr großen Landheer und großen Schiffsheer, ein junger Mann, der erst jüngst des Königs Dareios Tochter Artazostra geheiratet hatte. Dieses Heer führte Mardonios bis nach Zilizien, bestieg dann ein Schiff und fuhr zur See weiter mit den übrigen Schiffen; das Landheer führten andere Anführer nach dem Hellespont. Als Mardonios um Asien herum in Ionien ankam, da geschah etwas, das, wenn ich es berichte, in großes Erstaunen die Hellenen versetzen wird, die nicht glauben wollen, daß unter den sieben Persern Otanes den Vorschlag gemacht habe, die Perser sollten eine freie Volksregierung haben. Mardonios setzte nämlich alle Machthaber in Ionien ab und richtete Volksregierungen in den Städten ein. Dann eilte er nach dem Hellespont. Als hier eine große Menge von Schiffen und auch ein großes Landheer beisammen waren, setzten sie auf den Schiffen über den Hellespont und zogen durch Europa, und zwar gegen Eretria und Athen.

44. Diese Städte gaben den Vorwand für ihren Zug her; ihre Absicht war aber, soviel hellenische Städte wie möglich zu unterwerfen; daher unterwarfen sie mit der Seemacht die Thasier, die keine Hand gegen sie erhoben hatten, und machten dann mit der Landmacht auch die Mazedonier zu ihren Knechten. Die andern waren es schon, da alle Völker, die diesseits von Mazedonien liegen, bereits unter ihrem Joche waren. Von Thasos fuhren sie nach dem gegenüberliegenden Festland, dann an der Küste entlang bis Akanthos, und von Akanthos fuhren sie um den Athos. Während der Umschiffung überfiel sie aber ein furchtbar starker Nordwind, der eine Menge Schiffe arg zurichtete, indem er sie gegen den Athos warf: man sagt, es seien von den Schiffen an dreihundert dort zugrunde gegangen, und von den Menschen über zwanzigtausend. Da nämlich das Meer gerade dort am Athos voll Raubfische ist, so kamen die einen durch die Fische um, die sie verschlangen, während die andern an den Klippen zerschmettert wurden; andere ertranken, weil sie nicht schwimmen konnten, und andere kamen durch Frost um. So ging es also dem Schiffsheer.

45. Das Landheer aber, mit dem Mardonios in Mazedonien lagerte, überfielen des Nachts thrazische Bryger, und diese Bryger erschlugen eine Menge von ihnen und verwundeten den Mardonios selbst. Dennoch entgingen auch sie dem Joche der Perser nicht. Denn Mardonios brach nicht eher aus dieser Gegend auf, als bis er sie unterworfen hatte. Nach ihrer Unterjochung aber kehrte Mardonios mit seinem Heere um, weil er schwere Verluste zu Lande durch die Bryger und zur See am Athos erlitten hatte. Dieses Heer kam also nach unrühmlichem Kampfe wieder nach Asien zurück.

46. Im zweiten Jahre schickte Dareios an die Thasier, die von ihren Nachbarn verleumdet waren, daß sie Anstalten zum Abfall träfen, einen Gesandten mit dem Befehl, ihre Mauern niederzureißen und ihre Schiffe nach Abdera zu liefern. Die Thasier hatten nämlich, weil sie Histiaios von Milet belagert hatte, die großen Einkünfte, die sie hatten, dazu verwandt, lange Schiffe zu bauen und ihre Stadt durch eine Ringmauer zu befestigen. Ihre Einkünfte kamen aber vom Festland und von den Bergwerken; denn aus dem Goldbergwerk in Skapte Hyle gingen im Durchschnitt achtzig Talente ein, und aus dem in Thasos selbst zwar weniger, aber doch so viel, daß den Thasiern, die für ihre Felder keine Steuern zu zahlen hatten, im Durchschnitt vom Festland und den Bergwerken jährlich zweihundert, im besten Fall aber auch dreihundert Talente eingingen.

46. Im zweiten Jahre: Nach dem Zuge des Mardonios.
Zeittafel:
500-479. Perserkriege.
500-494. Ionischer Aufstand.
495. Sieg der Perser bei Lade.
492. Zug des Mardonios.
490. Schlacht bei Marathon.
480. Leonidas fällt bei den Thermopylen. Themistokles siegt bei Salamis.
479. Pausanias siegt bei Platää. Leotychidas siegt beim Vorgebirge Mykale.
Skapte Hyle heißt Grubenwald. – Die Thasier hatten für ihre Felder keine Steuern zu zahlen, weil sie fast gar kein Getreide bauten. Sie kauften ihre Lebensmittel.

 

47. Diese Bergwerke sah auch ich und wurde am meisten durch das Bergwerk in Staunen versetzt, das die Phönizier entdeckt haben, als sie unter Führung des Thasos diese Insel besiedelten, die auch von diesem Phönizier Thasos ihren Namen hat. Dieses phönizische Bergwerk der Thasier liegt zwischen dem Ort, der Ainyra heißt, und Koinyra, gegenüber von Samothrake, ein großer Berg, vom Nachgraben ganz umgewühlt. So verhält sich das. Die Thasier aber rissen auf Befehl des Königs ihre Mauer nieder und lieferten ihre sämtlichen Schiffe nach Abdera.

48. Darauf versuchte Dareios die Hellenen, was sie im Sinn hätten, ob Krieg gegen ihn zu führen oder sich ihm zu ergeben. Er sandte also Herolde, einen dahin, den andern dorthin, durch ganz Hellas mit dem Auftrag, Erde und Wasser für den König zu fordern. Diese schickte er also nach Hellas; andere Herolde aber sandte er in die ihm zinspflichtigen Seestädte mit dem Befehl, lange Schiffe und Fahrzeuge für die Reiterei zu bauen.

49. Diese bauten die Schiffe, und den Herolden, die nach Hellas kamen, gaben viele von den Festlandsbewohnern, was ihnen der Perser abfordern ließ, die Inselbewohner aber alle, sobald sie mit der Forderung kamen. Wie die andern Inselbewohner gaben nun auch die Ägineten dem Dareios Erde und Wasser. Das taten sie aber nicht so bald, als ihnen die Athener auf den Hals kamen, die glaubten, die Ägineten hätten sie dabei im Auge gehabt, um mit dem Perser gegen sie in den Krieg zu ziehen. Diesen Vorwand ergriffen sie mit Freude, gingen nach Sparta und verklagten die Ägineten, wie sie als Verräter an Hellas sich betragen hätten.

50. Auf diese Klage ging Kleomenes, der Sohn des Anaxandridas, der König von Sparta, nach Ägina hinüber, um die Schuldigsten der Ägineten zu ergreifen. Als er sie aber festzunehmen versuchte, stellten sich ihm mehrere Ägineten, darunter auch Krios, der Sohn des Polykritos, entgegen. Der erklärte, es werde ihm nicht wohl bekommen, führe er auch nur einen Ägineten weg; denn er tue das nicht im Namen der spartanischen Volksgemeinde, sondern sei von den Athenern bestochen; sonst würde er den andern König dazu mitgebracht haben. Das sagte er auf Anweisung des Demaratos. Kleomenes fragte nun, indem er von Ägina abzog, den Krios, wie sein Name sei, und dieser gab ihm denselben richtig an. Da sprach Kleomenes zu ihm: »Nun denn, Widder, stähle deine Hörner für ein hartes Übel, auf das du stoßen sollst!«

50. Krios heißt Widder.

 

51. In Sparta aber verleumdete unterdessen den Kleomenes Demaratos, der Sohn Aristons, der zurückgeblieben war. Er war gleichfalls König der Spartiaten, aber vom geringeren Hause, das insofern um nichts geringer ist, als sie einen Stammvater haben: nur daß des Eurysthenes Haus wegen der Erstgeburt in größeren Ehren steht.

52. Die Lazedämonier sagen nämlich, womit kein Dichter übereinstimmt, Aristodemos, der Sohn des Aristomachos, des Sohnes des Kleodaios, des Sohnes des Hyllos, habe sie, als ihr König, in das Land geführt, das sie nun besitzen, und nicht erst die Söhne des Aristodemos. Und nicht lange Zeit darauf sei die Frau des Aristodemos, mit Namen Argeia, niedergekommen; sie sei eine Tochter des Antesion, des Sohnes des Tisamenos, des Sohnes des Thersandros, des Sohnes des Polyneikes. Diese sei mit Zwillingen niedergekommen, die Aristodemos noch sah, dann aber an einer Krankheit starb. Nun hätten die damaligen Lazedämonier beschlossen, nach ihrem Brauch den ältesten Sohn zum König zu machen. Allein sie hätten nicht gewußt, welchen sie wählen sollten; so völlig glichen sie einander. Nach vergeblicher Untersuchung, vielleicht auch schon vorher, hätten sie die Mutter befragt. Diese habe jedoch erklärt, sie selbst könne sie nicht unterscheiden; sie habe das, obwohl sie's recht gut wußte, in der Absicht gesagt, daß beide Könige werden möchten. Die Lazedämonier hätten keinen Rat mehr gewußt und in ihrer Ratlosigkeit nach Delphi gesandt, um zu fragen, was in der Sache zu tun sei. Darauf habe ihnen die Pythia befohlen, beide Knaben für Könige zu halten, aber den älteren mehr zu ehren. Diesen Ausspruch habe die Pythia getan, den Lazedämoniern aber, da sie um nichts besser Rat wußten, wie sie den ältesten herausfinden sollten, habe ein Messenier Anleitung gegeben, mit Namen Panites. Dieser Panites habe den Lazedämoniern die Anleitung gegeben, sie sollten die Mutter beobachten, welchen Knaben sie zuerst wasche und nähre. Zeige sich, daß sie es immer gleich mache, so hätten sie alles, was sie suchten und gern herausbrächten; schwanke sie aber selbst und mache es bald so, bald so, dann hätten sie den Beweis, daß jene auch nicht mehr wisse, und müßten einen andern Weg einschlagen. Da hätten denn die Spartiaten, als sie nach Anleitung des Messeniers die Mutter dieser Kinder des Aristodemos beobachteten, gefunden, daß sie immer dem Erstgebornen im Speisen und Waschen den Vorrang gab, ohne zu wissen, weshalb sie beobachtet wurde. Dieses Kind, von dem sie fanden, daß es bei der Mutter als das Erstgeborne den Vorrang hatte, hätten sie nun öffentlich erzogen und ihm den Namen Eurysthenes gegeben, dem jüngern aber den Namen Prokles. Als Männer sollen dann eben diese Brüder ihre ganze Lebenszeit miteinander im Streit gewesen sein, und so soll es auch bei ihren Nachkommen immerfort gehen.

52. Kein Dichter übereinstimmt: Die Dichtungen mit der abweichenden Darstellung sind nicht erhalten. – Hyllos ist der Sohn des Herakles.

 

53. Das sagen also die Lazedämonier allein unter den Hellenen. Folgendes aber schreibe ich, wie es übereinstimmend die Hellenen sagen, daß nämlich diese Könige der Dorier bis auf Perseus, den Sohn der Danaë (des Gottes zu geschweigen), von den Hellenen richtig abgeleitet und als Hellenen bezeichnet werden, da sie damals bereits zu den Hellenen gezählt wurden. Ich sage aber »bis auf Perseus« und gehe nicht weiter hinauf, aus dem Grunde, weil kein sterblicher Vater des Perseus dem Namen nach vorkommt, wie Amphitryon als der des Herakles. Also ist es ein triftiger Grund, aus dem ich mit Recht bemerkte: »Bis auf Perseus.« Leitet man aber rückwärts von Danaë, der Tochter des Akrisios, das Geschlecht ihrer Väter her, so wird sich ergeben, daß die Fürsten der Dorier ihrer eigentlichen Abstammung nach Ägypter sind. Das wäre also die Herkunft nach dem, was die Hellenen sagen.

53. Perseus ist der Sohn der Danaë und des Zeus, der als Gott keinem Stamme zugerechnet werden kann. Bei Herakles ist ein Mann der Mutter, Amphitryon, vorhanden, der zwar den Sohn nicht erzeugt hat, aber als sein sogenannter Vater doch die Aufstellung eines Stammbaumes ermöglicht. Bei Perseus gibt es nur einen Stammbaum der Mutter. Ihr Vater Akrisios aber ist der Urenkel des Danaos, des Königs von Ägypten, der als Flüchtling nach Argos gekommen sein soll.

 

54. Wie aber die Sage der Perser lautet, so wäre Perseus ein Assyrier gewesen und selbst Hellene geworden, aber nicht schon die Vorfahren des Perseus; jedoch die Väter des Akrisios, die freilich den Perseus gar nichts angingen, seien wirklich, wie es die Hellenen sagen, Ägypter. So viel sei denn hierüber gesagt!

54. Eher als die Perser selbst werden in Persien wohnende Griechen aus Perseus erst einen Perser, dann einen Angehörigen des Volkes, das vor den Persern Asien beherrscht hatte, also einen Assyrier, gemacht haben.

 

55. Wie sie aber, obwohl sie Ägypter waren, und durch welche Taten sie die Königswürden der Dorier erhalten haben, darüber haben andere gesprochen; wir lassen es also. Was aber andere noch nicht vorweggenommen haben, dessen will ich gedenken.

56. Folgende Ehrenrechte haben die Spartiaten ihren Königen gegeben: zwei Priesterschaften, die des lazedämonischen Zeus und die des himmlischen Zeus; freie Hand, gegen welches Land sie Krieg führen wollen, worin ihnen kein Spartiat hinderlich sein darf, widrigenfalls er der Acht verfällt; dann, daß beim Aufbruch ins Feld die Könige die Ersten sind und bei der Rückkehr die Letzten; daß beim Kriegsheer hundert Auserlesene ihre Wache bilden; daß sie bei den Auszügen so viele Schafe, wie sie wollen, nehmen können, und daß von allem Geopferten Haut und Rücken ihnen zufällt. Das sind im Krieg ihre Ehren.

56. Neben dem Kultus des himmlischen Zeus, des Göttervaters, stand der des lazedämonischen Zeus, d. h. eines Stammesheros, den man mit dem Zeus verschmolzen hatte.

 

57. Ferner haben sie im Frieden folgende: daß bei einem öffentlichen Opfer die Könige sich zuerst zum Mahle setzen und zuerst bedient werden mit einem doppelten Anteil von allem, was die übrigen Gäste bekommen; auch daß sie die ersten Spenden haben und von geschlachteten Opfertieren die Haut. Dann, daß an jedem Neumond und an jedem siebenten Tage des Monats vom Staate jedem von ihnen ein ausgewachsenes Opfertier ins Apolloheiligtum geliefert wird, samt einem Scheffel Gerstenmehl und einem lakonischen Viertel Wein. Dann bei allen Kampfspielen, daß sie ihren besondern Ehrensitz haben. Ferner daß es ihnen zusteht, zu Staatsgastfreunden zu ernennen, welche Bürger sie wollen: wie auch, daß jeder sich zwei Pythier erwählt. Die Pythier aber sind die Gesandten an den Gott in Delphi und nehmen mit den Königen an der Speisung auf Staatskosten teil. Dann, wenn die Könige nicht zum Mahle kommen, daß jedem in sein Haus zwei Choinix Gerstenmehl und ein Becher Wein geschickt werden, wenn sie aber kommen, ihnen von allem das Doppelte gereicht wird. Und daß sie denselben Vorzug haben, wenn sie von einem Bürger zum Mahl geladen werden. Ferner, daß sie die eingelaufenen Weissagungen verwahren, unter Mitwissen der Pythier. Dann, daß die Könige alleinige Richter sind nur in folgenden Sachen: über eine Erbtochter, wen sie bekommen soll, falls sie nicht schon der Vater verlobt hat; auch über die öffentlichen Straßen; auch darin, daß, wer einen an Sohnes Statt annehmen will, es vor den Königen tun muß. Endlich, daß sie im Rate der Alten, deren achtundzwanzig sind, mitsitzen und, falls sie nicht kommen, ihre nächsten Anverwandten unter den Alten in dies Ehrenrecht der Könige eintreten, indem sie dann zwei Stimmen abgeben und drittens ihre eigene.

57. An jedem siebenten Tage: Die übrigen Griechen brachten die Monatsopfer am Ersten dar. Die Spartaner opferten auch am siebenten Tage des Monats, weil dieser Tag als Geburtstag Apollos, ihrer Hauptgottheit, besonders gefeiert wurde. – Die Staatsgastfreunde der andern griechischen Staaten waren Konsuln im Ausland; die der Spartaner waren Spartiaten, blieben in Sparta, empfingen dort die Gesandten fremder Staaten und übermittelten ihre Wünsche den beschließenden Versammlungen. Sie waren also gewissermaßen Beamte für den Verkehr mit dem Ausland. – Die Pythier wurden vor allen wichtigen Entscheidungen von Sparta nach Delphi geschickt, um Orakelsprüche einzuholen.

 

58. Das sind die Ehren, welche die Könige vom Volk der Spartiaten bei Lebzeiten erhalten; nach dem Tod aber folgende: Reiter verkündigen das Geschehene in ganz Lakonien, in der Stadt aber Weiber, die herumgehen und an einen Kessel schlagen. Wenn nun dieses geschieht, so müssen sich aus jedem Hause zwei Freigeborne in tiefe Trauer werfen, ein Mann und eine Frau; wenn sie das nicht tun, stehen schwere Strafen darauf. Auch haben die Lazedämonier denselben Brauch beim Tod ihrer Könige wie die Barbaren in Asien. Nämlich bei den meisten Barbaren herrscht derselbe Brauch beim Tod ihrer Könige. Wenn nämlich ein König der Lazedämonier stirbt, so muß noch, außer den Spartiaten, von den Untertanen aus ganz Lazedämonien eine bestimmte Zahl pflichtlich zur Bestattung kommen. Da versammeln sich denn diese und die Heloten und die Spartiaten selbst zu vielen Tausenden, Männer und Weiber durcheinander, und dann schlagen sie sich eifrig vor die Stirn und erheben ein unermeßliches Wehklagen: sagen auch immer, der letztverstorbene König, das sei der beste gewesen. Wenn aber ein König im Krieg umkommt, machen sie ein Bildnis von ihm und tragen es herum auf einem schönen Ruhebett. Nach der Bestattung halten sie zehn Tage lang keine Versammlung auf dem Markt und keine Sitzung zur Beamtenwahl, sondern trauern in diesen Tagen.

58. Die Untertanen (Periöken) sind Halbfreie, die Heloten Staatssklaven.

 

59. Im folgenden stimmen sie mit den Persern überein. Sooft nach dem Tod eines Königs ein anderer König die Regierung antritt, spricht er bei der Übernahme der Regierung alle Spartiaten, die dem König oder dem Staate etwas schuldig sind, frei. So erläßt auch bei den Persern der König bei der Thronbesteigung allen Städten die rückständigen Abgaben.

60. Im folgenden aber stimmen die Lazedämonier auch mit den Ägyptern überein. Ihre Herolde, Flötenspieler und Köche ererben das Gewerbe vom Vater, und des Flötenspielers Sohn wird Flötenspieler, der des Koches Koch und der des Heroldes Herold, was ihnen die stärkere Stimme anderer nicht etwa streitig machen kann, sondern sie üben den Beruf in der von den Vätern überkommenen Weise aus. So verhält sich dieses.

61. Als aber damals Kleomenes in Ägina war und für das allgemeine Wohl von Hellas wirkte, verleumdete ihn Demaratos weniger den Ägineten zuliebe, als aus Neid und Eifersucht. Kleomenes aber machte nach seiner Rückkehr von Ägina den Anschlag, den Demaratos des Königtums zu entsetzen, indem er auf folgenden Umstand seinen Angriff gegen ihn gründete. Ariston, ein König von Sparta, hatte zwei Frauen genommen und bekam keine Kinder. Da er nun die Schuld davon nicht sich selbst beimessen mochte, nahm er eine dritte Frau, und zwar folgendermaßen. Ariston hatte einen Spartiaten zum Freund, mit dem er unter allen Bürgern am meisten umging. Ebendieser Mann hatte nun bei weitem das schönste Weib in Sparta zur Frau. Sie war die häßlichste gewesen, aber die schönste geworden. Da sie nämlich garstig aussah, so bedachte ihre Wärterin, wie sie als reicher Leute Tochter doch so mißgestaltet sei, sah auch die Betrübnis der Eltern über ihre Bildung und fand in Erwägung alles dessen folgenden Rat. Sie trug das Kind alle Tage in das Heiligtum der Helena; dieses aber ist in dem sogenannten Therapne oberhalb von dem Heiligtume des Phoibos. Da trug sie es allemal hinein, stellte es zum Bilde der Göttin und betete, sie möchte das Kind von seiner Häßlichkeit erlösen. Und nun, sagt man, erschien der Wärterin, wie sie einmal aus dem Heiligtume ging, eine Frau und fragte sie, was sie auf dem Arme trage, worauf sie ihr sagte, daß es ein Kind sei. Da habe sie verlangt, daß sie ihr es zeige, was sie aber verweigert habe; denn die Eltern hätten's ihr untersagt, das Kind jemand zu zeigen. Die Frau habe aber durchaus verlangt, sie müsse ihr's herzeigen. Da nun die Wärterin sah, daß ihr so viel daran liege, das Kind zu sehen, habe sie's ihr endlich gezeigt, und die Frau habe dem Kinde den Kopf gestreichelt und gesagt, das werde unter allen Frauen in Sparta die schönste werden. Und von diesem Tage habe sich seine Gestalt verändert. Als das Mädchen zur Reife gekommen war, heiratete es Agetos, der Sohn des Alkeides, ebenjener Freund des Ariston.

61. Das gemeinsame Grab der Helena und ihres Gatten Menelaos lag in der alten Achäerstadt Therapne auf einer Hochebene am Eurotas. Die göttliche Verehrung Helenas mutet uns sonderbar an, aber die Griechen scheinen bei einer Schönheitsgöttin am Ehebruche keinen Anstoß genommen zu haben.

 

62. Den Ariston plagte die Liebe zu dieser Frau, und so stellte er folgendes an. Er versprach seinem Freunde, dem Manne dieser Frau, ein Geschenk zu geben, das er sich selbst aus allen seinen Besitztümern auswählen könne, und verlangte dafür, daß ihm der Freund das gleiche gewähre. Dieser war ohne Besorgnis für seine Frau, da er sah, daß Ariston selbst eine Frau hatte, bewilligte es, und sie schwuren's einander zu. Alsdann gab ihm Ariston das Geschenk – was es nun gerade war – das sich Agetos aus Aristons Gütern gewählt hatte. Dann aber kam er, um ein Gleiches vom Freunde einzufordern, und nahm sofort dessen Frau, um sie mit sich wegzuführen. Da erklärte der Freund, alles andere, nur nicht dieses, habe er bewilligt; indessen durch den Schwur gebunden und gefangen durch die List, ließ er ihn sie wegführen.

63. So führte denn Ariston die dritte Frau heim und schickte die zweite fort. Vor der Zeit, noch ehe sie volle zehn Monate seine Frau war, gebar ihm dieselbe ebenjenen Demaratos. Er hielt aber gerade eine Sitzung mit den Ephoren, als ihm ein Diener die Nachricht brachte, es sei ihm ein Sohn geboren. Da er nun die Zeit, in der er die Frau genommen hatte, gut im Kopf hatte und die Monate an den Fingern abzählte, sagte er mit einem Schwur dazu: »Der kann nicht von mir sein!« Das hörten die Ephoren; indessen für den Augenblick legten sie kein Gewicht darauf. Der Knabe aber wuchs heran, und jetzt reute den Ariston jene Rede; denn er hielt den Demaratos nunmehr durchaus für seinen Sohn. Den Namen Demaratos gab er ihm aber aus folgendem Grunde. Vor diesen Geschehnissen hatte das ganze Volk der Spartiaten dem Ariston, als einem Manne, der beliebter war als irgendein anderer König von Sparta, hoch und teuer gewünscht, daß er einen Sohn bekäme. Deshalb erhielt er also den Namen Demaratos.

63. Demaratos heißt Volkswunsch.

 

64. Die Zeit verging, Ariston starb, und Demaratos ward König. Es sollte aber nun einmal, wie es scheint, jener Umstand bekannt werden und den Demaratos um das Königtum bringen; daher mußte sich auch Demaratos schon früher den Kleomenes so sehr zum Feinde machen, als er das Heer von Eleusis zurückführte, besonders aber jetzt, da Kleomenes nach Ägina hinüberging, um die zu bestrafen, die es dort mit dem Meder hielten.

65. Kleomenes sann also auf Rache und machte einen Vertrag mit Leotychidas, dem Sohn des Menares, des Sohnes des Agis, der aus einem Haus mit Demaratos war, daß derselbe, wenn er ihn an Demaratos' Statt zum König mache, mit ihm gegen Ägina ziehen wolle. Leotychidas war aber aus folgendem Anlaß der ärgste Feind des Demaratos geworden. Leotychidas hatte sich schon Perkalos, die Tochter Chilons, des Sohnes des Demarmenos, anverlobt, als ihn Demaratos mit List um die Hochzeit brachte, indem er die Perkalos vorweg raubte und selbst zur Frau nahm. Daher rührte die Feindschaft des Leotychidas gegen Demaratos, und jetzt legte Leotychidas auf Kleomenes' Betrieb einen Eid wider Demaratos ab, daß es diesem nicht zukomme, König der Spartiaten zu sein, da er nicht Aristons Sohn sei. Nach diesem Eide führte er die Klage, indem er jenes Wort in Erinnerung brachte, das Ariston damals gesprochen hatte, als ihm der Diener die Geburt eines Sohnes meldete, er aber nach Abzählung der Monate einen Schwur tat, das sei nicht sein Kind. Auf diesen Ausspruch fußte also Leotychidas, um zu beweisen, daß Demaratos nicht von Ariston gezeugt sei, und es ihm nicht zukomme, König von Sparta zu sein, wofür er die Ephoren zu Zeugen aufrief, die damals mit in der Sitzung gewesen waren und es den Ariston hatten sagen hören.

65. Die uralte Sitte des Frauenraubes hatte sich in Sparta in der Form gehalten, daß der Bräutigam mit Zustimmung der Eltern die Geliebte raubte. Es war eigentlich nur eine etwas stürmische Art der Einholung, aber sie eignete sich dazu, einem andern, mit dem bereits Verabredungen getroffen waren, zuvorzukommen.

 

66. Um dem Streit über die Sache ein Ende zu machen, entschlossen sich die Spartiaten, das Orakel in Delphi zu befragen, ob Demaratos Aristons Sohn sei. Da nun auf Kleomenes' Veranstaltung die Sache an die Pythia ging, so gewann Kleomenes den Kobon, den Sohn des Aristophantos, einen Mann von größter Macht in Delphi. Dieser Kobon brachte die Weissagepriesterin Perialla dazu, daß sie sagte, was Kleomenes wollte. So gab die Pythia, als die Abgesandten zum Gotte kamen und fragten, das Urteil, Demaratos sei nicht Aristons Sohn. Nachderhand indessen kam dies heraus, und Kobon mußte aus Delphi fliehen, und Perialla, die Weissagepriesterin, wurde ihres Amtes entsetzt.

67. So ging es mit Demaratos' Entsetzung vom Königtum. Zu den Medern aber floh Demaratos aus Sparta wegen folgenden Schimpfes. Nachdem er die Königswürde verloren hatte, war Demaratos zu einem Amte gewählt worden. Nun waren die Gymnopaidien, und als dabei Demaratos zusah, schickte Leotychidas, der bereits an seiner Statt König war, seinen Diener zur Neckerei mit der Spottfrage an Demaratos, wie es schmecke, Beamter zu sein, wenn man König gewesen sei. Darauf gab er, durch die Frage beleidigt, zur Antwort, er habe schon beides gekostet, Leotychidas aber nicht. Diese Frage aber werde für Lazedämon der Anfang sein entweder von tausenderlei Unglück oder von tausenderlei Glück. So sprach er, verhüllte sich und ging vom Schauplatz nach Haus, wo er sogleich Anstalten traf und dem Zeus einen Stier opferte, nach dem Opfer aber seine Mutter rufen ließ.

67. Die Gymnopaidien waren ein Turnfest zu Ehren des Apollo und der Artemis. Es wurde in den ersten Tagen des Juli gefeiert. Der Schauplatz, den Demaratos verläßt, ist nicht ein Theater, sondern, wie Jakob Burckhardt anmerkt, einfach die Agora: »In altertümlichen kleinen Städten war dieselbe eins und alles; an ihr waren Prytaneion (Rathaus), Bouleuterion (Versammlungshaus), Gerichtslokal, einer oder mehrere Tempel gelegen; dabei diente sie noch für Volksversammlungen und Spiele. Aber auch, wenn für die einzelnen Bestimmungen anderswo und reichlich gesorgt worden war, blieb die Agora das eigentliche Lebensorgan der Stadt. ›Marktplatz‹ ist eine sehr ungenügende Übersetzung.«

 

68. Als die Mutter kam, gab er ihr etwas von den Eingeweiden in die Hände und flehte zu ihr, indem er sprach: »Mutter, ich flehe dich an bei den andern Göttern und hier bei Zeus, dem Schirmherrn des Hauses, daß du mir die Wahrheit sagst, wer mein wirklicher Vater ist. Denn Leotychidas behauptete bei unserem Streithandel, du seiest schon vom ersten Mann schwanger gewesen, als du zu Ariston kamst; die es aber noch alberner machen, behaupten, du seiest zu einem unserer Knechte, zum Eselhüter, gegangen, und ich sei dessen Sohn. Nun gehe ich dich im Namen der Götter um die Wahrheit an; denn auch wenn du wirklich etwas von dem, was man sagt, getan hast, bist du nicht die einzige, sondern viele haben das gleiche getan, und man sagt ja auch allgemein in Sparta, daß Ariston keine Zeugungskraft gehabt habe, da sonst auch seine früheren Frauen Kinder bekommen hätten.« Solches sprach er.

68. Bei feierlichen Eiden nahm man die Eingeweide eines Opfertieres in die Hand.

 

69. Darauf antwortete sie: »Sohn, da du mich flehentlich um die Wahrheit angehst, sollst du die volle Wahrheit vernehmen. Als Ariston mich heimgeführt hatte, kam in der dritten Nacht, die ich im Hause war, eine Erscheinung, die dem Ariston glich, zu mir, schlief bei mir und setzte mir dann die Kränze, die sie hatte, auf. Sie ging aber, und dann kam Ariston. Und wie er die Kränze an mir sah, fragte er, wer sie mir gegeben habe, worauf ich ihm sagte: er selbst. Das ließ er nicht gelten; da beschwor ich's und sagte, das sei nicht fein von ihm, es zu leugnen, da er doch erst kürzlich gekommen sei und bei mir geschlafen und mir die Kränze gegeben habe. Als Ariston mich's beschwören sah, da merkte er, die Sache sei göttlicher Art. Und erstlich zeigte sich, daß die Kränze aus dem Herosheiligtum an den Türen der Hofhalle waren (welches das des Astrabakos genannt wird), und dann ging auch die Erklärung der Wahrsager auf ebendiesen Heros. Da hast du nun, mein Sohn, alles, was du wissen willst. Denn entweder stammst du von diesem Heros, und dann ist der Heros Astrabakos dein Vater, oder es ist Ariston; denn ich habe dich in jener Nacht empfangen. Womit dir aber deine Feinde am meisten zusetzen, wenn sie sagen, Ariston selbst habe, als ihm deine Geburt gemeldet ward, vor vieler Ohren behauptet, du seiest nicht von ihm, da die Zeit, die zehn Monate, noch nicht verflossen seien: so hat er dies Wort aus Unwissenheit in Dingen der Art ausgestoßen. Denn es haben die Weiber auch Neunmonats- und Siebenmonatskinder, und es kommt nicht bei allen bis zum zehnten Monat; ich aber habe dich, mein Sohn, im siebenten geboren. Auch hat Ariston nach kurzer Zeit erkannt, daß ihm jenes Wort aus Unverstand entfallen sei. Auf andere Sagen aber über deine Abkunft gib du nichts; denn du hast jetzt die ganze Wahrheit vernommen. Von Eselsknechten aber mögen das Weib des Leotychidas selbst und die Weiber derer, die das sagen, Kinder bekommen!« Das sprach sie.

69. Der Landesheros Astrabakos hatte neben der Tür des Königshauses ein Heiligtum. – Achtmonatskinder werden nicht erwähnt, weil nach der Meinung der antiken Ärzte, auch des Hippokrates, nach dem achten Monat nur tote Kinder geboren wurden. Aristoteles bekämpft diesen sonderbaren Glauben.

 

70. Nachdem Demaratos erfahren hatte, was er wissen wollte, machte er sich reisefertig und ging nach Elis ab, um angeblich nach Delphi zur Befragung des Orakels zu reisen. Aber die Lazedämonier, die schon argwöhnten, er lege es auf Entweichung aus dem Lande an, setzten ihm nach. Nun war Demaratos gerade noch vor den Lazedämoniern von Elis nach Zakynthos übergesetzt, aber sie gingen auch hinüber, legten Hand an ihn selbst und nahmen ihm seine Diener weg. Da die Zakynthier ihn jedoch nicht herausgaben, ging er von dort aus nach Asien hinüber zum König Dareios. Der empfing ihn aufs ehrenvollste und gab ihm Land und Städte. So kam denn durch solchen Gang seines Schicksals Demaratos nach Asien, der sich unter den Lazedämoniern vielfach mit Worten und Taten herrlich erwiesen hatte, namentlich aber durch einen Olympiasieg mit dem Viergespann, den er zu ihrer Ehre erworben hat, und zwar ist er der einzige König von Sparta, der das getan hat.

70. Die Auswanderung war in Sparta verboten.

 

71. Leotychidas aber, der Sohn des Menares, folgte dem Demaratos nach seiner Absetzung vom Königtum und hatte einen Sohn Zeuxidamos, den einige Spartiaten auch Kyniskos nannten. Dieser Zeuxidamos ward nicht König von Sparta, sondern starb noch vor Leotychidas, mit Hinterlassung eines Sohnes, des Archidamos. Nach dem Verlust des Zeuxidamos nahm Leotychidas eine zweite Frau, Eurydame, eine Schwester des Menios und Tochter des Diaktorides, von der er zwar keinen männlichen Erben bekam, aber eine Tochter, Lampito, die Archidamos, der Sohn des Zeuxidamos, heiratete, da sie Leotychidas ihm gab.

71. Kyniskos heißt Hündchen.

 

72. Aber Leotychidas selbst wurde auch nicht in Sparta alt, sondern büßte, was er an Demaratos verschuldet hatte, auf folgende Art. Er war Feldherr der Lazedämonier gegen die Thessalier und ließ sich, als er es schon in der Hand hatte, alles zu unterwerfen, durch schweres Geld bestechen. Aber auf frischer Tat ertappt, wie er im Lager selbst mit einem Ärmel voll Geld saß, ward er aus Sparta, wo man ihn vor Gericht gestellt hatte, flüchtig, und sein Haus wurde niedergerissen. Er flüchtete aber nach Tegea, und hier starb er auch. Dies geschah jedoch erst später.

73. Damals aber zog Kleomenes, als er mit seinem Handel gegen Demaratos nach Wunsch zum Ziele gekommen war, sogleich in Begleitung des Leotychidas wider die Ägineten, gegen die er um jener schmählichen Abfertigung willen einen argen Ingrimm hegte. Als nunmehr beide Könige wider sie anrückten, befanden es auch die Ägineten nicht mehr für gut, sich zu widersetzen. Darauf wählten jene aus den Ägineten zehn Männer, die durch Reichtum und Geschlecht am meisten hervorragten, aus, um sie fortzuführen, darunter namentlich den Krios, den Sohn des Polykritos, und den Kasambos, den Sohn des Aristokrates, die am meisten Macht hatten. Diese führten sie ins attische Land und gaben sie den Hauptfeinden der Ägineten, den Athenern, als Unterpfand in Verwahrung.

74. Dann aber geriet Kleomenes, dem man hinter die Schliche kam, deren er sich gegen Demaratos bedient hatte, in Furcht vor den Spartiaten und entwich nach Thessalien. Von dort kam er wieder nach Arkadien, wo er eine Empörung anzettelte, indem er die Arkadier gegen Sparta aufwiegelte und sie viele Eide schwören ließ, daß sie mit ihm gehen wollten, wohin er sie führe. So wollte er namentlich auch bei der Stadt Nonakris die Häupter von Arkadien versammeln, um sie beim Wasser des Styx schwören zu lassen. Es sagen aber die Arkadier, es sei das Wasser des Styx in dieser Stadt, und daselbst ist wirklich folgendes. Ein spärlich quellendes Wasser träufelt aus einem Fels in eine Höhlung, und rings um die Höhlung läuft eine Einfassung. Das Nonakris, in dem sich diese Quelle findet, ist eine Stadt in Arkadien bei Pheneos.

74. Beim Styx, dem Flusse der Unterwelt, schwuren die Götter. In Homers »Odyssee« (V, 184-186) sagt die Nymphe Kalypso zu Odysseus:
Nun, mir zeuge die Erde, der weite Himmel dort oben
Und die stygischen Wasser der Tiefe, welches der größte
Furchtbarste Eidschwur ist für alle unsterblichen Götter!

 

75. Da nun die Lazedämonier vernahmen, daß Kleomenes mit solchen Dingen umging, führten sie ihn aus Furcht wieder heim nach Sparta, unter denselben Bedingungen, unter denen er vorher geherrscht hatte. Sowie er aber zurückkam, fiel er in Wahnsinn, da er schon vorher halbtoll war. Sooft er nämlich einem Spartiaten begegnete, schlug er ihn mit seinem Stabe vor den Kopf. Da er das tat und von Sinnen war, legten ihn seine Angehörigen in den Stock. Als der Angeschlossene eines Tages merkte, daß niemand anders als sein Wächter da war, forderte er ein Messer, und wie ihm das der Wächter nicht geben wollte, bedrohte er ihn mit seiner Rache nach der Befreiung, bis der Wächter, bange gemacht durch die Drohungen (denn es war ein Helot), ihm endlich ein Messer gab. Wie aber Kleomenes das Eisen in die Hand bekam, fing er an, sich von den Unterschenkeln an zu zerfetzen, und indem er sich das Fleisch der Länge nach aufschnitt, fuhr er von den Schienbeinen herauf in die Schenkel, und von den Schenkeln in die Hüften und Weichen hinein, bis er endlich an den Bauch kam. Da er auch diesen zerschlitzte, starb er auf solche Art: wie die meisten Hellenen sagen, weil er die Pythia gewonnen hatte, jene Aussage über Demaratos zu tun; wie die Athener allein sagen, weil er bei seinem Einfall in Eleusis den Bezirk der Göttinnen verheert hatte; endlich nach der Meinung der Argiver, weil er aus ihrem Heiligtum des Argos die Argiver, die aus der Schlacht in dasselbe geflohen waren, herausgelockt und niedergehauen und nicht einmal die Heiligkeit des Haines geachtet, sondern ihn angesteckt hatte.

76. Dem Kleomenes war nämlich, als er sich in Delphi eine Weissagung holte, der Spruch zuteil geworden, er werde Argos einnehmen. Wie er nun mit seinen Spartiaten an den Fluß Erasinos kam, von dem es heißt, er fließe aus dem stymphalischen See, indem nämlich dieser See in eine verborgene Schlucht abfließe und erst in Argos wieder zum Vorschein komme, wo dieses Wasser alsdann von den Argivern Erasinos genannt werde – wie also Kleomenes an den Fluß kam, schlachtete er Opfer für diesen, die aber durchaus keine guten Zeichen für den Übergang gaben. Daher sagte er, er achte zwar den Erasinos hoch, weil er sein Volk nicht preisgeben wolle; indessen sollten die Argiver auch so nicht gut wegkommen. Darauf kehrte er um und führte sein Heer wieder nach Thyrea hinab, wo er dem Meer einen Stier schlachtete und seine Leute auf Fahrzeugen in die Landschaft von Tiryns und nach Nauplia hinüberführte.

76. Der stymphalische See liegt im nordöstlichen Arkadien. Als unterirdischer Abfluß dieses Sees sollte der Erasinos bei Oinon in Argos in einer Entfernung von sechsunddreißig Kilometern wieder zum Vorschein kommen.

 

77. Die Argiver rückten auf die Nachricht hiervon zur Hilfe an die See herab. Wie sie nahe an Tiryns waren, in der Gegend Sepeia mit Namen, lagerten sie sich in geringem Abstande den Lazedämoniern gegenüber. Da fürchteten die Argiver eine offene Schlacht nicht, sondern nur, daß sie mit List überwunden würden. Denn darauf ging das Orakel, das ihnen die Pythia in einem gemeinschaftlichen Spruch mit den Milesiern gab, und das so lautete:

Aber zur Zeit, wenn über den Mann die Weibliche siegend
Ihn vertreibt und mit Ruhm sich bedeckt im Volke von Argos,
Werden sich viele der Frauen von Argos die Wangen zerfleischen.
Mancher noch spricht fürwahr der künftig lebenden Menschen:
Speeren erlag ein grimmer, ein dreifach gewundener Drache.

Da dies alles zusammentraf, setzte es die Argiver in Furcht. Daher beschlossen sie, sich nach dem Herold der Feinde zu richten, und machten es beschloßnermaßen so: wenn der spartanische Herold den Lazedämoniern ein Zeichen zu etwas gab, taten das immer auch die Argiver.

77. Der Mann ist Argos, die Weibliche ist Sparta. Der Drache ist das Feldzeichen der Argiver. Die Speerträger sind die Lazedämonier.

 

78. Wie aber Kleomenes merkte, daß die Argiver immer das, wozu sein Herold das Zeichen gebe, auch täten, erteilte er den Befehl, wenn der Herold das Zeichen zum Frühmahl gebe, die Waffen zu ergreifen und auf die Argiver loszugehen. So vollzogen es auch die Lazedämonier. Während also die Argiver dem Heroldsruf zufolge am Frühmahl waren, überfielen sie dieselben und erschlugen da ihrer viele; noch viel mehr aber, die sich in den Hain des Argos flüchteten, hielten sie darin eingeschlossen.

79. Nunmehr stellte Kleomenes folgendes an. Von Überläufern, die er bei sich hatte, ließ er sich Auskunft geben und rief dann durch einen Herold die im Heiligtum eingeschlossenen Argiver einzeln bei Namen heraus, und zwar mit der Versicherung, daß er schon Lösegeld für sie habe. Als Lösegeld sind aber bei den Peloponnesiern zwei Minen festgesetzt, die für einen Kriegsgefangenen zu zahlen sind. So rief denn Kleomenes etwa fünfzig Argiver Mann für Mann heraus und tötete jeden auf der Stelle. Das geschah, ohne daß die übrigen in dem heiligen Bezirk es merkten, da bei der Dichtigkeit des Haines die drinnen nicht sahen, was mit denen draußen vorging, bis endlich einer auf einen Baum stieg und den Vorgang gewahr wurde. Nun kam also keiner mehr auf den Ruf heraus.

80. Da befahl Kleomenes, was von Heloten da sei, die sollten Holz um den Hain her aufschichten, und als sie dem Folge geleistet hatten, steckte er den Hain in Brand. Erst als dieser schon brannte, fragte er einen von den Überläufern, welchem Gotte der Hain geheiligt sei. Dieser antwortete: »Dem Argos.« Da er das hörte, seufzte er schwer auf und sprach: »Weissagender Apollo, du hast mich fein betrogen, als du sagtest, ich werde Argos einnehmen. Nun merke ich, daß mir die Weissagung schon in Erfüllung gegangen ist.«

80. Die Heloten wurden von den Spartiaten als Burschen mit ins Feld genommen.

 

81. Darauf ließ Kleomenes den größern Teil des Heeres nach Sparta heimkehren; er selbst aber ging mit den tausend Besten ins Heraheiligtum, um zu opfern. Wie er aber auf dem Altar opfern wollte, untersagte ihm's der Priester, weil es keinem Fremdling erlaubt sei, hier zu opfern. Darauf hieß Kleomenes die Heloten den Priester vom Altar wegführen und geißeln; dann opferte er selbst, und als er das getan hatte, zog er ab nach Sparta.

82. Nach seiner Rückkehr klagten ihn seine Feinde bei den Ephoren an, daß er bestochen worden sei und deshalb Argos nicht eingenommen hätte, obwohl er es leicht hätte einnehmen können. Er aber antwortete ihnen – ob mit Lügen oder mit der Wahrheit, vermag ich nicht sicher anzugeben; jedenfalls antwortete er mit der Erklärung, wie er das Heiligtum des Argos eingenommen habe, hätte er den Spruch des Gottes schon für erfüllt gehalten und es nicht für recht befunden, die Stadt anzugreifen, bevor er das Opfer befragt und erfahren hätte, ob die Gottheit ihn die Stadt nehmen lasse oder ihm entgegen sei. Als er im Heratempel ein Opfer darbrachte, habe ihm aus der Brust des Bildes eine Flamme entgegengestrahlt, wodurch er denn mit Bestimmtheit erfahren habe, daß er Argos nicht einnehmen werde. Denn hätte es aus dem Haupte des Bildes gestrahlt, so würde er die Stadt völlig erobert haben; da es aber aus der Brust strahlte, so habe er alles getan gehabt, was die Gottheit geschehen lassen wollte. Diese Antwort erachteten die Spartiaten für glaubhaft und annehmbar, und er siegte bei weitem über die Ankläger.

82. In der Geschichte des Kleomenes tritt deutlich hervor, daß die Ephoren als Ausschuß des herrschenden Adels Sparta regierten. Die sogenannten Könige waren nur ausführende Beamte. – Die Deutung des Wunderzeichens ist so zu verstehen, daß die Schutzgöttin der Stadt dieselbe symbolisch darstellt. Ihr Haupt bedeutet die Burg. Brach die Flamme aus dem Haupte hervor, dann war es vom Schicksal bestimmt, daß Kleomenes Feuer in die Burg werfen sollte.

 

83. Argos aber war so verwaist an Männern geworden, daß ihre Knechte alle Gewalt in ihre Hände bekamen, regierten und verwalteten, bis endlich die Söhne der Gefallenen heranwuchsen, die nun Argos wieder für sich erkämpften und die Knechte verjagten. So wurden die Knechte vertrieben, nahmen aber Tiryns mit bewaffneter Hand. Eine Weile hielten sie dann Frieden miteinander; darnach kam aber zu den Knechten ein Seher, namens Kleandros, von Geburt ein Phigalier aus Arkadien; der überredete die Knechte, daß sie ihre Herren angriffen. Seitdem führten sie einen langwierigen Krieg, bis die Argiver mit Not die Oberhand gewannen.

84. Deswegen also, behaupten die Argiver, sei Kleomenes wahnsinnig geworden und schmählich gestorben. Die Spartiaten selbst aber behaupten, der Wahnsinn des Kleomenes sei von keiner Gottheit gekommen; sondern durch Umgang mit Szythen wäre er ein Trinker ungemischten Weines geworden, und daher sei sein Wahnsinn gekommen. Als nämlich Dareios ins Land der Weideszythen eingefallen war, hätten diese Verlangen nach Rache getragen und nach Sparta gesandt, um einen Waffenbund zu schließen und auszumachen, daß die Szythen selbst am Phasisfluß ins Medische eindringen müßten, während die Spartiaten von Ephesos aus ins Land hinaufgehen sollten, um an einem Orte mit ihnen zusammenzutreffen. Nun sei Kleomenes, sagen sie, mit den Szythen, die in dieser Absicht gekommen waren, zuviel umgegangen. Während er vertraulicher mit ihnen umging, als seiner Würde entsprach, habe er von ihnen gelernt, ungemischten Wein zu trinken, und daher sei sein Wahnsinn gekommen, meinen die Spartiaten, und seitdem (wie sie selbst sagen) rufen sie, wenn sie stärker trinken wollen: »Einen Szythenschluck!« So erzählen die Spartiaten von Kleomenes. Ich aber halte dafür, daß dieses die Buße war, die Kleomenes an Demaratos verschuldet hatte.

84. Ungemischter Wein wird im Altertum etwa so angesehen wie bei uns der Schnaps. Man mischte zwei Teile Wasser mit einem Teile Wein, stellte also eine sehr leichte Bowle her. Nahm man ebensoviel Wein wie Wasser, so hielt man das für ein starkes Getränk. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die griechischen Weine meist sehr süß sind, so daß es schwer ist, größere Portionen ungemischt zu vertilgen. Den Gegensatz zwischen den nördlichen und den südlichen Trinksitten brachte Voltaire auf die Formel, die Neigung der Völker zu den alkoholischen Getränken sei um so größer, je weniger ihr Land solche hervorbringe.

 

85. Auf die Nachricht vom Ende des Kleomenes schickten die Ägineten Boten nach Sparta, um gegen Leotychidas zu klagen, wegen der in Athen gefangengehaltenen Geiseln. Die Lazedämonier hielten Gericht und erkannten, die Ägineten seien von Leotychidas freventlich beleidigt worden, und verurteilten ihn, nach Ägina ausgeliefert zu werden für die in Athen gefangenen Männer. Schon wollten die Ägineten den Leotychidas abführen, als Theasides, der Sohn des Leoprepes, ein angesehener Mann in Sparta, zu ihnen sprach: »Was wollt ihr tun, ihr Ägineten? Den König der Spartiaten, da seine Bürger ihn ausgeliefert haben, abführen? Wenn auch jetzt die Spartiaten in der Leidenschaft so erkannt haben, so seht doch zu, daß sie nicht in der Folge, wenn ihr nun solches tut, Tod und Verderben über euer Land bringen.« Auf das hin enthielten sich die Ägineten, ihn abzuführen, trafen aber die Übereinkunft, daß Leotychidas mit nach Athen gehen und den Ägineten ihre Leute wieder ausliefern solle.

86. Als aber Leotychidas nach Athen kam und das Unterpfand heimforderte, machten die Athener Ausflüchte, um sie nicht herauszugeben, und erklärten, ihre beiden Könige hätten sie ihnen in Verwahrung gegeben, und daher hielten sie es nicht für richtig, sie einem ohne den andern herauszugeben. Wie also die Athener ihre Herausgabe verweigerten, sagte Leotychidas folgendes zu ihnen: »Ihr Athener, tut, was ihr wollt; freilich, wenn ihr sie herausgebt, tut ihr recht, und wenn ihr sie nicht herausgebt, das Gegenteil. Was sich indessen in Sparta mit einem Unterpfand begeben hat, will ich euch sagen. Wir Spartiaten erzählen, es habe in Lazedämon, im dritten Geschlechte vor mir, ein Glaukos, der Sohn des Epikydes, gelebt. Von diesem Manne rühmt man bei uns, daß er überhaupt in allem zu den Ersten gehörte, namentlich aber den Ruf der größten Gerechtigkeit vor allen genoß, die zu der Zeit in Lazedämon lebten. Diesem ist, laut unserer Sage, seinerzeit folgendes begegnet. Ein milesischer Mann kam nach Sparta, um mit ihm zu sprechen, und trug ihm folgendes vor: ›Ich bin ein Milesier und komme, um deine Gerechtigkeit, Glaukos, für mich in Anspruch zu nehmen. Da überhaupt in ganz Hellas, so auch in Ionien, des Rühmens von deiner Gerechtigkeit gar viel war, so erwog ich bei mir, wie Ionien immer bedenklich steht, der Peloponnes aber ruhig und sicher ist, und wie man sehen muß, daß Geld und Gut niemals bei denselben Herren bleiben. Indem ich also dies überlegte und auf Rat sann, dünkte es mir gut, die Hälfte meiner ganzen Habe zu Gelde zu machen und in deine Hand niederzulegen, da ich wohl weiß, daß es bei dir wohlverwahrt bleiben wird. So nimm denn mein Geld und hebe dir zugleich diese Wahrzeichen hier auf; kommt einer mit denselben, um zu fordern, so gib es ihm zurück!‹ Dies sagte also der Fremde, der von Milet kam, und Glaukos nahm das Unterpfand mit der genannten Verabredung an. Lange Zeit darauf kamen die Söhne dessen, der das Geld hinterlegt hatte, nach Sparta, gingen zu Glaukos, um mit ihm zu sprechen, und forderten unter Vorzeigung der Wahrzeichen ihr Geld. Er aber wies sie ab mit der falschen Antwort: ›Ich erinnere mich der Sache gar nicht und kann auf nichts von dem allem kommen, was ihr da sagt. Gewiß will ich, wenn ich mich erinnere, alles, was recht ist, tun und es euch, wenn ich's nämlich empfangen habe, richtig zurückgeben; allein wenn ich's nun gar nicht empfangen habe, werd' ich nach den hellenischen Gesetzen mit euch verfahren. Es nun zu beweisen, gebe ich euch eine Frist von jetzt bis zum vierten Monat.‹ Darauf zogen die Milesier im Jammer um ihr verlorenes Geld ab. Glaukos aber reiste nach Delphi, um das Orakel anzugehen. Als er das Orakel befragte, ob er durch einen Eid das Geld erbeuten könne, fuhr ihn die Pythia mit folgenden Worten an:

Glaukos, den Epikydes gezeugt, für den Augenblick lohnt sich's,
Recht zu gewinnen mit Hilfe des Eids und Geld zu erbeuten.
Schwöre denn, weil ja der Tod auch der redlich Schwörenden wartet.
Aber ein Sohn ist des Eides, ein namenloser: er hat nicht
Hand noch Füße, verfolgt aber schnell, bis daß er das ganze
Haus und das ganze Geschlecht hinuntergerafft und vertilgt hat.
Aber wer redlich schwört, dessen Haus wird fürder gedeihen.

Als Glaukos das hörte, bat er, daß ihm der Gott verzeihe, was er geredet habe. Darauf sprach die Pythia, der Versuch an dem Gotte gelte gleich viel wie die Tat. Da ließ also Glaukos jene Fremden von Milet kommen und gab ihnen das Geld zurück. In welcher Absicht ich aber die ganze Geschichte vor euch, ihr Athener, erzählt habe, das kommt jetzt. Von dem Stamme des Glaukos ist kein Sproß mehr übrig, und kein Haus heißt nach Glaukos: er ist mit der Wurzel ausgerottet aus Sparta. So rätlich ist's, an nichts anderes zu denken bei einem Unterpfand als an die Rückgabe, sobald es gefordert wird.« Nach solcher Rede zog Leotychidas, als die Athener auch so nicht auf ihn hörten, von dannen.

87. Die Ägineten aber, die noch keine Buße gegeben hatten für die frühern Beleidigungen, die sie sich den Thebanern zu Gefallen gegen die Athener herausgenommen hatten, taten folgendes. Unter Vorwürfen gegen die Athener und in der Meinung, daß ihnen Unrecht geschehe, rüsteten sie sich zur Rache an den Athenern. Da nun die Athener gerade ein Fünfjahrfest auf Sunion feierten, legten sie sich in einen Hinterhalt und nahmen das heilige Schiff weg, das mit den ersten Männern Athens besetzt war, und legten die gefangenen Männer in Bande.

88. Wie den Athenern das von den Ägineten widerfuhr, verschoben sie's nicht länger, alles wider die Ägineten zu versuchen. Nun war in Ägina ein angesehener Mann, Nikodromos, der Sohn des Knoithos, der aus Groll gegen die Ägineten wegen seiner einstmaligen Verweisung aus der Insel jetzt, als er erfuhr, daß die Athener Böses wider sie im Schilde führten, den Verrat von Ägina mit den Athenern verabredete und ihnen den Tag bestimmte, an dem er den Angriff machen werde und sie ihm zu Hilfe kommen müßten. Sodann bemächtigte sich Nikodromos, gemäß seiner Verabredung mit den Athenern, der sogenannten Altstadt.

89. Aber die Athener trafen nicht rechtzeitig ein; denn sie hatten gerade keine Schiffe, die den äginetischen im Kampfe gewachsen waren, und während sie die Korinther baten, ihnen Schiffe zu leihen, ward unterdessen die Sache verdorben. Die Korinther – denn sie waren zu der Zeit die besten Freunde der Athener – gaben ihnen allerdings auf ihre Bitte zwanzig Schiffe, und zwar zu fünf Drachmen Miete, da es umsonst zu tun, ihnen ihr Gesetz nicht verstattete. Diese nahmen die Athener, samt ihren eigenen, bemannten sie, zusammen siebzig Schiffe, und segelten so gegen Ägina, kamen jedoch um einen Tag zu spät.

90. Als die Athener nicht zur festgesetzten Zeit eintrafen, bestieg Nikodromos ein Fahrzeug und entwich aus Ägina; auch gingen noch andere Ägineten mit ihm, denen die Athener Sunion zur Ansiedlung gaben. Von dort gingen diese immer auf Räuberei aus gegen die Ägineten auf der Insel. Das geschah indessen erst nachmals.

91. Die Vornehmen der Ägineten gewannen aber über das Volk, das sich mit Nikodromos gegen sie empört hatte, die Oberhand und führten die Empörer sofort, wie sie bezwungen waren, hinaus zum Tode. Bei dieser Gelegenheit luden sie auch eine Blutschuld auf sich, die sie nicht wegzusühnen vermochten trotz aller Mühe, die sie sich gaben, sondern sie wurden aus ihrer Insel vertrieben, noch ehe die Göttin ihnen wieder gnädig ward. Sie hatten nämlich siebenhundert Mann aus dem Volke gefangengenommen und führten sie hinaus zum Tode. Einer davon aber entfloh aus den Banden, flüchtete in die Vorhalle der Demeter Thesmophoros und hielt sich da an den Türgriffen fest. Da sie ihn von hier mit Ziehen und Reißen nicht losbrachten, hieben sie ihm die Hände ab und führten ihn so hinaus; seine Hände aber blieben fest in den Griffen hängen.

91. Herodot erwähnt hier beiläufig, daß die Athener zu Beginn des Peloponnesischen Krieges im Jahre 431 v. Chr. die Ägineten zwangen, ihre Insel zu verlassen. Sie wurden von den Spartanern in Thyrea angesiedelt. Im Jahre 424 nahmen die Athener Thyrea, schleppten die Ägineten nach Athen und töteten sie. Da es Herodot darauf ankommt, die Rache der Götter wegen der Blutschuld darzustellen, hätte er sicher nicht die Vertreibung der Ägineten im Jahre 431, sondern ihre Ausrottung im Jahre 424 erwähnt, wenn er diese noch erlebt hätte. Er muß also zwischen 431 und 424 gestorben sein. – Demeter Thesmophoros: Anm. zu Buch II, Kapitel 171.

 

92. Das taten also die Ägineten ihren eigenen Volksgenossen an. Als aber die Athener mit siebzig Schiffen kamen, lieferten sie ihnen eine Seeschlacht, unterlagen und riefen wieder, wie auch früher, die Argiver zu Hilfe. Allein diese halfen ihnen nicht mehr, aus Groll darüber, daß äginetische Schiffe, gezwungen von Kleomenes, nach Argolis gefahren und mit den Lazedämoniern ans Land gegangen waren. Bei demselben Einfall waren aber auch Männer von sikyonischen Schiffen mit ans Land gezogen, und dafür hatten ihnen die Argiver zur Strafe eine Buße von tausend Talenten auferlegt, jedem Teil fünfhundert. Die Sikyonier nun hatten ihr Unrecht zugestanden und einen Vergleich geschlossen, nach dem sie mit einer Buße von hundert Talenten davonkommen sollten; die Ägineten aber gestanden ihre Schuld nicht zu und waren ganz trotzig. Deshalb kam ihnen auf ihre jetzige Bitte kein Mann im Namen des Volkes von Argos zu Hilfe, aber etwa tausend Freiwillige kamen. Diese hatten zum Anführer einen Mann, namens Eurybates, der ein Meister im Fünfkampf war. Von diesen kamen die meisten nicht wieder heim, sondern fielen durch die Athener auf Ägina, und ihr Anführer Eurybates selbst, der nur im Zweikampf focht, tötete zwar drei Männer auf diese Art, kam aber durch den vierten, Sophanes aus Dekeleia, um.

92. Fünfkampf: Wettlauf, Springen, Ringen, Diskus- und Speerwerfen.

 

93. Die Ägineten aber griffen die Athener, während diese ungeordnet waren, mit ihren Schiffen an, siegten und nahmen ihnen vier Schiffe samt der Mannschaft.

94. Zwischen den Athern und den Ägineten hatte sich also ein Krieg entsponnen. Der Perser aber tat indes das Seinige, wie denn sein Diener ihn immer erinnerte, der Athener zu gedenken, auch die Peisistratiden ihm immer anlagen und die Athener anschwärzten, während Dareios selbst unter diesem Vorwande willens war, die von den Hellenen zu unterjochen, die ihm nicht Erde und Wasser gegeben hatten. So entsetzte er den Mardonios, der bei seinem Zug übel gefahren war, seiner Feldherrnstelle, ernannte andere Feldherrn und schickte sie aus gegen Eretria und Athen: nämlich den Datis, einen Meder von Geburt, und den Artaphernes, den Sohn des Artaphernes, seinen Neffen, und trug ihnen auf, Athen und Eretria zu verknechten und die Verknechteten vor sein Angesicht zu führen.

95. Diese neuen Feldherrn wurden vom König abgefertigt und zogen mit ihrem großen wohlgerüsteten Landheere nach Zilizien auf das aleische Feld. Als sie dort lagerten, stieß die sämtliche aufgebotene Schiffsmacht zu ihnen; auch trafen die Fahrzeuge für die Reiterei ein, die Dareios im vorigen Jahre seinen Zinspflichtigen auszurüsten anbefohlen hatte. Auf diese brachten sie die Pferde, gingen mit dem Fußvolk an Bord der Schiffe und fuhren so mit sechshundert Dreiruderern nach Ionien. Von da ab hielten sie sich aber nicht an der Küste in gerader Richtung auf den Hellespont und Thrazien zu, sondern von Samos aus nahmen sie ihren Lauf längs der Insel Ikaros und fuhren dann zwischen den Inseln durch; wie ich glaube, vornehmlich aus Furcht vor der Fahrt um den Athos, weil sie auf diesem Weg im vorigen Jahre einen harten Stoß erlitten hatten; zudem nötigte sie auch Naxos dazu, das noch nicht erobert war.

96. Da sie nun von der Seite des Ikarischen Meeres her in Naxos einliefen (denn diese Insel hatten die Perser bei ihrem Zug zunächst im Auge), erinnerten sich die Naxier der früheren Vorfälle und flohen davon in die Berge, ohne standzuhalten. Die Perser verknechteten nun alle, deren sie habhaft wurden, und verbrannten die ganze Stadt samt den Heiligtümern. Als sie das getan hatten, liefen sie gegen die anderen Inseln aus.

97. Während sie das taten, verließen auch die Delier Delos und flohen davon nach Tenos. Als die Flotte jedoch herankam, ließ Datis, der vorausfuhr, die Schiffe nicht an dieser Insel vor Anker gehen, sondern drüben bei Rheneia. Er erfuhr, wo die Delier waren, sandte einen Herold an sie und ließ ihnen verkünden: »Heilige Männer, warum flieht ihr davon und denkt nicht recht von mir? Denn ich selbst bin auch so gesinnt, habe aber auch vom König den Befehl, das Land, in dem die zwei Götter geboren sind, in keiner Weise zu schädigen, weder es selbst, noch seine Bewohner. So geht denn auch ihr wieder nach Hause und behaltet eure Insel!« Das entbot er durch einen Herold den Deliern, häufte dreihundert Talente Weihrauch auf einmal auf den Altar und verbrannte sie.

97. Delos, die Geburtsstätte des Lichtgottes Apollo und der Artemis, wurde von den Persern geschont, weil sie selbst den Lichtgott Ahura Masda verehrten. Diesem brachte Datis das große Rauchopfer auf dem Altar Apollos dar.

 

98. Das getan, fuhr Datis zuerst gegen Eretria mit seinem Heere, in dem auch Ionier und Äolier waren. Nach seiner Abfahrt von Delos ward die Insel erschüttert durch einen Erdstoß, nach Aussage der Delier zum erstenmal und zum letztenmal bis auf meine Zeit. Das war wohl ein Zeichen, durch das der Gott den Menschen das Unheil anzeigte, das da kommen sollte. Denn unter Dareios, dem Sohne des Hystaspes, und Xerxes, dem Sohne des Dareios, und Artaxerxes, dem Sohne des Xerxes, in diesen drei Menschenaltern nacheinander kam über Hellas mehr Unheil als in zwanzig andern Menschenaltern vor Dareios, teils durch die Perser, teils durch seine eigenen Hauptmächte, die um die Herrschaft kämpften. So war es nicht unnatürlich, daß Delos erschüttert wurde, so unerschüttert es zuvor war. Auch stand davon in einem Spruche geschrieben, wie folgt:

Delos auch will ich erschüttern, das unerschütterte Eiland.

Es bedeuten aber jene Namen in unserer Sprache, Dareios: Halter; Xerxes: Krieger; Artaxerxes: gewaltiger Krieger. So würden die Hellenen diese Könige richtig in ihrer Sprache nennen.

98. Artaxerxes regierte von 464 bis 424 v. Chr. Die Stelle beweist nicht, daß Herodot den Abschluß seiner Regierung erlebt hat. Mit dem Kriege der griechischen Hauptmächte ist der Peloponnesische Krieg (431-404) gemeint. – Dareios bedeutet allerdings »Erhalter der Ordnung«, Xerxes aber »königlicher Herrscher« und Artaxerxes »ehrenvoller Herrscher«. Herodots Kenntnis des Persischen war unvollkommen (s. Anm. zu Buch I, Kapitel 139).

 

99. Als die Barbaren von Delos ausgelaufen waren, hielten sie bei den Inseln an, nahmen da für den Krieg Leute mit und nahmen die Kinder der Inselbewohner zu Geiseln. Wie sie bei den Inseln herumgefahren waren und bei Karystos hielten, wo ihnen aber die Karystier keine Geiseln geben wollten und sich weigerten, in den Krieg zu ziehen gegen ihre Nachbarstädte, nämlich Eretria und Athen, – so belagerten sie dieselben und verheerten ihr Land, bis auch die Karystier auf die Seite der Perser übergingen.

99. Karystos lag an der Südküste der Insel Euböa.

 

100. Die Eretrier aber baten, als sie erfuhren, daß die persische Flotte gegen sie heranrücke, die Athener um Hilfe. Und die Athener versagten ihnen die Waffenhilfe nicht, sondern gaben ihnen die viertausend Kleruchen vom Lande der chalkidischen Ritter zum Beistand. Allein die Eretrier hatten keinen gesunden Gedanken, riefen zwar die Athener herbei, waren aber geteilten Sinnes. Denn ein Teil gedachte, aus der Stadt zu entweichen auf die Höhen von Euböa, und andere, die für sich allein einen guten Lohn bei den Persern zu gewinnen hofften, gingen auf Verrat aus. Dieses alles wußte Aischines, der Sohn Nothons, einer der Ersten in Eretria, und gab den von feiten der Athener Kommenden über ihre ganze gegenwärtige Lage Auskunft und bat sie, wieder nach Hause zu gehen, damit sie nicht mitumkämen. Die Athener folgten diesem Rate des Aischines, setzten nach Oropos über und retteten sich also.

101. Die Perser aber legten sich mit ihren Schiffen im eretrischen Gebiet vor Tamynai, Choireai und Aigilia. Sobald sie bei diesen Orten angelegt hatten, setzten sie sogleich die Pferde ans Land und rüsteten sich zum Angriff gegen die Feinde. Die Eretrier aber gedachten nicht herauszurücken und sich zu schlagen, sondern trugen nur Sorge, die Mauern zu verteidigen, da die Meinung überwog, nicht aus der Stadt zu weichen. Bei der heftigen Berennung der Mauern fielen nun an sechs Tagen von beiden Seiten viele; am siebenten aber verrieten Euphorbos, der Sohn des Alkimachos, und Philagros, der Sohn des Kyneos, zwei von den angesehenen Bürgern, die Stadt an die Perser. Diese drangen in die Stadt, plünderten die Heiligtümer und steckten sie in Brand, zur Vergeltung für die in Sardes verbrannten Heiligtümer, dann machten sie die Menschen zu Knechten, nach dem Befehl des Dareios.

102. Nach der Überwältigung von Eretria lagen sie wenige Tage still; dann fuhren sie nach Attika, drangen gewaltig heran und meinten, die Athener würden es ebenso machen, wie die Eretrier es gemacht hatten, und weil Marathon der beste Platz von Attika für die Reiterei war und am nächsten bei Eretria, so führte Hippias, der Sohn des Peisistratos, sie dahin.

103. Die Athener aber rückten auf die Kunde davon nun auch nach Marathon aus zum Kampfe. Es führten sie zehn Feldherren, von denen der zehnte Miltiades war, dessen Vater Kimon, der Sohn des Stesagoras, das Schicksal gehabt hatte, aus Athen verbannt zu werden durch Peisistratos, den Sohn des Hippokrates. Während dieser Verbannung geschah's, daß er einen Olympiasieg mit dem Viergespann davontrug, also den gleichen Preis erwarb wie Miltiades, sein Bruder mütterlicherseits. Da er nun auch in der folgenden Olympiade mit denselben Rossen siegte, ließ er den Peisistratos als Sieger ausrufen, und für die Abtretung des Sieges durfte er, kraft Vertrags, nach Haus zurückkehren. Als er aber mit denselben Rossen noch einen Olympiasieg davontrug, kam er durch die Söhne des Peisistratos um (da Peisistratos selbst nicht mehr lebte), die ihn beim Rathause des Nachts durch Meuchelmörder töten ließen. Das Grab dieses Kimon liegt vor der Stadt über der sogenannten Koilestraße, und ihm gegenüber ist das Grab der Rosse, die drei Olpmpiasiege davongetragen haben. Andere Rosse, die dasselbe getan haben, sind die des Lazedämoniers Euagoras, sonst aber keine. Der älteste Sohn des Kimon, Stesagoras, war nun zu jener Zeit im Hause seines Oheims Miltiades auf dem Chersones, der jüngere aber bei Kimon selbst in Athen, mit Namen Miltiades, nach Miltiades, dem Begründer der Ansiedlung auf dem Chersones.

103. Koile heißt Hohlweg.

 

104. Dieser Miltiades also war jetzt Feldherr der Athener, nachdem er aus dem Chersones gekommen und zweimal dem Tode entgangen war. Denn nicht nur wollten die Phönizier, die ihm bis Imbros nachsetzten, ihn um alles gern fangen und zum König hinaufführen, sondern auch, als er ihnen entronnen und nach Hause gekommen war, wo er sich nun in Sicherheit glaubte, nahmen ihn gleich seine Feinde, führten ihn vor Gericht und verklagten ihn wegen der Machthaberschaft auf dem Chersones. Er kam aber auch hier los und ward dann zum Feldherrn der Athener ernannt, nach der Wahl des Volkes.

105. Als die Feldherren noch in der Stadt waren, schickten sie zunächst nach Sparta einen Herold, Pheidippides, der ein Athener war, und zwar seinem Gewerbe nach ein Eilbote. Wie dieser Pheidippides selbst sagte und den Athenern berichtete, stieß auf ihn am Berge Parthenion oberhalb von Tegea der Gott Pan. Und Pan habe den Pheidippides beim Namen gerufen und ihm befohlen, bei den Athenern anzufragen, warum sie denn gar nicht an ihn dächten, da er doch den Athenern wohlgesinnt sei, ihnen auch schon oftmals Gutes getan habe und noch künftig tun werde. Das nahmen die Athener, als es ihnen gut ging, als Wahrheit an und stifteten dem Pan unterhalb der Akropolis ein Heiligtum, und seit dieser Botschaft ehren sie ihn mit jährlichem Opfer und Fackellauf.

105. Der Berg Parthenion lag auf der Grenze zwischen Argolis und Arkadien. Der Hirtengott Pan wurde vornehmlich von den arkadischen Schäfern verehrt.

 

106. Dieser Pheidippides, den die Feldherrn abgeschickt hatten, und dem, wie er behauptete, auf dem Wege Pan erschien, kam von der Stadt Athen am zweiten Tage nach Sparta, trat vor die Obrigkeit und sprach: »Ihr Lazedämonier, die Athener bitten euch, ihnen beizuspringen und nicht zuzugeben, daß die älteste Stadt von Hellas in die Knechtschaft von Barbaren falle. Denn schon ist Eretria verknechtet und Hellas um eine namhafte Stadt ärmer.« Das meldete er ihnen befohlenermaßen, und sie entschlossen sich auch, den Athenern beizuspringen; es war ihnen aber nicht möglich, dies sogleich zu tun, da sie ihre Satzung nicht brechen wollten. Es war nämlich der neunte Tag im neuen Mond, und am neunten zögen sie nicht aus, sagten sie, da die Scheibe nicht voll wäre. Diese warteten also den Vollmond ab.

106. Es handelte sich um den spartanischen Monat Karneios, in dem vom 7. bis zum 15. Tage das Fest der Karneien zu Ehren Apollos gefeiert wurde. Sie endeten mit dem Vollmond. Wenn die Spartaner in jedem Monat erst nach dem Vollmond hätten ausrücken dürfen, wie Herodot zu glauben scheint, würde ihre Kriegführung ein sonderbares Aussehen bekommen haben. Seine Angabe, daß die Spartaner drei Tage nach dem Vollmond ankamen, gibt aber die Möglichkeit, das Datum der Schlacht zu bestimmen, nämlich den 11. oder 12. September.

 

107. Die Barbaren aber führte Hippias, der Sohn des Peisistratos, nach Marathon, nachdem er die Nacht vorher folgendes Traumgesicht gehabt hatte. Es kam dem Hippias vor, er schlafe bei seiner Mutter, und aus diesem Traume schloß er, er werde wieder nach Athen und zu seiner alten Herrschaft kommen und in der Heimat alt werden und sterben. Dies schloß er aus dem Traum. Als er nun den Zug führte, schaffte er zuerst die Gefangenen aus Eretria auf die Insel der Styreer, namens Aigileia; dann ließ er die Schiffe bei Marathon einlaufen und Anker werfen, die Barbaren aber aussteigen, und stellte sie auf. Wie er also hiermit beschäftigt war, kam ihn ein Niesen und Husten an, heftiger als gewöhnlich. Alt, wie er auch schon war, wackelten ihm die meisten Zähne; daher verlor er einen von diesen Zähnen durch das gewaltige Husten. Da dieser in den Sand fiel, gab er sich große Mühe, ihn zu finden; als aber der Zahn nicht wieder zum Vorschein kam, seufzte er und sagte zu den Umstehenden: »Dieses Land hier ist nicht unser, und wir können es nicht in unsere Gewalt bekommen; was ich noch teil daran hatte, das hat nun der Zahn!« Damit also, schloß Hippias, sei ihm sein Traum in Erfüllung gegangen.

108. Zu den Athenern aber stießen, wie sie im heiligen Bezirk des Herakles standen, noch die Platäer mit ihrem gesamten Heerbann. Denn die Platäer hatten sich den Athenern angeschlossen, und die Athener hatten für sie schon viele Mühe auf sich genommen. Mit dem Anschluß ging's aber so. Von den Thebanern bedrängt, ergaben sich die Platäer zuerst an Kleomenes, den Sohn des Anaxandridas, und die Lazedämonier, die gerade in der Nähe waren. Die nahmen's aber nicht an, indem sie sagten: »Wir wohnen zu entfernt, und da wäre euch das ein kalter Beistand; denn ihr könntet oft verknechtet sein, eh' es einer von uns gehört hätte. Wir raten euch, daß ihr euch an die Athener anschließt, an eure Nachbarsleute, die auch zur Hilfeleistung wacker genug sind.« Das rieten die Lazedämonier nicht so sehr aus Wohlwollen für die Platäer als vielmehr, damit die Athener etwas auszustehen hätten im Kampfe mit den Böotiern. Die Lazedämonier rieten ihnen also dieses, und die Platäer verwarfen es nicht; sondern setzten sich, als die Athener den zwölf Göttern Opfer brachten, als Schutzflehende an den Altar und ergaben sich ihnen. Als die Thebaner das erfuhren, unternahmen sie einen Zug gegen die Platäer, und die Athener kamen diesen zu Hilfe. Wie aber die Schlacht schon losbrechen sollte, ließen's die Korinther nicht zu, die dazukamen und als Schiedsrichter nach beiderseitiger Bewilligung das Land mit der Bestimmung abgrenzten, die Thebaner sollten die von den Böotiern, die zum böotischen Kreis nicht gehören wollten, gehen lassen. Nach diesem Schiedsspruch zogen die Korinther ab. Auf die abmarschierenden Athener machten die Böotier einen Überfall, aber der Angriff wurde abgeschlagen. Nun überschritten die Athener die von den Korinthern den Platäern gesteckten Grenzen und machten jenseits derselben den Asopos und Hysiai zur Grenze der Platäer gegen die Thebaner. – Angeschlossen also hatten sich die Platäer an die Athener auf die besagte Art, und jetzt kamen sie nach Marathon, um ihnen beizustehen.

108. Der Altar der zwölf Götter stand mitten auf dem athenischen Markt (s. Anm. zu II, 7).

 

109. Die Feldherren der Athener aber waren geteilter Meinung, da die einen keine Schlacht wollten, weil sie zu wenige seien, um sich mit dem Mederheer zu schlagen, die andern aber, namentlich Miltiades, dafür waren. Als die Meinungen so geteilt waren und die schlechtere zu überwiegen drohte, so war da noch als elfter Stimmträger der durchs Bohnenlos erwählte Polemarch; denn vor alters hatte der Polemarch bei den Athenern das Stimmrecht mit den Feldherren, und dazumal war Polemarch Kallimachos, vom Gau Aphidnai; zu diesem also ging Miltiades und sagte folgendes: »Bei dir, Kallimachos, steht es jetzt, Athen in Knechtschaft zu stürzen oder es zu befreien und dir ein Gedächtnis zu stiften auf ewige Zeiten, wie es sich Harmodios und Aristogeiton selbst nicht gestiftet haben. Denn seit es Athener gibt, haben sie niemals in so großer Gefahr geschwebt wie jetzt. Wenn sie unter die Meder sich beugen, so steht es schon fest, welches Schicksal sie, dem Hippias überantwortet, erfahren müssen; wenn aber diese Stadt sich hält, so mag sie wohl die erste der hellenischen Städte werden. Und wie solches geschehen mag, und wie es gerade auf dich ankommt, die Sache zu entscheiden, will ich jetzt erklären. Wir zehn Feldherren sind geteilter Meinung, da die einen für eine Schlacht sind, die andern dagegen. Wenn wir uns nicht schlagen, seh' ich einen gewaltigen Parteizwist voraus, der den Sinn der Athener dahinreißt, daß sie medisch werden; wenn wir uns aber schlagen, ehe es noch bei einzelnen Athenern faul wird, so sind wir, wenn uns die Götter nicht verlassen, imstande, den Sieg zu gewinnen in der Schlacht. Alles dies beruht nun auf dir und hängt von dir ab. Denn wenn du meiner Meinung beitrittst, so ist dein Vaterland frei und die erste Stadt in Hellas; trittst du aber zu denen, welche die Schlacht hintertreiben, so wird dir von all dem Guten, das ich erwähnte, gerade das Gegenteil beschert werden.«

109. Als die Athener die königlichen Rechte unter die neun Archonten verteilten, bekam der Polemarch das Recht der Heeresführung. Diese ging dann an die zehn Feldherrn über, von denen nach der Staatsreform des Kleisthenes jede Phyle einen stellte, und der Polemarch behielt nur Ehrenrechte, zu denen der Sitz im Kriegsrate der Feldherrn gehörte. Durchs Bohnenlos wurde er aus einer Kandidatenliste, die aus Wahlen der Gemeinden hervorging, bestimmt. Vor Kleisthenes waren die Beamten durch Handaufheben gewählt worden. Seit Kleisthenes aber legte man in die eine von zwei Urnen Täfelchen mit den Namen der Kandidaten, in die andere Bohnen von verschiedener Farbe. Der Name, der mit einer Bohne von bestimmter Farbe zugleich gezogen wurde, siegte. Auf diese unsinnige Übertreibung der demokratischen Gleichberechtigung bis zur politischen Lotterie waren die Athener stolz.

 

110. Durch diese Rede gewann Miltiades den Kallimachos für sich. Durch diese hinzugekommene Stimme des Polemarchen fiel die Entscheidung für die Schlacht. Darauf traten die Feldherren, deren Meinung für die Schlacht gewesen war, den Oberbefehl, der nach der Reihe an sie kam, jeder an seinem Tage dem Miltiades ab, der das zwar annahm, aber die Schlacht erst lieferte, als der Tag seines Oberbefehls da war.

111. Wie aber die Reihe an ihm war, da stellten sich die Athener folgendermaßen in Schlachtordnung. Oben am rechten Flügel stand der Polemarch Kallimachos; denn es war dazumal Brauch bei den Athenern, daß der Polemarch den rechten Flügel habe. Von ihm herab schlossen sich die Stämme, ihrer Reihenfolge nach, aneinander an. Zuletzt aber waren, als linker Flügel, die Platäer aufgestellt; wie denn auch von dieser Schlacht her bei dem Opfer- und Volksfest, das die Athener in jedem fünften Jahre feiern, der athenische Herold in seinem Gebet um Segen, wie für die Athener, so für die Platäer fleht. Bei der damaligen Schlachtordnung der Athener auf Marathon wurde aber folgendes vorgenommen. Die Schlachtreihe wurde gleichweit ausgedehnt wie die medische Schlachtreihe, war in der Mitte jedoch nur wenige Glieder tief und war hier am schwächsten, aber die beiden Flügel waren desto stärker besetzt.

112. Als nun die Schlachtordnung stand und das Opfer günstig ausfiel, da rannten die Athener aufs erste Zeichen im Sturmlauf gegen die Barbaren. Es waren aber der Stadien nicht weniger als acht zwischen beiden Heeren. Die Perser sahen die Athener im Sturmlauf kommen, machten sich fertig, sie zu empfangen, und dachten, sie seien von einem Wahnsinn ergriffen, der ihr Verderben sein müsse, da sie trotz ihrer schwachen Anzahl im Sturmlauf heranschössen, ohne Reiterei und Schützen zu haben. So vermeinten die Barbaren. Die Athener aber fochten wacker, als sie mit den Barbaren ins Handgemenge kamen. Waren sie doch die ersten unter den Hellenen, soviel wir wissen, die einen Sturmlauf gegen die Feinde machten, und die ersten, die den Anblick der medischen Tracht und der Männer in dieser Tracht aushielten, während bis dahin der bloße Name der Meder den Hellenen ein Schrecken war.

113. Die Schlacht bei Marathon dauerte lange. Im Mitteltreffen siegten die Barbaren, da dort die Perser selbst und die Saker standen. Hier siegten also die Barbaren, brachen durch und drangen nach, ins Land hinein; aber auf beiden Flügeln siegten die Athener und Platäer, und wie sie siegten, ließen sie die geschlagenen Barbaren fliehen; gegen die aber, die das Zentrum durchbrochen hatten, gingen beide Flügel vereinigt ins Gefecht, und die Athener siegten. Nun jagten und schlugen sie die fliehenden Perser, bis daß sie ans Meer kamen, wo sie Feuer forderten und Hand an die Schiffe legten.

113. Die Saker bewohnten die Kirgisensteppe und waren besonders als Reiter und Bogenschützen berühmt.

 

114. In dieser Hitze des Kampfes wurde der Polemarch Kallimachos erschlagen, der sich als wackrer Krieger zeigte; auch fiel von den Feldherrn Stesilaos, der Sohn des Thrasylaos, und dann war's hier, daß Kynegeiros, der Sohn Euphorions, als er ein Schiff bei der Hinterdeckzierde faßte, von einem Beile fiel, das ihm den Arm abhieb, und außerdem fielen noch viele namhafte Athener.

114. Kynegeiros ist der Bruder des Tragikers Aischylos, der ebenfalls bei Marathon mitkämpfte.

 

115. Sieben von den Schiffen gewannen die Athener auf diese Art; mit den übrigen aber stießen die Barbaren ab, nahmen dann auch von der Insel die dort zurückgelassenen eretrischen Gefangenen wieder an Bord, umschifften Sunion und wollten noch vor den Athenern in die Stadt kommen. Man trug sich aber in Athen mit der Beschuldigung, hinter diesem Anschlag der Perser hätten die Alkmaioniden gesteckt. Sie hätten nämlich verabredetermaßen den Persern einen Schild gezeigt, wie diese schon zu Schiff gewesen seien.

116. Diese umfuhren das Vorgebirge Sunion; die Athener aber liefen, so schnell sie die Füße tragen wollten, nach der Stadt, um sie zu schützen. Wirklich kamen sie auch noch vor den Barbaren an, und wie sie herkamen aus dem Heraklesheiligtum in Marathon, so legten sie sich wieder in ein Heraklesheiligtum im Kynosarges. Die Barbaren aber kamen mit ihren Schiffen auf die Höhe von Phaleron; denn das war dazumal der Schiffshafen von Athen, ankerten dort eine Zeitlang auf hoher See und fuhren dann wieder ab nach Asien.

116. Kynosarges, Anm. zu Buch V, Kapitel 63. – Der Phaleron war der Hafen Athens, bis Themistokles den Peiraieus ausbaute.

 

117. In dieser Schlacht bei Marathon fielen von den Barbaren etwa sechstausendundvierhundert Mann, von den Athenern aber hundertundzweiundneunzig. So viel also blieben auf beiden Seiten. Daselbst begab sich aber auch das Wunder, daß ein Athener, Epizelos, der Sohn des Kuphagoras, wie er im Handgemenge mitfocht und sich als ein wackrer Krieger hervortat, sein Gesicht verlor, ohne daß ein Schlag oder Wurf seinen Leib getroffen hätte, und von der Zeit an sein ganzes Leben hindurch blind blieb. Ich hörte aber, daß er über seinen Unfall folgendes erzählte: Es sei ihm vorgekommen, ein großer gewappneter Mann trete ihm entgegen, dessen Bart den ganzen Schild beschattete; diese Erscheinung sei aber an ihm vorbeigegangen und habe seinen Nebenmann erschlagen. Das war, wie ich erfuhr, die Erzählung des Epizelos.

117. Rankes vorsichtiges Urteil (Weltgeschichte, Erster Band, Kapitel 6) über den Sieg bei Marathon lautet: »Es ist ein Handstreich, den die Perser mit überlegenen Kräften zu Land und zur See versuchten, den aber die Athener mit gelenker Tapferkeit und unter glücklicher Führung zurückwiesen, ein Ereignis von nicht großer militärischer Dimension, aber voll von Zukunft, gleichsam ein ernstes Wort des Schicksals.«

 

118. Datis aber sah, wie er auf seinem Heimzug mit dem Heer nach Asien bei der Insel Mykonos war, im Schlaf ein Traumgesicht. Was nun das für ein Gesicht war, hört man nicht; indessen stellte er, sobald der Tag anbrach, eine Untersuchung der Schiffe an. Als er dabei auf einem phönizischen Schiff ein vergoldetes Bild des Apollo fand, erkundete er, woher es geraubt sei, und nach Erkundung des Heiligtums, aus dem es war, fuhr er auf seinem Schiff nach Delos. Hier legte er (denn die Delier waren zur Zeit schon wieder daheim auf ihrer Insel) im Heiligtume das Bild nieder und trug den Deliern auf, dasselbe zurückzuliefern nach Delion im Thebanerlande, das am Meere liegt, gegenüber von Chalkis. Nach diesem Auftrag also fuhr Datis ab. Diese Bildsäule aber lieferten die Delier nicht zurück, sondern nach Verlauf von zwanzig Jahren holten sie die Thebaner selbst auf einen Götterspruch nach Delion ab.

119. Die verknechteten Eretrier aber führten Datis und Artaphernes, als sie in Asien ans Land stießen, nach Susa hinauf. König Dareios hatte auf die Eretrier, ehe sie gefangen wurden, einen argen Groll, weil sie zuerst mit den Beleidigungen angefangen hatten. Als er sie aber vor sich und in seiner Gewalt sah, tat er ihnen weiter nichts zuleide, als daß er sie ins kissische Land in einen seiner Rastorte verpflanzte, mit Namen Arderikka, der von Susa zweihundertundzehn Stadien entfernt ist und vierzig von dem Brunnen, der ein dreifaches Wesen hat. Denn man schöpft aus ihm Erdharz, Salz und Öl auf folgende Art. Man pumpt mit einem Brunnenschwengel, statt des Eimers aber ist ein halber Schlauch darangebunden; den läßt man hinein, pumpt und gießt es dann aus in einen Behälter; daraus kommt es wieder in einen andern, in dem es sich verwandelt in dreierlei. Das Erdharz nämlich und das Salz gerinnen gleich; das Öl aber sammelt man in Eimern, und das nennen die Perser Radinake; es ist aber schwarz und von schwerem Geruch. Dorthin verpflanzte der König Dareios die Eretrier, die denn auch noch zu meiner Zeit diese Gegend innehatten und ihre angestammte Sprache bewahrten. Mit den Eretriern also ging es so.

119. Bis Arderikka war Herodot selbst auf seiner Reise in den Osten gekommen. Daher erscheint hier wieder das für alle diese Stellen charakteristische »noch zu meiner Zeit.«

 

120. Von den Lazedämoniern aber kamen nach dem Vollmonde zweitausend Mann nach Athen, die sich so beeilten, zur rechten Zeit zu kommen, daß sie am dritten Tage von Sparta in Attika anlangten. Da sie aber erst nach der Schlacht ankamen, verlangte sie's doch, die Meder zu sehen. Sie gingen denn nach Marathon und sahen sie; nach Belobung der Athener und ihrer Taten zogen sie wieder heim.

121. Wunder nimmt mich's aber und will mir nicht eingehen, was man da sagt, daß die Alkmaioniden den Persern auf Verabredung einen Schild gezeigt und beabsichtigt hätten, daß die Athener unter die Herrschaft der Barbaren und des Hippias kommen möchten; da dieselben doch mehr oder ebensosehr wie Kallias, der Sohn des Phainippos und Vater des Hipponikos, offenbare Feinde der Machthaberei sind. Kallias war nämlich der einzige Athener, der es wagte, als Peisistratos aus Athen vertrieben worden war, seine Güter, die öffentlich ausgeboten wurden, zu kaufen, und zeigte sich ihm überhaupt immer am feindlichsten.

121. Über die mysteriöse Geschichte vom erhobenen Schilde macht sich Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (Aristoteles und Athen. Band II. Berlin 1893. S. 85) lustig: »Welche Verabredung sollte denn vorhergegangen sein, welche Voraussetzungen gemacht, daß die Schilderhebung den Persern verständlich geworden wäre? Und wohin ist der Verräter geklettert? Etwa auf den Brilettos?« Wilamowitz meint, daß diese Geschichte erzählt worden sei, als die Athener durch den Gewaltmarsch nach der Schlacht übermüdet und gereizt waren: »Eine sehr verkehrte Kritik, aber ganz in seinem Sinne, ist die des Herodotos, der das Faktum zugibt und die Alkmaioniden von der Schande reinwäscht, lediglich auf die Probabilität hin, daß die Befreier unmöglich mit den Tyrannen konspirieren konnten.«

 

122. Dieser Kallias verdient gar wohl, daß man sein Andenken bewahrt, schon weil er, wie erzählt, tatkräftig für die Befreiung des Vaterlandes wirkte, dann nach seiner Auszeichnung in Olympia, wie er da, als Sieger mit dem Roß und als der Zweite mit dem Viergespann, nachdem er vorher schon bei den Pythischen Spielen gesiegt hatte, bei allen Hellenen sich durch den größten Aufwand ausgezeichnet hat, und endlich wegen der Art, wie er sich gegen seine drei Töchter benahm. Denn als sie mannbar waren, gab er ihnen die prächtigste Mitgift und war ihrem Herzen gefällig. Er gab nämlich jede dem Manne, den sie sich aus allen Athenern gern erwählen wollte.

122. Man nahm bei der Verheiratung der Töchter so wenig Rücksicht auf ihre eigenen Wünsche, daß Herodot es für wichtig hält zu berichten, daß ein Vater anders verfuhr.

 

123. Die Alkmaioniden waren nun aber ebenso wie dieser oder um nichts weniger Feinde der Machthaber. Also nimmt mich's wunder, und ich nehme die Verleumdung gar nicht an, daß gerade sie einen Schild gezeigt haben sollen, die vertrieben waren, solange die Machthaber herrschten. Gerade durch ihre Anschläge kamen doch die Peisistratiden um die Machthaberschaft. So waren sie viel mehr die Befreier Athens als Harmodios und Aristogeiton, nach meinem Urteil. Denn diese brachten durch die Ermordung des Hipparchos die übrigen Peisistratiden erst recht in Wut, ohne sie vom Throne zu stoßen, die Alkmaioniden aber sind die offenbaren Befreier, wenn anders sie in Wahrheit es waren, welche die Pythia dahin brachten, den Lazedämoniern zu entbieten, sie sollten Athen befreien, wie oben von mir gemeldet ward.

124. Allein vielleicht haben sie aus irgendeinem Groll gegen das Volk der Athener ihr Vaterland verraten? Nun waren aber gar keine anderen Männer bei den Athenern angesehener als sie, und keine wurden höher geschätzt. So läßt es sich schon gar nicht denken, daß gerade von diesen der Schild in dieser Absicht gezeigt worden sei. Denn gezeigt wurde ein Schild: und das kann man nichts anders sagen (denn geschehen ist's); wer's jedoch war, der ihn gezeigt hat, darüber vermag ich nichts weiter zu sagen.

125. Die Alkmaioniden aber waren schon von den Urahnen her ein vornehmes Haus in Athen; seit Alkmaion aber und weiterhin seit Megakles stieg ihr Ansehen noch mehr. Alkmaion, der Sohn des Megakles, leistete nämlich den Lydern, die aus Sardes von Kroisos an das Orakel in Delphi abgeschickt waren, bei diesem Geschäft freundliche Hilfe. Als Kroisos von den Lydern, die nach dem Orakel ausgegangen waren, erfuhr, wie sehr er sich um ihn verdient gemacht habe, ließ er ihn nach Sardes kommen. Er kam, und Kroisos versprach ihm soviel Gold zum Geschenke, wie er an seinem eigenen Leibe auf einmal heraustragen könne. Dieses Geschenk nun, das schon an sich groß war, vermehrte Alkmaion noch durch folgenden Kunstgriff. Angetan mit einem großen Kleide, aus dem er noch einen breiten Busen herauszog, und mit den allerweitesten Jagdstiefeln, die er finden konnte, ließ er sich zur Schatzkammer führen und ging hinein. Da stürzte er sich gleich auf einen Haufen Goldsand, stopfte sich zuerst soviel Gold um die Waden, wie seine Stiefeln faßten, füllte den ganzen Busen mit Gold, streute sich die Haupthaare voller Goldsand, steckte auch noch eine Portion in den Mund und ging so aus der Schatzkammer heraus, fast nicht imstande, seine Stiefeln zu schleppen, und eher allem andern als einem Menschen ähnlich, mit aufgeblasenem Munde und an allen Seiten ausgebauscht. Bei diesem Anblick kam den Kroisos das Lachen an, und er ließ ihm alles dies und schenkte ihm obendrein nicht weniger, als dies war. So ward denn dieses Haus gewaltig reich, und so hielt nun auch dieser Alkmaion ein Viergespann, mit dem er einen Olympiasieg erwarb.

125. Schon von den Urahnen her: Anm. zu Buch V, Kap. 65. – Alkmaion lebte um 590, sein Sohn Megakles heiratete die Tochter des Kleisthenes, der von 596 bis 565 Sikyon beherrschte, Kroisos aber kam erst 563 zur Regierung. Die Geschichte wurde wahrscheinlich zunächst von Alyattes, dem Vater des Kroisos, erzählt und dann auf diesen übertragen, weil die Sage alles auf die berühmten Persönlichkeiten zu häufen pflegt.

 

126. Im nächsten Geschlecht erhob das Haus Kleisthenes, der Machthaber von Sikyon, so daß es noch viel berühmter ward in Hellas, als es zuvor schon war. Kleisthenes nämlich, der Sohn des Aristonymos, des Sohnes des Myron, des Sohnes des Andreas, hatte eine Tochter, mit Namen Agariste. Für diese wollte er den Würdigsten unter allen Hellenen herausfinden und sie dem zur Frau geben. An den Olympien also, da gerade Kleisthenes mit dem Viergespann siegte, ließ er ausrufen: Wer von den Hellenen sich für wert halte, des Kleisthenes Eidam zu werden, der solle auf den sechzigsten Tag oder auch früher nach Sikyon kommen, weil Kleisthenes die Hochzeit vollziehen werde in einem Jahre, vom sechzigsten Tage an gerechnet. Da zogen alle Hellenen, die von sich und ihrem Stamme groß dachten, als Freier hin, und für sie hatte Kleisthenes ein Lauf- und Ringspiel eingerichtet.

127. Von Italien kamen Smindyrides, der Sohn des Hippokrates, ein Sybarit, der üppigste Mann, den es je gegeben hat (Sybaris aber blühte zu der Zeit am meisten), und aus Siris Damasos, der Sohn des Amyris, des sogenannten Weisen. Die kamen von Italien. Aus dem ionischen Busen aber Amphimnestos, der Sohn des Epistrophos, ein Epidamnier; der kam aus dem ionischen Busen. Auch ein Ätolier kam und war von Titormos, der alle Hellenen überragte an Leibesstärke und vor den Menschen floh in die äußersten Winkel des ätolischen Landes – von diesem Titormos ein Bruder, Males. Aus dem Peloponnes aber Pheidons, des Machthabers der Argiver, Sohn Leokedes – Pheidon hat den Peloponnesiern Maß und Gewicht geordnet und war am hochfahrendsten unter allen Hellenen, so daß er auch die eleischen Kampfrichter verjagt und selbst das olympische Kampfspiel eingerichtet hat – dessen Sohn also; dann Amiantos, der Sohn des Lykurgos, ein Arkadier aus Trapezus; dann ein Azane aus Pagupolis, Laphanes, der Sohn Euphorions, der einmal, wie die Sage in Arkadien geht, die Dioskuren in seinem Haus beherbergte und von da an alle Menschen gastlich aufnahm, und ein Eleer, Onomastos, der Sohn des Agaios. Diese kamen also aus dem Peloponnes. Aus Athen aber kamen Megakles, Alkmaions Sohn, des Alkmaion, der bei Kroisos gewesen war, und dann Hippokleides, der Sohn des Tisandros, der durch Reichtum und Schönheit unter den Athenern hervorragte. Von Eretria aber, das zu der Zeit blühte, Lysanias, der einzige, der aus Euböa kam. Aus Thessalien kam ein Skopade, Diaktorides, ein Krannonier, von den Molossern aber Alkon.

127. Die Azanen bewohnten siebzehn Ortschaften im nordwestlichen Arkadien. Die Skopaden herrschten in Krannon in Thessalien; die Molosser saßen in Epirus, wurden als halbe Barbaren betrachtet und waren vornehmlich durch ihre Doggenzucht berühmt.

 

128. So viele Freier waren da. Als sie am bestimmten Tage ankamen, erkundigte sich Kleisthenes zunächst nach dem Stamm und der Familie eines jeden. Dann behielt er sie ein Jahr bei sich und erprobte ihre Mannhaftigkeit, ihre Gemütsart, ihre Bildung und Sitte, indem er mit jedem einzeln umging und mit allen zusammen, sie auch auf die Turnplätze hinausführte, nämlich die Jüngeren unter ihnen, und – was die Hauptsache ist – sie beim Mahle erprobte. So tat er die ganze Zeit, die er sie bei sich behielt, und bewirtete sie dabei herrlich. Nun gefielen ihm von den Freiern am besten die athenischen, und von diesen beiden bevorzugte er wieder den Hippokleides, den Sohn des Tisandros, sowohl wegen seiner Mannhaftigkeit als auch, weil er von den Ahnen her den korinthischen Kypseliden verwandt war.

129. Als aber der entscheidende Tag des hochzeitlichen Festmahls und der Erklärung aus Kleisthenes' Mund, welchen von allen er wähle, gekommen war, opferte Kleisthenes hundert Rinder und gab den Freiern, wie auch allen Sikyoniern, einen festlichen Schmaus. Wie das Mahl aus war, wetteiferten die Freier in der Musik und im Redekampf. Als man so fortzechte, befahl Hippokleides, der alle fesselte, der Flötenspieler solle ihm eine Tanzweise spielen. Das tat der Flötenspieler, und er tanzte. Wirklich tanzte er auch recht zu seinem eigenen Wohlgefallen; Kleisthenes aber hatte seine Bedenken bei solchem Treiben. Darauf hörte Hippokleides eine Weile auf, befahl aber dann, daß man einen Tisch hereinbringe. Der Tisch kam herein, und nun tanzte er zuerst lakonische Weisen darauf, dann auch attische, und schließlich stellte er sich mit dem Kopf auf den Tisch und hantierte mit den Beinen. Kleisthenes nun, der schon beim ersten und zweiten Tanz einen Abscheu davor bekam, daß Hippokleides, der so schamlos tanzte, sein Schwiegersohn werden sollte, hielt sich noch, um nicht gegen ihn herauszufahren; wie er ihn aber mit den Beinen hantieren sah, konnte er sich nicht mehr halten und sprach: »Sohn des Tisandros, du hast dir richtig die Hochzeit vertanzt!« Hippokleides fiel gleich ein und sprach: »Gleichgültig für Hippokleides!« Daher kommt dieses Sprichwort.

129. Jakob Burckhardt kommt in seiner »Griechischen Kulturgeschichte« wiederholt auf diese »allerliebste Geschichte« zu sprechen. Zum Tanz auf dem Tische bemerkt er: »Hieraus ersehen wir, daß der athenische Eupatride die Schranken der sonstigen griechischen Adelsgravität (welche sich gymnastisch und musisch nur in strengen Formen produzieren mochte), selbstverständlich durchbrochen hat. In Athen will man vor allem sich und andere unterhalten und sich mit gar allem produzieren, wenn man nur etwas vorstellt und die Leute amüsiert. Ferner kündet sich in dem Athener, der lakonisch und attisch tanzen und am Ende auch Seiltänzerkünste leisten kann, während anderswo die Leute wohl nur die lokalen Tänze konnten, bereits die spätere Vielseitigkeit Athens an. Und wenn ihm darob eine reiche Werbung zunichte wird, so kann sich's der Athener aus dem Sinne schlagen, nicht bloß wegen leichten Blutes, sondern weil er in seinem reichern Leben sich getrost auf noch viele andere Sachen und Interessen verläßt.«

 

130. Kleisthenes aber heischte eine Stille und sagte allen insgemein: »Ihr Männer, meiner Tochter Freier, ihr alle gefallt mir, und euch allen möcht' ich gern, wenn's möglich wäre, den Gefallen tun, nicht einen von euch ausschließlich zu wählen und die übrigen abzuweisen. Nun ist es aber nicht möglich, wenn nur über eine Jungfrau zu beschließen ist, allen nach ihrem Sinne zu tun. Daher mache ich denen von euch, denen diese Heirat versagt wird, jeglichem ein Silbertalent zum Geschenk für die gute Meinung, in mein Geschlecht zu heiraten, und für die Abwesenheit vom Hause; dem Sohne Alkmaions aber, dem Megakles, verlobe ich hiermit meine Tochter Agariste nach dem Brauch der Athener.« Da nun Megakles erklärte, sie sei seine Verlobte, so hatte Kleisthenes die Ehe abgeschlossen.

131. Das war der Hergang bei der Freierwahl, und so verbreitete sich der Ruhm der Alkmaioniden durch ganz Hellas. Aus dieser Ehe aber stammt Kleisthenes, der die Stämme und die Volksherrschaft in Athen angeordnet hat. Er hatte den Namen von seinem mütterlichen Großvater, dem Sikyonier. Dieser ward also dem Megakles geboren und außer ihm noch Hippokrates. Des Hippokrates Kinder aber waren wieder ein Megakles und wieder eine Agariste, die den Namen hatte von des Kleisthenes Tochter Agariste, und diese sah, als sie mit Xanthippos, dem Sohne Ariphrons, vermählt und schwanger war, ein Gesicht im Traum: es deuchte ihr, sie gebäre einen Löwen, und nach wenigen Tagen gebar sie dem Xanthippos den Perikles.

131. Stammtafel der Akmaioniden

Stammtafel der Akmaioniden

132. Nach dem großen Schlag bei Marathon aber stieg das Ansehen des Miltiades, der zuvor von den Athenern geehrt wurde, noch höher. Nun begehrte er siebzig Schiffe und Kriegsvolk und Mittel von den Athenern, ohne Angabe des Landes, das er bekriegen wolle, nur mit dem Versprechen, sie reich zu machen, wenn sie ihm folgten, da er sie in ein Land führen werde, aus dem sie leicht Gold in Fülle nach Haus bringen könnten. Dies also sagte er, als er die Schiffe begehrte, und die Athener ließen sich blenden und bewilligten es.

133. Nach Übernahme dieser Kriegsmacht fuhr Miltiades gegen Paros, unter dem Vorwande, daß die Parier den Krieg angefangen hätten, da sie auf einem Dreiruderer nach Marathon gezogen seien mit dem Perser. Das war sein angeblicher Grund; allein er hegte auch einen Ingrimm gegen die Parier, wegen Lysagoras, dem Sohne des Tisias, einem eingebornen Parier, der ihn bei Hydarnes, dem Perser, angeschwärzt hatte. Als nun Miltiades am Ziel seines Zuges angekommen war, belagerte er die Parier, hielt sie in ihrer Stadt eingeschlossen, schickte einen Herold hinein und forderte hundert Talente, mit der Drohung, wenn er sie nicht erhalte, werde er nicht abziehen, bis er sie erobert habe. Die Parier aber dachten gar nicht daran, dem Miltiades Geld zu geben, sondern überlegten die Möglichkeiten, wie sie die Stadt halten könnten, und nahmen darauf allen Bedacht; besonders aber wurde die Mauer an jeder Stelle, wo sie am ehesten angreifbar war, über Nacht noch einmal so hoch aufgeführt, wie sie vorher war.

134. So lautet bis hierher die Geschichte bei allen Hellenen. Von da an aber sagen die Parier selbst folgendes: Mit Miltiades sei, als er keinen Rat wußte, ein gefangenes Weib ins Gespräch gekommen, eine Parierin, namens Timo, eine Unterpriesterin der unterirdischen Gottheiten. Sie sei vor Miltiades getreten mit dem Rate, wenn er Paros um alles gern einnehmen möchte, solle er tun, was sie ihm angebe. Darauf habe sie's ihm angegeben, und er sei nach dem Hügel gegangen, der vor der Stadt liegt, sei da über das Gehege der Demeter Thesmophoros gesprungen, weil er die Tür nicht öffnen konnte, und sofort nach dem innern Heiligtum gegangen, um drinnen, ich weiß nicht, was, zu tun, entweder etwas anzutasten von dem Unantastbaren oder sonst irgend etwas anzurichten. Er sei auch in die Tür getreten, aber da habe ihn plötzlich ein Schauder überfallen, daß er des alten Wegs umkehrte. Wie er nun vom Wall herabsprang, habe er sich den Schenkel verrenkt, andere aber sagen, das Knie aufgeschlagen.

134. Der unterirdischen Gottheiten, Demeter und Persephone. – Friedrich Nietzsche sieht in dem Aufsatze »Homers Wettkampf« (1872) im parischen Abenteuer des Miltiades den Beweis, daß der Grieche den Ruhm ohne weiteren Wettkampf nicht zu tragen vermochte: »Nach der Schlacht bei Marathon hat ihn der Neid der Himmlischen ergriffen. Und dieser göttliche Neid entzündet sich, wenn er den Menschen ohne jeden Wettkämpfer gegnerlos auf einsamer Ruhmeshöhe erblickt. Nur die Götter hat er jetzt neben sich – und deshalb hat er sie gegen sich. Diese aber verleiten ihn zu einer Tat der Hybris, und unter ihr bricht er zusammen.« – Damit gibt Nietzsche die Auffassung Herodots genau wieder, auch mit der Annahme, daß es die Götter selbst sind, die den Menschen zur Hybris (Vermessenheit) verleiten. Nicht erst diese, sondern schon die überragende Größe fordert die Götter heraus.

 

135. Miltiades fuhr als ein kranker Mann wieder heim, ohne den Athenern Schätze mitzubringen und ohne Paros erobert zu haben; nur daß er es sechsundzwanzig Tage belagert und die Insel verwüstet hatte. Die Parier aber erfuhren, daß die Unterpriesterin der Göttinnen, Timo, dem Miltiades den Weg gezeigt hatte, wollten sie dafür büßen lassen und sandten heilige Botschafter nach Delphi, sobald sie von der Belagerung zur Ruhe kamen. Sie sandten aber dahin, um zu fragen, ob sie die Unterpriesterin der Göttinnen hinrichten sollten, weil sie den Feinden den Weg zur Eroberung des Vaterlandes angegeben und die dem männlichen Geschlecht geheimzuhaltenden Heiligtümer dem Miltiades enthüllt habe. Die Pythia verbot es aber mit dem Ausspruch, nicht Timo sei daran schuld; sondern sie sei dem Miltiades, weil es mit ihm kein gutes Ende nehmen sollte, Untersweiserin zum Unheil geworden. Das verkündete die Pythia den Pariern.

136. Die Athener aber hatten den Namen des Miltiades, als er aus Paros zurückgekehrt war, alle auf der Zunge, sonderlich aber Xanthippos, der Sohn Ariphrons. Er klagte den Miltiades wegen Betrugs an den Athenern vor dem Volk auf den Tod an. Miltiades war zwar anwesend, verteidigte sich aber nicht selbst, aus Unvermögen, weil sein Schenkel in Fäulnis übergegangen war. Aber während er im Tragbrett da lag, führten seine Freunde die Verteidigung für ihn, wobei sie der Schlacht bei Marathon viel gedachten und auch der Einnahme von Lemnos, wie er durch die Eroberung von Lemnos an den Pelasgern Rache geübt und es den Athenern übergeben habe. Das Volk entschied zwar so weit für ihn, daß es ihn nicht zum Tode verurteilte, fand ihn aber doch schuldig, eine Geldstrafe von fünfzig Talenten zu bezahlen. Dann starb Miltiades an Brand und Fäulnis im Schenkel; die fünfzig Talente aber bezahlte sein Sohn Kimon.

137. Lemnos aber hatte Miltiades, der Sohn Kimons, genommen, wie folgt. Nachdem die Pelasger aus Attika von den Athenern vertrieben worden waren, sei's nun mit Recht, sei's mit Unrecht – denn das vermag ich nicht anzugeben, außer nach den Berichten anderer, wie der Behauptung des Hekataios, des Sohnes des Hegesandros, der in seinen Geschichten sagt »mit Unrecht«. Die Athener sahen nämlich, wie der Strich am Hymettos, den sie ihnen zum Wohnsitz zugeteilt hatten als Lohn für die Mauer, die sie einst an der Burg aufgeführt hatten, also die Athener sahen, daß dieses Land wohlbestellt war, das zuvor schlecht und nichts wert gewesen war. Da ergriff sie Neid und Verlangen nach dem Lande. So hätten die Athener sie vertrieben, ohne einen sonstigen Grund anzugeben. Wie aber die Athener selbst sagen, hätten sie mit Recht sie vertrieben. Denn als die Pelasger ihren Sitz am Hymettos gehabt, hätten sie von da aus ihnen folgenden Frevel angetan: Ihre Söhne und Töchter wären immer um Wasser gegangen nach der Enneakrunos; denn zu der Zeit hätten sie und die Hellenen überhaupt noch keine Sklaven gehabt. Wenn diese nun hingekommen wären, hätten die Pelasger aus eitel Übermut und Frechheit ihnen Gewalt angetan. Allein auch dieser Unfug sei ihnen nicht genug gewesen, sondern zuletzt wären sie noch über dem Anschlag zu einem Überfall auf der Tat ertappt worden. Sie aber hätten sich so sehr als bessere Männer denn jene gezeigt, daß sie, während es bei ihnen stand, die Pelasger zu töten, da sie über dem Anschlag ergriffen waren, dies nicht gewollt, sondern ihnen nur geboten hätten, aus dem Lande zu gehen. So hätten es diese verlassen und andere Gegenden eingenommen, namentlich Lemnos. Jenes hat also Hekataios gesagt, und dieses sagen die Athener.

137. Hekataios: Anm. zu Buch II, Kapitel 143. – Die Enneakrunos (Neunröhrenbrunnen) lag im Südosten Athens am Ilissos. Die Peisistratiden hatten die Quelle in Marmor gefaßt.

 

138. Diese Pelasger aber, die damals Lemnos innehatten und nun an den Athenern sich rächen wollten, auch die athenischen Feste wohl kannten, legten sich mit Fünfzigruderern gegen die Weiber von Athen in den Hinterhalt, als diese der Artemis in Brauron das Fest feierten. Da raubten sie ihrer viele weg, fuhren eilig von dannen und nahmen sie mit nach Lemnos, als Kebsweiber. Wie aber diese Weiber Kinder im Überfluß bekamen, lehrten sie ihre Knaben die attische Sprache und die Sitten der Athener. Diese wollten nun gar nichts gemein haben mit den Söhnen der pelasgischen Weiber, und wenn einer von ihnen geschlagen ward von einem der andern, liefen sie alle zur Hilfe und wehrten sich füreinander; ja diese Knaben vermaßen sich, die Obern unter den Knaben zu sein, und wurden ihrer bei weitem Meister. Das nahmen die Pelasger wahr und zogen's in Überlegung. Da beschlich sie bei ihrer Beratung die Furcht, wenn schon jetzt die Knaben so entschieden seien, sich miteinander zu wehren gegen die Knaben von den ehelichen Hausfrauen, und gleich die Obern von diesen spielten, was sie dann erst, wenn sie Männer geworden seien, tun würden. Sofort beschlossen sie, die Knaben von den attischen Weibern zu töten, taten es auch und brachten mit ihnen die Mütter um. Von dieser Tat her und von der, die vor diesem die Weiber verübt, die da ihre Männer in Thoas' Zeit umgebracht haben, ist es gebräuchlich in Hellas, alle greulichen Taten lemnische zu nennen.

138. Thoas ist nicht der Szythe, der in Goethes »Iphigenie« auftritt, sondern der Vater der Hypsipyle, die ihn rettete, als die Weiber auf Lemnos alle Männer umbrachten. Das neue Männergeschlecht auf Lemnos wurde von den Argonauten erzeugt, die sich einige Zeit auf der Insel aufhielten. Apollonios Rhodios berichtet in der »Argonautenfahrt« (I, 607-621):
Drauf, als der Wind nachließ mit dem Erstlingsstrahle der Sonne,
Kamen sie rudernd zum felsigen Lande der Sintier, Lemnos.
Dort war sämtliches Männergeschlecht durch weiblichen Frevel
Unbarmherzig vertilgt im jüngst entschwundenen Jahre;
Denn da hatten verschmähet die Gatten der Jugend Gespiele,
Ihre Gemahle, gehässigen Sinns, und hegten zu Mägden
Wildes Gelüste, die selbst sie von jenseits hatten erbeutet,
Als sie das thrazische Land durchplünderten: Kypris verfolgte
Jene mit furchtbarer Rache, da lang sie ihr Opfer verweigert.
Ach die Unsel'gen, im eifernden Haß, unbändig, o Greuel!
Denn sie erschlugen im Bett mit den Mägden die eigenen Gatten.
Doch nicht war es genug: was Männliches lebte, gesamt auch
Töteten sie, für den gräßlichen Mord nicht später zu büßen.
Hypsipeleia allein von allen verschonte den Thoas,
Ihren bejahrten Erzeuger, der herrscht' als König im Volke:
Über das Meer ließ treiben sie ihn in geräumiger Kiste.
Nachdem also die Lemnierinnen vor der Ankunft der Argonauten ihre Männer umgebracht hatten, setzten sich auf der Insel die Pelasger fest, die ihre Frauen umbrachten. Die Eheverhältnisse auf Lemnos waren wenig harmonisch. Die beiden Sagen entstanden, weil die lemnischen Seeräuber so gefürchtet waren, daß man alles Verderbliche einfach »lemnisch« nannte. Als der Seeraub aufhörte, bedurfte das unverständlich gewordene Beiwort einer neuen Erklärung, und da entstanden in dem erzählerfreudigen Volke gleich zwei Sagen, während eine genügt hätte.

 

139. Als aber die Pelasger ihre Weiber und Kinder getötet hatten, trug ihnen die Erde nichts mehr, und ihre Weiber und Herden waren nicht mehr fruchtbar wie vordem. Bedrängt von Hungersnot und Kinderlosigkeit, sandten sie denn nach Delphi um eine Erlösung von diesem ihrem Unheil. Die Pythia aber hieß sie den Athenern die Buße geben, welche die Athener selbst ansetzen würden. So kamen die Pelasger nach Athen und erklärten sich willig, Buße zu geben für all ihren Frevel. Da breiteten die Athener im Rathaus ein Polsterlager hin, so schön sie's nur hatten, und stellten einen Tisch davor, mit allem, was köstlich ist, besetzt; dann hießen sie die Pelasger ihnen ihr Land in solchem Zustande übergeben. Da erwiderten die Pelasger: »Wenn einmal bei Nordwind ein Schiff an einem Tage aus eurem Lande bis in das unsere kommt, dann werden wir's übergeben.« So sprachen sie, überzeugt, daß das unmöglich geschehen könne; denn Attika liegt gegen den Süd in weiter Entfernung von Lemnos.

140. Dabei blieb's denn damals; aber gar viele Jahre später, als der hellespontische Chersones unter die Herrschaft der Athener gekommen war, kam Miltiades, der Sohn Kimons, zur Zeit der Etesienwinde zu Schiff aus dem chersonesischen Elaius bis nach Lemnos und gebot den Pelasgern, die Insel zu räumen, indem er sie an die Weissagung erinnerte, deren Erfüllung die Pelasger nie für möglich gehalten hatten. Die Hephaistier leisteten Folge; die Myrinaier aber, die nicht einräumten, daß der Chersones attisch sei, wurden belagert, bis endlich auch sie sich ergaben. So ward also Lemnos genommen von den Athenern, nämlich von Miltiades.

140. Hephaistia und Myrina waren die beiden Städte, die auf Lemnos lagen.

 


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