Friedrich Hebbel
Schnock
Friedrich Hebbel

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Am auffallendsten war mir's, daß Lene jene Heuchelei und Verstellung noch monatelang im Ehestand fortsetzte; geradeso, als hätte sie sich einen Reiter zum Vorbild genommen, der sein Roß, das er hinterher durch Sporn und Peitsche genugsam plagt, beim Besteigen klatscht und streichelt. Nichts konnte im Haushalt geschehen, Schnock mußte erst befragt werden. »Meinst du nicht, Christopher,« hieß es, »daß der Spiegel an jener Wand besser hinge? Ist's dir recht, wenn der rote Koffer seinen Platz verändert? Kann der Lehrbursch wohl einmal flink zum Krämer springen und mir etwas Seide holen, oder siehst du's nicht gern? Liebst du die Pfannkuchen braun gebraten, oder nicht?« Anfangs lacht' ich, wenn sie mit dem spitzbübisch-unschuldigsten Gesicht von der Welt Fragen der Art an mich richtete, und sagte: »Geh mir!« Zuletzt aber ging ich auf den Spaß ein, erklärte gravitätisch, wie Könige im Puppenspiel, meinen Willen und ergötzte mich nicht wenig, wenn die Suppe mittags wirklich so auf den Tisch kam, wie ich sie morgens beim Frühstück, wo ich, würdevoll den Großvaterstuhl ausfüllend, meine lächerlichen Instruktionen erteilte, bestellt hatte. Genau weiß ich mich noch des Tags zu erinnern, an dem die Herrlichkeit ein Ende nahm und mein Drache seine eigentliche Natur zum ersten Male hervorkehrte. Es war Mittwoch und Markttag, und ich hatte einem Gesellen die Arbeit aufgekündigt, als Streit mit ihm bekommen, d. h. gelinden, wo man sich bloß gegenseitig die Versicherung gibt, daß man einer ohne den andern leben könne. Ich glaube, alles ist in Ordnung, und freue mich, als mit einem Male der Gesell, da ich eben mein Lieblingsstück: »Wer nur den lieben Gott läßt walten usw.« zu pfeifen anfange, vor mich hinspringt, mit geballter Faust auf die Hobelbank schlägt, daß etliches Gerät herunterfliegt, und mit Ungestüm verlangt, ich sollte sagen, was ich an ihm auszusetzen habe, er sei nicht von gestern und kenne die Welt. »Der glaubt am Ende,« besorg' ich, »du hast ihn im Verdacht der Dieberei;« um ihn zu begütigen, sag' ich: »Die Fensterrahmen dort, die Ihr gemacht habt, können mir unmöglich gefallen, sie sind krumm und schief.« – »Ich habe in Hamburg in einer der ersten Werkstätten gearbeitet!« fällt er mir trotzig ins Wort. »Drei Tage!« versetz' ich gedankenlos, aber dem Inhalt seines Wanderbuchs gemäß. »Was? Foppen wollt Ihr mich?« fährt er auf, »da soll Euch denn doch – –« er unterbricht sich selbst, doch nur um den Rock abzuwerfen, dann dringt er auf mich ein. Ich kenne das Ende einer Prügelei zu gut, um den Anfang abzuwarten, und ziehe mich zurück, erst bis auf den Flur, dann, da er mich fluchend und schimpfend verfolgt, bis in die Küche, wo meine Frau gerade Rüben schabt. Die wirft auf mich einen Blick, daß ich denke, sie wird sich mit dem unsinnigen Menschen vereinigen, um meine Niederlage vollständig zu machen; aber, weit gefehlt, sie ergreift die Feuerzange und wirft sie dem Gesellen, der sich dessen wohl so wenig versah, wie ich, an den Kopf; er will nicht weichen, da fliegt ihm die Fleischgabel ans Schienbein, daß er laut aufschreit: »Ein Weib wie der Teufel!« und sich wendet, so daß er der Aschenschaufel, die gleich hinterdrein fährt, glücklich entgeht. Jetzt kehrt sich die Lene, zufällig war ich hinter ihr zu stehen gekommen, zu mir um und sieht mich an. »Das war recht,« stottre ich, »der Lump, der Hundsfott« – »Oh,« unterbricht sie mich, »bist du auch ein Mann!« und rot wie ein gesottener Krebs, setzt sie sich wieder zu den Rüben nieder, ich schleiche mich fort. Wenige Minuten darauf rief sie: »Hans!« So hieß mein Lehrjunge. »Er ist draußen im Garten«, antwortete ich ihr. »So ruf ihn,« herrschte sie mir zu, »aber schnell, er soll für mich aus!« – »Jetzt fängt's an!« sagt' ich, als ich ging, ihren Befehl auszurichten. Ich irrte mich keineswegs; seit jenem Tage hab' ich aus ihrem Munde selten ein freundlich Wort gehört, dafür traktiert sie mich fast stündlich mit Bonbons, wie diese sind: »Ich will's so!« oder »Du sollst nicht!« oder »Untersteh' dich's noch einmal!« u. dergl. mehr. Nun, das ist nicht so unbequem, als es scheint; was ich seitdem tue, ist, als ob sie's getan hat, sie hat von meinem Tun und Lassen mehr Plage, als ich selbst, ich bin fett geworden, sie ist mager und dürr geblieben. Ein Spaßvogel sagte, sie könnte für mich zur Beichte gehen; gewissermaßen hat er recht.

Einmal – ich hüpfe in der Dornenhecke meines Lebens von Busch zu Busch – hatt' ich, wie man denn im Trunk so leicht Narrheiten begeht, versprochen, ich wolle meine Frau an einem ausdrücklich dazu festgesetzten Abend tüchtig ausschmälen, so daß man's draußen unter den Fenstern hören solle. »Wirst du's dir gefallen lassen?« fragt' ich sie beim Zuhausekommen, im Vertrauen auf die gute Wirkung eines offenen Geständnisses und ihren Geiz, »sonst kostet's mir drei Flaschen Wein; denn ich habe gewettet.« – »Oh, gerne, gerne!« erwiderte sie; sie war nämlich – ich wußt' es – weichmütig, weil ihr nachmittags ein Brief die Nachricht gebracht hatte, daß ihr Bruder gestorben sei. Der Abend kam heran, mich befiel ein Zittern, ich verfluchte mich selbst und mein Saufen. Den ganzen Tag hatte in ihrem Gesicht etwas Versteckt-Heimtückisches gelegen; jetzt – sie saß hinter dem Ofen im Großvaterstuhl, aus dem ich natürlich längst vertrieben war – entlud sich's in einem spöttischen Gelächter und in der höhnischen Frage: »Wird's bald?« Deutliches Husten und Flüstern verkündete mir, daß man draußen schon mit Ungeduld harre; dennoch sagt' ich: »Kind, es hat ja keine Eil'!« – »Wie lange soll ich denn warten?« fuhr sie auf. »Pst, pst, Engel!« wisperte ich, »man muß sich ja doch erst besinnen.« – »Hätt' ich nur 'nen Hund«, dacht' ich, »oder 'ne Katz' zur Hand, auf die würd' ich losfahren, und die da unter der Wand glaubten, es gelte ihr.« Lautes Räuspern und In-die-Hände-Klatschen der Saufbrüder bringt mich zur Verzweiflung. Nichts fällt mir bei, über mein Zögern erbost, sieht Lene mich giftig an. »Schlag' der Teufel drein!« fluch ich und hoffe, dabei in den Gang zu kommen. »Was fehlt dir, lieber Mann?« fragt sie spottend. »Kind,« versetz' ich drängend, »schmälen und schimpfieren soll ich und weiß nicht, worüber.« Ich wußt' es wohl, aber wer bürgte mir für ihre Gelassenheit, darum sucht' ich alles in einen Scherz zu verwandeln; denn gegen Scherz war sie nicht völlig abgehärtet. »Gib mir einige Gründe an die Hand und dann schlag die Augen nieder, sonst gelingt's mir nimmer.« – »Gut,« erwiderte sie, »so sprich mir nach, was ich dir vorsage, aber grimmig, im Ton eines Bären: Ungetreue – –« – »Der Teufel sprech's dir nach,« unterbrech' ich sie, »schändlich würd' ich ja wohl lügen!« – »Oder,« fährt sie fort, »zänkische, boshafte – –« – »Mäßige dich, Kind!« fall' ich ihr ins Wort. »Willst du bald?« fährt sie auf, und wiederholt: »Zänkische, boshafte Wetterhexe, alter, vermaledeiter Brummkater!« Angst ergreift mich; denn das sind Redensarten, deren ich mich zuweilen im Traum gegen sie bediente. In diesem Augenblick klopfen die da draußen ans Fenster. In der Verwirrung reiß' ich, mich stellend, als ob ich meine besten Freunde für Straßenbuben halte, das Fenster auf, und schimpfe wütend hinaus: »Hundezeug! verfluchtes Gesindel! was gibt's hier zu horchen?« – »Bravo, bravo, Schnock!« geben sie zur Antwort, Lene schlägt ein Gelächter auf, ich bin wie tot.

Ärger noch – das nicht – aber ebenso arg ging's mir, als ich – unter dreien hatte gerade mich das Los getroffen – den Pfarrer wegen einer anzüglichen Predigt, die so sichtlich auf uns gemünzt war, daß man in der Kirche mit Fingern auf uns zeigte, zur Rede stellen mußte. Gleich nach der Frühstückszeit – frühstücken konnt' ich nicht – macht' ich mich auf den Weg, die Konsorten, die mir in solchen Dingen wenig trauten, lauerten mir nach. »Hinein mußt du,« sagt' ich, mir gewissermaßen selbst den Weg vertretend, ich empfand nämlich ein Gelüst, an der Pfarre vorbeizuschleichen, »sonst kommen die Hinteren dir auf den Hals.« – »Er ist wohl zu irgendeinem Kranken geholt oder zu einer Taufe!« denk' ich und öffne die Tür. Statt der Magd – während des Anmeldens verstreicht doch immer, wenn man zu solchen Herren geht, einige Zeit, die man zur Vorbereitung verwenden kann – tritt mir der Pfarrer selbst, eben mit brennender Pfeife aus der Küche kommend, auf dem Flur entgegen. Er sieht mich an, ich ihn. »Schönes Hündlein«, sag' ich endlich, mich zu dem Schoßhund seiner Frau, der munter dahergesprungen kam, niederbeugend und ihn streichelnd. »Wollt Ihr nicht eintreten, Meister Schnock?« sagt der Pfarrer und öffnet die Tür seines Studierzimmers. Ich trete ein. »Wollt Ihr Euch nicht niedersetzen?« Ich setze mich. »Und Euer Begehren ist?« fragt er endlich, verwundert und ungeduldig. »Ich – ich komme!« versetz' ich noch ziemlich deutlich und hörbar, aber da befällt mich plötzlich das niederträchtigste Stammeln und Stottern, und ich mag mich abarbeiten, wie ich will, ich bring' es nicht weiter als bis zum: »Ich komme – ich wollte – ich sollte –« – »Lieber Mann,« fährt der Pfarrer zuletzt, meinen Zustand mißdeutend, auf, »Ihr habt wohl schon getrunken, kommt wieder, wenn Ihr nüchtern seid.« Erwünschteres hätte mir in meiner Lage nicht kommen können, als diese Grobheit des Pfarrers, ich nehme schnell meinen Hut und eile fort, froh, daß die Höllenvisite abgetan ist, und mich über ihren Ausfall gegen die anderen nur dunkel, und so, daß sie mich mißverstehen müssen, auslassend.

Dennoch hab' ich trotz der Friedfertigkeit meiner Natur zweimal in meinem Leben Ohrfeigen ausgeteilt, die eine im Finstern, die zweite im Licht, und beide an meinen leiblichen Vetter, den Stellmacher Vinckel. Auf Vinckel war ich nämlich im höchsten Grade erbost, und dazu hatte ich guten Grund. Wer einmal eine lächerliche Geschichte von mir erzählt, dem reich' ich vielleicht noch, sowie er mir wieder begegnet, die Hand zum Gruß, wenn ich sie ihm auch nicht mehr drücke. Niernhäutl, der Wesselbur'ner Pächter, wird mir's bezeugen. War er's nicht, der's ausschwatzte, daß ich einst vor seinem kalekutschen Hahn ausgerissen bin, der es aber verschwieg, daß ich's nur der roten Weste wegen tat, die ich gerade anhatte? Doch es geschah beim Bier, es geschah eine halbe Stunde nach Mitternacht, und er kam nie wieder auf die Dummheit zurück. Wer es zweimal tut, dem nick' ich zwar noch zu, wenn er mir in den Weg kommt, aber ich huste dabei, um ihm nicht in klaren deutlichen Worten einen guten Tag wünschen zu müssen; wer sagt denn auch zur Brennessel: Wachse und gedeihe! Wer aber gar nicht aufhört, wer, sowie er zu einer Kindtaufe oder einer Hochzeit geladen ist, entweder stumm und dumm dasitzt, wie die Wand, an die er sich mit seinem Rücken lehnt, oder seinen albernen Witz auf meine Kosten Bocksprünge machen läßt, der wird mir am Ende so verhaßt, daß sich in mir das Oberste zu unterst kehrt und ich mir Luft machen muß, zumal, da es in der Natur des Menschen liegt, sich so lange zuzurufen: Du traust dir nicht genug, bis er übermütig wird und sich zuviel zuzutrauen anfängt. Das war aber mit Vinckel der Fall, und es kam noch hinzu, daß wir als Verwandte uns überall trafen, daß wir uns gar nicht vermeiden konnten. Er wurde nicht müde, auf den Besuch zu sticheln, den wir beide auf der Wanderschaft in der Tierbude zu Bremen abgelegt und bei dem wir uns allerdings sehr verschieden benommen hatten; er wie ein unwissender Flegel, der zwischen den lebendigen Ungeheuern drinnen und den gemalten auf der Wachsleinwand am Eingang nicht zu unterscheiden wußte, ich wie ein vernünftiger Mensch, der sich auf diesen Unterschied verstand. Ich muß den Besuch erzählen, damit man sieht, daß ich bei Gelegenheit desselben nichts tat, als was jeder andre, der nicht eben ein Vinckel war, auch getan hätte, und daß ich höchstens wegen meines Fürwitzes, denn ich hätte ja auch fortbleiben können, einen Vorwurf verdiene.


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