Heinrich Heine
Französische Zustände
Heinrich Heine

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Zwischennote zu Artikel IX

(Geschrieben den 1. Oktober 1832)

Die im vorstehenden Artikel unterdrückte Stelle bezog sich zunächst auf den deutschen Adel. Je mehr ich aber die neuesten Tageserscheinungen überdenke, desto wichtiger dünkt mir dies Thema, und ich muß mich nächstens zu einer gründlichen Besprechung desselben entschließen. Wahrlich, es geschieht nicht aus Privatgefühlen; ich glaube es in der jüngsten Zeit bewiesen zu haben, daß meine Befehdung nur die Prinzipien und nicht leiblich unmittelbar die Person der Gegner trifft. Die Enragés des Tages haben mich deshalb in der letzten Zeit als einen geheimen Bundesgenossen der Aristokraten verschrien, und wenn die Insurrektion vom 5. Junius nicht scheiterte, wäre es ihnen leicht gelungen, mir den Tod zu bereiten, den sie mir zugedacht. Ich verzeihte ihnen gern diese Narrheit, und nur in meinem Tagesbericht vom 7. Junius ist mir ein Wort darüber entschlüpft. – Der Parteigeist ist ein ebenso blindes wie rasendes Tier.

Es ist aber mit dem deutschen Adel eine sehr schlimme Sache. Alle Konstitutionen, selbst die beste, können uns nicht helfen, solange nicht das ganze Adeltum bis zur letzten Wurzel zerstört ist. Die armen Fürsten sind selbst in der größten Not, ihr schönster Wille ist fruchtlos, sie müssen ihren heiligsten Eiden zuwiderhandeln, sie sind gezwungen, der Sache des Volks entgegenzuwirken, mit einem Wort: sie können den beschworenen Konstitutionen nicht treu bleiben, solange sie nicht von jenen älteren Konstitutionen befreit sind, die ihnen der Adel, als er seine waffenherrliche Unabhängigkeit einbüßte, durch die seidenen Künste der Kurtisanerie abzugewinnen wußte; Konstitutionen, die als ungeschriebene Gewohnheitsrechte tiefer begründet sind als die gedrucktesten Löschpapierverfassungen; Konstitutionen, deren Kodex jeder Krautjunker auswendig weiß, und deren Aufrechterhaltung unter die besondere Obhut jeder alten Hofkatze gestellt ist; Konstitutionen, wovon auch der absoluteste König nicht das geringste Titelchen zu verletzen wagt – ich spreche von der Etikette.

Durch die Etikette liegen die Fürsten ganz in der Gewalt des Adels, sie sind unfrei, sie sind unzurechnungsfähig, und die Treulosigkeit, die einige derselben bei den letzten Ordonnanzen des Bundestags beurkundet, ist, wenn man sie billig beurteilt, nicht ihrem Willen, sondern ihren Verhältnissen beizumessen. Keine Konstitution sichert die Rechte des Volks, solange die Fürsten gefangen liegen in den Etiketten des Adels, der, sobald die Kasteninteressen ins Spiel kommen, alle Privatfeindschaften beiseite setzt und als Korps verbündet ist. Was vermag der einzelne, der Fürst, gegen jenes Korps, das in Intrigen geübt ist, das alle fürstlichen Schwächen kennt, das unter seinen Mitgliedern auch die nächsten Verwandten des Fürsten zählt, das ausschließlich um dessen Person sein darf, dergestalt, daß der Fürst seine Edelleute, selbst wenn er sie haßt, durchaus nicht von sich weisen kann, daß er ihren holden Anblick ertragen muß, daß er sich von ihnen ankleiden, die Hände waschen und lecken lassen muß, daß er mit ihnen essen, trinken und sprechen muß – denn sie sind hoffähig, durch Erbrang zu ihren Hofchargen bevorzugt, und alle Hofdamen würden sich empören und dem armen Fürsten sein eigenes Haus verleiden, wenn er nach seines Herzens Gefühlen handelte und nicht nach den Vorschriften der Etikette. So geschah es, daß König Wilhelm von England, ein wackerer, guter Fürst, durch die Ränke seiner noblen Umgebung aufs kläglichste gezwungen ward, sein Wort zu brechen und seinen ehrlichen Namen zu opfern und der Achtung und des Vertrauens seines Volkes auf immer verlustig zu werden. So geschah es, daß einer der edelsten und geistreichsten Fürsten, die je einen Thron geziert, Ludwig von Bayern, der noch vor drei Jahren der Sache des Volkes so eifrig zugetan war und allen Unterjochungsversuchen seiner Noblesse so fest widerstand und ihre frondierende Insolenz und Verleumdungen so heldenmütig ertrug: daß dieser jetzt müd und entkräftet in ihre verräterische Arme sinkt und sich selber untreu wird! Armes Herz, das einst so ruhmsüchtig und stolz war, wie sehr muß dein Mut gebrochen sein, daß du, um von einigen störrigen Untertanen nicht mehr durch Widerrede inkommodiert zu werden, deine eigne unabhängige Oberherrschaft aufgäbest und selbst ein untertäniger Vasall wurdest, Vasall deiner natürlichen Feinde, Vasall deiner Schwäger!

Ich wiederhole, alle geschriebene Konstitutionen können uns nichts helfen, solange wir das Adeltum nicht von Grund aus vernichten. Es ist nicht damit abgetan, daß man durch diskutierte, votierte und sanktionierte und promulgierte Gesetze die Privilegien des Adels annulliert; dieses ist an mehreren Orten geschehen, und dennoch herrschen dort noch immer die Adelsinteressen. Wir müssen die herkömmlichen Mißbräuche im fürstlichen Haushalt vertilgen, auch für das Hofgesinde eine neue Gesindeordnung einführen, die Etiketten zerbrechen und, um selbst frei zu werden, mit der Fürstenbefreiung, mit der Emanzipation der Könige, das Werk beginnen. Die alten Drachen müssen verscheucht werden von dem Quell der Macht. Wenn ihr dieses getan habt, seid wachsam, damit sie nicht nächtlicherweile wieder herankriechen und den Quell vergiften. Einst gehörten wir den Königen, jetzt gehören die Könige uns. Daher müssen wir sie auch selbst erziehen und nicht mehr jenen hochgeborenen Prinzenhofmeistern überlassen, die sie zu den Zwecken ihrer Kaste erziehen und an Leib und Seele verstümmeln. Nichts ist den Völkern gefährlicher als jene frühe Umjunkerung der Kronprinzen. Der beste Bürger werde Prinzenerzieher durch die Wahl des Volks, und wer verrufenen Leumunds ist oder nur im geringsten bescholten, werde gesetzlich entfernt von der Person des jungen Fürsten. Drängt er sich dennoch hinzu mit jener unverschämten Zudringlichkeit, die dem Adel in solchen Fällen eigen ist, so werde er gestäupt auf dem Marktplatz nach den schönsten Rhythmen, und mit rotem Eisen werde ihm das Metrum aufs Schulterblatt gedruckt. Wenn er etwa behauptet, er habe sich an die Person des jungen Fürsten gedrängt, um für geistreich und witzig gehalten zu werden, und wenn er einen dicken Bauch hat wie Sir John, so setze man ihn bloß ins Zuchthaus, aber wo die Weiber sitzen.

Indessen, es gibt auch weiße Raben.

Ich werde, wie ich schon in der Vorrede zu Kahldorfs Briefen an den Grafen Moltke angedeutet, diesen Gegenstand ausführlicher besprechen; eine Statistik des diplomatischen Korps, dem die Interessen der Völker anvertraut sind, wird dabei am interessantesten sein. Es werden Tabellen beigefügt werden. Verzeichnisse der verschiedenen Tugenden desselben in den verschiedenen Hauptstädten. Man wird z. B. daraus ersehen, wie in einer der letztern immer der dritte Mann unter der edlen Genossenschaft entweder ein Spieler ist oder ein heimatloser Lohndiener oder ein Escroc oder der Ruffiano seiner eigenen Gattin oder der Gemahl seines Jockeys oder ein Allerweltsspion oder sonst ein adliger Taugenichts. Ich habe behufs dieser Statistik ein sehr gründliches Quellenstudium getrieben, und zwar an den Tischen des Königs Pharo und anderer Könige des Morgenlandes, in den Soireen der schönsten Göttinnen des Tanzes und des Gesanges, in den Tempeln der Gourmandise und der Galanterie, kurz in den vornehmsten Häusern Europas.

Ich muß betreffs des Grafen Moltke hier nachträglich erwähnen, daß derselbe Juli vorigen Jahres hier in Paris war und mich in einen Federkrieg über den Adel verwickeln wollte, um dem Publikum zu zeigen, daß ich seine Prinzipien mißverstanden oder willkürlich entstellt hätte. Es schien mir aber grade damals bedenklich, in meiner gewöhnlichen Weise ein Thema öffentlich zu erörtern, das die Tagesleidenschaften so furchtbar ansprechen mußte. Ich habe diese Besorgnisse dem Grafen mitgeteilt, und er war verständig genug, nichts gegen mich zu schreiben. Da ich ihn zuerst angegriffen, hätte ich seine Antwort nicht ignorieren dürfen, und eine Replik hätte wieder von meiner Seite erfolgen müssen. Wegen jener Einsicht verdient der Graf das beste Lob, das ich ihm hiermit zolle, und zwar um so bereitwilliger, da ich in ihm persönlich einen geistreichen und, was noch mehr sagen will, einen wohldenkenden Mann gefunden, der es wohl verdient hätte, in der Vorrede zu den Kahldorfschen Briefen nicht wie ein gewöhnlicher Adliger behandelt zu werden. Seitdem habe ich seine Schrift über Gewerbefreiheit gelesen, worin er, wie bei vielen anderen Fragen, den liberalsten Grundsätzen huldigt.

Es ist eine sonderbare Sache mit diesen Adligen! Die besten unter ihnen können sich von ihren Geburtsinteressen nicht lossagen. Sie können in den meisten Fällen liberal denken, vielleicht noch unabhängig liberaler als Rotüriers, sie können vielleicht mehr als diese die Freiheit lieben und Opfer dafür bringen – aber für bürgerliche Gleichheit sind sie sehr unempfänglich. Im Grunde ist kein Mensch ganz liberal, nur die Menschheit ist es ganz, da der eine das Stück Liberalismus besitzt, das dem anderen mangelt, und die Leute sich also in ihrer Gesamtheit aufs beste ergänzen. Der Graf Moltke ist gewiß der festesten Meinung, daß der Sklavenhandel etwas Widerrechtliches und Schändliches ist, und er stimmt gewiß für dessen Abschaffung. Mynheer van der Null hingegen, ein Sklavenhändler, den ich unter den Bohmchen zu Rotterdam kennengelernt, ist durchaus überzeugt: der Sklavenhandel sei etwas ganz Natürliches und Anständiges, das Vorrecht der Geburt aber, das Erbprivilegium, der Adel, sei etwas Ungerechtes und Widersinniges, welches jeder honette Staat ganz abschaffen müsse.

Daß ich im Julius 1831 mit dem Grafen Moltke, dem Champion des Adels, keinen Federkrieg führen wollte, wird jeder vernünftig fühlende Mensch zu würdigen wissen, wenn er die Natur der Bedrohnisse erwägt, die damals in Deutschland laut geworden.

Die Leidenschaften tobten wilder als je, und es galt damals dem Jakobinismus ebenso kühn die Stirne zu bieten wie einst dem Absolutismus. Unbeweglich in meinen Grundsätzen, haben selbst die Ränke des Jakobinismus nicht vermocht, mich hier, zu Paris, in den dunkelen Strudel hineinzureißen, wo deutscher Unverstand mit französischem Leichtsinn rivalisierte. Ich habe keinen Teil genommen an der hiesigen deutschen Assoziation, außer daß ich ihr bei einer Kollekte für die Unterstützung der freien Presse einige Franks zollte; lange vor den Juniustagen habe ich den Vorstehern jener Assoziation aufs bestimmteste notifiziert, daß ich nicht mit derselben in weiterer Verbindung stehe. Ich kann daher nur mitleidig die Achsel zucken, wenn ich höre, daß die jesuitisch-aristokratische Partei in Deutschland sich zu jener Zeit die größte Mühe gab, mich als einen der Enragés des Tages darzustellen, um mir bei deren Exzessen eine kompromittierende Solidarität aufzubürden.

Es war eine tolle Zeit, und ich hatte meine große Not mit meinen besten Freunden, und ich war sehr besorgt für meine schlimmsten Feinde. Ja, ihr teuern Feinde, ihr wißt nicht, wieviel Angst ich um euch ausgestanden habe. Es war schon die Rede davon, alle verräterische Junker, verleumderische Pfaffen und sonstige Schurken in Deutschland aufzuknüpfen. Wie durfte ich das leiden! Galt es nur, euch ein bißchen zu züchtigen, euch auf dem Schloßplatz zu Berlin oder auf dem Schrannenmarkt zu München in einem gelinden Versmaße mit Ruten zu streichen oder euch die trikolore Kokarde auf die Tonsur zu nageln oder sonst ein Späßchen mit euch zu treiben, das hätte ich schon hingehen lassen. Aber daß man euch geradezu umbringen wollte, das litt ich nicht. Euer Tod wäre ja für mich der größte Verlust gewesen. Ich hätte mir neue Feinde erwerben müssen, vielleicht unter honetten Leuten, welches einem Schriftsteller in den Augen des Publikums sehr schädlich ist. Nichts ist uns ersprießlicher, als wenn wir lauter schlechte Kerle zu Feinden haben. Der HERR hat mich unübersehbar reichlich mit dieser Sorte gesegnet, und ich bin froh, daß sie jetzt in Sicherheit sind. Ja, laßt uns ein »Te Metternich laudamus« singen, ihr teuern Feinde! Ihr wäret in der größten Gefahr, gehenkt zu werden, und ich hätte euch dann auf immer verloren! Jetzt ist wieder alles still, alles wird beigelegt oder festgesetzt, die Bundesakte wird losgelassen, und die Patrioten werden eingesperrt, und wir sehen einer langen, süßen, sicheren Ruhe entgegen. Jetzt können wir uns wieder ungestört des alten schönen Verhältnisses erfreuen: ich geißle euch wieder nach wie vor, und ihr verleumdet mich wieder nach wie vor. Wie froh bin ich, euch noch so ungehenkt zu sehen! Euer Leben ist mir teurer als jemals. Ich kann mich bei eurem Anblick einer gewissen Rührung nicht erwehren. Ich bitte euch, schont eure Gesundheit; verschluckt nicht euer eigenes Gift, lügt und verleumdet lieber womöglich noch mehr als ihr zu tun pflegt, das erleichtert das fromme Herz; geht nicht so gebückt und gekrümmt, das schadet der Brust; geht mal ins Theater, wenn eine Raupachsche Tragödie gegeben wird, das heitert auf; versucht eine Abwechslung in euren Privatvergnügungen, besucht auch einmal ein schönes Mädchen; hütet euch aber vor des Seilers Töchterlein!

Ihr flattert jetzt wieder an einem langen Faden; aber wer weiß, eines frühen Morgens hängt ihr an einem kurzen Strick.

 


 


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