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Zimmer bei Leonhard.
Leonhard. (an einem Tisch mit Acten, schreibend)
Das wäre nun der sechste Bogen nach Tisch! Wie fühlt sich der Mensch, wenn er seine Pflicht thut! Jetzt könnte mir in die Thür treten, wer wollte, und wenn's der König wäre – ich wurde aufstehen, aber ich würde nicht in Verlegenheit gerathen! Einen nehm' ich aus, das ist der alte Tischler! Aber im Grunde kann auch der mir wenig machen! Die arme Klara! Sie dauert mich, ich kann nicht ohne Unruhe an sie denken! Daß der eine verfluchte Abend nicht wäre! Es war in mir wirklich mehr die Eifersucht, als die Liebe, die mich zum Rasen brachte, und sie ergab sich gewiß nur darein, um meine Vorwürfe zu widerlegen, denn sie war kalt gegen mich, wie der Tod. Ihr stehen böse Tage bevor, nun, auch ich werde noch viel Verdruß haben! Trage jeder das Seinige! Vor allen Dingen die Sache mit dem kleinen Buckel nur recht fest gemacht, damit die mir nicht entgeht, wenn das Gewitter ausbricht! Dann hab' ich den Bürgermeister auf meiner Seite, und brauche vor Nichts bange zu seyn!
Klara. (tritt ein)
Guten Abend, Leonhard!
Leonhard.
Klara? (für sich) Das hätt' ich nun nicht mehr erwartet! (laut) Hast Du meinen Brief nicht erhalten? Doch – Du kommst vielleicht für Deinen Vater und willst die Steuer bezahlen! Wie viel ist es nur? (in einem Journal blätternd) Ich sollte es eigentlich aus dem Kopf wissen!
Klara.
Ich komme, um Dir Deinen Brief zurück zu geben! Hier ist er! Lies ihn noch einmal!
Leonhard. (liest mit großem Ernst)
Es ist ein ganz vernünftiger Brief! Wie kann ein Mann, dem die öffentlichen Gelder anvertraut sind, in eine Familie heirathen, zu der (er verschluckt ein Wort) zu der Dein Bruder gehört?
Klara.
Leonhard!
Leonhard.
Aber vielleicht hat die ganze Stadt Unrecht? Dein Bruder sitzt nicht im Gefängniß? Er hat nie im Gefängniß gesessen? Du bist nicht die Schwester eines – Deines Bruders?
Klara.
Leonhard, ich bin die Tochter meines Vaters, und nicht als Schwester eines unschuldig Verklagten, der schon wieder freigesprochen ist, denn das ist mein Bruder, nicht als Mädchen, das vor unverdienter Schande zittert, denn (halb laut) ich zittre noch mehr vor Dir, nur als Tochter des alten Mannes, der mir das Leben gegeben hat, stehe ich hier!
Leonhard.
Und Du willst?
Klara.
Du kannst fragen? O, daß ich wieder gehen dürfte! Mein Vater schneidet sich die Kehle ab, wenn ich – heirathe mich!
Leonhard.
Dein Vater –
Klara.
Er hat's geschworen! Heirathe mich!
Leonhard.
Hand und Hals sind nahe Vettern. Sie thun einander Nichts zu Leide! Mach' Dir keine Gedanken!
Klara.
Er hat's geschworen – heirathe mich, nachher bring' mich um, ich will Dir für das Eine noch dankbarer seyn, wie für das Andere!
Leonhard.
Liebst Du mich? Kommst Du, weil Dich Dein Herz treibt? Bin ich der Mensch, ohne den Du nicht leben und sterben kannst?
Klara.
Antworte Dir selbst!
Leonhard.
Kannst Du schwören, daß Du mich liebst? Daß Du mich so liebst, wie ein Mädchen den Mann lieben muß, der sich auf ewig mit ihr verbinden soll?
Klara.
Nein, das kann ich nicht schwören! Aber dies kann ich schwören: ob ich Dich liebe, ob ich Dich nicht liebe, nie sollst Du's erfahren! Ich will Dir dienen, ich will für Dich arbeiten, und zu essen sollst Du mir Nichts geben, ich will mich selbst ernähren, ich will bei Nachtzeit nähen und spinnen für andere Leute, ich will hungern, wenn ich Nichts zu thun habe, ich will lieber in meinen eig'nen Arm hinein beißen, als zu meinem Vater gehen, damit er Nichts merkt. Wenn Du mich schlägst, weil Dein Hund nicht bei der Hand ist, oder weil Du ihn abgeschafft hast, so will ich eher meine Zunge verschlucken, als ein Geschrei ausstoßen, das den Nachbaren verrathen könnte, was vorfällt. Ich kann nicht versprechen, daß meine Haut die Striemen Deiner Geißel nicht zeigen soll, denn das hängt nicht von mir ab, aber ich will lügen, ich will sagen, daß ich mit dem Kopf gegen den Schrank gefahren, oder daß ich auf dem Estrich, weil er zu glatt war, ausgeglitten bin, ich will's thun, bevor noch Einer fragen kann, woher die blauen Flecke rühren. Heirathe mich – ich lebe nicht lange. Und wenn's Dir doch zu lange dauert, und Du die Kosten der Scheidung nicht aufwenden magst, um von mir los zu kommen, so kauf' Gift auf der Apotheke, und stell's hin, als ob's für Deine Ratten wäre, ich will's, ohne daß Du auch nur zu winken brauchst, nehmen und im Sterben zu den Nachbaren sagen, ich hätt's für zerstoßenen Zucker gehalten!
Leonhard.
Ein Mensch, von dem Du dies Alles erwartest, überrascht Dich doch nicht, wenn er nein sagt?
Klara.
So schaue Gott mich nicht zu schrecklich an, wenn ich komme, ehe er mich gerufen hat! Wär's um mich allein – ich wollt's ja tragen, ich wollt's geduldig hinnehmen, als verdiente Strafe für, ich weiß nicht was, wenn die Welt mich in meinem Elend mit Füßen träte, statt mir beizustehen, ich wollte mein Kind, und wenn's auch die Züge dieses Menschen trüge, lieben, ach, und ich wollte vor der armen Unschuld so viel weinen, daß es, wenn's älter und klüger würde, seine Mutter gewiß nicht verachten, noch ihr fluchen sollte. Aber ich bin's nicht allein, und leichter find' ich am jüngsten Tag noch eine Antwort auf des Richters Frage: warum hast Du Dich Selbst umgebracht? als auf die: warum hast Du Deinen Vater so weit getrieben?
Leonhard.
Du sprichst, als ob Du die Erste und Letzte wärst! Tausende haben das vor Dir durchgemacht, und sie ergaben sich darein, Tausende werden nach Dir in den Fall kommen und sich in ihr Schicksal finden: sind die alle Nickel, daß Du Dich für Dich allein in die Ecke stellen willst? Die hatten auch Väter, die ein Schock neue Flüche erfanden, als sie's zuerst hörten, und von Mord und Todtschlag sprachen; nachher schämten sie sich, und thaten Buße für ihre Schwüre und Gotteslästerungen, sie setzten sich hin und wiegten das Kind, oder wedelten ihm die Fliegen ab!
Klara.
O ich glaub's gern, daß Du nicht begreifst, wie irgend Einer in der Welt seinen Schwur halten sollte!
Ein Knabe. (tritt ein)
Da sind Blumen! Ich soll nicht sagen, wovon.
Leonhard.
Ei, die lieben Blumen! (schlägt sich vor die Stirn) Teufel! Teufel! Das ist dumm! Ich hätte welche schicken sollen! Wie hilft man sich da heraus! Auf solche Dinge versteh' ich mich schlecht, und die Kleine nimmt's genau, sie hat an nichts Anderes zu denken! (er nimmt die Blumen) Alle behalt' ich sie aber nicht! (zu Klara) Nicht wahr, die da bedeuten Reue und Schaam? Hast Du mir das nicht einmal gesagt?
Klara. (nickt)
Leonhard. (zum Knaben)
Merk' Dir's, Junge, die sind für mich, ich stecke sie an, siehst Du, hier, wo das Herz ist! Diese, die dunkelrothen, die wie ein düsteres Feuer brennen, trägst Du zurück. Verstehst Du? Wenn meine Aepfel reif sind, kannst Du Dich melden!
Knabe.
Das ist noch lange hin! (ab)
Leonhard.
Ja, siehst Du, Klara, Du sprachst von Worthalten. Eben weil ich ein Mann von Wort bin, muß ich Dir antworten, wie ich Dir geantwortet habe. Dir schrieb ich vor acht Tagen ab, Du kannst es nicht läugnen, der Brief liegt da. (er reicht ihr den Brief, sie nimmt ihn mechanisch) Ich hatte Grund, Dein Bruder – Du sagst, er ist frei gesprochen, es freut mich! In diesen acht Tagen knüpfte ich ein neues Verhältniß an; ich hatte das Recht dazu, denn Du hast nicht zur rechten Zeit gegen meinen Brief protestirt, ich war frei in meinem Gefühl, wie vor dem Gesetz. Jetzt kommst Du, aber ich habe schon ein Wort gegeben und eins empfangen, ja – (für sich) ich wollt', es wär so – die Andere ist schon mit Dir in gleichem Fall, Du dauerst mich, (er streicht ihr die Locken zurück, sie läßt es geschehen, als ob sie es gar nicht bemerkte) aber Du wirst einsehen – mit dem Bürgermeister ist nicht zu spaßen!
Klara. (wie geistesabwesend)
Nicht zu spaßen!
Leonhard.
Siehst Du, Du wirst vernünftig! Und was Deinen Vater betrifft, so kannst Du ihm keck in's Gesicht sagen, daß er allein Schuld ist! Starre mich nicht so an, schüttle nicht den Kopf, es ist so, Mädchen, es ist so! Sag's ihm nur, er wird's schon verstehen und in sich gehen, ich bürge Dir dafür! (für sich) Wer die Aussteuer seiner Tochter wegschenkt, der muß sich nicht wundern, daß sie sitzen bleibt. Wenn ich daran denke, so steift sich mir ordentlich der Rücken, und ich könnte wünschen, der alte Kerl wäre hier, um eine Lection in Empfang zu nehmen. Warum muß ich grausam sein? Nur weil er ein Thor war! Was auch daraus entsteht, er hat's zu verantworten, das ist klar! (zu Klara) Oder willst Du, daß ich selbst mit ihm rede? Dir zu Liebe will ich ein blaues Auge wagen und zu ihm gehen! Er kann grob gegen mich werden, er kann mir den Stiefelknecht an den Kopf werfen, aber er wird die Wahrheit, trotz des Bauchgrimmens, das sie ihm verursacht, hinunter knirschen und Dich in Ruhe lassen müssen. Verlaß' Dich darauf! Ist er zu Hause?
Klara. (richtet sich hoch auf)
Ich danke Dir! (will gehen)
Leonhard.
Soll ich Dich hinüber begleiten? Ich habe den Muth!
Klara.
Ich danke Dir, wie ich einer Schlange danken würde, die mich umknotet hätte und mich von selbst wieder ließe und fort spränge, weil eine andere Beute sie lockte. Ich weiß, daß ich gebissen bin, ich weiß, daß sie mich nur läßt, weil es ihr nicht der Mühe werth scheint, mir das Bischen Mark aus den Gebeinen zu saugen, aber ich danke ihr doch, denn nun hab' ich einen ruhigen Tod. Ja, Mensch, es ist kein Hohn, ich danke Dir, mir ist, als hätt' ich durch Deine Brust bis in den Abgrund der Hölle hinunter gesehen, und was auch in der furchtbaren Ewigkeit mein Loos sey, mit Dir hab' ich Nichts mehr zu schaffen, und das ist ein Trost! Und wie der Unglückliche, den ein Wurm gestochen hat, nicht gescholten wird, wenn er sich in Schauder und Ekel die Adern öffnet, damit das vergiftete Leben schnell ausströmen kann, so wird die ewige Gnade sich vielleicht auch mein erbarmen, wenn sie Dich ansieht, und mich, was Du aus mir gemacht hast, denn warum könnt' ich's thun, wenn ich's nimmer, nimmer thun dürfte? Nur Eins noch: mein Vater weiß von Nichts, er ahnt Nichts, und damit er nie etwas erfährt, geh' ich noch heute aus der Welt! Könnt' ich denken, daß Du – (sie thut wild einen Schritt auf ihn zu) Doch, das ist Thorheit, Dir kann's ja nur willkommen seyn, wenn sie Alle stehen und die Köpfe schütteln und sich umsonst fragen: warum das geschehen ist!
Leonhard.
Es kommen Fälle vor! Was soll man thun! Klara!
Klara.
Fort von hier! Der Mensch kann sprechen! (sie will gehen)
Leonhard.
Meinst Du, daß ich's Dir glaube?
Klara.
Nein!
Leonhard.
Du kannst Gott Lob nicht Selbstmörderin werden, ohne zugleich Kindes-Mörderin zu werden!
Klara.
Beides lieber, als Vater-Mörderin! O ich weiß, daß man Sünde mit Sünde nicht büßt! Aber was ich jetzt thu, das kommt über mich allein! Geb' ich meinem Vater das Messer in die Hand, so trifft's ihn, wie mich! Mich trifft's immer! Dies giebt mir Muth und Kraft in all meiner Angst! Dir wird's wohl gehen auf Erden! (ab)
Leonhard. (allein)
Ich muß! Ich muß sie heirathen! Und warum muß ich? Sie will einen verrückten Streich begehen, um ihren Vater von einem verrückten Streich abzuhalten; wo liegt die Nothwendigkeit, daß ich den ihrigen durch einen noch verrückteren verhindern muß? Ich kann sie nicht zugeben, wenigstens nicht eher, als bis ich denjenigen vor mir sehe, der mir wieder durch den allerverrücktesten zuvorkommen will, und wenn der eben so denkt, wie ich, so giebt's kein Ende. Das klingt ganz gescheut, und doch – Ich muß ihr nach! Da kommt jemand! Gott sey Dank, Nichts ist schmählicher, als sich mit seinen eigenen Gedanken abzanken müssen! Eine Rebellion im Kopf, wo man Wurm nach Wurm gebiert, und Einer den andern frißt oder in den Schwanz beißt, ist die schlimmste von allen!