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Dies sind die Lieder, die ich zu geben hatte. In einem Silbenmaße nach deutschen Mustern würden sie vielleicht auffallender, runder und angenehmer worden sein, allein ich wollte dem Original auch durch Verschönerung nichts vergeben und es lieber, so viel es anging, in seiner uralten hebräischen Einfalt liefern. Was ist nun sein Inhalt? was sagt das Buch vom Anfang bis zum Ende?
1. Mich dünkt: Liebe, Liebe. Die alten Deutschen nannten es das Buch der Minne, und das ists offenbar; vom Kuß fängts an und endigt mit einem zarten Seufzer.
Lady MontagueIn Harmars armen und einfältigen Materialien zum Hohenliede stehen sie auch; und diese sind fast ganz aus ihnen gezogen. hat in ihren Briefen einige Zeilen aus dem Harem des Sultans zu Konstantinopel gegeben: ich weiß nicht, wer sie läse und nicht zugleich an das ungleich schönere und schätzbarere Lied Salomons dächte? JonesDe poesi Asiat. Lips. 1777. Einige Oden von Hafiz waren schon in der Abhandlung von der orientalischen Poesie, hinter Nadir-Schachs Leben, bekannt und übersetzt. hat Proben der morgenländischen, insonderheit persischen Poesie geliefert; ich weiß nicht, wer sie, sowohl Araber, als den Perser Hafiz läse, dem nicht zugleich der ungleich lieblichere, einfältigere Salomo einfiele? Selbst Oßian und alle Völker in der ersten Einfalt, singen sie Liebe, so ists immer, wie aus dem Hohenliede. Ich dächte, wir nähmen also sicher den Satz an, daß hier Liebe gesungen werde, nicht blutige Erobrung, nicht Polizeiwesen, noch Buße und Bekehrung. Es ist weder ein Dialog der Toten im Grabe, noch ein Kompendium der Ketzergeschichte; sondern, was es ist und in jedem Wort sagt, ein Lied der Liebe.
2. Und zwar wird Liebe darin gesungen, wie Liebe gesungen werden muß, einfältig, süß, zart, natürlich. Jetzt feurig und wallend, jetzt sehnend und habend, im Genuß und im Schimmer, in Pracht und Landeinfalt. Es ist fast keine Situation und Wendung, keine Tages- und Jahrszeit, keine Abwechslung und Einkleidung, die nicht in diesem Liede, wenigstens als Knospe und Keim, vorkäme. Die Liebe des Mannes und Weibes, Jünglinges und Mädchens, vom ersten Kuß und Seufzer bis zur reifen ehelichen Treue – alles findet hier Ort und Stelle. Vom Schuh des Mädchens bis zu seinem Kopfputz, vom Turban des Jünglings bis zu seinem Fußschmucke, nackte Gestalt des Körpers und Kleidung, Palast und Hütte, Garte und Feld, Gassen der Stadt und Einöde, Armut und Reichtum, Tanz und Kriegszug; alles ist erschöpft, alles gefühlt und genossen. In Einem Dichter der Natur und Liebe zeige man mir Eine Situation, die einfältig, wahr, rührend, menschlich sei: konnte sie zu dieser Zeit, unter diesem Himmel gedeihen; so will ich ihm gleich, als Blume oder Blüte, eine beßre in diesem Buche zeigen.
3. Nun weiß aber jedermann, daß nichts in der Welt lange Erörterung so sehr hasset, als Liebe. Liebe in einen Folianten gebracht, ist nicht Liebe mehr; Kuß und Seufzer, zum Buch gestempelt, ging längst, ehe er dahin kam, verloren. Wie Nachtigall und Turteltaube nur kurz, in abgesetztem Girren und Klagen singen: so wählte und erfand sich zu jeder Zeit und unter jedem Volke das kürzeste Gedicht immer die Liebe. Sonnet, Bild, Liedchen, Zuschrift, Ode, Madrigal, Idylle, Ekloge; es heiße, wie es wolle, ists Seufzer der Liebe, so ist er nur Hauch, nur Seufzer.
4. Nichts in der Welt fodert also auch so innige ganze Gegenwart, als Liebe, und diese ihre kurze Abdrücke und Spuren. Sie ist, wie auch dies Buch sagt, Flamme des Herrn, Blitzstrahl, Funke: ist sie nicht da, du kannst sie dir nicht geben –
und böt ein Mann auch Haus und Gut um Liebe,
verschmäht, verachtet ihn! –
Ist sie auch in ihrem Siegel und Abdruck nicht da, erkennst du sie nicht darin, noch kannst sie im ersten elektrischen Strahle fühlen; du magst zu vielem andern gut sein, nur weder zum Liebling, noch zum Ausleger der Liebe. Hier ist alles Augenblick, glückliche Schäferstunde. Genießest du jetzt nicht; diese Stunde, dies Bild, diese Freude kommt nie wieder. Siehe diese Mondnacht, voll Nachtigallengesang und Abendrot und Frühlings- und Zauberdüfte; Alles fließt zusammen, Alles wird Ein Ton, Ein Seufzer. Wie sie jetzt singt, die Nachtigall, wird sie nie wieder singen; wie jetzt das Abendrot glänzt, wird es, bis zum letzten der Tage, nie mehr glänzen. In der unerschöpfbaren Natur ist Alles einzig und einzeln, und so in der Natur aller Naturen, der Liebe. Jedes Bild, jedes Blatt, jedes Liedchen schwimmt in seinem eignen Duft, hat seine einzelne Süßigkeit und Wonne, oder es hat gar keine – –
5. Abdrücken der Liebe kann man also auch kein größer Unrecht tun, als wenn man ihnen das Individuelle ihrer Gegenwart raubt, sie zu einem locus communis hinüberschleppt oder gar in eine willkürliche Hypothese dichtet. Ein Mensch, der alle zerstreute einzelne Stunden der Freude, des Glücks, der Liebe in Eine Speise mischen, alle Küsse und Seufzer auf Eine Schnur heften und die verschiedensten Düfte und Blumen in Einen Sack tun wollte; was würde er anders, als ein faules Allerlei zuwege bringen? Nähme ers sich nun noch in den Sinn, aus diesen Früchten und Blüten lebendiger Liebe ein schönes Ganze zu machen, das er zur Schau trägt; wie würde sich jeder einzelne Baum, jede abgerißne, nun verwelkte Blüte beklagen!
6. Und doch wirkt die Einbildungskraft der Menschen gern auf so etwas. Sie, die keine Mauer, kein altes zerfreßnes Holz, keine Wolke am Himmel, Fensterscheibe und Marmorstück ansehn kann, ohne daß sie sich κοσμον, eine Welt, ein Ganzes, ein Eins denke; wie wird sie einzelne Verse, Bilder, Sprüche, Fragmente, Lieder ertragen, ohne daß sie sie nicht auch zu einem Ganzen dichte? So ists allen Dichtern kleiner Stücke, insonderheit den Dichtern der Liebe gegangen: man reihete ihre einzelne Stücke auf, ordnete, deutete, flickte sie in Romane, Hypothesen, bis ein erträumtes Ganze da war. So gings Anakreon und Katull,Les Amours de Catulle: Memoires de Petrarque &c., Horaz und Petrarka; sollte es David und Salomo besser gehen? Es ist doch so schön, wenn Alles ein Eins ist, man kann doch Witz beweisen, eine schöne moralische Absicht hinaus oder hineinbetteln, die einem solchen Buch nicht unanständig wäre; warum nicht?
7. Indessen haben verständige Leute von der Arbeit auch immer gehalten, was von ihr zu halten war, nämlich sie sei Flickwerk. Der Kranke auf dem Bette, der Wahnsinnige, der Hypochonder dichtet auch Bett und Schatten, Nagel und Kleid, Hut und Mondlicht zu einem so malerischen Ganzen, als Da Vinci seinem Lehrlinge, aus Holz und Mauer zu dichten, nur empfehlen kann; indes bleibts immer Traum und Wahnsinn. So ists auch meistens mit jenen berühmten Versuchen und Hypothesen über einzelne Stücke gegangen, wenn sie in unserm Kopf und nicht in der Sache selbst ihren Grund haben.
8. Nun stehts von Salomo ausdrücklich, er habe eine Menge Lieder, wie eine Menge Sprüche gedichtet. Bei den Sprüchen nimmt mans an und es ist noch niemand eingefallen, sie anders, als eine Schnur Perlen zu betrachten; sollte man nun über den Punkt seiner Lieder nicht eben dasselbe erwarten? zumal da Liebe und Lied schon seinem Namen nach Folianten und immensa opera hasset? Träte da nun jemand zum Könige und spräche: »Großer König, siehe, du sangest der Lieder viel, du gibst mir, selbst dem Namen nach, einen Ausbund, eine Blumenlese, ein Lied der Lieder; aber, König, ich habe eine glückliche Hypothese, mit der freilich alle einzelne Stücke, Personen und Situationen zerrissen und verschwemmt, deine viele Lieder aber alle nur Ein Lied werden. Ich nähe und flicke, deute und sticke, verunziere und lege Liebesränke, würdige Moralabsichten, Politik und Mystik hinein, daran du zwar, weiser König, nicht gedacht hast, ich aber denke und dein unwürdiges Buch seiner biblischen Stelle würdig mache – –« man sage, was würde der königliche Dichter antworten? wie würde er danken? Vielleicht mit dem Spruche:
Das Auge des Weisen sieht, was da ist;
Aber das Hirn des Eitlen dichtet Hypothese.
9. Und doch ist kein Buch des alten Testaments reicher daran gewesen, als dieses, und keine Zeit daran reicher, als die unsere. Da der Wortverstand des Textes so klar ist und dieser doch nicht in die Bibel der genannten Leute zu passen schien; so quälte man sich, so ersann man. Schon Theodor von Mopsvest ward auf einem Konzilium verdammt, weil er einen Wortverstand dieses Buches annahm; unter Juden und Christen ward dieser bald verdrungen und statt dessen Allegorie und Mystik gefädelt. In der neuern Zeit endlich, da der Scharfsinn so sehr emporkommt, ists beinah Mode geworden, daß jeder glückliche Ausleger auch eine eigne glückliche Hypothese habe. Dem großen Bossuet wars ein Hochzeitlied Salomons in sieben Tagen; ein noch glücklicherer Ausleger verneinte dies, unter andern weil – von etwas, womit ich dies Papier nicht beflecken mag, darin nicht gedacht werde, und ohne solches könne kein Hochzeitlied bestehen, noch etwas dafür erkannt werden.Hoc si ita est, mirum, primae noctis nulla cani gaudia, nusquam audiri cantica – ereptam virginitatem, cuius ad eos indicium deferri solet, gratulantium. Omissum in carmine, quod primas in illo et praecipuas facere partes debuisset. Michael, ad Lowth, not. 125. p. 594. Er dichtete eine glücklichere Hypothese,p. 593. von einem Eheliede voll orientalischer Liebesränke, intrigues d'amour, Eifersucht, Brunst, Zank, Begier nach einer Nacht, wie sie zwar nicht bei uns, in unsern leider! einpaarigen Ehen, aber desto mehr in jenen morgenländischen Harems statt finde; und seine VerehrerS. Hrn. D. Runge Vorrede zu Puffendorfs Hohenliede. Ich habe gegen diese anderweit sehr verdiente Männer nichts, aber desto mehr gegen das ekle Lob ihrer Nachtreter. nannten dies »die deutlichste, wahrscheinlichste Hypothese, die nur dem heutigen, berühmtesten deutschen Ausleger für dies dunkle Buch zu erfinden aufbehalten gewesen: eine Hypothese, die eine so wichtige moralische Absicht entdeckt, die niemand mit Grunde für eines biblischen Buchs unanständig halten könne. Ein anderer angesehener und feiner Gottesgelehrter folgte jenem berühmtesten deutschen Ausleger auf der Spur nach, nahm in Ansehung der Sulamith eine neue Hypothese an, war auch in Anwendung derselben so glücklich, daß der Erfinder des buchstäblichen und moralischen Sinnes ihm mit einer freundschaftlichen Verleugnung und Großmut, die unter Schriftstellern nur selten ein Beispiel haben wird, die Ehre der Erfindung des Ganzen gleichsam aufdrang u. s. w.« – – So stehet die Sache. Durch lauter glückliche neue Hypothesen geendigt, gekrönt, mit so viel freundschaftlicher Verleugnung und Großmut besiegelt; und jede Messe kommen neue glückliche Hypothesen, mystisch und arabisch, arabisch und mystisch. Die neue unanständiger, als die alte, und manche vornehme Theologen unsrer Zeit, die sich überhaupt jetzo sonderbar nehmen, gebärden sich dabei wieder auf andre Weise glücklich anders. Sie haben das Buch aus ihrem Kanon ruhig ausgeschlossen, verbitten es vornehm höflich, daß der berühmteste deutsche Übersetzer es doch ja nicht deutsch übersetze und seine Bibel damit verunziere. Ja mehr als Einer hat Anlaß genommen, aus Gelegenheit dieses unschuldigen Buchs über den ganzen Kanon Erbrechungen zu sagen, die zu wiederholen mich die Muse bewahre. So stehts also mit dir, schöner Garte, liebe unschuldige Perle!
10. Und darf ich sagen, daß dies die Ursache war, warum ich, der ewig nur ein stiller Liebhaber dieses Rosenhains zu sein dachte, unter andern vielleicht notwendigern Arbeiten einige Stunden der Erholung dem öffentlichen Geschreibe über dieses Buch stahl? Der Eindruck, den ich davon hatte, war so anders: dem Buche und seinethalb der ganzen Bibel geschah in meinem Sinn so Unrecht: jede neuere Hypothese schien mir immer so niedriger, so fremder, so wüster: das Buch ohn' alle Hypothese in seiner Einfalt und nackten Unschuld so edler, anständiger und zugleich so unwidersprechlich klar – – kurz, ich trauerte darüber, wie über einen zertretnen Garten, wie über eine getrübte Quelle ein Liebling trauert. Einen Myrtenhain der Liebe aus so alten Zeiten also entweiht, jedem vorübergehenden Auge preisgegeben, die Grazie des Hohenliedes, diese Schwester der Unschuld, sogar in öffentlichen Lehrstunden als eine Unzüchtige entschleiert, und errötende Jünglinge an ihr und an dem Buche, das sie enthält, vielleicht auf Zeitlebens gebrandmalt und geärgert zu sehen und zu hören; freilich das stach mir in Herz und Nieren. Ich ging nochmals zum Buche, zu sehen, was da war, und zog die ältesten und neuesten Ausleger zu Rat, nur keiner war mir lieber, als der von allen beleidigte klare Wortverstand, der Ausleger aller Ausleger. Ich wagte endlich die Übersetzung; aber wie ward mir da? Jedes Liedchen, jede Zeile sollte, so viel möglich, in ihrem Duft, in ihrer Farbe sein, nichts verschönert, verneut, verschmäckelt; so viel möglich, nichts seinem Ort, seiner Zeit, seinem Lande entrissen werden – und wie schwer war das! Eine einzelne lebendige Empfindung, insonderheit der Liebe, sie hangt so sehr vom Moment, vom Zauber tausend kleiner Umstände und Farben ab, daß sie außer demselben, wie jedes zarte Wesen, in fremder Luft stirbt. Löwe und Adler lassen sich eher entführen, als der Kolibri oder die Grazie einer ausländischen Morgenblume.
11. Dazu kommt nun, daß nichts so verschieden ist, als Morgenlands Poesie, Sprache und Liebe gegen die unsre. Ich hatte diese einzelnen lieblichen Blumen zuerst in unsre Sylbenmaße gekleidet und nur so unmerklich zu runden gesucht, als ichs unserm Ohr nötig glaubte; aller Gang des Originals aber, sein Ausströmen, sein trunkner Flug und wiederum seine Kindeseinfalt, sein Winken, sein Lallen war damit verloren. Es waren deutsche Verse, nichts weiter. Wer die Ursprache dieses Liedes und aller hebräischen Lieder dem Bau der Worte, ja auch nur dem Laut und Klange nach kennt, wird an einer poetischen Übersetzung derselben in unsre schwere, kalte, nordische, ganz anders gebauete und geformte Sprache beinah, und an dem Übertrage ihres Sylbenmaßes (gesetzt, daß wirs auch genau wüßten,) gewiß ganz verzweifeln. Ein Weib (hierin der beste Richter) lasse sich die süßeste Stellen des Buchs, die wahre Kol-Dodi-li nur vorlesen und wörtlich übersetzen, und urteile. Der Sinn schwindet mir, wenn ich denke, daß Jemand alle Psalmen, die erhabensten, strömendsten, entzückendsten Lieder der Hebräer, Moses, Hiob und alle Propheten in so viel Verse, Sylben und Töne der deutschen Sprache hat bringen wollen, als die Urschrift hat, zugleich mit dem Sinn und Wohlklange desselben. Eher wollte ich das Lallen meines Kindes und das Girren der Turteltaube in die Rednersprache des Cicero bringen, daß beide noch, was sie sind, blieben – –
12. Der Inhalt des Buchs also, Liebe und orientalische Liebe aus denen Zeiten, macht alles am schwersten. Wenn sich der Europäer im Punkte der Weiber recht bescheiden dünkt, wird er dem Morgenländer oft unerträglich; und wenn dieser sich über sie mit Manneswürde, und der freien offnen Einfalt ausdruckt, die allein Unschuld ist, so jucken unsre Ohren; unser Geschmack ist beleidigt, wir wollen Zweideutigkeiten und Krebillonsche Hüllen. Ist die griechische Liebe oft schon für uns zu nackt; wie denn die morgenländische, die unbekleidetste von allen? Die Würze sind uns zu duftend, ihr Heiligtum zu heilig – – Nun wolle jemand noch erläutern! Liebe erläutern, ist schon ein unglücklich Ding; wer sie nicht von selbst fühlt, ist ihres Genusses nicht fähig oder nicht wert. Und morgenländische Liebe erläutern, d. i. die Nacktheit noch nackter machen! wie unschuldig muß das Buch sein, das dies zuläßt, das durch und durch diese Probe aushält! Und siehe, es tuts das Lied aller Lieder. Wenn jener Rabbi darüber entzückt ausrief: »an dem Tage, da es der Welt erschien, ist die Vollkommenheit der Dinge geboren«; so möchte ich hinzusetzen: »am Tage seiner Geburt herzten sich Süßigkeit und Unschuld auf dem Schoß ihrer Mutter, der Liebe.« Man verzeihe also meine Kühnheit, mein Stammlen: es war mir um Seele, Zweck, Geist des Buchs zu tun in jedem einzelnen Bilde und Liede. Hat man diese gefasset, so gehe man zu Luthers Übersetzung; sie ist uns, trotz einzelner Fehler, noch immer unersetzt und unerreichbar an Süßigkeit und ungezwungener Einfalt, so wie an Stärke und Leben.
»So ist aber das Buch kein Ganzes? so schwimmen in ihm lauter unaufgefaßte Perlen?« – Mich dünkt, Ganzes gnug, aufgefaßt gnug, nur nicht auf die Schnur einer willkürlichen Hypothese.
1. Ist schon der Name Salomo Bindung: die Lieder alle sind Salomonisch. Ohne untersuchen zu wollen und entscheiden zu können, ob jede Zeile von seiner Hand sei? ob er als ein blühender Narcissus sich selbst besungen, sich selbst geliebet, und alles also Spiel ist? oder ob er so glücklich war, zu bewirken, was manche spätere Stifter der sogenannten goldnen Zeiten des Geschmacks selten erreichten, ihren Geschmack rings um sich her verbreitet, die Saiten der Zeit mit sich harmonisch geregt zu haben und jetzt das Echo des Saitenspiels zu genießen, das sie selbst schufen, den Nachklang nämlich ihrer eignen Seele. So viel ist gewiß, daß Liebe, Salomonische Liebe, tun kann, was Sold und Zwang, Vorschrift und Regel wohl nicht zu tun vermöchten: denn nichts verschwistert, nichts verbindet so sehr, als Liebe. Sie gibt und nimmt, bis sie nichts mehr zu geben oder zu nehmen hat, bis sie Eins ist. Sie ist der Stimmhammer der Herzen zum Einklange: man bildet und wird gebildet, hört und singt nach. Wie Salomo im Alter von seinen Weibern Torheit und Abgötterei lernte, so konnte in seiner Jugend der ohnehin zartere und bildsamere Teil der Vereinigung, seine Geliebte, von ihm Liebe und Gesang lernen, ihm antworten, wie er sie lockte, und so wäre doch Salomo Urheber des Buchs, sie sang nur als Echo, aus seiner in seine Seele. – –
Aber noch ohne diese Frage, deren Entscheidung ich nicht übernähme, ist dies Buch im größten Verstande Salomonisch, ein Abdruck nämlich von dem Geschmack, von der Liebe, von der Üppigkeit und Zier, wie sie zu Salomons Zeiten, und sonst nimmer im hebräischen Volk, lebten. Seit Vater Adam sein Hohelied der Liebe im Paradiese sang; wenn und wo konnte diese zarte Blume des Friedens und der Ruhe so gedeihen, als in diesem Salomonischen Tale des Friedens? Unter den Zelten der Patriarchen nicht: Isaak scherzte mit seinem Weibe Rebekka; aber er würde nicht, wie Salomo, gesungen haben. Es waren noch die mühseligen Zeiten des Wanderlebens; der Sinn der Patriarchen sollte uns nur in erhabnen göttlichen Weissagungen über ihr Geschlecht, nicht in Liedern der Liebe vorschweben; Jakob diente um seine Rahel, aber er sang sie nicht. Die Zeiten Moses in der Wüste waren theurgisch, kriegerisch, erhaben und strenge. So tönte das Siegslied am roten Meere, so die Gesänge Bileams, und Moses letzte Worte. Die Wüste war das Treibhaus des jüdischen Volks; die Sonne der Gesetzgebung und politischen Bildung lag schwer auf ihnen. – Zu den Zeiten der Helden war alles kriegerisch oder ländlich; Deborahs Siegslied und Jothams vortreffliche Fabel konnten damals gedeihn, kaum aber ein Salomonisches Lied der Liebe. So lange David regierte und seine Hände mit Blut färbte, sproßte sein ewiger Lorbeer, aber nicht die sanfte Myrte der Liebe, dieses Überflusses, dieser Rosenweiche. Er erwuchs vom Schäfer- zum Königsstabe, mit einer sanften Seele, aber unter dem Drange der Verfolgung, Arbeit und Gefahr: seine Lieder mußten also wie sein Leben werden, – edle Blumen auf wilden Bergen, von mancherlei Winden des Himmels erregt und geschüttelt, also frisch und grün und stärkend. Und hinter ihm her ward Zeit zur Salomonischen Ruhe, Poesie und Liebe. Der geliebte Knabe (Jedidja) erwuchs unter Rosen, und ward, wie sein Vater vom Schäfer König, so er vom Könige wieder Schäfer. Friede und Glückseligkeit bedeutet sein Name, Glück, Weisheit, Ruhe, Reichtum waren der Segen seiner Regierung. So weissagt Gott von ihm, so redet alles von ihm; bis auf die spätesten Zeiten ist der Name Salomo ein Name des Reichtums, der Herrlichkeit, der Pracht, des Glücks und der Rosenliebe geworden. Er konnte den Tempel bauen und die Harfe der Liebe schlagen; auch in seinen Fehlern, die er nie aus Bosheit beging, schonte ihn Gott, daß er den geliebten Knaben nur mit Menschenruten züchtigen wollte, und die Strafe bis hinter seinen Tod verschob. Lasset uns einen Psalm hören, der Salomons Namen führt und vielleicht das Ideal seiner Regierung singet:
Ein Psalm Salomons
Dein Recht, o Gott, dem König gib,
Die Wahrheit Königssohn,
Daß deinem Volk er Hirte sei,
Den Armen schaffe Recht.
Daß rings auf Bergen Frieden blüh,
Auf allen Hügeln Heil:
Dem Unterdrückten sei er Fels,
Dem Unterdrücker Grimm.
So lang die Sonn' am Himmel glänzt,
So lange Mondlicht lacht,
Blüh von Geschlecht hin zu Geschlecht
Dein Name prächtig fort.
Wie Regen sanft auf dürres Land,
Wie Tau zur matten Flur,
So wall' hinunter sein Gericht,
Und der Gerechte blüh.
Er blüh empor und Friede blüh,
So lange Mondlicht lacht,
Vom Meere bis zum Meer hinan,
Vom Fluß zum Ufer hin.
Der Wüstenwohner knie vor ihm,
Und lecke seinen Staub;
Der Inseln König, Tarsis Fürst,
Anbet' ihn mit Geschenk,
Und Scheba's, Seba's Fürstenheer,
Mit Gaben fron' es ihm,
Ihm neigen sich die Könige,
Die Völker seinem Wink.
Weil er dem Armen, als er schrie,
Dem Hülfelosen half,
Erbarmte sich des Niedrigen,
Erbarmte sich der Not,
Half auf von List ihm und Gewalt,
Sein Blut war teuer ihm.
Drum leb' er! Seba zoll' ihm Gold,
Und Segen und Gebet.
Wo kaum vorhin ein Halm gesproßt,
Auf dürrer Berge Haupt;
Da rausche Frucht ihm, wie da rauscht
Der Wald auf Libanon.
Und seine Städte sprießen Volk,
Wie Kraut die Erde drängt,
Aus ihrem Schoß hervor. Sein Ruhm
Sei ewig wie die Sonn'.
Und alle Völker segnen sich
An seinem Namen, ihn
Mit Danke krönend: »Hochgelobt
Sei Gott, Israels Gott,
Der Wunder tut alleine, der
Gelobt in Ewigkeit!
Die weite Welt soll werden voll
Amen, von seinem Ruhm.«
Nur unter einer solchen Regierung konnte die Blume des Hohenliedes sprossen; sobald Salomo's Augen sich zutaten, ward eine andre Zeit und jene kam nie dem jüdischen Volke wieder. Es ist also das schönste Denkmal der friedseligen Salomonischen Periode, da er wetteiferte mit seinen Dichtern, wetteiferte mit den Gespielinnen seiner Liebe. Sein Ruhm drang in Arabien, und die Königin des reichen und glücklichen Landes kam mit Rätseln und Sprüchen, Geschenken und Liedern, wie zum Wettkampfe an seinen Hof.
Wer die andern Schriften Salomo's gelesen, wird dies königliche Siegel auf dem Hohenliede so wenig verkennen, daß er gerade in ihm die jüngere Schwester der Weisheit in den Sprüchen und des ältern Bruders im Prediger auf allen Seiten erblicken müßte. Eben die zarte Seele, die hier herrschet, redet auch dort, nur hier in Liebe und Freude, dort in Weisheit und Sittenlehre, endlich in abgezogner stiller Betrachtung. Wie er hier Liebe, so personifiziert er dort die Weisheit, nennet sie auch oft seine Schwester, seine Geliebte, dichtet sie eben so schön, reizend, lockend, rufend, erquickend und erwärmend. Klugheit und Gottesfurcht ist ihm schöner Schmuck an ihrem Halse: er ermahnt, diese so von Vater und Mutter anzunehmen, wie er dort seine Geliebte annahm. Nichts ist ihm verhaßter, als die Ehebrecherin, die Verführerin, die er mit den ernstesten Farben so eigen und charakteristisch schildert, daß man die Gegenseite vom Hohenliede zu lesen glaubt. Und kurz, die schönsten Stellen, Bilder und Dichtungen der Sprüche sind dieses Buchs offenbare Schwestern. Der Prediger beziehet sich eben darauf, geht davon aus und kommt dahin zurück nach allen Versuchen; nämlich auf Unschuld, Friede, Liebe und Freude. Das Siegel der Seele Salomons ist also, dünkt mich, Einheit gnug auf diesem Buche: es ist die Blüte seiner Jugendseele, sein Lied der Lieder voll Feinheit, Geschmack, Liebe und Jugendfreude.
2. Offenbar aber hat der Verfasser oder Sammler noch einen feinen Faden der Einheit durchgewebt, über den ich mich, nicht weil Ich ihn finde, sondern weil er wahr und lehrreich ist, freue. Er verfolgt nämlich die Liebe von ihrem ersten Keim, von ihrer zärtesten Knospe, durch alle Stufen und Zustände ihres Wachstums, ihrer Blüte, ihres Gedeihens bis zu reifer Frucht und neuer Sprosse. Was viel Schriftsteller mit so philosophischer Zurüstung haben zeigen und erlangen wollen, zeigt der Weiseste der Menschen, der Philosoph im Myrten- und Rosenkranze, auf seine Art, spielend. Lasset uns die Lieder ernstlich durchgehn; es wird bei ihrer Verschiedenheit ein Blumen- und Brautkranz, wo nichts sich rücken, nichts verändern läßt, ohne daß der feine philosophische Sinn des Ganzen leide.
Der Kuß beginnet, oder vielmehr ein Seufzer nach dem ersten Kuß der Liebe. Man siehet, aus welchen Düften des Lobes, der Hoffnung, der Freude, der Schönheit er sich gleichsam entspann und wie sich in ihrem verlangenden Herzen das erste Sehnen der Liebe regte. Die Liebe lebt hier in der Ferne, wo sie zuerst immer lebet, sie ist noch rein, neidlos, spricht mit dem Abwesenden, hat nichts und genießet immer. V. 1-3.
Jetzt ist sie seiner Liebe gewisser, aber auch schon beneidet, ihr vorgerückt Fehler, Armut: sie muß sich verteidigen, klagen, Trost suchen bei ihrem Einigen, aber auch den durch Feld und Zelte und Mittagsglut und gaffende Augen suchen. Auch fühlt sie ihren Abstand zwischen ihm und sich, seinen Reichtum, ihre Armut; bis er sie aufrichtet und ihrer Blödigkeit Spur weiset. Der erste fröhliche Keim der Liebe fängt hier an in Mühe und Kampf, wie zu ersterben, und grünt dadurch nur schöner, wird neu und lebendig. (V. 4-7.)
Denn nun zeigt Liebe sich schon in Denkmalen, in Liebeszeichen, in Pracht- und Blumengeschenken. Er sieht sich in ihrer Kette, sie ihn in seinen Blumen, er übernachtet ihr am Herzen, die verhüllete Palmsprosse ist ihr. (V. 8-13.) Und jetzt folgt der Wettgesang der Liebe, der süße Augenblick von Verwandlung, Umschmelzung, Anerkennung als Traum der Zukunft. Er sieht sie, sie ihn schön: sie sieht ihr Bette der Natur, ihr grünendes Brautbett, empfängt ihren Geliebten im Bilde des lieblichen Apfelbaums, des Paniers der Liebe, voll labender Früchte. Sie berauschet sich an diesen voll Traums, voll fröhlicher Ahndung, ermattet und sinkt in Schlummer. Ihr Geliebter singt zum erstenmale das süße Schlaflied, und offenbar ist die erste Szene des Buchs vorüber. (Kap. 1,14. bis Kap. 2,7.)
Die zweite beginnet, so schön sie beginnen kann, mit Frühling und Morgen und Blumengarten. Der Frühling kommt nach langem Winter, der Geliebte aus weiter Entfernung: ihre Liebe erwacht, mit allem Fröhlichen der Natur; aber es ist nur noch Morgengruß, Frühlingsgesang draußen vorm Geländer. (Kap. 2,8-14.) Die Braut antwortet nicht; jedes geht zu seiner Frühlingsarbeit. Darum kommt jetzt das Scheuchlied wider die Füchse und das Lied der Sehnsucht nach dem bei seinem Tagwerk abwesenden Geliebten. (Kap. 2,15-17.) Und er kommt nicht: sie sucht in Träumen ihn im Bette, findet ihn nicht, sucht ihn in den Straßen und Gassen, findet ihn, bringt ihn in die Kammer ihrer Mutter; er wird ihre, nicht sie seine Beute. – Was hier in jedem Umstande, in jeder Tages- und Jahrszeit, in Nacht und Suchen für Delikatesse und Wahrheit liege, mag ich nicht erklären. Gnug, es kann das süße Schlummerlied zum zweitenmale folgen. Sie hat ihn: die zweite Szene ist vorüber. (Kap. 3,1-5.)
Die dritte beginnet auszeichnend mit dem »Was steigt dort aus der Wüste?« ein Ausruf, der mehrmals anfangen wird. Sie kommt als Rauch in der Dämmerung: des Königs Bette wird beschrieben, das Bett des Schreckens, der Pracht, der Vermählung. Salomo ist vermählt und die Töchter Jerusalems sollen ihn schauen. (Kap. 3, 6-11.) Nun folgen Lieder des Lobes und der Liebe, süß und feurig und entzückend, wie der Wein der Vermählung. (Kap. 4,1-16.) Wir sahen droben, wie die züchtige Braut die erste Beschreibung unterbrach (V. 6.) und die zweite nochmals ablenket. (Kap. 5,1.) Der Geliebte folgt ihr und die Freudenszene endet mit dem Freudenmahl seiner Freunde im Garten. (V. 2.)
Es steigt ein Wölkchen auf am Himmel der Seligkeit und Brautliebe. Er kommt ihre Tür salben; sie schlummert, säumt und tut ihm nicht auf. Er entweicht, sie muß suchen, Reue und Schmach und Schmerzen fühlen über den bösen Augenblick ihrer ersten Lauigkeit und Säumnis. Jetzt ist es Zeit und Ort, daß ihr Herz sein Lob, seine Gestalt singe, aufgefodert und unter dem Schleier der Nachtzeit. (Kap. 5, 2-16.) Eifersüchtig aber läßt sie ihre Gespielinnen nicht mitsuchen: sie ist gewiß, daß er ihr ist, (Kap. 5, 17. K. 6, 1.2.) und wird mit einem prächtigen Lobesgesange belohnt: »sie sei ihm Eine und solle auch immer die Eine ihm bleiben.« (Kap. 6, 3-8.) Diese Szene ist abermals voll von Wendungen und Schlingungen des Herzens; daher die Mystik geistlicher Liebe sie auch vielfach und fein gebraucht hat.
Offenbar beginnt wiederum eine neue Szene mit dem Gesange: »wer steigt dort aus der Wüsten empor?« und sie ist die prächtigste im Buche. Kriegerisch und im Tanze wird sie die Göttin der Schönheit und (nach so viel einleitender Mäßigung) auch die Göttin der Wollust, der Lust und Liebe, (Kap. 6, 9. bis Kap. 7, 9) bis sie dem Liebhaber auf dem Gipfel seiner Trunkenheit sanft einfällt und als eine Blume der Unschuld auf dem Lande blühet. (Kap. 7, 9. bis Kap. 8, 3.) Diese Szene ist das Elysium des Buchs auch in feiner Wendung und Lehre, voll des tiefen Gefühls, wie die Natur liebe. Sie endet also auch zum dritten und letzten male mit dem Schlummerliede der Unschuld. (Kap. 8, 4.)
Die sechste Szene fängt an, wie die dritte und fünfte, mit dem: »Wer steigt dort auf?« nur sie ist kürzer und leiser. Wie der Gesang der Nachtigall erstirbt, wenn sie ausgebrütet hat, so wird auch hier die Liebe eheliche Treue, sie lieben still und ruhig. Es ist der schöne Herbst ihres Lebens, der sich des Frühlings erinnert und mit einem ewigen Bunde alter Freundschaft ihn besiegelt. (Kap. 8, 5-7.) Hier ist das Buch der Liebe geendet.
Was folgt, betrifft etwa die Erneurung derselben in ihren Früchten. Es ist das Gespräch der Brüder und Schwestern, betrifft die Altklugheit der ersten, und den sie verhöhnenden Mut und Reiz des Jugendmädchens. (Kap. 8, 8-12.) Vermutlich ist sie selbst auch die junge Nachtigall, die ihren Eltern nachschlägt und bei dem ersten Gartenbesuch, wie ein Hall junger Liebe, das Buch endet. Wirklich ist dies das Ende des Liedes, denn der Roman der Alten hört auf, wenn der Roman der Jungen anfängt:
you'll in your girls again be courted
and I'll go a wooing in my boys.
Dies wäre der Faden des Buchs, seinem Inhalt nach; doch bitte ich, daß er nicht zum Ankerseil gemacht und eine scholastische Metaphysik der Liebe daran gereihet werde. Die einzelnen Stücke müssen ihr individuelles Leben behalten; dies ist nur Fassung vieler Perlen an Einer Schnur; das Lied der Lieder.
3. Wie aber? da es doch Absätze, Szenen, einerlei Anfänge und Schlußlieder hat: sollte es nicht ein Singspiel, eine Oper, ein Drama sein von der Hand des königlichen Dichters? – Auch also ists schon behandeltDas Hohelied des Salomo, samt einer vorgesetzten Einleitung und Abteilung als eines geistlichen Singspiels von G. W. (Georg Wachter.) Memmingen 1722. Übrigens eine Schrift, in der viel gesunder Verstand ist – diese Hypothese ausgenommen. und zum Teil grob gnug durchgeführet worden. Lasset uns sehen, was man dazu für Grund habe?
Noch bis jetzt kennet der Orient kein eigentliches Drama: so viel Dichter die Araber, auch nach ihrer Bekanntschaft mit den Griechen, in aller Art gehabt haben;S. Casiri Bibl. Arab. Hisp. – dramatische Dichter haben sie nie gehabt, sie brachten es nie weiter als zum Lehr- und Heldengedicht, zur Ode und zum Lied in aller Art, zur Fabel und zum Gespräch. Weder Ungeschicklichkeit, noch Sprache; sondern ihre Sitten, ihr Charakter, der Begriff, den sie sich von der Dichtkunst machten, waren daran Ursach. Das Handeln und Gestikulieren auf dem Schauplatz ist einem Morgenländer verächtlich; auch im gemeinen Reden spricht er mit dem Munde, nicht mit den Händen, er stehet wie eine verhüllte, schweigende Gestalt da. Der Beruf ihrer Weiber ists nicht, sich zur Schau zu stellen, zu tanzen oder zu agieren für andere; sie sind verhüllete Kleinode, verwahrte Schätze der männlichen Ehre. Daher haben auch die Morgenländer von dem, was der Theaterdichter die »Führung eines Charakters« nennt, wenig Begriff und muß ihnen großen Teils, wie ein Kinderspiel, ein feines Gewebe in der Phantasie des Dichters scheinen. Sie schneiden die Menschheit aus der Fülle, wie sie sie in der Fülle genießen. – –
Wende ich dies auf die Zeiten Salomons und auf unser Buch an; so wird mir das Theatralische darin zehntausendmal unwahrscheinlicher. Der König sollte sein Leben der Liebe, auch nur vor seinen Weibern, auch nur in seinem Harem also Preis geben und recht eigentlich prostituieren? Was ihm süßer Genuß, Spiel und Laune des gegenwärtigen Augenblicks gewesen war, sollte er jetzt sich zum Ekel, seiner Geliebten zur Errötung wie einen Puppenjahrmarkt da vorbeipassieren lassen, damit es ihm fades, gähnendes Hofamüsement würde? Niemals war Salomo ein solcher Schach; er genoß die Blüten der Liebe lebendig, nicht aufgeklebt und aufgetrocknet im geschminkten Koulissenkästchen. Bringt diese Auftritte der Natur und Liebe (mich gereut schon, daß ich sie Szenen genannt habe,) aufs Theater; so ist ihr Reiz dahin, ihre Farbe der Jugend ist Äfferei und Schminke. Sinesisch genug wird das Schauspiel werden; aber für Salomo und seine Geliebte Ekel und Greuel – Mord ihrer schönsten Augenblicke und Erinnerungen des Lebens.
Und was hätten wir denn im Liede selbst für Grund, so etwas zu glauben? Keinen, gar keinen: es ist also abermals eine glückliche Hypothese. Die Anfänge und Absätze dieser Lieder sind Liederanfänge, Liederabsätze, die wiederkommen, weil es das Ohr, weil es die Materie so will. Hat nicht jede Nation ihre Lieblingsanfänge und Wiederholungen? liebt nicht insonderheit das Schäfergedicht und die Liebe solche Abwechslung, solch angenehmes Wiederkommen, Gespräche, Wettgesänge, Amöbäische Lieder, wie wiederholte Küsse und Schwüre?S. Theocrit. Mosch. Bion. Virgil. eclog. Da nun im Morgenlande die Gesänge so wert sind, da man ganze Nächte damit hinbringet und in Wechselchören den Morgen erwartet,Shaw S. 178. 179. da kein Besuch der Weiber, kein Fest, am allermeisten kein Brautfest ohne Musik und Lieder gefeiert werden kann; was haben wir nötig, zu suchen und zu raten? Sind dies nicht offenbare Abdrücke und Reste solcher Liebes- und Hochzeitfreuden?
Damit aber auch hier niemand sogleich Kreis ziehe und das Hohelied zum Gesang Eines Brautfests, zum Drama von sieben Tagen u. dgl. mache; füge ich gleich hinzu, daß nichts davon den Sitten Morgenlandes gemäß ist. Die vermählte oder zu vermählende Braut schweigt: sie ist verhüllet; man lobet und singt sie, aber sie antwortet, sie tanzt nicht vor den Gästen; geschweige, daß alle übrige Auftritte dieses Liedes, als Hochzeitroman, statt fänden. Kurz, (und soll ichs hundertmal sagen?) es ist das Lied der Lieder Salomo's, d. i. der Ausbund seiner Lieder der Liebe und Jugendfreude. Nähern Aufschluß darüber und über einzelne Stellen und Szenen hat uns die Geschichte nicht gegeben.
Aber warum steht denn das Lied in der Bibel? Ich kann nicht anders antworten, als, warum steht Salomo in der Bibel und warum war er, der er war? Es ist ein abgeschmackter Wahn unsres Lustrums, daß die Bibel eine Spreutenne kahler Moralen und trockner Akroame sein müsse; weder die Natur noch sie selbst hat den Wahn genehmigt. In der Natur spricht Gott nicht vom Holzkatheder zu uns und so wollte er auch nicht in der Schrift zu uns sprechen; sondern durch Geschichte, durch Erfahrung, durch Führung Eines Volks, dem ganzen Menschengeschlecht zum Vorbilde. Was nun in diesem Volk für Hauptpersonen in den Weg des göttlichen Ratschlusses traten, die mußten festgestellt, die mußten entwickelt werden; und zwar entwickelt sie die Bibel, wie kein wankendes Schiff eines Geschichtschreibers oder Dichters sie entwickeln kann. Hier stehen sie als Sterne in dem himmlischen Bilderkreise, der die Erde umschlinget und der, wenn hienieden Alles wie Staub und Nebel, Trümmer und Ameisen, aufwallet und hinsinkt, stehet und bleibt, uns Zenit und Nadir, Zeichen, Zeiten und festen Standpunkt verleihet. In dem Kreise stehet auch Salomon mit seinen Tugenden und Fehlern; was ihn also ins Licht setzt, bestimmt, wie ihn die Bibel bestimmt haben will, das ist Urkunde seiner, Belag zu seinem Leben, sein Wort und Tat. Und was ist dergleichen mehr, als das Hohelied Salomons? an seiner Stelle so wichtig, als seine übrige Schriften.
Wenn in der Bibel steht: »Salomo hatte fünfhundert Weiber zu Frauen und dreihundert Kebsweiber«; wenn da steht: »Salomo liebte viel ausländische Weiber, dazu die Tochter des Königs in Ägypten – er war weiser, als alle vor ihm, auch weiser, als die Dichter an seinem Hofe – seine Lieder waren dreitausend fünf – er sprach von der Ceder Libanons bis zum Ysop an der Wand, auch von Gewürm, Vieh, Vögeln –« wenn dies alles unleugbar da steht, wird man nicht hingerissen zu fragen: wie redete er denn von seinen Weibern? wie sang er? wovon handelten so viel Lieder? wie sang er den großen Inhalt seines Lebens, die Liebe? wie sang er sie, als der weiseste und glücklichste König? Wenns in die Geschichte Davids gehört, wie Simei fluchte, in die Geschichte Hiobs, wie der Teufel vor Gott, und in die Geschichte des Bels zu Babel, wie die Pfaffen zum Könige sprachen; so, dünkt mich, wäre es ein schwaches Mohnhaupt, das dem Geiste Gottes verwehren wollte, uns zu zeigen, wie Salomo dichtete? wie Salomo sang? wie er über die Triebfeder seines Lebens dichtete, über Weib und Liebe? –
Stünde es im Verfolg der Geschichte Salomo's: »seiner Lieder waren dreitausend und fünf, und dies ist das Lied d. i. der Ausbund seiner Lieder«, wer könnte was dagegen haben? So wenig als gegen Lamechs Lied an seine Weiber, als gegen das Brunnenlied in der Wüste, oder als gegen Jothams Fabel. »Nun aber stehts als ein besondres Buch da –« und weswegen stehts da? als weil es für jenen Ort zu groß und so ein Ganzes war, als seine übrigen Schriften. Gehörten der Prediger und die Sprüchwörter dahin, warum nicht auch dieses? als göttlich-autorisierter Belag seines Charakters und Lebens. Darum steht es auch unter den hagiographis, den heiligen Büchern, die mehrere dergleichen Beläge enthalten.
Kurz, alle Schriften Salomo's werden hiemit historisch und charakteristisch. Sie sollen in sein Leben zurückgeführt, in seine Seele gelesen werden, so widersprechen sie einander nicht, sondern erklären einander. Keiner, als der die Sprüche schrieb, hat das Hohelied geschrieben, und der dies schrieb, wird auch wahrlich einst den Prediger zu schreiben haben. In diesem Sinne soll man die Bibel lesen; nicht alle Kräuter, wenn es auch Worte des Teufels wären, deswegen fressen, weil sie in der Bibel stehen und also ja zitierte Kräuter Gottes sind. Zur Lehre, sagen die Apostel, ist uns, was da ist, geschrieben, zur Besserung und zum Unterrichte; nicht zum dummen Anbeten und zum Verschlucken ohne Verdauung, wovon bei den besten sowohl, als schädlichsten Kräutern auch das Vieh stirbt. – –
Hier wäre Ort, eine herrliche Stelle Luthers anzuführen, aus seiner Vorrede über den Psalter: »wie gut es die Bibel mit uns meine, daß sie nicht bloß von den Werken heiliger Personen rumpele, sondern auch ihre Worte erzähle und den ganzen Grund ihrer Herzen, in Freude und Leid, durch ihre eigne Sprache uns fürhalte«, weils aber manchen vom Psalter zum Hohenliede, vom Vater auf den Sohn ein zu großer Sprung dünkte: so wollen wir, ohne Zitationen, in wenigen Worten fortfahren, »was auch dies Buch samt den andern Schriften Salomo's auf sein Leben und seinen Charakter für Bezug habe.«
1. Davids Sohn war Salomo, der Geliebte seiner Mutter, der Gottgeliebte.
Ach Auserwählter, meines Herzens Sohn,
Du Ein'ger, meiner Wünsche Sohn,
Gib nicht den Weibern deine Kraft,
Geh nicht den Weg, drin Könige verderben.
O nicht den Königen!
Du Gottgeweihter, nicht den Königen,
Gebühret Wein,
Den Fürsten starker Trank nicht.
Sie tränken und vergäßen des Gesetzes,
Und krümmeten das Recht der Armen.
Gebt Labetrunk dem Elenden,
Und süßen Wein dem bitterlich betrübten;
Er trink' und denke seines Jammers nicht,
Vergesse Not und Kummer –
Das war die Lehre, die den Gottgeweihten Jedidja seine Mutter lehrteSprüche Kap. 31. und Nathan gewiß bestätigt haben wird. Seine Regierung ging auf, wie ein Stern des Friedens; der angeführte 72ste Psalm besingt sie als eine Zeit der Gerechtigkeit und Königsmilde. Sein Urteilsspruch träufelte auf sein Volk, wie Tau, wie Regen auf die abgezehrten Kräuter: man segnete den stillen Sonnen- und Mondglanz seines Regiments und wünschte ihm Ewigkeit und die weite Erde. Auch als Friedenskönig und Fürst voll Herrlichkeit war er Messias Vorbild – und siehe, in diese Zeit kam die Szene des Hohenliedes, der sichtbare Segen Jehovahs, die stille Auszeichnung des Gottgeliebten.
Alle Menschenglückseligkeit sprießt aus Liebe; mit ihr ist alle Glückseligkeit verloren. Als Gott den Menschen im Paradiese schuf, ward Liebe sein zweites Paradies; Gott kannte nur Einen Segen fühlender Geschöpfe: er segnete damit Pflanze und Baum, Tier und Menschen; und als der Sohn Gottes sein neues Königreich auf Erden brachte, kannte er nur Eine Pflicht und Eine Belohnung, Liebe.
Liebe ists, die sich über alles Schöne und Gute freuet, die es zu sich, sich zu ihm stimmet, zur Harmonie, dem Kinde des Himmels, dem mannichfaltigen Einklange in aller Schöpfung.
Es gibt nur Eine Liebe, wie Eine Güte und Wahrheit. Liebest du dein Weib nicht, so wirst du auch nicht Freund, Eltern, Kind lieben. Schämest du dich des Hohenliedes, Heuchler, so schäme dich auch des Weibes, die dich empfangen, und des Kindes, das dir dein Weib geboren, am meisten aber deiner selbst, Deiner!
Du siehest deine Tochter an; wie soll sie gedeihen, zum schlanken, unschuldigen Palmbaum des Paradieses oder zum Dornbusch? Du siehest deinen Sohn an; was soll er werden? der Apfelbaum und die erwählte Zeder des Hoheliedes, oder ein krummer Ast im Kote?
Zu allen Zeiten hat sich die kalte Heuchelei, das gezierte Grab voll Totengebeine und alles Unflats, an nichts so sehr, als an Liebe, geärgert; an Liebe Gottes und des Menschen, unsres Nächsten. Auch das Hohelied und die zartesten Ausdrücke der Bibel und christlicher Lieder, sobald sie nur Braut und Verlobung nennen, dünkten ihr unerträgliche Hurensprache. Du Heuchler, sagt Christus, ärgert dich dein Auge, so reiß es aus. Ist dies helle und unschuldig, so ist dein ganzer Leib Licht; ists ein Schalk, so hilft dir nichts alles pharisäische Reinigen von außen.
Unschuld, du heilige Gottesperle! Heuchelei und Schminke, Trödelkram und gefärbtes Glas von Keuschheitpredigen und Geärgertwerden, kann dich weder festhalten noch ersetzen, wenn du dahin bist; vielmehr ist jene dein größter Feind, dein falscher Ersatz und häßlicher Nebenbuhler. Stellet zwei Kinder zusammen und lasset sie die Bibel, selbst das Hohelied Salomons in ihr lesen. Das Eine, des Unschuldsengel noch das Angesicht Gottes im Himmel schauet, wird lesen, ohne sich zu ärgern, wird sich, ohne zu wissen, warum? oder worauf? freuen und als eine Sprosse des Paradieses emporblühn. Das andre, der philosophische Bube, der den Aktus der Erzeugung in der Schule gelernt hat, damit er wisse, woher sein Vater das Recht habe, sich seinen Vater zu nennen? wird sich gewiß ärgern und die Bibel schließen. Er sei mein Sohn nicht.
Statt also mit heuchlerischer Kälte und ehrbarem Busenlächeln vorbeizugehn und sich zu segnen, wo mans gar nicht nötig hat und wo das Segnen selbst ärgert, lasset uns auch vielmehr aus dieser süßen Unschuld Saft der Arznei für unser krankes Jahrhundert bereiten, wo es ihm so not tut. Warum schleicht und liegt ihr da so, ihr unglücklichen Schlachtopfer eurer Lüste, ihr verdorreten Salzsäulen auf Sodoms Grunde? Ists nicht, als ob ihr vom Aschen- und Totenhaufen eurer Glückseligkeit und Menschenfreude uns blaß und hohläugig zuwinktet: »Arme, wir kannten den Zweck der Glückseligkeit und des Lebens nicht durch Unschuld und ungereizte, unentweihete Blüte. Uns fehlte das Vorgefühl, die keusche Ahndung von dem, was wir Zeitlebens sein müßten und außerdem nichts sind, dem paradiesischen Segen beider Geschlechter. Darum sind unsre Angesichte verfallen und unsre Augen erlöschte Kohlen. Am Baum eines falschen Vergnügens erkrankt, stecken die Pfeile seines Zorns in uns und saugen den Saft unsrer Gebeine.« Wodurch können diese armen Geschöpfe, wenn noch Rettung da ist, gerettet werden, als durch Rückkehr zur verlornen Unschuld, durch Reiz der Tugend, Gesundheit und Fröhlichkeit zu leben, in einem lebenden Hohenliede? Unschuld allein kann Unschuld zurückbringen oder bewahren. Lieset ein Engel mit deinem Kinde, so fürchte dich nicht; auch im Hohenliede liesets die Bibel, so wie es in der Natur der Tiere Schöpfung Gottes siehet und sich nicht ärgert. Ich bin gewiß, daß sich an dem »Adam erkannte sein Weib« noch kein unschuldiger Knabe gestoßen hat, aber wohl an dem unkeuschen Verhüllen, an dem moralischen Kopfschütteln mit Ach und Aber. –
Bei den Juden war es Gesetz, daß niemand das Hohelied vorm dreißigsten Jahre lesen sollte; die Vorsicht war gut, und auch Luther preiset sie an; wie ist sie aber jetzt möglich? Also tue man wenigstens, was man kann, komme schädlichen Eindrücken zuvor, werde Freund seiner Kinder, lehre sie die Bibel als Wort Gottes lesen, Ehe und Liebe als Segen Gottes im Paradiese im Sinne der Patriarchen betrachten; ich glaube nicht, daß das Hohelied hiezu schädlich sein werde. Vielweiberei, unzüchtige, heidnische Liebe, schöne Natur der Ägyptischen und Ammonitischen Weiber ist nicht darin; nur Eine ist seine Taube, seine Reine, seine Liebe; sie, die Liebe ihrer Mutter, die seine Mutter ihm selbst vermählet. Ich bin gewiß, daß, wenn eine keusche Mutter mit ihrer Tochter, ein würdiger Vater mit seinem Sohn dies Lied, eben in der Absicht der Bibel durchgehet, als den Kranz reiner Jugendjahre des Gottgeliebten, als irdischen Lohn und Segen, der dem zarten Sohne Davids, dem süßen Pfleger der Gerechtigkeit und Menschenmilde von Gott wurde; jede Blume, woraus die Spinne Gift saugt, wird der frommen Biene Honig werden, dem unschuldigen Kinde ein Zweig vom Baume des Lebens.
2. Ohne Zweifel gehört hiezu, daß man mit diesem Buche Salomons auch seine andern Schriften verbinde und eine durch die andre erkläre. Wenn sein Prediger rühmt, daß auch bei seiner Liebe und Lust zum Vergnügen noch immer Weisheit ihm beigewohnet, so weiset er uns damit selbst auf seine Sprüche, wo er mehr als einmal die Weisheit seine Geliebte nennt und die Gottesfurcht seine Schöne. Wie ernstlich warnt er da vor Hurenliebe, Ehebruch und Verführung! wie schildert er die Abwege der Jugend und den Reiz früher Keuschheit und den Balsam des Lebens in echter, reiner Liebe! In seinem letzten Buche, wo er auch an den sinnlichen Vergnügungen das Nichts, die Eitelkeit gnug zeiget, bleibts immer noch das Resultat seiner Beobachtungen und Erfahrungen in Gutem und Bösen: »Freue dich, Jüngling, in deiner Jugend, ehe denn die bösen Tage kommen; habe aber auch Gott vor Augen und denke ans Gericht.« Er bleibt dabei, daß es das Beste sei: »fröhlich zu sein in seiner Arbeit, sich Wohlsein zu verschaffen, des Lebens zu genießen mit seinem lieben Weibe: denn das sei unser Teil im Leben.« Es spricht also noch immer der Sänger des Hohenliedes und nimmt sich nicht zurück; aber er bestimmt sich jetzt aus geprüfter Erfahrung und verschweigt auch die härtesten Sachen nicht, die sich ihm in seiner Liebe und Sinnlichkeit aufgedrungen haben, nämlich, »daß hiemit das menschliche Herz nie ganz befriedigt werde, und daß, wenn er unter tausend Männern einen Menschen fand, er unter tausend Weibern keinen gefunden: denn Gott hat den Menschen aufrichtig gemacht, aber sie suchen viel Künste.« Wer Salomons Schriften in solcher Verbindung lieset, wird er am Hohenliede tändeln? in ihm letzten Zweck des Lebens, oder gar Unzucht und Ehebruch suchen, von denen Salomo ein solcher Feind ist? Wird er nicht vielmehr sein Knie vor dir, sanfter Liebling Gottes, beugen und im Dreieck deiner so verschiednen und so einartigen Schriften beinah die Summe philosophischer Weisheit des Menschenlebens finden?
Liebe ist die größte Weisheit, und die größeste Weisheit selbst im ernsten Sinne des Predigerbuchs ist und bleibt Liebe. Liebe ist unser Königreich aus dem Paradiese: worüber wir mit Liebe herrschen, das ist gewiß unser. Je weiter wir also dieses verbreiten und je enger zugleich es an uns ziehen können, desto weiser und glücklicher sind wir, in den rechten Schranken des menschlichen Lebens. Ein frohes Herz sieht allenthalben Frühling, ein liebendes Auge überall Liebe: ihm duftet in dieser Rose sein Freund, ihm wächst in diesem Palmbaum sein Kind, seine Geliebte. Menschengestalt ist die größeste Naturschöne, und alle Naturschöne muß der Menschengestalt, der Menschenliebe und Freude dienen. Die Weisheit Gottes, Salomons Muse, spielet in allen Bildern auf der Erde und ihre Lust ist bei den Menschenkindern.
Wie teuer mir in diesem Betracht einige der abstechendsten Bücher der Bibel, die alle zusammenstehen, sein, kann ich nicht beschreiben. Die drei Schriften Salomons hinter den Psalmen, die Psalmen hinter Hiob: das Täubchen der Liebe hinter dem Vogel der Weisheit, und unmittelbar an ihm der Sonnenfliegende Adler, Jesaias. Da ist Lehre, da ist menschliches Leben! –
3. Noch unterrichtender aber wird endlich die sonderbare Entwickelung und Katastrophe selbst in Salomons Leben. Der weiseste König, und wird zuletzt der größeste Tor durch Weiber. Der sanfteste König, und ganz Israel klagt ihm nach: »dein Vater hat unser Joch hart gemacht, mache du es uns leichter.« Friedekönig, und legt den Grund zum Abfall, zu ewigem Zwist und Trennung seines Volkes. Mächtig bis über den Euphrat, und kann zuletzt einzelne Rebellen nicht bändigen, muß seinen gesalbten Nachfolger, Jerobeam, unbezwungen dulden. Weiser denn alle Weisen, und vergaß zuletzt seine Kinderweisheit, die Furcht des Herren. Auch weiser denn die Dichter; und sein Land seufzte. Von Ausländerinnen verehrt und von Inländerinnen betrogen, verführt, vielleicht verachtet. Erbauer des Tempels, und selbst ein Abgötter: dem zweimal Gott erschienen, und der fremde Götter suchte. Umgeben mit Tausenden der Weiber und Kebsweiber, und hinterließ Einen unnützen, unweisen Rehabeam. – – Gerechter Richter! wie tief geht dein Pfeil! wie furchtbar gleich und aufwiegend hängt deine Waage! Lasset uns den 127sten Psalm, ebenfalls ein Lied Salomons, hören:
Wo Gott der Herr das Haus nicht baut,
Vergebens bauet ihr;
Wo Gott der Herr der Stadt nicht wacht,
Der Wächter wacht umsonst.
Umsonst ist, daß ihr früh aufsteht,
Und sitzet spät in Müh,
Und eßt in Sorgen euer Brot;
Dem Freunde gibt er Schlaf.
Auch Kinder sind des Herrn Geschenk,
Sein Lohn ist Leibesfrucht:
Wie Pfeile in des Starken Hand
Ist junger Söhne Stolz.
Wohl ihm, dem Mann, der ihrer voll
Hat seinen Köcher. Sie
Erröten ihren Feinden nicht
Beim Hader vor Gericht –
wie freilich sein Sohn Rehabeam erröten mußte. Richter, so rächest du: die ganze Welt ist Waage der Wiedervergeltung in jedes Menschen Leben. Der zu zärtliche König wird durch seine Weiber, der zuletzt aberweise König durch einen unweisen Sohn gestraft.
Wo Salomo (menschlich zu reden) in Zügen wiederkommt, kommt auch sein Schicksal wieder. Der Jüngling, der nach zweitausend Jahren durch Kunst ein Hohelied sang, Petrarka, – leset die drei Quartanten seines Lebens und wenn auf der Einen Seite an Feinheit, Zärtlichkeit, Liebe, Freundschaft, Vielwissenschaft und Weisheit Salomo sich in ihm von fern meldet, so steht er noch deutlicher zuletzt in Ekel und Unmut der Welt, in Eitelkeit und gelehrter Langenweile da; nur freilich war die Krone des Einen Gold, des andern Lorbeer. Die vertändelte Berlocke hängt zuletzt müßig da; der müde Sänger der Liebe schreibt ein schwächeres Buch der Weisheit.
Liebe, du Tautropfe des Himmels, die süßeste der Süßigkeiten auf Erden; wie bald wird dein Honig Ekel, wenn man ihn im Übermaße genießet. Du bindest Menschen an Menschen, Menschen an Gott – ein Band fest wie der Tod, denn du sollt die Sterblichkeit überdauern; wehe aber, wer an diesem Gottesbande fasert und es in seidne Flocken auflöset! Sie verwehn, und was ist ihm blieben? O Liebe, die Christus lehrte und zeigte und ausgoß, Liebe, die Johannes in seinem Glanz bis in jene Welt hinüber malet, wie anders bist du! Eine nie versiegende Aurora; scheint sie hier unterzugehen, so geht sie mit höhern Farben in einer ewigen Welt auf!
Walle süßes Wort, mein Herz, auf! ströme süßes Wort!Ps. 45.
König höre! meine Zunge fleucht, ein Griffel, fort.
Schönster aller Menschensöhne! deine Liebe gießt
Strom der Anmut, du, der Gottes ewger Liebling ist.
Gürte Schwert an deine Hüfte, Held, und wandle fort
Prächtig, glücklich. Wie ein Kriegsroß sei dein siegend Wort,
Und sei Gnadenwort. Die Rechte, wenn sie Schrecken winkt,
Wenn dein scharfer Pfeil der Feinde Königsherzblut trinkt,
Völker liegen dir zu Füßen – Gott, dein Thron er sei
Fest und ewig, deines Reiches Zepter fest und treu.
Unrecht hasse, liebe Wahrheit, Huld, Gerechtigkeit:
Denn, o Gott, drum hat dein Gott mit Freudenöl erfreut
Dich vor allen deinen Brüdern. Myrrh' und Aloe
Duftet dein Gewand dir, wenn du froh, in Königshöh,
Trittst aus Elfenbeinpalästen und in deiner Zier
Dir die Königstöchter dienen und zur Rechten dir
Deine Braut in Ophirs Golde pranget. Hör' es, Braut,
Und vergiß dein Volk dir. Schaue, wem du bist vertraut,
Und vergiß dein Vaterhaus dir, daß der König sich
Lab' an deiner Schöne. Neig' ihm, deinem Herren, dich!
Und die Töchter Tyrus werden mit Geschenken dir
Huldigen, des Volkes Fürsten tief anbeten dir.
Prächtig ganz ist Königs Tochter. Goldgewandgeziert,
Prachtgestickgeschmücket wird zum König sie geführt.
Nach ihr eilen die Jungfrauen, die Gespielen all
Jauchzen ein in Königs Palast. Ich, mit Freudenschall,
Sing ihr: »Braut, statt deiner Väter werden dich erfreun
Deine Söhne, werden rings im Lande Fürsten sein!
Von Geschlecht hin zu Geschlechte sing' ich weit und breit
Deinen Namen. Völker preisen dich in Ewigkeit.«
Das wäre also die lehrreiche Stelle dieses Buchs in der Bibel. Es ist ein notwendiger Belag zu seinem Leben, eine Beurkundung des Segens, den ihm Gott versprach, ein Schlüssel zu seinen übrigen Schriften, zusamt seiner Denkart und dem sonderbaren Schicksal seines Alters und Ausgangs. Unter den Büchern des alten Testaments ists eine Rosen- und Myrtenlaube im Tale des Frühlings rings umher voll schöner Aussicht auf alle Seiten der Menschheit. – –
Mich dünkt, man antwortet mir: »wohl! aber könnte das Buch nicht noch mehr bedeuten? sollte nicht noch ein andrer Sinn, ein tieferer Verstand dahinter sein?« Meinetwegen! aber was heißt das könnte, sollte? was wäre es für ein anderer tiefer Verstand? und aus welchen unumstößlichen Merkmalen wüßte man, daß und wo er dahinter sei, daß der klare Wortverstand nicht darunter litte?
Ich lese das Buch und finde in ihm selbst nicht den kleinsten Wink, nicht die mindeste Spur, daß ein andrer Sinn Zweck des Buchs, erster Wortverstand Salomons gewesen wäre; oder ich müßte ihn auch im Liedchen Ibrahims, in den Oden Hafiz!, in allen morgenländischen Liebesgedichten vermuten und aufsuchen können, die diesem Liede in äußerer Gestalt völlig gleich sind. Im Leben Salomo's finde ich zu diesem andern Sinne, er solle nun historisch oder mystisch oder metaphysisch oder politisch sein, noch weniger Grund: denn die Mystik war Salomons Weisheit nicht, noch weniger Metaphysik und scholastische Kirchengeschichte. Seine Weisheit war klarer Sinn in Anschauung der Dinge des Lebens, feiner Scharfsinn, ausgebreitete Naturweisheit. Wozu die spätere arabische Sage auch den weisen Salomo machte, sogar zum Zaubrer und Teufelsbanner; zum mystischen Kopfhänger und Schwindler ins Wüst' und Leere, oder zum Kompendienschreiber der christlichen Kirchengeschichte hat sie ihn nie machen mögen.
Auch siehet man es schon der Art des neuen Sinnes selbst an, wes Geistes Kind er sei? nämlich das Schoßkind jedes einzelnen müßigen Geistes. Er trägt immer die Gestalt seines Vaters, des Erfinders: fühlte der fein, so ist auch die Seide des Märchens fein, die er aus Salomo spinnet; ist er grob, so kommt auch so ein dickhäutiges Schiffseil von Allegorik heraus, daß dem Leser die Nerven zittern. Sei es aber auch fein wie Spinnwebe; es ist nur immer angesponnenes fremdes Gewebe, wenn es nicht aus der Schrift Salomons natürlich wächst und von selbst gleichsam sich aufdringet. – – Wenn Rabbi Juda fragt, warum es das Hohe Lied heiße? und antwortet: »weil, wer dies hört, in seinem Gemüt mit himmlischen Sachen verbunden werde?« so kann ich die Feinheit der Antwort wohl leiden. Es gefällt mir, wenn der Sohar sagt: »Schwarz, aber gar lieblich – das ist die israelitische Kirche, schwarz um ihrer Gefangenschaft, lieblich um des Gesetzes und ihrer Frömmigkeit willen.« Oder, wenns heißt: »unsrer Häuser Balken sind Zedern, d. i. der Tempel des Herrn durch die Hand Salomo war Zedernholz; der Tempel des Herrn, der zur Zeit des Messias wird erbaut werden, dessen Balken werden sein Zedern des Paradieses.« Die Turteltaube läßt sich hören: »das ist die Stimme bei der Ankunft des Messias.« Wer ist die hervorbricht, wie die Morgenröte? »das ist die Erlösung des Messias; wenn der Messias kommt, wird eine Finsternis auf die Königreiche der Welt fallen« – – Auf den Würzbergen. »Unter allen Pflanzen und Bäumen ist keine kleiner und niedriger, als da das Gewürz darauf wächst; also die Heiden, die mit den Dornen verglichen werden, haben weiten Raum« – – Solche und unzählich andre Deutungen sind fein: sie sind gleichsam moralische oder poetische oder philosophische Anwendungen, wie die jüdische Auslegungskunst liebt und in feinen Gesetzen bestimmt: den natürlichen Wortsinn aber müssen sie weder ersetzen noch verdrängen wollen, sonst sind sie verführend, und auch wo sie am sinnreichsten und schönsten auffallen, sind sie Anwendung, Poem, Figment, Eigentum ihres Erfinders. So auch manche mystische Auslegungen des Hohenliedes durch Christen; sie enthalten ein Meer von Empfindungen, feinen Gedanken und lieblichen Gespinsten, davon die Seele des Auslegers voll war und sie doch irgendwo ausgießen wollte; er faßte sie also in dies liebliche Gefäß. So haben ja Sarbievius, Jo. Angelus und viele andre, die einzelne Worte des Hohenliedes auf den Gegenstand, den sie in Gedanken hatten, poetisch ausgebildet, und man sieht leicht, daß in einer so zarten Sprache des Herzens, bei den so abwechselnden Gestalten und Szenen aller Menschenschöne, Liebe und Freude, Raum für die Empfindungen einer ganzen Welt ist. Aber ewig bleibts gewiß: das ist Anwendung, nicht Wortsinn; ein neues Gefäß aus dem zarten edlen Leim gemacht, nicht aber seine Urgestalt und erste Lage; es ist ein abgeleitetes, tausendfach versetztes Wasser, nicht die klare Quelle des Ursprungs. Lasse ich mich da durch einen feinen Rabbi verführen, der mich vom ersten notdringenden Wortverstande weglocket, so stehe ich gleich einem groben bloß, der ankommt und also redet: Er hat mich in den Weinkeller geführt; die Braut redet die Diener des Bräutigams an: erhaltet mich mit den Flaschen des geistlichen Weins im Sakramente. Fahet uns die Füchse, d. i. die Ketzer, so Christi Weinberge verderben, und die kleinen Füchse, d. i. die heimlichen Ketzer, so die Partikularkirchen verderben. Siehe, um das Ruhebettgen des himmlischen Salomons stehen sechszig Starke, nämlich heilige Engel und Gottesgelehrte, alle angetan mit Schwertern, und verstehen die Streitkunst. Deine Zähne sind weiß, d. i. deine Lehrer sind einmütig und orthodox in Untersuchung der Ketzereien, du wirst disputatores bene dentatos haben. Deine Lippen zwo Purpurfäden, das Symbolum Nicaenum und Athanasianum. Mein Freund ist hingegangen zu den Würzgärtlein, d. i. zu den neuen Partikularkirchen im 7ten Saec., zu den Franken, Schwaben, Westphälern, zu den Sachsen und Thüringern, u. f. Dein Nabel wie ein runder Becher, ist der wiederhergestellte Kelch im Abendmahle, und dein Bauch wie ein Weizenhaufe, da die Irrtümer verworfen sind von Fegfeuer, Seelmessen und von Verdienst der Werke. Deine zwo Brüste, die Mittel der Seelennahrung, das evangelische Wort und die heiligen Sakramente – – und so gehts zum Tor Bethrabbim, zum Elfenbeinern Turm, d. i. zu der durch den Hals der Lehrer rein vorgetragnen Lehre, zur Nase, dem Emblemate des Zorns über die Feinde der Kirche, zu den Haaren, dem Bilde der Unterwerfung der Lehrer unter keinen als Christum, und zum Palmbaum, dem Westphälischen Frieden, zu denen durch die Kehle gepredigten Lehren, die die Lippen der Schlafenden redend machen, und zur Linken, die das Haupt unterstützt, d. i. dem Collegio evangelischer Lehrer. Bis endlich die Töchter Jerusalems, d. i. das Chor der Theologen singet: Unsre Schwester ist noch klein, die aus Gog und Magog hervorwachsende Kirche: noch hat sie keine Brüste, d. i. keine ordentliche Lehrer. Wir wollen über sie bauen einen silbernen Palast für die Lehrer des Evangelii: denn dem himmlischen Salomo gebühren 1000 Silberlinge für den Weinberg, 200 den Hütern zum Gnadenlohne. – – Man spürt wohl, daß kein Rabbi die Deutung gemacht, indessen zweifle ich, daß der König Salomo glorwürdigen Andenkens so lutherisch werde gedacht haben; – – Luther selbst dachte nicht also!Neque hoc placet, ut exponamus de coniunctione Dei et Synagogae – – Luther.
Salomo ist nicht der Einzige, dem es so geht; heilige und Profanskribenten, insonderheit Dichter, je einfältiger, klarer und tiefnatürlicher ihre Worte sind, destomehr wird man sie mit Auslegungen salben und in ihr schönes weites Zelt Sachen hineintragen, an die sie wahrlich nicht dachten. So gings Homer, Dante, Petrarka, ja selbst der ehrlichen Voluspa: man hat in ihnen alle Weisheit und selbst die Goldmacherkunst gefunden; indessen wer fand sie darin? nur Narren oder Kinder.
Es ist gut und löblich, daß ein biblisch Buch biblisch und ein zärtlich Buch zärtlich angewandt werde; ja wir haben darin die schönsten Vorbilder an den Propheten, Christo und den Aposteln. Sie brauchen Ausdrücke, Bilder, Vorstellungsarten des Hoheliedes, jeder auf seiner Stelle, in seinem Zweck und Sinne. Das ist jemanden so wenig untersagt, als ja im Gegenteil jede Speise, die wir genießen wollen, verdaut, in unsern Saft verwandelt werden und also gewisser Maße ihre Natur verlieren muß. Es wären Pedanten und Wortkrämer, die uns am Hohenliede nur Hebräisch lehren und Anakreontisch singen lehren wollten; weitere Anwendung und Seelenspeise daran aber untersagten. Ist die Natur, wie Süßigkeit und Liebe, überall nur Eins; wo dir dein Herz eingibt, mit den Worten dieses Buchs zu beten, zu reden, zu betrachten, zu lieben; da kannst du's so ungehindert tun, als Jesaias, Christus und Johannes es taten. Jede Blume wird gleichsam frisch blühen auf dieser neuen Stelle, und deine Seele, dein Mut, ja dieser Ort und diese Stunde werden ihr frische schöne Farben leihen; jedermann aber siehet, daß diese unendlichen, so augenblicklichen, so unbestimmbaren Anwendungen den Ersten Wortverstand nicht aufheben, sondern voraussetzen, bestätigen und gleichsam bewähren. Gerade wer zuerst dies Eine im Hohenliede ganz und treu fand; kann nachher in der Anwendung alles daher brauchen, dagegen wer im Wortverstande tappt und irret, auch in jeder einzelnen Anwendung straucheln oder lahmen wird. – – Lasset uns also, damit man mir nicht die Ehre erzeige, mich unter die neuen Reformatoren zu rechnen, die für lauter klarem Wortverstande der Bibel von der mindesten Anwendung derselben nicht wissen wollen, noch einige Worte von dem kirchlichen Gebrauche dieses Buchs und seiner gewöhnlichen Anwendung so viele Jahrhunderte her reden.
Schon Jesaias betrachtet die Kirche Zions als Gottes Braut und den Herren ihren Gott als Mann und Bräutigam. Hoseas, Jeremias, Ezechiel, die andern Propheten führen dies Bild fort und tun an sie unter demselben die ernstlichsten und zärtlichsten Worte. Im neuen Testament wird Christus Bräutigam seiner Kirche und Johannes ist nur Freund des Bräutigams, der sie ihm zuführet. Christus in verschiednen Gleichnissen, die Apostel in den stärksten Ermahnungen, Johannes Offenbarung endlich in der lieblichsten Hoffnung bestätigen dies Bild so sehr, daß es sogleich, nachdem der Kanon geschlossen war, allgemeine Vorstellungsart, und bei den ältesten Kirchenvätern eine Lieblingsidee ward, zu der das Hohelied Salomons den reichsten Stoff der Ausschmückung leihen und geben konnte. Sie schütteten also auch in ihren Homilien, Glossen, Kommentarien über dies Buch die Fülle ihres Herzens aus, jeder, wie er die Kirche sah und fühlte. Zart oder feurig, klagend oder jauchzend; nachdem sie ihm schwarz oder lieblich erschienen. Ohne Zweifel war dies auch die Ursache, warum der ehrliche Luther in ihm Trost über die Verwaltung des Regiments suchte; seine Zeit und Er hatten dieses Trostes nötig. Er schrieb nämlich über dies Buch gerade in dem hämischen Jahr, wie ers nannte, 1538, da der heilige Bund wider die Protestanten zu Stande kam, er den Verdruß mit Lemnio hatte, und auf der andern Seite die Ausbreitung seiner Lehre doch nicht nachließ. Da seine Seele immer das Anliegen ausgoß, das sie zunächst drückte, so brachte ers auch jetzt in die Bücher, die er erklärte, oder vielmehr, an denen er sich stärkte und labte. Er sagts ausdrücklich in seiner VorredeNos referimus inter enarrandum nostras cogitationes eo, ut hic quoque liber tum doctrina ad vitam utili, tum consolationibus nos erudiat. Praef. in cantic. cantic. und war übrigens mit den Auslegern nicht zufrieden, »die es von Vereinigung Gottes mit der Kirche (Synagoge) oder mit den Tropologisten, die es von der gläubigen Seele auslegten; ex his enim sententiis quis quaeso fructus percipi potest?« Übrigens hielt er das Buch für dunkel, und wollte nichts, als seine Meinung, d. i. die Anwendung sagen, die ihm damals so nahe lag.
Es kann wohl kaum geleugnet werden, daß nicht auch manche mystische Ausleger diesem Drange des Herzens nachgegeben und damals nicht anders, als so, über dies Buch schreiben können? Hat Christus seiner Kirche immer gegenwärtig zu sein versprochen und sich mit ihr in Ewigkeit verlobet; warum sollte ers nicht auch jeder einzelnen glaubenden Seele sein, da die Gemeine der Kirche ja eben aus lauter einzelnen Glaubenden bestehet? Mit je mehr Reinigkeit und Innigkeit man also die Vereinigung Gottes mit dem Menschen fühlte; desto inniger wandte man auch die Sprache dieses Buchs an, in dem nur Liebe redet. Man siehet aber, es war nur Anwendung, sollte und konnte nur Anwendung bleiben, dem ersten Sinne Salomons völlig unbeschadet: denn sogar der Schluß vom Allgemeinen auf jedes einzelne Glied der Kirche war schon Anwendung. Auf diesem Wege wird noch bis jetzt jedermann von einzelnen Stellen des Liedes Gebrauch machen können, wie sie ihm jetzt sein Herz und Anliegen eingibt; gnug, wenn sie dem gesamten Worte Gottes und der daraus gezognen Regel des Glaubens nicht widersprechen.
Und daß die obige kirchliche Anwendung, von der die genannte Erklärung Luthers nur ein gereinigter blühender Zweig ist, derselben nicht widerspreche, sondern im höchsten zustimme, ist gewiß. Wer nimmt sich der Kirche an, wenn sich Christus ihrer nicht annimmt? Er, der sich mit Blute des Herzens seine Braut erkaufte und sie mit dem Wasserbade seines Geistes sich unsträflich wusch, sie auch in ihrer Niedrigkeit liebet, bis sie einst herrlich vor ihm erscheine. Es sind also eben nicht die züchtigsten Ohren, die diese ganze Vorstellungsart, die doch biblisch und nicht nur Wort, sondern Sache ist, überall ausreuten wollen und sich auch in Sprüchen, in alten treugemeinten Liedern daran ärgern. Die Kirche, die ihr im Sinne habt, mag freilich ohne Christo sein! sie hat auch seiner nicht nötig.
Überhaupt ist Kirche, Staat, Ehe, und die einzelne Menschheit, wie sie in allen dreien gepflegt oder gemißhandelt wird, Ein Ding; überall ohne Gott nichts, und überall, aufs zarteste betrachtet, Braut Gottes an der Hand Jesu Christi: ein Siegel auf seinem Arm, ein Gepräge auf seinem Herzen. Paulus schämt sich nicht, auch in der EheEph. 5, 22 f. ein Bild Christi und seiner Gemeine zu finden: das Verhältnis des Herrn zu seinen Untertanen, dem Lande, dem er vermählt ist, wird nie ein besseres finden, und in Absicht des Diensts der Kirche hat Paulus ebenfalls gezweifelt: ob der, der seinem eignen Hause nicht vorzustehen wisse, je die Gemeine Gottes versorgen werde? Die allgemeinen Bande dieser Einrichtungen, die lebendige Bauart dieser nur verschieden genannten Gebäude ist also Eins; und der Geist derselben Ein Geist – Liebe. Je mehr nun ein Mensch die Wohltaten Gottes gegen Eins oder das Andre, die geheime und süße Zutätigkeit des freundlichsten Wesens durch die, so seine Stelle vertreten, hienieden fühlt; destomehr ist Vorrat in seinem Herzen, das Buch hie oder dahin zu deuten. Und so deute ers, nur keusch und züchtig, daß es weder Spiel noch Ärgernis werde; und nie vergesse mans, daß es Anwendung sei, nicht ursprüngliche Absicht, sonst wird Eine Anwendung die andre hassen und verfolgen, da sie doch alle, und unzähliche ihrer, Schwestern unter einander und Töchter Eines Wortsinnes, des Textes der Liebe, sein und bleiben. Auch der Kirche bleibe die Ihre, denn sie ist sich selbst die nächste.
Und so habe ich Lust, diesen Abschnitt mit der klarsten Mystik zu schließen, die das Buch enthält, mit dem goldnen A.B.C. der Weiber, am Ende der Sprüchwörter des Sängers der Liebe:
Wem ein Weib von Tugendart
Solch ein Weib bescheret ward;
Über Perlen geht sein Gut.
Fest an ihr ist Mannes Mut.
An ihr hat er Beute gnug;
Treue sonder List und Trug,
Liebe, sonder Leid und Zwang,
Gibt sie ihm sein Lebenlang.
Flachs und Wolle zu Gewand,
Wirkt sie ihm mit muntrer Hand,
Ist ein Schiff, das Schätzeschwer
Ferne bringet Nahrung her.
Noch ist Nacht; sie teilet schon
Speis' und Arbeit aus und Lohn,
Sorget für das Feld und sieht,
Wie nun ihr der Weinberg blüht.
Gürtet sich zu mehr Gewinn,
Stärket neu sich Arm und Sinn,
Denn sie schmecket, wie so süß
Sei ihr Segen und Genieß.
Ganze Nächte brennt ihr Licht,
Brennet und verlöschet nicht;
Greift zum Rocken, spinnet frisch
Und ernährt der Armen Tisch,
Öffnet ihnen volle Hand,
Und ihr Haus hat reich Gewand.
Wenn des Winters Schnee einbricht,
Hat es Schutz und fürchtet nicht.
Nach der Notdurft sucht sie Zier,
Schaffet Purpurdecken ihr,
Weiße Seide zum Gewand,
Denn ihr Mann wird schon genannt
Mit den Edeln, hält Gericht –
Sie erhebt sich dessen nicht;
Stickt der Schleier, Gürtel mehr
Für die Töchter überm Meer,
Und ihr Schmuck ist Reinigkeit,
Froher Blick auf späte Zeit.
Klugheit öffnet ihren Mund,
Huld und Sitte tut er kund.
All ihr Haus durchschauet sie,
Gibt ihr Brot der Faulheit nie;
Darum preist sie ihr Geschlecht
Und ihr Mann frohlocket recht:
»Viele Dirnen, frisch und reich,
Sah ich; dir war keine gleich.
Aller Schönheit Reiz vergeht,
Gottesfurcht im Weib' besteht.
Solch' ein Weib verdienet Ruhm,
Ihrer Tugend Eigentum,
Gebt ihr ihrer Hände Lohn,
Dank und Preis im Heldenton.«