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Unser Holländischer Dampfer »Nieuwland«, den wir in Makassar auf Celebes bestiegen hatten, und der uns unter einem der tropischsten Klimaten, welches die Erde besitzt, durch die Pracht der Indonesischen Inselwelt trug, näherte sich seinem Ziel. Am nächsten Morgen durften wir hoffen, vor Amboina, einer jener dem holländischen Handel so einträglichen Gewürzinseln, vor Anker zu gehen. Zum letztenmal versammelte sich unsere kleine Reisegesellschaft zum Abendessen.
Wir waren nur acht Europäer, zwei holländische Plantagenbesitzer, deren einer seine Tochter bei sich hatte, ein englischer und ein portugiesischer Kaufmann, ein Ethnologe, Professor Doktor Scheffler aus Berlin, meine bescheidene Person – und ein Franzose, namens Jules Basparon, den ich absichtlich an letzter Stelle nenne, weil er sich von uns anderen völlig abschloß. Wir wußten lediglich seinen Namen, den uns der Erste Offizier verraten hatte, über sein Reiseziel, seinen Beruf und seine Lebensumstände hingegen hatte keiner von uns auch nur das Geringste herausbekommen können. Allen Fragen wich der etwa vierzigjährige, leidend aussehende Mann auf geschickte Weise, ohne dabei unhöflich zu werden, aus. Niemals warf er ein Wort in unsere Unterhaltung, obwohl ich bemerken konnte, daß er außer dem Französischen sowohl Englisch, als auch Holländisch verstand. Schon am ersten Abend hatte er bei unserer Tafelrunde den Spitznamen »der stille Gast« weg, erst am zweiten Tage machten wir die überraschende Bemerkung, daß der bemitleidenswerte Mensch zwei künstliche Hände besaß. Von dieser Minute an wurde ihm selbstverständlich die artigste Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme zuteil, aber nichts vermochte ihm ein Wort oder auch nur ein Lächeln abzunötigen. Er beschränkte sich darauf, mit uns an ein und demselben Tisch die Mahlzeiten einzunehmen, nach deren Beendigung er sich nach der Richtung, wo die einzige Dame unserer Gesellschaft saß, verbeugte und dann in sich gekehrt seine übliche Deckpromenade aufnahm.
Wir unsererseits hatten uns langsam an die verschlossene Art des einsamen Mannes gewöhnt und stillschweigend beschlossen, ihn nicht mehr durch Fragen zu stören, die für ihn, da er nun einmal nicht aus seiner Zurückhaltung herausgehen wollte, nur lästig oder verletzend gewesen wären. Auch heute, wo es bei uns anderen etwas lebhafter über Tisch zuging, da der Erste Offizier gesprächiger und lustiger war als sonst, saß Monsieur Jules Basparon an der linken Seite von unserem Professor, als verstände er keine Silbe von der mitunter wahre Lachsalven entfesselnden, schnurrigen Aufschneiderei unseres aufgeräumten Seeoffiziers. Nur eins hatte sich gegen sonst geändert: er verließ uns nicht, sobald der Kaffee aufgetragen wurde, sondern blieb, sich in seinen Sessel zurücklehnend, unter uns sitzen. Das fiel allgemein auf, und wir hatten nun die Wahl zu raten, ob die Erzählungen des Ersten Offiziers ihn zum Bleiben bewogen oder ob er uns auf diese Art und Weise am letzten Abend unseres Beisammenseins eine stillschweigende Höflichkeit bezeigen wollte.
Der Abend war besonders schön, da sich der Wind – eine Art frischer Nordpassat – aufgemacht hatte, so daß wir die über Deck streichende Luft, nach den Tagen, die uns wie in einem Brutkessel hatten schmoren lassen, als verhältnismäßig kühl empfanden. Behaglich lauschten wir noch immer dem Seemannslatein, denn das Garn des Ersten Offiziers riß – wie er selbst sagte – nicht so leicht ab, wenn er es erst einmal richtig zwischen die Zähne genommen hatte. Er fuhr seit acht Jahren in der Java- und der Molukken-See und rühmte sich, das Malaiische so gut zu sprechen wie seine Muttersprache. Ein Kreole reichte uns frische Kokosnußmilch, die aus hohen Gläsern getrunken wurde – einer der Tauschartikel jener wunderschönen Gegend, den uns wenige Tage vorher ein Dutzend wilde, wollköpfige kriegerische Gestalten in ihrem langen Kanu an Bord gebracht hatten.
»In Amboina,« meinte der Erste Offizier fortfahrend, »finden Sie natürlich eine nach hiesigen Begriffen völlig zivilisierte Bevölkerung. Da brauchen Sie keine Angst zu haben. Lächelt Ihnen das Glück, werden Ihnen vielleicht sogar die Töchter des Radjah Blumen auf den Weg streuen und Sie mit wohlriechenden Düften bespritzen. Anders ist es, wenn Sie einen Abstecher nach Ceram hinüber machen und in eines der großen Gebirgsdörfer vordringen. Da finden Sie noch ausgesucht prächtige Exemplare bis auf die Armringe gänzlich unbekleideter Eingeborener, die auch heute noch Menschenfleisch als höchste Delikatesse schätzen. Und selbst die Radjahfamilien sind in der Beziehung noch nicht ganz hasenrein. Einer der verwegensten dieser Burschen schwingt das Zepter dicht im Umkreise von Tobo. Der Regierungsdampfer hat mich voriges Jahr einmal mitgenommen. Da habe ich die persönliche Bekanntschaft dieses Radjah gemacht. Sich allein zu dem Manne zu wagen, würde ich nicht gerade empfehlen, aber unter sicherem Schutz – wozu schon ein Regierungssoldat genügt, da sich die wilde Hoheit dann in ihren Gewohnheiten zu zügeln versteht – ist der Besuch von Tanuheli unter allen Umständen lohnend. Sie sind zwar schon etwas verwöhnt, was üppige, wildeste Vegetation anbelangt, bei Tobo aber werden Sie einen unserer Glanzpunkte finden. Hier leistet die Fruchtbarkeit des Bodens sich wahre Orgien.«
Während der ersten Erwähnung der Insel Ceram, die bekanntlich der niederländischen Residentschaft Amboina untersteht, war es mir, als ginge mit unserem »stillen Gast« eine Veränderung vor sich. Er hatte, vielleicht unwillkürlich, eine auffällige Bewegung gemacht. Wenn er hätte aufspringen wollen, schien es mir, hätte er keine andere Bewegung machen können. Zugleich sah ich, daß sich seine Lippen bewegten. Es kam jedoch nicht so weit, daß er sich ins Gespräch mischte. Im Gegenteil, er lehnte sich noch lässiger als zuvor in seinen Armsessel zurück und beschäftigte sich scheinbar angelegentlich mit dem Drehen einer Zigarette. Ich hatte bereits früher bemerkt, zu welcher Geschicklichkeit er es hierbei trotz seiner künstlichen Hände gebracht hätte.
Unser Seeheld berichtete weiter, was er auf Ceram gesehen hatte, das nach seiner Ansicht das Paradies auf Erden wäre – wenn eben nicht die greulichen Alfuren mit ihren barbarischen Gebräuchen dort ihr Wesen trieben – und ich war bereits versucht, die plötzliche Veränderung, die sich mir an dem Franzosen gezeigt hatte, für eine Einbildung meinerseits zu halten, als sich der Vorgang wiederholte.
Der Erste Offizier sprach von einem mächtigen Bronze-Elefanten, der vor dem Radjah-Palast zu Tanuheli stehe. Und in demselben Augenblick blitzte es in Jules Basparons Augen auf, und diesmal täuschte ich mich bestimmt nicht: es ging durch den Körper des rätselhaften Mannes ein krampfhaftes Zucken.
Vergeblich sann ich noch darüber nach, was an der Erzählung des Ersten Offiziers denn daran war, das den Franzosen irgendwie aus dem Gleichgewicht bringen konnte, als mir an ihm ein neuer Zug auffiel. Auch jetzt hatte sich Monsieur Basparon sofort wieder in der Gewalt, er paffte in großen Zügen an seiner Zigarette, ich aber bemerkte, wie seine Augen glänzten, und wie er den Erzähler bald mißtrauisch, bald mit haßerfülltem Ausdruck von der Seite beobachtete.
Ich sah mich vor einem neuen Rätsel. Wenn ihn die etwas bramarbasierende Art des Erzählers ärgerte, dann war noch lange kein Grund vorhanden, derartig feindselige Augen zu machen, sagte ich mir. Haßte der Franzose den Ersten Offizier aber sowieso, dann hätte sich seine Leidenschaft schon früher äußern oder verraten müssen. Noch weniger ergab sich mir eine Erklärung für die Blicke unverkennbaren Mißtrauens, die jener anfangs auf den Sprechenden warf. Ich kam also zu meiner ersten Vermutung zurück, daß in der Erzählung des Offiziers etwas vorkam, was den Franzosen erregte.
Der Erste Offizier erzählte noch immer. »Dieser Elefant also,« berichtete er, »ist ein äußerst gefährlicher Geselle, so harmlos er aussieht. Er hat schon manches Menschenleben auf dem Gewissen.«
»Wie ist das möglich?« fragte die junge Holländerin. »Ein Elefant, der lediglich ein Denkmal ist?«
»Oh, er ist mehr, meine Gnädige! Er ist ein höchst inhaltsvoller Bursche. Was sagen Sie dazu, wenn ich Ihnen verrate, daß er nicht mehr und nicht weniger ist als der Schatzwächter des Radjah von Tanuheli?«
»Der Schatzwächter?«
»Schatzwächter und Schatzhalter zugleich. Ganz recht! Der Elefant birgt in seinem Innern die Kronjuwelen des Radjah. Man hat mir Wunderdinge davon erzählt.«
Wieder war es ein neuer Ausdruck, den ich vom Gesicht des stillen Franzosen, das ich nicht aus den Augen ließ, ablas: Jules Basparon lächelte!
Unglücklicherweise traf sein Blick jetzt mich, und sogleich verschwand dieses Lächeln wieder, so daß ich keine weiteren Beobachtungen machen konnte. So oft ich auch noch verstohlen zu ihm hinübersah, von dem genannten Augenblick an heuchelte der Franzose vollkommene Gleichgültigkeit. Er wartete noch ab, bis der Erste Offizier die Erzählung beendete und von einem Schiffbruch zu fabeln begann, der ihn um ein Haar zu einem zweiten Robinson Crusoe auf einer grünen Koralleninsel gemacht hätte – eine etwas abenteuerliche Geschichte, an die er wohl selbst nicht glaubte – dann erhob sich Jules Basparon und verneigte sich, wie jeden Abend, kurz. Eine Minute später hatte er seinen allabendlichen Spaziergang aufgenommen. Ich stellte fest, daß die seltsame Veränderung an ihm von der ganzen Gesellschaft mir allein aufgefallen war. Obwohl davon überzeugt, daß mir der tropische Abend keine Halluzination vorgespielt hatte, sah ich weiter keinen Anlaß, mich wegen des Franzosen aufs Rätselraten zu legen, zumal ich annehmen konnte, daß sich unsere Wege am nächsten Morgen trennen, und wohl kaum wieder zusammentreffen würden.
Tatsächlich verlor ich Monsieur Basparon am Tage danach, nachdem die Ankerketten vor der malerischen Bai von Amboina in die klare Tiefe gerasselt waren, aus dem Auge. Während ich, neben Professor Scheffler stehend, mich von den übrigen Europäern verabschiedete, und ganz in Schauen befangen auf die wundervolle Bucht mit ihrem in der Sonne glänzenden, weißen Fort Viktoria hinaussah, hatte unser »stiller Gast« sich im Trubel des bunten Hafens bereits verloren.
Professor Scheffler folgte mit mir im letzten Boot, das uns von der Reede ans Land trug ... über diese Reede, deren Wasser so leuchtend klar und rein ist, daß das Auge noch bis zu dreißig und mehr Meter Tiefe jede Koralle, jedes auf dem Grund sich bewegende Tier deutlich zu erkennen vermag. Und in einen Hafen hinein, der wie kaum ein anderer alle Sinne sofort mit Beschlag belegt, da sich in ihm alle Völker der Indostanischen Inselwelt ein Stelldichein zu geben scheinen: Malayen und Javanesen, Alfuren und Papuas, und dazwischen Araber, Indier, Mongolen – ein durcheinander wirrendes asiatisches Völkergemisch, unter dem die wenigen Europäer, unter ihnen vornehmlich Holländer, Portugiesen und Engländer, fast verschwinden. Über die üppige, wilde Fruchtbarkeit und tropische Pracht der steilaufragenden Hänge, von denen sich mächtige Wasserfälle in die Tiefe stürzen, hatte uns der redselige Erste Offizier der »Nieuwland« nicht zu viel gesagt. Ein halbes Dutzend schlanker, sehniger, kunstvoll tätowierter Eingeborener geleitete uns in unser Quartier, und wenn es bei diesem ersten Gange durch die zauberhafte Hafenstadt auch nicht so weit kam, daß uns die Töchter eines einheimischen Großen mit den leuchtenden Blüten dieses Landes den Weg bestreuten und uns mit balsamischen Gerüchen besprengten – man müßte Maler und Dichter zugleich sein, um nur einem Teil der märchenhaften Eindrücke gerecht zu werden, die auf Schritt und Tritt auf uns einstürmten.
Am späten Nachmittag suchte mich der Professor auf.
»Was sagen Sie dazu, lieber Freund ... es bietet sich uns eine außergewöhnlich günstige Gelegenheit, in den nächsten Tagen nach Tobo zu kommen. Es fährt ein kleiner Dampfer.«
»Tobo?« fragte ich.
»Ja, besinnen Sie sich nicht auf die Geschichten, die gestern der Schiffsoffizier auftischte? Er schnitt ja mitunter gewaltig auf. Aber das mit dem Elefanten von Tanuheli beruht auf Wahrheit. Es soll ein meisterhaftes Werk sein, das ich mir ansehen muß. Und die Legenden, die sich daran knüpfen, sind einzigartig. Wissen Sie was? Wir machen dem Radjah von Tanuheli unsere Aufwartung. Amboina läuft uns nicht weg. Eine so günstige Dampferverbindung nach Tobo aber begegnet uns nie wieder!«
Ich fragte, ob er sich von dem Abstecher nicht doch vielleicht zu viel verspreche. Und dann mußte ich zugeben, daß ich den Erzählungen des flotten Seefahrers nur mit halbem Ohr zugehört hätte.
»Das ist jammerschade«, meinte er. »Dann haben Sie am Ende nicht einmal gehört, welche Bewandtnis es mit dem Elefanten hat?«
»Ich hörte nur, daß der Radjah seine Juwelen im Magen oder sonstwo im Innern jenes Bronze-Elefanten aufzubewahren pflegt.«
»Das wäre noch nichts Verwunderliches. Das kann jeder andere auch; braucht nur die nötige Anzahl von Leuten unter Gewehr daneben hinzupflanzen, die den Elefanten bewachen wie jeden stockgewöhnlichen Geldschrank. Das tut aber unser Radjah mit nichten. Dieser Elefant bewacht den Schatz höchstselbst! Und das Geheimnis möchte ich gern ergründen.«
Und nun erfuhr ich aus Professor Schefflers Munde, was ich gestern überhört hatte: daß schon unzähligemale versucht worden sei, dem Elefanten zuleibe zu gehen, um ihn seines wertvollen Mageninhaltes zu berauben, daß aber bisher noch jeder Räuber das Unterfangen mit seinem Leben gebüßt habe.
»Mein hiesiger Freund, der Geschäftsherr, zu dem ich heute ging,« fuhr der Professor fort, »konnte mir alles Wort für Wort bestätigen, was der Schiffsoffizier erzählt hat. Der Elefant als Schatzwächter genießt weit über Tobo und Amboina hinaus eine Berühmtheit. Seine Opfer werden zerspießt oder zertrampelt bei ihm aufgefunden. Es sind fast stets Alfuren oder, wie der Holländer sagt, Alfoers gewesen, die auf diese Weise ihren Tod fanden. Einmal sollen aber, wie der Geschäftsherr gehört hat, auch zwei Europäer ihren Vorwitz auf ebensolche Art mit dem Leben gebüßt haben. Seitdem soll es auf der ganzen Welt keinen Schatz geben, der sicherer geborgen ist, und die Eingeborenen, die zwar Scheinchristen, in Wahrheit aber noch Anhänger der Vielgötterei sind, meiden den Batu Gadjah, das ist die Übersetzung von Elefantenberg, in abergläubischer Furcht.«
»Eine Legende, wie viele andere auch«, sagte ich. »Des Rätsels Lösung wird höchstwahrscheinlich überraschend einfach sein. Eine Alarmvorrichtung, die genau so brav wirkt, wenn sich Schatzräuber nähern, wie unsere elektrischen Läuteapparate.«
»Der Gedanke kam mir auch, aber von den Errungenschaften der Elektrizität dürfte der Radjah eines Alfurenstammes noch herzlich wenig wissen. Das Geheimnis, wie die schatzlüsternen Burschen ums Leben kommen, die den Batu Gadjah betreten, muß schon anderwärts schlummern. Ich glaube freilich selbst nicht, daß wir auf eine Entdeckung stoßen, die wir uns nutzbar machen könnten, aber ich gehe nun einmal schon von Berufs wegen den Dingen gern auf den Grund. Jede Seltsamkeit gehört in meine Sammlung, zumindest in meine Reisebeschreibung. Auch sonst verspreche ich mir des Interessanten auf Ceram eine Menge. Sie sollten es sich deshalb nicht lange überlegen, ob Sie mich begleiten wollen.«
Allmählich steckte mich der Eifer an, mit dem der Ethnologe zum Besuche Tobos und Tanuhelis trieb. Der Besuch einer von den kulturellen Segnungen noch weniger oder gar nicht beglückten Gegend übte auch auf mich einen großen Reiz aus, und die sachkundige Führung des Professors war nicht zu verachten. So kam es, daß ich mich entschloß, den Ausflug nach Ceram mitzumachen.
Die auch Serang genannte Insel ist mit ihrem Flächeninhalt von annähernd zwanzigtausend Quadratkilometern die größte des Molukken-Archipels, nur zum allerkleinsten Teil und nur an der Küste in Kulturzustand gebracht und mit dichtem Urwald, der die ganze Fülle und Pracht der tropischen Vegetation zeigt, bedeckt. Sie untersteht der Residentschaft Amboina und besitzt eine kleine holländische Garnison, die wohl notdürftig die Ordnung aufrechterhält, es aber nicht verhindern kann, daß die auf niedrigster Kulturstufe stehende Alfurenbevölkerung, bei der jedes Dorf unter, seinem eigenen Stammesoberhaupte lebt, sich noch immer in blutigen Kriegen zerfleischt und – genau, wie es uns der Offizier der »Nieuwland« geschildert hatte – an alten barbarischen Gebräuchen festhält. Die Umgebung von Tobo, wo der reiche Radjah Srî Widjojo als ein unbedeutender Vasall der Niederländer herrschte, war verhältnismäßig kultiviert und leidlich sicher. Auf dem Dampfer, der uns nach Ceram trug, erfuhren wir, daß der Radjah ausländische Gäste zwar nicht ohne Mißtrauen, aber höflich zu empfangen pflege. Er wisse auch, daß kein Europäer ungestraft beleidigt werden dürfe, und daß die Garnison über jeden Besucher wache. Wir würden uns mit einem Neffen des Radjah, der als Erbe des Herrschers gälte, sogar ganz gut verständigen können. Der junge Mann sei für Ceramische Begriffs weit in der Welt, besser gesagt in der Inselwelt, herumgekommen und habe etwas europäischen Firnis von Celebes mitgebracht. Die Mitgabe einer Bedeckungsmannschaft nach Tanuheli sei nicht unbedingt nötig, wenn wir uns nur zuvor vom Garnisonältesten für unseren Besuch anmelden ließen.
Sehr beruhigend wirkte diese Auskunft des Kapitäns nicht, und da die Vorsicht noch immer als Mutter der Weisheit gilt, entschloß sich Professor Scheffler, den erwähnten Garnisonältesten doch lieber um einen sicheren Geleitsmann zu bitten. Im übrigen hatten wir uns mit all den kleinen begehrten Gaben ausgerüstet, die bei den malayischen Eingeborenen als Geschenke oder Tauscherzeugnisse so ungemein beliebt sind: mit bunten Tüchern, Glasperlen, Spiegeln und Taschenmessern. Für den Radjah selbst kamen dergleichen primitive Gegenstände freilich nicht in Betracht, und wenn sein kleiner Hofstaat, wie sich später zeigen sollte, auch nicht entfernt an die Mächtigkeit indischer Höfe heranreichte, so hatten wir Srî Widjojo doch noch unterschätzt. So bewohnte er beispielsweise eine Art Kastell, wo wir nicht viel mehr als einen kralähnlichen Häuptlingsbau erwartet hatten, und die gärtnerischen Anlagen, die seinen Herrschersitz in meilenweiter Ausdehnung umgaben, verdienten mit ihren sorgsam geharkten Wegen und ihren steingefaßten Bächen mit Recht die Bezeichnung eines Parks.
Dieser Park, sanft am Ausgang einer Waldschlucht aufsteigend, war das erste, was wir vom Reiche des Radjah Srî Widjojo zu Gesicht bekamen. Wir waren früh am Tage in Tobo aufgebrochen, da wir zum Bedauern von Professor Scheffler, nur einen Tag und eine Nacht für unsere Expedition zur Verfügung hatten. Am nächsten Morgen bereits wollte unser Dampfer wieder die Anker lichten und, mit südlichem Kurs die Neira-Inseln anlaufend, nach Amboina zurücksteuern.
Der holländische Kommandeur, in dessen Blockhaus wir, aufs entgegenkommendste ausgenommen, den Abend und die Nacht nach unserer Ankunft in Tobo verbracht hatten, hatte es sich nicht nehmen lassen, uns einen seiner besten Unteroffiziere mit auf den Weg zu geben, einen gewandten, blonden jungen Mann, der wie das Urbild eines deutschen Friesen aussah und Derk de Jonghe hieß. Es machte ihm Vergnügen, uns zu geleiten, und niemand war froher als wir, sobald wir hörten, daß er die Sprache der Alfuren vollkommen beherrschte. Außer ihm begleitete uns eine stattliche Schar von Mischlingen, die sich als Wegführer, Träger und Diener angeboten hatten, schlanke, mittelgroße Gestalten, die lange Pfeile in ihrem Wollhaar trugen und deren Armringe in der Sonne funkelten. In langen Kanus mit Auslegern hatten sie schon schreiend und wild gestikulierend uns ihre Dienste angetragen.
Nach einem anderthalbstündigen Marsch durch den Park des Radjah erreichten wir das Dorf Tanuheli mit wohl mehreren hundert strohgedeckten und mattenbehangenen Hütten, die sich meist durch ihre Größe auszeichneten. Das deutete auf die Dichtigkeit des dem Radjah untertanen Stammes, dessen Vertreter uns Ankömmlingen in hellen Haufen und mit der naiven, lärmenden Freude neugieriger Kinder entgegenliefen. Im übrigen benahmen sie sich auf gesittete Weise, und man konnte ihnen, abgesehen davon, daß sich ihre Munterkeit etwas zu geräuschvoll äußerte, nichts zum Vorwurf machen. Unter dem Vorantritt dieser schwärmenden Scharen gelangten wir in den Vorhof des bereits erwähnten Kastells, hinter dem sich der Batu Gadjah erhob, der, nächst der Audienz, der wir entgegengingen, das Hauptziel unserer Reise bildete.
Der Radjah hatte uns, von unserem Kommen längst unterrichtet, schon erwartet und empfing uns in der Mitte des freien Platzes vor seinem Hause ... nach echter Fürstensitte sitzend, und zwar mit gekreuzten Beinen wie ein Buddha. Er trug ein weißes Gewand und einen purpurroten Turban. Er kaute Betel und spuckte das Gekaute von Zeit zu Zeit in eine bronzene Urne. Zahlreiche Diener um ihn herum waren damit beschäftigt, dem Thronenden mit riesigen Fächern Kühlung zuzuwehen und frischen Betel zu bereiten.
Ich erinnere mich nicht mehr der Worte, die uns der sehr wohlbeleibte, Mitte der Fünfzig stehende Srî Widjojo durch den Mund des Dolmetschers entbot. Ich weiß aber noch, daß seine Redeweise reich war an Ausdrücken der Zuneigung und des Wohlwollens. Seine lebhaften, listigen, braunen Augen hatten etwas Lauerndes, um nicht zu sagen Hinterhältiges, wie mir von Professor Scheffler und Derk de Jonghe alsbald bestätigt wurde. Letzterer hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berge, daß sich der alte Fuchs Srî Widjojo der süßlichen schmeichlerischen Redensarten nur aus Heuchelei bediene. Kein Mensch vermöge zu sagen, was er dabei denke. Als der Professor den Wunsch aussprach, den weit über Tanuheli hinaus berühmten Elefanten auf dem Batu Gadjah zu besichtigen, ging über das Gesicht des Radjah ein spöttisches Lächeln.
»Seht euch nur vor«, gab er dann zur Antwort; »dieser Elefant hat, wie ihr gehört haben werdet, noch einen jeden zerfleischt, der ihn zu berühren trachtete. Keiner darf ihn anrühren außer mir. Ich gebe euch meinen Neffen mit auf den Weg. Die Schätze kann ich euch nicht zeigen.« Und jetzt spiegelte sich ein wahrhaft spitzbübisches Lächeln in seinem Gesicht. »Der Elefant will es nicht. Er duldet es nicht.«
Der Neffe, der sich uns alsbald anschloß, war der junge Mann mit dem europäischen Firnis von dem uns der Kapitän erzählt hatte. Er entpuppte sich als ein höflicher, bescheidener Mann mit hochgewölbter Stirn und gebogener Nase, der außer einem weißen Band, das seine Stirn zierte, einen weißen Tropenanzug trug, der sich nur wenig von unserer eigenen Kleidung unterschied. Er war von schlankem, ebenmäßigem Wuchs und hatte mit dem Radjah nicht die geringste Ähnlichkeit. Viel Worte wechselte er nicht mit uns, obwohl er etwas Holländisch sprach. Derk de Jonghe sagte uns, daß er anfangs stets sehr schüchtern sei, im Laufe des Tages aber pflege er seine Schüchternheit abzulegen. Derk de Jonghe überbrachte dem jungen Mann zugleich eine Abendeinladung des Garnisonältesten, über die sich der junge Srî Kau-Iki, wie sein aufleuchtender Blick bezeigte, aufrichtig freute. Wir hatten also die Aussicht, mit ihm noch am Abend in Tobo zusammen zu sein, was uns ungleich lieber war, als wenn wir zur Gesellschaft seines Oheims verurteilt worden wären. Der junge Holländer klärte uns auf, daß der Radjah grundsätzlich Tanuheli nicht verlasse und dem Kommandeur, trotz erheuchelter Freundschaft, wo er nur könne, aus dem Wege gehe – ein Zustand, der sich übrigens von Kommandeur zu Kommandeur bei ihm vererbt habe.
»Er ist kein Freund von geraden Wegen«, setzte de Jonghe hinzu. »Alles tut er nur zum Schein. Und so mag es auch mit seinem Christentum bestellt sein. Er entnimmt das Geschmeide, das in seinem Elefanten aufbewahrt wird, meines Wissens nur an einem Tag im Jahr ... an einem religiösen Opferfesttag. Da haben Sie gleich den alten Heiden. Damit die Geschichte nicht auffällt, wird dieses geprängereiche Fest mit dem Geburtstag unserer Königin zusammen gefeiert. So schlägt der alte, geriebene Bursche zwei Fliegen mit einem Schlag. Seinen Alfoers ist er der Hohepriester und uns der ergebungsvolle Vasall.«
»Sollte die unter der Garnison über den Mann verbreitete Ansicht,« fragte ich, während Srî Kau-Iki mit dem Professor voranging, »nicht etwas hart sein?«
»O schwerlich! Wenn wir nicht hier wären, würden die Alfoers heute noch Menschenfresser sein. Die Radjahs sind immer die Tonangeber bei den früheren Metzeleien gewesen und Srî Widjojo in jungen Jahren einer der Grausamsten. Noch unter dem Vorgänger unseres Kommandeurs sind eines Tages zwei Weiße spurlos verschwunden. Ihre Spuren führten nach Tanuheli ... in die Höhle des Löwen – aber nicht wieder hinaus! Es sind, glaub' ich, Franzosen gewesen. Alle Nachforschungen nach ihrem Verbleib, an denen sich Srî Widjojo mit geradezu verdächtigem Eifer beteiligte, waren vergebens.«
»Dann glauben Sie also, daß die Unglücklichen von einem dieser kriegerischen Stämme niedergemacht wurden?«
»Allerdings. Und wenn nicht alle Zeichen trügen, sogar vom Stamme Srî Widjojos. Der Himmel mag wissen, wieviel Werg der alte Heuchler am Rocken hängen hat!«
Wir wurden von einem entzückten Ausruf unseres Professors unterbrochen. Das Denkmal des Elefanten, die berühmte und berüchtigte Schatzkammer des Radjah war erreicht! In Lebensgröße, mit mächtigen Vorderzähnen und aufwärts gekrümmtem Rüssel hob sich auf der Höhe des waldigen Hügels, dem er den Namen gegeben hatte, das Meisterwerk eines Künstlers, ein indischer Elefant, der zu leben schien! Zu dieser Täuschung forderte nicht nur im ersten Augenblick die Farbe des Tieres heraus, dessen kupferner Leib mit einer dichten Staubschicht überkrustet war, sondern auch die meisterhafte Nachbildung selbst. Der Rüssel schien zu tasten und zu greifen, die plumpen Füße mitten im Laufe inne zu halten, die Zehen sich in den Boden zu klammern, die zahlreichen Muskeln der Haut beweglich zu sein, das kleine, ausdrucksvolle Auge den Beschauer listig anzublinzeln.
»Nun? Habe ich zu viel gesagt?« Professor Scheffler sah mich triumphierend an. »Ein elephas sumatrensis, wie er leibt und lebt! Ein wahrhaft mustergültiges Exemplar. Sehen Sie nur diese Äuglein! Diese Ohren! Und dann« – jetzt sprang der Professor zur Seite – »diese kunstvoll ziselierte Schabracke für den Kornak! Das ist eine Kleinarbeit, die staunenswert ist. Ich werde das Tier von allen Seiten photographieren. Und unter der Schabracke ruhen vermutlich die Kleinodien, die wir uns leider nur denken müssen. Ich erfahre soeben von unserem Herrn Srî Kau-Iki, daß sich der Radjah mit den Juwelen nur am Geburtstage der Königin der Niederlande behängt. Und der Künstler eines solchen Meisterwerks ist unbekannt! Stückweise ist das Tier, wie ich höre, aus Makassar hierher gebracht und von kunstfertiger Hand an Ort und Stelle zusammengesetzt worden. Diese Arbeit eines unbekannten Indiers könnte unseren berühmtesten Bildnern zum Muster dienen.«
»Man sieht kein Schloß oder eine ähnliche Vorrichtung –«
»Natürlich nicht! Hier muß sicherlich an einer Verzierung gedreht werden, die dann erst das Schloß bloßlegt. Zum Beispiel ist mir das Vorderzeug etwas verdächtig. Sollte nicht unter den auffällig großen, bunten Glassteinen dieses Brustblattes das gesuchte Schloß liegen?« Professor Scheffler trat dichter an das Tier heran und war schon dabei, seine Hand nach dem über die Brust des Elefanten laufenden, glassteinbesetzten Gürtel auszustrecken, als ihn der junge Srî Kau-Iki mit einer blitzartig schnellen Armbewegung zurückriß.
»Um des Himmels willen!« rief er auf Holländisch und sah den Professor mit entsetzten Augen an. »Rühren Sie den Gürtel nicht an – oder Sie sind ein Kind des Todes!«
Der Professor sah sich bestürzt um, aber dann lächelte er: »Richtig! Um ein Haar hätte ich das vergessen. Ich bin aber leider durchaus nicht abergläubisch und denke, wenn man am hellichten Mittag und noch dazu mit lauterster Absicht Ihrem Herrn Schatzwächter zu nahe kommt, so wird es nicht gleich an Kopf und Kragen gehen.«
»Sie irren«, sagte Srî Kau-Iki. »Ein einfaches Berühren gerade jener Stelle, nach der Sie Ihre Hand ausstreckten, hätte Ihnen das Leben gekostet!«
Unter den ernsten Blicken des jungen Mannes wurde der Professor nun doch betreten. »Wie soll ich, der ich, wie gesagt, von jedem Aberglauben frei bin, das verstehen? Ist der Gürtel etwa elektrisch geladen?«
»Keineswegs!«
»Oder wollen Sie sagen, daß man durch die bloße Berührung sein Leben verwirkt, weil der Elefant in Ihrer Sprache Tabu ist? Ich hätte also die Berührung wie eine Gotteslästerung zu büßen gehabt? Man beobachtet uns vielleicht, berichtet es Ihrem Oheim, und dessen Leute und Gesetzesvollstrecker stürzen dann herbei und säbeln mich nieder?«
Srî Kau-Iki schüttelte sein Haupt. Immer noch lag ein edler Ernst auf seinen Zügen. »Es bedarf keiner Leute, die mein Oheim zur Strafvollstreckung aussendet. Der Elefant tötet jeden selbst, der ihm zu Leibe will.«
»Diese Legende ist allerdings verbreitet, aber wer nicht an Hexen und Zauberei glaubt, wird nach einer natürlichen Erklärung suchen, vorausgesetzt, daß es seine Richtigkeit damit hat, daß die Schatzräuber hier an Ort und Stelle getötet aufgefunden wurden.«
»Damit hat es seine völlige Richtigkeit. Ich habe selbst ein solches Opfer auf dem Platze, wo Sie noch eben standen, liegen sehen. Der Schädel des Mannes war buchstäblich gespalten. Und so wie jenem, ist es im Laufe der Jahre noch mehreren Schatzräubern ergangen. Wüchse hier nicht so hohes Gras, könnten Sie das Blut der von diesem Elefanten Erschlagenen sehen. Seit einigen Jahren hat sich übrigens niemand mehr von unserem Stamme an das Tier herangewagt. Sie meiden den Hügel wie ein verpestetes Dorf. Selbst am Tage des Festes, wo mein Oheim durch einen geheimen Druck auf den Gürtel des Elefanten das Behältnis öffnet, in dem der Schmuck verwahrt wird, folgt ihm nur der Schatzmeister Tamehe-Uli hierher. Das Volk verharrt in schweigender Angst am Fuße des Hügels. Jeder Alfure weiß, daß in diesem Elefanten böse Geister wohnen. Ich glaube an das letztere nicht. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß jeder auf der Stelle ums Leben kam, der den Glauben an dies Strafgericht verlachte.«
»Seltsam.« Professor Scheffler hatte aufmerksam zugehört, allmählich zeigte sein Gesicht wieder ein überlegenes Lächeln. »Sagen Sie, mein kluger Freund: Ihres Oheims Schatzmeister Tamehe-Uli sucht wohl diese Stätte sehr häufig auf?«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich sinne, wie Sie bemerken werden, noch der Lösung nach. Da Sie von gewissen bösen Geistern sprachen, die in diesem Prachtelefanten schlummern und immer im richtigen Augenblick wach zu werden scheinen, kam mir der Gedanke, daß Ihr Herr Tamehe-Uli oder eine andere Vertrauensperson mit den Dämonen eine Verbindung unterhält ... etwa derart, daß sich der Betreffende tagtäglich hierher begibt und die bösen Geister durch eine kleine Fütterung bei guter Laune erhält. Habe ich diesmal recht?«
»Nein, es tut mir leid, Herr – auch diesmal nicht.« Zum erstenmal huschte auch über das feingeschnittene Gesicht Srî Kau-Ikis ein Lächeln. »Sie werden vergeblich grübeln, wie ich es auch getan habe. Auch ich kam auf den Verdacht, daß ein Krieger meines Oheims im Innern des Tieres eingesperrt wäre. Ich habe hier Vertraute Wache halten lassen ... so lange, bis jeder hier etwa versteckte Mensch verhungert wäre.«
»Haben Sie oder jemand anders die Opfer unmittelbar, nachdem sich ihr Los erfüllt hatte, gesehen?«
»Jedenfalls kurze Zeit danach. Wie Sie sehen, steht hier keine Schutzwache, hingegen streift in Zwischenräumen von mehreren Stunden eine Anzahl von Kriegern den Batu Gadjah ab. Diese Wachen sind stets, wenn sich solch ein Strafgericht vollzogen hat, spornstreichs zu meinem Oheim geeilt. Es waren durchaus verläßliche Leute, die uns herbeiholten. Ich sagte Ihnen ja, daß ich einmal Zeuge einer solchen Sühne war. Ich möchte bei dieser Gelegenheit ausdrücklich betonen, daß auch der Schatzmeister meines Oheims ein Mann ist, dem man aufs Wort glauben darf. Ich verehre Tamehe-Uli wie einen Vater.«
»Dann verzeihen Sie meine irrige Annahme von vorhin. Ich fürchte, wir werden nun freilich um keinen Deut klüger, als wir kamen, den Berg verlassen.«
Wir merkten dem Professor seine Enttäuschung an. Er wäre gar zu gern hinter das Rätsel gekommen. Er flüsterte mir zu, er werde am Abend, wenn der Wein seine Wirkung auf Srî Kau-Iki getan habe, der Sache noch näher auf den Grund zu gehen suchen. Vorderhand mußte er sich damit begnügen, seine Lichtbildaufnahmen zu machen, wobei ihm Derk de Jonghe geschickt zur Hand ging.
Wir nutzten den Nachmittag dazu aus, uns mit den Sitten der Dorfbewohner bekannt zu machen. Sie waren zutraulich und gerieten über unsere kleinen Geschenke in unbändige Freude. Den Radjah bekamen wir diesmal nicht zu Gesicht, wohl aber seine Frauen. Sie hatten sanfte Züge und hübsche Gesichtsformen, wenn auch ihr Typus dem der Männer verhältnismäßig nachstand. Ihre Körperformen hatten nicht das Müde und Lässige an sich, das so vielen Stämmen Polynesiens eigentümlich ist. Daß sie gefallsüchtig waren, zeigte ihr Kopfputz. Ihre weißen Gewänder waren in anmutiger Weise um die Leiber geschlungen.
Auch den erwähnten Schatzmeister Tamehe-Uli sollten wir vor unserer Rückkehr nach Tobo kennenlernen. Er war ein ehrwürdiger Greis von heiteren, ruhigen Zügen, der sich äußerlich schon von seinen Genossen durch den weiten Mantel aus scharlachrotem Tuche unterschied. Aus der unmäßigen Länge seiner Nägel, sowie aus seiner Beleibtheit, die wenig hinter der des Radjah zurückstand, war zu entnehmen, daß sein hoher Rang ihm keine Arbeit auferlegte.
Er ließ uns durch den Dolmetsch-Unteroffizier fragen, ob wir den Schatz gehoben hätten. Und als der Professor das verneinte, meinte er: »Das ist auch besser so. Sie würden sich sonst die Finger verbrannt haben.«
»Mir hätte es schon genügt,« erwiderte Professor Scheffler, »wenn ich hinter das Geheimnis gekommen wäre, von dem alle Welt spricht. Ich mußte zufrieden sein, daß ich Ihren Elefanten photographieren durfte. Komme ich nun in meine Heimat, wird mir niemand die Geschichte dieses Dickhäuters glauben. Sie streift ohnedies stark ans Märchenhafte.«
Tamehe-Uli wiegte den Kopf. »Mag sie das immerhin. Aber Sie werden doch zugeben müssen, daß der Elefant auf Batu Gadjah seinen Zweck erfüllt.«
»Ah ... jetzt glaube ich hinter Ihr Geheimnis zu kommen!« Dem guten Scheffler gab sein Forschereifer keine Ruhe. »Es ist der Schrecken, den Sie um den Elefanten mit Fleiß gewoben haben. Ihre abergläubischen Leute werden dadurch gezähmt. So schreckt man bei uns zu Hause die Kinder, wenn sie ungehorsam sind, mit dem Schwarzen Mann!«
»Ich verstehe den weißen Mann nicht«, ließ hierauf der Alte antworten. »Geben Sie sich aber weiter keine Mühe. Nicht für Tausende von holländischen Gulden wäre mir das große Geheimnis feil.«
»So wüßten Sie darum?« fragte der Professor, in dem eine neue Hoffnung aufstieg.
Der Schatzmeister nickte. »Zwei Sterbliche kennen den Schlüssel des geheimen Wunders. Srî Widjojo und ich. Ich werde das Geheimnis mit in mein Grab nehmen. Dann weiß Srî Widjojo allein darum. Mag er es dann zu rechter Zeit seinem Nachfolger überliefern.«
»Und wenn Sie den Radjah überleben, Tamehe-Uli?«
Der Greis lächelte. »Dann müßte ich dem Nachfolger die Wahrheit sagen. Aber das ist ein Fall, den niemand erleben wird. Einmal erst war Srî Widjojo krank. Jetzt ist er gesund wie eine Gazelle.« Unwillkürlich lächelten wir über den Vergleich, während Tamehe-Uli fortfuhr: »Ich aber bin ein alter Mann ... im ganzen Dorfe der Betagteste. Sagten Sie nicht, daß Sie den Elefanten photographiert hätten?«
Als ihm der Professor das bestätigte, bat er, daß auch er für die Nachwelt photographiert werde. Er wünschte, daß es ein ebenso großes Bild werde, wie es in Tobo eines vom Kommandeur gebe. Dieser Bitte kam der Professor gern nach: wenn er sich aber geschmeichelt hatte, der alte Herr werde ihm zum Entgelt den Schlüssel seines Geheimnisses preisgeben, so sollte er sich getäuscht sehen.
Im Blockhaus zu Tobo angelangt, fanden wir unter schattenspendenden Palmen einen für uns festlich gedeckten Tisch. Der Kommandeur, dem der Professor sein Leid klagte, erklärte: »Das konnte ich Ihnen vorher sagen, daß Sie Nichts ausrichten würden. Vielleicht ist die ganze Geschichte Humbug. Man hat ein paar arme Burschen ermordet und vor den Elefanten hingeworfen, dann das Volk zusammengetrommelt und ihm gesagt: ›Da seht euch an, wie es denen ergeht, die das heilige Schatztier anrühren.‹ Mein Vorgänger hat sich keine Mühe verdrießen lassen, dahinter zu kommen, welcher Kultus mit dem Elefanten getrieben wird. Er witterte einen Götzendienst schlimmster Art. Unter ihm verschwanden zwei Europäer, namens Auprive und Basparon. Man hatte hier den Radjah im Verdacht, daß diese beiden in der eben angedeuteten Weise hingeschlachtet wurden, um das Alfoersgesindel von der Zauberkraft des Elefanten zu überzeugen. Die Untersuchung verlief ergebnislos.«
»Seltsam!«
Das Wort war mir herausgefahren. Im selben Augenblick stieß mich auch der Professor an.
»Ja, das ist ein höchst seltsames Zusammentreffen, das muß ich sagen. Der Name Basparon ist selten. Sollte unser Reisekamerad dieses Namens vielleicht der Vater oder der Bruder des vermißten Basparon sein, der hier die Nachforschungen nach letzterem aufnehmen will?«
Und nun erzählten wir den holländischen Offizieren von unserm wunderlichen Reisebegleiter, der Jules Basparon geheißen und mit uns in Amboina die »Nieuwland« verlassen hatte. Und während der Professor Scheffler das erzählte, fiel mir meine kleine Entdeckung ein ... das jähe Zusammenzucken des stillen Franzosen, als zuerst der Name Tanuheli fiel ... seine Erregung, die der Erwähnung des Elefanten auf Batu Gadjah folgte ... dann das feindselige Flackern in seinen Augen ... zuletzt sein Lächeln ... Haarscharf stand das alles wieder vor meinen Augen. Und mit einem Schlag konnte ich mir all diese Vorgänge ganz gut zusammenreimen, wenn es sich etwa so verhielt, wie der Professor annahm. Nur aus dem Lächeln, das zuletzt auf Jules Basparons Lippen gelegen hatte, wurde ich nicht klug.
»Ist er denn mit Ihnen hier angekommen?« fragte der Kommandeur. »Ihre Vermutung könnte richtig sein.«
»Mit uns fuhr Monsieur Basparon nicht hierher. Er dürfte, wenn meine Vermutung stimmt, demnach erst in vierzehn Tagen kommen. Oder mit einem Segelschiff. Ich muß noch erwähnen, daß unser Basparon zwei künstliche Hände besaß.«
»Wie? Keine Hände?« rief der Kommandeur. »Dies in Verbindung mit dem Namen Basparon klingt in der Tat äußerst merkwürdig. Das Händeabschneiden gehört zu den barbarischen Unsitten der Alfoers. Und in den Untersuchungsakten über Auprive und Basparon, die ich aufs genaueste studiert habe, findet sich die Angabe eines Mannes aus Tanuheli, daß er am Batu Gadjah eines Tages zwei abgehackte Hände im Grase entdeckt habe, die einem Weißen gehört hätten. Leider ist es nicht möglich gewesen, die Aussage des Mannes, der den schauerlichen Fund gemacht haben will, nachzuprüfen. Der Zeuge ist wie vom Erdboden verschwunden, nachdem ihn schon der gesamte Stamm für einen Besessenen erklärt hatte, der sich durch seine Angaben nur habe wichtig machen wollen. Aber wahrhaftig! Auf Ihren Mann des Namens Basparon bin ich begierig. Ich schicke sofort nach den Akten, um den Vornamen des vermißten Basparon nachzusehen. Es gibt jedenfalls zu denken. Daß Ihr Basparon mit unserem nichts zu tun hat, will mir einfach nicht in den Kopf.«
Mir ging es nicht anders. Es schien mein Schicksal auf dieser Reise zu sein, daß sich meine Gedanken immer mit einem Manne beschäftigen mußten, mit dem ich noch keine drei Worte gewechselt hatte.
Wie vorauszusehen war, erschien Srî Kau-Iki allein. Die Holländer machten keine großen Umstände mit ihm. Er fand bei der Abendtafel seinen Platz gegenüber dem Kommandeur, während Professor Scheffler rechts und ich links von ihm uns durch einen Platz ausgezeichnet sahen, der uns den Anblick auf die weite Fläche des blauen Pazifik gewährte. Es war eine Aufmerksamkeit für uns, daß auch unser Dolmetsch-Unteroffizier mit zur Tafel gezogen war.
Als die Windlichter gebracht wurden, kam der Professor richtig noch einmal auf den Elefanten zurück, der es ihm nun einmal angetan hatte. »Also ich ergebe mich in mein Los.« sagte er zu Srî Kau-Iki, »ich soll diesmal nicht der Mitwisser Ihres Oheims und des wackeren Tamehe-Uli werden. Aber die Hoffnung soll mich begleiten, daß Sie eines Tages, wenn Sie selbst Radjah von Tanuheli sein werden, den Schleier vor mir ein wenig lüften. Wollen Sie, lieber Freund?«
»Ich weiß nicht ...« sagte Srî Kau-Iki mit dem Versuche eines Lächelns. In demselben Augenblick reichte der Kommandeur, der über seinen Klemmer hinweg in einem Aktenheft gelesen hatte, dem Professor das Schriftstück und wies auf eine bestimmte Zeile.
»Wahrhaftig!« hörte ich Professor Scheffler ausrufen, der plötzlich vergaß, daß der Neffe des Radjah zuhörte. »Er heißt Jules ... Jules Basparon! Der Bruder kann es demnach nicht gut sein. Sollte die Möglichkeit bestehen ...«
Ich sah, wie unser Gegenüber leicht zusammenzuckte: Srî Kau-Iki kannte natürlich den Namen des Mannes und seines Gefährten, an die sich so peinliche Untersuchungen geknüpft hatten. Ich suchte ihn abzulenken, doch eben jetzt trat der Haushofmeister schnell hinter den Stuhl des Kommandeurs und machte ihm seine geflüsterte Meldung. Der Kommandeur schien erregt.
»Lieber Srî Kau-Iki ... erschrecken Sie nicht! Es sind Eilboten – Leute von Ihnen – da, die Sie zu sprechen wünschen. Ihrem Oheim ist etwas sehr Schlimmes zugestoßen.«
Eine allgemeine Bewegung entstand. Srî Kau-Iki eilte zu seinen am Tore wartenden Leuten. »Der Radjah von Tanuheli,« fuhr der Kommandeur fort, »soll eines plötzlichen Todes gestorben sein.«
Wiewohl die Nachricht niemand sonderlich erschütterte, kam sie doch allen Anwesenden völlig unerwartet – am meisten uns dreien, die wir noch am Morgen dieses Tages den Radjah, wohlgemut seinen Betel kauend, als ein Bild strotzender Gesundheit verlassen hatten. Die allgemeine Ansicht ging dahin, daß ein außergewöhnliches Ereignis das Ende Srî Widjojos herbeigeführt haben müsse, und es regte sich der Wunsch, Näheres zu erfahren. Einige Herren wollten Srî Kau-Iki begleiten, doch der künftige Radjah schien den Kopf verloren zu haben und war schon, ohne sich zu verabschieden, davongeeilt.
Ich muß gestehen, daß auch uns die Neugier trieb, und der Erfolg war, daß uns eine Viertelstunde später ein Wagen in das Dorf trug, das wir nicht so bald wiederzusehen gedacht hatten. Ein Leutnant der Station und Derk de Jonghe schlossen sich uns an. Vor Professor Schefflers Auge erstand sofort das Bild einer pompösen Leichenfeier, die er sich nicht entgehen lassen wollte.
Bereits unterwegs wurde uns die Kunde von Srî Widjojos Tod bestätigt. Der ganze Stamm war auf den Beinen, überall leuchteten Feuer und wanderten Fackeln. Wir erfuhren, daß der Radjah, vom Schlag getroffen, tot hingesunken sei. Eine furchtbare Nachricht hatte ihn zuvor erreicht. In all den krausen Reden, die uns entgegenschwirrten, kehrte immer wieder das Wort Batu Gadjah – Elefantenberg – wieder. Und unser Erstaunen wuchs noch, als wir hören mußten, daß der Elefant auf Batu Gadjah seines kostbaren Inhaltes beraubt und von Frevlerhänden zertrümmert worden sei!
Von diesem Augenblick an hatten wir nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich den Hügel zu erreichen. Er war von einer unübersehbaren Menschenmenge umlagert, die einem aufgestörten Ameisenhaufen glich. Scheu machte man uns Platz.
Vor dem Denkmal, vor unserem Elefanten, der sich im schwelenden Fackellicht noch gewaltiger ausnahm als am Tage, stand, von zwei Alfuren an den Armen gestützt, ein Greis. Es war Tamehe-Uli, der Schatzmeister. Als er unser ansichtig wurde, machte er eine Bewegung des Jammers und wies auf den Elefanten.
»Nun brauche ich Ihnen nichts mehr zu enthüllen. Da seht, was der frevle Räuber angerichtet hat!« Und dann fügte er hinzu: »Wir beschrieen das Unheil! Es ist wie ein reißendes Tier hereingebrochen. Srî Widjojo, mein Gebieter, brach zusammen, da ihm die Wache von diesem Raube erzählte. Ja, das Unfaßliche ist, während wir noch davon redeten, wahr geworden. Es ist ein Stärkerer gekommen, dem der Elefant nichts anhaben konnte. Sehen Sie, wie ihn der Räuber zurichtete!«
Der Professor stieß einen Ruf der Überraschung aus. Wohl stand der alte bronzene Schatzwächter noch mit aufwärts gerolltem Rüssel, aber welche Veränderung war mit ihm vorgegangen! Der Professor betrachtete ihn nicht anders, wie ein Kind sein geliebtes Schaukelpferd betrachten mag, aus dem plötzlich aus klaffender Wunde Werg und Sägespäne herausragen. Unter der Schabracke waren die Kassetten herausgezerrt, die den Schmuck des Radjah enthalten hatten. Geleert lagen sie am Boden. Vorn aber, unter dem Brustblatt des Dickhäuters, ragte eine schwere, harpunartige, glänzende Stahlstange heraus, vom eigenen Gewicht etwas abwärts geneigt; die scharfkantige Spitze befand sich etwa in mittlerer Mannshöhe.
»Verstehen Sie nun?« rief der Professor. »Oh, jetzt haben wir die Lösung! Das ist ja ein Teufelswerk, wie es in der Hölle selbst ausgesonnen zu sein scheint! Und da habe ich mir stundenlang den Kopf zermartert! Nun der Mechanismus zutage liegt, ist es beinahe beschämend, daß ich nicht auf den richtigen Trichter gekommen bin.«
Kopfschüttelnd waren Derk de Jonghe, der Leutnant und ich nähergetreten. Im ersten Augenblick war uns der Zweck der Harpune noch nicht klar, doch schon im nächsten durchzuckte uns das Begreifen.
»Ist das möglich? Ist das des Rätsels Lösung?«
»Sie und keine andere! Sehen Sie sich das Teufelswerkzeug nur näher an. Jetzt kann jedes Kind es berühren; der höllische Spuk ist gebrochen. Dabei ist der Mechanismus verhältnismäßig einfach. Mit Schaudern denke ich jetzt daran, daß ich heute mittag die bunten Glassteine im Brustblatt anfassen wollte. Hätte mich Srî Kau-Iki nicht zurückgerissen, wäre ich jetzt eine Leiche. Es wäre mir genau so gegangen wie den Schatzräubern, die früher hier ihr Leben ließen. In dem Augenblick, wo jemand die Glassteine berührte, wurde eine besonders starke Feder im Innern des Untiers ausgelöst, und gleichzeitig schnellte dann aus der Elefantenbrust diese fürchterliche Harpune heraus, die zweifellos jeden zerschmettern mußte, der vor dem Tiere stand. Wahrlich, dieser Schatzwächter ist nichts anderes gewesen als ein bissiges, schnappendes Ungeheuer.«
Mit wachsendem Staunen waren wir des Professors Worten gefolgt. Das also war des Pudels Kern! Mit dieser an sich nicht einmal besonders komplizierten Schlagvorrichtung waren die Schätze des Radjah behütet gewesen! Da mußte freilich jeder Dieb, der an den Steinen herumtastete, vom Verhängnis ereilt werden. Scheffler erläuterte uns, daß die Schabracke das Innere auf keine andere Weise freizugeben imstande war, wenn nicht zuvor auf die Steine des Vorderzeugs, die gemeinsam die Auslösung der mächtigen Feder bewirkten, gedrückt wurde. »Für den Wissenden,« fuhr er fort, »gab es, wie ich eben sehe, eine Sicherung. Drehte der Radjah an ihr, so war das Ungeheuer gezähmt. Nun, der Räuber hat ganze Arbeit gemacht und mit einem Axthieb den Mechanismus zertrümmert. Damit dürfte die furchtbare Maschinerie für immer unschädlich gemacht sein. Vielleicht läßt sich Tamehe-Uli jetzt zu Erklärungen herbei.«
Leider scheiterten die Versuche, aus dem Alten etwas Näheres herauszubekommen, auch jetzt. Er erklärte hartnäckig, daß ihn ein Eid binde und er niemand etwas verraten dürfe als dem neuen Radjah.
»Haben Sie auf jemand Verdacht?« fragte der Stationsoffizier.
Tamehe-Uli schüttelte den Kopf. »Es kam einer, der stärker war als der Zauber«, wiederholte er nur. Für diesen alten Alfuren schien das Ineinandergreifen des Mechanismus und Zauberwerk ein und dasselbe zu sein.
Von acht Fackelträgern geleitet, betrat Srî Kau-Iki den Hügel. Die tausendköpfige Menge fiel vor ihm in den Staub. Er trug ein Gewand, das dem nicht unähnlich war, das sein Oheim getragen hatte. Als er uns Europäer erblickte, drückte er jedem Einzelnen die Hand; dann sprach er lange mit dem greisen Schatzmeister.
Wir dachten daran, uns zu entfernen. Ein eintöniger Wehegesang wurde von der Menge angestimmt, und es hätte nicht des Hinweises seitens des Leutnants bedurft, um uns daran zu erinnern, daß die Alfuren bei ihren Trauergebräuchen nicht durch unsere Gegenwart gestört zu sein wünschten.
Als wir uns wandten, bückte sich Derk de Jonghe nach einem weißen Blatt. Er hob das Papier auf und reichte es dem Professor. Es enthielt nur wenige Worte in der Sprache von Tanuheli. Als der Dolmetscher sie übersetzte, zuckten wir erschüttert zusammen. Sie lauteten: »Die Rache ist mein! Jules Basparon«.
Es war kein Trug. Der Holländer, der die Worte verdolmetschte, war genau so erschrocken wie wir anderen. Wir wagten den Namen nur flüsternd zu wiederholen.
»Das kann nur unser Mitreisender geschrieben haben ... Basparon, der stille Gast der »Nieuwland«. Und der Zettel sollte dem Radjah in die Hände fallen ...«
»Er war für Srî Widjojo bestimmt ... Jules Basparon zertrümmerte den Elefanten ...«
»Aus Rache vollführte er den Raub. Ahnen Sie jetzt den Zusammenhang?«
»Uha ... uha!« klang das Wehgeheul der Alfuren zu uns herauf. Wie eine tosende Woge brandete es näher und näher.
»Aus Rache, verstehen Sie recht!« wiederholte der Professor. »Wenn ich nur auf eine einzige Frage von Tamehe-Uli Antwort bekomme, dann glaube ich alles, alles zu wissen. Und ich muß es herausbringen!«
»Kommen Sie, Professor«, mahnten wir ihn. »Das eilt nicht. Wir wollen den Zettel dem Kommandeur vorlegen. Tamehe-Uli ist jetzt ebensowenig zu sprechen wie der junge Radjah.«
»Sie mögen recht haben.« Professor Scheffler warf noch einen Blick zurück. Der Platz um den Elefanten wurde durch bewaffnete Krieger in weitem Kreise abgesperrt. Tamehe-Uli ließ geschäftig die Harpune, die das so sorgsam gehütete Geheimnis den Blicken preisgab, mit dichten Blättern überdecken. Dieser schlaue Alte dachte an die Zukunft und suchte zu retten, was noch zu retten war.
Der Wehegesang des trauernden Stammes verfolgte uns bis nach Tobo.
Der Kommandeur hörte uns in wortlosem Staunen an. Das Blatt mit den Schriftzügen des Franzosen wanderte von Hand zu Hand. Keiner hegte einen Zweifel, daß der seit Jahren Vermißte und der Mann, der geschrieben hatte: »Die Rache ist mein!«, ein und dieselbe Person sei.
»Den einen Schlüssel zur Lösung der Fragen, die sich gleichsam von selbst erheben,« meinte der Kommandeur, »haben wir in der Aussage des Alfoers, der voreilig verriet, daß er dereinst am Batu Gadjah die Hände eines Weißen gefunden hat. Ich zweifle nicht, daß Srî Widjojo den unbequemen Zeugen aus dem Wege räumte. Jules Basparon muß, trotz seiner grausamen Verstümmelung mit dem Leben davongekommen sein. Vielleicht hielt er sich bei einem Stamm verborgen, der mit dem von Tanuheli in Feindschaft lebte, und entkam dann zu Schiff von Ceram. In der Ferne wird er dann irgendwo seinem Racheplan gelebt haben, den er heute zur Ausführung gebracht hat. Natürlich sind das Mutmaßungen, doch hege ich die Hoffnung, daß Srî Kau-Iki nichts unversucht lassen wird, Licht in die dunklen Machenschaften seines Oheims zu bringen. Ich werde Sie dann benachrichtigen.«
Wir saßen noch bis Mitternacht zusammen. Der Name Jules Basparons war in aller Munde. Man bewunderte die Kühnheit des Mannes, der, trotz seines körperlichen Gebrechens, eine derartige Tat unternommen haben sollte. Er war freilich ein Räuber und ein kecker Verbrecher dazu, der, wie das hinterlassene Papier bewies, seiner Sache ziemlich sicher zu sein schien. Man hatte ihn nicht kommen sehen, man würde wahrscheinlich auch nicht Zeuge sein, wie er die Insel wieder verließ. Die Stimmung an diesem Abend neigte jedenfalls dahin, es möchte dem verwegenen Menschen gelingen, sich in Sicherheit zu bringen. Der Kommandeur der Station sah sich nicht dazu berufen, die Polizei für ein Verbrechen zu spielen, solange es dafür keine anderen Ankläger gab als den von Derk de Jonghe gefundenen Zettel. Dieses Papier aber versprach ihm wertvolle Dienste, wenn er damit von Srî Kau-Iki und dem alten Mitwisser des toten Radjah, Tamehe-Uli, eine Wiederaufnahme der Untersuchung über das Verschwinden von Auprive und Basparon verlangte.
*
Unsere Rückreise nach Amboina verlief ohne Zwischenfall und war vom besten Wetter – das war in unserem Falle eine leichte Brise – begleitet. Meile zu Meile legten wir zu der Entfernung, die uns von Tobo und Tanuheli schied, unsere Gedanken aber wollten sich nicht von den Erlebnissen des Tages auf Batu Gadjah losreißen. Immer mußten wir an Jules Basparon denken, und jetzt verstand ich auch, warum er gelächelt hatte, als der Offizier der »Nieuwland« von den Juwelen des Radjah erzählte!
Meinem Kabinenkameraden Scheffler ging es nicht anders. Als wir in Amboina das Schiff verlassen wollten, faßte er mich plötzlich am Arm. »Jetzt sehe ich schon am lichten Tage Gespenster!« sagte er. »Eben, als die Vorderdeckpassagiere in die Boote kletterten, glaubte ich unter den Malayen schon wieder den Menschen zu erspähen!«
»Wen? Etwa Jules Basparon?«
Er nickte. »Es waren seine Züge. Es war seine Gestalt. Es waren seine Bewegungen. Ich kann mich getäuscht haben. Aber es ist ja nicht ausgeschlossen, daß er die Verkleidung eines Eingeborenen gewählt hat.«
Ich mußte zugeben, daß dem Manne das jedenfalls zuzutrauen wäre.
Nach ein paar Tagen, als Professor Scheffler gerade in meinem Hotelzimmer war, um mir die von ihm entwickelten Lichtbilder zu zeigen, die den Elefanten und den alten Tamehe-Uli darstellten und vorzüglich geraten waren, klopfte ein chinesischer Diener und überreichte uns einen soeben eingegangenen Brief. Er trug den Stempel der Kommandantur von Tobo.
»Ich habe die Ehre,« schrieb uns der ritterliche Kommandeur, damit schneller, als wir erwartet hatten, sein Versprechen einlösend, »Sie davon zu benachrichtigen, daß dank dem Entgegenkommen des jetzigen Radjah von Tanuheli, Srî Kau-Iki, die angestellten Erhebungen über das Verschwinden der Franzosen George Auprive und Jules Basparon dazu geführt haben, eine leidliche Klarheit in das jahrelange Dunkel dieser geheimnisvollen Geschichte zu bringen.
Srî Kau-Iki ist in der Lage gewesen, folgendes festzustellen: Die genannten Franzosen haben sich fünf Monate im Dienste des verstorbenen Radjah aufgehalten. Auprive war Schlosser, Basparon Mechaniker von Beruf. Sie machten sich anheischig, dem verstorbenen Srî Widjojo eine Erfindung zu verkaufen – es handelte sich um die Ihnen bekannte Arbeit, die den Elefanten zu einem so gefährlichen Hüter der von Srî Widjojo zusammengeraubten Schätze machten. Um keine Mitwisser zu haben, hieß Srî Widjojo, nachdem die Arbeit vollendet war, die Mechaniker, statt sie zu bezahlen, aus dem Wege räumen. Während Auprive unter den Händen der Schergen des Radjah sein Leben ausgehaucht hat, hat bis heutigen Tages niemand vom Stamme der Alfoers von Tanuheli anzugeben gewußt, wo Basparon geblieben ist. Er hat sich seinen Schergen durch die Flucht zu entziehen verstanden. Dem Radjah wurde fälschlich gemeldet, daß er getötet sei. Zum Beweise, daß dem so sei, wies man ihm die abgeschnittenen Hände Basparons vor. Die Täter sind des Glaubens gewesen, daß Basparon seinen Wunden erlegen ist. Es ist jedoch festgestellt worden, daß sein Leichnam nirgends aufgefunden wurde. Die seinerzeit von Srî Widjojo gedungenen Henkersknechte sind mir namentlich bezeichnet worden, sie sind aber – wie vorauszusehen war – seit einigen Tagen spurlos verschwunden. Auch von den Schätzen, die auf Batu Gadjah geraubt wurden, und von dem Täter, als der nur Basparon in Frage kommt, fehlt jede Spur. Zweifellos hat er die Insel auf demselben Schiff verlassen, das Sie benützten. Ich höre eben von meinem Adjutanten, daß Srî Kau-Iki Befehl gegeben hat, das Denkmal des Elefanten von Grund aus zu zerstören ...«
»Vor ein paar Tagen«, meinte der Professor nach einer Weile, »hätte ich gesagt: ›Schade!‹ – heute denke ich, man darf die erste Regierungstat des jungen Radjah nur gutheißen ...«