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3.

Gutenberg entkam aus dem Schifflein, zu welchem ihn Marianne geleitet, unangefochten nach Amsterdam, und beschloß, an diesem Orte Kuno's und Lorenz' Ankunft abzuwarten. Da er nicht wußte, wie bald sie ihm nachkommen würden, theilte er seine kleinen Ersparnisse weislich ein und begnügte sich mit einem sehr nothdürftigen Unterkommen in einer Schenke, nahe dem Landungsplatze, an welchem die meisten Schiffe aus Harlem anhielten. Er spähete, so oft ein neues Fahrzeug ankam, nach seinen Gefährten; doch erst nach einigen Wochen vergeblichen Harrens traf Lorenz ein, dem es nur schwer gelungen war, dem Hause des Küsters zu entfliehen, da man nach Gutenberg's unbegreiflichem Entkommen ein wachsames Auge aus ihn hatte. Nur mit Mariannens Hülfe gelang es ihm endlich, seinem Herrn zu folgen. Sie gab ihm Grüße und ein Schreiben an Johann mit, das ihm die Kunde brachte, Kuno werde nicht mehr nach Harlem zurückkehren, er habe die Nachricht gesandt, daß er die Dienste des Küsters für immer verlassen wolle. Von Rotterdam aus, wo er Geschäfte für Meister Lorenz besorgt, habe er diesem mitgetheilt, daß er lange genug in Harlem gelebt, deshalb nun für immer von ihm und seinem Hause Abschied nehme, und ihn zugleich bitte, seinem Freunde Johann zu sagen, er werde vorerst in die Heimath am Rheine wandern, er möge indessen gen Süden ziehen, dort würden sie sich einst wieder begegnen, wenn das Schicksal es nicht anders beschließe.

Marianne setzte hinzu, daß ihr Vater an eine Verabredung zwischen ihnen glaube und sehr erboßt darüber sei; er solle sich deshalb sogleich von Amsterdam entfernen, um nicht in etwaige Ungelegenheiten zu kommen, da dem Meister das Recht zustehe, auf den flüchtigen Gesellen zu fahnden.

Kuno's Entschluß überraschte Gutenberg, denn er hatte ihm vor seiner Geschäftsreise auch nicht die leiseste Andeutung davon gegeben. Ob plötzliche Sehnsucht nach Hemma ihn wieder rheinaufwärts trieb, ob ihm vielleicht eine Nachricht von ihr zugekommen, die ihn dazu veranlaßte? – waren Fragen, die sich ihm aufdrangen, für die er jedoch keine bestimmte Antwort fand. Kuno's Reise nach seiner fernen Heimath erweckte lebhafte Erinnerungen in ihm und heiße Sehnsucht nach den Lieben dort. Des Heimwehs namenloser Schmerz schlich sich in sein Herz ein und wollte ihn Kuno nachziehn. Doch nur kurz gab er sich diesem Gefühle hin. Nach dem Kampfe weniger Stunden blieb ihm kein Zweifel mehr, welchen Weg er einzuschlagen habe:

Auf der begonnenen Fahrt weiter durch die Welt, – sehen, – lernen, – das Gesammelte zusammenhäufen, – die Perlen davon aussondern und sie dann aneinanderreihen zu einer Krone für die Menschheit, welche mit friedlicher Macht sie einst segenbringend beherrsche – blieb der Leitstern, der ihn nach sich zog und dessen Licht jeden egoistischen Wunsch erblassen machte.

»Auf, mein getreuer Junge, ein weiter Weg liegt vor uns,« mahnte er Lorenz mit leuchtenden Augen. »Wir wollen jetzt Hollands Grenze zu überschreiten suchen und Frankreichs Boden betreten ; dort mit Arbeit und Muth durch die größeren Städte uns schlagen, dann nach der Schweiz wandern und dann, guter Lorenz, geht's über die Alpen dem schönen Italien zu; in die mächtige Markusstadt, wo uns Antonio's gastliches Haus einen freundlichen Willkommsgruß bietet. Dort werden wir Schönes und Großes sehen und lernen. Dort hat das Handwerk zur Kunst sich aufgeschwungen, und aus Werkstätten sind Fabriken geworden, welche weltberühmte, herrliche Sachen liefern. Schon als Kind versetzten mich einige davon in staunendes Entzücken, und Antonio meinte: In Venedig erst würde sich mir das wahre Verständniß der Gewerbthätigkeit und ihr großer Werth für das Gesammtwohl der Menschheit recht augenscheinlich erschließen. Drum frisch auf! Hier nimm die kleinere Hälfte des Schatzes, den ich aus Harlem gerettet, und lade sie auf deine jungen Schultern, – die größere ist, wie billig, für mich. Dieser Schatz, so schwer er auch unsere Schultern drücken wird, muß mitwandern, denn er ist das Werk vieler Nächte und tiefen Nachdenkens.«

»Herr, gebt die schwerere Hälfte mir; – ja laßt mich Alles tragen,« bat Lorenz. »Es will mir nicht zu Sinn, daß ein edler Junkherr, wie Ihr, beladen gleich einem wandernden Gesellen sein soll; – begreife, offen heraus, überhaupt nicht, was Ihr mit all den vielen Sachen nur wollt. Das Briefdruckergewerbe habt Ihr ja in Harlem gründlich studirt, und ich weiß auch etwas davon zu erzählen. Wir könnten in der Heimath ein prächtiges Geschäft damit gründen. Freilich wohl würde Eure vornehme Verwandtschaft übel dazu sehen, – allein es müßte ja nicht grade Eltwill sein, wo wir uns niederließen. Ich wette, das hochmüthige Mainz öffnete Euch sogleich seine Thore, wenn Ihr als ein Gewerbtreibender dadurch einziehn wolltet. Drum ehe wir eine so weite Wanderschaft und noch dazu eine so beschwerliche und gefährliche antreten, überlegt das Für und Wider erst hin und her, edler Junkherr. Der Kuno ist rheinaufwärts und würde sicher in Mainz bei uns bleiben und wie bei dem Harlemer Meister bei Euch den Verkäufer machen.«

»Du giebst ganz guten praktischen Rath, mein Junge – und doch kann ich ihn nicht befolgen, – schon um meines Vaters und Bruders willen nicht, die mich verstoßen würden, wenn ich ein Zunftgenosse des stolzen Mainz zu werden gedächte, das seine adeligen Söhne so arg mißhandelt hat. Doch nicht um dessentwillen allein bleibe ich der Heimath fern. Was ich bis jetzt gelernt, ist nur ein kleiner Anfang der Kunst, die ich mit Gottes Hilfe in späterer Zeit zum Endziel führen kann. Doch willst du in die Heimath zurückkehren, so scheiden wir hier. Ich will dich nicht halten – dich nicht an mein unbestimmtes Geschick binden. Ja, ja, du kehrst besser zurück, denn viel Schlimmes kann uns treffen, ehe wir nur Venedig erreichen, auch wird lange Zeit dahin gehen, bis wir bei Antonio anlangen – und wer weiß, ob wir ihn wirklich wiedersehen werden.«

»Mag es sein wie es will, – ich bleibe bei Euch, edler Junkherr, und sollte ich die Heimath nie wiedersehen. Ist mir doch eigentlich jetzt erst wieder wohl um's Herz, seit ich mich wieder Euren Diener nennen kann. In dem Hause in Harlem war ich der Thue alles und Dortens ausschließlicher Knecht, wollt ich's im Hause gut haben und nicht so ganz als Lehrjunge gehudelt werden.«

Mit diesen Worten warf er rasch den Pack auf seine Schultern, Gutenberg ergriff den andern und sagte:

»Die Heimath bleibt das Endziel unsrer Wanderschaft; ihr einst alles zu bringen, was ich Gutes erreiche, ihr es zu eigen geben, ihr zu Heil, Ruhm und Ehre, ist der liebste Wunsch meines Herzens!«

»Gott sei mit Euch, mein guter Herr! Lorenz Beildeck bleibt Euch treu ergeben bis an sein Lebens Ende,« rief mit Enthusiasmus der junge Diener.

Und so wanderten sie muthig vorwärts, den Gefahren und Beschwernissen entgegen, welche fremde Länder und Leute und unwegsame Gegenden ihnen boten in einer Zeit, wo Gesetz und Recht noch in schwerem Kampfe mit der rohen Gewalt des Stärkeren lagen.

Kuno zog indessen rheinaufwärts. Nachdem er Meister Küsters Vortheil in Rotterdam auf's gewissenhafteste vertreten, schrieb er ihm den Abschiedsbrief, von dem Marianne Gutenberg berichtete, und benutzte, ohne seine Antwort abzuwarten eine Schiffsgelegenheit, die sich ihm bis Köln bot. Von dort schlug er den Weg zu Fuß ein, da die weit vorgerückte Jahreszeit die Schifffahrt unterbrach, die ohnedies stromaufwärts seiner Ungeduld unerträglich langsam vorkam. Er eilte, Eltwill zu erreichen.

In Rotterdam war ihm Nachricht von Hemma zu gekommen, der er früher mitgetheilt, daß er in jener Stadt um diese Zeit einen längeren Aufenthalt haben werde. Sie sandte ihm ein melancholisches Lebewohl, und sprach ihm dabei aus, wenn es ihm möglich wäre, zu kommen, solle er es thun – sie möchte ihn wohl noch einmal vor ihrem Scheiden von der Welt sehen. Ob sie den Tod, ob sie das Kloster damit meine, blieb unklar in ihrem kurzen Schreiben, und Schmerz, Angst und Sehnsucht trieben ihn zu ihr. Auch war ihm das eintönige Leben in Meister Kösters Hause mitunter zu großer Pein geworden, wenn gleich sein Inneres einige Beruhigung in der Arbeit gefunden, und sein Herz mit großer Liebe an Johann hing. Er hatte eben nicht, wie dieser, ein ganz bestimmtes Ziel im Auge und fand für sein zerstörtes Leben keinen festen Halt in einer Beschäftigung, für die er wenig Geschick besaß und an der er auch wenig Freude gewonnen. Er blieb mit Selbstüberwindung seinem gegebenen Worte jahrelang treu und hätte auch wohl erst mit Gutenberg Rücksprache wegen der Zukunft genommen, ehe er sich einen andern Weg gewählt, wenn nicht die mächtige Empfindung, welche ihn zu seiner unglücklichen Schwester zog, alles Andere überwunden hätte. Doch nahm er sich vor, Gutenberg von Eltwill aus zu schreiben und ihm Rechenschaft über das Geschehene zu geben; noch hielt er den Gedanken fest, einst mit dem Freund in Venedig wieder zusammen zu treffen.

Die vorgerückte Jahreszeit verzögerte Kuno's Weiterreise. Schnee und Eis stellte sich seiner Wanderung entgegen, und er mußte zu wiederholten Malen längere Zeit an einem Orte verweilen. Bei dieser langsamen Wanderschaft vermißte er sein Instrument und sein buntes Spielmannshabit. Es gelüstete ihn, die langen Stunden und Tage sich wie früher damit zu verkürzen. Aber die Fidel und die bunten Lappen lagen verborgen in dem grauen Thurme der zerstörten Burg; dort hatte er sie verwahrt, als er Gutenberg nach Holland nachreiste. Er hatte hier noch einige werthvolle Gegenstände aufgefunden, die zu seinem Eigenthum gehörten, aus deren Erlös er sich eine andere Kleidung wie die nöthigen Mittel zur Weiterreise verschaffte. Die Fidel und das bunte Habit in dem grauen Thurme zu holen und es als fahrender Spielmann wieder einige Zeit zu versuchen, wurde bei der langsamen und langweiligen Wanderschaft sein Entschluß – und sobald er den Berg mit dem grauen Riesen erblickte, stieg er ohne Säumen hinan, über Schnee und Felsenmassen; doch noch ehe er oben anlangte, zog es ihn seitwärts der Haide mit dem einsamen Grabe zu. Allein eine tiefe, weiße Decke lag darüber ausgebreitet, welche selbst das Denkmal von aufgeschichteten Steinen völlig verbarg. Kuno warf einen langen, trauernden Blick darüber hin und schritt dann nach der zerstörten Burg.

In dem Thurme befand sich noch ein ziemlich gut erhaltenes Gemach, das er bei seinem letzten Verweilen hier entdeckt hatte. In diesem Gemache hielt er sich damals einige Tage auf und verbarg hier die Fidel und das bunte Kleid. Dann verwahrte er den zerstörten Eingang mit Steinen, die er aus gebrochenen Mauerstücken löste und sie so sorgfältig zusammenfügte, daß nur ein spähendes Auge ihn noch zu entdecken vermochte. Er fand auch sein Werk noch unberührt, ja es war ihm so gut gelungen, daß es ihm kaum möglich wurde, sich einen kleinen Durchweg zu dem Gemach zu bahnen. Im Innern traf er noch Alles in dem früheren Zustande, – nur feucht und unheimlich sah es aus, und die Saiten der Fidel waren zerrissen, die bunten Lappen mürbe und modrig – beides war zu nichts mehr tauglich, und er warf das Instrument verdrießlich bei Seite. Es schauderte ihn in dem kalten, düsteren Raume, und rasch eines der alten Möbel zusammentretend, zündete er ein Feuer an und suchte sich zu erwärmen. Der Rauch wirbelte zu der gebrochenen Oeffnung hinaus, und nach und nach wurde die dumpfe Luft leichter und eine mäßige Wärme machte das trübe Gemach etwas wohnlicher. Milde und abgespannt warf er sich auf eine harte Lagerstätte und sank nach kurzer Frist in tiefen Schlaf. Auf dem Thurme der Kirche, die sich über der Stadt am Fuße des Berges erhob, kündigte die Glocke Mitternacht und kaum hatte sie ausgedröhnt, als in der zerfallenen Burgkapelle ein Glöcklein ertönte, langsam, feierlich, wie eine Geisterstimme. Kuno drehte sich unruhig hin und her; – ein leiser, zitternder Gesang näherte sich dem Thurme, und eine weiße Gestalt, von dem kräuselnden Rauche wie von einer Wolke umgeben, zeigte sich an der gebrochenen Oeffnung vor Kuno's Gemach. Sie blieb regungslos hier stehen, doch noch immer leise singend, und aus der dichten Umhüllung des Hauptes schaute ein todtenbleiches Antlitz und starrte mit glanzlosem Auge auf Kuno, der mit dem Erwachen rang.

»Mutter – Gisela – Gisela's Geist!« drang es aus seinem Munde. Und er fuhr empor, indem er die Augen weit aufriß und eine abwehrende Bewegung nach der gespenstischen Gestalt hin machte.

»Bleibe mir fern!« stammelte er, noch mit dem Schlafe ringend. »Hinweg – hinweg! Ich mag nicht mit Geistern verkehren. Ach, Gisela, es sind deine dunkeln Augen, ach, so starr – so starr – nein – sie beleben sich – deine Hand hebt sich empor. Du winkst mir, ruheloser Geist. Wohlan – ich komme. – Sei körperlos oder nicht, ich fasse dich Gisela – will fühlen – will begreifen – ob Irrthum oder Wahrheit – Höllenspuk oder Wirklichkeit mich umgiebt, Ah – Gisela!«

Er stürzte auf den Eingang zu und faßte die ätherische Gestalt beherzt an, halb fürchtend, sie werde zerrinnen unter seiner festen Berührung. Allein die zarten Formen waren kein Nebelgebilde, sie verschwammen nicht unter dem Drucke seiner Hand und das glanzlose Auge des todtenähnlichen Gesichtes belebte sich und hing sich forschend an Kuno. Er zog die erzitternde Gestalt in den erwärmten Raum, und mit schmerzlicher Stimme rief er: »Bist du es denn wirklich, Gisela?«

»So nannte man mich, als ich noch lebte,« gab sie eintönig zur Antwort und fuhr in derselben Weise fort: »Seit ich gestorben bin und zur Sühne deiner und meiner Sünden wandeln muß in der Burg deiner Väter, habe ich keinen Namen mehr; – ich bin ein unglücklicher Geist, ein friedloses Wesen, das zwischen Himmel und Erde schwebt und dem die Ruhe im Grabe versagt ist, so lang – ja so lang – bis treue und glückliche Liebe dort für die arme Seele betet.«

»Laß treue Liebe dich heilen, armes Kind,« flehte Kuno tief erschüttert und sank vor ihr nieder, umfaßte ihre Knie und barg sein Angesicht in ihr faltiges Gewand.

»Lebst du denn noch und kommst zu der Todten? –« fragte sie mit einiger Bewegung in ihrer klanglosen Stimme und fuhr in rührendem Flehen fort: »O, dann berühre mich nicht, sonst bricht auch dein schönes Auge und schließt sich für immer.«

»Ich lebe und auch du lebst, Gisela!« sprach er zu ihr aufblickend und ihre beiden Hände fassend.

»Besinne dich; sage mir, was ist mit dir geschehen, und wie kamst du hieher?«

Sie entzog ihm ihre Hände, faltete sie über seinem Haupte zusammen und murmelte ein Gebet.

»Antworte mir!« flehte er dringender; doch sie betete fort, als höre sie seine Bitte nicht, immer leiser, bis jeder Laut verstummte und nur ihre bleichen Lippen sich noch bewegten. Da erscholl draußen eine heißere Stimme: »Wo bist du, armer Geist? Gertrud sucht nach dir.«

Die alte Kräuterfrau, ihre Pflegemutter trat in das Gemach und sah mit Schrecken Kuno zu den Füßen der Unglücklichen. Er sprang aus, als er sie erkannte und riß sie herein in die unheimliche Stube. Gisela rührte sich nicht von der Stelle, wie in eine Bildsäule verwandelt stand sie regungslos da, und erst als Kuno die Alte hart anließ, bebte sie krampfhaft zusammen; – aus ihre bleichen Lippen trat ein weißer Schaum, brechend schloß sich ihr Auge und völlig erstarrt sank sie in Kuno's Arme. Er legte die Bewußtlose auf das Lager und rief verzweiflungsvoll:

»Sie stirbt. Hilf, rette sie, Hexe – ruf alle deine Zaubermittel zu Rath,« wehklagte Kuno außer sich.

»Beruhigt Euch,« entgegnete die Alte. »Es ist nur ein Starrkampf, der sie befallen, nach einigen Stunden wird er sich wieder lösen.«

Sie bestrich Gisela mit einem aromatischen Oele, das sie in einer kleinen Flasche bei sich trug, machte einige mystische Zeichen über sie hin und bedeutete Kuno, sie nun nicht mehr zu berühren, bis sich wieder einiges Leben in ihrem Körper zeige. Kuno zog das Weib neben sich auf den Boden nieder und sagte:

»Nun, Alte, sollst du mir erzählen von ihr, so lange der tiefe Schlaf sie umfängt. Sage ohne Säumen, wie du mit ihr hiehergekommen und weshalb man sie in ihrem geisteskranken Zustande aus dem Kloster entließ. – Dann sollst du mir auch offen bekennen, woher Gisela stammt und wer ihr Lebensgeschick bestimmte. Diesmal entkommst du mir nicht,« setzte er drohend hinzu und packte dabei so fest ihre Hände, daß sie einen Schrei des Schmerzes ausstieß.

»Herr!« jammerte sie. »Ihr zwingt mich – ich bin ein altes, schwaches Weib. Wohl, so erfahrt denn Alles, was ich weiß. Die Sünde des Eidbruches, zu der Ihr mich nöthigt, falle aus Euer Haupt.«

»So sei's. Mach keine Umschweife,« drängte Kuno, und das Weib begann:

»Auf welche Weise Gisela aus dem Kloster entkam, weiß ich Euch nicht mit Bestimmtheit zu sagen; was ich darüber hörte, ist, daß schon zu der Zeit, wo Ihr in die Waldhütte zu mir kamt, die Leute von einer Nonne jener Klause erzählten, die der unsaubere Lebenswandel ihrer Schwestern zum Wahnsinn gebracht; später hieß es jedoch, sie sei eine von Gott begnadigte Seherin, und die neugierige Menge drängte sich an die Pforte des Klosters, die Erleuchtete zu schauen. Der Erzbischof von Mainz mit andern hohen geistlichen Herren kamen, die Sache zu untersuchen und zugleich auch Gericht zu halten über die ausgearteten Nönnlein Aber zu letzteren seien die Herren nicht gekommen, denn – erzählt das Volk – die schlauen Schwestern hätten sie so gut bewirthet, gepflegt und unterhalten, daß ihnen bei kleiner Strafe völlige Absolution geworden sei. Während der Verhandlungen verschwand – ich weiß nicht auf welche Weise – Gisela aus dem Kloster. Ob man sie nicht so strenge, wie gewöhnlich bewachte oder sie gerne entkommen ließ, weit sie zu viel von den Sünden der Klause sprach, weiß ich nicht, eben so wenig, wie lange sie in den Wäldern umherirrte, doch mögen es Wochen gewesen sein. Eines Morgens stand sie vor meiner Hütte und rief meinen Namen. Sie war in schlimmem Zustande. Ich wollte sie pflegen und warten, doch ihr unsteter Geist verlangte, weiter zu ziehen. Sie sei gestorben und müsse in Eurer Burg umgehen bis zum Tage ihrer Erlösung, war der stetige Gedanke, der sie peinigte. Kaum vermochte ich sie, Speise und Trank zu nehmen und zu bleiben, bis ich ihr ein anderes Gewand angelegt; dann zog sie fort, ich ihr nach, bis sie hier ankam. Ich zeigte dem Geistlichen der Stadt da unten den Vorfall an. Man wollte sie in das Kloster zurückbringen, doch sie verfiel in gar zu böses Wesen, sobald man sie mit Gewalt von hier entfernen wollte, daß man es zuletzt nicht mehr versuchte, und da sie die verfallene Burg nicht verließ und Niemand ein Leid zufügte, wehrte man ihr nicht länger, zu bleiben. Das Volk hat eine heilige Scheu vor ihr und weil sie selbst sagt, sie sei eine Gestorbene, glaubt der größte Theil daran und vermeidet, ihr zu nahen. So leben wir nun schon an zwei Jahre hier. Ich suchte in dem zerstörten Baue den wohnlichsten Raum für uns aus und sorge für die Kranke nach besten Kräften. Doch lange wird sie es nicht mehr treiben – und wohl ihr, wenn sie überwunden hat.«

»So holdes Leben so grausam zerstört!« klagte Kuno und versank in trübes Brüten, aus dem er jedoch nach einer Weile plötzlich emporfuhr, die Alte abermals fest anfaßte und zu ihr sprach: »Was du mir erzähltest, weiß wohl Jedermann, der sich für die wahnsinnige Nonne interessirt, – aber wo die Arme das Licht der Welt erblickte, das ihr zur Geistesnacht werden sollte – wer ihre Erzeuger waren – wer ihr Geschick bestimmte, das ist es, was mich hauptsächlich zu wissen verlangt – denn ich möchte rechten mit denen, die Gisela vernichteten. Drum sprich, Gertrud, sage mir jetzt die Wahrheit.«

»Ich habe auch früher Euch Wahres berichtet,« erwiderte das Weib, »und dabei Euch gesagt, daß weiteres Nachspüren zu nichts fruchte. Doch meinethalb erfahrt Alles: Ihr Ahn ist der einzige Verwandte, der ihr noch lebt und um ihr Dasein weiß, doch er ist ein hundertjähriger Greis und ist Mönch in einem Kloster, das er selbst gestiftet hat.«

»Der alte Ritter, der in Palästina war?« fiel Kuno ein.

»Derselbe, Herr, der den Schleier der Entsagung für seine einzige Tochter von dort her mitbrachte.«

»Er that in der Gefangenschaft ein Gelübde, sein Kind dem Kloster zu weihen? Nicht so?«

»Wie Ihr sagt, ist es. Doch Gisela, so nannte sich auch das Burgfräulein, hatte in Abwesenheit ihres Vaters mit einem fremden Manne einen heimlichen Ehebund geschlossen. Sie gestand der Liebe Schuld und der Treue Schwur, – und der Fluch des Vaters traf sie, den Liebsten Kerkersnacht. Da überkam sie böses Wesen und sie rasete wie eine Tolle durch die stille Burg. Man rief die Kräuterfrau zu Hülfe, als alle Gebete und Mirakel fruchtlos blieben, und es gelang mir, sie zeitweise in ruhigeren Zustand zu bringen. In einem solchen nahte ihre schwere Stunde – sie genaß eines Töchterleins.«

»Gisela?« rief Kuno.

»Ja, Gisela, nach ihr so von mir genannt. Denn kaum geboren übergab der alte Ritter mir das Kind, um es in Armuth, Einfalt und Vergessenheit aufzuziehen, bis ein Kloster es aufnehmen würde, auf daß es in heiligem Wandel die Sünden der Eltern und fielen auf ihre kalten Hände, die er mit Küssen bedeckte. Da zuckte es wie elektrisches Feuer durch ihren Körper, die regungslosen Züge belebten sich, und ihre Arme erhebend, ihm entgegen, flüsterte sie, während ein rührendes Lächeln ihren bleichen Mund umzog:

»Kuno, du bist bei Gisela? Bist es wirklich, mein süßer Freund? – Ach, du belebst die Todte wieder, mit deinem warmen Athem. Komm, stütze mich – hebe mich empor.«

Er umfaßte sie und richtete sie aus. Ihr Haupt sank an seine Brust und ihr dunkles Auge hing sich dankbar an ihn.

»So ist es gut,« fuhr sie leise fort. »Endlich wird der ruhelose Geist Frieden finden, und Gisela's müdes Haupt zur ewigen Ruhe sich niederlegen. Wie meine Brust so leicht sich hebt – die schweren Sünden wälzen sich von ihr hinweg – auch die deinen, Kuno, hat meine Qual gesühnt, alle, alle. – Schüttle nicht dein Haupt, – laß diesen Glauben mir, und halte auch du ihn fest, – recht fest – er führt zum Frieden, zur Seligkeit – zum Lichte! – Ach, Licht, –. Lust, – Licht, – Luft, – es dunkelt – Kuno, auf – auf – Ruhe – Frieden.«

Ihr bleiches Haupt neigte sich gleich einer geknickten Lilie, um sich nicht mehr zu erheben. Kuno hielt die Todte umfaßt, seine Lippen auf ihre kalte Stirn gepreßt – während Gertrud die gebräuchlichen Sterbegebete murmelte; dann legte er sie sanft auf das harte Lager zurück und sank an demselben nieder. –

Der Tag brach an und sandte einige matte Lichtstreifen in das düstere Gemach; – die Sonne stieg höher und erhellte die Todte und ihre Umgebung; der Abend kam und gab mit seinem Dunkel Allem dieselbe Färbung. Kuno bemerkte es nicht. Etwas zur Seite geneigt lag sein Haupt mit geschlossenen Augen neben dem Leichnam. Gertrud hatte sich entfernt und war in die Stadt hinabgegangen, den Sterbefall der geisteskranken Nonne dem Geistlichen anzuzeigen. Sie kehrte erst in der Nacht zurück und trat mit einem brennenden Kienspahn in die dunkle Todtenkammer. Nachdem sie das flackernde Licht in einer Mauerritze befestigt, nahte sie dem Lager und rüttelte Kuno aus seiner Erstarrung auf.

»Ist's schon Zeit, sie zu begraben?« fragte er emporfahrend. »Wohlan, es sei. Auf der Haide ist eine heilige Stätte, – da ruhe sie sanft.«

»Mit nichten, Herr,« widersprach Gertrud. »Große Ehre widerfährt der Todten. In der Kirche der Stadt, wo die edlen Geschlechter beigesetzt werden, soll ihre ewige Ruhestätte sein. Als eine Heilige, eine von Gott erleuchtete Seherin wird sie zu Grabe geleitet, und die Stätte, wo ihre Gebeine ruhen, soll ein Wallfahrtsort für fromme, gläubige Seelen werden.«

»Auch noch im Tode gönnt man der Armen keine Ruhe!« rief Kuno klagend aus und warf sich weinend über den Leichnam. »Ich hätte Lust, um dich zu ringen, und ehe sie mit ihrem frommen Prunke kommen, dich einzubetten in das stille Grab der öden Haide; – doch es ist umstarrt von Eis und Schnee und ich kann es nicht öffnen und muß deinen Leichnam Andern überlassen. Todt wie lebend fällst du frommem Wahn anheim, und ich vermag es nicht zu ändern.«

Er drückte noch einen Kuß auf die eisigen Lippen der Todten, dann stürzte er hinaus in die winterliche Nacht.

Am frühen Morgen bewegte sich ein langer Zug, einer Prozession ähnlich, den steilen Berg hinauf, die Leiche der Nonne hinab zu geleiten in die Kirche, wo sie nach einem feierlichen Todtenamte in einer Seitenkapelle beigesetzt wurde. Lange Jahre blieb Gisela's Grab ein vielbesuchter Wallfahrtsort; doch welchem Hause und Geschlechte die Heilige entstammte, blieb in geheimnißvolles Dunkel gehüllt.

An dem Tage, wo die Nonne ihren Geist aufgab, starb auch der alte Mönch in dem Kloster, das er gestiftet; auch Gertrud lebte nur noch wenig Jahre, und das Geheimniß von Gisela's Geburt sank mit ihr in's Grab. Als der uralte Mönch gestorben war, wurde das Gerücht verbreitet, der Geist seiner unglücklichen Tochter sei durch fromme Gebete und heilige Messen erlöst worden, drum sei auch er jetzt versöhnt mit Gott zur ewigen Ruhe eingegangen. Allein die lustige Gestalt des Burgfräuleins wollte dennoch nicht entschwinden, die Schiffer, die in stillen Mondnächten den holden Geist zwischen lichten Wolken über dem Rheine schweben sahen, bei stürmischem Wellengebrause in dem weisen Schaume erblickten und warnende Töne bei drohenden Gefahren von ihm vernahmen, trennten sich nicht mehr von dem ihnen liebgewordenen Wesen und bei allen Schauern, die das Gespenstische hervorruft, blieben sie dabei, daß man von Zeit zu Zeit den Geist Gisela's in klagenden Lauten vernehme und ihre leichte, weiße Gestalt noch immer erblicke.

Kuno trieb es unaufhaltsam fort von der unheimlichen Burg. Er hatte Hemma's letzten Gruß bei Gisela's letztem Blicke vergessen, nun aber mahnte ihn wieder der Schwester liebes Bild zu dringender Eile. Wetter und Wege waren ihm günstiger als seither, und nach wenigen Tagen hatte er Eltwill erreicht. Er wandte sich zuerst nach dem Obstgarten mit der kleinen Hütte und obgleich er sich sagen konnte, und es auch that, daß er sie hier nicht finden werde, berührte es ihn dennoch wie eine schmerzliche Ahnung, als er den Garten verschlossen fand. Aengstlich, zaghaft klopfte er an dem Patrizierhause an. Katharine trat ihm zuerst entgegen. Noch war ihr zartes Angesicht von dem sammetnem Rosenschmelz der Jugend angehaucht, wie er es zum erstenmale gesehen, doch war sie größer geworden und schlanker und hatte einen viel ernsteren Blick. Sie erschrak etwas, als sie ihn erkannte, und eine rasche Frage schwebte auf ihren Lippen, allein sie schnell unterdrückend, nahm sie nach einem Willkommensgruße schweigend seine Hand und führte ihn in eine geräumige Stube, wo Else am Spinnrocken saß, neben ihr Pater Martin, mit einem Buche in der Hand, aus dem er ihr vorlas.

»Hemma's Bruder!« sagte Katharine, aus Kuno zeigend.

Else begrüßte ihn mit einem Freudenschrei, denn bei seinem Anblicke schwoll ihr das Herz vor Wonne; – er mußte ja Nachricht bringen von dem fernen lieben Sohne. Der Pater legte sein Buch zur Seite und sah den Fremden forschend an. Kuno wandte sein Auge suchend umher, dann fragte er unter fast hörbarem Herzklopfen: »Wo ist Hemma, meine Schwester?«

Elsens freudige Miene wurde bei dieser Frage ernster! es fiel ihr ein, daß man dem Bruder zuerst von seiner Schwester erzählen müsse, ehe man Fragen an ihn richten dürfe. Martin trat auf Kuno zu und sprach mit Salbung, aus der jedoch Theilnahme und Rührung hervorleuchteten:

»Mein Sohn, deine Schwester Hemma nennt sich jetzt Schwester Bertha und ist seit einigen Tagen Nonne im Kloster der armen Klarissinnen geworden, wo sie durch meine Vermittlung aufgenommen wurde.«

»Das lohn' Euch Gott nicht!« fuhr Kuno auf. »Ob todt oder lebendig begraben – kommt ziemlich auf eins heraus. O, Hemma, Hemma, nun sehe ich dich niemals wieder!«

»Ihr seid aufgeregt – tröstet Euch!« beschwichtigte Else. »Glaubt, es war das Beste für Hemma und war ihr sehnlichster Wunsch.«

»Auch sie dahin für mich – Gisela, – Hemma – armes Herz, was bleibt dir noch übrig?« klagte Kuno, ohne auf Elsens Trost zu hören.

Da – mit einem male stand Gutenberg's ernste Gestalt mit vorwurfsvollem Blicke vor seinem innern Auge, und Angelo's holdes Bild klagte ihn des Undanks an. Katharina trat jetzt zu ihm und reichte ihm theilnehmend die Hand und sagte mit ihrer silberhellen Stimme:

»Seid nicht so traurig, – Eure Schwester ist nicht verloren für Euch – sie denkt Eurer, sie betet für Euch – ihre Liebe ist Euch treu, immer, ewig, – in der Liebe lebt man fort, ein gemeinsames Leben, ob auch getrennt durch heilige Mauern, ob geschieden durch das Grab; – sie bleibt immer bei uns, denn sie ist ein ewig Theil, ein Ausfluß Gottes, der Menschen höchstes Gut, das Raum und Zeit überspringt und die Seelen fest zusammenkettet.«

Katharina's Auge leuchtete heller und ihr zartes Antlitz tauchte sich in Rosengluth. Sie war wunderbar schön und Kuno's Schmerz beugte sich, bezwungen von ihrer engelhaften Anmuth und frommen Lieblichkeit.

Er erzählte nun der sehnsüchtig darauf harrenden Mutter von dem fernen Sohne, und sie wurde nicht milde, zu fragen und wieder zu fragen, das Gehörte noch einmal zu hören und es dann dem Pater und Katharina zu wiederholen. Diese lauschte andächtig auf Alles, doch Fragen richtete sie keine an Kuno; – der Pater jedoch wollte Dies und Jenes noch näher erörtert wissen. – So ging ein Abend, ging ein Morgen hin.

Der alte Genßfleisch und Frielo störten sie nicht in ihrer stillen Freude. Beide waren abwesend. In Mainz hatte es wieder einmal Unruhen zwischen der Bürgerschaft und dem Klerus gegeben, die sehr ernstlicher Natur zu werden drohten. Schnelle Kunde von den Vorfällen der Vaterstadt zu erhalten, waren sie mit mehreren ihrer Standesgenossen nach Viehrich geritten, das Mainz viel näher lag. Der Erzbischof hielt sich eben in Aschaffenburg auf und Bote auf Bote wurde von der geängsteten Geistlichkeit an ihn gesendet, allein er mochte sich nicht selbst in die Händel mit der mächtigen Stadt mischen, da er seiner Herrschaft nicht recht traute und sandte nur Mahn- und Drohbriefe an die gewaltthätige Bürgerschaft, welche jedoch nichts fruchteten.

Die Zünfte, die seit der Vertreibung der Patrizier uneingeschränkt herrschten, hielten ihre Macht für unüberwindlich und ließen ihr Uebergewicht, oft in derber Weise, die geistlichen Herren empfinden, und obschon es zuweilen zu einer scheinbaren Versöhnung zwischen ihnen kam, loderte das gegenseitige Mißtrauen bei der kleinsten Gelegenheit immer wieder zu hellen Flammen des Hasses empor.

Die Familie Fust stand an der Spitze der mächtigen Bürgerschaft, und Margarethens Gatte, der berühmteste Goldschmied in der Stadt, hatte sich zu einem der ersten an Rang und Ansehen emporgeschwungen. In dem neuen Stadtrathe, der durch seinen Einfluß an die Stelle des alten gesetzt worden, behaupten ausschließend die jüngeren Glieder der angesehendsten Familien Sitz und Stimme, und es wurde dadurch gar manches Unüberlegte, manches allzu Uebermüthige zu Tage gefördert. So steigerte sich der Unfriede mit der Geistlichkeit zu einer so leidenschaftlichen Höhe, daß es endlich zu offenen Gewaltthätigkeiten kommen mußte, bei denen die Bürger der gesammten Geistlichkeit die Thore der Stadt öffneten, um sie hinter ihr fest zu verschließen.

An dem Tage, wo Kuno sich in Eltwill aufhielt, flüchtete sich das Domkapitel sammt einer Menge anderer geistlicher Herren nach Eltwill, wo einige Tage später der Erzbischof zu ihrem Troste und Schutz eintraf. Seine Bemühungen jedoch, eine schnelle Versöhnung mit der mächtigen Stadt herbeizuführen, blieben ganz erfolglos. Die stolze Bürgerschaft zeigte sich nicht zu dem geringsten Nachgeben bereit und zog es vor, lieber mehrere Jahre ohne allen Kirchendienst zu bleiben, als nur einige Macht dem Klerus einzuräumen. So blieb das kleine Eltwill mit Geistlichen übervölkert, und auch in dem Hause Frielo's wurden verschiedene Räume zu ihrer Aufnahme hergerichtet. Else und Katharine bekamen dadurch viele Beschäftigung und konnten zu ihrem großen Leidwesen nach dem ersten Abend und Morgen sich nicht mehr mit Kuno befassen. Else bat ihn, zu bleiben, bis es wieder ruhiger geworden, doch es duldete ihn nicht länger hier. Der Ausstand in Mainz gab ihm die Hoffnung, Hemma zu sehen. Er dachte, die Klosterpforte würde sich ihm jetzt leichter zu einem Besuche bei seiner Schwester öffnen. Und so war es auch. Er sah Hemma noch einmal am Gitter des Sprechzimmers; sein Anblick erschütterte sie, doch schnell diese Erregung bekämpfend, faltete sie andächtig die Hände über der Brust und senkte ergeben das Auge. In dieser Stellung verblieb sie so lange, als er da war, und nur leise und kurz antwortete sie seinem Schmerz und seinen Klagen; nur als er ihr Lebewohl für immer sagte, blickte sie noch einmal innig zu ihm aus und sprach in wärmerem Tone:

»Traure nicht um mich. Mir ist wohl in dem stillen Hause, in seiner heiligen Armuth, in Arbeit und Gebet. Gott sei mit dir und beschütze dich. Wenn du betest, dann denke mein, dann werden unsre Seelen sich begegnen.«

Ein Glöcklein ertönte. Sie bekreuzte sich und sagte noch schnell und dumpf: »Suche mich hier nicht mehr auf,« dann schlich sie langsam von hinnen.

Kuno schlug den Weg nach Böhmen ein. Dort loderte schon seit fünf Jahren die grausige Kriegesfackel, zu der Huß's Scheiterhaufen den zündenden Funken getragen, den Unduldsamkeit und Herrschsucht fort und fort schürten, bis er in dem blutigrothen Strahl religiösen Fanatismusses aufflammte, um Völker und Länder zu vernichten.

Die Hussiten, in verschiedene religiöse Sekten getheilt, die sich in Fanatismus und Grausamkeit überboten, trugen unter ihrem geschickten Anführer Ziska stets den Sieg über die Heere davon, welche Sigismund zu ihrer Bekämpfung nach Böhmen sandte. Deutschland litt fürchterlich unter diesem Kriege. Tausend und abertausend Leben wurden hingeschlachtet auf eine Weise, wie die Geschichte sie nur in den Schreckensthaten barbarischer Horden noch ausgezeichnet hat.

Wenzel war gestorben. Der deutsche König, der durch seine Heirath mit einer ungarischen Königstochter zugleich König von Ungarn war, wollte sich nun auch mit der Krone seines Erblandes schmücken, doch nur nach vielen Kämpfen und Mühen gelang es ihm endlich, sich in Prag krönen zu lassen. Allein er konnte sich nur kurze Zeit dort halten und während der Krieg mit erhöhter Grausamkeit fortwüthete, machte er nach seiner Gewohnheit Reisen, verschwendete die Zeit mit tollen Streichen, Liebesabenteuern und üppigen Gelagen, welche die Städte und Länder, die er besuchte, bezahlen mußten.

In Deutschland herrschte wie fast zu allen Zeiten Uneinigkeit; seine vielen Häupter waren nicht einmal fähig, ein Kriegsheer zusammenzubringen, das die deutschen Grenzländer gegen die Gräulthaten der Hussiten geschützt hätte. Wohl wurden Reichstage ausgeschrieben und kamen auch theilweise zu Stande; auch fehlte es auf ihnen nicht an weisen Berathungen und Beschlüssen, die zu Papier gebracht wurden; allein die Ausführung derselben erlag stets an der Ohnmacht einer zersplitterten Nation und dem finstern Drucke, mit dem man jede geistige Erhebung des Volkes niederzuhalten suchte.

Kuno, der in diesem grausamen Krieg, dessen Schrecknisse nur wie eine Mähre an sein Ohr geklungen, einen heiligen Kampf um Recht und Glaubensfreiheit sah, beschloß, sich dem Hussitenheere anzureihen und unter seinem mächtigen Anführer um ein Gut zu kämpfen, das ihm nur aus blutigen Schlachtgefilden, nicht aber, wie Gutenberg meinte, aus friedlicher Arbeit hervorzugehen als möglich erschien. Die Beruhigung, welche sein Gemüth einige Jahre an der Seite seines ernsten Freundes gefunden, schwand ihm wieder an Gisela's Todtenbett, bei seinem Abschied von Hemma. Doch trieb ihn jetzt sein verworrenes Geschick, das ihn erst unstät und ruhelos umhergetrieben und zu abenteuerlichem, dem Versinken nahen Leben geführt hatte, zu kräftigerer That an, hinein in die wilden Stürme der Zeit. Nach einer mühsamen Wanderung erreichte er Böhmen und schloß sich den kämpfenden Hussiten an. Die allseitig verworrenen Zustände mit ihren Schwankungen, ihren Lastern und Gräuelthaten und ihrem wilden Aufschwung, Riffen ihn unaufhaltsam mit sich fort; sein eigenes verworrenes und zerstörtes Leben spiegelte sich gleichsam darin ab, sie beherrschten darum auch seine Seele mit größerer Macht, als der kurze Ruhepunkt, den sie in friedlicher Arbeit gefunden. Plötzlich wieder schmerzlich aufgestachelt, sah er nur in den rothen Wellen des Krieges noch eine passende Stelle für sich.

Als Kuno in Böhmen ankam, war grade Ziska, der große und grausame Führer der Hussiten gestorben. Die Böhmen zerfielen nach seinem Tode in viele fanatische Sekten und das gewaltige, kriegsgeübte Heer drohte sich zu zersplittern; allein Ziska hatte für seine Waisen, wie sich das Heer nach seinem Tode nannte, gesorgt und ihm zwei tüchtige, geschulte Anführer hinterlassen in den beiden ehemaligen Mönchen, Prokop, dem Großen, und Prokop, dem Kleinen. Ihnen gelang es, sobald Gefahr von Außen drohte, die Partheien zu Vereinen und sie so gegen jeden Angriff unüberwindlich zu machen. Wo es galt, die deutschen Heere zu vernichten, die deutschen Grenzorte zu zerstören und Gräuel mit Gräuel hundertfach zu vergelten, waren die Fanatiker eins und wurden zu einem Schrecken, der ihnen schon im Voraus den Sieg sicherte.

Vor Kuno entwickelte sich mit einemmale in voller Wirklichkeit das grausigste Kriegesbild, das je die Welt gesehen. Erstickt unter Blut und Leichen lag der helle Funken, der aus Huß Scheiterhaufen ausgesprüht. Allein einmal hineingetrieben in diesen trüben, blutig rothen Strom, der seine klare Quelle verläugnete, wurde er von ihm fortgerissen trotz dem Entsetzen, das sein Höllenschmutz ihm hervorrief. –

Doch wir müssen diesen unsteten Wanderer vor erst seinem Schicksale überlassen und uns weit von ihm an den blauen Spiegel des adriatischen Meeres versetzen, zunächst in die mächtige Lagunenstadt, das reiche, stolze Venedig, das im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts den Zenith seiner Macht und Herrlichkeit erreichte und wo, was uns zunächst interessirt, wir Gutenberg nach einigen Jahren der Mühen und vielfacher Drangsale und Gefahren, mit seinem treuen Lorenz im Hause Antonio's wiederfinden.


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