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Fünftes Buch.
Terpsichore

Fünftes Buch

1. Die von Dareios in Europa zurückgelassenen Perser, die Megabazos befehligte, unterwarfen zuerst von den Hellespontiern die Perinthier, die sich weigerten, dem Dareios untertan zu sein, nachdem dieselben zuvor schon von den Paionen übel zugerichtet worden waren. Nämlich die Paionen vom Strymon hatten den Spruch vom Gotte bekommen, sie sollten gegen die Perinthier ins Feld ziehen und diese, wenn sie sich ihnen gegenüber lagerten und sie herausforderten mit Rufen ihres Namens, angreifen; wenn dieselben sie aber nicht aufriefen, sollten sie nicht angreifen. Und nun taten die Paionen dieses. Als die Perinthier sich ihnen gegenüber vor der Stadt lagerten, da kam es zunächst infolge einer Herausforderung zu einem dreifachen Zweikampfe zwischen ihnen, indem sie Mann und Mann, Roß und Roß, Hund und Hund einzeln einander gegenüberstellten. Nun siegten die Perinthier in zwei Stücken, und da sie voll Freuden den Paion jauchzten, schlossen die Paionen, das sei eben ihr Orakelspruch, und sprachen unter sich: »Jetzt haben wir wohl unsern Spruch erfüllt, jetzt ist der Handel unser!« Also griffen die Paionen die paionjauchzenden Perinthier an und gewannen einen großen Sieg und ließen nur wenige von ihnen übrig.

[Anmerkung:] 1. Der Siegesruf: »Ie Paion, ie Paion«, bedeutet: »Heil dem Helfer!« und gilt dem Apollo. Der Schlachtgesang, in dem dieser Ausruf vorkommt, wird Paian oder Paion genannt. Die Paionier glauben, in dem Siegesrufe ihren Volksnamen zu hören.

 

2. Das geschah ihnen früher von den Paionen; jetzt aber, als die Perinthier sich für ihre Freiheit als wackere Männer auftaten, gewann Megabazos mit seinen Persern durch die Überzahl die Oberhand. Nach der Überwältigung von Perinthos zog Megabazos mit dem Heere durch Thrazien und beugte jede Stadt und Völkerschaft dieses Landes unter des Königs Joch; denn ihm war von Dareios aufgetragen, Thrazien zu unterwerfen.

3. Das thrazische Volk ist aber, wenigstens nach den Indern, unter allen Völkern das größte. Wenn es nur einen Herrn hätte oder zusammenhielte, so wäre es unbekämpfbar und bei weitem das mächtigste aller Völker, nach meiner Meinung. Weil es ihnen aber auf keine Art und Weise möglich ist, daß es jemals dahin komme, so sind sie demgemäß auch schwach. Der Namen, die sie haben, sind viele, sie sind landschaftlich gesondert; ihre Bräuche sind aber so ziemlich dieselben für alle, außer bei den Geten, den Trausern und denen, die über den Krestonaiern wohnen.

4. Was nun von diesen die Geten tun, die sich für unsterblich halten, habe ich schon bemerkt. Die Trauser aber halten sonst alles ebenso wie die übrigen Thrazier; nur beim Eintritt eines jeden ins Leben und bei seinem Hintritt tun sie folgendes: Um den, der ins Leben eintritt, sitzen die Verwandten herum und bejammern ihn wegen all der Übel, die er von nun an, da er einmal geboren ist, zu erdulden hat, wobei sie alle menschlichen Leiden aufzählen; wer aber hingeschieden ist, den begraben sie mit Jubel und Freude und sagen dazu, daß er nun, von all den Übeln erlöst, in voller Seligkeit lebe.

5. Die Thrazier oberhalb der Krestonaier aber tun folgendes: Jeder hat viele Weiber, und wenn einer von ihnen stirbt, so erhebt sich unter den Weibern ein großer Streit, und auch die Freunde erörtern sehr eifrig, welche von ihnen am meisten von dem Manne geliebt worden sei. Die nun, die den Vorzug vor allen erhält, wird unter Lobpreisungen der Männer und Frauen von ihren nächsten Anverwandten in das Grab geschlachtet und alsdann mit ihrem Manne begraben. Die andern aber tragen großes Leid; denn das ist ihnen der größte Schimpf.

6. Bei den übrigen Thraziern aber ist folgendes im Brauch: Sie verkaufen ihre Kinder ins Ausland. Ihre Jungfrauen hüten sie nicht, sondern lassen sie sich mit jedem beliebigen Manne begatten; ihre Weiber aber hüten sie gewaltig und kaufen auch die Weiber von ihren Eltern um schweres Geld. Wer sich Zeichen in die Haut eingeätzt hat, wird für edelgeboren erkannt; wer ungeätzt ist, für unedel. Nichts zu arbeiten haben, ist hochanständig; das Feld zu bauen, ist tief verachtet. Von Krieg aber und Raub zu leben, ist hochanständig. Das sind ihre hervorstechendsten Bräuche.

[Anmerkung:] 6. Die Tätowierung war, wie Xenophon berichtet, auch bei den Mosynoiken am Schwarzen Meere üblich. – Den Kampf mehr zu lieben als den Ackerbau, war nach dem Berichte des Tacitus (»Germania«, Kapitel 33) eine Eigentümlichkeit der Germanen.

 

7. Götter verehren sie nur folgende: den Ares, den Dionysos und die Artemis. Ihre Könige aber verehren, im Gegensätze zu den übrigen Bürgern, den Hermes unter allen Göttern am meisten, schwören auch nur bei diesem und sagen, sie selbst stammten von Hermes ab.

8. Die Bestattung ist bei ihren Begüterten folgende: Drei Tage stellen sie den Toten aus, schlachten auch allerlei Opfertiere und halten, nachdem sie ihn beweint haben, einen Schmaus; darauf bestatten sie ihn durch Verbrennung oder auch durch Begräbnis. Dann werfen sie einen Grabhügel auf und stellen ein mannigfaltiges Kampfspiel an, bei dem verhältnismäßig die größten Kampfpreise für den Zweikampf ausgesetzt werden. Das ist die Bestattung bei den Thraziern.

9. Doch von dem, was nordwärts von diesem Lande liegt, weiß niemand mehr bestimmt anzugeben, was für Menschen daselbst wohnen, sondern schon jenseits des Istros findet sich eine unendliche Wüstenei. Nur von einem einzigen Volke jenseits des Istros habe ich erfahren können, ihr Name sei Sigynnen, und ihre Tracht sei medisch. Ihre Pferde seien am ganzen Leibe zottig, mit fünf Finger langem Haar, dabei klein, plattnasig und untauglich, Menschen zu tragen; wenn man sie aber an den Wagen spanne, seien sie äußerst rasch, und demgemäß führen die Leute dortzulande mit Wagen. Ihre Grenzen gingen bis nahe zu den Enetern an der Adria. Sie seien aber, sagen sie, Abkömmlinge der Meder. Wie sie aber von den Medern hierher gekommen sind, weiß ich mir nicht zu erklären; indes kann alles in der langen Zeit geschehen. Sigynnen heißen aber auch bei den Ligyern, die oberhalb Massalia wohnen, die Krämer, und bei den Zypriern die Lanzen.

[Anmerkung:] 9. Eneter: Veneter (s. Anm. zu I, 196). – Ligyer: Ligurer. – Massalia: Marseille.

 

10. Wie nun die Thrazier sagen, haben Bienen die Länder jenseits des Istros inne, und derenthalben sei nicht weiter vorwärts zu kommen. Allein, was sie da sagen, halte ich nicht für wahrscheinlich, da diese Tiere bekanntlich sehr vom Froste leiden, und meine vielmehr, daß die Nordländer wegen der Kälte unbewohnt sind. Das hört man über dieses Land; die Küstengegenden desselben machte also Megabazos den Persern untertan.

11. Sobald aber Dareios nach seinem Übergange über den Hellespont in Sardes angekommen war, gedachte er der verdienstlichen Tat des Histiaios von Milet und des guten Rates des Koës von Mytilene. Er ließ sie also nach Sardes kommen und gab ihnen freie Wahl. Histiaios, der bereits Machthaber in Milet war, begehrte keine Machthaberschaft weiter, sondern bat um das edonische Myrkinos, um sich daselbst eine Stadt zu gründen. Das wählte dieser. Koës aber, der kein Machthaber, sondern nur Bürgersmann war, bat um die Machthaberschaft von Mytilene. Da es beiden gewährt ward, ging jeder an das, was er sich gewählt hatte.

12. Dareios aber bekam folgendes zu sehen, was ihm Lust machte, den Megabazos zu beauftragen, daß er die Paionen bezwinge und aus Europa nach Asien versetze: Pigres und Mantyes waren zwei Paionen, die, als Dareios nach Asien übergegangen war, auch nach Sardes kamen, weil sie die Absicht hatten, Machthaber der Paionen zu werden. Sie hatten eine Schwester bei sich, die groß und schön war. Diese warteten ab, bis Dareios in die Vorstadt der Lyder zur Sitzung ging, und taten folgendes. Sie ließen ihre Schwester, die sie nach bestem Vermögen ausschmückten, Wasser holen, mit einem Eimer auf dem Kopfe, einem Pferde am Zügel, der am Arme angeknüpft war, und in der Hand den Leinfaden, den sie spann. Wie nun das Weib vorüberging, zog es die Augen des Dareios auf sich; denn es war weder persisch noch lydisch, wie es das Weib machte, noch sonst nach der Art irgendeines Volkes in Asien. Weil es seine Augen auf sich zog, schickte er einige Trabanten hin, um achtzugeben, was das Weib mit dem Pferde machen werde. Die gingen also hinter ihr her. Als sie an den Fluß kam, tränkte sie das Pferd, füllte, da sie es getränkt hatte, auch ihren Eimer mit Wasser und ging nun desselben Weges wieder vorbei, mit dem Wasser auf dem Kopfe, dem Pferde am Zügel, der am Arme angeknüpft war, und die Spindel drehend.

13. Dareios wunderte sich ebensosehr über das, was er von den Spähern hörte, wie über das, was er selbst sah, und befahl, sie vor sein Angesicht zu bringen. Als sie gebracht ward, traten nun auch ihre Brüder herzu, die nicht fern davon auf der Lauer gestanden hatten. Dareios fragte, woher sie sei, und die jungen Männer erklärten, sie seien Paionen, und das sei ihre Schwester. Darauf erwiderte er: »Was sind denn die Paionen für Leute, und in welchem Lande wohnen sie?« Er fragte auch, in welcher Absicht sie nach Sardes gekommen seien. Hierauf gaben sie an, sie kämen, um sich ihm zu unterwerfen, und Paionien liege am Strymonflusse, der Strymon aber nicht weit vom Hellespont, und sie seien Abkömmlinge von den Teukrern aus Troja. Alles das sagten sie. Darauf fragte er, ob dort alle Weiber so arbeitsam seien. Darauf erklärten sie mit Freuden, es sei dem also; denn darauf hatten sie es ja gerade angelegt.

14. Da setzte Dareios ein Schreiben an Megabazos auf, den er als Feldherrn in Thrazien gelassen hatte, und beauftragte ihn, die Paionen aus ihren Sitzen wegzuführen und zu ihm zu bringen, samt ihren Weibern und Kindern. Alsbald jagte ein Reiter mit dieser Botschaft an den Hellespont, setzte über und gab den Brief dem Megabazos, der ihn las, Wegweiser aus Thrazien nahm und nach Paionien ins Feld rückte.

15. Die Paionen aber kamen, auf die Nachricht, daß die Perser auf sie losgingen, zu Haufen und zogen ans Meer hinaus, in der Erwartung, hier würden die Perser versuchen einzudringen. Also waren die Paionen bereit, das anrückende Heer des Megabazos abzuwehren. Als die Perser aber erfuhren, daß der Heerhaufen der Paionen den Eingang von der Meerseite hüte, schlugen sie mit Hilfe ihrer Wegweiser den obern Landweg ein und fielen, unbemerkt von den Paionen, in ihre Städte ein, die ganz entblößt von Männern waren und daher in dieser Verlassenheit leicht von ihnen eingenommen wurden. Wie nun die Paionen hörten, ihre Städte seien genommen, zerstreuten sie sich gleich, gingen einzeln nach Hause und ergaben sich den Persern. So mußten von den Paionen die Siropaionen und Paioplen und alle bis an den See Prasias ihre Sitze verlassen und wurden nach Asien gebracht.

16. Aber die Völkerschaften am Pangaiongebirge, die Doberer, Agrianer und Odomanter, und die am See Prasias selbst kamen gar nicht in die Gewalt des Megabazos, wiewohl der Versuch gemacht wurde, auch die zu entfernen, die auf folgende Art im See wohnen: Es stehen zusammengejochte Gerüste auf hohen Pfählen mitten im See und haben nur einen schmalen Zugang vom Lande durch eine einzige Brücke. Die Stützpfähle für diese Gerüste stellten ursprünglich die Bürger alle insgemein auf; später aber forderte der Brauch, daß jeder, der ein Weib nahm, von dem Gebirge, das Orbelos heißt, drei Pfähle holte und einschlug. Es nimmt aber jeder viele Frauen. Da wohnen sie nun auf folgende Art: Jeder hat auf dem Gerüste seine eigene Hütte, in der er lebt, und seine Falltür, die vom Gerüste in den See hinabgeht. Ihre kleinen Kinder binden sie mit einem Seile am Fuße an, aus Sorge, sie möchten hinunterkollern. Ihre Pferde und das Zugvieh füttern sie mit Fischen. Diese sind so zahlreich, daß einer nur die Falltür zu öffnen und einen Fischkorb am Seile hinunterzulassen braucht, um ihn nach kurzer Zeit voll von Fischen heraufzuziehen. Es sind zwei Fischarten, die sie Paprax und Tilon nennen. Die von den Paionen, die bezwungen waren, wurden nun nach Asien gebracht.

[Anmerkung:] 16. Wie Johannes Ranke in seiner »Vorgeschichte der Menschheit« (Helmolt, Weltgeschichte, Band I) ausführt, beweisen Herodots Angaben, daß die Pfahlbauten von größeren Verbänden einer bereits seßhaften Bevölkerung gemeinsam errichtet wurden: »Schon die Begründung der Seeansiedelung selbst ist für den einzelnen nicht möglich; hier muß eine größere Gemeinschaft nach einem einheitlichen Plan und Ziel gearbeitet haben.«

 

17. Als Megabazos die Paionen überwältigt hatte, schickte er als Boten nach Mazedonien sieben Perser, die nächst ihm die Angesehensten im Lager waren. Sie wurden zu Amyntas geschickt, um Erde und Wasser zu fordern für den König Dareios. Es ist aber vom Prasiassee nach Mazedonien ein ganz kurzer Weg. Zuerst nämlich stößt an den See das Bergwerk, aus dem hernachmals dem Alexandros jeden Tag ein Silbertalent einging, und nach dem Bergwerke geht's über das sogenannte Dysoron-Gebirge, so ist man in Mazedonien.

[Anmerkung:] 17. Alexandros ist der Sohn des Amyntas, nicht etwa Alexander der Große, der erst fast hundert Jahre nach Herodots Tode zur Regierung kam.

 

18. Wie die abgeschickten Perser bei Amyntas ankamen, forderten sie, indem sie vor Amyntas selbst traten, für den König Dareios Erde und Wasser. Das gab er ihnen auch und lud sie zu Gaste und bewirtete die Perser freundschaftlich mit einem prächtigen Gastmahl. Da sprachen nach dem Mahle die Perser, die um die Wette tranken: »Freund Mazedonier, bei uns in Persien ist es Brauch, wenn wir ein großes Gastmahl geben, auch die Kebsweiber und die Hausfrauen mit an den Tisch zu ziehen. So tue nun du, da du uns so wohlwollend aufnahmst und einen großen Schmaus hältst, auch dem Könige Dareios Erde und Wasser gibst, gleichfalls nach unserm Brauch!« Darauf sprach Amyntas: »Unser Brauch, Perser, ist das zwar nicht, vielmehr pflegen wir Männer und Frauen zu trennen; jedoch da ihr es als Gebieter begehrt, soll euch auch damit gedient werden.« So sprach Amyntas und ließ die Frauen holen. Als dieselben herbeigerufen waren, setzten sie sich den Persern in einer Reihe gegenüber. Da sagten beim Anblicke der schönen Weiber die Perser zu Amyntas, das sei nicht klug getan; besser wären die Weiber gar nicht gekommen, als daß sie kämen, ohne sich zu ihnen zu setzen, und ihnen gegenüber säßen, ihren Augen zum Schmerz. So hieß sie Amyntas gezwungenerweise sich zu ihnen setzen, und als die Weiber folgten, faßten sie gleich die Perser an den Brüsten (wie sie denn stark betrunken waren), und mancher suchte auch eine zu küssen.

19. Amyntas sah dies ruhig an, wiewohl es ihn ärgerte, aber seine Furcht vor den Persern war zu groß. Dagegen Alexandros, der Sohn des Amyntas, der das auch mitansah, vermochte es, jung, wie er war, und Böses zu leiden ungewohnt, nicht länger auszuhalten. Empört sprach er zu Amyntas: »Gib nun du, Vater, deinem Alter nach, geh zur Ruhe und binde dich nicht an den Trunk hier! Ich will schon dabei bleiben und den Gästen mit allem dienen, wie es sich gehört.« Darauf sagte Amyntas, der merkte, daß Alexandros etwas anstellen wolle: »Sohn, ich merke dir schon an, was du in deiner Hitze vorhast: du schickst mich fort, um etwas anzustellen. Daher bitte ich dich, nichts gegen diese Männer zu unternehmen, damit du uns nicht zugrunde richtest; sondern sieh ihr Betragen in Geduld an! Daß ich aber weggehe, darin will ich dir zu Willen sein.«

20. Mit dieser Bitte ging Amyntas ab, und Alexandros sagte zu den Persern: »Diese Weiber, ihr Gäste, stehen euch ganz zu Diensten, und ihr könnt sie alle genießen oder einige von ihnen, ganz wie ihr wollt. Gebt euren Willen nur kund! Jetzt aber (denn es kommt euer Schlafstündchen heran, und ich sehe euch schon hübsch bezecht), laßt diese Weiber, wenn's euch beliebt, baden und nach dem Bade wieder zu euch kommen.« So sprach Alexandros und ließ, da die Perser nichts dagegen einzuwenden hatten, die Weiber hinausgehen. Er schickte sie ins Frauengemach, steckte aber eine den Weibern gleiche Anzahl glattwangiger Männer in die Kleidung der Weiber, gab ihnen Dolche und führte sie so hinein. Als er sie brachte, sagte er folgendes zu den Persern: »Ihr seid doch wohl, Perser, mit einem vollständigen Gastmahle bewirtet worden. Denn was wir nur hatten und zu euren Diensten ausfindig machen konnten, wurde euch gewährt, und nun noch vollends das Größte, daß wir euch unsere eigenen Mütter und Schwestern freigebig überliefern, um euch keinen Zweifel darüber zu lassen, daß wir euch alle gebührende Ehre erweisen. So könnt ihr auch dem Könige, der euch sandte, melden, daß ein Hellene, der Statthalter der Mazedonier, euch wohl aufgenommen hat bei Tisch und Bett.« So sprach Alexandros und setzte zu jedem Perser einen Mazedonier, der ein Weib vorstellte. Als die Perser sie aber antasten wollten, wurden sie von ihnen umgebracht.

[Anmerkung:] 20. Er nennt seinen Vater den Statthalter des Großkönigs, um die Perser, die er umbringen will, vollends in Sicherheit zu wiegen.

 

21. So kamen also diese ums Leben samt ihrer Dienerschaft. Sie hatten nämlich Wagen bei sich und Diener und allen möglichen Troß. Das alles wurde mit ihnen aus dem Wege geräumt. Allerdings forschten die Perser nicht lange darauf eifrig nach dem Verbleib dieser Männer, aber Alexandros sorgte mit Klugheit dafür, daß die Sache verschleppt wurde, durch viele Geschenke und durch seine Schwester, die er hergab, deren Name Gygaia war, und zwar gab er diese, um die Verschleppung zustande zu bringen, dem Bubares, einem persischen Feldherrn, der nach den Umgebrachten forschen sollte. So kam nichts heraus über den Tod dieser Perser, und man sprach nicht mehr davon.

22. Daß aber das Hellenen sind, die Abkömmlinge von Perdikkas, wie sie selbst sagen, davon bin ich überzeugt und werde es in den später folgenden Geschichten beweisen; außerdem haben die Hellenen, die das Kampfspiel in Olympia verwalten, auch in diesem Sinne entschieden. Als nämlich Alexandros an den Wettkämpfen teilnehmen wollte und eigens deshalb hinunterkam, wiesen ihn seine hellenischen Mitbewerber ab, indem sie erklärten, das sei kein Kampfspiel für barbarische Wettkämpfer, sondern für Hellenen. Da aber Alexandros bewies, daß er ein Argiver sei, ward er als Hellene anerkannt und kam durch das Los im Wettrennen auf der geraden Bahn zum ersten Läuferpaar. So geschah dies.

[Anmerkung:] 22. Ein Argiver: Alexandros leitete sein Geschlecht von Temenos her, der beim Einfall der Dorier in den Peloponnes die Landschaft Argos erhalten und beherrscht haben sollte. Ein Nachkomme des Temenos sollte aus Argos nach dem Norden geflüchtet sein und dort die mazedonische Dynastie begründet haben.

 

23. Megabazos aber kam mit den Paionen an den Hellespont, setzte dort über und gelangte nach Sardes. Und da Histiaios von Milet bereits den Ort befestigte, der ihm von Dareios auf seine Bitte geschenkt war für die Behütung der Brücke (die Landschaft, die am Strymon liegt, mit Namen Myrkinos), so erfuhr Megabazos, was Histiaios vornahm, und sagte, sobald er mit den Paionen nach Sardes kam, zu Dareios folgendes: »König, was hast du da gemacht, daß du so einen mächtigen und klugen Hellenen eine Stadt in Thrazien bauen läßt, wo es Waldung zum Schiffsbau im Überfluß gibt und Ruderholz die Menge und Silbergruben, wo auch eine Menge Hellenen und eine Menge Barbaren herumwohnen, die unter seiner Führung Tag und Nacht, was er ihnen angibt, tun werden! So tue nun diesem Manne Einhalt in seinem Vornehmen, damit du nicht in einen innern Krieg verwickelt wirst; doch tu es so, daß du ihn auf huldvolle Art zu dir bescheidest. Wenn du ihn aber erst hast, dann mußt du dafür sorgen, daß er nicht mehr zu den Hellenen kommt.«

24. Mit diesen Worten fand Megabazos leicht Eingang bei Dareios, da sie von guter Einsicht in die Zukunft zeugten. Darauf sandte Dareios einen Boten nach Myrkinos, um folgendes auszurichten: »Histiaios, der König Dareios läßt dir sagen: ›Nach reiflicher Erwägung finde ich für mich und meine Angelegenheiten keinen besser gesinnten Mann als dich, was mir nicht aus Worten, sondern aus Taten bekannt ist. Da ich nun große Angelegenheiten auszurichten gedenke, so komm ja zu mir, damit ich dir dieselben vorlege.‹« Diesen Worten traute Histiaios; auch war es ihm eine große Ehre, der Berater des Königs zu sein, und so kam er nach Sardes. Als er ankam, sagte Dareios zu ihm: »Histiaios, ich habe dich aus folgendem Grunde zu mir beschieden. Sobald ich von den Szythen heimkam und du mir aus den Augen warst, so hat nach nichts mich so schnell verlangt, als dich zu sehen und mit dir zu sprechen. Ich weiß, daß von allen Gütern das köstlichste ein Freund ist, der Verstand und gute Gesinnung hat. Beides trifft bei dir zu, wie ich dir aus Erfahrung in meinen eigenen Angelegenheiten bezeugen muß. Und nun (denn daß du gekommen bist, hast du gut gemacht) schlage ich dir dieses vor. Laß Milet und deine neu gebaute Stadt in Thrazien und geh dafür mit mir nach Susa; teile mit mir, was ich habe, und sei mein Tischgenosse und Ratgeber!«

25. So sprach Dareios, setzte den Artaphernes, seinen Bruder väterlicherseits, zum Statthalter von Sardes ein und zog mit Histiaios nach Susa, nachdem er noch zum Feldherrn über die Küstenvölker den Otanes gemacht hatte. Das war der Sohn des Sisamnes, den König Kambyses wegen eines ungerechten Richterspruches, den derselbe als königlicher Richter um Gold gefällt hatte, hinrichten und ihm die Haut am ganzen Leibe abziehen ließ. Aus der abgeschälten Haut schnitt er dann Riemen und spannte dieselben über den Thronsitz, auf dem er Recht gesprochen hatte. Dann machte er zum Richter, anstatt des umgebrachten und geschundenen Sisamnes, den Sohn dieses Sisamnes mit dem Gebote, dessen eingedenk zu sein, auf welchem Throne er zu Gericht sitze.

26. Dieser Otanes nun, der diesen Thron zu seinem Richterstuhle hatte, nahm jetzt als Nachfolger des Megabazos in seiner Feldherrnstelle Byzanz und Chalkedon, nahm Antandros im Lande Troas, nahm Lamponion und mit Schiffen, die er von Lesbos bekam, auch Lemnos und Imbros, beide dazumal noch von Pelasgern bewohnt.

27. Die Lemnier kämpften übrigens tapfer und wehrten sich lange, bis sie der Not erlagen. Als Statthalter über die, die noch übrig waren, setzten die Perser den Lykaretos ein, den Bruder des Maiandrios, des Königs von Samos. Lykaretos starb als Herrscher von Lemnos. Der Grund aber dazu, daß Otanes alle verknechtete und unterjochte, war der. Den einen gab er schuld, daß sie dem Heereszuge gegen die Szythen sich entzogen hätten, den andern, daß sie dem Heere des Dareios auf dem Rückzuge von den Szythen Schaden getan hätten. Das also richtete dieser als Feldherr aus.

28. Dann gab es ein Nachlassen des Unglücks, aber es dauerte nicht lange, bis neues Unheil von Naxos und Milet her für die Ionier kam. Einerseits nämlich stand Naxos vor allen Inseln im Segen, und andererseits war zu derselben Zeit Milet gerade damals in seiner höchsten Blüte und eigentlich das Kleinod Ioniens, nachdem es zuvor zwei Menschenalter lang aufs äußerste an innerer Zwietracht gekrankt hatte, bis es die Parier in Ordnung brachten; denn diese wählten die Milesier sich aus allen Hellenen zu Schiedsrichtern.

29. Die Parier versöhnten sie aber folgendermaßen miteinander. Die besten Männer von ihnen kamen nach Milet und erklärten, weil sie ihre Verhältnisse in arger Zerrüttung fanden, sie wollten ihr Land durchgehen. Das taten sie, gingen durch ganz Milesien und schrieben, wenn sie in dem verwüsteten Lande einen wohlbestellten Acker sahen, den Namen des Herrn des Ackers auf. Als sie nach Durchwanderung des ganzen Landes, in dem sie nur wenige der Art gefunden hatten, in die Stadt zurückkamen, veranstalteten sie gleich eine Versammlung und übertrugen denen die Verwaltung der Stadt, deren Äcker sie wohlbestellt gefunden hatten, indem sie erklärten, daß sie wohl auch für das Gemeinwesen solche Sorge tragen würden wie für das Ihrige. Den übrigen Milesiern, die bisher in Zwietracht gelebt hatten, geboten sie, diesen zu gehorchen. Die Parier also beschwichtigten so die Milesier.

30. Jetzt aber kam von den genannten Städten her folgendermaßen Unheil über Ionien. Aus Naxos wurden einige Reiche vom Volke vertrieben und kamen als Vertriebene nach Milet. Verwalter Milets war aber gerade Aristagoras, der Sohn des Molpagoras, der Schwiegersohn und Vetter des Histiaios, des Sohnes des Lysagoras, den Dareios in Susa festhielt. Histiaios war nämlich Machthaber von Milet und war gerade zu der Zeit in Susa, als die Naxier, alte Gastfreunde des Histiaios, dorthin kamen. Wie nun die Naxier in Milet ankamen, baten sie den Aristagoras, ob sie nicht Waffenhilfe von ihm erhalten und so in ihre Heimat zurückkommen könnten. Er erwog bei sich, wenn sie durch ihn wieder in ihre Stadt kämen, so werde er Herr von Naxos werden, nahm aber ihre Gastfreundschaft mit Histiaios zum Vorwande und richtete an sie folgende Rede: »Ich selbst kann euch nicht dafür einstehen, eine solche Macht zu liefern, daß ich euch heimführen könnte wider den Willen der Naxier, in deren Hand die Stadt ist. Höre ich doch, daß die Naxier achttausend Schilde und viele lange Schiffe haben. Aber ich will es darauf anlegen mit allem Eifer, und zwar habe ich's auf folgende Art im Sinn. Artaphernes ist mein Freund, und dieser Artaphernes ist ein Sohn des Hystaspes und Bruder des Königs Dareios und beherrscht die ganze Küste von Asien mit einem großen Heere und vielen Schiffen. Dieser, denke ich, wird uns wohl unser Gesuch erfüllen.« Als die Naxier das hörten, sagten sie, er solle das doch ja nach bestem Vermögen betreiben, und hießen ihn auch Geschenke versprechen und den Aufwand fürs Heer, den sie bezahlen wollten, da sie zuversichtlich hofften, wenn sie vor Naxos erschienen, würden die Naxier alles tun, was sie von ihnen verlangten, ebenso auch die übrigen Inselvölker. Von diesen Kykladen-Inseln war nämlich noch keine unter der Herrschaft des Dareios.

31. Aristagoras kam hierauf nach Sardes und sagte zu Artaphernes, Naxos sei eine Insel, zwar nicht groß, aber schön und fruchtbar, auch nahe an Ionien, und in ihr seien viele Schätze und Sklaven: »So mache nun du einen Kriegszug gegen dies Land, indem du die daraus Vertriebenen heimführst. Wenn du das tust, so liegen dir erstlich viele Schätze bei mir bereit, noch außer dem Aufwande für das Heer; denn den haben billig wir, die Führer, zu bestreiten; sodann wirst du die Inseln dem Könige erobern, Naxos nicht nur, sondern auch seine Anhängsel, Paros und Andros und die sogenannten Kykladen. Von da aus wirst du weiter leicht an Euböa herangehen können, eine große und reiche Insel, nicht kleiner als Zypern und gar leicht einzunehmen. Um alle diese zu bezwingen, genügen hundert Schiffe.« Darauf gab ihm jener zur Antwort: »Du erweist dich dem Hause des Königs als ein nützlicher Berater, und was du anempfiehlst, das ist alles gut, abgesehen von der Zahl der Schiffe. Nicht hundert Schiffe, zweihundert sollen dir bereit sein mit Frühlingsanfang. Nur die Zustimmung des Königs ist noch nötig.«

32. Als das Aristagoras hörte, ging er voller Freude nach Milet ab, und Artaphernes sandte erst nach Susa, legte die Angaben des Aristagoras vor, erhielt auch die Zustimmung des Dareios und rüstete nun zweihundert Dreiruderer samt einem gewaltigen Haufen von Persern und sonstigem Bundesgenossenvolke aus. Zu ihrem Feldherrn ernannte er den Megabates, einen Perser von den Achämeniden, seinen und des Dareios Vetter, um dessen Tochter später der Lazedämonier Pausanias, der Sohn des Kleombrotos, wenn die Geschichte wahr ist, geworben hat, da ihn gelüstete, Machthaber von Hellas zu werden. Nach Ernennung des Megabates zum Feldherrn ließ Artaphernes das Heer zu Aristagoras abgehen.

[Anmerkung:] 32. Im Gegensatze zu der zweifelnden Darstellung Herodots hält Thukydides den Verrat des Pausanias für eine erwiesene Tatsache, berichtet jedoch, daß Pausanias nicht um die Tochter des phrygischen Satrapen Megabates, sondern um die des Perserkönigs Xerxes warb.

 

33. Nun nahm Megabates in Milet den Aristagoras samt dem ionischen Heere und den Naxiern ein und fuhr angeblich nach dem Hellespont; als er aber bei Chios war, legte er die Schiffe in Kaukasa vor Anker, um von da mit dem Nordwinde nach Naxos zu segeln. Doch weil es nicht sein sollte, daß dieser Zug Naxos verderbe, traf sich's, daß folgende Geschichte vorfiel. Als Megabates die Runde bei den Schiffswachen machte, fand sich auf einem myndischen Schiffe keine Wache. Da geriet er in Erregung und befahl seinen Trabanten, den Hauptmann dieses Schiffes, mit Namen Skylax, aufzugreifen und gebunden in die unterste Ruderluke des Schiffes zu spannen, in der Art, daß sein Kopf draußen, sein Leib drinnen war. Da Skylax gebunden war, hinterbrachte es einer dem Aristagoras, daß Megabates seinen myndischen Freund so schmählich habe binden lassen. Der ging hin und legte Fürsprache beim Perser ein; da ihm aber die Bitte rund abgeschlagen ward, ging er selbst hin und machte ihn los. Als Megabates das erfuhr, nahm er es sehr übel und ward heftig gegen Aristagoras. Darauf sprach dieser: »Was gehen denn dich diese Sachen an? Hat dich nicht Artaphernes abgeschickt, um mir zu gehorchen und dahin zu fahren, wohin ich befehle? Was machst du viel Wesens?« So sprach Aristagoras. Dadurch aufgebracht, ließ aber jener, wie es Nacht war, ein Schiff nach Naxos abgehen und den Naxiern alles, was ihnen bevorstand, verraten.

34. Die Naxier hatten sich nun dessen keineswegs versehen, daß dieser Zug auf sie losgehe: nun sie's aber erfuhren, schafften sie alsbald alles vom Lande in die Stadt, rüsteten sich für eine Belagerung und brachten Speise und Trank in ihre Festung. Diese rüsteten sich also für den kommenden Krieg, und die Feinde trafen sie nach ihrer Überfahrt von Chios nach Naxos schon verschanzt an und belagerten sie vier Monate. Als aber sowohl das, was die Perser an Mitteln mitgebracht hatten, von ihnen aufgezehrt war, als auch dem Aristagoras viel daraufgegangen war und die Belagerung doch noch mehr heischte, da zogen sie nach Erbauung einer Festung für die vertriebenen Naxier in übler Verfassung wieder nach dem Festlande ab.

35. Aristagoras konnte nun nicht erfüllen, was er dem Artaphernes versprochen hatte. Zugleich drückte ihn die Forderung des Aufwandes für das Heer, ebenso die Angst, weil das Heer in übler Verfassung war und er sich den Megabates zum Feinde gemacht hatte: er erwartete, daß ihm die Herrschaft über Milet genommen werde. In solchen Ängsten faßte er den Entschluß abzufallen, wie denn auch gerade damals der Bote mit den Zeichen auf dem Kopfe aus Susa von Histiaios mit der Weisung zum Abfalle eintraf. Histiaios wußte nämlich, als er beabsichtigte, dem Aristagoras die Weisung zum Abfalle zu geben, gar kein anderes sicheres Mittel zu dieser Botschaft, da die Wege bewacht wurden, als daß er seinem vertrautesten Sklaven den Kopf glatt schor und Zeichen darauf ätzte, dann aber wartete, bis sein Haar wieder wuchs. Sobald es gewachsen war, schickte er ihn nach Milet ohne weitern Auftrag, als wenn er nach Milet käme, dem Aristagoras zu sagen, er solle ihm sein Haar abscheren und sich dann den Kopf besehen. Es war aber darauf, wie ich schon oben bemerkt habe, die Weisung zum Abfalle eingeätzt. Und das tat Histiaios aus großem Leidwesen über seine Festhaltung in Susa. Er hoffte zuversichtlich, wenn es zu einem Abfalle komme, nach dem Meere entlassen zu werden; wenn aber Milet keine Neuerungen machte, rechnete er nicht mehr darauf, wieder hinzukommen.

36. Histiaios schickte also infolge solcher Erwägungen seinen Boten ab, und für Aristagoras traf das alles gerade in einer Zeit zusammen. Daher beriet er mit seinen Anhängern und teilte ihnen seine eigene Meinung und die Botschaft des Histiaios mit. Darauf äußerten die übrigen alle die gleiche Meinung, daß man abfallen solle. Hekataios aber, der Schriftsteller, setzte sich zuerst dagegen, daß man einen Krieg mit dem Perserkönige anfange, indem er alle die Völker, die Dareios beherrschte, und seine Macht namhaft machte; da er aber kein Gehör fand, gab er ihnen zweitens den Rat, wie sie sich zu Herren des Meeres machen könnten. Anders nun, erklärte er, sehe er durchaus nicht ein, wie sie dies werden könnten, da er Milets Macht als schwach erkenne: nur wenn man die Schätze aus dem Branchidenheiligtume wegnehme, die Kroisos, der Lyder, gestiftet habe, hätte er große Hoffnung, daß sie das Meer beherrschen würden. Auf diese Weise würden die Schätze ihnen zu Gebote stehen, statt von den Feinden geraubt zu werden. Das waren aber große Schätze, wie von mir in der ersten von diesen Geschichten angezeigt worden ist. Indes diese Meinung ging nicht durch, aber der Abfall ward dennoch beschlossen, wie auch, daß einer von ihnen nach Myus fahre und in dem Heere, das von Naxos zurückgekommen war und dort lag, die Feldherren auf den Schiffen festzunehmen suche.

[Anmerkung:] 36. Hekataios: Herodots Vorgänger auf dem Gebiete der Geschichtschreibung (s. Anm. zu II, 143). – In der ersten von diesen Geschichten: Buch I, Kapitel 92.

 

37. Dazu ward auch Jatragoras abgeschickt und nahm durch List gefangen: Oliatos, den Sohn des Ibanolis, von Mylasa; Histiaios, den Sohn des Tymnes, von Termera; Koës, den Sohn des Erxandros, dem Dareios Mytilene geschenkt hatte; Aristagoras, den Sohn des Herakleides, von Kyme, und noch viele andere. Nun fiel Aristagoras offenermaßen ab und setzte alle Hebel gegen Dareios in Bewegung. Zuerst nämlich legte er seine Machthaberschaft scheinbar nieder und verkündete in Milet die Gleichheit vor dem Gesetz, damit die Milesier freiwillig mit ihm abfielen; hernach tat er ein Gleiches auch im übrigen Ionien, indem er einen Teil der Machthaber vertrieb und die andern Machthaber (seine Gefangenen von den Schiffen, die mit gegen Naxos gesegelt waren) an ihre Städte auslieferte, um sich bei diesen beliebt zu machen, den einen an die, den andern an jene Stadt, woher gerade jeder war.

38. Den Koës aber bekamen die Mytilenaier nicht so bald in ihre Gewalt, als sie ihn hinausführten und steinigten; die Kymaier jedoch ließen den ihrigen laufen, wie denn auch meist die übrigen taten. Die Machthaber also wurden sofort in den Städten abgeschafft. Nachdem Aristagoras von Milet die Machthaber abgeschafft hatte, hieß er jede Stadt ihren Feldherrn aufstellen; sodann ging er selbst als Abgesandter auf einem Dreiruderer nach Lazedämon: denn es tat ihm not, eine große verbündete Macht aufzutreiben.

39. In Sparta war König Anaxandridas, der Sohn des Leon, nicht mehr am Leben, sondern gestorben, und Kleomenes, der Sohn des Anaxandridas, hatte jetzt das Königtum, nicht nach Manneswert, sondern nach der Geburt. Anaxandridas hatte nämlich zur Frau die Tochter seiner Schwester, ein Weib nach seinem Herzen, von der er aber keine Kinder bekam. Daher beriefen ihn die Ephoren und sprachen: »Wenn du auch selbst für dich nicht sorgst, so dürfen doch wir nicht leiden, daß der Stamm des Eurysthenes aussterbe. Entlaß also deine jetzige Frau, da sie dir keine Kinder gebiert, und heirate eine andere! Wenn du das tust, wirst du den Spartiaten wohlgefallen.« Dagegen erklärte er, keines von beiden werde er tun, und es sei auch kein schöner Rat von ihnen, ihm zuzumuten, daß er seine jetzige Frau, die sich noch in nichts gegen ihn verfehlt habe, entlasse und eine andere nehme; er werde ihnen nicht gehorchen.

40. Darauf hielten die Ephoren und die Alten Rat und schlugen dem Anaxandridas folgendes vor: »Da wir nun schon sehen, daß du von deiner jetzigen Frau nicht lassen kannst, so mach es so (und dem widersetze dich nicht, damit die Spartiaten nicht andere Dinge über dich beschließen). Die Entlassung deiner jetzigen Frau verlangen wir nicht von dir; sondern bleibe ihr alles, was du ihr jetzt bist, nur nimm noch dazu eine andere Frau, die dir Kinder gebiert.« Wie sie so sprachen, gab Anaxandridas nach und lebte fortan mit zwei Frauen in zweierlei Haushaltungen, was keineswegs in der Art der Spartiaten ist.

41. Nach Verlauf kurzer Zeit gebar die Frau, die er später genommen hatte, ebenjenen Kleomenes. Diese brachte also den Spartiaten ihren Thronfolger zur Welt, aber die erste Frau, die in der ersten Zeit unfruchtbar war, wurde nun gerade auch schwanger: so wollte es ihr Geschick. Während sie wirklich guter Hoffnung war, setzten ihr, als sie davon hörten, die Verwandten der später genommenen Frau immer zu, mit der Behauptung, sie prahle nur so und wolle ein Kind unterschieben. Da die sich so empört benahmen, hielten, als die Stunde herankam, die Ephoren aus Mißtrauen rings um die kreißende Frau Wache. Sie aber gebar den Dorieus, und gleich darauf empfing sie den Leonidas, und gleich nach diesem empfing sie den Kleombrotos. Einige sagen auch, Kleombrotos und Leonidas seien Zwillinge gewesen. Aber die Mutter des Kleomenes, die zweite Frau, die eine Tochter des Prinetades war, des Sohnes des Demarmenos, gebar nicht zum zweitenmal.

42. Kleomenes war nicht bei gesundem Verstande und ein Tollkopf. Dorieus aber war unter allen seinen Altersgenossen der Erste und war fest überzeugt, daß ihm nach seinem Manneswerte das Königtum gebühre. Da er denn so dachte, nach Anaxandridas' Tode aber die Lazedämonier den Ältesten, Kleomenes, ihrem Brauche gemäß zum Könige machten, war Dorieus schwer gekränkt und mochte sich nicht dazu verstehen, daß Kleomenes als König über ihn herrschen solle. Daher hielt er bei den Spartiaten um Volk an und führte eine Auswanderung an, ohne das Orakel in Delphi zu befragen, in welches Land er zur Ansiedlung gehen solle, und ohne überhaupt die Gebräuche zu beobachten. Aufgebracht, wie er war, steuerte er nach Libyen, wohin er Theraier zu Führern hatte. Da kam er an den Kinyps und besiedelte längs diesem Flusse die schönste Landschaft von Libyen. Aber im dritten Jahre wurde er dort durch makische Libyer und Karthager vertrieben und kam wieder nach dem Peloponnes.

43. Da gab ihm Antichares, ein Eleonier, nach den Sprüchen des Laïos den Rat, Herakleia in Sizilien zu besiedeln, indem er ihm sagte, die ganze Gegend des Eryx gehöre den Herakleiden, da sie Herakles selbst erworben habe. Auf das hin machte er sich nach Delphi auf und holte einen Spruch beim Orakel ein, ob er das Land, wohin er ziehe, einnehmen werde. Darauf sagte ihm die Pythia, er werde es einnehmen. Nun nahm Dorieus dieselbe Flotte, die er nach Libyen geführt hatte, und fuhr an der Küste Italiens entlang.

[Anmerkung:] 43. Nach der Sage war Eryx ein Sohn der Aphrodite, deren Heiligtum auf dem Berge Eryx stand. Eryx raubte dem Herakles ein Rind und wurde dafür von ihm erschlagen. Dorieus leitet seinen Stammbaum von Herakles ab und betrachtet das Land, dessen Herrscher Herakles erschlagen hat, als sein Eigentum.

 

44. Die Sybariten erzählen, sie seien zu derselben Zeit mit ihrem Könige Telys im Begriff gewesen, gegen Kroton in den Krieg zu ziehen; die Krotoniaten aber hätten in großer Furcht vor ihnen den Dorieus gebeten, ihnen Beistand zu leisten, und hätten auch Gehör gefunden. So sei Dorieus mit gegen Sybaris gezogen und habe auch Sybaris mitzerstört. Das, sagen die Sybariten, habe Dorieus mit den Seinigen getan. Die Krotoniaten aber behaupten, es habe kein Fremder an ihrem Kriege wider die Sybariten teilgenommen außer Kallias allein, dem Seher vom Jamidengeschlechte aus Elis, und dieser auf folgende Art. Er sei von Telys, dem Machthaber der Sybariten, zu ihnen übergelaufen, weil ihm die Opfer nicht günstig ausfallen wollten, die er gegen Kroton anstellte. Das sagen also diese.

45. Dafür berufen sich beide Teile auf folgende Beweise: die Sybariten auf einen heiligen Bezirk mit einem Tempel am trockenen Flußbett des Krathis. Sie sagen, Dorieus habe den Tempel nach Zerstörung ihrer Stadt der Athene, mit dem Beinamen der »krathischen«, gegründet; sodann nehmen sie zum größten Beweise den Tod des Dorieus selbst, der zugrunde gegangen sei, weil er seinen Orakelspruch nicht befolgt habe. Hätte er nämlich ohne Nebenwege das getan, wozu er ausgezogen war, so würde er die Eryxgegend eingenommen und nach der Einnahme behauptet haben, nicht aber mit seinem Heere zugrunde gegangen sein. Die Krotoniaten dagegen zeigen die vielen Ehrenstücke im Feldgute von Kroton, die sie dem Eleer Kallias geschenkt haben, und die auch bis zu meiner Zeit die Nachkommen des Kallias im Besitz hatten, während Dorieus aber und des Dorieus Nachkommen nichts bekamen, da sie doch, wenn er am sybaritischen Kriege teilgenommen hätte, dem Dorieus noch viel mehr als dem Kallias geschenkt haben würden. Das sind die Beweise, die beide Teile vorbringen, und so steht jedem frei, dem Teile, dem er glaubt, beizutreten.

[Anmerkung:] 45. Am trockenen Flußbett: Als die Krotoniaten die ihnen verhaßte Schlemmerstadt Sybaris zerstört hatten, leiteten sie den Fluß Krathis hinein, um den Wiederaufbau der Stadt unmöglich zu machen. Herodot verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in Thurii, der nahe bei den Ruinen von Sybaris gegründeten athenischen Kolonie. Er hat die Lokalsagen, die er berichtet, dort gehört und das trockene Flußbett selbst besichtigt.

 

46. Es fuhren aber mit Dorieus als Mitansiedler auch noch die Spartiaten Thessalos, Paraibates, Keleas und Euryleon. Als diese mit ihrem ganzen Heere in Sizilien angekommen waren, fielen sie in einer Schlacht, in der sie den Phöniziern und Egestaiern unterlagen, bis auf Euryleon, den einzigen Mitansiedler, der dies Unglück überlebte. Dieser sammelte die Übriggebliebenen vom Heere und nahm Minoa, die Pflanzstadt der Selinusier, half auch den Selinusiern zur Befreiung von ihrem Alleinherrscher Peithagoras. Nachdem er diesen gestürzt hatte, ergriff er selbst die Machthaberschaft von Selinus, war aber nur kurze Zeit Alleinherrscher; denn die Selinusier empörten sich gegen ihn und töteten ihn am Altare des Zeus, des Marktgottes, zu dem er geflohen war.

47. Mit Dorieus zog und fiel auch noch Philippos, der Sohn des Butakides, ein Krotoniat, welcher, da er Telys', des Sybariten, Tochter gefreit hatte, aus Kroton floh, aber nach Vereitlung der Heirat nach Kyrene abfuhr und von dort aus mit jenem zog auf seinem eigenen Dreiruderer, mit Mannschaft auf seine eigenen Kosten: ein Olympiasieger und der schönste Hellene seiner Zeit. Wegen seiner Schönheit erhält er bei den Egestaiern, was keinem anderen Manne zuteil wird, daß sie ihn nämlich in einem Herosheiligtume, das sie auf seinem Grabe errichtet haben, mit Opfern ehren.

48. Dorieus endigte also auf solche Art. Hätte er's aber ausgehalten, Kleomenes zum Könige zu haben, und wäre er in Sparta geblieben, so würde er König von Lazedämon geworden sein. Denn Kleomenes herrschte nicht lange, sondern starb ohne Söhne, mit Hinterlassung einer einzigen Tochter, namens Gorgo.

49. Aristagoras, der Machthaber von Milet, kam also nach Sparta, als Kleomenes an der Herrschaft war. Er kam zu der Unterredung mit ihm, wie die Lazedämonier erzählen, mit einer ehernen Tafel, auf welcher der Umkreis der ganzen Erde eingeschnitten war und das ganze Meer und sämtliche Flüsse. Zu Beginn der Unterredung sagte Aristagoras folgendes: »Wundere dich nicht, Kleomenes, daß ich so eilig hierher komme: denn so ist unsere Lage. Daß wir Kinder der Ionier Knechte sind, anstatt frei, ist für uns selbst der größte Schimpf und Kummer, aber auch unter den andern für euch, sofern ihr den Hellenen vorsteht. Also, um der Götter der Hellenen willen, errettet aus der Knechtschaft die Ionier, eure Brüder! Leicht kann euch das gelingen. Denn die Barbaren sind nicht streitbar, und ihr seid im Kriege die größten Helden. Das ist aber ihre Bewaffnung: Bogen und eine kurze Lanze, und sie gehen in den Kampf mit Hosen und einem Bundhut auf dem Kopfe, sind also leicht zu überwältigen. Außerdem aber haben die Völker jenes Festlandes so viele Güter, wie alle andern zusammen nicht haben; vom Golde an: Silber, Erz, bunte Kleider, Vieh und Sklaven, und das ist euer, wenn's euch darum zu tun ist. Ihre Länder liegen nebeneinander, wie ich's jetzt angebe: neben den Ioniern da die Lyder hier in einem fruchtbaren Lande und die Reichsten an Geld.« Bei diesen Worten wies er auf den Umkreis der Erde, den er, auf die Tafel eingeschnitten, mitgebracht hatte. »Neben den Lydern«, erklärte Aristagoras weiter, »hier die Phrygier gegen Morgen, die Herdenreichsten unter allen, von denen ich weiß, und die Fruchtreichsten. Neben den Phrygiern die Kappadozier, die wir Syrier nennen. Dann deren Grenznachbarn, die Zilizier, die sich an das Meer hier erstrecken, in dem die Insel Zypern hier liegt: die steuern dem König eine jährliche Abgabe von fünfhundert Talenten. Neben den Ziliziern hier die Armenier, auch ein herdenreiches Volk, und neben den Armeniern die Matianer in diesem Lande hier. Neben diesen aber kommt hier das kissische Land, in dem, an dem Flusse Choaspes da, Susa selbst liegt, wo der Großkönig seinen Hof hat, und wo auch seine Schatzkammern sind. Nehmt ihr diese Stadt ein, dann könnt ihr kecklich mit Zeus im Reichtume wetteifern. Ihr solltet wirklich den Kampf aufschieben um ein unbeträchtliches und nicht so vortreffliches Land und um enge Grenzen mit den Messeniern, die euch im Kampfe gewachsen sind, und mit den Arkadiern und Argivern, die nichts von Gold und Silber haben, was sonst den Mut wohl reizen kann, darum zu kämpfen und zu sterben. Nun sich's aber gibt, daß ihr leicht über ganz Asien Herren werden könnt, solltet ihr da etwas anderes ergreifen?« Das sagte Aristagoras. Kleomenes aber gab ihm folgende Antwort: »Gastfreund von Milet, ich beraume dir zum Bescheid den dritten Tag an.«

[Anmerkung:] 49. Die erste Weltkarte hatte der Philosoph Anaximander von Milet (611-546 v. Chr.) entworfen, Hekataios von Milet hatte sie verbessert: »Diese wird es gewesen sein«, sagt Jakob Burckhardt, »die Aristagoras in Sparta dem König Kleomenes, solid auf eine eherne Tafel eingraviert, vorwies.« – In der Unterredung sind die Charaktere des aufgeregten und geschwätzigen Aristagoras und des phlegmatischen Kleomenes ausgezeichnet gegeneinander abgesetzt. Kleomenes ist hier einfach der typische Spartaner, nicht der Tollkopf, als der er in Kapitel 42 erscheint.

 

50. So weit kamen sie damals. Als aber der bestimmte Tag für den Bescheid da war und sie am verabredeten Orte zusammenkamen, fragte Kleomenes den Aristagoras, wie viele Tage der Weg vom Meere der Ionier bis zum König ausmache. So klug nun sonst Aristagoras war und jenen fein beschwatzte, so machte er hier doch einen Fehler; denn während er das Wahre nicht hätte sagen dürfen, wenn er überhaupt die Spartiaten nach Asien bringen wollte, sagte er's doch, nämlich, es sei ein Weg hinauf von drei Monaten. Da nahm jener dem Aristagoras die weitere Rede, die er über den Weg anheben wollte, vom Munde weg und sprach: »Gastfreund von Milet, verlaß Sparta vor Sonnenuntergang; denn du machst den Lazedämoniern keinen annehmbaren Antrag, da du sie drei Monate weit vom Meere abführen willst.« Das sprach Kleomenes und ging nach Haus.

51. Aristagoras aber nahm einen Bittzweig und ging in Kleomenes' Haus. Drinnen verlangte er nun als Schutzflehender Gehör von Kleomenes, wenn er das Kind hinausgeschickt haben werde, weil nämlich bei Kleomenes seine Tochter, mit Namen Gorgo, stand. Kleomenes hatte nur dies einzige Kind, im Alter von acht oder neun Jahren. Kleomenes hieß ihn aber, was er wolle, sagen, ohne Rückhalt wegen des Kindes. Da fing Aristagoras mit zehn Talenten seine Versprechungen an, wenn er ihm erfülle, was er bitte. Und da Kleomenes nein sagte, stieg Aristagoras von einem Gebote zum andern, bis er ihm endlich fünfzig Talente versprach und nun das Kind ausrief: »Vater, der Fremde wird dich bestechen, wenn du ihn nicht stehen läßt und gehst.« Kleomenes ging auch wirklich, voll Wohlgefallen an des Kindes Ermahnung, in ein anderes Gemach, und nun verließ Aristagoras Sparta gänzlich und hatte keine Gelegenheit mehr, seine Auskunft über den Weg zum Könige hinauf zu Ende zu bringen.

52. Mit diesem Wege verhält sich's nämlich so. Es gibt allerorten königliche Rasten und die schönsten Herbergen, wie denn auch der ganze Weg durch bewohntes und sicheres Land geht. Durch Lydien und Phrygien reihen sich zwanzig Rasten aneinander oder vierundneunzigundeinehalbe Parasange. Nach Phrygien kommt nun gleich der Halysfluß, an dem ein Tor ist, durch das man unvermeidlich muß, um über den Fluß zu kommen; an ihm ist ein starker Wachtposten. Ist man nun in Kappadozien drüben und reist darin weiter bis zu den Grenzen der Zilizier, so sind das achtundzwanzig Rasten oder hundertundvier Parasangen. Hier muß man an der Grenze durch zwei Tore hindurch und an zwei Wachen vorbei. Ist man da durch und macht nun seinen Weg durch Zilizien, so sind das drei Rasten oder fünfzehnundeinehalbe Parasange. Die Grenze von Zilizien und Armenien bildet ein schiffbarer Fluß, mit Namen Euphrat. In Armenien nun sind fünfzehn Einkehrrasten oder sechsundfünfzigundeinehalbe Parasange, und auch hier ist eine Wache. Durch dieses Land strömen vier schiffbare Flüsse, über die man unvermeidlich setzen muß: erstens der Tigris, dann der zweite und dritte, die zwar denselben Namen haben, aber nicht ein und derselbe Fluß sind, auch nicht aus derselben Gegend herströmen, indem der erste der beiden Flüsse von den Armeniern, der andere von den Matianern herströmt. Der vierte Fluß aber hat den Namen Gyndes und ist der, den Kyros einst in dreihundertundsechzig Rinngräben zerteilt hat. Aus diesem armenischen Lande nun bis herein ins Matianische sind es vier Rasten, und aus diesem nach dem Kissischen hinüber sind es elf Rasten oder zweiundvierzigundeinehalbe Parasange bis an den Choaspes, auch einen schiffbaren Fluß, an dem die Stadt Susa gebaut ist. Das sind zusammen hundertundelf Rasten. So viele Einkehrrasten sind es von Sardes nach Susa hinauf.

[Anmerkung:] 52. Die Angaben Herodots über die königliche Straße gehen so ins einzelne, daß man annehmen muß, er sei selbst auf dieser Straße bis in die Nähe von Susa gereist. Die beiden Flüsse, deren Namen Herodot auffälligerweise nicht nennt, sind der größere und der kleinere Zabatos, die beide in den Tigris münden.

 

53. Ist diese königliche Straße richtig nach Parasangen ausgemessen und macht die Parasange dreißig Stadien, wie denn dieselbe wirklich so viel macht, so sind es von Sardes nach der memnonischen Königsstadt, wie man sie zu nennen pflegt, dreizehntausendfünfhundert Stadien, da es vierhundertundfünfzig Parasangen sind. Geht man nun Tag für Tag seine hundertundfünfzig Stadien, so braucht man gerade neunzig Tage.

[Anmerkung:] 53. Der Äthiopierkönig Memnon sollte im Trojanischen Kriege dem König Priamos zu Hilfe gekommen sein und alle Völker zwischen Susa und Troja unterworfen haben. Nach diesem Memnon hieß die Königsburg in Susa, die er erbaut haben sollte.

 

54. So war das, was Aristagoras von Milet zu Kleomenes von Lazedämon sagte, daß es zum Könige hinauf ein Weg von drei Monaten sei, eine richtige Angabe. Verlangt aber jemand noch genauere Angaben, so will ich ihm auch die geben. Man muß nämlich noch den Weg von Ephesos nach Sardes dazu rechnen. Und so, sage ich, sind es im ganzen vom hellenischen Meere bis Susa (so heißt nämlich die memnonische Stadt) vierzehntausendvierzig Stadien, da es von Ephesos nach Sardes fünfhundertundvierzig Stadien sind, und so kommen noch drei Tage zu dem dreimonatigen Wege.

55. Aristagoras ging aber nach seiner Verweisung aus Sparta nach Athen, das folgendermaßen von Machthabern frei geworden war: Als Hipparchos, der Sohn des Peisistratos, der Bruder des Machthabers Hippias, nach einem Traumgesicht, dessen Vorbedeutung ganz offen zutage lag, ermordet war von Aristogeiton und Harmodios, die Gephyraier von Abstammung waren, standen die Athener vier Jahre lang um nichts weniger unter Tyrannenherrschaft, sondern noch mehr als vorher.

56. Das Traumgesicht des Hipparchos aber war folgendes: In der Nacht vor den Panathenäen kam es dem Hipparchos vor, ein großer und schöner Mann trete vor ihn mit folgenden rätselhaften Worten:

Duld, o Leu, wie unduldbar es sei, mit geduldiger Seele.
Wer von den Sterblichen frevelt, der muß auch büßen den Frevel.

Das legte er öffentlich mit Tagesanbruch den Traumdeutern vor. Darauf kehrte er sich nicht an das Traumgesicht und führte den Festzug, bei dem er seinen Tod fand.

57. Die Gephyraier aber, aus deren Geschlecht die Mörder des Hipparchos waren, stammen, wie sie selbst sagen, ursprünglich aus Eretria her; wie ich aber nach weiterer Erkundigung finde, waren sie Phönizier und gehörten zu denen, die mit Kadmos in das Land kamen, das jetzt Böotien heißt. In diesem Lande war ihnen das Gebiet von Tanagra zugefallen, und sie bewohnten es. Hier wurden zuerst die Kadmeier von den Argivern vertrieben, dann diese Gephyraier von den Böotiern. Darauf wandten sie sich nach Athen, und die Athener nahmen sie unter gewissen Bedingungen zu ihren Bürgern an, indem sie ihnen Enthaltung von mancherlei Dingen, über die ich nicht sprechen will, auferlegten.

58. Diese Phönizier nun, die mit Kadmos ankamen, und zu denen die Gephyraier gehörten, haben, als Bewohner dieses Landes, mancherlei Wissenschaft zu den Hellenen gebracht, namentlich auch die Schrift, welche die Hellenen vorher nicht hatten, wie ich glaube, und zwar zuerst die Schriftzeichen, die allgemein bei den Phöniziern im Gebrauche sind. Später aber änderten sie, im Laufe der Zeit, mit der Sprache auch die Gestalt der Schrift. Um sie herum wohnte aber zu der Zeit in den meisten Gegenden der hellenische Stamm der Ionier, welche die Schrift von den Phöniziern erlernten und nur mit einigen Veränderungen in Gebrauch nahmen. Und da sie nun bei ihnen im Gebrauch war, sagten sie, wie es auch die Billigkeit heischte, sie heiße die phönizische Schrift, weil Phönizier sie nach Hellas gebracht hätten. Auch heißen bei den Ioniern die Bücher von alters her Häute, weil sie in Ermanglung von Byblosbüchern damals Ziegen- und Schafhäute brauchten, wie auch zu meiner Zeit viele Barbaren auf solche Häute schreiben.

59. Ich selbst aber habe kadmeiische Schriftzeichen im Heiligtume des Ismenischen Apollo im böotischen Theben auf Dreifüßen eingegraben gesehen, und sie glichen größtenteils den ionischen. Einer aber von diesen Dreifüßen hat die Aufschrift:

Von Teleboern kommend hat Amphitryon mich gestiftet.

Das wäre in den Zeiten des Laïos, des Sohnes des Labdakos, des Sohnes des Polydoros, des Sohnes des Kadmos, gewesen.

[Anmerkung:] 59. Amphitryon tötete unabsichtlich seinen Oheim Elektryon, den König von Mykenä, floh wegen dieser Blutschuld nach Theben und wurde dort von Kreon entsühnt. Elektryons Tochter Alkmene wurde die Gattin Amphitryons, nachdem er ihr Rache an den Teleboern verschafft hatte, die ihre Brüder erschlagen hatten. Daß Herodot in den Weihgeschenken, mit denen die griechischen Tempel angefüllt waren, eine wichtige historische Quelle sah, zeugt von seinem wissenschaftlichen Sinn. Auf der andern Seite aber waren die Zeitbestimmungen, die er aus den Sagen zu gewinnen suchte, indem er die Abfolge der Generationen berechnete, durchaus poetisch und unkritisch. Alkmene, die Amphitryon heiratet, ist die Mutter des Herakles. Ihr Name bedeutet »Stärke«. Aus dieser mythischen Familie können keine Folgerungen auf das Alter der Schriftzeichen, die Herodot sah, gezogen werden. Dasselbe gilt in Kapitel 60 von Hippokoon, den Herakles erschlagen haben soll.

 

60. Ein anderer Dreifuß sagt in Hexametern:

Mich hat Skaios, der Sieger im Kampfe der Faust, als das schönste
Kleinod gestiftet für dich, ferntreffender Herrscher Apollo.

Skaios, der Sohn des Hippokoon, würde in die Zeit des Ödipus, des Sohnes des Laïos, gehören. Allerdings kann der Stifter aber auch ein anderer sein, der mit dem Sohne des Hippokoon nur den Namen gemein hat.

61. Ein dritter Dreifuß spricht gleichfalls in Hexametern:

Da er als König gebot, hat dir Laodamas diesen
Dreifuß, Wächter Apollo, geweiht als stattliches Kleinod.

Eben unter diesem Fürsten Laodamas, dem Sohne des Eteokles, wurden die Kadmeier von den Argivern vertrieben und wandten sich zu den Encheleern. Die Gephyraier aber, die zurückgeblieben waren, wichen später vor den Böotiern nach Athen. Sie haben sich auch in Athen Heiligtümer errichtet, an denen die übrigen Athener keinen Teil haben, und unter diesen abgesonderten Heiligtümern insbesondere das der Demeter Achaia mit dem Geheimdienst.

[Anmerkung:] 61. Die Encheleer sind ein illyrisches Volk, zu dem Kadmos, der Gründer von Theben, mit seiner Gattin Harmonia (Eintracht) gewandert sein soll. Dort hinterließ er die Herrschaft seinem Sohne Illyrios. Mit den Argivern, die Theben eroberten, sind die Epigonen gemeint (s. Anmerkung zu IV, 32).

 

62. Das Traumgesicht des Hipparchos also und die Herkunft der Gephyraier, zu denen die Mörder des Hipparchos gehörten, hätte ich erzählt: ich muß nun die Erzählung wieder aufnehmen, auf die ich von Anfang eingegangen war, nämlich wie die Athener von ihren Machthabern befreit worden sind. Als Hippias Machthaber war und gereizt war gegen die Athener wegen der Ermordung des Hipparchos, hatten die Alkmaioniden, Athener von Geschlecht, aber von den Peisistratiden vertrieben, zugleich mit den übrigen athenischen Vertriebenen zuerst auf dem Wege der Gewalt ihre Heimkehr versucht. Es gelang ihnen aber nicht, sondern sie erlitten eine schwere Niederlage, als sie heimzukehren und Athen zu befreien versuchten, nachdem sie Leipsydrion oberhalb von Paionia befestigt hatten. Da sie alles mögliche in Bewegung gegen die Peisistratiden zu bringen suchten, ließen sie sich von den Amphiktyonen die Erbauung des delphischen Tempels in Verdingung geben, des jetzigen nämlich, der damals noch nicht stand. Als wohlbegüterte und von jeher angesehene Männer führten sie nun den Tempel überhaupt schöner auf, als der Bauplan verlangte, und während sie ihn nach dem Vertrage nur von Tuffstein zu errichten hatten, bauten sie seine Vorderseite von parischem Marmor.

[Anmerkung:] 62. Die Amphiktyonen sind der Schutzverband der um Delphi wohnenden Stämme. Sie sicherten die freie Einreise der Pilger und verwalteten das Heiligtum, hatten also auch für seinen Wiederaufbau zu sorgen.

 

63. Diese Leute brachten, wie die Athener sagen, indem sie sich in Delphi aufhielten, die Pythia durch Geld dahin, allen Spartiaten, die kamen, um das Orakel, sei es nun in eigener oder in des Volkes Sache, zu befragen, den Auftrag zu geben, sie sollten Athen befreien. Wie nun die Lazedämonier immer dieselbe Weisung bekamen, schickten sie den Anchimolios, den Sohn Asters, einen angesehenen Mann unter ihren Bürgern, mit einem Heere ab, um die Peisistratiden aus Athen zu vertreiben, obschon sie in enger Gastfreundschaft mit ihnen standen; denn das Göttliche achteten sie höher als das Menschliche. Sie schickten diesen zur See ab auf Schiffen. Er landete nun bei Phaleron und schiffte sein Heer aus. Die Peisistratiden aber, die schon vorher davon unterrichtet waren, riefen ein Hilfsheer aus Thessalien herbei. Denn mit diesen hatten sie einen Bund geschlossen. Die Thessalier sandten ihnen auf ihr Verlangen nach gemeinsamem Beschlusse eintausend Reiter, samt ihrem Könige Kineas, einem Gonnaier. Da die Peisistratiden diese Bundesgenossen hatten, stellten sie folgendes an: Sie hatten das phalerische Gefilde von Bäumen gesäubert und bereitbar gemacht und ließen nun die Reiter auf das Feindesheer losbrechen. Diese erschlugen bei dem Überfalle viele Lazedämonier, insbesondere auch den Anchimolios, und jagten die Übriggebliebenen auf die Schiffe zurück. So lief der erste Heereszug aus Lazedämon ab. Das Grab des Anchimolios liegt in Attika zu Alopekai, nahe am Heraklesheiligtume im Kynosarges.

[Anmerkung:] 63. Wie die Athener sagen: Man erwartet eigentlich, daß die Lazedämonier diesen Vorwurf erheben, aber Jakob Burckhardt bemerkt mit Recht: »In Geldsachen hielten die Athener überhaupt nicht mehr leicht jemand für ehrbar und zogen die Erklärung von Ereignissen durch Intrigen und Geld jeder anderen vor. Spätere schwatzten in diesem Sinne ganz unbefangen weiter, bis es endlich hieß, schon Lykurg habe regelmäßig die ›Prophetin‹ bestochen, wenn er sich in Delphi seine Gesetze bestätigen ließ.« – Das Kynosarges auf der Ostseite Athens war der Ort, an dem Herakles den aus der Unterwelt heraufgeholten Zerberus eingeschlossen haben sollte.

 

64. Darauf rüsteten die Lazedämonier zum Zuge gegen Attika ein größeres Heer, zu dessen Feldherrn sie den König Kleomenes, den Sohn des Anaxandridas, machten, und schickten es nicht wieder zur See, sondern zu Lande. Bei ihrem Eindringen ins attische Gebiet ward zuerst die thessalische Reiterei mit ihnen handgemein, wurde aber in kurzem geworfen und verlor über vierzig Mann; die Übriggebliebenen aber eilten auf der Stelle nach Thessalien. Kleomenes kam nun in die Stadt und belagerte mit den Athenern, die frei sein wollten, die Machthaber, die eingeschlossen waren in der pelasgischen Burg.

65. Nun hätten die Lazedämonier die Peisistratiden keineswegs vertrieben, da bei ihnen keine Stimmung für eine lange Belagerung war und die Peisistratiden mit Speise und Trank wohl versehen waren. Sie würden also nach einer Belagerung von wenigen Tagen wieder nach Sparta umgekehrt sein. Nun aber kam ein Zufall dazu, den einen zum Unglück, den andern zum Vorteil, daß nämlich die Kinder der Peisistratiden, als sie heimlich aus dem Lande gebracht werden sollten, gefangen wurden. Wie das geschah, kam ihre ganze Lage in Verwirrung. Sie fügten sich gegen Rückgabe ihrer Kinder den Bedingungen der Athener, daß sie binnen fünf Tagen Attika zu räumen hätten. Darauf zogen sie fort nach Sigeion am Skamandros, nachdem sie über die Athener sechsunddreißig Jahre lang geherrscht hatten. Ihre Ahnen stammten aus Pylos und waren Abkömmlinge des Neleus wie Kodros und Melanthos, die Könige in Athen wurden, obwohl sie Fremdlinge waren. Deshalb gab auch Hippokrates, um diese Erinnerung zu bewahren, seinem Sohne den Namen Peisistratos, indem er ihn nach Peisistratos, dem Sohne Nestors, benannte. So wurden die Athener ihrer Machthaber ledig. Was sie aber nach ihrer Befreiung Erzählenswürdiges taten oder litten, ehe Ionien von Dareios abfiel und der Milesier Aristagoras nach Athen kam und sie um Beistand ersuchte, das will ich zunächst erzählen.

[Anmerkung:] 65. Von Neleus, dem Vater Nestors, stammten Melanthos, Alkmaion und Peisistratos, die beim Eindringen der Dorier in den Peloponnes nach Athen flohen. Der Sohn des Melanthos war Kodros, von Alkmaion stammten die Alkmaioniden, von Peisistratos die Peisistratiden.

 

66. Athen, schon vordem groß, ward jetzt, da es von seinen Machthabern befreit war, noch größer. Es walteten aber darin zwei Männer, Kleisthenes, ein Alkmaionide, der die Pythia bestochen haben soll, und Isagoras, der Sohn des Tisandros, aus einem angesehenen Hause, dessen Ahnen ich jedoch nicht anzugeben weiß: sein Geschlecht opfert aber dem karischen Zeus. Diese Männer lagen im Kampfe um die Macht. Als Kleisthenes unterlag, zog er das Volk auf seine Seite. Darauf ordnete er die Athener, die aus vier Stämmen bestanden, in zehn Stämme, indem er die Benennungen nach Ions Söhnen, Geleon, Aigikoreus, Argades und Hoples, abschaffte und dafür andere Benennungen aufbrachte, nach andern Helden des Landes, außerdem nach dem Aias, den er, obwohl er ein Fremder war, doch als Nachbarn und Bundesgenossen dazunahm.

[Anmerkung:] 66. Wenn das Geschlecht dem karischen Zeus opferte, war es aus Karien, das heißt aus dem südwestlichen Kleinasien, der Heimat Herodots, eingewandert. – Die Phyleneinteilung des Kleisthenes ersetzt die alte Gliederung nach Geschlechtern durch eine rein geographische und ist eine typisch demokratische Neuerung, die am ersten mit der Departementseinteilung der Französischen Revolution verglichen werden kann. Die alten Phylen der Geleonten (Glänzenden, d. h. Adligen), Hopleten (Krieger), Argadeis (Feldarbeiter) und Aigikoreis (Ziegenhirten) waren jede in drei Phratrien (Brüderschaften) eingeteilt, und jede Phratrie zerfiel in dreißig Geschlechter. Diese 360 Geschlechter bildeten die Vollbürger. Kleisthenes ordnete dagegen die in Attika vorhandenen Gemeinden, deren Zahl groß war, wir können fast zweihundert nachweisen, in zehn Phylen, die einfach Bezirke waren. Sie wurden aber so abgegrenzt, daß in jeder die wohlhabenden Grundbesitzer der Ebene (Pediaker), die armen Gebirgsbauern (Diakrier) und die Küstenbewohner (Paraler) vertreten waren, weil diese Schichten zur Zeit des Peisistratos gegeneinander gekämpft hatten. Aus jeder der zehn Phylen werden durch das Los fünfzig Ratsmitglieder bestimmt. Das Jahr hat zehn Teile, und jedes Ratszehntel führt während eines Jahreszehntels als Prytanen die Geschäfte. Der militärische Oberbefehl wechselt zwischen zehn Strategen, von denen jeder aus einer andern Phyle ist. Die Strategen und die meisten Beamten wurden gewählt. Später trieb man die Gleichheit noch mehr auf die Spitze und ersetzte fast überall die Wahl durch das Los. Die Gemeindezugehörigkeit war erblich und wurde nicht durch den Wechsel des Wohnsitzes aufgehoben.

 

67. Hierin ahmte nun Kleisthenes, meines Dafürhaltens, den Vater seiner Mutter, Kleisthenes, den Machthaber von Sikyon, nach. Kleisthenes hatte nämlich im Kriege mit den Argivern zunächst den Rhapsoden ihre Wettkämpfe in Sikyon untersagt, weil in den homerischen Gesängen die Argiver und Argos in einem fort besungen werden. Ferner stand gerade auf dem Markte der Sikyonier ein Herosheiligtum des Adrastos, des Sohnes des Talaos, wie es noch jetzt da steht, und Kleisthenes wollte diesen, als einen Argiver, aus dem Lande treiben. Er ging nach Delphi und befragte das Orakel, ob er den Adrastos vertreiben dürfe. Darauf erteilte ihm die Pythia den Ausspruch, Adrastos sei König der Sikyonier, er aber ihr Henker. Da dies also der Gott nicht zugab, kehrte er heim und dachte auf ein Mittel, daß Adrastos von selbst fortginge. Als er's gefunden zu haben glaubte sandte er nach dem böotischen Theben die Botschaft, er wolle sich den Melanippos, den Sohn des Astakos, heranholen. Die Thebaner erlaubten ihm das. Kleisthenes holte den Melanippos, wies ihm im Gemeindehofe selbst einen eigenen Bezirk an und stellte ihn da an der sichersten Stelle der Stadt auf. Den Melanippos holte aber Kleisthenes (denn das muß ich noch dazu sagen) als den ärgsten Feind des Adrastos, da er ihm seinen Bruder Mekistes und seinen Schwiegersohn Tydeus erschlagen hat. Als er ihm nun einen eigenen Bezirk gegeben hatte, nahm er dem Adrastos Opfer und Feste weg und gab sie dem Melanippos. Die Sikyonier hielten nämlich von jeher den Adrastos in gar großen Ehren. Denn das Land gehörte dem Polybos, und Adrastos war der Sohn der Tochter des Polybos; Polybos aber gab, da er ohne Sohn starb, dem Adrastos die Herrschaft. Nun erwiesen die Sikyonier dem Adrastos überhaupt alle Ehren, und insbesondere feierten sie auch seine Leiden in tragischen Chören, in denen sie nicht den Dionysos, sondern den Adrastos ehrten. Kleisthenes gab aber die Chöre dem Dionysos zurück, die übrigen Opfer aber dem Melanippos. Dieses tat er gegen Adrastos.

[Anmerkung:] 67. Kleisthenes von Sikyon starb 565 v. Chr. Kleisthenes von Athen, sein Enkel, nahm 509 die demokratische Reform der Phylenverfassung vor. – Die »Thebais« und die »Epigonen« verherrlichten die Taten des Adrastos im Kampfe gegen Theben (s. Anm. zu IV, 32). Deshalb wollte Kleisthenes nicht dulden, daß diese Gedichte in Sikyon rezitiert wurden. Der Heroenkult des Adrastos war in Argos und in Sikyon heimisch und verband beide Städte miteinander. – Epigenes von Sikyon gestaltete die Chorlieder, in denen die Leiden des Adrastos besungen wurden, zu mimischen Darstellungen aus, während sonst Dionysos, wie Nietzsche in der »Geburt der Tragödie« (Kapitel 10) betont, der Held der ältesten Tragödien ist: »Mit der gleichen Sicherheit darf behauptet werden, daß niemals bis auf Euripides Dionysos aufgehört hat, der tragische Held zu sein, sondern daß alle die berühmten Figuren der griechischen Bühne, Prometheus, Ödipus usw., nur Masken jenes ursprünglichen Helden Dionysos sind. Daß hinter allen diesen Masken eine Gottheit steckt, das ist der eine wesentliche Grund für die so oft angestaunte typische ›Idealität‹ jener berühmten Figuren.«

 

68. Die Namen der dorischen Stämme aber änderte er, damit die Sikyonier nicht dieselben wie die Argiver hätten. Hierin machte er die Sikyonier vollends zum Gelächter, indem er die Benennungen nun von Schwein und Esel entlehnte und daran nur die Endungen hing, außer bei seinem eigenen Stamme, dem er den Namen von seiner Herrschaft gab. Diese nämlich wurden Archelaer genannt, andere aber Hyaten, andere Oneaten, andere endlich Choireaten. Diese Namen der Stämme waren bei den Sikyoniern gebräuchlich unter Kleisthenes' Herrschaft und noch nach seinem Tode sechzig Jahre lang. Nachderhand indessen zogen sie's in Überlegung und änderten sie in Hylleer, Pamphyler und Dymanaten, wozu noch viertens die kamen, die sie nach dem Sohne des Adrastos Aigialeus benannten und als Aigialeer bezeichneten.

[Anmerkung:] 68. Archelaer: Volksherrscher, Hyaten: Schweininger, Oneaten: Eselinger, Choireaten: Ferkelinger. Die Hylleer heißen nach Hyllos, dem Sohne des Herakles, die Pamphyler und Dymanaten nach Pamphylos und Dyman, den Söhnen des dorischen Königs Aigimios. Alle drei sind dorische Heroen.

 

69. Das tat der sikyonische Kleisthenes. Der athenische Kleisthenes nun, ein Tochtersohn des sikyonischen, von dem er auch seinen Namen hatte, sah auch meines Dafürhaltens die Ionier über die Achsel an und ahmte, damit die Athener nicht dieselben Stämme wie die Ionier hätten, seinen Namensvetter Kleisthenes nach. Als er nämlich das Volk der Athener, von dem er vorher nichts hatte wissen wollen, nach seiner Rückkehr aus der Verbannung auf seine Seite gezogen hatte, nannte er die Stämme um und machte aus wenigen mehrere, wie er denn auch aus vier Stammeshäuptern zehn machte und auch die Gaue unter die zehn Stämme verteilte. Als er das Volk auf seine Seite gezogen hatte, war er seinen Widersachern weit überlegen.

70. Da nun Isagoras unterlag, stellte er folgendes dagegen an. Er rief den Lazedämonier Kleomenes herbei, seinen Gastfreund von der Belagerung der Peisistratiden her. Auf Kleomenes aber lag die Beschuldigung, daß er zur Frau des Isagoras ginge. Zunächst sandte nun Kleomenes einen Herold nach Athen und verlangte, daß Kleisthenes und mit ihm viele andere Athener, die Mordbefleckten, wie er sie nannte, ausgewiesen würden. Er forderte das auf Anweisung des Isagoras; denn auf den Alkmaioniden und ihren Parteigängern haftete diese Blutschuld; er selbst aber und seine Freunde hatten nicht teil daran.

71. Diese Mordbefleckten in Athen kamen auf folgende Art zu dem Namen. Es war ein Mann in Athen, Kylon, ein Olympiasieger; der strebte vermessen nach der Machthaberschaft, sammelte eine Schar von Genossen und versuchte, sich mit diesen der Burg zu bemächtigen, konnte es aber nicht durchsetzen und saß nun als Schutzflehender am Bilde der Göttin. Von diesem entfernten sie die Ratshäupter der Naukraren, die damals Athen verwalteten, indem sie ihnen wenigstens das Leben verbürgten; aber auf den Alkmaioniden haftet die Beschuldigung, sie trotzdem ermordet zu haben. Das geschah vor der Zeit des Peisistratos.

[Anmerkung:] 71. Kylon siegte 640 v. Chr. in Olympia. Der Kylonische Frevel lag also über hundert Jahre zurück. – Jede der vier vorkleisthenischen Phylen zerfiel in zwölf Naukrarien (Schiffsherrschaften), die je ein Schiff zu stellen und auszurüsten hatten. Die 48 gewählten Vorsteher der Naukrarien bildeten einen Rat, der mit den Archonten die Verwaltung führte und die Gerichtsbarkeit ausübte. Kleisthenes ersetzte sie durch fünfzig Naukraren, aus jeder neuen Phyle fünf, und ließ ihnen nur untergeordnete Funktionen.

 

72. Als nun Kleomenes die Vertreibung des Kleisthenes und der Mordbefleckten forderte, ging Kleisthenes selbst freiwillig: doch erschien darauf nichtsdestoweniger Kleomenes in Athen mit nicht gerade zahlreicher Mannschaft und verbannte siebenhundert athenische Familien, die ihm Isagoras angab, als fluchbeladen. Nachdem er das getan hatte, versuchte er außerdem, den Rat aufzulösen, und gab die Regierung in die Hände von dreihundert Anhängern des Isagoras. Als sich der Rat widersetzte und nicht gehorchen wollte, bemächtigten sich Kleomenes und Isagoras mit seinen Anhängern der Burg. Die übrigen Athener aber hielten zusammen und belagerten sie zwei Tage; am dritten zogen nach einem Vertrage alle aus dem Lande ab, die Lazedämonier waren. So ging dem Kleomenes eine Prophezeiung in Erfüllung. Als er nämlich hinaufkam in die Burg, um sie zu besetzen, ging er in das Allerheiligste der Göttin, um sie anzurufen. Die Priesterin aber erhob sich von ihrem Throne, ehe er noch die Tür hinter sich hatte, und sprach: »Fremdling von Lazedämon, weiche zurück und geh nicht in das Heiligtum; denn es ist nicht recht, daß ein Dorier hier eintrete.« Darauf sprach er: »Weib, ich bin ja kein Dorier, sondern ein Achäer.« Er hörte also nicht auf die mahnende Stimme, sondern machte den Versuch und ward jetzt wieder mit den Lazedämoniern verjagt. Die übrigen aber legten die Athener in Bande, um sie hinzurichten, und unter ihnen auch Timesitheos, den Delphier. Von seiner Entschlossenheit und seinen Siegen im Faustkampfe könnte ich viel erzählen. Diese fielen also in Bande und Tod.

[Anmerkung:] 72. Timesitheos erfocht im Pankration, einer Mischung von Ring- und Boxkampf, zwei Siege in den olympischen und drei in den pythischen Spielen. Seine Ehrenbildsäule stand in Olympia. Es gab Sammlungen der Sprüche und der Schicksale der Seher. Herodot hat sie gern benutzt, vor allem das Erinnerungsbuch des delphischen Orakels. Es war, wie Wilamowitz (Aristoteles und Athen, I, S. 284) ausführt, »eine Sammlung von Sprüchen des Gottes mit den zugehörigen Erzählungen, die sowohl die Veranlassung wie die Erfüllung der einzelnen Orakel enthielt, ein wunderbarer Schatz geschichtlicher und religiöser Belehrung, über die ganze hellenische Welt und noch darüber hinaus sich erstreckend, gemäß der Macht des Gottes, die gewaltigsten Katastrophen der Weltgeschichte, wie den Sturz des Kroisos, und die Geschicke merkwürdiger Menschen, wie des Spartiaten Glaukos, der seinen Gastfreund betrog, umfassend. Das ist das Surrogat für eine delphische Chronik. Herodot hat aus dieser Quelle das Herrlichste geschöpft.«

 

73. Darauf riefen die Athener den Kleisthenes und die siebenhundert Familien, die Kleomenes vertrieben hatte, wieder zurück und sandten nach Sardes, um Bundesgenossenschaft mit den Persern zu machen. Denn sie waren überzeugt, mit Kleomenes und den Lazedämoniern auf dem Kriegsfuße zu stehen. Als die Gesandten in Sardes ankamen und ihren Auftrag ausrichteten, fragte sie Artaphernes, der Sohn des Hystaspes, der Statthalter von Sardes, was für Leute sie seien und welches Landes Bewohner, da sie Bundesgenossen der Perser zu werden begehrten. Die Gesandten gaben ihm Auskunft, und er erteilte ihnen rundweg den Bescheid, wenn die Athener dem König Dareios Erde und Wasser gäben, schließe er Bundesgenossenschaft mit ihnen; gäben sie's nicht, so heiße er sie heimgehen. Da sagten die Gesandten auf ihre eigene Faust ja, um nur zu dem Bündnis zu kommen. Dafür fiel, wie sie nach Hause kamen, schwere Beschuldigung auf sie.

74. Kleomenes aber, der sich von den Athenern mit Wort und Tat beleidigt fühlte, sammelte ein Heer aus dem ganzen Peloponnes. Er sagte nicht, wozu er's sammle, hatte aber die Absicht, das Volk der Athener büßen zu lassen, und war willens, den Isagoras als Machthaber einzusehen; denn dieser war mit ihm aus der Burg gezogen. Also drang Kleomenes mit großer Macht in Eleusis ein, und die Böotier nahmen, wie er es mit ihnen verabredet hatte, Oinoë und Hysiai, die äußersten Gaue von Attika, und die Chalkidier griffen auf der andern Seite an und verheerten das attische Land. Die Athener waren nun zwar in doppelter Bedrängnis, wollten es jedoch den Böotiern und Chalkidiern erst später heimzahlen und schlugen ihr Lager gegenüber den Peloponnesiern auf, die in Eleusis waren.

75. Als die beiden Heere den Kampf beginnen wollten, überlegten sich zuerst die Korinther, daß sie nicht recht täten, kehrten um und zogen ab, nach ihnen aber auch Demaratos, der Sohn Aristons, der auch König der Spartiaten war und das Heer mit aus Lazedämon geführt hatte und in der frühern Zeit nie mit Kleomenes uneinig war. Diesem Zwiste zufolge ward in Sparta ein Gesetz gemacht, es solle nicht erlaubt sein, daß beide Könige mitgingen, wenn das Heer ausziehe (bisher waren nämlich beide mitgegangen, und da nun der eine von ihnen nicht beim Heere sei, so solle auch von den Tyndariden der eine zurückbleiben. Vorher nämlich pflegten sie beide anzurufen, sie als Helfer zu begleiten. Als aber dort in Eleusis die übrigen Bundesgenossen sahen, wie die Könige der Lazedämonier uneins waren und die Korinther die Reihen verlassen hatten, zogen auch sie sofort nach Hause.

[Anmerkung:] 75. Von den beiden Tyndariden (s. Anm. zu Buch IV, Kapitel 145) soll der eine den König, der ins Feld zieht, schützend begleiten, der andere dem König, der zu Hause bleibt, seine Hilfe leihen. An ihre Bilder ist nicht zu denken, da das Symbol der göttlichen Zwillinge zwei durch ein Querholz verbundene Holzstangen waren. Man hätte das Symbol zersägen müssen, wenn man die Hälfte zu Hause lassen wollte.

 

76. Das war denn das viertemal, daß Dorier nach Attika kamen, zweimal in feindlicher Absicht und zweimal zum Besten der athenischen Volksgemeinde. Das erstemal sagt man wohl mit Recht von dem Zuge, da sie sich in Megara festsetzten, als Kodros König der Athener war; das zweite- und drittemal, als sie zur Vertreibung der Peisistratiden von Sparta aus hinkamen, und das viertemal damals, als Kleomenes mit den Peloponnesiern in Eleusis eindrang. Damals drangen also Dorier zum viertenmal ins Attische ein.

77. Nach ruhmloser Auflösung dieses Kriegsheeres rückten die Athener, um Rache zu nehmen, zuerst gegen die Chalkidier ins Feld. Die Böotier aber zogen, um den Chalkidiern zu helfen, an den Euripos. Als die Athener das Hilfsheer sahen, beschlossen sie, die Böotier noch vor den Chalkidiern anzugreifen. So stießen sie mit den Böotiern zusammen, und die Athener gewannen einen gewaltigen Sieg, erschlugen eine ganze Menge und nahmen siebenhundert von ihnen lebendig gefangen. An demselben Tage gingen die Athener noch über den Euripos und stießen auch mit den Chalkidiern zusammen, besiegten sie gleichfalls und ließen nun viertausend Kleruchen auf dem Lande der Hippoboten zurück. Hippoboten hießen nämlich die Vornehmen der Chalkidier. Alle, die sie hier gefangennahmen, samt den gefangenen Böotiern, hielten sie in Gewahrsam in Fesseln; nachher aber ließen sie dieselben frei für je zwei Minen Lösegeld. Ihre Fesseln aber, die sie getragen hatten, hängten sie in der Burg aus, in der dieselben noch bis zu meiner Zeit vorhanden waren und an der Mauer hingen, die der Meder versengt hat, gegenüber dem Tempelraum, der gegen Abend liegt. Auch weihten sie den Zehnten von den Lösegeldern, indem sie ein ehernes Viergespann anfertigen ließen, das zur linken Hand gleich beim Eingänge in die Vorhalle der Burg steht und folgende Aufschrift hat:

Da sie Böotiervolk und Chalkidiervolk in des Krieges
Taten zu Boden gekämpft, haben die Kinder Athens
Ihren Hochmut gedämpft in finsteren Banden von Eisen
Und vom Zehnten geweiht Pallas das Rossegespann.

[Anmerkung:] 77. Kleruchen: Das eroberte Land wurde in Kleroi (Ackerlose) geteilt und an ärmere Bürger gegeben, die zugleich eine alarmbereite Besatzung darstellten. Die attischen Kleruchien entsprechen den römischen Militärkolonien. – Hippoboten heißt Rossezüchter. – Zwei Minen sind 150 Mark, das Lösegeld war also mäßig. – Mit dem Meder, der Athen einäscherte, ist Xerxes gemeint.

 

78. Die Athener also wuchsen empor. Es offenbart sich aber nicht bloß in einem Stücke, sondern überall, was für ein großes Ding die gleichberechtigte Redefreiheit ist, da die Athener unter ihren Machthabern keinem ihrer Nachbarn im Kriege überlegen waren, sobald sie aber von den Machthabern befreit waren, bei weitem die Ersten wurden. Daraus wird offenbar, daß sie unterm Joche sich absichtlich schlecht hielten, weil sie im Dienste eines Gebieters waren, nach Erringung der Freiheit aber jeder im Dienste für die eigene Sache Eifer und Mut zum Vollbringen hatte. So stand es mit diesen.

79. Die Thebaner aber sandten nun Boten an den Gott, da sie willens waren, sich an den Athenern zu rächen. Da erklärte ihnen die Pythia, durch ihre eigene Macht werde ihnen die Rache nicht werden; sie sollten es aber auf hallendem Markte verkünden, daß sie ihre Nächsten bäten. Die zum Orakel Gesandten gingen zurück und brachten den Spruch in der Volksversammlung vor. Wie nun die Thebaner von ihnen vernahmen, daß sie ihre Nächsten bitten sollten, sprachen sie: »Sind denn nicht unsere nächsten Nachbarn die Tanagraier und Koronaier und die Thespier, die ja immer auf unserer Seite kämpfen und unsere Kriege treu und eifrig mit uns ausfechten? Was brauchen wir die erst zu bitten? Nein, das ist nicht der Sinn des Spruches!«

80. Als sie so darüber redeten, sprach endlich einer, der es merkte: »Mich dünkt, ich verstehe, was uns der Götterspruch sagen will. Des Asopos Töchter waren nach der Sage Thebe und Ägina; da diese also Schwestern sind, dünkt mir der Gott von den Ägineten zu sprechen, daß wir sie bitten sollen, uns Hilfebringer zu werden.« Weil nun keine einleuchtendere Meinung vorgebracht wurde, sandten sie gleich die Bitte an die Ägineten, sie möchten dem Götterspruche gemäß ihnen zu Hilfe kommen, da sie ihre Nächsten seien. Dieselben erklärten ihnen auf dies Gesuch, sie würden ihnen die Aiakiden zum Beistand und Geleite geben.

[Anmerkung:] 80. Die Aiakiden: Die Bilder ihrer Stammesheroen Aiakos, Peleus, Telamon und Aias.

 

81. Als es nun die Thebaner mit dem Beistande der Aiakiden versuchten, aber von den Athenern übel zugerichtet wurden, schickten die Thebaner wieder hin, gaben ihnen die Aiakiden zurück und baten um Männer. Da griffen die Ägineten, denen ihr großer Wohlstand zu Kopfe gestiegen war und ihre alte Feindschaft gegen Athen im Sinne lag, auf die Bitten der Thebaner ohne Kriegserklärung die Athener an. Während diese nämlich gegen die Böotier im Felde lagen, fuhren sie in langen Schiffen auf Attika los, verwüsteten Phaleron und viele andere Gaue an der Küste und taten auf solche Weise den Athenern großen Schaden.

82. Die damals erst zum Austrag gekommene Feindschaft der Ägineten gegen die Athener hat folgenden Anfang gehabt. Den Epidauriern trug ihr Land keine Frucht, und so holten die Epidaurier über dieses Unglück einen Spruch in Delphi ein. Da hieß sie die Pythia Bilder der Damia und Auxesia errichten; errichteten sie die, so werde es ihnen besser gehen. Nun fragten die Epidaurier, ob sie die Bilder aus Erz machen sollten oder aus Stein; die Pythia aber sagte, von keinem von beiden, sondern vom Holze eines veredelten Ölbaumes. Die Epidaurier baten nunmehr die Athener, sie einen Ölbaum fällen zu lassen, da sie die dortigen für die heiligsten erachteten; man sagt auch, es habe zu der Zeit sonst in keinem Lande Ölbäume gegeben als in Athen. Diese erklärten, sie wollten sie's unter der Bedingung tun lassen, daß sie jedes Jahr der Athene Polias und dem Erechtheus Opfer brächten. Als die Epidaurier hierauf eingingen, wurde ihnen ihre Bitte gewährt. Sie errichteten Bilder aus diesen Ölbäumen, und nun trug ihr Land Frucht, und sie leisteten auch den Athenern das, wozu sie sich verpflichtet hatten.

[Anmerkung:] 82. Damia ist Demeter, Auxesia (die Wachstumfördernde) ihre Tochter Persephone. – Der Beiname Polias bezeichnet Athene als Schutzgöttin der Stadt (Polis). Der schlangenfüßige Gott Erechtheus entsteht aus dem auf die Erde träufelnden Samen des Hephästos, der sich in Athene verliebt hat und sie verfolgt: ein Symbol des Gewitterregens. Der Athene und dem Erechtheus war das Erechtheion auf der Akropolis geweiht.

 

83. Nun waren zu der Zeit noch und vordem die Ägineten den Epidauriern untertan und stellten sich insbesondere als Kläger und Verklagte immer drüben in Epidauros vor Gericht. Jetzt aber bauten sie schon Schiffe, handelten unbesonnen und fielen von den Epidauriern ab. In ihrer Zwietracht setzten sie dann, da sie bereits Herren des Meeres waren, ihnen feindlich zu und raubten ihnen namentlich auch jene Bilder der Damia und Auxesia, nahmen sie mit sich und stellten sie im Innern ihres Landes an einem Orte auf, der Oia heißt und von der Stadt ungefähr zwanzig Stadien entfernt ist. Hier stellten sie dieselben auf und huldigten ihnen mit Opfern und spottenden Weiberchören, wozu für jede der beiden Gottheiten immer zehn Männer zu Chorführern bestimmt wurden; diese Chöre verunglimpften keinen Mann, sondern nur die Weiber des Landes. Solche heilige Gebräuche verrichteten auch die Epidaurier: auch haben sie Geheimkulte.

[Anmerkung:] 83. Die Chorführer hatten die Kosten für die Ausstattung der Chöre zu tragen. Die Spottchöre waren obszönen Charakters, wie das bei allen Vegetationsfesten der Fall ist.

 

84. Seit der Entwendung dieser Bilder entrichteten nun die Epidaurier den Athenern nicht mehr die Opfer, zu denen sie sich verpflichtet hatten. Darauf sandten die Athener hin und machten den Epidauriern Vorwürfe. Diese taten ihnen aber dar, daß sie nicht unrecht handelten; denn solange sie die Bilder im Lande gehabt hätten, wären sie ihren Verpflichtungen nachgekommen; jetzt aber hätte man sie ihnen geraubt. Daher sei es nicht billig, daß sie noch dafür zollten; sondern die Athener müßten die Abgaben von den Ägineten, die sie hätten, eintreiben. Demnach sandten die Athener nach Agina und forderten die Bilder zurück; die Ägineten aber erklärten, sie hätten nichts mit den Athenern zu schaffen.

85. Nun sagen die Athener, sie hätten nach der Rückforderung einen Dreiruderer abgefertigt mit Gesandten aus ihren Bürgern, die im Namen aller in Agina ankamen und dort die Bilder, weil sie aus ihrem Holze angefertigt seien, aus den Fußgestellen zu reißen suchten, um sie nach Hause zu bringen. Da sie aber auf diese Weise nicht damit zustande kamen, hätten sie Seile darum geschlagen und die Bilder wegzuziehen versucht. Da sei unterm Ziehen ein Donner und zugleich mit dem Donner ein Erdstoß geschehen, und die Mannschaft des Dreiruderers, die da zog, sei darüber wahnsinnig geworden, und in diesem Zustande hätten sie einander wie Feinde umgebracht, so daß zuletzt nur ein einziger übriggeblieben und nach Phaleron zurückgekommen sei.

86. Die Athener sagen, es sei so zugegangen, die Ägineten aber, nicht mit einem Schiffe seien die Athener gekommen; denn eines und auch einige mehr würden sie, auch wenn sie selbst keine Schiffe gehabt hätten, leichtlich abgewehrt haben; sondern mit vielen Schiffen seien die Athener gegen ihr Land ausgefahren, und sie seien ihnen gewichen, ohne sich auf eine Seeschlacht einzulassen. Das wissen sie aber nicht mit Bestimmtheit zu sagen, ob sie deshalb wichen, weil sie sich eingestanden, daß sie für einen Seekampf zu schwach seien, oder weil sie tun wollten, was sie wirklich taten. Die Athener seien, da sich ihnen niemand zum Kampfe stellte, ans Land gestiegen und hätten sich mit den Bildern beschäftigt. Da sie nicht imstande waren, sie aus den Fußgestellen zu reißen, hätten sie Seile darum geschlagen und daran gezogen, bis endlich über dem Ziehen beide Bilder das zugleich getan hätten, was sie sagen, mir jedoch nicht glaubhaft erscheint, einem andern immerhin: daß sie nämlich auf die Knie gefallen und seither in dieser Stellung verblieben seien. Dies also hätten die Athener getan; sie aber, sagen die Ägineten, hätten gleich bei der Nachricht, daß die Athener gegen sie in den Krieg ziehen wollten, die Argiver in Bewegung gebracht, so daß, als die Athener auf Ägina landeten, auch schon die Argiver zu ihrer Hilfe dagewesen seien. Diese seien heimlich von Epidauros nach der Insel herübergekommen, hätten die Athener unerwartet überfallen und von ihren Schiffen abgeschnitten, und damit seien zugleich der Donner und der Erdstoß zusammengetroffen.

[Anmerkung:] 86. Die beiden Göttinnen waren kniend dargestellt, weil sie als Fruchtbarkeitsgöttinnen zugleich Geburtsgöttinnen waren. Die Sage behauptet, daß die Bilder ursprünglich stehende Göttinnen darstellten, die sich bei dieser Gelegenheit in kniende verwandelten. Das zweifelt Herodot an.

 

87. Dies hört man von den Argivern und Ägineten. Aber auch die Athener gestehen zu, daß nur einer von ihnen davongekommen und nach Attika zurückgekehrt sei; nur daß die Argiver sagen, durch sie sei das attische Heer vertilgt worden, von dem dieser eine übriggeblieben sei, die Athener aber, es sei durch die Gottheit geschehen, und auch dieser eine sei nicht übriggeblieben, sondern auf folgende Art umgekommen. Nach seiner Rückkunft nämlich verkündigte er in Athen die Niederlage. Auf diese Nachricht seien die Frauen der Männer, die gegen Ägina gezogen waren, in Wut darüber geraten, daß er allein von allen davongekommen war, hätten den Menschen von allen Seiten gepackt und ihn gestachelt mit den Spangen ihrer Gewänder, und dabei habe jede gefragt, wo ihr Mann sei. So sei der Mensch umgebracht worden. Den Athenern sei nun die Tat der Weiber schlimmer erschienen als die Niederlage. Da hätten sie die Weiber nicht anders zu strafen gewußt, als daß sie ihre Kleidung in die ionische umänderten. Vorher nämlich trugen die Weiber der Athener dorische Kleidung, die der korinthischen sehr ähnlich ist: diese veränderten sie also in den linnenen Leibrock, damit sie keine Spangen mehr führten.

[Anmerkung:] 87. Das dorische Frauengewand war darauf berechnet, daß auch die Frauen gymnastische Übungen vornahmen. Daher war es ärmellos und nur auf der linken Seite zugenäht, auf der rechten dagegen geschlitzt. Die Zipfel waren über beiden Schultern mit Nadelspangen zusammengesteckt und wurden bei den Übungen heruntergeschlagen. Das ionische Kleid war ein bis auf die Füße reichendes geschlossenes Hemd mit Ärmeln, machte also keine Spangen notwendig.

 

88. In Wahrheit ist aber diese Kleidung nicht ursprünglich ionisch, sondern karisch, da die alte hellenische Weiberkleidung überall dieselbe war, die wir jetzt die dorische nennen. Die Argiver aber und die Ägineten sollen aus demselben Anlasse vielmehr folgenden Brauch beide bei sich eingeführt haben, daß sie die Spangen noch um die Hälfte größer machten, als damals das Maß war, und daß die Frauen ins Heiligtum jener Göttinnen vornehmlich Spangen weihten, etwas Attisches aber überhaupt nicht vor das Heiligtum gebracht werden durfte, auch kein attisches Geschirr, sondern fürderhin aus inländischen Krügen daselbst getrunken werden mußte. So trugen die Frauen der Argiver und Ägineten auch noch zu meiner Zeit, den Athenern zum Spott, größere Spangen als vorher.

89. Die Feindschaft der Athener mit den Ägineten hatte also mit den geschilderten Ereignissen begonnen. Als die Ägineten jetzt von den Thebanern aufgefordert wurden, gedachten sie der Vorfälle mit den Bildern und kamen bereitwillig den Böotiern zu Hilfe. Also verheerten die Ägineten den Küstenstrich von Attika. Als aber die Athener sich aufmachten, gegen die Ägineten zu ziehen, kam ihnen die Weissagung aus Delphi: sie sollten von der Unbill der Ägineten an noch dreißig Jahre sich ruhig halten, im einunddreißigsten aber dem Aiakos einen heiligen Bezirk weihen und dann den Krieg gegen die Ägineten anfangen: so würden sie ihren Zweck erreichen. Wenn sie aber sogleich in den Krieg zögen, würden sie in der Zwischenzeit viel von den Feinden leiden und auch viel gegen sie ausrichten und sie sich schließlich unterwerfen. Als das den Athenern hinterbracht ward, weihten sie zwar dem Aiakos den Bezirk auf dem Markte, wo der Tempel jetzt noch steht; aber sie hielten es nicht aus, von dreißig Jahren zu hören, die sie sich noch ruhig halten sollten nach solcher Beleidigung von den Ägineten.

90. Als sie sich nun zur Rache rüsteten, kam ihnen ein neuer Handel von Sparta her in den Weg. Die Lazedämonier erfuhren nämlich, wie es die Alkmaioniden bei der Pythia, und die Pythia mit ihnen und den Peisistratiden angelegt hätte, und nun war es ihnen doppelt leid, sowohl ihre eigenen Gastfreunde aus deren Lande vertrieben zu haben, als auch offenbar von den Athenern keinen Dank zu ernten. Überdies waren ihnen auch die Sehersprüche ein Antrieb, die ihnen viel Unheil von den Athenern prophezeiten. Sie hatten bisher nichts von ihnen gewußt, waren jetzt aber durch Kleomenes, der sie nach Sparta brachte, damit bekannt geworden. Kleomenes kam nämlich auf der Burg der Athener in Besitz dieser Sprüche, die zuvor die Peisistratiden besessen, bei ihrer Vertreibung aber im Heiligtume gelassen hatten, in dem sie Kleomenes in seine Hand bekam.

[Anmerkung:] 90. Die Peisistratiden hatten sich eine Sammlung der angeblich von dem Seher Musaios herrührenden Orakelsprüche zugelegt. Man konnte in diesen Sprüchen alles finden, was man aus politischen Gründen brauchte. In Rom waren zu diesem Zwecke die Sibyllinischen Bücher da. Dazu bemerkt Jakob Burckhardt: »Athen besaß allerdings eine Gegenkraft, welche Rom nie hätte aufbringen können: den Hohn seiner Komiker.« – Aristophanes läßt in den »Vögeln« (414), sobald Wolkenkuckucksheim erbaut ist, einen Wahrsager auftreten, der einen Spruch des Bakis vorrätig hat, der auf den Bau deutet. Peisthetäros sucht ihn sich vom Leibe zu halten, indem er fragt:
Was hast du denn
Uns nicht den Spruch verkündet, eh' ich diese Stadt
Zu bauen anhub?
Der Wahrsager läßt sich aber nicht einschüchtern, sondern erwidert: »Götterwink verwehrte mir's.«

 

91. Als nun die Lazedämonier die Sprüche in der Hand hatten, auch sahen, wie die Athener erstarkten und keineswegs bereit waren, ihnen zu gehorchen, überlegten sie sich, daß im Zustande der Freiheit das attische Volk dem ihrigen wohl gewachsen, unterm Joche eines Machthabers aber schwach und zum Gehorchen bereit wäre. Indem sie das alles erwogen, ließen sie Hippias, den Sohn des Peisistratos, von Sigeion am Hellespont, dem Zufluchtsorte der Peisistratiden, kommen. Als nun Hippias auf ihren Ruf hinkam, ließen die Spartiaten auch von allen ihren Bundesgenossen Gesandte kommen und sprachen zu ihnen, wie folgt: »Ihr Bundesgenossen, wir gestehen uns selbst ein, nicht recht gehandelt zu haben. Denn durch verfälschte Weissagungen aufgeregt, haben wir unsere engsten Gastfreunde, die es zugleich auf sich nahmen, Athen für uns im Zaum zu halten, aus ihrem Vaterlande vertrieben. Wir haben, als das geschehen war, dem undankbaren Volke die Stadt übergeben, das, sowie es durch unsere Hilfe befreit wurde und den Kopf heben konnte, uns und unsern König beleidigt und aus dem Lande gestoßen hat und nun auf einmal in seinem Ruhme sich aufbläht. Das haben ihre Nachbarn, die Böotier und Chalkidier, erfahren müssen, und wird noch mancher erfahren, der den Fehler macht. Da wir ihn gemacht haben, als wir das ins Werk setzten, wollen wir jetzt mit euch darangehen, die Scharte an ihnen auszuwetzen. Denn ebendeswegen haben wir hier den Hippias, wie auch euch von den Städten, kommen lassen, damit wir mit gemeinsamem Beschlusse und gemeinsamer Macht ihn nach Athen zurückführen und ihm dort wiedergeben, was wir ihm dort nahmen.«

92. Das sagten sie, aber den meisten Bundesgenossen leuchteten ihre Reden nicht ein. Indessen verhielten sich die andern ruhig; nur Sosikles von Korinth sagte folgendes: »Nun wahrlich, da wird der Himmel unter der Erde und die Erde oben überm Himmel sein, und die Menschen werden ihr Wesen im Meere haben und die Fische da, wo vorher die Menschen, wenn ihr Lazedämonier die Gleichheit der Rechte aufzuheben und Machthaber in den Städten einzuführen anfangt, das ungerechteste Ding von der Welt und das greuelvollste. Ist es an dem, daß euch das zu frommen dünkt, wenn die Städte unter Machthabern stehen, so setzt zuerst bei euch selbst einen Machthaber ein und dann trachtet, sie auch bei den andern einzusetzen. Jetzt aber habt ihr selbst von Machthabern keine Erfahrung und seid scharf auf der Hut, daß so etwas in Sparta nicht aufkomme, nehmt die Sache aber bei den Bundesgenossen leicht. Hättet ihr selbst Erfahrung davon wie wir, so würdet ihr besser darüber zu sprechen wissen als jetzt.

Die Stadt Korinth hatte nämlich diese Verfassung: es war eine Herrschaft weniger, und diese, Bakchiaden genannt, walteten über die Stadt und heirateten aus ihrem Geschlechte in ihr Geschlecht. Amphion aber, einer von ihnen, hatte eine lahme Tochter, genannt Labda. Diese (denn es wollte sie kein Bakchiade freien) nahm Eetion, der Sohn des Echekrates, aus dem Gau Petra, aber aus dem Stamme der lapithischen Kaineiden. Aber weder von dieser Frau noch von einer andern bekam er Kinder. Daher wandte er sich nach Delphi wegen der Nachkommenschaft, und wie er eintrat, redete ihn die Pythia sogleich mit folgenden Worten an:

Niemand ehret, Eetion, dich; viel Ehre doch hast du;
Labda empfing; bald wird sie gebären den rollenden Block, der
Stürzt auf gebietende Männer und Strafe bringt den Korinthern.

Dieser Spruch für Eetion wurde den Bakchiaden hinterbracht, denen der frühere Orakelspruch für Korinth unverständlich gewesen war. Er lief auf dasselbe hinaus wie der für Eetion und lautete also:

Brütend im Felsen wird der Adler den Löwen erzeugen,
Reißend und stark, der einst wird vielen lösen die Knie.
Wägt das wohl im Herzen, Korinther, die an der Peirene
Lieblichem Quell ihr wohnt in der Stadt, die Hügel umkränzen.

Dieser früher erfolgte Spruch war also den Bakchiaden ein Rätsel; jetzt aber, da sie den Spruch für Eetion erfuhren, verstanden sie gleich auch den frühern, als übereinstimmend mit dem des Eetion. Da sie nun auch diesen verstanden, hielten sie sich ruhig, waren aber entschlossen, den Sohn, den Eetion bekommen sollte, umzubringen. Sobald die Frau niederkam, schickten sie zehn aus ihrer Mitte in den Gau, in dem Eetion ansässig war, um das Kindlein zu töten. Die kamen nach Petra, traten in den Hof Eetions und forderten das Kind. Labda, die nichts von dem wußte, weshalb sie kamen, und glaubte, sie verlangten es aus Freundschaft für den Vater, brachte es und gab es einem von ihnen in die Hände. Nun hatten sie unterwegs ausgemacht, der erste, der das Kind bekomme, solle es auf den Boden schleudern. Wie es nun Labda herbeibrachte, mußte gerade das Kind den, der es bekam, nach göttlicher Schickung anlächeln, und er nahm das wahr und konnte es nun nicht übers Herz bringen, es zu töten. Weil es ihm das Herz bewegte, gab er's dem zweiten, der dem dritten, und so kam es von einem zum andern bei allen zehn herum, und keiner wollte es umbringen. So hatten sie das Kindlein der Mutter zurückgegeben und waren wieder hinausgegangen und standen an der Tür, und jeder fuhr den andern an, er sei schuld. Besonders schalten sie den, der es zuerst in der Hand gehabt hatte, weil er nicht getan habe, was ihr Beschluß war, bis sie endlich nach einer Weile beschlossen, wieder hineinzugehen und es alle zugleich zu morden. Aber es sollte aus Eetions Stamm Korinth Unheil erwachsen. Labda hatte nämlich hinter derselben Tür das alles angehört, befürchtete, sie möchten sich eines andern besinnen, das Kindlein zum zweitenmal nehmen und es wirklich töten, ging also hin und versteckte es da, wo sie glaubte, daß man es am wenigsten finden könne, in einem Kasten. Sie wußte wohl, daß sie, wenn sie wieder umkehrten und es haben wollten, alles durchforschen würden, was auch wirklich geschah. Wie sie nun kamen und suchten, ohne es finden zu können, beschlossen sie, heimzugehen und denen, die sie gesandt hatten, zu sagen, sie hätten alles nach ihrem Auftrage getan. Also kehrten diese zurück und sagten das; dem Eetion aber wuchs dann sein Sohn heran und bekam, weil er dieser Gefahr entgangen war, von dem Kasten den Namen Kypselos. Als aber Kypselos, zum Manne gereift, sich eine Weissagung holte, erhielt er ein doppelsinniges Orakel in Delphi, das ihn ermutigte, so daß er Korinth in seine Hand zu bekommen suchte und bekam. Dieser Spruch war folgender:

Glücklicher Mann, der heut eintritt in meine Behausung,
Kypselos, du, Eetions Sohn, des berühmten Korinthos
König, du selbst und die Söhne, die Söhne der Söhne mitnichten.

So lautete der Orakelspruch. Kypselos aber war als Machthaber ein Mann von der Art, daß er viele der Korinther vertrieb, viele ihrer Güter beraubte, noch viel mehr aber ihres Lebens. Nachdem dieser dreißig Jahre lang geherrscht und sein Leben glücklich beschlossen hatte, ward sein Nachfolger in der Machthaberschaft sein Sohn Periandros. Dieser Periandros war zu Anfang milder als sein Vater; seit er aber durch Boten mit Thrasybulos, dem Machthaber von Milet, verkehrte, ward er noch viel blutdürstiger als Kypselos. Er hatte sich nämlich bei Thrasybulos durch einen Herold erkundigt, wie er die sicherste Einrichtung treffen möge, um seine Stadt aufs beste zu verwalten. Thrasybulos führte den Boten des Periandros vor die Stadt hinaus und zu einem bestellten Acker. Während er durch das Korn ging, fragte er den Herold immer noch einmal, weshalb er aus Korinth hergekommen sei, und riß zugleich jede Ähre, die er hervorragen sah, ab und warf sie weg, bis er das Korn gerade da, wo es am schönsten und reichlichsten stand, solchergestalt verwüstet hatte. So ging er durch das Feld, gab dem Herold nicht mit einem Worte einen Rat und entließ ihn wieder. Bei der Rückkunft des Herolds nach Korinth war Periandros begierig, den Rat zu vernehmen. Darauf erklärte derselbe, Thraspbulos habe ihm keinen Rat gegeben, und er wundere sich über ihn, daß er ihn zu einem solchen Manne schicke, einem wahren Verrückten, der auf seinen eigenen Schaden ausgehe. Sodann erzählte er, was er von Thrasybulos gesehen hatte. Periandros aber, der den Streich verstand und wohl begriff, daß Thrasybulos ihm riet, die hervorragenden Bürger zu morden, verübte nunmehr jede Grausamkeit gegen die Bürger. Denn was Kypselos noch ungetötet und unverfolgt gelassen hatte, damit räumte nun Periandros auf. An einem Tage zog er alle korinthischen Frauen aus, um seiner Frau Melissa willen. Er hatte nämlich zu den Thesprotern am Acheronflusse Boten ans Totenorakel geschickt, wegen eines Pfandes von einem Gastfreunde. Darauf erschien Melissa und sagte, sie gebe ihm kein Zeichen und keine Auskunft, wo das Pfand liege; denn sie friere und sei nackt; die Kleider nämlich, die er mit ihr bestattet habe, hülfen ihr nichts, da sie nicht verbrannt worden seien. Sie gebe ihm dies Zeichen, daß sie die Wahrheit sage: Periandros habe das Brot in den kalten Ofen geschoben. Wie nun diese Antwort dem Periandros gemeldet ward, ließ er (denn das Wahrzeichen überzeugte ihn, da er den Leichnam Melissas beschlafen hatte) sofort nach dieser Meldung durch einen Herold ausrufen, alle korinthischen Frauen sollten ins Heraheiligtum gehen. Die gingen denn, wie zu einem Feste, in ihrem schönsten Schmucke hin; er aber stellte unterderhand seine Trabanten auf und zog sie alle ohne Unterschied aus, die Freien wie die Dienerinnen, häufte die Kleider in einer Grube auf und verbrannte sie unter Gebet an Melissa. Als er das getan hatte und zum zweitenmal hinsandte, gab ihm der Schatten Melissas den Ort an, wohin sie das Pfand des Gastfreundes gelegt hatte.

Seht, ihr Lazedämonier, ein solches Ding ist die Machthaberschaft, solches sind ihre Werke. Uns Korinther nahm es gleich damals sehr wunder, wie wir sahen, daß ihr den Hippias kommen ließt; jetzt aber ist unsere Verwunderung noch größer, daß ihr also redet, und wir beschwören euch bei den hellenischen Göttern, keine Machthaber in den Städten einzusetzen. Laßt ihr jedoch nicht ab, sondern versucht ihr wider Recht, den Hippias heimzuführen, so wißt, daß die Korinther wenigstens euch nicht beistimmen.«

[Anmerkung:] 92. Der Lapithe Kaineus war unverwundbar. Als die Lapithen bei der Hochzeit des Peirithoos mit den Zentauren kämpften, wurde Kaineus von den Zentauren, die Bäume und Steine auf ihn schleuderten, in die Erde versenkt. Von diesem mythischen Helden leitete Eetion sein Geschlecht ab. Eetion wird in dem Orakelspruche der im Felsen brütende Adler genannt, weil sein Name ähnlich klingt wie Aietos, das Adler heißt, und weil Petra, aus dem er stammt, Felsen heißt. – Die Peirene entspringt am Burgfelsen von Korinth. – Die Ableitung des Namens Kypselos von Kypsele, das Kasten bedeutet, scheint zur Entstehung der ganzen Sage geführt zu haben. Sie war wohl zunächst eine Familiensage der Kypseliden, die denn auch einen kostbaren, mit vielen Bildern aus der griechischen Sage geschmückten Kasten, in dem angeblich ihr Ahnherr gerettet worden war, als Weihgeschenk im Heratempel zu Olympia niederlegten. Der Name Kypselos kommt auch sonst vor, ohne daß von den Trägern desselben ein entsprechendes Jugenderlebnis erzählt wird. – Zu dem Bericht über die Schandtaten des Periandros bemerkt Jakob Burckhardt: »Was ist nun aber am ganzen Herodoteischen Periander wirklich historisch? Zunächst hat wohl eine lange bloß mündlich gebliebene Überlieferung die Sachen zurechtgelegt und geschärft – von wem aber stammte dieselbe her? Doch hauptsächlich von den Korinthern, was aber diese verrufene Stadt von wüsten Phantasien aufbringen konnte, wird sie ihrem Gewaltherrscher angehängt haben. Keine Kritik mehr wird hier Wahres und Ersonnenes zu scheiden vermögen.« – Der Name Melissa scheint kein Eigenname zu sein, sondern eine Art von Amtsbezeichnung. Die Priesterinnen der Demeter hießen Melissen, und Demeter war nicht nur Göttin des Getreidebaues, sondern auch Totengöttin. Da Melissa als redende Tote in der Geschichte des Periandros auftritt, scheint es sich hier um eine sehr alte Sage zu handeln, die mit dem Kultus der Unterirdischen zusammenhängt. Herodot redet nicht gern von den Mysterien. Möglicherweise handelte die Geschichte ursprünglich von einer scheußlichen Gewalttat, die Periandros an einer Priesterin verübt haben sollte, und dann durch einen neuen Gewaltakt an allen Korintherinnen zu sühnen suchte. – Die Art, wie in diesem Riesenkapitel die Geschichte Korinths in eine Rede hineingepackt wird, mutet uns unwahrscheinlich an. Herodot war aber sicher stolz darauf, immer neue Anknüpfungen und Einkleidungen für seine »Geschichten« zu finden. Gerade die Reden galten als der persönliche Anteil des Geschichtschreibers, und die Vereinigung einer fesselnden Erzählung mit einer wirkungsvollen Rede war der Gipfelpunkt der Kunst. Er war es wenigstens für Herodot, der vor allem auf seine Erzählungskunst stolz ist.

 

93. Dieses sagte Sosikles als Gesandter Korinths. Hippias aber entgegnete ihm: wahrlich, bei denselben Göttern, die er angerufen habe, die Korinther würden noch am allermeisten die Peisistratiden schmerzlich vermissen, wenn die beschiedenen Tage kämen, da sie von den Athenern ihr Teil leiden müßten. Solches entgegnete Hippias, der von den alten Sehersprüchen die bestimmteste Kenntnis hatte. Die übrigen Bundesgenossen aber waren bisher ruhig geblieben; als sie aber die freie Sprache des Sosikles gehört hatten, brach einer wie der andere das Schweigen und entschied sich für die Meinung des Korinthers, und alle beschworen die Lazedämonier, keine Neuerung in einer hellenischen Stadt anzustellen. So wurde der Sache ein Ende gemacht.

94. Dem Hippias aber wollten, als er von dort abzog, Amyntas von Mazedonien Anthemus, und die Thessalier Iolkos schenken. Doch er nahm keines von beiden an und zog sich wieder nach Sigeion zurück, das Peisistratos mit Waffengewalt den Mytilenaiern weggenommen und, als er's gewonnen hatte, zum Machthaber daselbst den Hegesistratos eingesetzt hatte, seinen Bastardsohn von einer argivischen Frau. Dieser behauptete nicht ohne Kampf, was er von Peisistratos bekommen hatte. Es war nämlich von der Stadt Achilleion aus und von Sigeion lange Zeit Krieg zwischen den Mytilenaiern und den Athenern, da jene das Land zurückforderten und die Athener nicht nachgaben, sondern dartaten, daß die Äolier nicht mehr Anspruch ans ilische Land hätten als sie und alle andern Hellenen, die mit Menelaos den Raub der Helena rächten.

[Anmerkung:] 94. Achilleion war als Gegenfestung gegen Sigeion von den Mytilenaiern angelegt worden.

 

95. In diesem Kriege geschah gar mancherlei in ihren Schlachten; namentlich hat aber der Dichter Alkaios in einem Treffen, in dem die Athener siegten, sich zwar durch die Flucht gerettet, aber seine Waffen in den Händen der Athener gelassen, die sie in Sigeion am Atheneheiligtume aufgehängt haben. Dies hat Alkaios in ein Lied gebracht, das er nach Mytilene schickte, um sein Unglück seinem Freunde Melanippos zu melden. Den Streit der Mytilenaier und Athener aber schlichtete Periandros, der Sohn des Kypselos; denn diesen ließen sie Schiedsrichter sein, und zwar schlichtete er ihn dahin, daß jeder Teil, was er habe, behalten solle. So kam Sigeion unter die Herrschaft der Athener.

[Anmerkung:] 95. Alkaios (um 600 v. Chr.), adliger Dichter, dessen Trinklieder Horaz nachgeahmt hat. Lessing sagt in seinen »Rettungen des Horaz« von Alkaios: »Dieser Grieche war so wenig ein bloßer Poete, daß er vielmehr die Poesie nur dessentwegen zu lieben schien, weil er durch sie seinen Haß wider die Unterdrücker des Vaterlandes am nachdrücklichsten erklären konnte. Er war der Gegner des Pittakos, der die Oberherrschaft in Mytilene mit Gewalt an sich riß, und den ein paar Sittensprüche, die noch so ziemlich sind, unter die Zahl der sieben Weisen gesetzt haben. Sein Unglück wollte, daß er nicht allein diesem seinem Feinde in die Hände fiel, sondern auch in einem Treffen, welches die Athenienser wider die von Lesbos gewannen, sein Leben mit der Flucht retten und seine Waffen im Stiche lassen mußte. Man weiß, daß er diesen Umstand in seinen eignen Gedichten nicht verschwiegen hat und ihn auch nicht zu verschweigen brauchte, weil er schon zuviel Proben von seiner Tapferkeit gegeben hatte, als daß ihm dieser Zufall hätte nachteilig sein können.«

 

96. Hippias aber setzte, wie er aus Lazedämon nach Asien kam, alles in Bewegung, indem er die Athener bei Artaphernes verleumdete und alles tat, um Athen sich und dem Dareios zu unterwerfen. So trieb es Hippias, und die Athener, die das erfuhren, schickten Gesandte nach Sardes, die Perser sollten den athenischen Vertriebenen nicht Gehör geben. Darauf hieß sie Artaphernes, wenn sie wohl fahren wollten, den Hippias wieder aufnehmen. Allein diesem Befehl wollten sich die Athener, als sie ihn erhielten, nicht fügen, und wollten sich also lieber mit den Persern auf offenen Kriegsfuß stellen.

97. Als sie so dachten und bei den Persern bereits verleumdet waren, gerade da kam nun auch Aristagoras von Milet, den der Lazedämonier Kleomenes aus Sparta ausgewiesen hatte, nach Athen, weil diese Stadt unter den übrigen die stärkste Macht hatte. Aristagoras ging vor das Volk und sagte dasselbe wie in Sparta von den Gütern Asiens und vom Kriege der Perser, wie sie nicht Schild, noch Lanze führten und leicht zu bändigen seien. Das sagte er und fügte noch hinzu, daß die Milesier Abkömmlinge der Athener seien, und daß es billig sei, daß sie von ihnen, die viel vermöchten, gerettet würden. Er versprach alles mögliche unter so angelegentlichem Bitten, daß er sie dazu brachte; denn viele, muß man denken, sind wohl leichter zu beschwatzen als einer, da er den einzigen Kleomenes von Lazedämon nicht zu beschwatzen vermochte, bei dreißigtausend Athenern aber dieses ausrichtete. Die Athener ließen sich also überreden und beschlossen, den Ioniern zwanzig Schiffe zu Hilfe zu schicken, zu deren Anführer sie den Melanthios machten, einen Bürger der Stadt, der großes Ansehen genoß. Diese Schiffe waren der Anfang des Unheils für Hellenen und Barbaren.

98. Aristagoras aber fuhr vorher ab und kam nach Milet, wo er einen Rat ausdachte, der den Ioniern zu keinem Nutzen gereichen sollte; doch deswegen tat er's auch nicht, sondern um den König Dareios zu kränken. Er schickte nämlich einen Mann nach Phrygien zu den Paionen, die vom Strymonflusse her durch Megabazos in die Gefangenschaft geführt waren und nun in Phrygien in einem Landstriche und Flecken für sich wohnen mußten. Der Mann kam zu den Paionen und sagte folgendes: »Ihr Paionen, mich sendet Aristagoras, der Machthaber von Milet, um euch zu eurer Rettung zu verhelfen, wenn ihr ihm folgen wollt. Denn es ist jetzt ganz Ionien vom Könige abgefallen, und dadurch habt ihr Gelegenheit zur Rettung und Rückkehr in eure Heimat. Bis ans Meer müßt ihr euch selbst helfen, dann aber wollen wir dafür sorgen.« Wie die Paionen dies hörten, war es ihnen herzlich willkommen, und so nahmen sie ihre Weiber und Kinder und entrannen ans Meer; einige aber von ihnen blieben aus Furcht an Ort und Stelle zurück. Wie nun die Paionen ans Meer kamen, setzten sie von da nach Chios über. Als sie bereits auf Chios waren, kamen ihnen persische Reiter auf dem Fuße nach, die sie in starker Zahl verfolgten und nun, da sie ihrer nicht habhaft wurden, den Paionen nach Chios entboten, sie möchten wieder zurückkommen. Dazu verstanden sich die Paionen nicht, sondern von Chios führten die Chier sie nach Lesbos, und die Lesbier brachten sie nach Doriskos, von wo sie zu Land weiterzogen und nach Paionien kamen.

99. Aristagoras aber, als nun die Athener ankamen mit zwanzig Schiffen und mit ihnen fünf Dreiruderer von den Eretriern, die nicht um der Athener, sondern um der Milesier selbst willen auszogen, zum schuldigen Danke (weil nämlich die Milesier früher den Eretriern im Kriege gegen die Chalkidier Beistand geleistet hatten, während den Chalkidiern gegen die Eretrier und Milesier die Samier beistanden) – als diese also ankamen und auch die andern Bundesgenossen zur Stelle waren, unternahm Aristagoras einen Kriegszug gegen Sardes. Er selbst zog allerdings nicht in den Krieg, sondern blieb in Milet, ernannte aber andere zu Feldherren über die Milesier, so Charopinos, seinen Bruder, und Hermophantos, auch einen Bürger der Stadt.

100. Mit diesem Heere kamen die Ionier nach Ephesos, ließen ihre Schiffe zu Koressos im Ephesischen und rückten ins Land mit starker Macht, wobei sie sich von Ephesern führen ließen. Sie zogen längs dem Flusse Kaystrios hin, gingen sodann über den Tmolos und nahmen Sardes, ohne daß sich ihnen jemand entgegenstellte, und zwar außer der Burg ganz Sardes; die Burg aber hielt Artaphernes selbst mit seiner nicht geringen Mannschaft.

101. Daß sie aber die eingenommene Stadt nicht plünderten, das verhinderte folgendes. In Sardes waren die Häuser zum größten Teil von Rohr, und auch die aus Backsteinen erbauten hatten alle Dächer von Rohr. Eines davon steckte nun ein Kriegsmann in Brand, und alsbald lief das Feuer von Haus zu Haus und ergriff die ganze Stadt. Da nun die Stadt brannte, mußten die Lyder und die von den Persern, die in der Stadt waren, rings eingeschlossen vom Feuer, das an allen Enden loderte, da sie keinen Ausweg aus der Stadt hatten, auf dem Markte zusammenlaufen und am Paktolosfluß, der mit dem Goldsande, den er ihnen vom Tmolos herabführt, mitten durch den Markt fließt und hernach in den Fluß Hermos mündet und mit diesem ins Meer. An diesem Paktolos also und auf dem Markte zusammengedrängt, waren die Lyder und Perser gezwungen, sich zu wehren. Wie aber die Ionier sahen, daß ein Teil der Feinde sich wehre und noch ein anderer großer Haufen sich heranwälze, zogen sie in Furcht sich an den Berg zurück, welcher Tmolos heißt, und von da kehrten sie bei Nachtzeit zu ihren Schiffen zurück.

102. Indessen Sardes brannte ab und darin das Heiligtum der Landesgöttin Kybebe. Als Vergeltungsmaßregel dafür verbrannten die Perser später die Heiligtümer in Hellas. Damals aber kamen, als die Nachricht sie erreichte, die Perser der Kreise diesseits des Halysstromes zu ihren Sammelplätzen und eilten den Lydern zu Hilfe. Sie fanden freilich die Ionier nicht mehr in Sardes, folgten ihnen aber auf den Fersen und erreichten sie bei Ephesos. Nun stellten sich ihnen die Ionier entgegen, wurden aber im Treffen bei weitem überwunden; die Perser erschlugen ihrer viele und unter anderen namhaften Männern auch Eualkides, den Eretrierfeldherrn und bekränzten Sieger mancher Wettkämpfe, den auch Simonides von Keos mehrfach gefeiert hat. Die aber, die aus der Schlacht entkamen, zerstreuten sich in ihre Städte.

[Anmerkung:] 102. Kybebe oder Kybele, die phrygische Muttergottheit, die namentlich auf dem Berge Dindymon bei Pessinus verehrt wurde. Ihr mit Orgien verbundener Kult verbreitete sich später auch zu den Römern, die sie Magna Mater (Große Mutter) nannten. – Simonides von Keos (556-468 v. Chr.) dichtete Elegien und Epigramme, von denen die Grabinschrift der Thermopylenkämpfer am berühmtesten wurde: »Es galt keineswegs für leicht, etwas recht rein und leuchtend zu sagen«, bemerkt Nietzsche (»Menschliches, Allzumenschliches«, Band II, S. 104), »woher sonst die hohe Bewunderung für das Epigramm des Simonides, das ja so schlicht sich gibt, ohne vergoldete Spitzen, ohne Arabesken des Witzes – aber es sagt, was es zu sagen hat, deutlich, mit der Ruhe der Sonne, nicht mit der Effekthascherei eines Blitzes.«

 

103. So stritten sie damals. Darauf verließen aber die Athener die Ionier gänzlich, und auf des Aristagoras vielmalige Aufforderung durch Boten erklärten sie, ihnen nicht beistehen zu wollen. Die Ionier sahen sich zwar der Bundesgenossenschaft der Athener beraubt, rüsteten sich aber (weil sie doch einmal so weit gegen Dareios gegangen waren), um nichts weniger zum Kriege wider den König. Sie fuhren nun nach dem Hellespont und brachten Byzanz samt allen andern dortigen Städten unter ihre Botmäßigkeit, fuhren wieder aus dem Hellespont zurück und gewannen den größten Teil von Karien zu Bundesgenossen, wie ihnen denn auch Kaunos, das ihnen früher die Bundesgenossenschaft verweigerte, jetzt, da sie Sardes verbrannt hatten, gleichfalls beitrat.

104. Die Zyprier aber traten ihnen außer den Amathusiern alle freiwillig bei; denn auch sie waren folgendermaßen von den Medern abgefallen: Onesilos war der jüngere Bruder des Gorgos, des Königs von Salamis, und der Sohn des Chersis, des Sohnes des Siromos, des Sohnes des Euelthon. Dieser Onesilos hatte schon früher dem Gorgos oftmals zugeredet, vom Könige abzufallen und lag ihm vollends jetzt, als er auch den Abfall der Ionier erfuhr, immer damit an. Da er ihn aber nicht dazu brachte, so wartete Onesilos die Zeit ab, bis er einmal aus der Stadt Salamis ging, und schloß mit seinen Anhängern die Tore hinter ihm ab. So verlor Gorgos seine Stadt und floh zu den Medern, und Onesilos herrschte über Salamis und brachte alle Zyprier dazu, mit abzufallen; alle andern brachte er dazu: die Amathusier aber, die ihm nicht folgen wollten, belagerte er förmlich.

105. Onesilos belagerte also Amathus. Der König Dareios aber, dem gemeldet ward, Sardes sei erobert und verbrannt von Athenern und Ioniern, und der Anführer dieser Zusammenrottung, der alles das angezettelt habe, sei Aristagoras von Milet, habe zuerst, sagt man, bei dieser Nachricht, ohne der Ionier zu achten, da er gut wußte, daß ihnen ihr Abfall nicht so hingehen werde, nur gefragt, wer die Athener seien. Darauf habe er, als man ihn davon unterrichtete, seinen Bogen gefordert, ihn genommen, einen Pfeil darauf gelegt und ihn nach dem Himmel hinaufgeschnellt. Während er in die Luft schoß, habe er gesprochen: »Zeus, es werde mir Rache an den Athenern!« Nach diesen Worten habe er einem seiner Diener aufgetragen, ihm jedesmal, wenn das Mahl angerichtet sei, dreimal vorzusagen: »Gebieter, gedenke der Athener!«

106. Nach diesem Auftrage rief Dareios den Histiaios von Milet vor sein Angesicht, den er schon lange Zeit festhielt, und sprach: »Ich erfahre, Histiaios, daß dein Verwalter, dem du Milet zu verwalten gabst, eine Empörung gegen mich angezettelt hat. Denn er hat mir Leute aus dem andern Festlande herübergezogen, hat nebst ihnen die Ionier, die mir ihre Streiche noch büßen sollen, auch mitzugehen überredet und hat mich um Sardes gebracht. Nun denn, wie gefällt dir das? Wie sollte das ohne Anschläge von dir geschehen sein? Sieh zu, daß du nicht am Ende selbst die Schuld trägst!« Darauf sprach Histiaios: »König, welch ein Wort läßt du da verlauten? Ich hätte einen Anschlag gemacht, aus dem dir eine Kränkung, gleichviel ob groß oder klein, entstehen sollte? Aus welcher Absicht käme ich denn dazu? Aus welcher Not? Der ich alles, was du hast, auch habe und deines Vertrauens in allen Beratungen gewürdigt werde? Nein, wenn mein Verwalter solche Dinge vornimmt, wie du sagst, so wisse, daß er es auf eigene Faust vorgenommen hat. Überhaupt will mir's gar nicht zu Sinne, daß die Milesier und mein Verwalter einen Aufruhr gegen deine Macht beginnen sollten. Wenn sie jedoch so etwas tun und du die Wahrheit gehört hast, so sieh, König, was du getan hast, indem du mich von der Küste weg versetztest. Denn die Ionier, so muß man denken, haben nun, da ich ihnen aus den Augen war, getan, wozu sie längst ein Verlangen hatten; wäre ich aber in Ionien gewesen, so hätte sich keine Stadt gerührt. Nun, so laß mich denn alsbald nach Ionien reisen, damit ich dir dort alles wieder in seine Ordnung bringe und diesen Verwalter von Milet, der das angestellt hat, in deine Hände liefere. Und habe ich das nach deinem Sinne getan, so schwöre ich dir bei den königlichen Göttern, nicht eher das Kleid auszuziehen, in dem ich nach Ionien hinuntergehe, als bis ich dir Sardo, die größte Insel, zinsbar gemacht habe.«

[Anmerkung:] 106. Sardinien stand bis zum dritten Jahrhundert v. Chr. in dem unverdienten Rufe, die größte von allen Inseln zu sein.

 

107. Das sagte Histiaios, um ihn zu beschwatzen, und Dareios nahm es an und entließ ihn mit dem Befehl, sich, wenn er sein Versprechen in Ausführung gebracht habe, wieder in Susa bei ihm einzufinden.

108. Während aber die Botschaft von Sardes zum Könige hinauflief, dann Dareios das mit dem Bogen vornahm und darauf mit Histiaios das Gespräch führte, dann Histiaios nach seiner Entlassung von Dareios nach der Küste reiste – während dieser ganzen Zeit geschah folgendes: Dem Salaminier Onesilos wurde, während er Amathus belagerte, hinterbracht, Artybios, ein Perser, sei mit einem großen persischen Heere zu Schiffe und komme nächstens nach Zypern. Auf diese Nachricht hin sandte Onesilos Boten zu den Ioniern und rief sie herbei. Die Ionier besannen sich auch nicht lange und kamen mit einem großen Schiffsheere. So erschienen nun die Ionier auf Zypern, und auch die Perser waren auf Schiffen von Zilizien herübergekommen und gingen auf Salamis zu Lande los; mit ihren Schiffen fuhren aber die Phönizier um das Vorgebirge herum, das »die Schlüssel von Zypern« heißt.

[Anmerkung:] 108. »Die Schlüssel von Zypern«: Eine kleine Inselgruppe an der Ostseite Zyperns. Der Name ging dann auf das ihnen gegenüberliegende Vorgebirge (Kap Andre) über.

 

109. Als das so weit war, beriefen die Machthaber von Zypern die Kriegsobersten der Ionier und sagten: »Ihr Ionier, wir Zyprier geben euch die Wahl, welche von beiden ihr angreifen wollt, die Perser oder die Phönizier. Wollt ihr euch nämlich zu Lande aufstellen und mit den Persern messen, so wäre es an der Zeit, daß ihr aus den Schiffen steigt und euch zu Lande aufstellt, wir aber in eure Schiffe steigen, um den Phöniziern die Stirn zu bieten; wollt ihr euch aber lieber mit den Phöniziern messen, so müßt ihr es jedenfalls dahin bringen, ob ihr nun dieses oder jenes wählt, daß, soviel an euch ist, Ionien und Zypern frei werden.« Darauf sprachen die Ionier: »Uns hat die Gesamtheit der Ionier ausgeschickt, um das Meer zu hüten, und nicht dazu, unsere Schiffe den Zypriern zu übergeben und die Perser zu Lande anzugreifen. So wollen wir denn in dem, wozu wir aufgestellt sind, uns wacker zu halten suchen; euch aber steht es zu, in Erinnerung dessen, was ihr als Knechte von den Medern littet, euch als brave Männer zu zeigen.« Das war die Antwort der Ionier.

110. Als darauf die Perser auf das Feld von Salamis kamen, nahmen die Könige der Zyprier ihre Stellung so, daß sie die andern Zyprier dem andern Heervolke der Feinde, die Salaminier und Solier aber mit ihrem auserlesenen Kern den Persern gegenüberstellten. Dem Artybios, dem Feldherrn der Perser, stellte sich freiwillig Onesilos gegenüber.

[Anmerkung:] 110. Solier: Die Stadt Soloi lag an der Nordküste Zyperns.

 

111. Nun ritt Artybios ein Pferd, das abgerichtet war, sich gegen einen Gewappneten auf die Hinterbeine zu stellen. Das erfuhr Onesilos; er hatte aber einen Waffenträger, der von Geburt Karer, ein sehr tüchtiger Kriegsmann und voller Entschlossenheit war. Zu diesem sprach er: »Ich erfahre, daß sich das Pferd des Artybios auf die Hinterbeine stellt und mit Füßen und Gebiß jeden niedermacht, gegen den es gelenkt wird. Überlege das und sage mir sofort, wen von beiden du mit deinem Schlage treffen willst, das Pferd oder den Artybios selbst!« Darauf sprach sein Diener: »Mein König, ich bin in gleicher Weise bereit, so beides zu tun oder eines von beiden, und tue überhaupt, was du befiehlst; was mir indessen am rätlichsten scheint, will ich angeben. Ein König und Feldherr muß, meine ich, auf einen König und Feldherrn losgehen; erlegst du nämlich einen Feldhauptmann, so ist das eine große Tat, und andererseits, erlegt er dich, was nicht geschehen möge, so ist selbst der Tod durch einen Ebenbürtigen nur ein halb so großes Unglück. Wir Diener aber müssen wieder auf Diener losgehen, wie auch auf ein Pferd, und dessen Künste fürchte du nicht: denn das verspreche ich dir, es soll sich nie wieder gegen einen Menschen aufbäumen.«

112. So sprach er, und gleich darauf fing die Schlacht an, zu Lande und zur See. Zur See taten sich die Ionier an diesem Tage wacker hervor und überwanden die Phönizier, und dabei zeichneten sich die Samier aus; zu Lande aber rückten die Heere gegeneinander und wurden handgemein, und da geschah folgendes mit den beiden Feldherren. Als Artybios auf seinem Pferde gegen Onesilos ansprengte, schlug dieser, wie er es mit seinem Waffenträger verabredet hatte, auf Artybios selbst, wie er herankam, los, und da das Pferd sich mit den Füßen auf den Schild des Onesilos warf, so schlug der Karer mit einem Krummschwert zu und hieb dem Pferde die Füße ab. So fiel dort Artybios, der Perserfeldherr, samt seinem Pferde.

113. Da nun auch die andern im Kampfe waren, entwich Stesenor, Machthaber von Kurion, verräterisch mit seiner nicht kleinen Heerschar aus der Schlacht. Diese Kurier sollen aber Abkömmlinge der Argiver sein. Als die Kurier entwichen, machten es sogleich die Streitwagen der Salaminier ebenso wie die Kurier. Sobald das geschah, bekamen die Perser die Oberhand über die Zyprier. Da nun das Heer die Flucht ergriff, fiel eine große Menge, namentlich auch Onesilos, der Sohn des Chersis, der den Abfall der Zyprier bewirkt hatte, und auch der König der Solier, Aristokypros, der Sohn des Philokypros, und zwar des Philokypros, den der Athener Solon, als er nach Zypern kam, in einem Gedichte vor allen Machthabern pries.

[Anmerkung:] 113. Kurion lag an der Südküste der Insel.

 

114. Dem Onesilos schnitten die Amathusier, weil er sie belagert hatte, den Kopf ab und trugen ihn nach Amathus, wo sie ihn über dem Tore aufhängten. Als aber der Kopf da hing und bereits hohl war, zog sich ein Bienenschwarm hinein und füllte ihn mit Waben aus. Da dieses geschah und nun die Amathusier einen Orakelspruch darüber einholten, ward ihnen geweissagt, den Kopf sollten sie herunternehmen und bestatten und dem Onesilos alljährlich opfern, als einem Heros; und wenn sie das täten, werde es ihnen zum Frommen gereichen. Das taten auch die Amathusier noch bis zu meiner Zeit.

[Anmerkung:] 114. »Bis zu meiner Zeit«: Herodot besuchte Zypern auf seiner Reise nach Ägypten und hat die Geschichte des tapfern Onesilos sicher in Amathus selbst gehört.

 

115. Die Ionier aber, die bei Zypern zur See gefochten hatten, erfuhren nun den Untergang des Onesilos, und daß alle Städte der Zyprier außer Salamis belagert wurden, dieses aber von den Salaminiern dem Gorgos, ihrem vorigen Könige, übergeben war. Sowie die Ionier das erfuhren, eilten sie gleich nach Ionien zurück. Von den Städten auf Zypern hielt aber Soloi die längste Belagerung aus. Erft als die Perser seine Mauern rings untergruben, nahmen sie es im fünften Monat.

116. Die Zyprier wurden also nach einjähriger Freiheit aufs neue wieder verknechtet. Die Ionier aber, die den Kriegszug nach Sardes gemacht hatten, wurden von Daurises, der eine Tochter des Dareios zur Frau hatte, und von Hymeas, Otanes und andern Perserfeldherren, die gleichfalls mit Töchtern des Dareios vermählt waren, verfolgt und auf die Schiffe gejagt. Nach gewonnener Schlacht verteilten die Feldherrn die Städte unter sich und verheerten sie.

117. Daurises, der sich gegen die hellespontischen Städte wandte, nahm Dardanos, nahm Abydos und Perkote, Lampsakos und Paisos, Tag für Tag eine Stadt. Als er aber von Paisos gegen die Stadt Parion zog, kam ihm Botschaft zu, daß die Karer gemeinschaftliche Sache mit den Ioniern gemacht hätten und von den Persern abgefallen seien. Da verließ er den Hellespont und führte sein Heer gegen Karten.

118. Aber das wurde den Karern noch vorher angezeigt, ehe Daurises ankam. Auf diese Nachricht versammelten sich die Karer auf den sogenannten Weißen Säulen am Flusse Marsyas, der aus der Landschaft Idrias kommt und in den Mäander mündet. Da die Karer hier versammelt waren, wurden viele Ratschläge vorgebracht, insbesondere einer, der nach meinem Dafürhalten der beste war, von Pixodaros, dem Sohne des Mausolos, einem Kindyer, der mit der Tochter des zilizischen Königs Syennesis vermählt war. Dieses Mannes Meinung ging dahin, die Karer sollten über den Mäander gehen und so den Fluß während der Schlacht im Rücken haben. Dann werde die Flucht den Karern unmöglich sein, sie würden zum Standhalten gezwungen sein und sich noch tapferer zeigen, als sie von Natur wären. Diese Meinung aber ging nicht durch, sondern die, daß nicht sie, sondern vielmehr die Perser den Mäander in den Rücken bekommen sollten, damit nämlich die Perser, wenn sie die Flucht ergriffen und im Treffen unterlägen, nicht davonkämen, da sie in den Fluß fallen müßten.

[Anmerkung:] 118. Kindye lag nordöstlich von Halikarnassos, war also dem Herodot seit seiner Jugend bekannt. Mausolos ist nicht der berühmte König, für den seine Gattin Artemisia um 350 v. Chr. das Mausoleum errichtete, sondern einer seiner Vorfahren. – Über den Titel Syennesis s. die Anm. zu Buch I, Kapitel 74. – Der Vorschlag, sich vor dem Mäander aufzustellen, verstößt gegen die ältesten militärischen Regeln, nach denen man stets hinter dem Flusse Stellung nimmt, um dieses natürliche Hindernis zur Verstärkung der eigenen Stellung zu benutzen.

 

119. Als nun die Perser erschienen und über den Mäander gegangen waren, stießen die Karer mit den Persern am Flusse Marsyas zusammen und schlugen sich in einer hitzigen Schlacht, die lange dauerte, unterlagen aber schließlich der Menge. Da fielen von den Persern etwa zweitausend, von den Karern aber etwa zehntausend. Darauf wurden alle, die noch entkamen, nach Labranda hineingedrängt ins Heiligtum des Zeus Stratios, einen großen heiligen Platanenhain. Die Karer sind aber die einzigen, von denen wir wissen, die dem Zeus Stratios Opferfeste halten. Als sie dorthin gedrängt waren, berieten sie über ihre Rettung: ob sie besser täten, sich den Persern zu ergeben, oder Asien gänzlich zu verlassen.

[Anmerkung:] 119. Das Beiwort Stratios (kriegerisch) hat Zeus als Beschützer des Heeres. Als solcher wird er mit einem Beil in der Hand dargestellt. Das Beil heißt lydisch Labrys, und davon wird der Name Labranda abgeleitet.

 

120. Während sie aber hierüber berieten, kamen zu ihrer Hilfe die Milesier mit ihren Bundesgenossen herbei. Da brachen die Karer die Beratung ab und fingen den Kampf von neuem an, stießen wieder mit den anrückenden Persern zusammen, fochten und unterlagen wieder, noch völliger als zuvor. Da blieben überhaupt viele, doch am härtesten waren die Milesier geschlagen.

121. Später wehten aber die Karer diese Scharte wieder aus und schlugen sich nochmals. Auf die Nachricht nämlich, daß die Perser sich gegen ihre Städte aufmachten, legten sie einen Hinterhalt in den Paß bei Pedason. Die Perser gerieten bei Nacht hinein und wurden zusammengehauen, samt ihren Feldherren Daurises, Amorges und Sisimakes, und mit ihnen kam auch Myrsos, der Sohn des Gyges, um. Der Anführer dieses Hinterhalts war aber Herakleides, der Sohn des Ibanolis, ein Mylasier. So kamen diese Perser um.

122. Hymeas aber, auch einer von den Verfolgern der Ionier, die gegen Sardes gezogen waren, hatte sich nach der Propontis gewandt und Kios in Mysien genommen. Nach der Einnahme dieser Stadt erfuhr er aber, daß Daurises den Hellespont verlassen habe und gegen Karien zu Felde ziehe; darauf verließ er die Propontis, führte sein Heer gegen den Hellespont und unterwarf daselbst die Äolier alle, die das ilische Land innehaben, wie auch die Gergither, die Überbleibsel der alten Teukrer. Hymeas selbst, der diese Völker unterwarf, starb im troischen Gebiet an einer Krankheit.

123. Dieser also endigte so. Artaphernes aber, der Statthalter von Sardes, und Otanes, der dritte Feldherr, erhielten den Befehl, gegen Ionien und das angrenzende Äolien in den Krieg zu ziehen. In Ionien nahmen sie Klazomenai, in Äolien Kyme ein.

124. Nun waren also diese Städte erobert, und Aristagoras von Milet – freilich, wie sich nunmehr zeigte, kein Mann von hohem Mute –, der Ionien aufgewiegelt und große Dinge angezettelt hatte, sann jetzt auf Entweichung, als er sah, wie es ablief. Auch erkannte er's als unmöglich, den König Dareios zu überwinden. Demgemäß berief er also seine Mitaufrührer zu einer Beratung und sagte, es möchte ihnen wohl frommen, wenn sie eine Zuflucht hätten, sobald sie aus Milet verjagt würden. Es handele sich darum, ob er sie als Ansiedler nach Sardo führen solle oder nach Myrkinos im Edonenlande, das Histiaios, da er's von Dareios zum Geschenk bekam, befestigt hatte. Das fragte Aristagoras.

125. Hekataios aber, der Sohn des Hegesandros, der Schriftsteller, war der Meinung, daß er nach keinem von beiden Orten ausziehen, sondern auf der Insel Leros eine Festung bauen und sich dort ruhig halten solle, falls er Milet räumen müsse; von da aus könne er dann wieder nach Milet zurückkehren. Das riet Hekataios.

[Anmerkung:] 125. Über Hekataios s. die Anm. zu II, 143 und V, 36. – Die Insel Leros lag an der Südküste von Milet.

 

126. Aber Aristagoras selbst war vielmehr der Meinung, nach Myrkinos zu gehen, gab also Milet dem Pythagoras zur Verwaltung, einem angesehenen Bürger der Stadt, nahm alle mit sich, die wollten, und fuhr nach Thrazien, wo er die Landschaft, die sein Ziel war, in Besitz nahm. Auf einem Zuge, den er von dort aus unternahm, belagerte Aristagoras eine Stadt und gewährte den Thraziern freien Abzug, ward aber von ihnen überfallen und samt seinem Heere umgebracht.

[Anmerkung:] 126. Aristagoras fiel 497 v. Chr. Die Stadt, die er belagerte, hieß damals Ennea Hodoi und wurde später unter dem Namen Amphipolis athenische Kolonie.

 

Druck von Fischer & Kürsten in Leipzig

 

Anmerkungen eingearbeitet. joe_ebc für Gutenberg

 


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