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Hauptmann Malm hatte sich im dritten Jahr, seit Marie in Naalköping war, dort niedergelassen; er war Junggeselle und aß im »Goldnen Roß«, wo er auch meist seine freie Zeit zubrachte. Er hatte stets seinen festen Platz am bestimmten Tische. Im Sommer in der linken, äußersten Ecke der unteren Veranda, wo er aß, und denselben Platz in der oberen Veranda, wo er seinen Kaffee und seinen Punsch trank. Im Winter am oberen Ende, am nördlichen Fenstertisch bei den Mahlzeiten, rechts im letzten Sopha beim Kaffee, und nahe der Thür zum Büffett am Abend.
Hauptmann Malm hatte das Leben in der Welt genossen, und nun war sein Haar grau geworden und sein Bauch wenig kleidsam in der Uniform. Zu welchem Nutzen er hier auf der Welt gelebt hatte, mochte Gott wissen, wenn nicht dazu, damit die jungen Herren in Naalköping einen in seinem Aeußeren durch und durch korrekten Mann vor sich haben sollten, den sie sich, wenn sie Lust dazu verspürt hätten, zum Vorbilde nehmen konnten. Aber das wollten oder, richtiger gesagt, konnten sie nicht; Herr Hauptmann Malm war noch immer der einzige »feinere Kerl« in Naalköping, der nicht schrie und Mißtöne ausstieß, wenn er eine Menge starker Getränke zu sich genommen hatte und der nicht in den Schüsseln und Tellern mit derselben Gabel herumwühlte, die er abwechselnd in seinen Mund steckte.
Ebensowenig hatte die witzige und leichte Konversation Hauptmann Malm's – welche die Fremden, die bisweilen nach Naalköping kamen, veranlaßte, die Ohren zu spitzen – in merkbarer Weise vermocht, den Umgangs- oder Gesprächston in dem Junggesellenkreise der Stadt zu heben. Man lachte beifällig zu seinen Scherzen und scharfen Satiren. Aber selbst begnügte man sich mit der Besprechung der Erwerbs- und Avancementsfragen, solange man nüchtern war, und mit unsauberen Geschichten, wenn man ein bischen zu tief in's Glas geguckt hatte. Es war, wie gesagt, nicht zu leicht, über die eigentliche Lebensaufgabe Hauptmann Malm's in's Klare zu kommen. Eine eigene Familie hatte er niemals begründet und das Vermögen seines Vaters hatte er bereits während der Lebenszeit desselben und vor den eigenen Augen des Greises so schnell durchgebracht, daß die Freude, welche die Eltern an ihm gehabt, wohl sehr mäßig gewesen war im Verhältniß zu der, die sie wohl von ihm erwartet hatten.
Mit seinem hellen Kopf, seiner schnellen Auffassungsfähigkeit, seiner Geistesgegenwart und seiner stattlichen Erscheinung hätte es Malm unzweifelhaft in der militärischen Karriere weit gebracht, wenn er nur – gewollt hätte. Aber er benutzte seine Begabung nur dazu, ohne die geringste Arbeit mit seinen Kameraden in den Offiziersgraden gleichen Schritt zu halten. Bei seiner Befähigung gelang ihm dieses, ohne daß es ihm die geringste Zeit oder Arbeit für seinen Beruf kostete, abgesehen von seinem Dienst auf dem Exerzirplatz, wo er sich zur Noth durchschlug, wie man so zu sagen pflegt. Darum war es aber auch mit seiner Beförderung zu Ende, als er den Hauptmannsgrad erreicht hatte. Wenn also seine Karlsborger Festung in Schweden. Kameraden, die ihm an Begabung weit unterlegen waren, Majore und Oberste wurden, tröstete er sich damit, in seinem lustigen Kreise am Punschtisch diese avancirten Waffenbrüder zu verspotten, in einer unwiderstehlich komischen Weise ihre lächerlichen und schwachen Seiten hervorzuheben und nachzuahmen, bis der ganze Zuhörerkreis sich vor Lachen nicht mehr halten konnte. Dann glaubte er sich genügend für seine eigene »Zurückhaltung« entschädigt zu haben. Bei einem großen Manöver in Schonen war es ihm beinahe mißglückt, sich nur im Geleise der Mittelmäßigkeit zu halten. Zwei Majore seines Regiments waren verhindert, und Malm, als ältester Hauptmann, sollte das eine Bataillon führen. Die größeren Truppenmassen, die neue Aufgabe reizten ihn und flößten ihm Lust ein, zu zeigen, was er könnte.
Der König hatte an einem Tage zweimal gerufen: »Brav, mein lieber Malm!« und ihm drohte die Majorsbeförderung, die er aber glücklicher Weise noch dadurch abwehrte, daß er im Bivouak inmitten eines größeren Kreises seiner scharfen Zunge gegen verschiedene Vorgesetzte so freien Lauf ließ, daß diese es für ihre hohe Pflicht ansehen mußten, ihn in der Stellung zurückzuhalten, die er einnahm.
Als Unterlieutenant war Hauptmann Malm für Frauenherzen ein gefährlicher Kerl gewesen. Aber die Gerechtigkeit mußte anerkennen, daß er auch auf diesem Gebiete wenig Vortheil aus seinen Vorzügen gezogen und nicht sonderlich viel gebrochene Herzen auf seinem Gewissen hatte.
Da er nun nahe den Fünfzigern war, auf der Grenze des Pensionsalters, gewann es fast den Anschein, als ob er es bereute. Er sprach oft und wehmüthig von dem nothgezwungenen »Rückzug« des Ergrauenden vom Kampf um die Gunst der jungen Damen.
Er widmete den erwachsenen Töchtern seiner gleichalterigen Kameraden eine zärtliche Aufmerksamkeit und machte bittere Bemerkungen, wenn diese, eine nach der andern, sich mit jüngeren Männern verlobten; aber man nahm ihn jetzt niemals mehr ernst, den guten Hauptmann, und wenn er selbst es auch gethan hätte und jedes beliebige Mädchen von Naalköping hätte bekommen können, würde er sich doch wahrscheinlich im entscheidenden Augenblick zurückgezogen haben. Es war weder die Liebe, noch die versäumten Ehegelegenheiten, sondern ganz einfach seine verlorene Jugend, um die Hauptmann Malm trauerte.
In seinem Aeußeren war er durch und durch ein Gentleman. Allerdings war es sein größtes Vergnügen, die Leute zu verspotten, sie bis auf's Blut zu verhöhnen und sie in ironischer Weise zu imitiren; aber eine Person, der er einmal vorgestellt war, nicht wiederzuerkennen, nach der Wand zu blicken, wenn auf der anderen Seite der Straße ein Frauenzimmer daherkam, mit dem er ein einziges Mal, und wäre es auch während seiner Schulzeit gewesen, gesprochen hatte, weil sie dürftig gekleidet war oder einen schlechten Hut auf hatte, dazu wäre er nicht imstande gewesen, ebensowenig wie sich brutal und unverschämt gegen eine Kellnerin zu benehmen. Hatte er in einem Laden zweimal Handschuhe gekauft, so grüßte er das Ladenfräulein auf der Straße ebenso artig, wie die Landrichterin von Naalköping, und eine halb idiotische Wachtmeisterstochter, die Naalköpings einzige Telephonstation versah und an einen wahren Platzregen schlechter Witze von allen Seiten gewöhnt war, wies er einmal auf folgende Weise zurecht: »Meine Gnädigste, Ihr Verhalten könnte einem den Verdacht erregen, daß Ihnen das genügende Interesse für Ihre Beschäftigung fehlt.«
Marie im »Goldnen Roß« wurde von Hauptmann Malm natürlicher Weise vom ersten Augenblick an vollkommen ernst genommen. Als er seine erste Abonnementskarte kaufte, stellte er sich umständlich vor, und der Name »Marie« kam selten über seine Lippen. Gewöhnlich sagte er sehr artig: »Fräulein Wibom.« Es fiel ihm gar nicht ein, ihr dadurch lästig zu fallen, daß er sich in der Nähe des Büffetts niederließ und sie mit Gesprächen aufhielt, wenn ihre Aufmerksamkeit von andern Gästen in Anspruch genommen wurde. Aber wenn er mit ihr sprach, geschah es in einem heiteren, ungezwungenen Tone, ganz ähnlich dem, den er den jungen Damen aus der Gesellschaft von Naalköping gegenüber anwendete. Nein, nicht ganz in demselben, denn ihnen gegenüber gestattete er sich noch bisweilen, ein wenig erotisch-wehmuthsvoll zu werden und darüber zu klagen, daß er es sich nicht mehr einfallen lassen könnte, die Rosen, die seine Augen entzückten, an seine Brust zu stecken, daß für ihn mit seinem ergrauenden Scheitel weder Blicke, noch Lächeln existirten u. s. w.
Was Marie anbetrifft, so that ihr Hauptmann Malm fast vom ersten Augenblick an, da sie ihn sah, leid. Von den andern alten Junggesellen hatte jeder seine Interessen. Der eine sammelte Geld, der andere ging ganz und gar in seinem Geschäft auf, der dritte hatte seine Geschwisterkinder, für die er sorgte, – Hauptmann Malm hatte nur sein Essen, seinen Punsch, seine kurzen Exerzirübungen und seine scharfe Zunge, sowie dann und wann eine Partie Karten.
Sie sah, wie die Falten auf seiner Stirn sich tiefer eingruben, wie der lachende Mund und die blitzenden braunen Augen bisweilen, wenn er allein war, einen müden, wehmüthigen Zug annahmen, und sie hörte andere Herren davon reden, daß die pekuniären Verhältnisse des Hauptmanns sehr schlecht stünden.
Allmählig bemerkte sie, daß draußen im Café nicht mehr solch ein Jubel entstand, wenn der Hauptmann zu der gewöhnlichen Clique herantrat. Sobald er sich gesetzt hatte, nahm er einen Sündenbock vor und äffte ihm nach, oder erzählte eine seiner lustigen Geschichten, die er meisterlich vorzutragen verstand. Dann ertönten die Lachsalven wieder wie gewöhnlich, und er war der natürliche Mittelpunkt in dem Kreise; aber es konnte auch vorkommen, daß jüngere Herren der Clique es Hauptmann Malm mitzutheilen vergaßen, wenn sie am folgenden Tage einen gemeinsamen Ausflug vorhatten.
Man hatte einen Winter mit prächtiger Schlittenbahn, und es kam ein Tag mit herrlichem Reiffrost und strahlender, wenn auch wenig wärmender Wintersonne.
An solchen Tagen kam früher Hauptmann Malm, als er noch draußen auf dem Lande sein schönes Gütchen besaß, immer mit seinem stattlichen Fuhrwerk herein, fuhr bei seinen Vereinsbrüdern herum, arrangirte Tanz und Souper im »Rathhause« oder im »Goldnen Roß«, sowie eine festliche Schlittenpartie von mindestens zwanzig Fuhrwerken.
Dann kam eine Zeit, da Hauptmann Malm sich stets genöthigt sah, bei dergleichen Gelegenheiten die freundlichsten Equipagenbesitzer Naalköpings um ihr Fuhrwerk zu ersuchen; aber noch immer stand er an der Spitze der Vergnügungen, noch immer war er derjenige, der sie arrangirte, leitete und bestimmte.
Im letzten Winter hatte man lange Schlittenbahn gehabt, aber von einer Schlittenpartie war nichts zu hören. Die anderen Einladungen und Veranstaltungen waren so zahlreich gewesen, daß keine Zeit dafür übrig geblieben war. Eines schönen Tages, als Hauptmann Malm sich um die Mittagszeit im »Goldnen Roß« einfand, sah es dort ein wenig leer aus, und er vermißte einige seiner Freunde.
»Was giebt's denn, Fräulein? Wo sind denn die Herren?« fragte er erstaunt.
»Mein Gott, sind Sie denn nicht mit bei der Schlittenpartie, Herr Hauptmann? Sie fahren um 3 Uhr ab, und für heute Abend haben sie den großen Saal und zwei der kleinen Zimmer oben bestellt«, erwiderte Marie.
Eine dunkle Wolke glitt über Malms Gesicht hin. So! Man amüsirte sich also ohne ihn! Allerdings war er die letzten Tage fort gewesen und hatte seine gewöhnliche Tischgesellschaft nicht angetroffen, aber sie hätten doch wohl warten können, bis er zurückkam und die Sache, wie gewöhnlich, arrangirte; die Schlittenbahn sah nicht danach aus, als ob sie so bald aufhören würde. Wenigstens hätte man wohl einen Boten schicken können und hören, ob er schon zurückgekehrt wäre, und ihn bitten lassen, mitzukommen.
Er verzehrte sein Mittagsbrod schweigend, und es schmeckte ihm nicht sonderlich. Dann ging er durch abgelegene Gassen nach Hause, um nicht der frohen Gesellschaft zu begegnen. Am Abend sah man ihn nicht im Speisesaale des »Goldnen Rosses«, er lag daheim auf seinem Sopha in stillem Grübeln und zündete den ganzen Abend kein Licht an. Am Tage darauf hörte Marie zwei Herren im »Goldnen Roß« von der Schlittenpartie reden.
»Malm hat sich geärgert, daß er nicht eingeladen wurde. Zum Teufel, wer konnte denn aber wissen, daß er schon zurückgekommen war!«
»Ja, und in jedem Fall war es eigentlich ein Vergnügen für die Jugend, und dann wollten wir es ja ein wenig feiner und theurer haben. Ich wußte wirklich nicht, ob er die Mittel dazu habe; es sieht ja verdammt mager mit ihm aus.«
»Ja, er sollte nun wohl in ein vernünftiges Alter gekommen sein und wirklich daran denken, ein wenig für seine Gläubiger zu sparen. Ich stehe auch auf einem Schuldschein über 2000 Kronen.«