Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Höhle der drei Hügel

In jenen Zeiten, wo Träume und Schwärmereien der Narren noch im Leben Wirklichkeit wurden, trafen sich einst zwei Personen zu verabredeter Stunde an vorher bestimmtem Ort. Die eine war eine Dame, lieblich von Gestalt, schön von Angesicht, doch blaß und wie von einem unzeitigen Mehltau befallen in der Blüte ihrer Jahre. Die andere war ein altes verlumptes Weib, häßlich und abgewelkt, das die Dauer solchen Verfalls die gewöhnliche Zeit menschlichen Lebens um vieles überschritten zu haben schien. Kein Sterblicher konnte sie an dem Ort ihres Begegnens sehen. Drei kleine Hügel lagen da dicht beieinander und eingebettet in ihren Steinmauern war etwas wie ein Loch in die Unterwelt, fast kreisrund und von solcher Tiefe, daß eine hohe Ceder, die auf dem Grunde dieser Höhle wuchs, kaum über ihren Rand ragte. Zwergfichten bestanden die Hügel und ihre Abhänge bis zum Rand des tiefen Loches, dessen Boden gelbes verbleichtes Herbstgras deckte; da und dort moderte ein gefallener Baumstumpf; und ein Pfuhl barg grünes schmutziges Wasser. An solchem Orte trafen sich, wie die Sage geht, um Mitternacht oder im Grauen des Abends der Böse und seine Getreuen und tauften die Neulinge mit dem stinkenden Wasser.

Die kühle Schönheit eines herbstlichen Sonnenunterganges vergoldete die Hügelspitzen, von denen ein bläßlicher Schein sich in die Höhle hinabstahl.

»Hier soll unsere heitere Zwiesprach sein,« sagte das alte Weib, »so wie du es wünschtest. Sag schnell, was du von mir willst, denn nur eine kurze Stunde dürfen wir hier verweilen.«

Auf dem Gesicht der Alten schimmerte ein Lächeln; so glänzt Lampenlicht auf der Wand eines Grabgewölbes. Die Dame zitterte; sie blickte die Wände der Höhle hinauf zum Lichte, als dächte sie wieder umzukehren, aber so war es nicht vom Schicksal bestimmt.

»Eine Fremde bin ich in diesem Lande. Gleich ists, woher ich komme. Aber ich habe Wesen hinter mir zurückgelassen, mit denen mein Geschick verbunden war und von denen ich jetzt für immer geschieden bin. Es liegt Last auf mir, die ich nicht länger tragen kann, und ich bin gekommen zu hören, wie es jenen geht.«

»Wer kann dir hier Nachricht von der andern Seite bringen?« Die Alte schrie das und starrte der Dame ins Gesicht. »Nicht von meinen Lippen. Aber hast du Mut, so soll das Licht nicht von der Hügelspitze weichen, ehe dein Wunsch erfüllt ist.«

»Ich will tun, was Ihr verlangt. Auch wenns mein Tod ist.«

Die Alte setzte sich auf einen Baumstumpf, warf ihre Haube ab, daß ihr die grauen Strähnen ums Gesicht fielen.

»Knie da nieder,« sagte sie, »leg deine Stirn auf meine Kniee.«

Einen Augenblick zauderte sie. Aber die Angst, lange in ihr brennend, schoß nun in wilden Flammen auf. Als sie niederkniete, sank der Rand ihres Gewandes in den Pfuhl. Sie legte die Stirn dem Weib auf die Kniee; die breitete einen Mantel über ihr Gesicht, daß sie ganz im Dunkeln war. Nun hörte die Dame die Worte eines Gebetes murmeln, worüber sie so erschrak, daß sie aufspringen wollte.

»Laß mich fort, laß mich, damit Jene mich nicht sehen!« schrie sie. Aber die Alte legte leise die Hände auf ihr mit dem Tuch verhülltes Haupt und sie wurde still wie ein Totes.

Denn es schien ihr, als mischten sich nun andere, aus früher Kindheit vertraute Stimmen, nie vergessen durch alles Wandern und alle Wechsel ihres Herzens und ihres Glückes, mit den Lauten des Gebetes. Anfangs waren die Worte ganz schwach noch und undeutlich, nicht durch die Entfernung der also Redenden, sondern mehr den Seiten eines Buches ähnlich, das wir bei trübem und mählich heller werdenden Licht zu lesen bemüht sind. Wie das Gebet weiterging, wurden diese Stimmen dem Ohre deutlicher, bis endlich der Spruch der Alten endete und das Zwiegespräch eines alten Mannes und einer Frau, hochbejahrt und kummerschwer gleich ihm, der Knieenden deutlich wurde. Aber diese Zweie schienen nicht in der Höhle zwischen den drei Hügeln zu stehen; ihre Stimmen waren von den Wänden eines Zimmers umschlossen, dessen Fenster der Wind klappernd bewegte, der regelmäßige Pendelschlag einer Uhr und das Knistern des Kaminfeuers machten den Raum so lebendig, als schaute ihn das lebendige Auge. Die zwei alten Leute saßen an einem trübseligen Herde, der Mann in gefaßter Betrübnis, die Frau jammernd und weinend und beider Worte waren schwer von Kummer beladen. Sie sprachen von einer Tochter, die umherirrte, sie wußten nicht wo, die Unehre mit sich trug und Schande und Trauer zurückgelassen hatte. Auch von andern und neueren Leiden sprachen sie, aber mitten in dem Gespräche schienen ihre Stimmen wieder im Winde zu vergehen, der durch den Herbstwald strich. Als die Dame die Augen aufhob, kniete sie in der Höhle zwischen den drei Hügeln.

»Eine recht langweilige und einsame Zeit haben die alten Leute,« sagte das Weib und lächelte der Dame ins Gesicht.

»Habt Ihr sie denn auch gehört?«

»Ja, und es gibt noch mehr zu hören.« Und sie legte wieder das Tuch über den Kopf der Dame und sprach von neuem Worte eines Gebetes, das nicht für den Himmel bestimmt war. Und alsbald wurden in den Pausen ihres Atemholens flüsternde Laute hörbar, die allmählich stärker wurden, so daß sie die Beschwörungsformel, der sie entsprangen, übertönten und unhörbar machten. Schreie zerrissen die Dunkelheit des Klanges und ihnen folgte der Gesang sanfter weiblicher Stimmen, die wieder schwiegen vor einem wilden brüllenden Gelächter, das auf einmal von heftigem Stöhnen und Seufzen unterbrochen wurde: all das rief eine gespenstige Wirrnis von Schrecken, Trauer und Fröhlichkeit hervor. Ketten rasselten, wilde drohende Stimmen brachen sich in Verließen. Befehl gellte und eine Geißel klatschte regelmäßig. Lauter und bestimmter wurden alle diese Klänge im Ohr der Hörerin unter dem Tuche, bis sie nun jeden einzelnen Ton eines Liebesliedes vernehmen konnte, das langsam in ein Leichenlied erstarb. Sie schauderte vor der plötzlichen Wut, die wie eine Flamme in die Höh fuhr, und wurde ohnmächtig von der grauenvollen Ausgelassenheit, die um sie her raste. Es war ein Kreischen in Lüsten und Aufstöhnen im trunkenen Wettlauf der Sinne, inmitten dessen die feierliche Stimme eines Mannes tönte,   es mochte einst eine melodische Stimme gewesen sein, die da feierlich redete und der Sprechende schritt dabei auf und ab und seine Schritte hörte man auf dem Boden hallen. In jedem der tollen, wilden Gesellschaft, deren eigne wollüstige Gedanken ihre ausschließliche Welt geworden waren, glaubte er einen Zuhörer für sein eigenes Leiden zu finden, und deutete deren Lachen und Schreien, Aufweinen und Stöhnen als die ihn lohnenden Äußerungen der Erbitterung und des Mitleids. Er sprach von der Untreue eines Weibes, von einem Weibe, das seine Schwüre gebrochen und ein Herz und ein Haus verödet hatte. Und sein Sprechen begleitete Gelächter und Brüllen, Schreien und Stöhnen, und das Getöse wurde immer schwächer, bis es sich in den stoßweisen und unebnen Lauten des Windes verlor, der um die Fichten auf den drei Hügeln kämpfte. Die Dame blickte auf, und da saß das eingeschrumpfte Weib und lächelte sie an.

»Hättest du gedacht, daß es in einem Tollhause so munter hergeht?«

»Wahr, wahr,« sagte die Dame zu sich selber, »innerhalb seiner Mauern ist Lust und Lachen, aber außen ist nichts als Elend und Jammer.«

»Willst du noch mehr hören?« fragte die Alte.

»Es gibt noch eine Stimme, die ich um alles hören möchte,« sagte die Dame ganz leise.

»Leg schnell den Kopf auf meine Kniee, damit du wieder fort kannst von hier, ehe die Zeit um ist.«

Die goldnen Streifen des Tages zögerten noch auf den Hügelspitzen, aber tiefe Schatten hüllten Höhle und Pfuhl in Dunkel, als wenn, so war es, die Nacht von dorther aufstiege, um sich über die Erde zu breiten. Und wieder begann das Weib ihr höllisches Gebet. Lange blieb es ohne Antwort, bis das Läuten einer Glocke sich durch die Pausen ihrer Worte stahl, wie ein ferner Klang, der von weit her über Berg und Tal gekommen eben in der Luft verhallen wollte. Die Dame erbebte, als sie auf den Knieen ihrer düstern Gefährtin den bedeutungsvollen Ton vernahm. Der wurde nun stärker und trauervoller und nun warens die tiefen Klänge einer Totenglocke, die schmerzvoll von irgend einem Turme scholl, Sterblichkeit und Weh der Hütte, der Halle, dem einsamen Wanderer verkündete, daß alle das Schicksal beweinen möchten, das jeden trifft der Reihe nach. Nun wurde ein gemessner Tritt hörbar, kam näher und war wie der langsame Schritt, ach, der so langsame Schritt von Trauernden hinter einem Sarge, deren Gewänder auf der Erde nachschleppten, sodaß das Ohr die Länge ihres melancholischen Zuges messen konnte. Vor ihnen schritt ein Priester, las die Sterbegebete und die Blätter seines Buches raschelten im Winde. Keine Stimme als die seinige war laut, und doch konnte man deutlich im Flüstern von Weibern und Männern Flüche und Schmähungen vernehmen, ausgerufen gegen die Tochter, die das Herz alter Eltern gebrochen, Flüche gegen die Gattin, welche die vertrauende Liebe des Gatten betrogen, Flüche gegen die Mutter, die gegen ihr Gefühl gesündigt und ihr Kind verlassen hatte, das nun gestorben war. Der schleppende schlürfende Ton und Tritt des Leichenzuges verschwand wie dünner Nebel sich verzieht, und der Wind, der eben noch das Bahrtuch bewegt hatte, schüttelte die Fichtenwipfel auf den drei Hügeln. Da stieß die Alte die knieende Dame, aber diese hob ihren Kopf nicht wieder.

»Es war eine recht hübsche Unterhaltung,« sagte das verschrumpfte Weib und lachte ein dürres, hölzernes Lachen.

Es war vollends Nacht geworden.


 << zurück weiter >>