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Unter den Sagen ist neben der Faustsage es vornehmlich die Sage vom Ewigen Juden, welche einen reichen Schatz entwickelungsfähiger Gedanken und Gestalten in sich trägt. Beide, die Faustsage und die Sage vom ewig wandernden Ahasver, haben deshalb mehrfach poetische Bearbeitungen, Wiedergeburten und Wandlungen erfahren. Die Faustsage hat ihren Meister gefunden, die Ahasversage harrt eines solchen noch. Indeß zählt sie Dichter genug und zwar noch weit mehr als die Faustsage, welche eine poetische Wiedergeburt derselben unternommen und wenn auch nicht in der hervorragenden, wie in Göthe's Faust, doch immerhin in beachtenswerther Weise gelöst haben. Göthe selbst hat derselben seine Aufmerksamkeit in hohem Grade zugewendet.
Während durch die Faustdichtungen ein Zug, ein Gedanke, eben der Faustgedanke geht, so treffen wir bei den verschiedenen theils episodischen, theils selbstständigen dichterischen Bearbeitungen der Sage vom Ahasver den ursprünglichen Gedanken mannichfach gedeutet, nach allerhand, oft großartigen Gesichtspunkten erweitert, mit anderen Ideen und Personen verknüpft.
Während die Sage von Faust und ihre Fortbildung eine wesentlich deutsche von Haus aus war, blieb und bleiben wird, weil sie mit dem deutschen Geiste wesentlich zusammenfällt, so ist die Sage vom Ewigen Juden eine kosmopolitische, wie denn auch die Figur des Ahasver selbst sich zum Vertreter der ewig ringenden, ewig sich neu gebärenden Menschheit erweiterte. Dabei ist es aber doch wieder der deutsche Geist, welcher im vorzüglichem Grade diese Sage cultivirt und mit höhern Gesichtspunkten versehen hat und Das bis in die neueste Zeit herein, welche gerade einige hervorragende Bearbeitungen ausweist.
Bevor wir die bedeutenden dichterischen Wandlungen der Sage einer näheren Betrachtung unterziehen, wird es nöthig sein, vorerst auf die ursprüngliche alte Sage zurückzugehen.
Das Material, das sich uns dabei bietet, ist nur ein sehr dürftiges. Es begrüßt uns hier nicht ein bereits ausgearbeitetes Sagenbuch, wie dasjenige über Faust's Leben, Thaten und Höllenfahrt. Die Sage von dem Ewigen Juden nimmt vielmehr in den deutschen Volksbüchern nur wenige Seiten ein. In der Bibel, wo man zunächst veranlaßt sein möchte, die Geschichte vom Ewigen Juden zu suchen, in der Bibel kommt von derselben nichts vor. Die einzige Stelle, von welcher man behauptet, daß sie jene Sage veranlaßt habe, findet sich im Ev. Joh. Cap. 21. Dort wird erzählt, wie Jesus nach seiner Auferstehung sich den am See Tiberias fischenden Jüngern, und zwar zum zweiten Male, gezeigt habe. Nachdem sie das Mahl zusammen gehalten, fordert Jesus den Jünger Petrus auf, ihm zu folgen. »Petrus aber«, heißt es dann wörtlich in der Schrift, »wandte sich um und sah den Jünger folgen, welchen Jesus lieb hatte, der auch an seiner Brust am Abendessen gelegen und gesagt hatte: »Herr, wer ist es, der dich verräth?« Da Petrus Diesen sahe, spricht er zu Jesu: »Herr, was soll aber Dieser?« »Jesus,« fährt die Schrift fort, spricht zu ihm: » So ich will, daß er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an? Folge Du mir nach? Da ging eine Rede aus unter den Brüdern: Dieser Jünger stirbt nicht.«
Hier handelt es sich also um eine dem Jünger Johannes gegenüber ausgesprochene Weissagung, während der Begegnung des Herrn mit dem Juden Ahasverus auf seinem Gange gen Golgatha in keinem der vier Evangelien Erwähnung geschieht. Ja der Name Ahasver kommt im neuen Testamente überhaupt gar nicht vor. Im alten Testamente findet sich derselbe als Bezeichnung des Cambyses und Xerxes. Es will demnach nicht scheinen, daß die Sage sich aus der Bibel herausgebildet hat, sondern daß man in der Bemühung, die Sage auf die Bibel zurückzuführen, auf die erwähnte Stelle gekommen ist, welche den Grundgedanken der Ahasversage an sich enthält.
Die erste Spur der sonach späteren Sage taucht im 13. Jahrhundert in der von dem englischen Chronisten Matthäus Parisiensis (einem Mönche Namens Paris) herausgegebenen Historia major auf. Darnach soll ein armenischer Bischof die Erzählung nach England gebracht haben, daß in Armenien ein Mann noch lebe, der Jesus gesehen habe und also ein lebendiger Zeuge gegenüber dem aufgetauchten Unglauben an der wahren Existenz Jesu sei. Dieser Mann Namens Cartaphilus sei Pförtner des Pallastes von Pontius Pilatus gewesen, habe Jesus, als er durch das Thor des Pallastes ging, mit der Faust in den Nacken geschlagen und zu ihm spottend gesagt: »Geh' hin, Jesus, immer geh' schneller, was zögerst Du?« Darauf habe Jesus geantwortet: »Ich gehe und Du sollst warten, bis ich wiederkomme.« Dieser Mann werde alle hundert Jahre von einer unheilbaren Schwäche ergriffen und falle in eine Art Ohnmacht. Dann aber werde er wieder gesund, lebe wieder auf und komme in das Alter, in welchem der Herr zu seiner Leidenszeit gestanden habe. Dieser Cartaphilus sei später Christ geworden, habe sich durch Ananias taufen lassen und den Namen Joseph erhalten. Er wohne in Armenien, sei sehr schweigsam, wandele in der Furcht des Herrn und warte auf die Wiederkunft Jesu, der die Welt im Feuer richten werde. Er hoffe, daß er den gekränkten Erlöser beim jüngsten Gerichte nicht mehr zürnend finden werde. Er hoffe auf Gnade, weil er unwissentlich fehlte, wie Paulus oder wie Petrus, der aus Furcht und menschlicher Schwäche, nicht aber wie Judas, der aus Habgier gesündigt habe.
Nachdem so die Sage von Armenien herüber nach Europa verpflanzt war, tauchte der Held derselben auch mehrfach in Person dort auf. Schon war er in Böhmen von einem Schuster gesehen worden, als er im Winter 1542 in Hamburg erschien. Der ihn dort sah, war der Doctor der heiligen Schrift und Bischof zu Schleswig, Paulus von Eitzen. Als dieser von Wittenberg, wo er studirte, nach Hamburg gereist war, hat er den ersten Sonntag nach seine Ankunft in der Kirche während der Predigt einen Mann von auf fallendem Aeußeren erblickt, welcher trotz des hohen Winters barfuß der Kanzel gegenüber stand. Derselbe, so berichtet Eitzen, war hochgewachsen, trug langes Haar, zerfetzte Hose, einen Rock und darüber einen langen Mantel. Er hörte der Predigt mit Andacht zu und so oft der Name Christi genannt wurde, schlug er sich verneigend an seine Brust und seufzte tief auf. Eitzen will dann weiter nachgeforscht und theilweis aus dem eigenen Munde des Mannes erfahren haben, daß er ein in Jerusalem geborener Jude, Namens Ahasverus, seines Handwerkes ein Schuhmacher sei. Er habe zur Zeit Christi in Jerusalem gewohnt und sei als treuer Anhänger der Hohenpriester und Schriftgelehrten dem auftretenden Heilande, als einem Ketzer und Versucher, feindlich gesinnt gewesen. Er habe deshalb mit dazu geholfen, ihn gefangen zu nehmen, ihn vor die Hohenpriester und Pilatus zu führen und habe sein »Kreuzige« mit über ihn gerufen. Als Christus nun auf seinem Todesgange vor seinem Hause vorbeigekommen, habe er alles Hausgesinde herzugerufen und selbst sein eigenes kleines Kind auf den Arm genommen, damit Alle sich an diesem Anblicke weideten. Als nun Jesus vor seinem Hause habe ausruhen wollen, habe er im Eifer und Zorn und um des »Ruhmes bei Anderen willen« ihn mit den Worten von der Schwelle getrieben, er solle sich wegverfügen, dahin, wohin er gehöre. Darauf habe Jesus ihn stracks angesehn und zu ihm also geredet: »Ich will allhier stehen und ruhen, Du aber sollst gehen bis an den jüngsten Tag.« Allsogleich habe er sein Kind niedergesetzt und sei von innerer Unruhe getrieben, dem Zuge gefolgt, habe die Kreuzigung mit angesehen und da er nicht vermocht, wieder nach Jerusalem zu kehren, sei er, ohne Weib und Kind wieder zu sehen, fortan ruhelos gewandert. Er habe gemeint, Gott wolle ihn wohl bis zum jüngsten Tage aufsparen als einen lebendigen Zeugen der Leiden Christi, zur Ueberführung der Ungläubigen und Gottlosen.
Dieser Bericht des Paulus Eitzen, den dieser mündlich seinen Schülern erstattet, und den Einer von diesen, der Westphale Chrisostomus Dädalus, im Jahre 1564 hat zu Druck befördern lassen, bildet den Inhalt des Volksbuchs vom Ewigen Juden, das als solches in erster Ausgabe »gedruckt in diesem Jahre« (1602) zu Leyden und gleichzeitig in Bautzen erschien.
Der Bericht erzählt dann weiter, daß dieser Ahasver sich längere Zeit in Hamburg aufgehalten und viele Neugierige aus weiter Ferne herbeigezogen habe.
Von jetzt ab taucht die Figur des Ahasver allerorten auf und mehrt sich die Anzahl derer, die ihn gesehen haben wollen, beständig. Da ist er erschienen in Madrid, Wien, Lübeck, Breslau, Moskau, Paris, in Naumburg, Stade, Brüssel – dort wie überhaupt in den Niederlanden führt er den Namen Isaac Laquedam –, Leipzig (1642), München. In Spanien trägt er eine schwarze Binde auf der Stirn, mit welcher er ein flammendes Kreuz bedeckt, das sein Gehirn eben so schnell als es wächst wieder verzehrt.
Aeltere Quellen als die angeführten liegen nach den treuen Forschungen Gräser's nicht vor. Es ist dabei bemerkenswerth, daß mit der Sage auch gleichzeitig die Person derselben auftritt, ja, daß was das Auftreten der Sage in Deutschland anlangt, die Person selbst erst die Sage nach Deutschland bringt; wenigstens scheint die letztere dem Berichterstatter vorher nicht bekannt gewesen zu sein, vielmehr er sie erst aus dem Munde des geheimnißvollen Fremden erfahren zu haben. Als ihre ursprüngliche Heimath werden wir demnach Armenien betrachten müssen; dort hat das Urbild aller späteren wandernden Ahasvere gehaust. Vielleicht daß dieser dort lebende schweigsame Heilige die Sage selbst erfunden und sich angedichtet hat! Doch fehlt der eigentliche Nachweis des Zusammenhanges beider Figuren, obwohl die Geschichte Beider, des Armeniers wie des Hamburger in den wesentlichen Punkten zusammenfällt und in unwesentlichen wie z. B. in Betreff der äußern Stellung des Ahasver aus einander geht. Bei dem deutschen Ahasver ist namentlich das Verhältniß desselben zu Christus schärfer und characteristischer gefaßt und in dieser Beziehung eine offenbare Fortbildung der Sage zu bemerken. Uebereinstimmend ist die Schilderung der Lebensweise Beider. Beide sind genügsam, dürftig in Kleidung, ernst, schweigsam, neugierigen Fragern unzugängig, mildthätig gegen Arme.
Es ist nicht unsere Sache zu prüfen, inwieweit diese aufgetretenen Ahasvere etwa unter die Kategorie der Schwärmer oder Betrüger gehören, für unser Interesse genügt es vielmehr festzustellen, daß die Sagenperson des ewigen Juden von jetzt ab existent geworden ist und ihre Wanderung durch das Reich der Poesie antritt, auf der wir sie nun verfolgen wollen.
Der erste größere Dichter, der sich der Sage gestaltend bemächtigt, ist Chr. Fr. Daniel Schubart. (Gedichte, Frankfurt 1787. N. Aufl. 1829.) Er entwirft in seiner Rapsodie »Der ewige Jude« ein ebenso gräßliches als erhabenes Bild. Sein Ahasver hat sich in die wüsten Einöden des Gebirges Carmel zurückgezogen, er füllt die gräßliche Oede seines Lebens damit aus, daß er aufgethürmte Todesschädel in wahnsinniger Freude fortwirft, daß sie Hüpfen und splittern. »Das ist mein Vater, das sind meine Weiber – meine Kinder«, ruft er ihnen nach. »Sie konnten sterben, aber ich Verworfener, ich kann nicht sterben. Jerusalem sank, ich zerknirschte den Säugling, ich rannte in die Flammen, fluchte den Römern – Rom sank, Nationen stürzten und – ich blieb.« Alle Todesarten hat er selbstmordend an sich vergebens versucht.
Das Grauenvolle, Entsetzliche in dieser Ahasver-Figur ist, daß sie nicht empfindungslos ist gegen die äußern Leidens-Eindrücke, die sie todessehnend heraufbeschwört, sondern alle Schmerzen bis zum Moment des Todes fühlt, ohne daß dieser Moment eintritt. Die Schlange sticht ihn, der Drache quält ihn, der brennende Wald versengt ihn.
Unter mir borst, (sagt er) die pulverschwangre Mine,
Schleudert mich hoch in die Luft,
Betäubt stürze ich herab und finde mich – geröstet
Unter Blut und Hirn und Mark –
»Den Staubleib tragen müssen mit seiner Todtenfarbe und seinem Siechthum, seinem Grubengeruche! Sehen müssen durch Jahrtausende das gähnende Ungeheuer: Einerlei.
Und die geile hungerige Zeit.
Immer Kinder gebärend und verschlingend!« Das ist sein fürchterlicher Fluch, geschildert mit der Phantasie eines Dante.
Nach dieser qualvollen Steigerung fällt die Rapsodie ab zu einem ruhigen Schlusse. Ahasver stürzt sich vom Gipfel des Karmel in die Tiefe. »Er sank, ihm klang's im Ohr, Nacht deckte seine borst'gen Augenlider. Ein Engel trug ihn wieder in's Geklüft. Da schlaf nun«, sprach der Gugel, »schlaf nun Ahasver, schlaf süßen Schlaf! Gott zürnt nicht ewig.«
Weit harmloser ist die Ballade, »Der Ewige Jude,« von Aloys Schreiber. Zuerst erschienen 1807 im Stuttgardter Morgenblatt, dann 1807 in S.'s poetischen Werken. Dessen Qual besteht darin, daß der Genuß des Lebens, der Natur, der andern Menschen vergönnt ist und den auch er sucht, ihm verschlossen ist, weil ihm hierzu die Ruhe fehlt, die jeder Genuß verlangt. Er kann weder an der Quelle trinken noch unterm Schatten liegen, er kann keine Blume pflücken, sich an ihrem Duft zu laben – er muß fort, er muß wandern. So stellt er sich im Gegensatz zum Schubart'schen Ahasver, der des Genusses, des Lebens längst überdrüssig ist, der nicht leben, der sterben will. Dieses ewige Entsagenmüssen hat ihn zuletzt scheu gemacht, er flieht die Menschen und jagt achtlos an Allem vorbei. Endlich bemerkt er am Wege ein Crucifix, will auch vorüberstürmen, sinkt aber von einem höhern Impuls getrieben, vor demselben nieder und fleht den Erlöser um Versöhnung an. Da redet Christus aus dem Kreuze zu ihm: »Wer gefehlt hat, darf bereuen und mein Antlitz keiner scheuen, der mich liebt und an mich glaubt.« »Und der Wanderer«, schließt dann die Ballade »sieht die Wunden
Und das Blut, das ewig wallt.
Plötzlich ist sein Geist entschwunden.
Und vom Leben losgebunden
Knieet am Kreuze die Gestalt.«
Es hat also diesem Ahasver blos am Glauben gefehlt um sich von dem Fluch des genußlosen Dahinstürmens zu lösen.
W. Müller hat in seinen reizenden sangbaren Wanderliedern Werke, herausg. v. G. Schwab 1830. Band 1. den ewigen Wanderer auch mit herzugenommen, um ein tief elegisches Bild der Oede und des Verlassenseins, der Qual des übersättigten und nur noch im Tode Ruhe suchenden Lebens zu gewinnen. Es geht durch dies kleine Gedicht »Der Ewige Jude« der Zug einer die Seele durchschauernden Melancholie.
Ich habe Alles schon gesehn
Und darf doch nicht zur Ruhe gehn,
ruft der gequälte Wanderer. Alles um ihn her hat ein Ende, einen Ruhepunkt im Tode, der Fluß im Ocean, der Adler auf der Alpe, die Wolke als Regen, und auch:
Der müde Wand'rer dieser Welt,
Ein sicher Ziel ist ihm gestellt.
Was klagt er ob des Tages Noth?
Vor Nacht noch holt ihn heim der Tod.
In tiefer Mitleidsregung klingt das Gedicht dann am Schlusse in eine Bitte aus:
O Mensch, der Du den Lauf vollbracht
Und gehest ein zur kühlen Nacht,
Bet', eh' Du thust die Augen zu,
Für mich um eine Stunde Ruh'.
In gleicher Weise war für die elegische Muse Lenau's der ruhelose Geächtete eine naheliegende Figur. Wie dort in den Wanderbildern, findet sich das betreffende Gedicht »Ahasver der ewige Jude« bei Lenau in den Haidebildern. Wir sehen auf einem entlegenen Haiderain Hirten um die Leiche eines früh verblichenen, von Allen geliebten Jünglings weinend stehn. Da kommt die Haide daher ein Wanderer, greise Locken, tiefgefurchtes, fahles und kaltes Antlitz, langer Silberbart, in dunkler Höhle der glühende Augenstern. Er tritt an die Bahre und ruft in einer Mischung von Hohn und Wehmuth:
Hemmt Eurer Thränen undankbare Fluth.
Sein Schlaf ist gut, oh! dieser Schlaf ist gut,
Wenn er auch Thoren Eures Gleichen weckt – – –
Sein Herz ist still, das meine ohne Rast
Pocht Tag und Nacht in ungeduldiger Hast,
Auf daß es endlich einmal fertig werde
Und seinen Sabbath find' in kühler Erde.
Es ist die düst're Philosophie des Weltschmerzes im Stile Schopenhauers, welche der finstere Wanderer nun weiter entwickelt, wenn er darlegt, die Erde sei nur die Lüge des Paradieses, es sei noch immer die alte Täuschung wie beim Kartenschlagen, noch immer der uralte Tand von Blüthentreiben und Zerstören – eine Philosophie, die denn auch in der Vermählung mit dem Tode – »Laß Dich umarmen Tod in dieser Leiche« – (im Wahnsinn oder Selbstmord) ihren Abschluß findet und in Lenau selbst sich gleichsam verkörperte.
Inzwischen, geht das Gedicht weiter, haben die Hirten den Sarg zugedeckt. Da schaut der Fremdling auf dem Deckel das Crucifix. Er erschrickt und weint. Aus Lenau-Schopenhauer entpuppt sich nun erst Ahasver. Derselbe erzählt uns sein Schicksal, die Verstoßung Christi und dessen ihn treffenden Fluch in der gang und gäben Weise der Sage. Er führt uns die verschiedenen Todesarten auf, die er vergebens an sich versucht. Dann geht er fort – weiter – weiter – ob seinem Haupt die Haidevögel schwirren – ein langer Schatten geht hinter ihm her – die Hirten schauern und bekreuzigen sich. Das Gedicht endet als Fragment wie Lenaus eignes Leben.
In derselben subjectiven, aber weit untergeordneter Weise behandelt den geplagten Juden Chamisso. Werke 1836–38. Band 3. Sein »neuer Ahasver« ist nichts weiter als ein unverstandner und unerhörter Liebhaber, dessen Geliebte sich an einen Anderen verheirathete. Dieser verschmähte Liebhaber vergleicht sich nun mit Ahasver, der auch nicht sterben und ruhen könne bis zum jüngsten Tage, während die Ungetreue in dem gefallenen Jerusalem sich dargestellt findet. Es drängen sich in das Gedicht hohe Gedanken. So wenn es von Ahasver heißt: es ständen vor ihm still die Zeiten, Menschenalter deuchten ihm Minuten und Minuten Menschenalter, er komme alle hundert Jahre wieder gen Jerusalem und sinne düster über öden Trümmern, wie er sie wieder ordne, wie Keiner aber sich um ihn kümmere und er so immer wieder auf dem Grabe stehe, der »versteinte Sohn der Schmerzen« – aber sie lassen das Mißverhältniß zwischen Zweck und Mittel nur um so greller zu Tage treten.
Das Gedicht Schlegel's »Der ewige Jude« lehnt sich ganz an die alte Sage an bietet und nichts Besonderes. Ahasver erliegt dem Fluche des Unglaubens und durchzieht die Welt als Warner für alle Unglücklichen, bis das Wiedererscheinen Jesu ihn ablöst.
Auch Göthe, hat die poetische Gestaltung der Sage schon früh und wiederholt im Geiste erwogen. Die Sage, so erzählt er uns in »Wahrheit und Dichtung«, hatte sich schon aus den Volksbüchern in der Phantasie des Knaben eingebürgert. Sie sollte sich ihm zu einem Epos formen, in welchem »die hervorragendsten Punkte der Religions- und Kirchengeschichte zur Darstellung« kämen. Die Figur eines Dresdner Schusters, den er während seiner Leipziger Studienzeit hatte kennen lernen, sollte ihm dabei als Modell sitzen. Namentlich malt er sich im Geiste den Besuch Ahasver's bei Spinoza aus, der ihm Gelegenheit geben würde, seiner hohen Verehrung der spinozistischen Lehre Ausdruck zu geben. Allein es kam, was er noch später bedauerte, nicht zum Niederschreiben. Und statt des erhofften großen Epos müssen wir uns begnügen mit dem uns überlieferten Fragmente einer – Burleske, die sich nicht über die gleichzeitigen Producte des Jahrmarktfestes zu Plundersweilen und des Pater Brey erhebt. Noch einmal, auf seiner italienischen Reise, kam Göthe auf den Stoff zurück. »Dem Mittelpunkte des Katholicismus mich nähernd«, schreibt er in einem italienischen Briefe vom 27. Oktober 1786, »von Katholiken umgeben –, trat mir so leibhaft vor die Seele, daß vom ursprünglichen Christenthume alle Spur verloschen ist; ja wenn ich es mir in seiner Reinheit vergegenwärtige, so wie wir es in der Apostelgeschichte sehen, so mußte mir schaudern, was nun auf jenen gemüthlichen Anfängen für ein unförmliches, ja barockes Heidenthum lastet. Da fiel mir der ewige Jude wieder ein, der Zeuge aller dieser wundersamen Ent- und Aufwicklungen gewesen und so einen wunderlichen Zustand erlebte, daß Christus selbst, als er zurückkommt, um sich nach den Früchten seiner Lehre umzusehen, in Gefahr geräth zum zweiten Male gekreuzigt zu werden.« Selbst noch weit später, im Jahre 1808, kommt er in einer Aeußerung gegen Riemer wieder auf den Stoff zurück. In Wahrheit und Dichtung Göthes Werke, 22. Band, S. 232. deutet er den Inhalt des beabsichtigten Epos bis zu dem Momente des Fluches an. Es ist interessant, seine Auffassung hier kurz wiederzugeben und zwar schon um deswillen, weil auf derselben verschiedene spätere Bearbeiter fußen. Es ist folgende: Ahasver, ein mit Hans Sachsens Geist und Fülle ausgestatteter Schuster in Jerusalem, dessen Sinn bloß auf die Welt gerichtet war und der von seiner offenen Werkstatt aus auch beständige Fühlung mit derselben hielt, faßte zu Jesus, der öfter auch dort verweilte, eine besondere Neigung, die sich hauptsächlich dadurch äußerte, daß er den hohen Mann, dessen Sinn er nicht faßte, zu seiner eigenen – weltlichen – Denk- und Handelsweise bekehren wollte, daß er ihn zu bestimmen suchte, aus der Beschaulichkeit hervor zu treten, nicht mit solchen Müssiggängern im Lande herum zu ziehen, nicht das Volk von der Arbeit hinweg an sich in die Einöde zu locken. Dieser Anschauung gegenüber versucht Christus vergeblich den »derben Mann« über seine höhern Absichten und Zwecke sinnbildlich zu belehren. Je mehr nun Christus heranwächst, desto heftiger regt sich der Zorn Ahasvers, der bereits Unruhen entstehen und Christus wider seinen Willen zum Parteihaupte werden sieht.
Dabei tritt gleichzeitig die Figur des Judas Ischarioth in origineller und bedeutender Auffassung mit in die Scene. Derselbe ist nämlich der festen Ueberzeugung gewesen, daß Christus sich als Regent und Volkshaupt erklären werde und hat gegenüber seinem seither unüberwindlichen Zaudern ihn mit Gewalt zur Entscheidung zu bewegen versucht. Er hat deshalb die Priesterschaft zu Thätlichkeiten aufgereizt, die sie für sich allein nicht zu thun gewagt hätte. Und nun habe, erzählt er voller Verzweiflung in die Werkstätte eintretend dem befreundeten Ahasver, obwohl man auf Seiten der Jüngerschaft wohl bewaffnet gewesen, Jesus ohne Weiteres sich ergeben und sie in den traurigsten Verhältnissen zurückgelassen. Ahasver verbittert in seinem eigenen Zorne den Zustand des Verzweifelten nur noch mehr, so daß dieser hingeht und sich entleibt.
Als nun Jesus, der sonach durch eigene Schuld unglücklich geworden war, an der Werkstatt vorbei zum Tode geführt wird, tritt Ahasver heraus und überhäuft ihn mit Vorwürfen, daß er seine Warnungen nicht befolgt habe. Jesus schweigt, aber die liebende Veronica bedeckt sein Gesicht mit ihrem Tuche und da sie es wieder hinwegnimmt, erblickt Ahasver darauf das Antlitz des Herrn, nicht in Leid verzerrt, sondern in herrlicher Verklärung. Geblendet von dieser Erscheinung wendet Ahasver sich ab und vernimmt die Worte: »Du wandelst auf Erden bis Du mich in dieser Gestalt wieder siehst.«
In dem erwähnten, uns überlieferten Gedichte »Der Ewige Jude«, von welchem Göthe, wie er zu sagen beliebt, »nur den ersten Fetzen« und auch diesen nur in einzelnen Fragmenten giebt, wird der »Schuster in Judäa« wohl bekannt als Vorsteher einer Art Methodistengemeinde eingeführt und auf diese sowie die Priester überhaupt Spott gehäuft. Bedeutender und theilweis voll Ernst und Schwung ist die Partie des Gedichts, worin die Wiederentsendung Christi nach der Erde erzählt wird. Christus findet, daß die Welt ihn und seine Lehre vergessen hat. Dies wird, freilich zum Theil wieder in derb realistischer Weise, ausgeführt, wie wenn es heißt: Christus ging durchs Stadtthor und sagte: Kinder, ich bin des Menschen Sohn, die Wache ihn aber wunderlich anguckt und nicht weiß, was er damit sagen will, bis ein »branntweiniger« Corporal meint: »Was mögt Ihr Euch den Kopf zerreißen, sein Vater hat wohl Mensch geheißen«, und wenn er später beim Besuch des Herrn Oberpfarrers von der Köchin barsch abgewiesen wird, weil der Herr im Convent und darum nicht zu sprechen sei.
Wir müssen es immer wieder bedauern, daß Göthe nicht über diese Bearbeitung des großen Sagenhelden, der neben Prometheus und Faust ein ebenbürtiger Dritter für ihn gewesen wäre, hinaus gekommen ist. Ein Interesse Schillers für den Stoff ist nicht nachgewiesen, möglich indeß, daß bei der Figur des geheimnißvollen Armeniers in dem Geisterseher jener armenische Cartaphilus-Ahasver ihm vorgeschwebt hat.
Die erste größere selbstständige, nicht bloß episodische Bearbeitung des Ahasver hat Julius Mosen unternommen in seinem 1838 Dresden und Leipzig bei Gerhard Fleischer. erschienenen epischen Gedichte »Ahasver«. Nach den das Stück begleitenden Anmerkungen ist die Sage mit des Dichters frühsten Jugenderinnerungen verwebt, da dem Gerüchte nach der ewige Jude durch seinen Geburtsort gegangen ist und ein Schäfer mit ihm gesprochen hat. Diese Jugenderinnerung hat Mosen verfolgt bis zu ihrer poetischen Verwirklichung. Als Idee der Sage bezeichnet Mosen die im irdischen Dasein befangene Menschennatur, gleichsam den in einem Einzelwesen verleiblichten Geist der Weltgeschichte, der erst im unbewußten Trotze, dann endlich mit deutlichem Bewußtsein dem Gotte des Christenthums sich entgegenstellt. Es wird hier also mit einem Male in der Fortentwicklung der Sage ein ganz bedeutender Schritt vorwärts gethan.
Mosen verleiht trotz dieser abstracten Auffassung seinem Ahasver von vornherein einen rein menschlichen Zug. Ahasver hat von seiner inzwischen verstorbenen Frau zwei schöne Kinder, Eva und Ruben. Einem in Jerusalem anwesenden jungen Römerfürsten gefallen diese Kinder, er möchte sie mit nach Rom nehmen, wendet sich deshalb an Pilatus und Pilatus befiehlt Ahasver, die Kinder herzugeben. Der verzweifelte Vater sucht Hülfe bei Jesus, dem neuen Propheten. Er will an ihn und sein Messiasthum glauben, wenn er ihm die Kinder rette. Jesus aber hat kein Ohr für solche Privatwünsche, ja er verkündet sogar, nach den Gesetzen des Weltgerichts, den Untergang von ganz Jerusalem. Da zerreißt in Schmerz und Zorn Ahasver sein Gewand und zeiht Jesus der Lüge und des Betruges.
»Du unser Gott? – Und retten kannst Du nicht?
Ob Mensch ob Gott - Du hast das Volk betrogen.«
Als der Römerfürst die Kinder holen will, hat Ahasver sie ermordet. Stumpf und brütend wie »steingewordener Mord« vergräbt er sich in den Unglauben. »Das ganze Elend, das über Israel gekommen, womit hat es dasselbe verschuldet?« fragt er sich. »Mit Gottesfurcht. – Was also drängt der Mensch, den ja die Erde nährt, dem stolzen Gotte nach! So von mir werfen will ich sein Gedächtniß: Tod diesem Nazarener, Gott und Allem.« Also ward er zum Gottesleugner.
In dieser Erregung weist er den um Rast stehenden Heiland mit schnödem Spott von seiner Thüre und empfängt dafür dessen Richterspruch in dem Worte: »So lebe denn das ewige Leben ruhelos hienieden.« Somit hätte der Dichter den ausgesprochenen Gegensatz schon festgestellt und wäre sonach sein Programm erfüllt. Allein er hebt, um nicht schon am Ende zu stehen, das eigene Programm wieder auf, indem er Ahasver durch den Erzengel Michael die Hoffnung auf Gnade in drei Prüfungsfristen in Aussicht stellt.
Durch diese drei Gnadenfristen hindurch bewegt sich das Gedicht weiter. Ahasver hatte wieder gefreit und wieder zwei Kinder, Eva und Ruben. Rom kündet Juda den Kampf an und dringt siegend vor. Titus belagert Jerusalem. Ahasver grollt mit Gott, der nicht helfen will, und zündet dessen Tempel an. In der Feuersbrunst steht er hochragend und trotzig mit seinen Kindern und »wie erschrocken alle Flammen weichen«. Der Geliebte Lea's, Mathias, ist Christ geworden und deshalb von Ahasver als Freier abgewiesen. Er steht im Römerheere und dringt verzweifelt durch die Flammen hin zur Geliebten. Ahasver heißt ihn höhnend willkommen als »den zärtlichsten der Freier« und wirft ihn jäh von sich zurück hinunter in das wüste Feuer.
»Aufschreien seine Kinder vor Entsetzen
Und Beide schleudert Ahasver ihm nach
Und rief: Hier schnöder Gott kannst Du Dich letzen.
So ist die erste Frist für den in Unglauben Zurückgefallenen ohne Erlösung verstrichen.
Es beginnt die zweite.
Ahasver hat bereits alle Todesarten an sich vergebens versucht, er zählt sie auf. Er wendet sich direct an den Tod mit der Bitte, sich seiner anzunehmen. Der Tod entgegnet, er habe die Weisung ihn so lange zu verschonen, bis er an Gott glaube. Ahasver aber ruft im alten Trotze:
Ich heb empor die ganze Ewigkeit,
Ein
ew'ger Mensch in Menschenlust und Leid.
Er tritt von Neuem als Vater von zwei blühenden Kindern, Lea und Ruben, in die Scene. Schon breitet sich um ihn her das reinste, stillste Vaterglück. Da kommt im Gewitter der Gott Juda's zu ihm und will im Grimme gegen Christus den alten Bund mit ihm erneuern. Verblendet folgt ihm Ahasver. Jener sendet ihn zu Julian, dem Apostaten und gewaltigen Gegner des Christenthums. Ahasver kommt dort in dem Moment an, als der verwundete Julian durch die nächtige Erscheinung des Heilandes an seinem Heidenthume irre zu werden beginnt. Ahasver gewinnt ihn wieder für die Gegnerschaft und erlangt von ihm den Wiederaufbau des Tempels Juda. Dort aber erhebt sich unter den Bauleuten Streit und Hader. Die Ordnung kommt in Verwirrung, der Bau stockt, Einer starrt den Andern an. Da verkünden Seher, daß zwei Götter beim Bau sich stritten, der Gott Juda's und der Gott der Christen, der letztere könne nur zum Weichen gebracht werden durch Menschenblut, durch das Blut zweier unschuldigen Kinder, gleich wie die Erde ihr eigenes Blut getrunken habe. Da bietet Ahasver die eigenen Kinder zum Opfer dar. Eh' das Opfer sich vollendet nimmt Christus unsichtbar die Kinder zu sich. Nun – berstet die Erde, Flammen steigen auf und verzehren den neuen Tempelbau, das Werk von Menschenhand. Gnadlos verstrich so dem zweimaligen Mörder seiner eignen Kinder die zweite Frist.
In der dritten Frist führt einleitend in einer Dante nachgeformten Stelle der Tod die Seelen an Ahasver vorüber. Auch dieser ringt und zwingt sich zum Tode. Schon ist seine Seele zu einem Nebelhauche zerronnen, noch aber bleibt ein Punkt zurück, den der Wille nicht mehr zu zersplittern vermag.
Dieser Punkt fängt wieder an sich zu gestalten, Dasein und Körper zu gewinnen. Es ist derselbe Lebenspunkt, der durch die ganze organische Natur geht und nirgends Vernichtung, aber auch nirgends Ruhe zuläßt. So packt auch unseren Wanderer von Neuem die Nothwendigkeit des Lebens. Und wieder kommt der Gott Juda's und stachelt ihn auf zum Kampf wider Christi Lehre. Und wieder folgt er ihm. Er weist ihn nach Arabien, wo Muhamed mit gefeitem Schwerte die Völker führe zur Vertilgung der Herrschaft des Kreuzes. Ahasver verbündet sich mit ihm Jerusalem zu erobern, er ruft sein Volk auf, aber es hört nicht, verstockt sind seine Herzen, taub die Ohren, es verfolgt ihn mit Steinwürfen, ihn der so viel um es geduldet: da sagt er sich weinend von ihm los und wendet fortan seine Liebe der Menschheit zu.
So ist im Sprunge Ahasver zu einem gewaltigen Heros der Menschheit emporgewachsen und die Ziele, die er sich steckt, steigen noch weit über das ursprüngliche Programm hinaus. Wir finden ihn dann wieder, wie er an der Spitze der Reiter Muhameds die Wächter vom heiligen Grabe jagt, und Jedem den Tod androht, der sich dem Grabe nähert. Alles ergreift die Flucht, nur zwei Kinder bleiben, es sind die Kinder Ahasvers. Er umarmt sie und jubelt, daß er sie wiedergefunden. Da erinnert ihn der Feldherr des Muhamed an den eigenen Befehl, wonach er Jedem, der sich dem Grabe nahe, den Tod geschworen. Jammernd schreit er auf. Er ist zum dritten Male durch eig'ne Verstrickung dem Fluche des Unglaubens verfallen. Die dritte Frist verrann. »Heran! Mordet mich! Wer löst mein Wort,« ruft er verzweifelt. Da schwirren Pfeile. Die Kinder fallen, auch er sinket dahin – um von Neuem zu erwachen, und nun seine eigentliche Mission zu vollenden.
»Das Eine war vollendet«, ruft er aus,
»Das Andere beginnt, das keine Zeit
Und nicht die dunkle Ewigkeit beendet.
Von ihm und seiner Gnade losgekettet
Beginn ich jetzt mit ihm den langen Kampf,
Bis ich von ihm die Menschheit hab errettet.«
Er sagt also Christus den Krieg an immerdar »im Namen aller Kräfte und Gewalten, aller Seufzer, aller Schmerzen, vergossener Thränen und vergossenen Bluts, gebrochener Seelen und zertretener Herzen«. Christus aber nimmt den Kampf auf.
»Mir gegenüber hast Du Dich gestellt
Wie ein Gedanke wider den Gedanken.
So ringe weiter! weiter! Zwischen beiden
Wird einst, wo sich vollendet hat der Kreis,
Das allerletzte Weltgericht entscheiden.
Damit schließt das Gedicht, oder es schließt eigentlich nicht, es vertagt seinen Schluß bis zum letzten Weltgericht. Ja der Kampf beginnt nun eigentlich erst, er dauert noch fort und fort der Kampf zwischen Ahasver und Christus, zwischen Menschheit und Christenthum, zwischen Erde und Himmel.
Einige Jahre nach dem Erscheinen dieses Mosen'schen Ahasver spukt die Figur des ewigen Juden von Neuem gar gewaltig in den Köpfen der französischen, deutschen, ja der ganzen civilisirten Lesewelt – in dem Helden des Eugen Sue'schen Romanes: Der ewige Jude Erschienen 1844. In Jenes Begleitung erschien darin zugleich ein weiblicher Ahasver, eine ewige Jüdin. Es ist Herodias, die das Haupt Johannes des Täufers einst um einen Tanz begehrte. Die Figur verdankt indeß nicht blos der französischen Galanterie, sondern einer alten Legende ihr Dasein. Dieser Legende oder Sage nach soll Herodias Johannes geliebt und das Haupt ihm nur deshalb haben abschlagen lassen, weil er ihre Liebe verschmähte. Grimm hält sie für identisch mit Frau Holle. Beide theilen ein gemeinsames Verhängniß. Auch Herodias ist durch ihre glaubensbare Unthat dem Fluche der Ruhelosigkeit des ewigen Wanderns anheimgefallen. Wenn der Schmerz ihres männlichen Gegenparts zu groß ist, ruft er nach ihr und sie hört seine Stimme am andern Ende der Welt. Sie sehnen sich zu einander, er, der Handwerker, sie die Königstochter und doch ist's ihnen nur vergönnt, einmal in hundert Jahren sich zu begegnen in der Leidenswoche des Herrn. So treffen sie sich im Eingang des Romans am Nordpol, da wo zwei Welten hart an einander stoßen. Flehend strecken sie ihre Arme gen Himmel. Wieder Eins! rufen sie dem entflohenen Jahrhundert nach und von Neuem beginnt ihr ruheloses Wandern. Sie sind Beide noch jung und altern nicht – im Gegensatz zur alten Sage. Ahasver ist von hohem Wuchse, edeln aber traurigen Gesichte, das Haupt beständig zur Brust gesenkt. Die Augenbraunen hängen mit einander zusammen und bilden eine Linie von einer Schläfe zur anderen. Unter seinen Fußsohlen befindet sich ein Kreuz aus sieben Nägeln, dessen Spur sich im Boden abdrückt. An seine Füße heftet sich gleichzeitig, wenn auch nur in zeitlichen Zwischenräumen wider seinen Willen ein furchtbares zerstörendes Gespenst: die Cholera. Obwohl er selbst vor ihr gefeit ist, ist er verflucht sie überall hinzutragen. Trotz seines ruhelosen Jagens von Pol zu Pol besteht noch ein rein persönliches, ein Familieninteresse, das diesen Sue'schen Ahasver mit der Menschheit eng verknüpft, es ist das Geschick seines eigenen Geschlechts, das noch auf Erden lebt. Dadurch schafft der Dichter sich namentlich die Möglichkeit, ihn bestimmend mit den Geschicken seiner Romanfiguren zu verbinden. Gleichzeitig stempelt er ihn aber auch zum Träger eines socialen Problems, es ist der Fluch, das sociale Elend der Arbeit, das er verkörpert. Als Arbeiter der Entbehrung, dem Elende preis gegeben, habe ihn, so erzählt er, einst das Unglück boshaft gemacht. Als Christus nun sagte: »Ich leide«, habe er trotzig entgegnet: »Ich leide auch, aber Niemand kommt mir zur Hülfe. Die Unbarmherzigen machen wieder Unbarmherzige. Geh!« Da habe ihn der Fluch des Wanderns getroffen und er zu spät jene göttlichen Worte verstanden: »Liebet Euch unter einander«. Und wie der erste Mensch durch seinen Fall seine Nachwelt dem Unglück geweiht hat, so scheine es, habe er, der Handwerker, alle Handwerker zu ewigen Schmerzen und zur Büßung seines Verbrechens verurtheilt, denn noch nach 18 Jahrhunderten sagten die Reichen und Mächtigen zu den Arbeitern: »Geht!« Und sie gehen und – leiden.
Dieser Sue'sche Ahasver tritt nicht in Gegensatz zum Christenthume, wie jener Mosen's, er macht vielmehr den höchsten Lehrsatz desselben, das »Liebet Euch einander« zu seinen und seines Geschlechtes Wahrspruch und tritt damit – das ist neben jener socialen bekanntlich die am schärfsten ausgeprägte Tendenz des Romans – in Opposition zu dem falschen Christenthume, zum Priesterthume des Hasses, zum Orden der Jesuiten. Diese erscheinen als die Nachkommen jener alten Pharisäer, jener Erzfeinde Jesu, »als die falschen herzlosen Priester, welche die Menschheit nur zum Leiden bestimmen«.
Eugen Sue gewinnt sich einen Schluß der Sage, indem er Ahasver und seine Leidensgefährtin zur Ruhe kommen läßt. Herodias betritt die Trümmer der Abtei St. Johannes des Enthaupteten und sinkt erschöpft an der Statue des Pfadfinders von Jesu nieder. Sie fühlt sich müde, ihre Füße sind wund, während sie seither schmerzlos über glühende Lava und durch den Sand der Wüste, über die Eisfelder des Nordpols schritt. Sie empfindet Durst, sie empfindet Schmerz. In der Quelle sieht sie, daß ihr Antlitz altert. Die Ewigkeit ihrer Jugend ist vorbei – sie darf auf den Tod hoffen. Hier an der Statue des durch ihre Schuld Enthaupteten hebt ihre Entsühnung an; sie wird wieder ein menschliches Wesen und fleht Gott um gleiches Loos für Ahasver. Dieser steigt den Calvarienberg empor und setzt sich zu den Füßen des Erlösers. Da sieht er, daß seine Haare ergraut sind. Mild und vergebend schaut der Heiland zu ihm hernieder. Er betet. Ihm ward vergeben. Hoch betagt erwarten Beide in friedlicher Hütte den Tod. In Ahasver wird zugleich der vom Himmel verstoßene Arbeiter erlöst, der Arbeiter, der von denen, die ihn in ihr eisernes Joch warfen, verflucht und gefürchtet wird; in Herodias wird das Weib von seinem modernen Sclaventhume erlöst. Das sagt uns wenigstens Eugen Sue und wir müssen wohl daran glauben, obwohl diese Tendenz mit dem Inhalte des Romans ziemlich unvermittelt dasteht.
Auch Ludwig Köhler macht in seinem Gedichte: »Der neue Ahasver« Jena, 1845. unsern vielgeprüften Wanderer zu einer Tendenzfigur, zu einem Propheten der Freiheit.«Ewig,« ruft der von ihm verspottete hohe Dulder ihm zu, »ewig sollst Du wandern sonder Frieden
Und sollst nicht sterben können bis die Wahrheit
Auf Erden herrscht in ihrer vollsten Klarheit,
Bis einst der Freiheit gold'ner Frühlingsmorgen
Das Licht erweckt, das noch in Nacht verborgen.«
Oft meint er, es sei dieser Morgen gekommen und frohlockt, daß er nun Ruhe bekomme, aber seine Freude, seine Hoffnung erweist sich als eitel. Die Revolution zertritt Napoleon, die Burschenschaft führt zur Sand'schen Verirrung, die aufständischen Griechen werden betrogen und so fort. Ueberall Tyrannei des Gewissens, des Willens. Ahasver ist in Verzweiflung und beklagt, daß er nicht sterben könne. Da tritt Jesus zu ihm und hält ihm strafend vor, wie er der Freiheit, nach der er ringe, gar nicht würdig sei, so lange er nicht sein eigen Selbst bezwungen, seinen Egoismus geopfert habe. »Dein Grab und nicht die Menschheit war dein Ziel, drum hast vergebens Du gerungen. Die Freiheit soll Dir Zweck nicht Mittel sein. Indeß Du das Schicksal beklagtest, ging's seinen Weg, begann die Freiheit ihren Himmelsflug. Sie ist kein Traum und Wahn. Ehe Du es wähnst, wird sie die Hölle spalten und sich entfalten. Die Welt wird frei. – Schon fängt es an im Thale sich zu regen. Ihr Reich ist nah!« – Mit diesem Hoffnungsblick in die Zukunft entläßt uns der Dichter.
In ziemlicher Uebereinstimmung mit der Göthe'schen Auffassung des Ahasver, so weit es sich nämlich um sein Verhältniß zu Christus handelt, befindet sich diejenige von Franz Horn in dessen Novelle »Der ewige Jude«. Bereits in Fouqué's Frauentaschenbuch für das Jahr 1818 erschienen, dann in H.'s Novellen, ersch. 1819, aufgenommen. Darnach ist Ahasver ein wohlbegüterter Jude in Jerusalem, der nur an Christi äußere Mission, der daran glaubt, daß Christus, wenn er auch jetzt noch voll Demuth scheine, einst im Purpurmantel und mit gebietendem Scepter einhergehen werde, der wie er schon jetzt die Kranken heile, auch den irdischen Tod ganz vernichten werde. Denn dahin muß es überhaupt kommen, da ja der Gedanke an den Tod die besten Freuden stört. Da auf einmal beweist Jesus seine Ohnmacht, er wird verlacht, verspottet, mißhandelt und läßt – Alles ruhig geschehen. So in seinen Hoffnungen getäuscht, faßt Ahasver einen tiefen Haß gegen Jesus. Als dieser dann unter der Kreuzeslast Ruhe sucht, verjagt er ihn schimpfend. Da erhebt sich Christus und ruft: »Wohlan! So habe, was Du verlangst, so lebe, lebe wie noch keiner lebte, und stirb nicht bis Du gereift zu sterben werth.« Und nun geschah's, daß Alles um ihn her starb, Alles ihm fremd ward, nur der Himmel über ihm blieb noch derselbe. Da geht die Erkenntniß in ihm auf, daß Christus durch seinen Tod den Tod besiegelt habe und er sollte durch sein Leben die Unzulänglichkeit und den Jammer des bloßen Lebens darstellen. Und so geht er dahin in großen tappenden Schritten, eine Gestalt, wie in Eisen gegossen oder wie von Moos verwittertes Gestein, in den Zügen tiefes namenloses Leid. Durch die Erzählung seines Geschicks bekehrt er in der Novelle, die zu Ende des 30jährigen Kriegs spielt, einen jungen Grafen, den er erst aus der Schlacht gerettet, von der bis zur Gotteslästerung ansteigenden Verzweiflung über den rasch nach einander erfolgten Tod seiner Angehörigen, der mit dem todbringenden Erscheinen Ahasvers zusammenhängt. Aus dieser Novelle heraus hat August Klingemann sein Trauerspiel Ahasver Ahasver, Trauerspiel in fünf Akten v. Aug. Klingemann. Braunschweig 1827. gedichtet, dessen Titelrolle der große Ludwig Devrient mit Vorliebe gespielt hat. Nach Klingemann bedeutet die Sage die Läuterung zur unvergänglichen Freiheit durch das Leid. Sie wäre dann das höchste religiöse und zugleich poetisch-tragische Mysterium, so wie Christus selbst als der ächte Vermittler des Irdischen zum Ueberirdischen erscheine und den ewigen Wanderer auf sein kommendes Reich verwies. Der Held des Klingemann'schen Dramas ist der Mörder Gustav Adolf's, ein Graf von Werth, der aus Glaubenshaß, als fanatischer Katholik, den Verfechter des Protestantismus unter angenommener Maske eines Protestanten hinterlistig gemordet hat Die That liegt schwer auf seiner Seele und treibt ihn in Schwermuth und Verzweiflung. Er wird, um sein Gewissen zu betäuben, zum Atheisten, der das Walten der Vorsehung hinwegleugnet. Gegenüber dem Sohne Gustav Adolfs, der gastlich in seiner Familie Einkehr hält, gegenüber dieser Familie selbst stellt er hartnäckig die That in Abrede; sein einziger Mitwisser ist ein geheimnißvoller Mensch, der ihn aus der Schlacht gerettet. Um sich seiner zu entledigen fordert er ihn zum Zweikampf, aber seine Klinge zersplittert an der Brust des Fremden, denn – es ist Ahasver, »der Frevler ist es, der nicht sterben kann, weil er den Herrn gelästert« gerade, wie der Graf von Werth. Der Fluch, der ihn getroffen, ist der Fluch des Gottesleugners, wie beim Ahasver der Mosen'schen Dichtung. Er schildert in bereits bekannter Weise sein vergebliches Mühen zu sterben. Und so, erzählt er:
So wand'l ich denn nun seit Jahrhunderten
Und werde wandeln bis zum letzten Tage
Leblos und
lebend, das Gespenst der Zeit,
Die ohne bösen
Willen Böses
thut
Und Alles ruhig um sich her vernichtet.
Ich hasse Niemand, kann auch Niemand lieben,
Weil Alle, Alle ich betrauern müßte,
Aus diesem ungeheuern Gottesacker,
Worüber ich, ein furchtbar Denkmal trotze.
Die Zeit rollt ein Jahrtausend nach dem andern
Im dunkeln Buch der Weltgeschichte ab,
Mein Lauf zieht hin an jedem ihrer Blätter
Und wenn auch Wen'gen ich mich kund nur gebe,
Erbebt doch oft in stillen Mitternächten
Der Frevler vor dem bleichen Schreckensbilde
Des ewig Wandernden, das ihn bedroht,
Den Namen seines Gottes nicht zu lästern!
Nach dieser Enthüllung Ahasvers bekennt der gottesleugnende Graf das Dasein Gottes und den Mord Gustav Adolfs; zugleich giebt er sich den Tod. Er hat so seine Ruhe gefunden, Ahasver aber wandelt weiter und weiter.
Weiter hat Theodor Oelkers in einem durch träge Handlung und matte Characterzeichnung wenig fesselnden Romane: Prinzessin Marie von Oldenhoff oder der ewige Jude (Leipzig, 1848) den letzter noch mit dem Fluche ausgestattet, daß er, um Christus zu versöhnen, Alles opfern muß, was ihm das Liebste ist ohne daß dies Opfern bis jetzt ihm frommte, sein Geschick versöhnte. Er nimmt von Zeit zu Zeit ein Weib und erzieht Kinder, aber er überlebt das Weib und vernichtet die Kinder, um sein Opfer zu vervollständigen. Er sträubt sich ewig dagegen, weil er weiß, daß er es fruchtlos bringt, aber er muß es bringen, die Nothwendigkeit treibt ihn dazu. – Um solches Verhängniß ihn noch qualvoller zu machen, ist ihm der Blick in die Zukunft gegeben, der ihn die Ereignisse voraussehen läßt, die ihm und den Seinigen bevorstehn. Dieser fürchterliche Fluch hat ihn mit einer natürlichen Bitterkeit erfüllt. Die Menschen, meint er, möchten doch an ihm ersehen, wie Liebe und Versöhnung, an die sie glaubten, nur eine leere Fabel sei. Dennoch belebt auch ihn die Hoffnung auf dereinstige Erlösung, freilich vertagt er dieselbe selbst weit, weit hinaus. »Ich bin nur in der Zeit verurtheilt,« sagt er, »aber die Ewigkeit gehört mein, wie sie Allen gehört, und wenn das Ende der Zeit gekommen ist, so werde ich mich frei in dem unendlichen Gebiete ergehen dürfen und Himmelsluft athmen, dann wird die parteiische Tyrannei »Gnade« von ihrem Throne gestürzt werden und die Gerechtigkeit ihn einnehmen, halb ihn theilend mit ihrer Schwester, der Liebe. Oelkers meint ferner, daß bis zum Anbruch dieser Zeit auch noch ein ewiger Muhamedaner und ein ewiger Christ wandern würden. Auch regt er den originellen Gedanken an, wie sämmtliche Universitäten nach dem ewigen Juden fahnden müßten, um ihn der Reihe nach als Professor der Geschichte anzustellen.
Auch Levin Schücking führt meiner poetisch reich erfundenen Episode seines Romans: Der Bauernfürst (1851), welche die Überschrift führt: » Die drei Freier« den Helden unserer Skizze vor. In dem Gasthofe zu den drei Mohren in Augsburg, erzählt er uns, trafen sich in den Zwölfnächten des Jahres 1700 drei Fremde: ein müder halbvermoderter Jude im langen schmutzigen Talare, der sich andern Morgens als ein schöner junger und armenischer Prinz, Isaak Laquedam, entpuppt, ferner der holländische Admiral van der Oecken, der in vierspänniger Calesche anfährt, und Se. Excellenz der Oberjägermeister von Rodenstein mit großem Gefolge. Sie haben sich im Gasthofe ein Stelldichein gegeben und kommen dort, wie wir von ihnen erfahren, alle hundert Jahre zusammen und verleben ein Jahr in Saus und Braus, dann verschwinden sie wieder um des kurzen Menschenthums entkleidet gespensterhaft ruhelos dahin zu wandeln, der Eine über die Erde, der Andere über das Wasser, der Dritte durch die Luft: als ewiger Jude, – fliegender Holländer – wilder Jäger, alle Drei im Bann und Dienste eines Vierten, des Gebieters des Feuers, des Satans, der während dieses einen Jahres ihnen nichts anhaben darf. Wenn ein Jahrhundert herum ist, ergreift Ahasver-Laquedam ein heißes Fieber, während dessen sein Leib genau jene Kraft und jenes Aussehen erhält, das er damals hatte, als er die Hand erhob wider Ihn.«
Die Drei treiben in dem Jahre arge Wirthschaft in der stillen Stadt und besonders auch in den Herzen der Mädchen und Frauen. Unter letzteren ragt besonders Eine hervor durch Schönheit so gut, wie durch Stolz und Verachtung des stark sich rühmenden Geschlechts der Männer. Alle Drei freien gleichzeitig um dies stolze kalte Herz, welches das Schicksal an einen häßlichen gichtbrüchigen Mann gekettet hat. Da sagt sie einmal zu ihnen: es wäre nicht die Schönheit ihr Stolz, ihr Stolz würde sein, eine Gefahr zu bestehn, eine Lage zu überwinden, von der nach Jahrhunderten die Welt gestehen müßte, daß ein Mann völlig unfähig wäre, sie zu überwinden. Der schöne Armenier hält sie beim Wort und verlangt, sie solle ein Jahr lang ihm folgen; sie verspricht es und giebt zur Bestärkung ihres Versprechens ihm einen Ring. Auch die anderen Beiden verlangen und erhalten das Gleiche zugesagt. Als das Jahr um ist, begleitet sie den Armenier. Da merkt sie wie dessen Jugend schwindet, Modergeruch von ihm ausgeht und ein dritter Schatten sie begleitet. Wer bist Du? ruft sie entsetzt. »Ich bin Ahasver!«
Ahasver hält sie eisern fest. In der Verzweiflung verschreibt sie ihre Seele dem dritten Schatten, dem Satan, der ihr Rettung verheißt. Aber noch nimmt sie erst der Rodensteiner, der wilde Jäger in Empfang, sie reitet mit ihm durch die Lüfte – und an ihr zieht unten vorüber, die ganze Verworfenheit des menschlichen Lebens. Von den angeschauten Bildern, von dem ruhelosen Ritte sind ihr Leib und Seele zermartert – sie kann nicht weiter und steht noch einmal zum Satan um Errettung. Schon kommt der fliegende Holländer um sie sein versprochenes Jahr zu holen. Da verlangt Satan außer der ihren noch die Seele ihres Kindes. »Nein, mein Kind bekommst Du nicht«, ruft die arme Geprüfte und entschließt sich zum dritten Jahresgange über's Meer. »Nimm sie hin«, ruft höhnend der Satan dem Holländer zu, »sie will noch eine Prüfung.« Dieser aber entgegnet: »Die Prüfung ist genug, sie hat überstanden. Sie hat größere Kraft als die eines Mannes gezeigt. Ein Mann hätte auch seines Kindes Seele nicht geschont, wie er die seine übergab.« So wird sie frei, erwacht und findet ihr Kind ruhig schlafend in der Wiege, auch die drei Ringe find wieder da, aber in der Nacht sind unter der Folter dieses fürchterlichen Traumes ihre Haare ergraut.
Die Verbindung dieser drei vom Fluche dahin gejagten dämonischen Wanderer unter dem Gesichtspunkte der Elemente, als eine Art Naturgeister, ist gewiß ebenso kühn erdacht als geistreich ausgeführt.
Ueber Ziel und Ende der Wanderung der drei Geächteten erfahren wir nichts. Es lag dies außerhalb der Intentionen des Dichters bei einer Episode, durch welche nur der Gedanke der Hinfälligkeit des Menschen im Gegensatz zu seinem Stolze ausgedrückt werden sollte.
Ganz unabhängig von den seitherigen Bearbeitungen stellt Zedlitz in seinem Gedichte: »Ahasvers Wanderungen« Gedichte, 3. Aufl. 1844. das Ziel des ewigen Wallens auf; indem er es dahin verlegt, wo das goldene Zeitalter, der ewige Frieden hereingebrochen ist. Er solle, verkündet ihm der Engel, der den bereits Begrabenen auf Golgatha wieder zum Leben weckt, wandern »bis die weiße Friedenstaube der Arche wiederkehre, bis ihn milde Lüfte fächeln, bis ihn wie Kindeslächeln der frühern Welt beglückte Tage grüßen, von Land und Meer der Freude Jauchzen tönt, die Wuth gebunden und der Haß versöhnt, in neuer Liebe sich die Völker küssen.« Nun liegt Ahasver wach träumend in seinem Grabe, sieht die Weltgeschichte an sich vorüberziehn und harrt bis jene Zeit sich erfülle. Wenn er meint, sie sei gekommen, erhebt er sich aus seinem Grabe, um zu wandern und die Welt zu schauen. Dieser Zeitpunkt schien ihm gekommen, als das Römerreich unter – und der Stern des Christenthums aufging, als Cherubine sangen: Ehre sei Gott in der Höh' und Frieden auf Erden. Da erhebt er sich und trifft wandernd statt des gehofften Friedens auf rauchende Trümmer, Brand, Mord, auf die Schaaren Attilas, Attilas, der noch nicht der Letzte sein wird Derer, die den Frieden der Welt zerstören, denn nach 1300 Jahren wird er von Neuem erstehen. Dieser neue Attila wird, eine Geißel Gottes, in Herrschertrunkenheit eine ganze Welt auf seiner Bahn dahin schleifen. »Wer bürgt uns, – daß er zum dritten Mal wiederkehrt?« meint erschüttert Ahasver und steigt wieder in die Gruft. »Jehova sprich, wie lange soll ich schlafen?« Mit diesem Fragezeichen entläßt uns der Dichter, indem er aus die Vorführung weiterer Stationen der Weltgeschichte, welche ein Erwachen Ahasvers bedingen könnten, verzichtet.
Die nächsten Dichter, die uns nun zu beschäftigen haben, sind nicht so rasch ermüdet, sie schleppen vielmehr unseren Helden ein großes Stück weiter durch die Weltgeschichte. Es ist dies zunächst Andersen.
Der Inhalt des an erhabenen Gedanken und kühnen, freilich oft auch etwas dunkelen Bildern reichen Gedichts »Ahasverus« von H. C. Andersen, Leipzig, 1847. dessen Genuß dadurch etwas beeinträchtigt wird, daß es in einzelnen oft ganz unermittelten Abtheilungen, in der wechselnden Form des Dialogs und Monologs, auch unterbrochen durch verknüpfende Erzählung in Prosa, fast in der Form eines Oratoriums verläuft, ist kurz folgender:
Ahasver, der Engel des Zweifels steigt zur Erde nieder zum Geschlechte, »dem er gleich ist im Verwerfen und im Zweifeln.« Er wird zur selben Zeit und Stunde mit Christus geboren und trägt als Mensch den Namen Ahasver. Als ein Glied des Menschengeschlechts wächst er gleichzeitig mit dessen Entwickelung, die nach Jahrtausenden es in Kraft und Wahrheit dem Himmel zuführt. Dann kehrt auch Ahasver dahin zurück.
Nach diesem dem Prolog im Himmel in Göthes Faust verwandten »Vordergründe« führt uns nun das Gedicht Ahasver als einen jüdischen Schuster vor, einen beliebten Erzähler biblischer Geschichten, der in seiner Werkstatt zu Jerusalem so gut fröhliche Kinderschaaren, wie ernste Pharisäer um sich sammelt. Es quält ihn dabei die Eitelkeit, daß er nur ein Schuster ist und nicht mit unter den Schriftgelehrten sitzen darf. Unter seinen Zuhörern ist auch die junge Veronica, welche von dem neuen Propheten aus Nazareth ganz entzückt ist, der im Lande auftrat. Ahasver zählt ihn dagegen unter die falschen Propheten und rechnet es ihm als schwere Schuld an, daß um seinetwillen einst seine Mutter und seine kleinen Geschwister von den Knechten Herodis zerschmettert worden sind. Als er aber Christus in der Wüste hat predigen hören, so ändert sich sein Sinn und er theilt das Entzücken der Veronica. Nun glaubt er, es nahe der Glanz, wie ihn die Propheten lehrten und Davids Reich erstehe in seiner Pracht. Judas, der Freund Ahasvers und begeisterter Jünger Jesu wird zuerst an diesem irre. »Er zog in Jerusalem ein«, räsonnirt er, »und was thut er? Er vertreibt die Krämer, reizt die Priester und geht wieder still nach Bethanien. Er handelt nicht, ein Zauderer ist er. Nicht fliegt der Pfeil vom Bogen gegen's Ziel, wie er wohl soll. Ich selber muß wohl Bogenschütze werden. Ist er Messias, werden Tausend Engel sich nahn auf sein Gebot und ist er's nicht, so – mag er stürzen.« Und er geht hin und verräth den Herrn, um dadurch seine Macht gewaltsam herauszulocken. Diese Auffassung Ischarioths stimmt mit der bereits erwähnten Göthe'schen überein. Die Hoffnung des Judas geht nicht in Erfüllung. Jesus läßt sich gefangen nehmen. »Mensch war er und nicht Messias.« Jetzt fällt Ahasver von ihm ab und verflucht seinen Glauben an ihn als eine Thorheit. »Wie konnte ich glauben, der Zimmermannssohn sei ein Prophet. Er friert, hungert, dürstet und hat Schlafbedürfniß.«
Nach der Scene auf dem Wege gen Golgatha rufen Geister von oben dem ungläubigen Ahasver zu:
Ahasverus, Ahasverus!
Als der Menschheit Bild erscheinst Du,
Du bestreitest und verneinest – Gott selbst. –
Einer gleichet Ihr dem Andern –
Wandern sollst Du, wieder wandern
Bis wir einst uns Wiedersehn.
Es ist aber nicht der Unglauben an sich, der Atheismus, es ist vielmehr der starre Judenglaube, der sich hier zunächst in Gegensatz stellt zu dem Christenthume, der Glaube an die Zukunft des Reichs Davids, an die Erscheinung des Messias im Sinne der alten Propheten.
So trifft Ahasver zunächst auf Barrabas, der als Einsiedler im Libanon lebt und seine Sünden büßt. Er war bereits früher im Gedichte eingeführt als donjuanistischer Wüstling, der keinen Gott kannte als den der Sinne. Er ist durch das Entsetzen, das er bei der Kreuzigung des Herrn empfand und durch dessen von ihm wahrgenommene Auferstehung bekehrt und empfängt den Freund und Stammsgenossen mit dem Gruße: »Gelobt sei Jesus Christ!« Ahasver stößt mit einem Fluche das Haupt wider die Felsen. Grollend und ohne an die Auferstehung zu glauben, scheidet er von dem Christgewordenen im Vertrauen auf Israels Stärke, muß aber bald darnach erfahren, daß Jerusalem nicht mehr ist. Er geht nach Rom. Es ist die Zeit der Christenverfolgungen unter Domitian. Ahasver freut sich, als er die in Theer getauchten christlichen Märtyrer brennend am Wege stehen sieht und mischt sich unter die Henkersknechte, welche die Christinnen peinigen. Unter diesen ist Veronica. Da er sie nicht zu bekehren vermag, versucht er sie zu tödten. Er kann es nicht. Dies macht ihn den Knechten verdächtig, sie tobten ihn selbst und er liegt schlummernd neben Veronica unter den tödten Christenleibern. Da erwacht er und flieht schaudernd die Reiche des Gekreuzigten, die »nur Gräber sind mit Pesthauch geschwängert.«
Er durchstreift entlegene Gegenden der Erde und kommt nach dreihundert Jahren wieder nach Rom. Da findet er, daß die Lehre Christi den Sieg über das Heidenthum davon getragen hat. Roma's Kaiser und das Volk knieen mit Seinem Namen aus der Lippe: »Jehovas Geist wich von der Erde fort, sein Volk ist in das Weltenchaos weggeweht. Tod ist alles Alte, das Neue Schaum. Jehova! ruft der Verzweifelte! Meine Brust sie ist Dein Tempel, der letzte setzt auf der gefallnen Erde.« –
Ahasver geht über die Alpen. Die Hunnen jagen an ihm vorüber. Er hetzt Attila auf gen Rom zu ziehn, das Christenthum zu unterdrücken. Er aber wandert weiter gen Norden bis zur Heimath des Nordlichts, und als er wieder zurückkommt, findet er in den Wäldern das Wahrzeichen Christi, findet er im Frankenreiche dessen Cultus und in Rom den ersten Papst. Er muß jetzt an die Macht der Christenlehre glauben, aber, grollt er weiter, ihre Größe besteht doch nur in ihrem unerhörten Glücke, noch wird ein Größerer geboren werden, er wird, er soll und muß kommen wie die Propheten es verkündeten, wie Israel ihn erwartet.
Der Dichter schildert uns dann die kleinen Judengemeinden mit ihrem stillen verborgenen Gottesdienste, die noch des Messias harren und ihn in Mohamed zu finden wähnen. Zu ihm geht Ahasver, wie im Mosen'schen Epos, er dringt mit ihm nach Jerusalem. Als er dort den christlichen Tempel anzünden will, erscheint ihm der Geist Veronicas und hält ihn davon ab.
Er wandert wieder. In Rom wird Karl der Große als römischer Kaiser gekrönt. Die Juden sind die Diener der Christen geworden. Dies erregt den Haß des unbeugsamen Jehovagläubigen nur noch mehr. Ihr Weg ist nicht mehr der seine.
Dann führt ihn der Dichter im Sprunge nach Canossa, wo er verwundert auf den Kaiser hinblickt, der barfuß und in Thränen steht vor dem Stellvertreter Christi. Vor solcher Macht des Christenthums steht auch er gebeugt, steht gebeugt, wenn auch nicht in dem Schloßhofe von Canossa, doch im verschlossenen Hofe der Welt; er kann nicht weg, muß er wie der Kaiser doch auch erst aus dem Banne erlöst sein. »Er stand Nächte, doch meine Nächte sind Jahrtausende.«
Und da flammt in ihm zuerst der Gedanke auf, daß er nicht bloß der opponirende Jude, daß er die ganze große Summe sei vom Streit des Irdischen mit dem Göttlichen.
Es kommen die Kreuzzüge. Aus allen Theilen der Erde strömen die Nationen gen Jerusalem, der alten Davidstadt, wo einst Jehovas Altar stand. So wird der dürr gewordene Stengel des alten Judenglaubens doch noch zum Aronsstab, um den Europas Grün sich schlingt. Aber es sind die verschiedenartigsten egoistischen Beweggründe, welche die einzelnen Nationen dahin treiben, kein einender Gedanke und so verschwindets wie Bergflüsse in dem heißen Sande.
Ahasver wird zum Zweifler am Fortschritte der Menschheit. Vergeblich belehrt ihn der Baumeister einer Baugilde, daß im Weltenbau Gott der Baumeister sei
und der stirbt nicht;
Jeglich Jahrhundert ist ein Quaderstein
Den er zum schon gelegten früheren legt,
Indeß Geschlechter steigen stufenweis.
Ahasverus entgegnet:
Doch Stillstand herrschet oft
Der Baumeister:
O ja; er herrscht.
Doch ist die Rast ein Sammeln nur der Kraft.
Vollendet wird der Bau der Menschheit einst,
Was Spiel und Kinderwerk hier scheint zu sein,
Ist doch ein nützlich Zeichen, das wir haun
In des Jahrhunderts stolzen Quaderstein.
Ahasver, der Zweifler, hält ihm entgegen, daß durch all' das in den Kreuzzügen vergossene Blut Europa nichts gewonnen habe.
Der Baumeister erwidert ihm:
Nein! Vorwärts, herrlich vorwärts ging es grade!
Es haben sich genähert die Nationen
Und der Gedanke: »Freiheit« ward geboren.
Gar viele Herrn verkauften ihre Güter,
Sie kamen in die Hand des Bürgerstandes
Es ward geschwächt des Adels Uebermacht,
In Wissenschaft und Kunst kam neues Leben. –
Da ertönt Fehdegeschrei. Raubritter bedrohen die friedlichen Bürger. Die Sturmglocke schallt. Die Bauleute eilen zum Kampfe. Der Bau ruht. Höhnend und spottend über diesen neuen Rückschritt der menschlichen Entwickelung schreitet Ahasver weiter.
Verschiedene uns vorgeführte Verirrungen der Menschheit, das Treiben in den Klöstern, die Ausartungen der Hussiten, die Tollheiten des Königs Wenzel steigern nur den Spott und den Unglauben Ahasver's an dem Fortschritte der Menschheit. Da führen ihn Engel nach Mainz zu Gutenberg, der »mit seinem Blitze des Staubs Gedanken schreibt.« Ahasver glaubt nicht an die hohe Bedeutung dieser und der weitern Entdeckung, er hält ebenso Columbus, den er kennen lernt, für einen Narren, folgt ihm aber nach den tiefen Wirbeln, die ihn, so meint er, verschlingen werden.
Die Wellen verschlingen aber Columbus nicht, er findet Land, die neue Welt. Der Geist des Urwalds lebt und zürnt wie Ahasver, weil er aus seiner Stille aufgeschreckt und in die Bahn der Geschichte hineingezogen ist. Der Weltgeist aber wendet sich zu Ahasver:
Komm, laß des neuen Welttheils Erschließung
Sich Dir erschließen, damit du lesest
Weisheit und Tröstung und göttlichen Willen
Und dieser lautet: künftig der Menschheit
Ein Volk, ein Denken, Eintracht, Verständniß.
Er führt Ahasver zur Erkenntniß. Das Verhängniß Israels, das einst so reich wie America war, sei gewesen, daß es das Neue, das von Gott gekommen, von sich gewiesen habe. Die Menschheitsentwickelung zeige, wie das Alte immer verleugne das Neue. »Gott wird geboren, gekreuzigt und – lebt.« Jede Welle eines Jahrhunderts trage den errungenen Schatz näher dem Gestade der Vollendung. – Aber freilich sie, die Juden der Menschheit, die Verneiner und Feinde des Fortschrittes, wenn selbst Tode erständen und zu ihnen sprächen, sie verständen es nicht, sie würden es verwerfen, schlagen an's Kreuz das Neue vom Herrn.« Da streckt Ahasver die Hände aus gegen das unendliche Meer und aus dem Chaos seiner Gedanken taucht die Erkenntniß auf von Dem, was er einst war und jetzt geworden ist. An sich selbst erkennt er das Wachsen der Menschheit. Es sind ihm also die Schwingen schon gewachsen, die ihn als Ahas wieder zum Himmel bringen. Aber noch ist das Ziel lange nicht gekommen, noch verrann nur eine Spanne der Ewigkeit. Und so ist, wie uns die Muse des Gesangs, das Gedicht schließend, belehrt:
Was in der Ahasverusmythe klang
Ein Echo von dem Meer der Zeiten.
Ein besserer Skalde wird in besserm Sang
Uns jene Wand'rung, welche folget deuten.
So bricht der Dichter ab mit einer Perspective in die Zukunft. Er überläßt es der dichtenden Nachwelt, den Weg Ahasvers weiter zu verfolgen.
In der Thal ist die Reihe der Ahasverdichter nach ihm noch nicht geschlossen. Wir haben noch Zwei zu verzeichnen: Heller und Hamerling. Der Erstere tritt in seinem Gedichte: »Die Wanderungen des Ahasver« ganz die Erbschaft Andersen's an. Es solle, sagte er in den einleitenden Worten, sein Ahasver uns durch alle Völker bis zur Gegenwart führen, von Gott, der zum Menschen ward bis zur Menschheit, die zum Gotte ward.
In der ersten Ausgabe des Gedichts (1865) hatte der Dichter lang vor seinem Ziele abgebrochen. Erst in einer späteren Ausgabe (1868) hat er den Faden wieder ausgenommen und ihn weiter geführt durch die Geschichte der Menschheit bis herauf in die Tage Göthe's. In der Idee und deren Durchführung befindet sich, wie erwähnt, das Heller'sche Gedicht fast ganz in Uebereinstimmung mit dem Andersen'schen. Heller giebt uns aber ein sehr großes geschichtliches Detail, freilich zur wesentlichen Beeinträchtigung des poetischen Genusses. Doch ist das Facit an Gedanken, das Heller aus dem Materiale hie und da gewinnt oder gewinnen läßt, durchgängig groß und interessant.
Es ist zunächst auch die Verkennung der hohen Mission Jesu, das mangelnde Verständniß seiner Lehre und seiner Zwecke, welche aus Ahasver einen Gegner Jesu machen. Der Haß tritt um so greller hervor, als Ahasver, der wohlhabende Schuster, der die Werkstatt voll Gesellen und Lehrlinge hat und, selbst häßlich und mißgestaltet, ein schönes Weib besitzt, ein alter Schulkamerad des neuen Propheten ist, der oft bei ihm Schutz fand, wenn man ihn spöttisch nach seinem Vater frug und auf dessen Namen sein eigener Sohn getauft ist. Aber freilich, erläutert Ahasver, er sei immer schon abentheuerlich und in Folge seiner schönen Gestalt ein Günstling der Frauen gewesen. Er habe in Aegypten die geheime Kunst erlernt, nun betäube er die Menge durch seine Wunder, wisse um die Gunst der Weiber zu buhlen und verführe arme Fischer, daß sie thöricht Haus und Hof verließen. Er vergifte die lautere Quelle der Bibel, indem er daraus herleite, daß er der Menschensohn sei. Er, Ahasver, wolle den gefährlichen Betrüger entlarven. Als Jesus darauf an seiner Thür rastet, und die Kinder melden, es sei draußen ein schöner Mann umgefallen, der gerade wie ihr kleiner Jesus aussähe, geht Ahasver hinaus und heißt Jesus die Schwelle verlassen, damit er, der Unheilige, sein Haus nicht mit Fluch belaste. Auf die Intervention Petri antwortet er mit frechem Schimpf. Da erhebt sich Jesus voll Hoheit und spricht: Unglücklicher! Was in dir braust und gährt, entsprang verirrtem gläubigen Gemüthe. So von Herzen ging das Wüthen wider mich Keinem und dennoch ist dein Herz voll Seelengüte. Erkenntest du mich, so gäbe es Keinen, der sein Blut so treu wie Du für mich verspritzt. Du wirst mich noch erkennen. Bis dahin, wo die ganze Menschheit das Christenthum annimmt, sollst Du wandern mit Deinem Volke durch die Erde, von Todesqual nicht heimgesucht. Nationen gehn und kommen, Ihr bleibt bis die Posaune wiederschallt. Ahasver schwankt der Sprache nicht mächtig in's Haus. Zum Osternschmaus besucht ihn Saulus. Ihm verkündet er seine Begegnung mit Christus. Saulus meint, dergleichen Schwärmer stünden jetzt Viele auf, vergingen aber wie Meteore. In Rom seien sie auf allen Straßen. Die Sündenlast drücke die Menschen, da sehne sie sich nach Erkenntniß. Die alten Satzungen brächten sie nicht. Die Liebe müsse frei gemacht werden von den Fesseln des alten Gesetzes. Sie bringe Erlösung. Saulus steht so unbewußt mitten im Christenthum. Er wird auch formell bekehrt. Petrus und Jacobus versuchen das Gleiche mit Ahasver. Sie bewirken wenigstens, daß er sich aufmacht, den zum Paulus gewordenen Saulus zu hören.
Er predigt in Athen von der Auferstehung des Herrn. Ahasver findet, daß diese Lehre nicht in den alten Schriften stehe; Paulus sei getäuscht und verwirre durch Fabelwort den Sinn. Er steigt zu Schiff und fährt unbekehrt nach Jerusalem zurück. Dies wird erobert und zerstört. Ahasver kämpft mit, begräbt all die Seinen und zieht verlassen aus den Thoren. Seine Wanderung beginnt.
Er taucht wieder auf unter einem Häuflein vertriebener Juden, die sich in einer Höhle um einen alten Rabbi geschaart haben. Sie klagen um Jerusalem, aber der Meister richtet sie auf, das Gesetz sei ja noch da, an ihm wollten sie festhalten in Noth und Tod, es sei stärker, als das der Apostel Christi, das nur ein Mensch, kein Gott besiegelt. Sie gehen als die Apostel des Judenthums in die Welt. Es beginnt nun ein hin- und herwogender Kampf zwischen Heidenthum, Christenthum und Judenthum, ein toller Glaubenshaß. Ahasver sucht die Heiden zu gewinnen, die Abtrünnigen zurück zu führen, mit abwechselndem Erfolge. Die Welt bewegt sich in den wildesten Gegensätzen, vom krassesten Cynismus bis zur weltverachteuden Casteiung. Ahasver sehnt sich jetzt nach Jesus und flieht aus dem Treiben an den See Tiberias. Dort erscheint ihm der Herr. Er bittet ihn gegenüber seiner früheren Schroffheit in sehr unermittelter Weise um seiner Schuld Vergebung. Die Idee eines von Ewigkeiten her begründeten Gottesreiches in schon nicht mehr rein jüdischem Style bildet sich jetzt dämmernd in ihm aus.
Als Constantin Christ geworden und das alte Rom untergegangen, da meint er die Idee verwirkliche sich, aber nein – jetzt beginnt der. Streit der christlichen Seelen, der Kampf um die Dogmen, den uns der Dichter in höchst eingehender, aber auch wenig erquickender Weise vorführt. Vor diesen Zänkereien der Gnostiker, Simonianer, Nicolaiten, Arianer u. s. f. flieht Ahasver von Neuem und zwar nach der Wüste. Dort müssen, meint er, die Gedanken sich zu Gottesgestalten erheben. Daselbst trifft er Antonius, den Anachoreten. Dieser hat sich, ein zweiter Faust, aus dem Sinnenkampfe, aus dem Gelehrtenstreite an den Busen der Natur gerettet. Beide tauschen Schicksal und Meinungen aus. Ahasver bekennt, wie die Lehre Jesu als ein unnennbar wundervolles Lieben überall sich hin verbreitet habe, allein das göttlich große Erlösungswunder sei fabelhaft entstellt worden Ich habe, ruft er aus, nicht das Gottesreich gefunden, doch Männer, hier ruh' ich, bis dem Geist es wird gefallen, mich aufzuwecken aus dem Wüstentraume um zu erneuen mein langes Erdenwallen. Antonius, der stille Weise, schwört zu demselben Glauben.
Es fasse Jeder fromm sich in Geduld
Stets unter Menschen ring' er nach der Gnade
Wie schwer ihn auch vergang'ne Schuld belade.
Zu große Buße hemmt der Buße Frucht.
Er strebe aufwärts.
Und Du den mich beglückend es zu mir getrieben
Bald treibt auch Dich von hier der Dinge Wucht.
Doch wie sich auch die Dinge drängen, schieben,
Dein Weltgeheimniß nennt Antonius:
Es ist ein ewig Wirken, Leiden, Lieben.
Küssend schließen sie den Bruderbund, graben gemeinsam ihren Acker und pflanzen ihren Kohl.
Damit schloß das Gedicht Hellers in seiner ersten Ausgabe. In einer zweiten Auflage erfuhr dasselbe eine dem Raum nach mehr als doppelte Erweiterung und gleichzeitig innere Umgestaltung. Heller zerlegte es nunmehr in drei Wanderungen. Die Erste, die bereits geschilderte, bezeichnete er als Ahasvers Glaubenskampf, als seine Schuld und Sühne, die Zweite, »Weltgemälde« als Ahasvers Irren und Wirren, endlich die Dritte, das Menschenthum, als Ziel und Vollendung. Während in der ersten Wanderung Ahasver noch in dem beschränkten Gesichtskreise des Pharisäerthums sich bewegt, legt er dasselbe bereits in dem geistig beschaulichen Verkehre mit Antonius ab, hält aber während der zweiten Wanderung, in welcher sich bereits der ganze Schauplatz der Geschichte vor ihm öffnet, noch an dem Glauben eines kommenden messianischen Gottesreichs fest, bis er die Verwirklichung dieses Gedankens ausgebend, aus der engeren religiösen Schranke heraustritt und unter der Leitung seines »Sagenbruders« Faust und innerhalb der mit der Entdeckung der neuen Welt, der Erfindung der Buchdruckerkunst und der Reformation beginnenden freien Entwicklung der Menschheit dem Cultus des freien Menschenthums als letzter und echter Religion, als Ziel der Menschheit in deren vornehmsten Vertretern sich hingiebt.
Auf solche Weise wickelt sich vor uns die ganze Geschichte in ihren Culminationspunkten unter dem Auftreten der das Gepräge der einzelnen Geschichtsepochen bildenden Personen ab. Ahasver nimmt zunächst beobachtend und prüfend von Allem Notiz, er schreitet gleichsam hinter der Geschichte her. Sein Zusammenhang mit den Ereignissen ist dabei oft längere Zeit unterbrochen. Da wälzt sich die Völkerwanderung über die alte Welt, neue Götter tauchen auf an Stelle der alten; Gegensätze aller Art berühren sich – für den Frieden des Gottesreichs ist nirgends Raum. Auch Muhamed erweist sich nicht als der rechte Prophet. Da ersteht unter Carl dem Großen und Papst Leo das Kaiserreich der Gottesmajestät, aber das wahre Gottesreich, das Ahasver erhofft, ist es nicht. Es erweist sich auch nicht von Dauer. Das Priesterthum, dem sich die Völker blind unterworfen, entartet, dagegen wächst in Deutschland unter den Sachsenkaisern eine sittlich kräftige, weltliche Macht empor. Da steht ein neuer Messias des Gottesreichs auf in Hildebrand, dem Mönche mit dem Weltverstande, aber sein Reich wird nur von des Gehorsams strengem Zügel zusammengehalten und nicht von Liebe. Auch die Kreuzzüge in ihrer großen Idee und kleinlichen Verwirklichung befriedigen Ahasver nicht. Neue Personen werden contrastirend vorgeführt, Jehuda Levita, der die Erbhoheit Adams preist, gegenüber der Erbsünde desselben im Christenthum, dann der fromme Hanswurst Franz von Assissi – im Gegensatz zu Tannhäuser, den Ahasver in Rom trifft und seine Sehnsucht nach der heidnischen frischen Sinnenwelt gegenüber der hülflosen Verknöcherung des christlichen Priesterthums wohl begreift; Dante, der die Gegensätze wenigstens im Gedichte zu verbinden sucht; Rienzi, der, ein politischer Narr, Zurück ins alte Römerthum greift; Huß, der ein zweiter Heiland, ein Märtyrer der alten reinen Christuslehre von den hierarchischen Despoten auf den Scheiterhaufen gebracht wird. Da wird Ahasver irr an der Haltbarkeit des Gottesreichs. Er fällt, wie er so sieht, daß Christus statt zu siegen, zum wievielten Male an's Kreuz geschlagen wird, in tiefe Melancholie, er sehnt sich nach seinem Untergange, er kann diese Welt nicht mehr ersehn. – Da erscheint ihm Faust, sein Bruder im Geiste, Faust, der Realist, mitten im Leben stehend und es froh genießend, der, ein treuer Anhänger des Christenthums, doch um die pfäffischen Dispute sich nicht kümmert und nicht die lange Qual der dumpfen Kirchen aufsucht, sondern mit frischen frohen Sinnen am Herzen des Volkes hängt. Nun tritt eine Sinnesänderung in Ahasver ein, die Peripetie des Gedichts bildend. Beide haben noch einen dritten Sagenbruder, Don Juan, den Spanier. Ahasver, der Erstgeborene, sieht ewig nur die Geistersonne brennen, hat keinen Sinn für das Leben und harrt des Tags, da Jesu Glauben mit dem seinen sich verband, während im schroffen Gegensätze dazu der Spanier der Lust der Sinne nachjagt und nicht gern vom Rocken der Gedanken spinnt. Zwischen beiden vermittelnd steht Faust, ebenso empfänglich für das Hohe und Edle als für die Freuden der Welt. Er regt in ihm die Liebe an für die Menschheit, er öffnet sein blödes Auge zum Anschauen kann der Welt, er zeigt ihm, was die Menschheit schon errang. Er zeigt ihm die Leistungen der Buchdruckerkunst in seinem eigenen Hause, er führt ihn nach dem lebensvollen Florenz der Medicäer und nachdem sie vor den Schranken der Inquisition in Spanien geflohen, auf Columbus Schiff nach Amerika, Und Ahasver, der seither »nur die Erde so ärmlich und so klein aus Paradieses Ferne sah,« wünscht jetzt darauf zurück zu bleiben. So treten wir in die dritte Abtheilung des Gedichts.
Ahasver verläßt die neue der Menschheit aufgeschlossene Welt und kehrt zur alten zurück, die Entwickelung des Menschengedanken dort zu verfolgen. Er geht nach Rom und erfreut sich an dem Aufblühen der Kunst, der Bildhauerei, der Malerei, in deren größten Meister, in Rafael, der das Christenthum zum Menschenthum verklärt. Er trifft dort Luther, der in dem Anschauen der geistlichen Corruption den Gedanken der Reformation faßt.
Nach diesem Ruhepunkte führt dann das Epos diejenigen Personen uns nacheinander vor, in welchen sich das freie Menschenthum besonders ausprägt. Shakespeare, den Dichter der Menschheit; Kepler, den Entdecker der Harmonie des Weltalls; Cartesius, der aller neuen Forschung die Methode gab; Wallenstein, der Deutschland religiös und politisch einig machen wollte; Spinoza, den Märtyrer des ächten Menschenthums; Oranien, den Volksbefreier; Milton, den Kämpfer gegen den Puritanismus, den Sänger der Menschenheit; Newton, der das Unendliche gemessen. Auch bei den Freimaurern hält er Einkehr, dem großen Bunde der Menschheit, dem Urbilde des Menschenthums. Aber der Friede der Menschheit ist noch nicht eingekehrt auf Erden, denn schon hebt die französische Revolution ihre blutigen Häupter. Deutschland ist vor Allen erkoren das Ziel zu erreichen. Sein Schiller und sein Göthe stehen auf dem Gipfel der Menschheit. Bei Göthe, der am Hellenenthum in Rom zur Klarheit, zum reinen Menschenthum sich geläutert hat, findet Ahasver das Ziel seines Wanderns, Erfüllung seines Traums, der langen Geisterkette letztes Glied. Die drei Sagenbrüder kommen dann noch einmal zusammen und in ihnen entfaltet sich das Menschenthum in seiner Zauberblüthe, denn sie vertreten dasselbe in der Richtung des Glaubens (Ahasver), des Denkens (Faust) und der Kunst (Don Juan): eine etwas gezwungene und zum Theil außerhalb der Idee des Gedichts stehende Constellation. Damit nimmt, wie der Dichter uns belehrt, die Sage sich gleichsam in sich selbst zurück und hebt sich auf, eine Auflösung die etwas nach Schelling schmeckt, dessen Philosophie überhaupt in dem Gedichte spukt. Das Reich, in dem sie, die Drei, künftig fortleben werden, ist das hehre Reich der Phantasie. Der Dichter läßt dann am Schlüsse seines Gedichtes noch einmal die letzte Idee desselben in den Worten ausklingen:
Und welches Loos sich auf die Erde kor:
Will sie im Sternenreiche sich erhalten,
Will sie verflackern wie ein Meteor –
Im Zeitenschoos, im Wogen der Gestalten
Vermag sie doch Erhabeneres nicht
Als nur der
Menschheit Blume zu entfalten
Und ob sie reicher noch die Kränze flicht,
Ist's doch
die Blume nur, die Duft versendet,
Die sah' ich noch,
die zeigt jetzt mein Gedicht,
Die athmet drin, mit ihr ist es vollendet.
Die letzte und neueste Bearbeitung der Sage bietet uns Robert Hamerling, bekanntlich einer der bedeutendsten Dichter der Gegenwart. In seinem »Ahasver zu Rom« (A. in Rom, eine Dichtung in sechs Gesängen; mit einem Epilog an die Kritiker zur 2. Aufl. 1867. 8. Aufl. 1873) ist allerdings nicht Ahasver, sondern Nero die Hauptperson. Ahasver erscheint dabei nur wie bei Klingemann und Horn als die Nemesis des Stücks, als eine in die menschliche Handlungssphäre übergreifende Macht. Er tritt in einen scharfen Contrast zu der Faustnatur des Nero. Dort unermessene Todessehnsucht, hier unermessener Lebensdrang. Jener kam nach Rom, weil er dort ein großes Sterben ahnte, »ein Sterben zehrend an dem tiefsten Marke des Seins, wenn auch von Glanz noch übertüncht. Vielleicht gelingt's ihm dort mitzusterben.« Er will Nero sein Geschick vollenden helfen, denn trotz des Gegensatzes ihrer Naturen haben doch Beide zusammen eine Sendung zu erfüllen. Denn Beide arbeiten an der rascheren Entwickelung der Menschheit. Solche Titanen der Zerstörung wie Nero braucht die Geschichte, namentlich da, wo das todreife Alte und Verlebte mit neuen Formen kämpft,« um den Entscheidungsaugenblick zu beflügeln, daß nicht zu lang die Wirrsaal hin sich schleppe, damit im neuen Sein zur Ruh die Menschheit komme.« Deshalb macht Ahasver Nero, in dem sich die Todeswürdigkeit gipfelt, zum unbewußten Werkzeug, er treibt und drängt ihn immer mehr ins Ungeheuere. Er tritt ihm, der nur durch die Negative, durch Zerstörung wirken kann, gleichzeitig« als das Unzerstörbare entgegen und bereitet in dieser Erkenntniß seiner menschlichen Ohnmacht den Sturz des vermeintlichen Gottes vor. Während er ihn zur Verbrennung Roms antreibt und selbst die erste Brandfackel schwingt, tritt er dann unversehrt aus den Flammen zu ihm hin, um ihm zu zeigen, daß es doch noch ein Etwas giebt, das zu zerstören sein Arm nicht stark genug ist, das sich wie ein Phönix aus ewigen Verwandlungen erhebt, die »aus erloschenen Daseins Aschenresten den Funken neuer Lebensblüthe lockt:« – die ewige Menschheit.
Im Augenblick zwar fühlt sich die wilde Kraft dem großen Gegner ebenbürtig und nimmt den Kampf mit ihm auf.
Auch ich, ruft Nero:
Ich bin nicht zu vernichten. In mir hat
Das Leben einen festen Ankergrund!
Nichts kann mich je verwandeln,
ich bin ich! – –
Ich nehm es mit dir aus. Es gilt den Wettkampf,
Ob meine
geistige Unzerstörbarkeit
Nicht deiner leiblichen die Wage hält.
Ahasver nimmt den Kampf an mit ruhiger Gewißheit, daß die Stunde der Vernichtung für Nero komme. Sie kommt denn auch in dem Fluche der Uebersättigung, der über ihn hereinbricht. Er hat die Erde und den Olymp durchgekostet, sie haben keine Genüsse mehr für ihn – nur Eins bleibt ihm noch, der Hades. Er ruft an der Hand der Magie die Todten aus, es sind seine eigenen Todten und bricht zusammen unter dem Eindrücke des Entsetzens.
Von all seinen Günstlingen und Getreuen verlassen, flieht er an der Hand eines allein treu gebliebenen Germanen unter heimlicher Führung des Ahasver in die verborgenen Gänge der Erde und trifft aus eine Versammlung der Christen, seine Todfeinde. Er bietet sein Haupt ihrer Rache dar und muß erfahren, daß sie ein solches Gefühl nicht kennen, daß ihre Herzen dem edlen Gesetze der Liebe gehorchen, ein Gesetz, das für ihn, den großen Egoisten nicht bestand, deshalb, wie der christliche Priester sagt, nicht bestand, weil er nichts mehr über sich hatte, dahin er sehnend konnte blicken. Zum ersten Male findet er einen Gott, der nicht wie die alten Götter geehrt und gefürchtet, der geliebt wird. Er erkennt auch, daß nicht die Lust, sondern der Schmerz es ist, der die Welt erlöste. Und wenn er, Nero, dann erklärt:
Ich seh's, der wunderbare Mutterschoos
Des menschlichen Gemüths ist nicht erschöpft.
Zerfällt in Staub die abgelebte Welt,
Das Menschenherz gebiert sie ewig neu.
so hat er damit bereits selbst das innere Geheimniß der Ahasverusmythe ausgesprochen. Und von der Erkenntniß getragen, aber doch unfähig der neuen Lehre sich zu beugen, weiht er sich den Göttern der Unterwelt und der Vernichtung, so Todessehnsucht mit Lebenssehnsucht vertauschend, wie Ahasver es ihm verhießen. Dieser selbst aber erscheint in der Todesstunde seines Gegenparts in der Versammlung der Christen und der Dichter läßt noch am Schlusse seines Gedichtes die Gestalt in origineller Auffassung hoch empor wachsen.
Darnach war der Ahasver, der einst dem Heilande trotzte, schon längst aus Erden, schon uralt, so alt als die Welt. Denn er ist der Erstgeborene der Ungebornen, der Erschaffenen, das erste Menschenkind, der erste Rebell, Kain, der Moder seines Bruders. Er war es, der den Tod in die Welt gebracht und zum Danke dafür verschont er ihn, zum Danke, aber auch zur Strafe.
Dem Geschöpfe, dem Individuum, ist eine ewige Sehnsucht nach Ruhe eingeboren. Es findet sie zuletzt im Tode, die Menschheit aber muß leben, streben, ringen qualvoll immerdar. Das Spiegelbild der Menschheit ist aber Ahasver, seine Todessehnsucht ist nur die Ruhesehnsucht der ewig ringenden Menschheit. Dieser Hamerling'sche Ahasver ist also nicht der ewige Jude, es ist der ewige Mensch. Die Consequenz dieser Auffassung führte aber den Dichter dahin, den Ahasver selbst so alt sein zu lassen, wie die Menschheit. Also stellt er ihn dar in dem ersten Menschenkinde, in Kain, der den Tod in die Welt brachte.
In den Zeitaltern, wo das Dasein nach neuer Gestaltung ringt, steigert sich die ruhesehnende Rastlosigkeit in Ahasver zur wilden Qual, da beflügelt er den Entscheidungsaugenblick und wenn nun dieser gekommen und die Menschheit im neuen Sein zur Ruhe kam, dann winkt auch ihm eine kurze Rast, dann schlummert er in verborgener Höhle Jahrhunderte lang, bis er wieder erwacht, um zu sehen, zu fragen, ob das irdische Leben noch stets nicht müde, ward des ewigen Wandels und stets die Weiber noch Kinder gebären. Eine solche Ruhepause ist jetzt eingetreten, wo er den Titanen Nero zerschmetterte.
Wir können die nunmehr vorgeführten Bearbeitungen unserer Sage füglich in drei Gruppen zerlegen. Die eine Derer, welche die Figur des Ahasver überhaupt nur zu einem episodischen Auftreten im Dienste anderer poetischer Zwecke benutzen, es sind dies Eugen Sue, Horn, Klingemann, Oelkers, Schücking und gewissermaßen auch Hamerling; die andern, welche eine aus der Figur selbst nicht entwickelte, sondern ihr äußerlich aufgetragene Idee anhängen, sie zur Tendenzfigur machen, wie Müller, Lenau, Chamisso, Köhler, Zedlitz und endlich die aus den übrigen bestehende dritte Gruppe Derer, die die Sage um ihrer selbstwillen bearbeitet, fortentwickelt und erweitert haben. Man kann unter diesen Bearbeitungen von Schubert bis zu Hamerling eine fast stetige Steigerung in der Auffassung der Sage beobachten.
Während die alte Sage verschmäht in die objective Schilderung der Thatsachen ein subjectives Empfinden hinein zu tragen, nimmt Schubart für seinen Ahasver bereits ein pathologisches Interesse in Anspruch, indem er die Qual eines beständig Sterbenden schildert, das Müller schon in das Gebiet der Psychologie hinüberspielt, indem hier die Qual des Ahasver aus einem Gefühle der Uebersättigung entspringt, also eine innere, seelische ist, Lenau aber dies Gefühl, indem er ihm eine mehr reflectirende, philosophische Grundlage giebt, bis zur schwarzgalligen Melancholie, zum grübelnden Weltschmerz ansteigert. Bei Horn ist der Grübler schon über den bloß passiven Zustand des selbstquälerischen Leidens hinaus. Er tritt in einen wirklichen und berechtigten Gegensatz zum bloßen Lebensgefühle. Er will in feinem Erscheinen uns nachweisen, daß auch der Tod eine Berechtigung habe, daß das Leben zuletzt selbst nichts weiter sei als ein immerwährendes Sterben. So wächst er sogar triumphirend mit seinem Todesgefühl über das Lebensgefühl hinaus. Dann ist er im weiteren Verfolg bei Klingemann »die Zeit, die ruhig Alles um sich her vernichtet, um Raum zu schaffen für neues Leben.« Es ist in menschlicher Form gedacht die Läuterung des Leides, welche zur unvergänglichen Freiheit hinanführt. So kommen wir schon zur Idee des Andersen'schen Ahasver, welche den Gegensatz als den Streit des Irdischen mit dem Himmlischen faßt, einen Kampf, in welchem der Sieg dem Himmel einst zufallen wird, dem die nach Jahrtausenden zählende menschliche Entwickelung stetig zuschreitet, einen Kampf, den Mosen noch unter den beschränkteren Gesichtspunkt des Religiösen bringt, indem er ihn als einen Kampf der erst vom Wahne, dann vom Trotze geleiteten Menschheit gegen das Christenthum characterisirt. Heller dagegen durchbricht im Verfolg der Laufbahn seines Helden ganz die religiösen Schranken. Die Religion oder doch wenigstens die positive Religion im Gegensatz zur unsichtbaren Kirche ist bei ihm der Gegner der freien menschlichen Entwickelung, der überwunden werden muß, um zum freien Menschenthum, zur ewigen Menschheit zu gelangen. So hat im Lause seiner poetischen Wandlungen der Schuster von Jerusalem sein Pharisäerthum, Judenthum und Christenthum abgeworfen und ist, wie Hamerling ihn benennt, zum ewigen Menschen geworden. Bei Hamerling liegt die Steigerung nur noch darin, daß er von vornherein ganz abstrahirt von dem ursprünglich jüdischen oder doch religiösen Charakter des Ahasver, daß er ihn nicht wie alle Anderen sich erst zu dem Vertreter der Menschheit sich entwickeln läßt, sondern ihn von vornherein in dieser Fassung giebt.
Diese Abstraction der Sage ist namentlich dadurch gewonnen worden, daß die dichterische Bearbeitung von den beiden Schwerpunkten der Sage, welche wir einmal in dem gegnerischen Auftreten der Ahasver gegen Christus, und dann in dem Fluche der ruhelosen Wanderung finden müssen, wesentlich, namentlich später, den letzteren cultivirt hat. Der Gedanke des ewigen Wanderns, des Nichtsterbenkönnens war es hauptsächlich, der der schlichten Sage die ungemeine Anziehungskraft verlieh. Dennoch ist auch in Betreff des Schuldmoments die dichterische Gestaltungskraft in erfinderischer Weise, wie wir sehen, thätig gewesen, namentlich in der Auffassung Ahasvers im Gegensatz zu Christus. Da ist es bald der Anhänger der Hohenpriester und Pharisäer, der Christus, den Ketzer, mit verfolgt, bald der Realist, der den Idealisten nicht will, bald der hartgesottene Ungläubige, der den Glauben verhöhnt, bald ist es wieder der Gläubige, der aus Mißverständniß den neuen Messias für einen Betrüger hält, bald der Jude alten Styls, der auf das Reich Davids, auf die äußere Auferstehung Judas hofft und erst gegen Jesus Front macht, als er sieht, daß es nicht der von ihm Gehoffte ist, bald soll es gar der verlassene darbende Arbeiter mit seinem allgemeinen Classenhaß gewesen sein.
Auch die Frage, wann kommt Ahasver zur Ruhe, wann winkt ihm das Ziel seiner Wanderung, erfährt eine gleiche auseinandergehende Verschiedenheit der Beantwortung. Dieselbe ist eine unbedingt verneinende bei Hamerling, denn die Menschheit kommt nie zur Ruhe, während Heller den Höhepunkt der menschlichen Entwicklung, da wo sie zum ächten Menschenthum emporgestiegen, gleichzeitig als das Ziel der Wanderung Ahasvers hinstellt, Zedlitz dagegen das dem verwandte goldene Zeitalter des ewigen Friedens, der allgemeinen Völkerverbrüderung. Bei Mosen und in der ersten Heller'schen Bearbeitung ist es der Zeitpunkt der Versöhnung der Menschheit mit dem Christenthume, bei Sue in ähnlicher Weise die allgemeine Verbreitung des christlichen Liebesgedankens, bei Köhler die allgemeine Herrschaft der Wahrheit und Freiheit, in der alten Sage wie bei Schubart und Göthe ist es die Wiederkehr Christi auf Erden, bei Andersen die Himmlischwerdung der Menschheit, bei Oelkers das Ende der Zeit, die Ewigkeit.
Wir dürfen indeß nicht annehmen, daß es bloß die Kunstdichtung gewesen ist, welche die Sage allein erhalten, erweitert und fortgebildet hat. Liegen doch zwischen dem ersten Auftreten Ahasvers und seiner ersten dichterischen Bearbeitung durch Schubart fast hundert Jahre dazwischen. Innerhalb dieser Zeit hat die Sage im Volksbewußtsein sich erhalten und mehrere Züge der späteren Dichtungen verdanken nicht ihre Entstehung der eignen Erfindung des Dichters, sondern lassen sich zurückführen auf die stillschaffende Phantasie des Volks. Für sie wurde namentlich Ahasver der Vertreter des zählebigen Volks Israel, das aller Wandlung der Zeit zum Trotze, aller Noch, und Verfolgung zum Spotte seine Eigenart sich bewahrt und auf der ganzen Erde Posten ausgestellt hat. Dann findet namentlich auch der Glaube Erklärung, daß sich an die Füße des verfluchten Wallers Tod und Verderben hefte, wie wir ihn bei Horn, Klingemann und Sue ausgesprochen fanden. Es ist eben derselbe Wahn, der Veranlassung gab zu der entsetzlichen Verfolgung der Juden. Die Kunstdichtung hat jedoch diese etwas einseitige Auffassung des Ahasver unter rein jüdischem Gesichtspunkte gleich von vornherein aufgegeben. Jedenfalls um deßwillen, weil das jüdische Volk wenigstens nach Aufhebung seiner nationalen Selbstständigkeit in der Entwicklung der Weltgeschichte keinen mitredenden Faktor mehr abgiebt, vielmehr nicht aus der Dulderrolle heraustritt, so lange Jenes aber nicht eintritt, die auf eine Verherrlichung des Judenthums hinauslaufende Identificirung unseres Helden mit dem Judenthume keinen Anspruch auf allgemeines Interesse würde machen können.
Unbeachtet dürfen wir dabei auch nicht lassen den mythologischen Kern der Sage, der sich in der Idee des ewigen irdischen Fortlebens ausspricht. Schon Gräser macht darauf aufmerksam und stellt den ewigen Juden in Parallele zu Tannhäuser. Eine weitere Parallele bietet die Kyffhäusersage, deren Ursprung neuere Forscher bis in das altgermanische Götterthum, ja bis in die indogermanische Vorzeit zurückgeführt haben. So leben nicht nur Odin und Holda noch fort im wilden Jäger und Frau Holle, sondern fast die ganzen Figuren der altheidnischen Mythologie führen unter christlicher Maske ein geduldetes Leben, nur wußte die christliche Kirche ihrem Dasein ein zweckdienliches Motiv unterzuschieben. So will es fast scheinen, als ob unsere Sage selbst eine Erfindung der christlichen Priester ist, wie deren erste Wiedergabe auch einem Mönche entstammt, vielleicht in der Absicht geschaffen, den auftauchenden Zweifel an der wirklichen Existenz der Person Christi durch die Vorführung eines noch lebenden Zeugen zu beseitigen. Jenem ersten Ahasver – in Armenien – hängt auch, wie wir sahen, noch nicht der Fluch des ewigen Verdammnisses an, er lebt still und ruhig, in der Hoffnung seiner Erlösung. Erst die christlich germanische Idee, daß für gewisse, namentlich wider das Christenthum und seine Hauptlehren begangene Verbrechen keine Sühne besteht, vielmehr der Unthäter unter ewiger Gewissensfolter nie wieder zur Ruhe kommt, mußte sich auf ihn übertragen, um den stillen seßhaften Mann in ruheloser angstbeflügelter Wanderung durch die Welt zu treiben. Für den Glauben an die Möglichkeit einer solchen Wanderung boten sich aber nun dem Volke die bereits vorhandenen erwähnten mythischen Persönlichkeiten dar. So ungefähr denken wir uns die Genesis der Sage bis dahin, wo die Poesie in ihren einzelnen Vertretern sich ihrer bemächtigte.
Bewundernd aber stehen wir vor der Fülle erhabener und tiefer Gedanken, zu denen die Sage allen Denen Anregung gegeben hat, die sich dichterisch in dieselbe versenkten; Gedanken, welche befruchtend hinübergreifen in die Gebiete der Religion, der Philosophie, der Geschichte, der Natur, und welche in ihrer Zusammenfassung fast ein eigenes philosophisches System, eine Art Ahasver-Philosophie bilden, die sich namentlich in dem erhabenen Schlußsatze gipfelt, daß Tod und Leben eigentlich Eins sind. Ist doch das Leben lehrt uns die Philosophie unserer Sage selbst nichts weiter, als ein immerwährendes Sterben und alles neue Leben erst bedingt durch ein vorhergegangenes Sterben. Und so ist zuletzt der Tod Nothwendigkeit, Wohlthat, Versöhnung und hat nichts von dem Schrecklichen, das der Mensch ihm anhängt. Kein größerer Fluch, als ein ewiges Leben, weil dasselbe von einem ewigen Sterben begleitet oder doch dessen Zeuge ist. In der Welt stirbt nichts. Wenn auch die Vernichtung in noch größeren Massen um sich greift, ein Lebenspunkt bleibt immer noch, von dem aus das Leben wieder weiter greift. Und Das nicht bloß innerhalb der Natur, auch innerhalb der menschlichen Entwickelung. Ganze große Nationen, nachdem sie Jahrhunderte lang der Menschheit ihr specielles Gepräge verliehen, entarten, verschwinden, gehen unter, was aber nicht untergeht, das sind die ewigen Ideen, die sie erzeugten und vertraten, diese leben weiter und werden von Denen übernommen und neu befruchtet, welche die neuen Träger der Mission der Geschichte geworden sind, bis auch diese wieder dahin gekommen sind, wo sie nicht mehr im Stande sind, die Welt mit neuen belebenden Gedanken zu durchdringen. Dann sind auch sie wieder zum Sterben reif. Es ist nicht immer ein wirklicher und sichtbarer Untergang. Oft treten sie, die bestimmenden Nationen nur vom Schauplatz ab und verharren eine Zeitlang in Stillstand. In diesem Stillstande, in dieser Ruhe aber sammeln sie neue Kraft, die ihren Schooß wieder fruchtbar macht und von Neuem übernehmen sie die Führerschaft der Welt. In diesem stetigen Absterben alles zum Tode Reisen gewinnen wir eben das Gesetz des Fortschritts der menschlichen Entwicklung. Dieser Fortschritt bedingt aber den Kampf, bedingt den Zweifel, bedingt den Irrthum. »Gott wird geboren, gekreuzigt, und – lebt.« Es ist aber nur scheinbar oder doch nur auf der untersten Stufe ein Kampf um das bloße elende Dasein, es ist vielmehr ein Kampf, um die – unsterblichen Ideen. Und wenn einst nach Jahrtausenden die Zeit wird gekommen sein, da sie siegend sich verbreiteten über die ganze Erde, wenn die Menschheit »ein Volk, ein Denken ward in Eintracht und Verständniß, wenn Erd und Himmel Eins geworden,« dann – dann hat der Menschheit Ahasverthum geendet, dann – stirbt nicht Ahasver, aber seine Qual hat ein Ende, denn nun braucht die Menschheit nicht mehr das Sterben, um zu – leben So spiegelt sich in der Fortentwickelung unserer Sage gleichsam die Fortentwickelung des menschlichen Geistes ab, welche ebenfalls die Stationen des Mythus, des Glaubens, des freien Denkens durchzuleben hat.
Ist nun die poetische oder geistige Wiedergeburt des Ewigen Juden erschöpft? Aus dem soeben entwickelten Begriffe der fortschrittlichen geistigen Entwicklung der Menschheit heraus müssen wir die Frage verneinen. Immer noch wird die alte wunderliche Figur die Folie abgeben für neue Gedanken, neue Axiome. Noch ist man ihr eigentlich mehr philosophisch als poetisch gerecht geworden. Die ursprüngliche reale Figur ist mehr und mehr in eine Abstraction aufgegangen. Ob sie sich freilich nicht, wie Klingemann und Hamerling meinen, überhaupt einer derartigen poetischen Lösung, welche sie zum eigentlichen Helden eines Gedichts stempelt, wie Faust und Don Juan, entzieht, darüber ließe sich wohl streiten. Jedenfalls müssen wir dies vorerst noch der Zukunft überlassen. Die von Heller und Schücking geschaffene Verbindung der Figur mit anderen realistischen Sagenfiguren hat ihr auch einen erhöhteren Realismus verliehen, freilich nur auf Kosten ihrer Bedeutung. Jedenfalls wird sie in dieser Verbindung oder in Form der Episode noch lange in der Literatur, namentlich der deutschen, der sie fast ausschließlich gehört, phantastisch spuken. Immer von Neuem werden wir ihm dort begegnen, dem müden Wanderer in seinem fahlen wetterharten Gesichte, mit den unheimlich glühenden Augen, dem zusammengewachsenen buschigen Brauen, dem verwitterten silberweißen Barte, das Haupt müde und schmerzlich zur Brust gesenkt, ruhig und schweigsam dahinschreitend in großen tappenden Schritten, nicht rastend noch ruhend, nur wandernd – weiter – weiter – weiter – –
Druck von
Gebr. Unger
(Th. Grimm) in Berlin, Schönebergerstr. 17a.