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Tausend und eine Nacht. Band XII
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Ardeschîr und Hajât en-Nufûs.

Diese Erzählung stimmt zum großen Teil mit der Geschichte Tâdsch el-Mulûks und der Herrin Dunjā überein.

Ferner erzählt man, o glückseliger König, daß einst in der Stadt Schiras ein mächtiger König, Namens Es-Seif el-AasamDas mächtigste Schwert. Ardeschîr =Artaxerxes; Hajât en-Nufûs, das Leben der Seelen. Schâh lebte, der bereits hochbetagt war, und dem noch kein Sohn beschert worden war. Da berief er die Weisen und die Ärzte und sprach zu ihnen: »Ich bin nunmehr hochbetagt, und ihr wißt, wie es mit mir und dem Königreich und seiner Ordnung steht. Ich bin für meine Unterthanen nach meinem Tode besorgt, da mir bis jetzt noch kein Sohn beschert ward.« Da versetzten sie: »Wir wollen dir etzliches an Drogen zubereiten, die, so Gott, der Erhabene, es will, dir helfen sollen.« Hierauf bereiteten sie ihm etwas zu und nachdem er es gebraucht hatte, ruhte er bei seiner Gattin, die mit der Erlaubnis Gottes, des Erhabenen, der da zu einem Dinge spricht »Werde«, und so ist's da, schwanger ward. Als nun ihre Monate vollendet waren, gebar sie ein Knäblein gleich dem Mond und nannte es Ardeschîr; und der Knabe wuchs heran und ward groß und studierte alles, was zur feinen Bildung gehört, bis er fünfzehn Jahre zählte. 138

Nun lebte zu jener Zeit im Irâk ein König, Namens Abd el-Kâdir,Der Knecht des Allmächtigen. der eine Tochter gleich dem aufgehenden Vollmond hatte, deren Namen Hajât en-NufûsDas Leben der Seelen. lautete; doch haßte sie die Männer, und man wagte es kaum in ihrer Gegenwart von Männern zu reden. Selbst die Chosroenkönige hatten bei ihrem Vater um sie angehalten, sobald aber ihr Vater mit ihr davon sprach, antwortete sie: »Ich thue dies nimmermehr, und, so du mich dazu zwingst, bringe ich mich um.« Als nun der Prinz Ardeschîr von ihr vernahm, verliebte er sich in sie und teilte es seinem Vater mit, der sich beim Anblick seines Zustandes seiner erbarmte und ihm alle Tage versprach ihn mit ihr zu verheiraten. Er schickte deshalb seinen Wesir zu ihrem Vater, um sich um sie zu bewerben, doch wies dieser ihn ab. Als nun der Wesir von dem König Abd el-Kâdir zurückkehrte und ihm mitteilte. wie es ihm ergangen, und wie sein Anliegen abgewiesen war, empfand der König dieses sehr übel und rief, mächtig ergrimmend: »Soll einer Meinesgleichen zu einem der Könige senden und seinen Wunsch nicht erfüllt bekommen?« Alsdann befahl er einem Herold unter seinen Truppen anzukündigen, daß sie die Zelte ins Feld schafften und sich mit allem Eifer rüsteten, sollten sie sich auch das Geld dazu leihen; und er sprach: »Ich will nicht eher zurückkehren, als bis ich das Land des Königs Abd el-Kâdir verwüstet, seine Mannen erschlagen, seine Spuren ausgewischt und seine Schätze erbeutet habe.« Als dies aber seinem Sohne Ardeschîr zu Ohren kam, erhob er sich von seinem Lager und, zu seinem Vater eintretend, küßte er die Erde vor ihm und sprach: »Großer König, bemühe dich nicht mit irgend einer Sache hiervon, –

Siebenhundertundzwanzigste Nacht.

sende nicht deine Kämpen und Truppen aus und gieb dein Geld nicht aus. Siehe, du bist stärker als er, und 139 wenn du dieses dein Heer wider ihn ausschickst, wirst du sein Land verwüsten, seine Mannen und Degen erschlagen, seine Schätze erbeuten, und er selber wird auch umkommen. Wenn dann seine Tochter erfährt, was ihrem Vater und seinem Volk um ihretwillen widerfahren ist, dann wird sie sich das Leben nehmen, und ich werde um ihretwillen sterben und nimmermehr nach ihrem Tode leben.« Da fragte ihn der König: »Und was ist denn deine Ansicht, mein Sohn?« Er versetzte: »Ich will in meiner Sache mich selber als Kaufmann verkleidet zu ihr aufmachen und auf Mittel und Wege sinnen, zu ihr zu gelangen und meinen Wunsch zu erreichen.« Sein Vater entgegnete: »Hast du dir dies wirklich vorgenommen?« Der Prinz erwiderte: »Jawohl, mein Vater.« Da rief der König seinen Wesir und befahl ihm: »Reise mit meinem Sohn, der Frucht meines Herzens, hilf ihm sein Ziel erlangen, behüte ihn, steh ihm bei mit deinem rechten Rat und sei mein Stellvertreter bei ihm.« Der Wesir versetzte: »Ich höre und gehorche.« Hierauf gab der König seinem Sohne dreihunderttausend Dinare in Gold, nebst Juwelen, Edelsteinen, Schmucksachen, Kaufmannsgütern und sonstigen Kostbarkeiten. Alsdann suchte der Prinz seine Mutter auf, küßte ihr die Hände und bat sie um ihren Segen, worauf sie ihn segnete und ihm aus ihren Schatzkammern Kostbarkeiten, Halsbänder, Schmucksachen, Kleidungsstücke, Kleinodien und allerlei Sachen hervorholte, die seit den Zeiten vergangener Könige aufgehäuft und nicht mit Geld zu bezahlen waren. Außerdem nahm er soviel von seinen Mamluken, Sklaven, Saumtieren u. dgl. mit als er für die Reise bedurfte, und, nachdem er, der Wesir und seine Begleiter Kaufmannstracht angelegt hatten, nahm er von seinen Eltern, seinen Angehörigen und Verwandten Abschied und zog Tag und Nacht durch die Steppen und Wüsten, bis ihm der Weg lang ward, und er die Verse sprach:

»Meiner Liebe Sehnsucht und Siechtum wächst,
Doch hab ich gegen die Härte der Zeit keinen Helfer. 140
Ich schaue zu den Plejaden und den Fischen bei ihrem Aufgang,
Als wäre ich infolge meiner übergroßen Liebe ein Sternanbeter.
Und ich spähe so lange nach dem Morgenstern, bis ich, wenn er erscheint,
Von Sehnsucht und übermäßiger Leidenschaft toll geworden bin.
So wahr ihr lebt, ich gebe nicht den Glauben eurer Liebe auf,
Und nichts bin ich als ein Liebender mit schlaflosem Augenlid.
Wiewohl mein Hoffen schwer zu erreichen ist und mein Siechtum zunimmt,
Wiewohl meine Geduld erschöpft ist, und jeder Helfer mir fehlt,
So will ich doch standhaft sein, bis Gott uns vereint,
Und die Feinde und Neider hierdurch bekümmert werden.«

Als er die Verse beendet hatte, sank er in Ohnmacht; da besprengte ihn der Wesir mit Rosenwasser, bis er wieder zu sich kam, worauf er zu ihm sagte: »O Prinz, sei standhaft, denn das Ende der Standhaftigkeit ist Trost, und nun bist du ja auf der Fahrt zu deinem Wunsch.« So ließ der Wesir nicht nach ihm freundlich zuzureden und Trost zuzusprechen, bis sich sein Herz beruhigte. Dann setzten sie mit doppelter Eile die Reise fort, doch währte es dem Prinzen bald wieder zu lange, so daß er wieder an seine Geliebte dachte und von neuem Verse zu sprechen anhob und, bitterlich weinend, über das Leid seiner Liebessehnsucht klagte. Der Wesir sprach ihm von neuem freundlich zu und tröstete ihn, indem er ihm seines Wunsches Erlangung verhieß, bis sie sich nach wenigen Tagen bald nach Sonnenaufgang der weißen Stadt näherten. Da sagte der Wesir zum Prinzen: »Freue dich, Prinz, über alles Gute; schau, da ist die weiße Stadt, nach der du ausgezogen bist.« Der Prinz freute sich über diese Nachricht mächtig, und, als sie nun in die weiße Stadt eingezogen waren und sich nach einem Chân für begüterte Kaufleute erkundigt hatten und man sie dorthin gewiesen hatte, kehrten sie daselbst ein und mieteten sich drei Magazine, in denen sie ihre Waren unterbrachten. Dann blieben sie in dem Chân, bis sie sich ausgeruht hatten, worauf der Wesir sich daranmachte, in betreff der Angelegenheit des Prinzen einen Plan zu ersinnen, und zu ihm sagte: 141

Siebenhundertundeinundzwanzigste Nacht.

»Mir ist etwas eingefallen und ich glaube, so wird dir's gelingen, so Gott will, der Erhabene.« Da sagte der Prinz zu ihm: »O du trefflich beratener Wesir, thue, was dir gut scheint, und Gott möge deinen Rat recht leiten.« Hierauf versetzte der Wesir: »Ich will dir einen Laden auf dem Bazar der Tuchhändler mieten und dich darein setzen. Denn, ob Vornehm oder Gering, jeder einzige muß auf den Bazar gehen, und ich glaube, wenn du im Laden sitzest und die Leute dich mit ihren eigenen Augen sehen, so werden sich die Herzen dir zuneigen, und du wirst so in den Stand gesetzt, deinen Wunsch zu erreichen, da du ein hübsches Gesicht hast, und die Seelen sich dir ebenso zuneigen, wie die Blicke von dir entzückt sind.« Der Prinz erwiderte: »Thue, was dir gut dünkt und was du willst.« Da erhob sich der Wesir zur selbigen Stunde, und er und der Prinz kleideten sich in die prächtigsten Kleider, worauf sie, nachdem der Wesir noch einen Beutel mit tausend Dinaren in seine Tasche gesteckt hatte, in die Stadt gingen, während die Leute sie anblickten und vor Verwunderung über des Prinzen Schönheit sprachen: »Preis Ihm, der diesen Jüngling aus verächtlichem Wasser erschaffen hat! Gesegnet sei Gott, der trefflichste Schöpfer!« Und die Worte gingen hin und her, und einige sagten: »Das ist kein Mensch, das ist ein edler Engel;« andere wiederum meinten: »Hat etwa Ridwân, der Hüter des Paradieses, die Pforte Edens nicht gehörig bewacht, daß dieser Jüngling daraus hervorkam?« Unter solchen Reden folgten ihnen die Leute, bis sie in den Zeugbazar gelangten, wo sie stehen blieben. Da trat ihnen ein Scheich von respektvollem, ehrfurchtsgebietendem Äußern entgegen und fragte sie, nachdem sie den Salâm miteinander ausgetauscht hatten: »Meine Herren, habt ihr ein Anliegen, durch dessen Erfüllung wir uns beehrt fühlen würden?« Der Wesir erwiderte: »Und wer bist du, o Scheich?« Er versetzte: »Ich bin der Obmann des 142 Bazars.« Da sagte der Wesir: »Wisse, o Scheich, dieser Jüngling hier ist mein Sohn, und ich möchte gern in diesem Bazar einen Laden für ihn mieten, daß er darin sitzen und das Kaufen und Verkaufen, und Nehmen und Geben sowie kaufmännisches Benehmen lernen kann.« Der Obmann versetzte: »Ich höre und gehorche,« und holte ihnen unverzüglich den Schlüssel eines Ladens, worauf er den Mäklern befahl denselben zu fegen und zu reinigen. Als sie dies gethan hatten, ließ der Wesir eine hohe mit Straußenfedern gepolsterte Matratze für den Laden holen, auf die er einen kleinen Gebetsteppich und ein mit Stickerei aus rotem Golde eingefaßtes Kissen legte. Außerdem ließ er soviel von seinen Waren und Zeugen holen, bis der Laden voll war, worauf der Jüngling am andern Tage erschien, den Laden öffnete und sich auf die Matratze setzte, während er zwei Mamluken in den schönsten Kleidern vor sich und zwei der hübschesten Abessiniersklaven unten im Laden postierte. Nachdem ihm der Wesir dann noch eingeschärft hatte, sein Geheimnis vor den Leuten zu verbergen, um hierdurch ein Hilfsmittel zur Erreichung seines Wunsches zu finden, verließ er ihn mir der Ermahnung ihm alles, was sich Tag für Tag im Laden zutrüge, mitzuteilen, und begab sich wieder zu den Magazinen.

Der Jüngling saß nun im Laden wie der Vollmond in strahlender Ründung, während die Leute, die einer vom andern von seiner Schönheit vernahmen, ohne irgend ein Anliegen zu ihm auf den Bazar kamen, nur um seine Schönheit und Anmut, seinen Wuchs und sein Ebenmaß zu schauen und Gott, den Erhabenen, seinen Schöpfer und Bildner, zu preisen, bis schließlich wegen des großen Gedränges niemand mehr den Bazar passieren konnte. Der Prinz aber wendete sich von links nach rechts, verwirrt um der Leute willen, die ihn anstaunten, und in der Hoffnung die Bekanntschaft irgend eines zu machen, der dem Hof nahe stand, um hierdurch vielleicht etwas von der Prinzessin zu hören; doch fand er hierzu keinen Weg, so daß ihm die Brust beklommen ward, während 143 ihm der Wesir von Tag zu Tag die Erreichung seines Wunsches versprach. Nachdem in solcher Weise geraume Zeit verstrichen war, traf es sich eines Tages, daß eine alte Frau von respektvollem, ehrfurchtsgebietendem Äußern in der Tracht der Frommen, gefolgt von zwei Sklavinnen gleich Monden, herankam und bei dem Laden stehen blieb. Nachdem sie den Jüngling eine Weile angeschaut hatte, rief sie: »Preis Ihm, der dieses Gesicht geschaffen und dieses Werk gebildet hat!« Dann begrüßte sie ihn, und, als er ihr nun den Salâm erwidert und sie an seiner Seite hatte Platz nehmen lassen, fragte sie ihn: »Du mit dem hübschen Gesicht, woher bist du?« Er erwiderte: »Aus Indien, meine Mutter; ich kam in diese Stadt, um die Welt kennen zu lernen.« Sie versetzte: »Das ist ein geehrter Besuch!« Dann fragte sie ihn: »Was für Waren, Sachen und Zeuge hast du bei dir? Zeig' mir doch etwas hübsches, wie es Königen ansteht.« Als er ihre Worte vernahm, sagte er zu ihr: »Wünschest du, daß ich dir die hübschen Sachen vorlege? Ich habe Sachen, die sich für Leute jeden Standes schicken.« Da versetzte sie: »Mein Sohn, ich wünsche etwas teures und hübsches; das teuerste, was du hast.« Er erwiderte: »Du mußt mir sagen, für wen du die Ware kaufen willst, damit ich dir etwas entsprechend der Stellung des Käufers vorlege.« Sie entgegnete: »Du hast recht, mein Sohn, ich wünsche etwas für meine Herrin Hajât en-Nufûs, die Tochter des Königs Abd el-Kâdir, des Herrn dieses Landes und Königs dieser Gegend.« Als der Prinz dies vernahm, flog ihm der Verstand vor Freude davon, und mit klopfendem Herzen langte er hinter sich, ohne den Mamluken oder den Sklaven einen Befehl zu erteilen, und holte eine Börse mit hundert Dinaren hervor, die er der Alten mit den Worten überreichte: »Dies ist zum Waschen deiner Kleider.« Dann streckte er seine Hand nach einem Paket aus und sagte, indem er aus ihm einen Anzug im Werte von zehntausend Dinaren oder mehr hervorholte: »Dies ist etwas von den Sachen, die ich in euer Land brachte.« 144 Als die Alte den Anzug sah, gefiel er ihr, so daß sie ihn fragte: »Wie teuer ist der Anzug, o du an Eigenschaften Vollkommener?« Er versetzte: »Ich nehme nichts dafür.« Sie dankte ihm und fragte von neuem, jedoch entgegnete er: »Bei Gott, ich nehme nichts dafür, sondern schenke ihn dir, wenn ihn die Prinzessin nicht annehmen will, und es ist ein Gastgeschenk von mir an dich. Gelobt sei Gott, daß er uns beide zusammengeführt hat, damit ich, falls ich eines Tages etwas bedarf, an dir eine Helferin finde.« Die Alte verwunderte sich über seine feinen Worte, seine hohe Großmut und seine ausnehmende Höflichkeit und fragte ihn: »Wie heißest du, mein Herr?« Er erwiderte ihr: »Ardeschîr.« Da sagte sie: »Bei Gott, das ist ein wundersamer Name! So nennt man Prinzen, und du trägst doch die Tracht junger Kaufleute.« Er versetzte: »Mein Vater gab mir diesen Namen in seiner großen Liebe zu mir, doch ein Name bedeutet nichts.« Verwundert über ihn, hub nun die Alte von neuem an: »Mein Sohn, nimm das Geld für deine Ware;« er schwor ihr jedoch nichts annehmen zu wollen, worauf die Alte zu ihm sagte: »Mein Liebling, wisse, Wahrheit ist das wichtigste aller Dinge; diese Großmut mir gegenüber hat sicherlich einen Grund, teile mir deshalb deine Sache und dein Geheimnis mit, vielleicht hast du ein Anliegen, zu dessen Erfüllung ich dir behilflich sein kann.« Da legte er seine Hand in ihre und erzählte ihr, nachdem er sie verpflichtet hatte die Sache geheim zu halten, die ganze Geschichte von seiner Liebe zur Prinzessin und das Leid, das er um ihrerwillen erduldet. Die Alte schüttelte hierzu ihr Haupt und sagte: »Das ist wahr, jedoch mein Sohn, die Einsichtigen sagen in dem bekannten Sprichwort: Wenn du willst, daß man dir nicht gehorcht, so befiehl, was du nicht durchführen kannst. Mein Sohn, dein Name ist Kaufmann, und, wenn du auch die Schlüssel zu den verborgenen Schätzen hättest, so würdest du Kaufmann heißen und bleiben; wenn du einen höhern Rang als du jetzt einnimmst, bekleiden 145 willst, so bewirb dich um die Tochter eines Kadis oder Emirs; weshalb, mein Sohn, begehrst du gerade die Tochter eines Königs der Zeit, die noch ein jungfräuliches Mädchen ist, das nichts von den Dingen der Welt kennt und in seinem Leben nichts anderes als das Schloß gesehen hat, in dem es lebt? Trotz ihrer Jugend aber ist sie verständig, einsichtsvoll, klug, scharfsinnig und begabt mit vorzüglicher Vernunft, rechtem Thun und trefflichem Rat. Ihr Vater hat weiter kein Kind als sie, und sie ist ihm teurer als sein Leben. Alle Tage begiebt er sich zu ihr, um ihr guten Morgen zu wünschen, und alle Leute im Schloß fürchten sich vor ihr. Wähne nicht, mein Sohn, daß ihr jemand mit solchen Worten kommen darf, und so giebt es auch für mich keinen Weg hierzu. Bei Gott, mein Sohn, mein Herz und mein ganzes Innere lieben dich, und gern würde ich dich zu ihr führen; jedoch will ich dir etwas mitteilen, wodurch Gott vielleicht dein Herz heilt, und ich will mein Leben und mein Gut für dich aufs Spiel setzen, um dein Anliegen zu erfüllen.« Der Prinz fragte sie nun: »Was ist es, meine Mutter?« Sie versetzte: »Verlange die Tochter eines Emirs oder Wesirs von mir; verlangst du dies, so will ich dir deine Bitte erfüllen; doch vermag niemand mit einem Sprung von der Erde in den Himmel zu gelangen.« Der Jüngling erwiderte ihr hierauf höflich und mit Verstand: »Meine Mutter, du bist eine verständige Frau und weißt, wie die Sachen stehen. Wenn einem Menschen der Kopf weh thut, wird er dann etwa seine Hand verbinden?« Sie entgegnete: »Nein, bei Gott, mein Sohn!« Da versetzte er: »Ebenso begehrt mein Herz sie allein, und nichts als die Liebe zu ihr bringt mich um. Bei Gott, ich muß sterben, wenn ich keinen finde, der mir mit gutem Rat zur Seite steht; und so beschwöre ich dich bei Gott, meine Mutter, hab' Mitleid mit meiner Fremdlingschaft und meinen strömenden Thränen.« 146

Siebenhundertundzweiundzwanzigste Nacht.

Sie entgegnete: »Bei Gott, mein Sohn, deine Worte zerreißen mir das Herz, doch hab' ich kein Mittel in meiner Hand.« Nun sagte er: »Ich wünschte, du wärest so gütig und überbrächtest ihr einen Brief von mir und küßtest ihr für mich die Hände.« Da erbarmte sie sich seiner und sagte zu ihm: »Schreib' an sie, was du willst, ich will es ihr überbringen.« Als er dies vernahm, wäre er beinahe vor Freude geflogen, und, Tinte und Papier bestellend, schrieb er folgende Verse an sie:

O Hajât en-Nufûs, beglück' einen Liebenden mit einem Stelldichein,
Den die Trennung hat hinschmelzen lassen.
Einst lebt' ich in Wonnen und im schönsten Leben
Und heute bin ich liebeskrank und verstört.
Die ganze Nacht über liege ich schlaflos da,
Und Gram ist mein Gesellschafter vom Abend bis zum Morgen.
Erbarm' dich eines bekümmerten, schwer betrübten Liebenden,
Dessen Augenlider sich vor Sehnsucht wund geweint haben.
Und bricht dann endlich wirklich der Morgen an,
So ist er von der Erregung der Liebe berauscht.

Als er seinen Brief beendet hatte, faltete er ihn, küßte ihn und gab ihn der Alten. Dann steckte er seine Hand in eine Kiste und holte noch eine Börse mit hundert Dinaren hervor, die er ihr mit den Worten überreichte: »Verteile dies unter die Sklavinnen.« Sie lehnte es ab und sagte: »Bei Gott, mein Sohn, ich bin nicht um etwas von der Art bei dir.« Er dankte ihr jedoch und sagte: »Du mußt es unbedingt annehmen.« Da nahm sie die Börse, indem sie ihm die Hände küßte, und ging fort. Als sie nun bei der Prinzessin eintrat, sagte sie: »Meine Herrin, ich habe dir etwas gebracht, was bei den Kaufleuten unserer Stadt nicht zu haben ist. Ich erhielt es bei einem hübschen Jüngling, wie es auf der ganzen Erde keinen schönern giebt.« Nun fragte die Prinzessin: »Meine Amme, woher ist denn der Jüngling?« Sie erwiderte: »Aus Indien; er gab mir diesen golddurchwirkten, mit Perlen und Edelsteinen besetzten 147 Anzug, der ein Kisrā- oder Kaiserreich wert ist.« Als sie nun den Anzug auseinandernahm, leuchtete das Schloß von seinem Licht, infolge seiner kostbaren Arbeitung und der Menge der Juwelen und Edelsteine, mir denen er besetzt war. Alle, die sich im Schloß befanden, staunten über den Anzug, und die Prinzessin fragte die Alte, nachdem sie ihn sorgfältig betrachtet und gefunden hatte, daß er unbezahlbar war und die Steuern eines ganzen Jahres von dem Reiche ihres Vaters an Wert überstieg: »Meine Amme, ist der Anzug von ihm oder einem andern?« Die Amme versetzte: »Er ist von ihm.« Nun fragte sie: »Amme, ist der Kaufmann aus unserer Stadt oder aus fremdem Land?« Sie erwiderte: »Er ist ein Fremder, meine Herrin, und hat sich erst vor kurzem in unserer Stadt niedergelassen; und, bei Gott, er hat Dienerschaft und Sklaven und ist von hübschem Gesicht und ebenmäßigem Wuchs, dabei hochherzig und freigebig, und nur du bist schöner als er.« Die Prinzessin versetzte: »Das ist fürwahr ein wunderbarlich Ding, daß sich solch Anzug, der gar nicht mit Geld zu bezahlen ist, bei einem Kaufmann findet. Welchen Preis hat er dir denn genannt, meine Amme?« Die Alte erwiderte: »Bei Gott, meine Herrin, er hat mir den Betrag gar nicht angegeben, sondern sagte zu mir: »Ich nehme kein Geld, sondern schenke den Anzug der Prinzessin, denn er paßt allein für sie.« Mit diesen Worten schob er das Gold zurück, das du mir mitgegeben hattest und setzte hinzu, indem er mir schwur, nichts nehmen zu wollen: »Wenn die Prinzessin den Anzug nicht nimmt, so schenke ich ihn dir.« Da rief die Prinzessin: »Bei Gott, das ist große Freigebigkeit und reiche Großmut. Doch fürchte ich für ihn den Ausgang seiner Sache, daß er in Armut geraten könnte. Warum fragtest du ihn nicht, meine Amme, ob er ein Anliegen hat, daß wir es ihm erfüllen?« Die Amme erwiderte: »Meine Herrin, ich fragte ihn, ob er ein Anliegen hätte, und er bejahte es und gab mir, ohne etwas weiteres zu sagen, diesen Brief, mit den Worten: »Überbring' ihn der 148 Prinzessin.« Da nahm die Prinzessin den Brief und öffnete ihn. Als sie ihn aber bis zu Ende gelesen hatte, veränderte sich ihr Aussehen, ihre Farbe wurde gelb, und, völlig von Sinnen, rief sie der Alten zu: »Wehe dir, Amme, wie heißt jener Hund, der solche Reden zu einer Prinzessin führt? Und was für eine Beziehung besteht zwischen mir und jenem Hunde, daß er es wagt mir Briefe zu schreiben? Beim großen Gott, dem Herrn des Brunnens Semsem und der Mauer Hatîm,Der Brunnen Semsem befindet sich in dem heiligen Tempelbezirk von Mekka. Seinem Wasser werden Wunderkräfte zugeschrieben. – Die Mauer Hatîm befindet sich auf der Westseite der Kaaba. wenn ich nicht Gott, den Erhabenen, fürchtete, ich würde zu jenem Hunde schicken, daß man ihm die Hände auf dem Rücken zusammenbindet, ihm die Nasenlöcher spaltet, und ihm zum Exempel für andere Nase und Ohren abschneidet, um ihn hernach an dem Thor des Bazars, in dem sich sein Laden befindet, ans Kreuz zu schlagen.« Als die Alte dies vernahm, ward ihre Farbe gelb, ihre Schultermuskeln zitterten, und ihre Zunge stockte. Dann aber faßte sie wieder Mut und sagte: »Sanft, meine Herrin! Was stand denn in dem Briefe, daß du so erregt bist? Ist es etwas anderes als eine Darlegung, in der er sich über Armut oder Ungerechtigkeit beklagt, durch die er in Anspruchnahme deiner Güte befreit zu werden hofft?« Die Prinzessin entgegnete: »Nein, bei Gott, meine Amme, vielmehr sind es Verse und häßliche Worte. Jedoch, meine Amme, muß diesem Hunde eins von drei Sachen fehlen. Entweder ist er verrückt und hat den Verstand verloren oder er will sich selbst ums Leben bringen oder es steht ihm gar ein sehr mächtiger Mann und großer Sultan bei, seinen Wunsch an mich zu erreichen. Oder ist es ihm etwa zu Ohren gekommen, daß ich eine der Dirnen dieser Stadt bin, die eine oder zwei Nächte bei jedem zubringen, der sie begehrt, daß er mir häßliche Verse schreibt, um meinen Verstand damit zu bethören?« Die Alte versetzte: »Bei Gott, meine Herrin, du hast recht; jedoch, kehre dich nicht an diesen einfältigen Hund, 149 wo du in deinem hohen, festen und wohlverwahrten Schloß sitzest, über das weder die Vögel fliegen noch der Wind wehen kann. Er hat sicherlich den Kopf verloren; schreib ihm deshalb einen Brief, schilt ihn aus, schmähe ihn auf jegliche Weise, bedrohe ihn mit dem äußersten, halt' ihm den Tod vor Augen und sprich zu ihm: »Woher kennst du mich, daß du an mich zu schreiben wagst, du Krämerhund, der du dein ganzes Leben lang durch die Steppen und Wüsten geworfen wirst, um einen Dirhem oder Dinar zu gewinnen? Bei Gott, wenn du nicht aus deinem Schlaf erwachst und aus deinem Rausch zu dir kommst, so lasse ich dich an das Thor des Bazars, in dem sich dein Laden befindet, schlagen!« Da versetzte die Prinzessin: »Ich fürchte, wenn ich an ihn schreibe, wird er zudringlich werden.« Die Alte entgegnete: »Was ist er denn, und welchen Rang bekleidet er, daß er zudringlich gegen uns werden könnte? Wir wollen ja gerade an ihn schreiben, um seiner Zudringlichkeit ein Ende zu setzen und seine Furcht zu vergrößern.« In dieser Weise redete sie der Prinzessin listig zu, bis sie sich Tinte und Papier kommen ließ und folgende Verse an ihn schrieb:

Der du zu lieben behauptest, zu leiden und schlaflos zu sein
Und die Nächte in Weh und Kummer zu verbringen,
Willst du, Bethörter, etwa mit dem Mond ein Stelldichein haben?
Hat je einer vom Mond seine Wünsche erlangt?
Ich rate dir gut, drum hör' auf meine Worte
Und laß ab, denn Gefahr und Tod umgeben dich.
Wenn du noch einmal solche Reden zu mir führst,
So trifft dich die bitterste Strafe von mir.
Sei darum sittsam, klug, vernünftig und voll Verstand,
Denn in meinen Versen hier geb' ich dir besten Rat.
Und bei Ihm, der die Dinge aus dem Nichts erschuf,
Der des Himmels Antlitz mit leuchtenden Sternen geschmückt,
Führst du noch einmal solche Reden zu mir,
So laß ich dich an einem Baumstamm kreuzigen!

Hierauf faltete sie den Brief und gab ihn der Alten, die ihn nahm und sich mit ihm zum Laden des Jünglings auf den Weg machte. 150

Siebenhundertunddreiundzwanzigste Nacht.

Sie traf ihn im Laden an und übergab ihm den Brief mit den Worten: »Lies die Antwort und wisse, daß sie sehr böse war, als sie deinen Brief gelesen hatte, doch beschwichtigte ich sie mit freundlichen Worten, bis sie dir Antwort gab.« Erfreut nahm der Prinz den Brief und las ihn; als er ihn aber zu Ende gelesen und seinen Inhalt begriffen hatte, weinte er bitterlich, so daß der Alten das Herz weh that, und sie zu ihm sagte: »Mein Sohn, Gott lasse dein Auge nicht weinen und dein Herz sich nicht grämen! Was kann denn freundlicher sein als daß sie deinen Brief beantwortete, nachdem du so vermessen gewesen warst?« Nun versetzte er: »O meine Mutter, was für eine feinere List als diese soll ich anwenden, wo sie mich in ihrer Antwort mit Tod und Kreuzigung bedroht und mir verbietet, noch einmal an sie zu schreiben? Bei Gott, ich sehe, der Tod ist mir besser als das Leben, und deshalb bitte ich dich so gütig zu sein und ihr noch einen Brief von mir zu überbringen.« Die Alte entgegnete: »Schreib, und ich will mich dir für eine Antwort verbürgen. Bei Gott, ich will mein Leben für dich einsetzen, daß du deinen Wunsch erreichst, und sollte ich auch dir zuliebe umkommen!« Der Prinz dankte ihr mit einem Handkuß und schrieb dann folgende Verse:

Mit dem Tode bedrohst du mich für meine Liebe zu dir,
Doch der Tod bringt mir Ruhe, und Sterben ist unser Los.
Für einen Liebenden ist der Tod besser als langes Leben,
Wenn er verschmäht und vertrieben ist.
Besuch' doch einen Liebenden, der keinen Helfer hat,
Denn der Menschen Eifer im Guten erhält seinen Lohn.
Bist du aber entschlossen deinen Willen zu thun, so thu' ihn,
Siehe, ich bin dein Sklave, und der Sklave liegt in Fesseln.
O meine Herrin, erbarm' dich eines Kranken, den Liebe zu dir krank machte,
Denn jedem, der Edle liebt, ist zu verzeihen.

Hierauf faltete er den Brief und gab ihn der Alten zugleich mit zwei Börsen, die zweihundert Dinare enthielten. Die 151 Alte wies sie zurück, doch beschwor er sie, bis sie sie nahm und sagte: »Ich muß dir deinen Feinden zum Trost zu deinem Wunsch verhelfen.« Hierauf begab sie sich wieder zu Hajât en-Nufûs und überreichte ihr den Brief. Hajât en-Nufûs fragte sie: »Was ist das, meine Amme? Wir stehen schon mitten im Briefwechsel, und du kommst und gehst. Ich fürchte, unsere Sache könnte bekannt, und wir dadurch bloßgestellt werden.« Die Alte entgegnete: »Wieso, meine Herrin? Wer darf solch ein Wort sprechen?« Hierauf nahm sie ihr den Brief ab und las ihn; als sie aber seinen Inhalt begriffen hatte, schlug sie die Hände zusammen und rief: »Dieser Mensch ist ein Unglück für uns, und wir wissen nicht einmal, woher dieser Jüngling zu uns gekommen ist.« Die Alte erwiderte: »Meine Herrin, um Gott, ich beschwöre dich, schreib ihm einen groben Brief und sag ihm darin: ›Wenn du mir noch einmal einen Brief schreibst, so schlage ich dir den Kopf ab.‹« Die Prinzessin versetzte: »O meine Amme, ich weiß, daß die Sache nicht in dieser Weise ein Ende nimmt; passender wäre es, den Briefwechsel abzubrechen; und, wenn dieser Hund sich nicht durch meine frühern Drohungen abschrecken läßt, so schlage ich ihm den Kopf ab.« Die Alte entgegnete: »Schreib ihm das.« Da rief die Prinzessin nach Tinte und Papier und bedrohte ihn mit folgenden Versen:

Du Thor, der du unbesorgt bist vor den Schlägen des Unglücks
Und dessen liebendes Herz mit mir vereint sein möchte,
Wähnst du, Verblendeter, etwa den Himmel zu erreichen,
Oder glaubst du zum leuchtenden Vollmond gelangen zu können?
Ich will dich in unauslöschlichem Feuer rösten
Und dich mit den schärfsten Schwertern niederhauen.
Nimm daher meinen Rat an und steh ab von der Liebe
Und laß diese Sache ruhn, die sich nicht für dich schickt.

Hierauf faltete sie den Brief und gab ihn der Alten, die sich in großer Verlegenheit wegen dieser Geschichte mit dem Brief wieder zum Jüngling aufmachte und ihm denselben übergab. Als er ihn gelesen hatte, ließ er den Kopf zu Boden hängen und that, als ob er mit seinem Finger schriebe, ohne ein 152 Wort zu sprechen. Da fragte ihn die Alte: »Mein Sohn, warum sprichst du denn nicht und giebst nicht Antwort?« Er erwiderte: »Meine Mutter, was soll ich denn sagen, wo sie mich bedroht und mir immer größere Härte und stärkeren Widerwillen zeigt.« Die Alte versetzte: »Schreib' ihr nur, was du willst, ich will dich schon vor ihr schützen; laß dein Herz darum guter Dinge sein, ich muß euch beide zusammenbringen.« Da dankte ihr der Prinz für ihre Güte mit einem Handkuß und schrieb folgende Verse an Hajât en-Nufûs:

Bei Gott, ein Herz, daß sich einem Liebenden nicht zuneigt,
Der sich nach der Vereinigung mit der Geliebten sehnt!
Dessen Augenlider immerdar wund sind von Thränen,
Wenn das erste Dunkel der Nacht hereinbricht!
Sei huldvoll, gütig, barmherzig und spende Almosen
Einem Liebenden, der krank ist aus Liebe und von der Geliebten getrennt.
Schlaflos verbringt er die ganze Nacht,
In brennender Qual und im Meer der Thränen versinkend.
O schneide nicht ab das Verlangen eines Herzens,
Das bekümmert und betrübt ist und in seiner Liebe unruhig pocht!

Hierauf faltete er den Brief und gab ihn der Alten zugleich mit dreihundert Dinaren, indem er zu ihr sagte: »Dies ist zum Waschen deiner Hände.« Sie dankte ihm mit Handkuß und begab sich nun wieder zur Prinzessin, der sie den Brief überreichte. Als die Prinzessin ihn gelesen hatte, sprang sie, ihn aus den Händen werfend, auf und eilte in ihren goldenen, mit Perlen und Edelsteinen besetzten Holzschuhen mit geschwollener Zornesader zwischen den Augen zum Schloß ihres Vaters, ohne daß es jemand wagte sie zu fragen, was ihr fehle. Beim Schloß angelangt, fragte sie nach dem König ihrem Vater, worauf ihr die Sklavinnen und Beischläferinnen erwiderten: »Meine Herrin, er ist auf die Jagd ausgezogen.« Da kehrte sie wieder wie eine grimme Löwin zurück und redete drei Stunden lang zu keinem ein Wort, bis sich ihr Antlitz wieder aufhellte und ihr Zorn sich legte. Als nun die Alte sah, daß sich ihr Zorn und Verdruß 153 wieder gelegt hatte, trat sie an sie heran und fragte sie, indem sie die Erde vor ihr küßte: »Meine Herrin, wohin hatten sich diese geehrten Schritte begeben?« Die Prinzessin erwiderte ihr: »Zu meines Vaters Schloß.« – »Und, meine Herrin,« so fragte die Alte weiter, »war niemand da, dein Anliegen zu erfüllen?« Die Prinzessin versetzte: »Ich ging nur deshalb hin, um meinem Vater mitzuteilen, was mir von diesem Hund von Krämer widerfahren ist, damit er ihn und alle Kaufleute in seinem Bazar ergriffe und sie an ihre Läden kreuzige und keinen fremden Kaufmann mehr in unserer Stadt wohnen ließe.« Nun fragte die Alte: »War dies wirklich dein einziger Grund, zu deinem Vater zu gehen, meine Herrin?« Sie versetzte: »Ja, doch traf ich ihn nicht an, da er auf die Jagd ausgezogen ist, und nun warte ich auf seine Rückkehr.« Da rief die Alte: »Ich nehme meine Zuflucht zu Gott, dem alles Hörenden, Allwissenden! Meine Herrin, du bist Gott sei Dank das verständigste Menschenkind, wie aber konntest du da dem König dieses Wortgefasel mitteilen wollen, dessen Bekanntmachung sich für niemand schickt?« Die Prinzessin fragte: »Wieso?« Die Alte versetzte: »Angenommen, du hättest den König im Schloß angetroffen und hättest ihm diese Geschichte mitgeteilt, und er hätte dann die Kaufleute über ihren Läden aufhängen lassen; hätten dann die Leute sie hängen sehen und nach der Ursache hiervon gefragt, so hätte man ihnen geantwortet: »Sie versuchten die Prinzessin zu verführen.«

Siebenhundertundvierundzwanzigste Nacht.

Dann würden die einen dies, die andern das von dir verbreitet haben, denn, meine Herrin, die Ehre ist wie geronnene Milch, das winzigste Stäubchen beschmutzt sie; oder auch wie Glas, – einmal zerbrochen, läßt es sich nicht mehr ganz machen. Hüte dich daher deinem Vater oder irgend einem andern von dieser Geschichte etwas zu erzählen, daß dein Ruf, meine Herrin, nicht bloßgestellt wird; es wird dir 154 nimmermehr Nutzen bringen, wenn du den Leuten hiervon etwas verlauten lässest, erwäge daher meine Worte mit deinem trefflichen Verstand, und, so du sie nicht für recht hältst, thue nach deinem Belieben.« Als die Prinzessin von der Alten diese Worte vernahm, erwog sie sie und fand, daß sie den Nagel auf den Kopf trafen, so daß sie versetzte: »Was du da sagst, meine Amme, ist wohl wahr, doch hatte der Zorn mir den Verstand getrübt.« Nun entgegnete die Alte: »Dein Vorhaben, keinem davon etwas mitzuteilen, ist angenehm vor Gott, dem Erhabenen, jedoch bleibt noch etwas anderes übrig: wir müssen nämlich nicht jenen schamlosen und so gemeinen Hund von Krämer mit Stillschweigen übergehen. Schreib' ihm einen Brief und sag' ihm darin: »Du gemeinster Krämer, wäre der König nicht abwesend, so hätte ich ihm zu dieser Stunde befohlen dich und alle deine Nachbarn zu kreuzigen. Doch wird dir davon nichts erspart bleiben, und ich schwöre zu Gott dem Erhabenen, wenn du noch einmal solche Worte sprichst, so vertilge ich deine Spur vom Angesicht der Erde!« Bediene dich grober Worte gegen ihn, daß du ihn von diesem Unterfangen abbringst und ihn aus seiner Achtlosigkeit aufweckst.« Die Prinzessin antwortete ihr: »Wird er sich denn durch solche Worte von seiner Unverschämtheit abbringen lassen?« Die Alte versetzte: »Wie sollte er sich nicht abbringen lassen, wenn ich mit ihm spreche und ihm mitteile, was vorgefallen ist?« Da rief die Prinzessin nach Tinte und Papier und schrieb folgende Verse:

Immer noch hoffst du zu uns zu gelangen
Und glaubst deinen Wunsch von uns erreichen zu können.
Nichts bringt den Menschen um als seine Verblendung,
Und wir wollen ob seiner Vermessenheit das Unheil über ihn bringen.
Du bist kein Machterkorener und kein Stammeshäuptling,
Bist auch kein Sultan oder Vicekönig;
Wenn einer unsersgleichen sich dessen unterfangen hätte,
So wäre er vor Schrecken mit grauem Haar heimgekehrt;
Doch will ich dir noch einmal dein Vergehen vergeben,
Aber von jetzt an zeige deine Reue. 155

Hierauf gab sie den Brief der Alten und sagte zu ihr: »Meine Amme, warne den Hund, daß ich ihm nicht den Kopf abschlagen lasse und seinetwegen eine Sünde begehe.« Die Alte versetzte: »Bei Gott, meine Herrin, ich will ihm keine Seite lassen, auf die er sich wälzen kann.« Alsdann nahm sie den Brief und machte sich zu dem Jüngling auf. Nachdem sie den Salâm miteinander ausgetauscht hatten, überreichte sie ihm den Brief, und er nahm ihn und las ihn, worauf er den Kopf schüttelte und rief: »Wir sind Gottes und zu Ihm kehren wir zurück!« Dann sagte er: »Meine Mutter, was soll ich thun? Meine Geduld erlahmt, und meine Fassung geht zu Ende.« Die Alte erwiderte: »Mein Sohn, nimm dich zusammen, vielleicht läßt Gott noch etwas geschehen; schreib nur, was du im Sinn hast, und ich will dir die Antwort darauf bringen. Sei nur guten Mutes und kühlen Auges, ich muß euch doch, so Gott will, der Erhabene, zusammenbringen.« Da segnete er sie und schrieb an Hajât en-Nufûs einen Brief, der folgende Verse zum Inhalt hatte:

Da ich für meine Liebe keinen Helfer finde,
Und mich der Sehnsucht Tyrannei umbringt und tötet,
So will ich die Feuerslohe in meinem Innern ertragen,
Ohne Tag und Nacht Ruhe zu finden.
Wie sollte ich nicht auf dich hoffen, du höchster meiner Wünsche,
Und wie sollt' ich zufrieden sein mit den Qualen meiner Sehnsucht?
Ich bete zum Herrn des Himmels mir Wohlgefallen zu gewähren,
Da ich in der Liebe zu keuschen Schönen vergehe;
Und ich bitte mir baldige Vereinigung zu gewähren,
Da ich von den Schrecken der Sehnsucht versehrt bin.

Hierauf faltete er den Brief und gab ihn der Alten nebst einer Börse mit vierhundert Dinaren, und die Alte nahm alles und begab sich wieder zur Prinzessin, der sie den Brief überreichte. Hajât en-Nufûs nahm ihr jedoch den Brief nicht ab, sondern fragte sie: »Was ist das für ein Brief?« Die Alte versetzte: »Meine Herrin, es ist die Antwort auf deinen Brief, den du an jenen Krämerhund schicktest.« Da 156 fragte sie die Alte: »Hast du es ihm nicht verboten, wie ich es dir sagte?« Die Alte erwiderte: »Jawohl, und dies ist seine Antwort.« Da nahm sie ihr den Brief ab und las ihn bis zu Ende. Dann aber wendete sie sich zur Alten und fragte sie: »Wo ist das Ergebnis deiner Worte?« Nun fragte die Alte: »Meine Herrin, sagt er nicht in seinem Briefe, daß er sich bessern will und Reue empfindet, und entschuldigt er sich nicht für das frühere?« Die Prinzessin antwortete: »Nein, bei Gott, er ist nur noch unverschämter.« Da sagte die Alte: »Meine Herrin, schreib ihm einen Brief, und du sollst dann sofort sehen, was ich mit ihm thun werde.« Die Prinzessin erwiderte: »Es thut mir weder not zu schreiben noch Antwort zu geben.« Die Alte entgegnete: »Du mußt ihm antworten, damit ich ihn schelten und seine Hoffnungen vernichten kann.« Die Prinzessin erwiderte: »Thu' dies ohne Brief.« Die Alte versetzte jedoch: »Ich muß dazu einen Brief haben.« Da rief die Prinzessin wieder nach Tinte und Papier und schrieb an den Prinzen folgende Verse:

So oft schon getadelt, hält dich der Tadel doch nicht ab?
Wie oft noch soll meine Hand dir's in Versen verbieten?
So verbirg deine Liebe und thu sie hinfort nicht mehr kund;
Gehorchst du jedoch nicht, so nehme ich keine Rücksicht mehr auf dich.
Wiederholst du noch einmal das früher Gesagte,
So soll der Bote des Todes deinen Tod ankündigen.
Binnen kurzem wirst du schauen, wie der Sturm über dich hereinbricht,
Und wie die Vögel der Wüste über dich herfallen.

Als sie den Brief beendet hatte, warf sie das Blatt zornig aus der Hand, und die Alte nahm es und überbrachte es dem Jüngling. Als er aber den Brief durchgelesen hatte, wußte er, daß sie nicht sanfter gegen ihn geworden war, sondern sich nur noch mehr erzürnt hatte, und daß er nicht zu ihr gelangen würde. Da kam es ihm in den Sinn sie in der Antwort zu verfluchen, und so schrieb er folgende Verse an sie: 157

O Herr, bei den fünf Scheichen, errette mich
Von der Liebe, die mich so schwer quält!
Denn du kennst die feurigen Liebesqualen, die ich erleide,
Und das schwere Siechtum um einer willen, die kein Erbarmen verspürt.
Sie hat kein Mitleid für das Elend, das ich erdulde,
Wie lange soll sie mich noch in meiner Krankheit tyrannisieren?
In unendlichen Ängsten irr' ich liebeverstört umher
Und finde keinen, o Volk, der mir hilft.
Wie lange noch, wenn die Nacht ihre Fittiche senkt,
Klage ich im Verborgenen und vor aller Welt?
Denn der Liebe zu euch kann ich mich nicht entschlagen,
Wie auch könnt' ich's wohl, wo meine Geduld in meinem Verlangen erstirbt?
O du Vogel der Trennung,Der Vogel der Trennung ist für gewöhnlich der Rabe. sag' mir, ob sie sicher ist
Vor den Wechselfällen der Zeit und ihren Schlägen.

Hierauf faltete er den Brief und gab ihn der Alten zugleich mit einer Börse mit fünfhundert Dinaren Inhalt; und die Alte nahm die Börse und begab sich wieder zur Prinzessin, der sie den Brief überreichte. Als sie ihn gelesen und seinen Inhalt begriffen hatte, warf sie ihn aus der Hand und sagte zu ihr: »Sag mir, niederträchtiges altes Weib, weshalb mir alles dies von dir, deiner List und deiner Teilnahme für ihn widerfährt, so daß ich dir einen Brief nach dem andern schreibe und du unablässig zwischen uns den Briefträger spielst, bis du Briefwechsel und Geschichten zwischen uns beiden zuwege gebracht hast? Bei jedem Briefe sagst du, du willst mich gegen sein Übel schützen und mich von seinen Worten befreien, doch sagst du dies nur, damit ich an ihn einen Brief schreibe, und du am Morgen und Abend zwischen uns hin- und hergehst, bis du meinen Ruf vernichtet hast. Wehe euch, ihr Eunuchen, packt sie!« Hierauf befahl sie den Eunuchen sie durchzuprügeln, und, nachdem diese es gethan hatten, bis sie am ganzen Leibe von Blut troff und in Ohnmacht gesunken war, befahl sie den Sklavinnen sie an den Füßen aus dem Schloß herauszuschleifen. Alsdann stellte sie eine Sklavin ihr zu Häupten hin und befahl 158 derselben ihr, wenn sie wieder zu sich gekommen wäre, zu bestellen, daß die Prinzessin einen Eid geschworen habe sie unnachsichtlich töten zu lassen, wenn sie den Palast noch einmal betreten würde. Als die Alte nun wieder zu sich kam und die Sklavin ihr die Worte der Prinzessin bestellte, versetzte sie: »Ich höre und gehorche,« worauf die Sklavinnen ihr einen Korb holten und einem Lastträger befahlen, sie nach Hause zu tragen. Dann schickten sie ihr einen Arzt nach, dem sie den Auftrag gab, sie sorgsam zu pflegen, bis sie wieder hergestellt wäre. Der Arzt gehorchte ihrem Befehl, und als sie nun wieder genesen war, setzte sie sich auf und ritt zu dem Jüngling, der sehr betrübt über ihr Ausbleiben gewesen war und sich nach Nachricht von ihr gesehnt hatte. Als er sie erblickte, erhob er sich vor ihr und begrüßte sie, ihr entgegengehend. Als er aber sah, daß sie leidend war, fragte er sie nach ihrem Befinden, worauf sie ihm alles, was ihr von der Prinzessin widerfahren war, erzählte. Es fiel ihm schwer auf die Seele und, die Hände zusammenschlagend, rief er: »Bei Gott, was dir widerfahren ist, bedrückt mich schwer, jedoch, meine Mutter, weshalb haßt denn eigentlich die Prinzessin die Männer?« Die Alte versetzte: »Mein Sohn, wisse, sie hat einen Garten, wie es auf der ganzen Erde keinen schönern giebt. Nun traf es sich, daß sie eines Nachts in dem Garten schlief und in des Schlafes Süße träumte, daß sie in den Garten eingekehrt war und hier einen Vogelsteller sein Netz aufstellen und rings um dasselbe Weizenkörner streuen sähe, worauf sich der Vogelsteller abseits setzte und wartete, was an Vögeln in das Netz fallen würde. Nach kurzer Zeit versammelten sich denn auch die Vögel, um den Weizen aufzupicken, und ein Tauber fiel in das Netz und zappelte darin, so daß die Vögel fortflogen, unter denen sich auch sein Weibchen befand. Nach einem Weilchen kehrte es jedoch zu ihm an das Netz zurück und suchte die Masche, in welcher sein Fuß steckte, worauf es mit seinem Schnabel so lange an derselben arbeitete, bis es die 159 Masche zerbissen und sein Männchen befreit hatte. Alles dies trug sich zu, während der Vogelsteller eingeschlafen war. Als er wieder erwachte und nun das Netz verdorben sah, machte er es wieder zurecht und streute von neuem Weizen aus, worauf er sich wieder abseits vom Netz setzte. Nach einer Weile versammelten sich wieder die Vögel bei ihm, unter denen sich auch das Taubenpaar befand, und näherten sich dem Netz, um die Körner aufzupicken, als mit einem Male das Weibchen in das Netz fiel und in ihm zappelte. Da flogen alle Vögel samt dem Männchen, das von dem Weibchen befreit worden war, fort, und es kehrte auch nicht wieder, wiewohl der Vogelsteller wieder vom Schlaf überwältigt war und geraume Zeit eingeschlafen dasaß. Als er dann wieder erwachte und die Taube im Netz gefangen sah, stand er auf, löste ihren Fuß aus dem Netz und schlachtete sie. Da erwachte die Prinzessin erschrocken und rief: »So handeln die Männer an den Frauen; die Frau hat Mitleid mit dem Mann und opfert sich für ihn, wenn er in Not ist; wenn aber der Herr verhängt, daß die Frau in Not gerät, dann verläßt sie der Mann und befreit sie nicht, so daß die gute That, die sie an ihm gethan hat, weggeworfen war. Darum verfluche Gott jede, die einem Mann vertraut, da sich die Männer an die guten Thaten, die ihnen die Frauen erweisen, nicht scheren!« Und so kam es, daß sie seit jenem Traum die Männer haßt.« Da fragte der Prinz die Alte: »Meine Mutter, geht sie denn nie aus?« Sie erwiderte: »Nein, mein Sohn, jedoch hat sie den schönsten Lustgarten, den es in unserer Zeit giebt, und jedes Jahr zur Zeit, wenn die Früchte reifen, begiebt sie sich in denselben, um sich einen Tag in ihm zu ergehen, worauf sie die Nacht wieder in ihrem Schloß zubringt. Sie betritt den Garten nur durch die Privatthür ihres Schlosses, die zu ihm führt; und ich will dir etwas sagen, das dir, so Gott will, zu Gutem dienen soll. Es dauert nämlich nur noch einen Monat, bis die Früchte reifen, und sie sich im Garten ergeht; begieb dich 160 daher noch heute zum Aufseher ihres Gartens und befreunde dich mit ihm, da er keins von Gottes, des Erhabenen, Geschöpfen in den Garten läßt, weil er an das Schloß der Prinzessin stößt. Zwei Tage, bevor die Prinzessin in den Garten geht, will ich es dir mitteilen, und du begieb dich dann wie gewöhnlich in den Garten und sieh zu, wie du dort übernachten kannst. Kommt dann die Prinzessin in den Garten, so versteck dich an dem einen oder andern Ort; –

Siebenhundertundfünfundzwanzigste Nacht.

und, sobald du sie siehst, komme hervor und zeig dich ihr, daß sie sich in dich verliebt, denn die Liebe deckt alles zu. Und wisse, mein Sohn, wenn sie dich nur sähe, so würde sie sich sicherlich in dich verlieben, da du hübsch von Gestalt bist. Sei daher kühlen Auges und guten Mutes, mein Sohn, ich muß euch unter allen Umständen zusammenbringen.« Der Prinz dankte ihr, indem er ihr die Hände küßte, und gab ihr drei Stücke alexandrinischer Seide, drei Stücke Atlas von verschiedener Farbe, und zugleich mit jedem Stück ein Stück Linnen für Hemden, ein Stück Tuch für Hosen, ein Tuch für Kopfbinden und baalbeker Zeug fürs Futter, so daß es drei ganze Anzüge waren, von denen einer immer schöner als der andere war. Außerdem aber gab er ihr noch eine Börse mit sechshundert Dinaren und sagte zu ihr: »Dies ist das Nähgeld.« Indem sie alles an sich nahm, sagte sie zu ihm: »Mein Sohn, möchtest du nicht den Weg zu meinem Hause wissen, so wie ich ebenfalls den Weg zu dir wissen möchte?« Er versetzte: »Jawohl;« alsdann schickte er einen Mamluken mit ihr mit, um ihr Haus zu erfahren und ihr gleichfalls seine Wohnung zu zeigen. Als sich nun die Alte wieder aufgemacht hatte, erhob sich der Prinz und befahl seinen Burschen den Laden zu verriegeln; dann begab er sich zum Wesir und teilte ihm alles mit, was sich zwischen ihm und der Alten zugetragen hatte, worauf der Wesir ihm erwiderte: »Mein Sohn, wenn nun Hajât en-Nufûs 161 herauskommt und keinen Gefallen an dir findet, was dann?« Der Prinz versetzte: »Dann bleibt mir kein anderer Weg übrig als von Worten zu Thaten überzugehen und mein Leben zu wagen; ich will sie dann aus der Mitte ihrer Eunuchen rauben, sie hinter mich auf einen Hengst setzen und mit ihr in die Wüste entfliehen. Entkomme ich, so habe ich meinen Wunsch erreicht, und komme ich um, so habe ich Ruhe von diesem verhaßten Leben.« Der Wesir versetzte: »Mein Sohn, glaubst du wirklich, wenn du dies thust, am Leben zu bleiben? Wie sollen wir denn entkommen, wo wir bis in unser Land eine weite Reise haben, und wie willst du dich solch einer That gegen einen König der Zeit unterfangen, unter dessen Hand hunderttausend Zügel stehen, und der einen Teil seiner Truppen befehlen kann uns den Weg abzuschneiden? Das ist kein guter Plan, und kein Verständiger würde ihn unternehmen.« Nun fragte der Prinz: »Und was soll denn geschehen, du wohlberatener Wesir; siehe, ich sterbe ganz gewiß.« Der Wesir versetzte: »Warte bis morgen, bis wir uns den Garten angesehen haben und wissen, wie es uns mit dem Gärtner ergangen ist.« Am nächsten Morgen erhoben sich beide, und, nachdem der Wesir einen Beutel von tausend Dinaren in die Tasche gesteckt hatte, begaben sie sich zu dem Garten und sahen, daß er von hohen und festen Mauern umgeben und reich an Bäumen und Bächen war. Hübsche Früchte reiften in ihm, die Blumen dufteten, und die Vögel sangen, so daß er einem der Gärten des Paradieses glich. In dem Thor saß ein alter Scheich auf einer Steinbank, der sich, als er die beiden erblickte und ihr Aussehen gewahrte, auf ihren Gruß erhob und, nachdem er ihnen den Salâm erwidert hatte, zu ihnen sprach: »Meine Herren, vielleicht habt ihr ein Anliegen, dessen Erfüllung mich beehren würde.« Der Wesir versetzte: »Wisse, Scheich, wir sind Fremde; und die Hitze ist uns lästig, und unsere Wohnung liegt fern auf der andern Seite der Stadt. Wir bitten dich daher so freundlich zu sein, diese beiden Dinare 162 anzunehmen, und uns dafür etwas zum Essen zu kaufen. Inzwischen öffne uns das Gartenthor und laß uns an einem schattigen Ort mit kühlem Wasser sitzen, damit wir uns abkühlen, bis du uns das Essen gebracht hast, worauf wir zusammen essen und dann, wenn wir uns ausgeruht haben, unseres Weges gehen wollen.« Hierauf steckte der Wesir die Hand in seine Tasche und, zwei Dinare daraus hervorholend, legte er sie in die Hand des Gärtners, welcher in seinem ganzen Leben, das siebzig Jahre zählte, so etwas nicht in seiner Hand gesehen hatte. Als er nun die beiden Dinare in seiner Hand gewahrte, flog ihm der Verstand vor Freude, und, sogleich aufspringend, öffnete er das Thor und führte sie in den Garten, wo er sie unter einem schattenreichen Obstbaum Platz nehmen ließ, indem er zu ihnen sagte: »Setzt euch an diesen Ort und geht nicht tiefer in den Garten hinein, da er eine Privatthür hat, die ins Schloß der Prinzessin Hajât en-Nufûs führt.« Sie versetzten: »Wir wollen uns nicht von unserm Platz rühren.« Hierauf machte sich der Gärtner auf den Weg ihnen das Gewünschte zu kaufen und kehrte nach einer Weile mit einem Lastträger zurück, der auf seinem Haupt ein gebratenes Lamm und Brot trug. Nachdem sie zusammen gegessen und getrunken und eine Weile miteinander geplaudert hatten, wendete sich der Wesir nach rechts und links und blickte nach allen Seiten des Gartens, bis er tief in demselben ein altes, hohes Schloß gewahrte, von dessen Mauern der Putz abgefallen war und dessen Pfeiler zerbrochen waren. Da fragte der Wesir: »Scheich, ist dieser Garten dein Besitztum oder hast du ihn nur gemietet?« Der Scheich erwiderte: »Ach, mein Herr, er gehört weder mir noch habe ich ihn gemietet, ich bin nur sein Hüter.« Nun fragte ihn der Wesir: »Wie viel Lohn erhältst du?« Er versetzte: »Einen Dinar für den Monat.« Da sagte der Wesir: »Sie thun dir unrecht, zumal, wenn du Familienvater bist.« Der Scheich entgegnete: »Bei Gott, mein Herr, ich habe acht Kinder, und dann komme ich.« 163 Als der Wesir dies vernahm, rief er: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Bei Gott, o Armer, du lässest mich deine Sorge tragen; jedoch, was würdest du zu dem sagen, der wegen deiner Familie ein gutes Werk an dir verrichtet?« Der Scheich erwiderte: »Mein Herr, was immer du nur Gutes thun magst, wird dir ein Schatz bei Gott, dem Erhabenen, sein.« Nun sagte der Wesir: »Wisse, Scheich, dieser Garten ist ein hübscher Platz, doch ist jenes Schloß alt und verfallen; ich will es daher wieder in stand setzen lassen, und will es abputzen und hübsch malen lassen, so daß es der hübscheste Gegenstand in diesem Garten wird. Wenn dann der Besitzer des Gartens kommt und es neu und hübsch hergestellt findet, so wird er dich sicherlich deswegen zur Rede stellen, und du sprichst dann zu ihm: »Mein Herr, ich ließ es unter großen Kosten wieder aufbauen, da es schmutzig und verfallen war, so daß es keinem etwas nützte, und niemand darin sitzen konnte.« Wenn er dich dann fragt: »Woher hattest du das Geld dazu?« so sprich: »Ich ließ es mich mein Geld kosten, um mein Antlitz weiß vor dir zu machen, und in der Hoffnung auf deine Güte.« Er wird dir dann sicherlich ein Geschenk machen, das die Kosten aufwiegt, und morgen will ich die Bauleute, die Abputzer und Maler kommen lassen, daß sie das Gebäude renovieren, und will dir das Versprochene geben.« Hierauf holte er aus seiner Tasche einen Beutel mit fünfhundert Dinaren hervor und sagte zu ihm: »Nimm dieses Gold, gieb es für deine Familie aus und laß sie für mich und diesen meinen Sohn beten.« Da fragte der Prinz den Wesir: »Wozu ist dies?« Und der Wesir antwortete: »Du wirst bald das Resultat hiervon sehen.«

Siebenhundertundsechsundzwanzigste Nacht.

Als aber der Scheich das Geld sah, verlor er den Verstand, so daß er sich auf die Füße des Wesirs stürzte, sie mit Küssen bedeckte und auf ihn und seinen Sohn 164 Segenswünsche herabflehte. Bei ihrem Fortgehen sagte er dann zu ihnen: »Morgen erwarte ich euch, und Gott, der Erhabene, wird uns weder bei Tag noch bei Nacht trennen.«

Am andern Morgen begab sich der Wesir wieder an jenen Ort und ließ den Obmann der Bauleute zu sich kommen, worauf er sich mit ihm zum Garten begab. Der Gärtner freute sich über sein Kommen, und der Wesir gab ihm das Geld für die Verpflegung und für alles, was die Werkleute beim Bau des Schlosses gebrauchten, worauf sie es wieder aufbauten, weißten und malten. Der Wesir aber sagte zu den Malern: »Ihr Meister, hört auf meine Worte und merkt auf meinen Plan und Wunsch. Wisset, ich besitze einen Garten gleich diesem, in dem ich eines Nachts schlief. Da träumte mir, daß ein Vogelsteller ein Netz aufstellte und rings herum Weizen streute, worauf sich die Vögel bei ihm versammelten, um den Weizen aufzupicken, als mit einem Male ein Tauber in das Netz fiel. Die andern Vögel, unter denen sich auch sein Weibchen befand, flohen, nach kurzer Weile kehrte jedoch das Weibchen allein zurück und zerbiß die Masche, in welcher sich der Fuß des Taubers gefangen hatte, bis sie ihn befreit hatte und er fortflog, während der Vogelsteller zu dieser Zeit schlief. Als er aus seinem Schlaf erwachte und das Netz leer fand, brachte er es wieder in Ordnung und streute von neuem Weizen aus. Nachdem er sich dann wieder abseits gesetzt hatte, um zu wachen, bis das Wild in das Netz fiele, kamen die Vögel von neuem an den Weizen aufzupicken, und unter ihnen auch das Taubenpärchen. Diesmal verstrickte sich aber die Taube im Netz, worauf alle Vögel samt dem Tauber fortflogen, ohne daß er zurückgekehrt wäre. Da erhob sich der Vogelsteller, nahm die Taube und schnitt ihr den Hals ab. Als aber der Tauber mit den andern Vögeln fortgeflogen war, hatte ihn ein Raubvogel gepackt, getötet, sein Blut getrunken und sein Fleisch gefressen. Ich wünsche nun von euch, daß ihr diesen ganzen Traum, so wie ich ihn euch erzählte, mit 165 schönen Farben darstellt und ihn in diesen Garten verlegt, daß er sich innerhalb seiner Mauern unter seinen Bäumen und mit seinen Vögeln abspielt; besonders aber laßt euch die Darstellung des Vogelstellers und seines Netzes sowie des Taubers und des Raubvogels angelegen sein. Wenn ihr meine Auseinandersetzungen ausgeführt habt und euer Werk mir gefällt, so will ich euch über euern Lohn geben, was euer Herz erfreuen soll.« Als die Maler seine Worte vernommen hatten, machten sie sich eifrig ans Werk und führten es aufs kunstvollste aus; und als sie mit der Arbeit fertig geworden waren, zeigten sie ihr Werk dem Wesir, dem es gefiel, und der, als er sah, daß der Traum so ausgeführt war, als er ihn den Malern beschrieben hatte, ihnen dankte und sie reich belohnte. Hernach kam der Prinz nach seiner Gewohnheit an und betrat das Schloß, ohne daß er wußte, was der Wesir gethan hatte. Als er nun dort den Garten, den Vogelsteller, das Netz und die Vögel sah und den Tauber in den Krallen des Raubvogels erblickte, der ihn bereits getötet hatte und sein Blut trank und sein Fleisch fraß, wurde er ganz verwirrt, so daß er zum Wesir zurückkehrte und zu ihm sagte: »O wohlberatener Wesir, ich sah heute ein Wunder; wäre es mit Nadeln in die Augenwinkel geschrieben, es wäre eine Lehre für alle, die sich belehren lassen.« Da fragte der Wesir: »Was ist's, mein Herr?« Der Prinz versetzte: »Erzählte ich dir nicht von dem Traum der Prinzessin, der die Ursache ihres Männerhasses war?« Der Wesir entgegnete: »Jawohl.« Da sagte der Prinz: »Bei Gott, o Wesir, ich sah den Traum in einem Ölgemälde dargestellt, als hätte ich ihn mit meinen eigenen Augen gesehen; doch fand ich ein Moment in ihm, das der Prinzessin verborgen geblieben war, und gerade darauf vertraue ich meinen Wunsch zu erlangen.« Nun fragte der Wesir: »Und was ist es, mein Sohn?« Der Prinz versetzte: »Ich fand, daß der Tauber deshalb nicht zu seinem Weibchen zurückkehrte, als es sich im Netz gefangen hatte, weil ihn ein Raubvogel gepackt und getötet hatte und 166 sein Blut trank und sein Fleisch fraß. Ach hätte doch die Prinzessin den ganzen Traum gesehen und den Tauber in den Fängen des Raubvogels geschaut! Das ist der Grund, weshalb er nicht zurückkehrte und sein Weibchen aus dem Netz errettete.« Der Wesir entgegnete: »Glückseliger König, das ist fürwahr ein wunderbarlich Ding!« während der Prinz sich unablässig über das Gemälde verwunderte und darüber seufzte, daß die Prinzessin den Traum nicht zu Ende geträumt hatte, indem er bei sich sprach: »O daß sie es doch nur bis zu Ende gesehen hätte oder es auch nur noch einmal sähe, wäre es auch nur in dunklen Traumbildern!« Da sagte der Wesir zu ihm: »Als du mich fragtest, weshalb ich das Gebäude wieder herstellen ließe, sagte ich zu dir, du würdest das Resultat davon bald zu sehen bekommen. Und nun hast du es gesehen; denn ich war's, der dieses that, und der den Malern befahl den Traum darzustellen und den Tauber in den Krallen des Raubvogels zu malen, wie dieser sein Blut trank und sein Fleisch fraß, damit die Prinzessin, wenn sie in das Schloß käme und ihren Traum in jenem Gemälde dargestellt fände, den Tauber entschuldigte und ihren Männerhaß aufgebe.« Als der Prinz diese Worte vernahm, küßte er dem Wesir die Hände und dankte ihm für sein Thun, indem er zu ihm sagte: »Ein Mann wie du sollte des mächtigsten Königs Minister sein. Bei Gott, wenn ich mein Ziel erreicht habe und fröhlich zum König heimgekehrt bin, will ich ihm hiervon Mitteilung machen, daß er dich mit Ehren überhäuft und deinen Rang erhöht und auf dein Wort hört.« Der Wesir küßte ihm die Hand, und nun begaben sie sich zum Gärtner und sagten zu ihm: »Schau dir das Schloß an und sieh', wie schön es ist.« Der Scheich erwiderte: »Alles dies ist euer Verdienst.« Hierauf sagten sie zu ihm: »Scheich, wenn dich die Besitzer des Gartens fragen, wer das Schloß wieder renoviert hat, so sprich zu ihnen: »Ich hab' es von meinem Gelde renoviert,« damit dir dies zum Guten gereicht und ein Geschenk einbringt.« 167 Der Scheich versetzte: »Ich höre und gehorche;« und von nun an besuchte der Prinz ihn ständig.

Soviel was den Wesir und den Prinzen anlangt. Inzwischen war Hajât en-Nufûs nach dem Abbruch des Briefwechsels und dem Ausbleiben der Alten sehr froh gewesen und war der festen Meinung, der Jüngling wäre nach seiner Heimat abgereist. Da traf es sich eines Tages, daß ihr von ihrem Vater eine verdeckte Platte gebracht wurde, und, als sie dieselbe aufdeckte, fand sie schöne Früchte in ihr, so daß sie fragte: »Ist die Zeit für diese Früchte schon gekommen?« Als sie es bejahten, sagte sie: »Ach, hätte ich mich doch zu einem Spaziergang im Garten zurechtgemacht!«

Siebenhundertundsiebenundzwanzigste Nacht.

Da riefen ihre Mädchen: »Das ist ein herrlicher Plan, meine Herrin, und, bei Gott, wir sehnen uns auch nach dem Garten.« Nun fragte sie: »Was ist zu thun, wo uns Jahr für Jahr niemand anders als meine Amme durch den Garten führte und uns die verschiedenen Bäume zeigte, und wo ich sie schlug und fortjagte? Ich bereue, was ich ihr angethan habe, da sie doch in jedem Fall meine Amme ist und das Recht der Erziehung an mir hat. Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Als die Mädchen diese Worte von der Prinzessin vernahmen, sprangen sie alle auf und sagten zu ihr, die Erde vor ihr küssend: »Um Gott, meine Herrin, verzeihe ihr und befiehl ihr herzukommen.« Die Prinzessin erwiderte: »Bei Gott, ich bin hierzu entschlossen; wer aber von euch will zu ihr gehen, denn ich habe ihr ein kostbares Ehrenkleid zurechtgemacht?« Da traten zwei Mädchen zu ihr heran, von denen das eine BulbulNachtigall. und das andere Sawâd el-AinDas Schwarze im Auge. hieß, welche die ältesten der Mädchen der Prinzessin und ihre Vertrauten waren und in Schönheit und Anmut erstrahlten, 168 und sprachen: »O Prinzessin, wir wollen zu ihr gehen.« Sie versetzte: »Thut nach euerm Belieben.« Da begaben sie sich zum Haus der Amme, pochten an ihre Thür und traten bei ihr ein. Als die Alte sie erkannte, empfing sie sie mit offenen Armen und hieß sie willkommen, worauf dieselben, nachdem sie sich gesetzt hatten, zu ihr sagten: »Amme, die Prinzessin vergiebt dir und ist dir wieder gnädig gesinnt.« Die Alte erwiderte: »Nimmer geschehe das, und sollte ich des Todes Becher trinken! Hast du denn vergessen, wie sie mich vor Freund und Feind züchtigte, daß meine Kleider von Blut gefärbt waren, und ich unter den Schlägen fast das Leben verlor? Und daß man mich hernach an den Füßen wie einen roten Hund schleifte und mich vor die Thür warf? Bei Gott, ich kehre nimmermehr zu ihr zurück und will sie nimmer schauen.« Da versetzten die beiden Mädchen: »Vereitele nicht unsere Mühe; wo bliebe denn deine Höflichkeit gegen uns? Bedenke doch nur, wer zu dir gekommen ist; kannst du wohl jemand verlangen, der noch einen höhern Rang bei der Prinzessin einnimmt?« Die Alte erwiderte: »Gott soll hüten. Ich weiß sehr wohl, daß mein Rang geringer ist als der eurige; wenn nur die Prinzessin meinen Rang nicht über ihre Sklavinnen und Dienerinnen erhöht hätte, so daß auch die größte unter ihnen in ihrer Haut starb, wenn ich ihr zürnte!« Die Mädchen versetzten: »Es ist alles beim alten geblieben und hat sich nichts verändert, ja, es ist sogar besser als zuvor, denn die Prinzessin erniedrigt sich vor dir und sucht sich mit dir ohne Vermittler auszusöhnen.« Da sagte die Alte: »Bei Gott, wäret ihr nicht zu mir gekommen, wäre ich nicht zu ihr zurückgekehrt und hätte sie auch meinen Tod befohlen.« Nachdem die beiden Mädchen ihr gedankt hatten, erhob sie sich und kleidete sich an, worauf sie sich mit ihnen zur Prinzessin begab. Als sie bei ihr eintraten, erhob sie sich vor der Alten, und die Amme sagte zu ihr: »Gott, Gott, o Prinzessin, war es meine oder deine Schuld?« Die Prinzessin versetzte: »Es war 169 meine Schuld, und du hast mir zu vergeben und zu verzeihen. Bei Gott, meine Amme, dein Rang ist hoch bei mir, und du hast das Recht der Erziehung an mich; jedoch weißt du, daß Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! – unter seine Geschöpfe vier Dinge verteilt hat, die Anlagen, das Leben, das tägliche Brot und den Endtermin, und es liegt nicht in des Menschen Macht den Ratschluß Gottes abzuwenden. Siehe, ich hatte die Herrschaft über mich verloren, und konnte nicht wieder zu mir selber kommen; doch nun, meine Amme, bereue ich mein Thun.« Da schwand der Zorn der Alten, und sie erhob sich und küßte die Erde vor ihr, worauf ihr die Prinzessin ein kostbares Ehrenkleid holen ließ und es über sie warf, worüber sie sich mächtig freute, während die Eunuchen und Sklavinnen vor ihr standen. Hierauf sagte die Prinzessin: »Meine Amme, wie steht es eigentlich mit dem Obst und unsern Gartenfrüchten?« Sie erwiderte: »Bei Gott, meine Herrin, ich sah ausgezeichnete Früchte in der Stadt, doch will ich noch heute hierüber Nachforschungen anstellen und dir dann Antwort bringen.« Hierauf verließ sie, mit Ehren überhäuft, die Prinzessin und suchte den Prinzen auf, der sie erfreut und mit leichtem Herzen empfing, da er sich schon lange gesehnt hatte sie zu schauen. Die Alte erzählte ihm nun, was zwischen ihr und der Prinzessin vorgefallen war, und daß die Prinzessin an dem und dem Tage in den Garten gehen wollte, –

Siebenhundertundachtundzwanzigste Nacht.

und fragte ihn: »Hast du auch mit dem Thürhüter des Gartens gethan, was ich dir befohlen hatte, und hat er etwas von deiner Güte zu sehen bekommen?« Der Prinz versetzte: »Gewiß, er ist mein Freund geworden; sein Weg ist mein Weg, und er wünschte wohl, daß ich ein Anliegen an ihn hätte.« Alsdann erzählte er ihr, was der Wesir gethan hatte, und wie er den Traum der Prinzessin hätte malen lassen, und erwähnte besonders den Vogelsteller, das Netz und den 170 Raubvogel, worauf die Alte in mächtiger Freude zu ihm sagte: »Um Gott, gieb dem Wesir mitten in deinem Herzen einen Platz, denn sein Thun beweist seine Vortrefflichkeit, und er hat dir zur Erlangung deines Wunsches geholfen. Stehe daher unverzüglich auf, mein Sohn, geh' ins Bad und zieh deine besten Sachen an, denn einen bessern Plan haben wir nicht. Begieb dich dann zum Pförtner und bring es zuwege, daß er dich im Garten übernachten läßt, denn wenn auch einer die ganze Erde mit Gold füllen würde, so würde er doch jetzt niemand in den Garten lassen. Bist du aber in den Garten getreten, so verbirg dich, daß dich kein Auge sieht, und komm' nicht eher aus deinem Versteck heraus, als bis du mich sagen hörst: »O du, dessen Wohlthaten verborgen sind, schütze uns vor dem, was wir fürchten!« Komm dann aus deinem Versteck heraus, zeig dich in deiner Schönheit und Anmut und verbirg dich wieder zwischen den Bäumen. Denn wisse, deine Schönheit beschämt die Monde, und wenn dich die Prinzessin Hajât en-Nufûs sieht, so wird ihr Herz und ihr ganzes Innere mit Liebe zu dir erfüllt werden, und du wirst deinen Wunsch und dein Ziel erreichen und aller Sorgen ledig sein.« Der Jüngling erwiderte: »Ich höre und gehorche,« und holte eine Börse mir tausend Dinaren hervor, mit der sie abzog, während der Prinz sich unverzüglich ins Bad begab, sich dort erquickte und die prächtigste Tracht der Chosroen anlegte, worauf er sich einen Gürtel umband, der mit den kostbarsten Edelsteinen besetzt war, und einen mit roten Goldfäden durchwobenen und mit Perlen und Edelsteinen besetzten Turban ums Haupt wand. Seine Wangen schimmerten rosig, und seinen Lippen leuchteten rot; seine Lider liebelten wie Gazellenlider, und beim Gehen wankte er wie ein Trunkener. Schönheit und Anmut kleideten ihn, und sein Wuchs beschämte das schwanke Reis. Hierauf steckte er einen Beutel mit tausend Dinaren in die Tasche und machte sich zu dem Garten auf. Auf sein Pochen öffnete ihm der Pförtner die Thür und begrüßte ihn, 171 bei seinem Anblick mächtig erfreut, mit dem gewähltesten Salâm. Als er aber sah, daß der Prinz finster dreinschaute, fragte er ihn nach seinem Befinden, worauf der Prinz versetzte: »Wisse, Scheich, mein Vater hält mich sehr lieb und wert und hat niemals außer an dem heutigen Tage seine Hand wider mich erhoben. Wir hatten nämlich einen Wortwechsel, und da schmähte er mich und schlug mich nicht nur ins Gesicht, sondern prügelte mich auch mit einem Stock und jagte mich fort. Da ich nun keinen Freund hier habe und mich vor der Treulosigkeit der Zeit fürchte, – denn, wie du weißt, ist der Zorn der Eltern kein leichtes Ding, – so kam ich zu dir, mein Oheim, da mein Vater mir dir bekannt ist, und erbitte von deiner Güte, mich bis morgen im Garten übernachten oder mich so lange dort schlafen zu lassen, bis Gott mich wieder mit meinem Vater aussöhnt.« Als der Gärtner seine Worte vernahm, that ihm der Vorfall zwischen dem jungen Mann und seinem Vater sehr leid, und er sagte zu ihm: »Mein Herr, erlaubst du mir wohl, daß ich zu deinem Vater gehe und die Veranlassung eurer beiderseitigen Aussöhnung werde?« Der Jüngling versetzte: »Wisse, mein Oheim, mein Vater hat ein unzugängliches Temperament, und, wenn du ihm etwas von Versöhnung sprichst, wenn er noch erregt ist, so giebt er dir keine Antwort.« Der Scheich erwiderte: »Ich höre und gehorche; jedoch, mein Herr, komm mit mir ins Haus und schlaf bei meinen Kindern und meiner Familie, was uns niemand zum Vorwurf machen kann.« Der Jüngling entgegnete jedoch: »Mein Oheim, wenn ich erzürnt bin, muß ich allein sein.« Der Scheich versetzte: »Es kommt mir schwer an, dich allein im Garten schlafen zu lassen, wo ich ein Haus habe.« Der Jüngling erwiderte: »Mein Oheim, ich bezwecke damit gerade meine Verstimmung loszuwerden und ich weiß, daß ich gerade hierdurch sein Herz mir wieder geneigt mache und ihn aussöhne.« Da sagte der Scheich: »Wenn es denn durchaus sein muß, so will ich dir einen Teppich zum 172 Schlafen und eine Decke zum Zudecken bringen.« Der Prinz versetzte: »Mein Oheim, das kann nichts schaden.« Hierauf erhob sich der Gärtner, öffnete ihm die Gartenthür und brachte ihm den Teppich und die Decke, ohne daß er wußte, daß die Prinzessin vorhatte den Garten zu besuchen.

Soviel mit Bezug auf den Prinzen; was nun aber die Prinzessin anlangt, so sagte sie zur Amme, als sie ihr mitteilte, daß die Früchte reif an den Bäumen hingen: »Meine Amme, komm morgen mit mir in den Garten und laß uns dort lustwandeln, so Gott will, der Erhabene. Schicke jedoch zum Aufseher und teile ihm mit, daß wir morgen zu ihm in den Garten kommen wollen.« Da ließ es ihm die Amme mitteilen und ließ ihm sagen, die Wasserträger und Lohnarbeiter aus dem Garten zu weisen und auch keine Menschenseele hineinzulassen. Als er den Auftrag der Prinzessin erhalten hatte, machte er die Wasserläufe zurecht, worauf er den Jüngling aufsuchte und zu ihm sagte: »Dieser Garten gehört der Prinzessin, mein Herr; und ich muß mich bei dir entschuldigen, denn der Ort ist dein Ort und ich lebe nur durch deine Güte, ausgenommen, daß meine Zunge unter meinem Fuß ist.Das heißt; ich habe als Diener zu gehorchen. Ich muß dir nämlich mitteilen, daß die Prinzessin Hajât en-Nufûs morgen in der Frühe in den Garten gehen will und mir befohlen hat niemand im Garten zu lassen, damit sie nicht gesehen wird; ich bitte dich deshalb so gütig zu sein und den Garten für morgen zu verlassen, denn die Prinzessin bleibt in ihm nicht länger als diesen einen Tag bis zur Zeit des Nachmittagsgebets, worauf er dir wieder für Monate und Jahre zur Verfügung steht.« Der Prinz versetzte hierauf: »Scheich, vielleicht bist du durch uns in Verlegenheit gekommen?« Der Gärtner erwiderte: »Nein, bei Gott, mein Herr, mir ist durch dich nur Ehre widerfahren!« Da entgegnete der Prinz: »Wenn es sich so verhält, so soll dir von unserer Seite nur alles 173 Gute widerfahren; ich will mich im Garten verstecken, und niemand soll mich zu sehen bekommen, bis die Prinzessin wieder in ihr Schloß zurückgekehrt ist.« Der Gärtner erwiderte: »O mein Herr, wenn sie nur das Phantom von einem der menschlichen Geschöpfe Gottes, des Erhabenen, sieht, so läßt sie mir den Kopf abschlagen.«

Siebenhundertundneunundzwanzigste Nacht.

Der Jüngling versetzte: »Mich soll kein einziger zu Gesicht bekommen; aber zweifellos fehlt dir heute Geld für deine Familie.« Bei diesen Worten fuhr er mit der Hand in seinen Beutel und holte fünfhundert Dinare daraus hervor, die er ihm mit den Worten reichte: »Nimm dieses Gold und gieb es für deine Familie aus, damit dein Herz in betreff derselben guter Dinge ist.« Als der Scheich das Gold erblickte, dünkte ihm das Leben ein leichtes Ding, und, dem Prinzen einschärfend, sich nicht zu zeigen, ging er fort und ließ ihn sitzen.

Als nun am nächsten Morgen in der Frühe die Eunuchen sich zur Prinzessin begaben, befahl sie die Privatthür, die in den Garten führte, zu öffnen und legte ein zartes, mit Hyazinthen besetztes Hemd an, über welches sie ein königliches mit Margueriten, Perlen und Edelsteinen besetztes Gewand anzog. Aufs Haupt setzte sie eine mit Perlen und Edelsteinen besetzte Krone aus rotem Gold, und stolz und anmutig schritt sie in Pantoffeln aus rotem, mit frischen Perlen und Edelsteinen und edlem Metall besetzten Gold einher. Dann legte sie ihre Hand auf die Schulter der Alten und befahl durch die Privatthür den Weg in den Garten zu nehmen. Als nun aber die Alte in den Garten blickte und ihn von Eunuchen und Sklavinnen wimmeln sah, die von den Früchten aßen und die Wasser in den Bächen trübten, indem sie sich in ihm mit allerlei Kurzweil belustigten, sagte sie zur Prinzessin: »Du hast doch Vernunft und Verstand in reichstem und vollkommenem Maße und weißt, daß du 174 diese Eunuchen im Garten nicht brauchst. Wärst du aus dem Schlosse deines Vaters ausgegangen, so würde ihre Begleitung dir der Ehre halber nötig sein, jedoch, meine Herrin, bist du aus der Privatthür in den Garten gegangen, damit dich keine Menschenseele zu sehen bekommt.« Die Prinzessin erwiderte: »Du hast recht, meine Amme; was aber soll geschehen?« Die Alte versetzte: »Befiehl den Eunuchen heimzukehren und behalte nur zwei deiner Mädchen bei dir, daß wir uns mit ihnen vergnügen.« Als nun die Alte sah, daß ihr Herz froh und die Stunde ihr angenehm war, sagte sie zu ihr: »Jetzt können wir uns hübsch vergnügen; komm jetzt in den Garten.« Da erhob sich die Prinzessin, legte ihre Hand auf die Schulter der Amme und schritt zur Privatthür hinaus in den Garten. Die beiden Mädchen schritten ihr voran, während sie über sie lachte und in ihren Gewändern anmutig von Ort zu Ort einherschwebte; und die Alte ging ihr voraus, indem sie ihr die Bäume zeigte und ihr von den Früchten zu essen gab. Als sie nun zu jenem Schloß gelangten und die Prinzessin sah, daß es renoviert war, sagte sie: »Amme, siehst du nicht, daß die Pfeiler dieses Schlosses wieder aufgebaut und seine Wände abgeputzt sind?« Die Amme erwiderte: »Bei Gott, meine Herrin, ich hörte, daß der Gärtner von einer Anzahl Kaufleute Zeug genommen und es verkauft hätte, worauf er dann für den Erlös Ziegel, Kalk, Gips, Steine u. dgl. gekauft hätte; da fragte ich ihn, was er damit gethan hätte, und er erwiderte mir: »Ich habe damit das Schloß, das baufällig geworden war, wieder renoviert. Als dann die Kaufleute das Geld, das ich ihnen schuldete, verlangten, sagte ich zu ihnen: Wenn die Prinzessin in den Garten kommt und die Arbeit sieht und Gefallen an ihr findet, so werde ich von ihr erhalten, was sie mir zu geben beliebt, und will euch bezahlen, was ich euch schulde.« Da fragte ich ihn: »Was bewog dich hierzu?« Er versetzte: »Ich sah das Schloß in Trümmern, seine Pfeiler eingestürzt und den Putz abgefallen und fand keinen 175 willig es wieder aufzubauen; da nahm ich das Geld auf eigene Rechnung und baute das Schloß wieder auf, und ich hoffe die Prinzessin wird thun, was ihrer Würde ansteht.« Ich versetzte: »Die Prinzessin ist ganz Güte und Huld.« Und alles dies hat er nur gethan im Hinblick auf deine Güte.« Da sagte die Prinzessin: »Bei Gott, das war eine hochherzige und edle That, daß er das Schloß wieder aufgebaut hat; ruf' meine Schatzmeisterin.« Die Amme that es, und, als sie unverzüglich erschien, befahl ihr die Prinzessin dem Gärtner zweitausend Dinare auszuzahlen; dann schickte die Alte nach dem Gärtner und ließ ihm ansagen vor der Prinzessin zu erscheinen. Als der Gärtner dies vernahm, ward er schwach und sprach, an allen Gliedern zitternd, bei sich: »Sicherlich hat die Prinzessin den jungen Menschen gesehen, und dies wird mein unseligster Tag gewesen sein.« Hierauf ging er in sein Haus und teilte es seiner Gattin und seinen Kindern mit; dann gab er ihnen seine letzten Aufträge und nahm von ihnen Abschied, während sie über ihn weinten. Als er nun aber zur Prinzessin ging und mit safrangelbem Gesicht vor ihr stand, jeden Augenblick bereit, der Länge nach zu Boden zu stürzen, kam ihm die Alte, die dies bemerkte, zu Hilfe und sagte: »Scheich, küsse aus Dankbarkeit gegen Gott, den Erhabenen, die Erde und bete inständig zu ihm für die Prinzessin. Ich erzählte ihr, was du hinsichtlich der Renovation des verfallenen Schlosses thatest, und erfreut hierüber belohnt sie dich dafür mit zweitausend Dinaren. Nimm das Geld von der Schatzmeisterin in Empfang, segne die Prinzessin, küsse die Erde vor ihr und geh dann wieder deines Weges.« Als der Gärtner diese Worte von der Amme vernahm, nahm er die zweitausend Dinare in Empfang, küßte die Erde vor der Prinzessin und segnete sie; dann kehrte er wieder in seine Wohnung zurück, und seine Familie freute sich über ihn und segnete den Urheber dieses Glücks. 176

Siebenhundertunddreißigste Nacht.

Inzwischen sagte die Alte: »Meine Herrin, dieser Ort ist in der That nun hübsch geworden, und nie sah ich einen weißeren Putz und schönere Malereien als hier; ich möchte wohl wissen, ob er es nur außen und nicht auch innen wieder hergestellt hat; sonst hätte er es außen weiß angestrichen und innen schwarz. Laß uns doch einmal hineingehen und nachschauen.« Hierauf ging sie, gefolgt von der Prinzessin, hinein, und beide fanden das Schloß innen gemalt und aufs schönste dekoriert. Die Prinzessin schaute hierbei nach rechts und links, bis sie an das obere Ende des Līwâns gelangte und hier ihren Blick fest und lange Zeit auf die Wand richtete, woraus die Amme ersah, daß ihr Auge auf die Darstellung ihres Traumes gefallen war, und infolge dessen die beiden Mädchen zu sich zog, damit sie die Prinzessin nicht störten. Als sie nun mit der Betrachtung der Abbildung ihres Traumes zu Ende kam, wendete sie sich verwundert und die Hände zusammenschlagend zur Alten um und rief: »O meine Amme, komm' doch nur einmal her und schau etwas ganz wunderbares; wäre es mit Nadeln in die Augenwinkel geschrieben, es würde eine Lehre für alle sein, die sich belehren lassen.« Da fragte die Alte: »Und was ist's, meine Herrin?« Die Prinzessin erwiderte: »Geh' nur zum obern Ende des Līwâns und schau nach; und sag mir dann, was du gesehen hast.« Da kam die Alte herein und betrachtete die Darstellung des Traumes, worauf sie wieder verwundert herausging und sagte: »Bei Gott, meine Herrin, es ist eine Abbildung vom Garten, dem Vogelsteller, dem Netz und allem, was du in deinem Traum schautest; und ein wichtiger Grund hinderte den Tauber wieder zu seinem Weibchen zurückzukehren und es aus dem Netz des Vogelstellers zu befreien, denn ich sah ihn in den Krallen eines Raubvogels, der ihn bereits getötet hat und sein Blut trinkt und sein Fleisch zerreißt und frißt. Das ist der Grund, 177 meine Herrin, der ihn abhielt zu seinem Weibchen zurückzukehren und es aus dem Netz zu befreien. Jedoch, meine Herrin, das Wunder ist, wie dieser Traum gemalt werden konnte, denn, wenn du es hättest thun wollen, du wärest dazu nicht imstande gewesen. Bei Gott, das ist fürwahr eine wunderbare Sache, die man in die Chroniken eintragen sollte! Vielleicht, meine Herrin, wußten die mit der Aufsicht über die Menschenkinder betrauten Engel, daß wir dem Tauber unrecht gethan hatten, als wir ihn deshalb tadelten, daß er nicht wieder zurückgekehrt war, und führten den Beweis, daß er zu entschuldigen war; und so sehe ich ihn zu dieser Stunde tot zwischen den Krallen des Raubvogels.« Da sagte die Prinzessin: »O meine Amme, über diesen Vogel ist das Schicksal und Verhängnis hereingebrochen, und wir thaten ihm unrecht.« Die Amme erwiderte: »Meine Herrin, vor Gott, dem Erhabenen, werden sich Kläger und Beklagte wiedersehen; jedoch, meine Herrin, ist uns nun die Wahrheit klar geworden und seine Entschuldigung ist uns deutlich erwiesen, denn hätte ihn nicht der Raubvogel mit seinen Krallen gepackt, ihn getötet, sein Blut getrunken und sein Fleisch gefressen, so hätte er nicht gesäumt, zu seinem Weibchen zurückzukehren, und hätte es aus dem Netz befreit, jedoch läßt sich dem Tode nicht ausweichen. Und siehe, ganz besonders bei den Menschen hungert der Mann, um seinem Weib zu essen zu geben, und entblößt sich, um sein Weib zu kleiden; er erzürnt seine Angehörigen, um seine Frau zufrieden zu stellen, er ist seinen Eltern ungehorsam, um ihr zu gehorchen. Sie kennt seine Geheimnisse und seinen Versteck und kann keine Stunde ohne ihn aushalten; und wenn er nur eine einzige Nacht von ihr fortbleibt, so schläft ihr Auge nicht, keiner ist ihr teurer als er, sie liebt ihn mehr als ihre Eltern, und, wenn sie sich zur Ruhe legen, so umarmen sie sich, er legt seinen Arm unter ihren Nacken und sie ihre Hand unter seinen Nacken, wie der Dichter sagt: 178

Ich machte meinen Arm zu ihrem Kissen und ruhte als ihr Bettgenoß,
Und ich sprach zur Nacht: Sei lang! während der Vollmond schien.
Ach, es war eine Nacht, wie Gott keine andre erschuf,
Ihr Anbeginn war Süße und ihr Ende Bitternis.

Dann küßt er sie, und sie küßt ihn; und unter anderm hörte ich auch, daß, als einst eines Königs Gattin krank ward und starb, da ließ er sich lebendig mit ihr begraben und hieß den Tod für sich gut aus Liebe zu ihr und wegen der innigen Vertrautheit, die zwischen ihm und ihr bestanden hatte. Ebenso, als ein König krank ward und starb und man ihn begraben wollte, sagte seine Gattin zu ihren Angehörigen: »Begrabet mich lebendig mit ihm oder ich töte mich selber und wälze die Schuld auf euch.« Als sie nun sahen, daß sie von ihrem Vorhaben nicht abzubringen war, ließen sie ihr den Willen, worauf sie sich aus Liebe und Zärtlichkeit zu ihm in sein Grab stürzte.« In dieser Weise erzählte die Alte der Prinzessin in einem fort Geschichten von Männern und Frauen, bis der Männerhaß aus ihrem Herzen gewichen war. Als aber die Alte merkte, daß sie die Neigung zu den Männern in ihrem Herzen wieder erweckt hatte, sprach sie: »Jetzt ist es Zeit, daß wir im Garten lustwandeln.« Hierauf verließen sie wieder das Schloß und wandelten zwischen den Bäumen, als des Prinzen Augen plötzlich auf sie fielen und er ihr Bild, ihren ebenmäßigen Wuchs, ihre rosigen Wangen und schwarzen Augen, ihren außerordentlichen Liebreiz, ihre strahlende Anmut und unvergleichliche Vollkommenheit gewahrte. Da ward sein Verstand verwirrt, er starrte sie an, Sehnsucht raubte ihm alles richtige Urteil, und die Liebe überschritt alles Maß in ihm; sein Inneres ward ganz von ihr erfüllt, und das Feuer der Liebe lohte in seiner Brust, so daß er das Bewußtsein verlor und ohnmächtig zu Boden sank. Als er dann wieder zu sich kam und sie zwischen den Bäumen seinen Blicken entschwunden war, – 179

Siebenhundertundeinunddreißigste Nacht.

seufzte er aus tiefstem Herzen aus und sprach die Verse:

»Als mein Auge ihre wunderbare Anmut sah,
Wurde mein Herz von Liebe und Leidenschaft zerrissen.
Ich fand mich niedergeworfen und am Boden liegen,
Und die Prinzessin weiß nicht, wie es um mich steht.
Sie wendete sich um und vernichtete eines verstörten Liebenden Herz,
O, bei Gott, erbarme dich mein und hab Mitleid mit meinen Schmerzen.«

Die Alte aber führte die Prinzessin unablässig durch den Garten, bis sie zu der Stelle kam, an welcher sich der Prinz verborgen hatte, wo sie mit einem Male sprach: »O du, dessen Wohlthaten verborgen sind, schütze uns vor dem, was wir fürchten!« Als der Prinz das Signal vernahm, kam er aus seinem Versteck hervor und schritt selbstgefällig und stolz zwischen den Bäumen einher mir einer Gestalt, die die Zweige beschämte. Seine Stirn war mit Schweiß beperlt, und seine Wangen schimmerten wie das Abendrot, – Preis dem großen Gott für das, was er erschaffen! – Mit einem Male wendete sich die Prinzessin, und, als sie ihn nun gewahrte, betrachtete sie ihn lange Zeit in seiner Schönheit und Anmut und seinem ebenmäßigen Wuchs und nahm seine Gazellenaugen wahr und seinen Wuchs, der die Zweige des Bân beschämte, bis ihr Verstand sich verwirrte, ihre Seele geraubt und ihr Herz von den Pfeilen seiner Blicke versehrt wurde, worauf sie die Alte fragte: »Ach, meine Amme, wie kommt nur jener hübsche Jüngling her?« Die Alte entgegnete: »Wo ist er, meine Herrin?« Sie versetzte: »Dort ist er, ganz nahe unter den Bäumen.« Da wendete sich die Alte nach rechts und links, als ob sie nichts davon wüßte, und sagte: »Wer mag dem jungen Mann nur den Weg zum Garten gezeigt haben?« Hajât en-Nufûs erwiderte: »Wer kann uns nur Auskunft über ihn geben? Preis Ihm, der die Männer erschaffen! Jedoch, meine Amme, kennst du ihn nicht?« Da versetzte sie: »Meine Herrin, es ist derselbe Jüngling, der dir durch mich die Briefe schickte.« Nun sagte die Prinzessin zu ihr, ganz versunken im Meer der Liebe 180 und im Feuer ihrer Leidenschaft und Glut: »Ach, meine Amme, wie schön ist er, und sein Gesicht ist so hübsch! Ich glaube, auf der ganzen Erde giebt's keinen hübscheren als ihn.« Wie nun die Amme sah, daß sie ganz verliebt in ihn war, sagte sie zu ihr: »Sagte ich dir nicht, meine Herrin, daß es ein hübscher Jüngling mit strahlendem Antlitz ist?« Die Prinzessin versetzte: »Ach, meine Amme, Prinzessinnen wissen nicht, wie es in der Welt zugeht und wie sich die verhalten, die auf ihr leben, da sie mit niemand Umgang haben und weder nehmen noch geben. Ach, meine Amme, wie kann ich zu ihm gelangen, wie kann ich mich ihm zeigen, was soll ich zu ihm, und was wird er zu mir sagen?« Die Alte entgegnete: »Welches Mittel hab' ich jetzt in den Händen? Wir sind thatsächlich ratlos in dieser Sache.« Da sagte die Prinzessin: »Ach, meine Amme, wenn jemand an Liebe stirbt, so bin ich's; und ich bin gewiß, daß ich auf dem Fleck am Feuer meiner glühenden Leidenschaft sterbe.« Als die Alte ihre Worte vernahm und ihr leidenschaftliches Verlangen nach ihm sah, sagte sie zu ihr: »Meine Herrin, er kann unmöglich zu dir kommen, und du bist wegen deiner Jugend zu entschuldigen, wenn du nicht zu ihm gehst. Ich will dir deshalb vorausgehen, und du folge mir, bis du zu ihm kommst; ich will ihn dann anreden, daß du dich nicht zu schämen brauchst, und in einem Augenblick werdet ihr miteinander vertraut geworden sein.« Die Prinzessin erwiderte: »So geh mir voran, denn gegen Gottes Ratschluß kann man nicht ankämpfen.« Hierauf gingen beide zum Prinzen, der wie der Vollmond dasaß. Als nun die Alte bei ihm angelangt war, sagte sie zu ihm: »Schau, junger Mann, wer vor dir steht; es ist Hajât en-Nufûs, die Tochter des Königs der Zeit. Erkenne ihren Wert und würdige die Ehre, die sie dir anthut, daß sie zu dir kommt; stehe ehrerbietig vor ihr auf und bleib vor ihr gehorsam stehen.« Da sprang der Jüngling auf, ihre Blicke trafen sich, und jeder von ihnen glich einem Berauschten, ohne Wein getrunken zu haben. 181 Und von Sehnsucht und Verlangen nach ihm überwältigt, öffnete die Prinzessin ihre Arme, worauf es der Prinz gleichfalls that, und beide sich in höchstem Verlangen umarmten, bis sie von Liebe und Sehnsucht überwältigt beide ohnmächtig wurden und zu Boden sanken. Da sie aber lange Zeit in diesem Zustand verharrten, nahm sie die Alte, aus Furcht vor Bloßstellung, ins Schloß und sagte, sich an die Thür setzend, zu den beiden Mädchen: »Nehmt die Gelegenheit wahr und vergnügt euch, denn die Prinzessin schläft;« da kehrten die Mädchen wieder zu ihrem Vergnügen zurück. Als nun beide wieder aus ihrer Ohnmacht zu sich kamen und sich im Schloß vorfanden, sagte der Jüngling zu ihr: »Um Gott, o Herrin der Schönen, ist dies ein Traum oder ein wüster Nachtspuk?« Alsdann berauschten sie sich ohne Wein und klagten einander die Qualen der Sehnsucht, und der Jüngling sprach die Verse:

»Aus ihrem strahlenden Antlitz steigt die Sonne auf,
Und aus ihren Wangen das Abendrot;
Wenn ihr Antlitz sich dem Beschauer zeigt,
So schämt sich der Abendstern zu erscheinen.
Und wenn aus ihrem lächelnden Mund es blitzt,
Dann verscheuchen die Strahlen des Morgens das Dunkel der Nacht.
Sie ist's, die mit ihrer Anmut mein Herz bezwang,
Was könnte wohl auch eines Liebenden Herz schützen?«

Siebenhundertundzweiunddreißigste Nacht.

Als der Prinz seine Verse beendet hatte, preßte ihn die Prinzessin an ihre Brust und küßte ihn auf den Mund und zwischen die Augen, worauf das Leben wieder in ihn zurückkehrte und er anhob ihr all das Leid zu klagen, daß er durch seine übermächtige Liebe, durch die Tyrannei der Sehnsucht, sein heftiges Verlangen und seine wahnwitzige Leidenschaft sowie durch ihre Herzenshärte erduldet hatte. Als sie aber seine Worte vernahm, küßte sie ihm Hände und Füße und entblößte ihr Haupt, so daß aus dem Dunkel die Vollmonde aufgingen; dann sagte sie zu ihm: »Ach mein Geliebter und meiner Wünsche Ziel, daß doch nie der Tag der Abneigung gewesen wäre, und möge Gott ihn nie wiederkehren lassen!« 182 Hierauf umarmten sie wieder einander und nun sprach die Prinzessin die Verse:

»O der du beschämst den Vollmond und die Sonne am Tage
Und in deiner Grausamkeit meinen Tod beschlossen hast,
Mit dem Schwert deines Blickes hast du mein Herz durchschnitten,
Wohin, ach, könnte ich fliehen vor dem Schwert deiner Blicke?
Einem Bogen auch gleichen deine Brauen und schießen
Mir feurige Liebespfeile ins Herz.
Hab' doch Erbarmen mit einem Herzen, das die Liebe zu dir versehrt hat,
Mit eines Kranken Herzen, der bei dir Zuflucht sucht.«

Als sie ihre Verse beendet hatte, überkam sie die Sehnsucht so stark, daß sie ganz von Sinnen ward und Thränen in Strömen vergoß, so daß das Herz des Jünglings hierdurch entbrannte, und er gleichfalls von übermächtiger Liebe verstört nahe an sie herankam und ihr bitterlich weinend die Hände küßte. In dieser Weise verbrachten sie in Liebesgeplauder und mit Versen die Zeit bis zum Azân für das Nachmittagsgebet, worauf die Prinzessin zu ihm sagte: »O mein Augenlicht und letzter Pulsschlag meines Herzens, nun ist die Stunde der Trennung gekommen; wann werden wir uns wiedersehen?« Von ihren Worten wie von Pfeilen getroffen, versetzte der Jüngling: »Bei Gott, ich mag nichts von Trennung hören.« Alsdann verließ sie das Schloß, und als er sich nun zu ihr umwendete und ihre steinerweichenden Seufzer hörte und ihre Thränen wie Regenschauer strömen sah, klagte er, versunken vor Liebe ins Meer der Vernichtung, die Verse:

»O Wunsch meines Herzens, mein Kummer wächst,
Und ratlos bin ich im Übermaß meiner Liebe zu dir.
Dein Angesicht gleicht dem anbrechenden Morgen,
Und dein Haar ist schwarz wie die dunkle Nacht.
Deine Gestalt gleicht einem schwanken Reis,
Das sich im Wehen des Nordwinds hin- und herbewegt.
Deiner Augen Blicke gleichen den Blicken der Gazelle,
Wenn sie von stolzen Männern angeblickt wird;
Deine Taille ist schlank und schwer dein Gesäß,
Der Wein deines Speichels ist der süßeste Trank,
Zugleich würziger Moschus und frisches Wasser.
O Gazelle des Stamms, erlös' mich von meiner Trauer
Und gewähr' mir im Traum dein Bild.« 183

Als die Prinzessin ihn sie mit diesen Versen rühmen hörte, kehrte sie zu ihm zurück und umarmte ihn mit entbranntem Herzen, dessen Feuer die Trennung angefacht hatte, und das nur Küsse und Umarmung ersticken konnte, wobei sie sprach: »Fürwahr das Sprichwort sagt: Geduld kommt einem Liebhaber zu und nicht Ungeduld. Ich muß unbedingt Mittel und Wege zu unserer Vereinigung ausfindig machen.« Hierauf nahm sie von ihm Abschied und ging fort, ohne daß sie im Übermaß ihrer Liebe wußte, wohin sie den Fuß setzte; und nicht eher hielt sie ein, als bis sie sich in ihrem Zimmer fand.

Während nun des Jünglings Verlangen und Liebestollheit immer mehr wuchs, so daß er des Schlafes Süße beraubt war, kostete auch die Prinzessin keine Nahrung, ihre Geduld ging zu Ende und ihre Standhaftigkeit erlahmte. Am andern Morgen verlangte sie nach ihrer Amme, und, als diese nun vor ihr erschien und sie ganz verändert vorfand, sagte sie zu ihr: »Frag mich nicht, wie es mir geht, denn alles, was ich erdulde, haben deine Hände angerichtet.« Dann fragte sie die Alte: »Wo ist mein Herzliebster?« Die Alte versetzte: »Meine Herrin, wann hat er dich denn verlassen? Ist er denn länger als diese Nacht von dir fortgewesen?« Die Prinzessin entgegnete: »Kann ich denn überhaupt auch nur eine Stunde von ihm getrennt sein? Steh auf und ersinne ein Mittel, wie du uns beide schleunigst zusammenbringst, denn ich bin nahe daran meinen Geist aufzugeben.« Die Alte erwiderte: »Meine Herrin, gedulde dich nur so lange, bis ich auch einen feinen Plan ersonnen habe, daß keiner etwas davon merken soll.« Die Prinzessin versetzte jedoch: »Beim großen Gott, wenn du ihn nicht noch heute zu mir bringst, so sage ich's dem König und thue ihm kund, daß du mich verdorben hast, damit er dir den Kopf abhaut!« Die Alte entgegnete ihr hierauf: »Ich bitte dich bei Gott, fasse dich in Geduld, denn dies ist ein gefährlich Ding.« Dann bat sie die Prinzessin so lange aufs demütigste, bis sie ihr drei Tage Frist gewährte, worauf die 184 Prinzessin zu ihr sagte: »Ach, meine Amme, die drei Tage werden mir wie drei Jahre vorkommen, und, wenn der vierte Tag vergeht, ohne daß du ihn zu mir bringst, dann werde ich deinen Tod betreiben.« Hierauf verließ die Alte sie und begab sich nach ihrer Wohnung, wo sie bis zum Morgen des vierten Tages blieb. Dann aber ließ sie die Putzweiber der Stadt zu sich kommen und verlangte von ihnen hübsche Farben, ein jungfräuliches Mädchen zu schminken und bemalen, worauf sie ihr die besten Schminken, die es gab, brachten. Alsdann ließ sie den Jüngling rufen, und, als er zu ihr kam, öffnete sie ihren Kasten und holte aus ihm ein Paket hervor, in dem sich ein Frauenanzug im Werte von fünftausend Dinaren befand, und eine mit allerlei Edelsteinen besetzte Kopfbinde. Hierauf fragte sie ihn: »Mein Sohn, möchtest du mir Hajât en-Nufûs zusammenkommen?« Er versetzte: »Jawohl.« Da holte sie eine Haarzange hervor und zupfte ihm die Haare damit aus, worauf sie ihm die Augen mit Antimon schminkte. Dann zog sie ihn aus und schminkte ihm die Hände von den Nägeln an bis hinauf zu den Schultern und die Füße von dem Mittelfuß bis zu den Schenkeln und bemalte seinen ganzen Körper, daß er wie rote Rosen auf Alabasterplatten aussah. Nach einer kurzen Weile wusch sie ihn und trocknete ihn ab, worauf sie ihm ein Hemd und Hosen hervorholte und ihn in den königlichen Anzug kleidete. Dann band sie ihm das Tuch um den Kopf, verschleierte ihn und lehrte ihn gehen, indem sie zu ihm sagte: »Schiebe die linke Seite vor und nimm die rechte zurück;« da that er es und schritt vor ihr wie eine dem Paradies entstiegene Huri einher. Alsdann sagte sie zu ihm: »Stärke dein Herz, denn du gehst jetzt zum Königsschloß. Sicherlich stehen Truppen und Eunuchen vor dem Schloßthor, und so du dich vor ihnen fürchtest und verlegen zeigst, so fassen sie dich ins Auge und erkennen dich, und dann ergeht es uns schlecht und wir verlieren unser Leben. Fühlst du dich also nicht stark genug hierzu, so sag' es mir.« Der 185 Prinz versetzte jedoch: »Diese Sache macht mich nicht im geringsten bange, sei nur guten Mutes und kühlen Auges.« Da ging sie hinaus und schritt ihm voran, bis sie zum Schloßthor gelangten, das voll von Eunuchen war, weshalb sie sich zu ihm umwendete, um zu schauen, ob er sich befangen zeigte oder nicht; doch fand sie, daß er wie gewöhnlich und ganz unverändert aussah. Als nun die Alte ankam, schaute der Obereunuch nach ihr und erkannte sie; als er jedoch hinter ihr ein Mädchen von sinnbestrickender Schönheit gewahrte, sprach er bei sich: »Die Alte ist die Amme, was aber die hinter ihr anlangt, so giebt's in unserm ganzen Land kein Mädchen, daß ihr an Gestalt gliche und an Schönheit und Liebreiz nahe käme außer der Prinzessin Hajât en-Nufûs, die jedoch eingeschlossen ist und niemals ausgeht. Ich möchte wohl wissen, wie sie auf die Straße kam, und ob sie wohl mit des Königs Erlaubnis ausging oder nicht.« Alsdann sprang er auf die Füße, um die Sache festzustellen, und es folgten ihm gegen dreißig Eunuchen, so daß der Alten beim Anblick derselben der Verstand fortflog, und sie rief: »Wir sind Gottes, und zu ihm kehren wir zurück! Ganz gewiß ist es sogleich um unser Leben geschehen.«

Siebenhundertunddreiunddreißigste Nacht.

Als aber der Obereunuch von der Alten diese Worte vernahm, bekam er Angst, da er die Heftigkeit der Prinzessin kannte und wußte, daß sie ihren Vater ganz in der Hand hatte; er sprach deshalb bei sich: »Vielleicht wollte es der König, daß die Alte die Prinzessin zur Besorgung eines Geschäfts mitnahm, ohne daß sie wollte, daß jemand etwas davon erführe, und, wenn ich ihr nun in den Weg trete, so wird sie sehr böse auf mich werden und wird sagen: »Dieser Eunuch hielt mich an, um hinter meine Angelegenheiten zu kommen,« und wird dann meinen Tod betreiben; ich habe deshalb keinen Anlaß mich in diese Sache zu mischen.« Hierauf kehrte er den Rücken und ging fort, und die dreißig Eunuchen kehrten ebenfalls in der Richtung zum Schloßthor 186 wieder um und scheuchten die Menge aus dem Thor, worauf die Amme, gefolgt von dem Prinzen, eintrat und mit dem Kopfe den Salâm nickte, während die dreißig Eunuchen dastanden, ihr die Honneurs erweisend und den Salâm erwidernd. Alsdann schritten beide durch ein Thor nach dem andern, bis sie alle Wachen passiert hatten, und der Schützer beschützte sie, bis sie zum siebenten Thor gelangten, dem Thor des großen Palastgebäudes, in welchem sich der Thron des Königs befand, und von dem man in die Gemächer der Beischläferinnen, die Salons des Harems und das Schloß der Prinzessin gelangte. Da hielt die Alte an und sprach: »Mein Sohn, nun sind wir angelangt, und Preis Ihm, der uns an diesen Ort hat gelangen lassen! Jedoch, mein Sohn, wir können nur zur Nachtzeit mit der Prinzessin zusammenkommen, denn nur die Nacht beschützt die Fürchtenden.« Der Prinz versetzte: »Du hast recht, was aber ist nun zu thun?« Sie entgegnete: »Verbirg dich hier in dieser dunkeln Cisterne.« Da setzte er sich in die Cisterne, während die Alte fortging und ihn in der Cisterne sitzen ließ, bis der Tag sich neigte, worauf sie sich wieder zu ihm begab und ihn herausholte. Alsdann schritten sie durchs Schloßthor und hielten nicht eher an als bis sie vor Hajât en-Nufûs' Gemach standen. Auf das Pochen der Amme kam ein kleines Mädchen heraus und fragte: »Wer ist an der Thür?« Die Amme erwiderte: »Ich.« Da kehrte das Mädchen wieder um und bat ihre Herrin um Erlaubnis, die Amme hereinzulassen, worauf Hajât en-Nufûs sagte: »Öffne ihr die Thür und laß sie und wen sie bei sich hat, herein.« Da traten beide ein, und die Amme blickte sich um und gewahrte, daß Hajât en-Nufûs bereits das Zimmer zurechtgemacht, die Lampen in Reihe und Glied aufgestellt, die Polster und Līwâne mit Teppichen bedeckt, die Kissen hingelegt und die Kerzen in goldenen und silbernen Leuchtern angezündet hatte. Ferner hatte sie die Speisetische mit Obst und Süßigkeiten aufgetragen, hatte mit Moschus, Aloe und Ambra geräuchert und 187 saß zwischen den Lampen und Kerzen da, mit dem Glanz ihres Angesichtes alles andere Licht überstrahlend. Als sie nun die Amme erblickte, fragte sie sie: »Meine Amme, wo ist mein Herzliebster?« Die Amme versetzte: »Meine Herrin, ich traf ihn nicht, und mein Auge sah ihn nicht, jedoch habe ich dir seine leibliche Schwester mitgebracht.« Da entgegnete die Prinzessin: »Bist du verrückt? Was soll ich mit seiner Schwester? Umbindet etwa ein Mensch seine Hand, wenn er Kopfschmerzen hat?« Sie erwiderte: »Nein, bei Gott, meine Herrin, aber schau sie dir nur an, und behalt sie bei dir, wenn sie dir gefällt.« Hierauf entschleierte sie das Angesicht des Prinzen, und, als sie ihn nun erkannte, erhob sie sich auf ihre Füße, und beide preßten einander an die Brust und sanken für eine lange Weile ohnmächtig zu Boden. Da besprengte sie die Alte mit Rosenwasser, worauf sie wieder zu sich kamen und Hajât en-Nufûs ihm mehr als tausend Küsse gab. Dann sagte sie:

Siebenhundertundvierunddreißigste Nacht.

»Ist es wirklich wahr, daß ich dich in meiner Wohnung sehe, und daß du mein Tischgast und Gesellschafter geworden bist?« Alsdann verbarg sie ihn in einem Raum, den niemand kannte, und holte ihn zur Nacht wieder hervor, worauf sie sich zum Gelage setzten. Hierbei nun sprach der Prinz zu Hajât en-Nufûs: »Ich möchte in mein Land zurückkehren und meinem Vater alles mitteilen, damit er seinen Wesir zu deinem Vater ausrüstet, daß er um dich bei ihm anhält.« Die Prinzessin erwiderte jedoch: »Mein Geliebter, ich fürchte, du könntest mich, wenn du in dein Land und Reich zurückgekehrt bist, vergessen und mich aus dem Sinn schlagen, und ebenso könnte dein Vater dir auch nicht seine Einwilligung hierzu geben, so daß ich sterben müßte. Besser und förderlicher erscheint es mir, daß du bei mir in meiner Hand bleibst, und daß du mein Gesicht schaust und ich das deinige, bis ich einen Plan ersonnen habe, und wir beide zusammen zur Nacht nach deinem Land entfliehen; denn siehe, ich habe die Hoffnung auf meine Angehörigen aufgegeben 188 und verzweifele an ihnen.« Der Prinz antwortete ihr hierauf: »Ich höre und gehorche;« und sie weilten bei einander und ließen sich den Wein schmecken, bis sie eines Nachts beim Wein bis zum Anbruch der Morgenröte saßen, ohne sich niederzulegen und zu schlafen. Da traf es sich nun, daß ein König an ihren Vater ein Geschenk geschickt hatte, unter dessen Gegenständen sich auch eine Halsschnur von neunundzwanzig kostbaren Edelsteinen befand, deren Preis kein König mit seinen Schätzen hätte erschwingen können, und der König sagte: »Diese Halsschnur paßt allein für meine Tochter Hajât en-Nufûs.« Alsdann rief er einen Eunuchen, dem die Prinzessin aus gewissen Gründen die Backzähne ausgeschlagen hatte, und sagte zu ihm: »Nimm dieses Halsband, bring es Hajât en-Nufûs und sprich zu ihr: »Siehe, einer der Könige hat es deinem Vater zum Geschenk geschickt, und sein Preis ist nicht mir Geld zu bezahlen; leg' es um deinen Hals.« Der Bursche nahm es und sprach dabei bei sich: »Gott, der Erhabene, lasse es das letzte Stück auf der Welt sein, das sie anlegt, darum daß sie mich des Segens meiner Backzähne beraubt hat!« Alsdann machte er sich auf und ging zur Thür ihres Gemaches, die er verschlossen fand und vor der er die Alte schlafen sah. Da weckte er sie auf, worauf sie ihn erschrocken fragte: »Was ist dein Begehr?« Er versetzte: »Der König hat mich in einer Sache zu seiner Tochter geschickt.« Sie entgegnete: »Der Schlüssel ist nicht hier, geh fort, bis ich ihn geholt habe.« In ihrer Furcht aber machte sie sich aus dem Staube, worauf der Eunuch, als sie ihm zu lange ausblieb, aus Furcht dem König zu lange fortzubleiben, an der Thür rüttelte und riß, bis der Bolzen zerbrach und die Thür aufging. Dann ging er hinein und schritt von Thür zu Thür, bis er zur siebenten kam. Als er nun aber das Gemach betrat und es mit kostbaren Sachen ausgestattet sah und Kerzen und Flaschen in ihm gewahrte, verwunderte er sich und, an das Bett herantretend, das mit einem seidenen, mit einem Netz von Edelsteinen überstickten 189 Vorhang verhüllt war, hob er den Vorhang auf, worauf er die Prinzessin schlafen fand mit einem jungen Mann in den Armen, der noch hübscher als sie selber war, so daß er Gott, den Erhabenen, dafür pries, daß er ihn aus verächtlichem Wasser erschaffen hatte. Dann aber sprach er: »Wie sauber ist diese Geschichte für eine, die die Männer haßt! Wie mag sie nur zu diesem da gekommen sein? Ich glaube gar, nur um seinetwillen hat sie mir die Backzähne ausgeschlagen!« Hierauf ließ er den Vorhang wieder nieder und ging auf die Thür zu. Die Prinzessin war jedoch erschrocken erwacht, und, als sie nun den Eunuchen Kafûr erblickte, rief sie ihn. Als er ihr keine Antwort gab, stieg sie aus dem Bett und, ihm nacheilend, packte sie ihn an seinem Saum, legte ihn auf ihr Haupt und bat ihn, ihm die Füße küssend: »Verhülle, was Gott verhüllt hat.« Er versetzte jedoch: »Gott schütze weder dich noch den, der dich schützen wollte! Du schlugst mir die Backzähne aus und sprachst zu mir, ich sollte keinen etwas von Männern zu dir reden lassen.« Hierauf machte er sich von ihr los und, schnell hinauseilend, verschloß er hinter ihnen die Thür und stellte einen Eunuchen als Hüter davor. Dann begab er sich wieder zum König, der ihn fragte: »Hast du das Halsband Hajât en-Nufûs gegeben?« Der Eunuch versetzte: »Bei Gott, du verdienst etwas besseres als alles dies!« Da fragte ihn der König: »Was ist vorgefallen, sag' es mir geschwind.« Der Eunuch versetzte jedoch: »Ich sag' es dir nur unter vier Augen.« Der König entgegnete: »Sag' es nur öffentlich.« Nun sagte der Eunuch: »So gewähr' mir Gnade.« Da warf ihm der König das Tuch der Gnade zu, worauf der Eunuch berichtete: »O König, als ich bei der Prinzessin Hajât en-Nufûs eintrat, fand ich ihr Zimmer schön ausgestattet und sah sie mit einem jungen Mann in den Armen schlafen. Da verschloß ich die Thür hinter ihnen und erschien wieder vor dir.« Als der König seine Worte vernahm, sprang er auf und, sein Schwert fassend, rief er dem Obereunuchen zu: »Nimm deine Burschen mit, begieb 190 dich zu Hajât en-Nufûs und bringe sie und den, der bei ihr im Bett liegt hierher, doch verhülle sie mit ihrer Decke.«

Siebenhundertundfünfunddreißigste Nacht.

Als der Obereunuch und seine Burschen bei Hajât en-Nufûs eintraten, fanden sie die Prinzessin aufgestanden und zerschmolzen in Thränen und Wehklagen, und desgleichen den Prinzen. Da sagte der Obereunuch zum Prinzen und der Prinzessin: »Legt euch aufs Bett wie zuvor.« Die Prinzessin, die für den Prinzen fürchtete, sagte zu ihm: »Dies ist nicht die Zeit zu widersprechen,« worauf sich beide niederlegten und die Eunuchen sie vor den König trugen. Als nun der König sie aufdeckte, sprang die Prinzessin auf die Füße; der Jüngling aber warf sich, als er sah, daß der König ihr den Kopf abschlagen wollte, dem König an die Brust und rief: »O König, sie ist unschuldig, ich bin der schuldige Teil, töte mich.« Da ging der König auf ihn los, ihn zu töten, doch nun warf sich Hajât en-Nufûs auf ihren Vater und rief: »Töte mich und nicht ihn, denn er ist der Sohn des mächtigsten Königs, der die ganze Erde in der Länge und Breite beherrscht.« Als der König die Worte seiner Tochter vernahm, wendete er sich zu seinem Großwesir, der das verkörperte Böse war, und fragte ihn: »Was sagst du hierzu, Wesir?« Der Wesir erwiderte: »Was ich dazu sage, ist, daß jeder, der in solche Klemme gerät, notwendigerweise lügt, und daß beide mit den verschiedensten Foltern bestraft und hernach geköpft werden müssen.« Infolge dessen rief der König den Träger seines Racheschwertes und befahl ihm, als er mit seinen Burschen erschien: »Nehmt diesen Galgenstrick und schlagt ihm den Kopf ab, und nehmt auch dann diese Dirne vor und verbrennt beide, ohne mich noch einmal in dieser Sache zu fragen.« Da legte der Schwertmeister seine Hand auf ihren Nacken, um sie fortzuführen, als der König, ihn anschreiend, einen Gegenstand, den er gerade in seiner Hand hatte, nach ihm warf, daß er ihn fast zu Tode getroffen hätte, und rief: »Du Hund, wie kannst du Milde 191 zeigen, wo ich zornig bin? Packe sie bei ihren Haaren und schleife sie auf ihrem Gesicht hinaus.« Da that er nach des Königs Geheiß und schleifte sie und den Prinzen auf dem Gesicht zum Blutplatz hinaus, wo er ein Stück von dem Saum seines Gewandes abriß und damit dem Prinzen die Augen verband; die Prinzessin stellte er jedoch zurück, in der Hoffnung, daß jemand für sie Fürbitte einlegen würde. Hierauf zog er sein scharfes Schwert und schwang es dreimal, während alle Truppen weinten und zu Gott beteten, irgend welche Fürbitte eintreten zu lassen. Nun hob er seine Hand zum Hieb, als mit einem Male eine Staubwolke aufwirbelte und den Horizont erfüllte. Die Ursache hiervon lag aber darin, daß, als der König, der Vater des Jünglings, gar keine Nachricht mehr von seinem Sohne erhalten hatte, er ein mächtiges Heer ausgerüstet und sich in eigener Person aufgemacht hatte, nach seinem Sohn zu suchen. Soviel mit Bezug auf ihn; was aber den König Abd el-Kâdir anlangt, so fragte er, als er die Staubwolke gewahrte: »Ihr Leute, was giebt's? Was ist das für eine Staubwolke, die die Aussicht verhüllt?« Da sprang der Großwesir auf und stieg hinunter, um auszukundschaften, was es mit jener Staubwolke auf sich hätte, und machte sich zu ihr auf, als er auf Massen, zahllos wie Heuschrecken, stieß, gegen die keine Hilfe nützte, da Berge, Thäler und Hügel von ihnen wimmelten. Da kehrte der Wesir zum König zurück und teilte ihm den Vorfall mit, worauf der König zum Wesir sprach: »Steig noch einmal hinunter und erkundige dich, was das für ein Heer ist und weshalb es in unser Land gekommen ist; und erkundige dich auch nach dem Anführer des Heeres, bestell' ihm von mir den Salâm und frag' ihn nach der Ursache seines Kommens. Wenn er irgend ein Anliegen hat, so wollen wir ihm zur Erfüllung desselben behilflich sein; wenn er gegen irgend einen König die Blutrache zu vollstrecken hat, so wollen wir mit ihm aufsitzen, und wenn er ein Geschenk wünscht, so wollen wir es ihm geben. Denn ihre Zahl ist 192 groß, es ist ein gewaltiges Heer, und wir sind um unser Land vor ihrem Angriff besorgt.« Da stieg der Wesir wieder hinunter und schritt vom frühen Morgen an bis zum Abend zwischen den Zelten, den Truppen und Leibgarden hindurch, bis er zu den Trägern der goldenen Schwerter und zu den Sternenzelten gelangte. Von hier gelangte er weiter zu den Emiren, den Wesiren, den Kämmerlingen und Vicekönigen, bis er endlich zum Sultan gelangte und in ihm einen mächtigen König sah. Als ihn die Großen des Reiches gewahrten, riefen sie ihm zu: »Küß die Erde! Küß die Erde!« Da küßte er die Erde; als er sich aber wieder aufrichtete, riefen sie es ihm noch einmal und zum drittenmal zu, bis er schließlich, als er wieder sein Haupt aufrichten wollte, infolge seiner übermäßigen Reverenz der Länge nach zu Boden fiel. Als er endlich vor dem König stand, sprach er: »Gott lasse deine Tage lange währen, er vermehre deine Herrschaft und erhöhe deine Macht, o glückseliger König! Des Ferneren aber entbietet dir der König Abd el-Kâdir den Salâm, er küßt die Erde vor dir und läßt dich fragen, in welcher wichtigen Angelegenheit du hierhergekommen bist. Solltest du gegen einen der Könige die Blutrache vollstrecken wollen, so wird er in deinen Diensten aufsitzen, und solltest du ein Anliegen hegen, dessen Erfüllung ihm möglich ist, so steht er dir in dieser Sache zu Diensten.« Da versetzte der König: »O Gesandter, kehre zu deinem Herrn zurück und sprich zu ihm: Der großmächtige König hat einen Sohn, der seit geraumer Zeit abwesend von ihm ist und nichts mehr von sich hören ließ, so daß seine Spuren abhanden gekommen sind. Befindet er sich in dieser Stadt, so will ich ihn zu mir nehmen und mit ihm abziehen. Ist ihm jedoch irgend etwas widerfahren oder ist ihm irgend ein Leid von euch zugefügt, so wird sein Vater eure Stätten verwüsten, euer Hab und Gut plündern, eure Männer erschlagen und eure Weiber in die Sklaverei führen. So kehre eilends zu deinem Herrn zurück und teile es ihm mit, bevor das Unheil über ihn 193 hereinbricht.« Der Wesir erwiderte: »Ich höre und gehorche,« und wollte sich nun zum Gehen wenden, als die Kämmerlinge ihn wieder anschrien: »Küß die Erde! Küß die Erde!« da küßte er sie zwanzigmal und erhob sich nicht eher, als bis ihm die Puste ausgegangen war. Alsdann verließ er den König und seine Umgebung und kehrte voll Gedanken über diesen König und sein großes Heer zum König Abd el-Kâdir zurück, dem er, bleich vor Furcht und mit zitternden Schultermuskeln, alles, was ihm widerfahren war, mitteilte.

Siebenhundertundsechsunddreißigste Nacht.

Da fragte ihn der König Abd el-Kâdir, den Unruhe und Furcht für sein Leben und das Volk gepackt hatte: »Und wer, o Wesir, ist der Sohn jenes Königs?« Der Wesir versetzte: »Sein Sohn ist derselbe, dessen Hinrichtung du befohlen hattest. Jedoch, gelobt sei Gott, der seine Hinrichtung nicht beschleunigte! Denn sonst hätte sein Vater unsere Stätten verwüstet und unser Hab und Gut geplündert.« Da sagte der König: »Nun schau deinen verderblichen Rat, da du uns seine Hinrichtung anrietest. Wo ist der Jüngling, der Sohn dieses hochgemuten Königs?« Der Wesir antwortete: »O hochsinniger König, du befahlst doch seine Hinrichtung.« Als der König diese Worte vernahm, verlor er den Verstand und, aus tiefstem Herzen und Hirn aufschreiend, rief er: »Weh euch, holt den Schwertmeister herbei, daß er ihn nicht hinrichtet.« Da brachten sie augenblicklich den Schwertmeister an, der, als er vor dem König stand, sagte: »O König, ich habe ihn deinem Befehle gemäß geköpft.« Da sagte der König: »Hund, wenn das wirklich wahr ist, so schicke ich dich ihm nach.« Nun versetzte der Schwertmeister: »O König, du befahlst mir doch ihn hinzurichten, ohne dich noch einmal zu befragen.« Der König entgegnete: »Ich war im Zorn, sprich daher die Wahrheit, bevor es um dein Leben geschehen ist.« Da sagte er: »O König, er ist noch in den Fesseln des Lebens.« Erfreut und beruhigten Herzens, befahl nun der König den Prinzen vor sich kommen zu lassen und sprang, als er vor 194 ihm erschien, auf die Füße, küßte ihn auf den Mund und sprach zu ihm: »Mein Sohn, ich bitte den großen Gott um Verzeihung für das, was ich dir angethan habe; sprich nichts zu deinem Vater, dem großmächtigen König, was meinen Wert vor ihm erniedrigen könnte.« Der Jüngling erwiderte: »O König der Zeit, und wo ist der großmächtige König?« Der König Abd el-Kâdir versetzte: »Er ist um deinetwillen gekommen.« Da sagte der Jüngling: »Bei deiner Ehre, ich will nicht eher von dir fort, als bis ich meinen und deiner Tochter guten Namen von dem Schimpf, dessen wir angeklagt werden, gereinigt habe, denn sie ist ein jungfräulich Mädchen. Rufe die Hebammen und laß sie vor dir untersuchen, und so du findest, daß sie die Mädchenschaft verloren hat, so steht dir mein Blut frei; ist sie jedoch jungfräulich geblieben, so schau, daß unser beider Ehre rein geblieben ist.« Da that der König nach seinem Geheiß, und, als die Hebammen sie untersucht und als jungfräulich befunden hatten, teilten sie es dem König mit und erbaten sich von ihm Geschenke, worauf er ihnen und dem ganzen Harem Geschenke machte. Alsdann holten sie die Räuchergefäße vor und beräucherten die Großen des Reiches; und alle freuten sich über die Maßen. Der König aber umarmte nun den Jüngling und erwies ihm Ehren und Auszeichnungen und befahl seinen obersten Eunuchen ihn ins Bad zu führen. Als er wieder aus dem Bade kam, warf er über ihn ein kostbares Ehrenkleid, setzte ihm ein mir Edelsteinen besetztes Diadem aufs Haupt, gürtete ihm einen seidenen, mit rotem Gold bestickten und mit Perlen und Edelsteinen besetzten Gurt um und setzte ihn auf eines seiner edelsten Rosse, das einen goldenen, mit Perlen und Edelsteinen besetzten Sattel trug. Dann befahl er den Großen und den Häuptern des Reiches, in seinen Diensten aufzusitzen und ihn zu seinem Vater zu geleiten, und legte dem Jüngling ans Herz, zu seinem Vater dem großmächtigen König also zu sprechen: »Siehe, der König Abd el-Kâdir steht dir zu Diensten und ist allen deinen 195 Befehlen und Verboten gehorsam und willfährig.« Der Jüngling erwiderte: »Ich werde es sicherlich ausrichten,« und verabschiedete sich von ihm, worauf er sich zu seinem Vater aufmachte. Als dieser ihn gewahrte, flog ihm der Verstand vor Freude fort, und, vor ihm aufstehend, ging er ihm einige Schritte entgegen und umarmte ihn, während sich Freude und Fröhlichkeit im Heere des Großkönigs verbreitete. Hierauf erschienen alle Wesire und Kämmerlinge und alle Truppen und Hauptleute und küßten, erfreut über sein Kommen, die Erde vor ihm; und es war ein großer Freudentag für sie, und der Prinz gestattete seinem Gefolge und den andern, die aus der Stadt des Königs Abd el-Kâdir erschienen waren, unbehindert das Heer des Großkönigs in Augenschein zu nehmen, damit sie die Menge seiner Truppen und die Macht seiner Herrschaft gewahrten. Und jeder, der den Bazar der Linnenhändler betreten und ihn dort hatte zuvor sitzen sehen, verwunderte sich, wie er bei seiner Hoheit und Würde sich hierzu hatte entschließen können; jedoch hatte ihn hierzu seine Liebe und Neigung zur Prinzessin veranlaßt.

Inzwischen war nun auch die Kunde von dem großen Heer Hajât en-Nufûs zu Ohren gekommen, worauf sie Auslug von der Zinne des Schlosses nach dem Gebirge zu hielt und es von Haufen und Heerscharen wimmeln sah; sie selber aber war in ihres Vaters Schloß eingesperrt, bis der König in betreff ihrer Befehl erlassen hätte, sie entweder zu begnadigen und freizulassen oder sie hinzurichten und zu verbrennen. Als nun Hajât en-Nufûs dieses Heer sah und erfuhr, daß es das Heer des Vaters ihres Geliebten war, fürchtete sie, er könne sie über seinen Vater vergessen und sie sich aus dem Sinn schlagen und fortziehen, worauf ihr Vater sie dann hinrichten lassen würde. Da schickte sie die Sklavin, die zu ihrer Bedienung bei ihr in ihrem Gemach war, zu ihm, indem sie zu ihr sprach: »Geh zu dem Prinzen Ardeschîr und fürchte dich nicht; und so du zu ihm gekommen bist, küsse die Erde vor ihm, gieb dich ihm zu erkennen und sprich zu ihm: 196 »Siehe, meine Herrin entbietet dir den Salâm, und sie ist jetzt in ihres Vaters Schloß eingesperrt und unter Aufsicht gehalten, bis er ihr vergiebt oder ihren Tod befiehlt. Sie bittet dich daher, sie nicht zu vergessen oder zu verlassen. Denn heute bist du allmächtig, und niemand vermag irgend einem deiner Befehle zu widersprechen. Wenn es dir daher beliebt sie von ihrem Vater zu befreien und sie zu dir zu nehmen, so geschähe es in deiner Güte, denn siehe, alle diese Widerwärtigkeiten erträgt sie um deinetwillen. Wenn dir dies jedoch nicht beliebt, indem daß dein Verlangen nach ihr erloschen ist, so sprich zu deinem Vater, dem Großkönig, daß er bei ihrem Vater Fürbitte für sie einlegt und nicht eher abzieht, als bis er ihre Freilassung von ihm erwirkt und ihm Eid und Gelöbnis abgenommen hat, ihr weder etwas zuleide zu thun noch mit dem Gedanken an ihren Tod umzugehen. Dies ist ihr letztes Wort, und Gott beraube sie nicht deiner! Der Frieden sei auf dir!«

Siebenhundertundsiebenunddreißigste Nacht.

Als nun die Sklavin bei Ardeschîr eingetroffen war und ihm die Worte ihrer Herrin berichtet hatte, weinte er bitterlich und sprach zu ihr: »Wisse, Hajât en-Nufûs ist meine Herrin, und ich bin ihr Sklave und der Gefangene ihrer Liebe; nimmermehr vergesse ich, was zwischen uns vorgefallen ist, und die Bitterkeit des Trennungstages. Sprich daher zu ihr, nachdem du ihr die Füße geküßt hast: Ich werde mit meinem Vater in deiner Sache reden, daß er seinem Wesir, der schon einmal um dich angehalten hat, zum zweitenmal als Brautwerber zu deinem Vater schicken soll, denn er darf sich nicht widersetzen. So aber dein Vater zu dir schickt, deinen Rat hierüber einzuholen, so widersprich ihm nicht, denn ich kehre nur mit dir in mein Land zurück.« Da kehrte die Sklavin zu ihrer Herrin zurück und bestellte ihr, nachdem sie ihr die Hände geküßt hatte, den Auftrag Ardeschîrs.

Soviel mit Bezug auf Hajât en-Nufûs. Als nun aber der Prinz des Nachts mit seinem Vater allein war, und 197 dieser ihn nach allen seinen Erlebnissen befragte, erzählte er ihm alles von Anfang bis zu Ende, worauf sein Vater ihn fragte: »Was soll ich für dich thun, mein Sohn? Wünschest du seinen Untergang, so verwüste ich seine Stätten, plündere sein Hab und Gut und entehre seinen Harem.« Ardeschîr erwiderte jedoch: »Ich wünsche dies nicht, mein Vater, da er mir nichts gethan hat, daß er solches verdiente; vielmehr wünsche ich mit Hajât en-Nufûs vereinigt zu werden, und ich erbitte daher von deiner Güte, daß du ein Geschenk ausrüstest und es ihrem Vater übersendest; jedoch muß es ein kostbares Geschenk sein, und mußt du auch deinen Wesir, den wohlberatenen, mitschicken.« Sein Vater erwiderte ihm: »Ich höre und gehorche;« alsdann begab er sich zu seinen seit altersher aufgehäuften Schätzen und holte allerlei kostbare Sachen hervor, die er seinem Sohn vorlegte, dem sie gefielen. Dann ließ er den Wesir rufen und befahl ihm mit dem Geschenk zum König Abd el-Kâdir zu ziehen, sich bei ihm für seinen Sohn um seine Tochter zu bewerben und zu ihm zu sprechen: »Nimm dieses Geschenk an und gieb ihm Antwort.« Und so machte sich denn der Wesir zum König Abd el-Kâdir auf den Weg, der seit der Stunde, daß der Prinz von ihm fortgezogen war, bekümmerten Herzens und voll Seelenunruhe dasaß, da er die Verwüstung seines Reiches und die Wegnahme seiner Güter befürchtete. Mit einem Male erschien der Wesir vor ihm und küßte, ihm den Salâm entbietend, die Erde vor ihm. Da erhob sich der König vor ihm auf seine Füße und empfing ihn mit Auszeichnung, während der Wesir sich stracks auf seine Füße warf und, sie mit Küssen bedeckend, zu ihm sprach: »Um Vergebung, o König der Zeit, siehe, deinesgleichen erhebt sich nicht vor meinesgleichen, ich bin der geringste der Sklaven von Dienern. Und wisse, o König, der Prinz hat mit seinem Vater gesprochen und hat ihm einiges von deiner Güte und Huld, die du ihm erwiesen hast, mitgeteilt, weshalb der König dir hierfür seinen Dank abstattet und dir mit diesem deinem 198 Diener, der hier vor dir steht, ein Geschenk mitgegeben hat und dir den Salâm mir ganz besonderen Glückwünschen und Ehrungen bestellt.« Als der König diese Worte von ihm vernahm, vermochte er sie in seiner großen Furcht nicht eher zu glauben, bis das Geschenk vor ihn gebracht wurde. Als er dann aber sah, daß es gar nicht mit Geld aufzuwägen war, und daß kein König der Welt ein gleiches Geschenk zu machen vermocht hätte, kam er sich in seinen Augen sehr klein vor, und, auf seine Füße springend, lobte und pries er Gott, den Erhabenen, und dankte dem Prinzen. Alsdann aber sprach der Wesir zu ihm: »O edler König, hör' auf mein Wort und wisse, daß der Großkönig zu dir schickt, um sich mit dir verwandtschaftlich zu verbinden; denn ich bin zu dir gekommen mit dem Verlangen und Begehr nach deiner Tochter, der wohlgehüteten Herrin, als Gattin für seinen Sohn Ardeschîr; willigst du hierin ein und bist du dessen zufrieden, so vereinbare dich mit mir über die Hochzeitsgabe.« Als der König dies vernahm, versetzte er: »Ich höre und gehorche; was mich anlangt, so habe ich nichts dagegen, und es ist mir das liebste, was geschehen kann; meine Tochter aber ist erwachsen und verständig und ihre Sache liegt in ihrer Hand. Die Angelegenheit muß ihr daher selber vorgelegt werden, und sie hat zu wählen.« Hierauf wendete er sich zum Obereunuchen und sagte zu ihm: »Geh zu meiner Tochter und teile ihr diese Sache mit.« Der Obereunuch versetzte: »Ich höre und gehorche,« und begab sich zum Haremsschloß, wo er zur Prinzessin eintrat, ihr die Hände küßte und des Königs Worte ausrichtete, worauf er sie fragte: »Was giebst du für eine Antwort?« Sie versetzte: »Ich höre und gehorche.«

Siebenhundertundachtunddreißigste Nacht.

Da kehrte der Obereunuch zum König zurück und überbrachte ihm die Antwort, worauf der König in mächtiger Freude ein kostbares Ehrenkleid holen ließ und es dem Wesir überwarf; indem er ihm dann noch zehntausend Dinare anwies, sprach er zu ihm: »Überbringe die Antwort dem König 199 und bitte ihn, mir einen Besuch zu verstatten.« Der Wesir erwiderte: »Ich höre und gehorche.« Hierauf verließ er den König Abd el-Kâdir und kehrte zum Großkönig zurück. Als er ihm die Antwort und seinen Auftrag überbracht hatte, freute sich der König, dem Prinzen aber flog vor Freude der Verstand fort, seine Brust dehnte sich weit, und er ward froh. Alsdann erteilte er dem König Abd el-Kâdir die Erlaubnis ihn zu besuchen, und am andern Tage setzte sich der König Abd el-Kâdir auf und ritt zum Großkönig, der ihm entgegenkam, ihm langes Leben wünschte, ihm den Ehrenplatz anwies und sich an seine Seite setzte, während der Prinz vor beiden stand. Hierauf erhob sich ein Sprecher aus den Vornehmsten des Königs Abd el-Kâdir und hielt eine beredte Ansprache, in der er den Prinzen zur Erlangung seines Wunsches beglückwünschte, der Vermählung nämlich mit der Prinzessin, der Herrin der Königstöchter. Als der Sprecher sich dann wieder gesetzt hatte, befahl der Großkönig eine mit Perlen und Edelsteinen und mit fünfzigtausend Dinaren gefüllte Kiste zu holen und sprach zum König Abd el-Kâdir: »Ich bin meines Sohnes Sachwalter in allem, was diese Angelegenheit betrifft.« Da bekannte sich der König Abd el-Kâdir zum Empfang der Hochzeitsgabe, unter der sich auch fünfzigtausend Dinare für das Hochzeitsfest seiner Tochter, der Herrin der Königstöchter, der Prinzessin Hajât en-Nufûs befanden. Hierauf wurden die Kadis und die Zeugen geholt, die den Ehekontrakt der Tochter des Königs Abd el-Kâdir mit Ardeschîr, dem Sohn des Großkönigs, aufsetzten. Nach den Banketten und Gelagen suchte der Prinz dann Hajât en-Nufûs heim und fand in ihr eine unversehrte Perle. Als er seinem Vater hiervon Mitteilung gemacht hatte, fragte der Großkönig seinen Sohn, ob er vor der Abreise noch irgend einen Wunsch hätte. Der Prinz versetzte: »Jawohl, mein Vater; ich will mich an dem Wesir rächen, der uns Übles zufügte, und an dem Eunuchen, der eine Lüge wider uns erdichtete.« Da schickte der Großkönig auf der Stelle zum 200 König Abd el-Kâdir und forderte von ihm den Wesir und den Eunuchen, worauf er ihm beide zuschickte. Als sie vor ihm erschienen waren, befahl er beide ans Stadtthor aufzuhängen, worauf sie sich nur noch kurze Zeit verweilten, um dann den König Abd el-Kâdir zu bitten, seine Tochter zur Reise zu rüsten. Da rüstete er sie aus, und sie setzten die Prinzessin in eine von edeln Rossen gezogene Sänfte aus rotem mit Perlen und Edelsteinen besetzten Gold. Außerdem nahm sie alle ihre Sklavinnen und Eunuchen mit und setzte die Amme, die nach ihrer Flucht wieder zurückgekehrt war, an ihre alte Stelle ein. Alsdann saß der Großkönig und sein Sohn auf, und der König Abd el-Kâdir samt allem Stadtvolk ebenfalls, um von seinem Schwiegersohn und seiner Tochter Abschied zu nehmen, und es war ein Tag, der zu den schönsten gezählt wurde. Nachdem sie sich eine Strecke Weges von der Stadt entfernt hatten, beschwor der Großkönig seinen Schwäher in sein Land heimzukehren, worauf sich dieser von ihm verabschiedete, indem er ihn an die Brust zog, ihn zwischen die Augen küßte, ihm für seine Güte dankte und ihm seine Tochter anempfahl; nach dem Abschied von dem Großkönig und seinem Sohn, wendete er sich zu seiner Tochter, und umarmte sie, und während sie ihm die Hände küßte; und beide weinten an dem Halteplatz, an dem sie voneinander schieden. Alsdann kehrte er in sein Königreich zurück, während Ardeschîr mit seiner Gemahlin und seinem Vater weiterzog, bis sie in ihr Land gelangten, wo sie ihre Hochzeit noch einmal feierten, um dann das angenehmste und bequemste Leben in Wonnen und Freuden zu führen, bis daß der Zerstörer aller Freuden, der Trenner aller Vereinigungen, der Verwüster der Schlösser und der Bevölkerer der Gräber sie heimsuchte. Und dies ist das Ende der Geschichte.

 


 

Ende des zwölften Bandes.

 


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