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Das Schloß des Herzogs Wilhelm in Foix. Ein Raum im Frauengemach. Eine Nonne öffnet von innen die Tür, und Herzog Wilhelm sowie Graf Trossebof treten ein.
Wilhelm
Ihr brachtet uns die Waffenruhe, brachtet
den Frieden, Graf. Ein köstliches Geschenk!
So lang ersehnt! Habt Dank. Was Ihr berichtet,
ist schmerzlich um des Herzogs Otto willen,
der krank ist, und beglückend durch die Weisheit
der Herzogin Heurodis. Möge ihr
der Himmel lohnen! Was sie plant, ist mehr,
als wir zu hoffen wagten. Meine Tochter soll
ein Ehebund vereinen mit Prinz Paul,
der statt Prinz Peter Ottos Krone erbt.
So wird der Krieg, der blut'ge, zwischen uns
nicht unterbrochen nur: er wird unmöglich.
Wir sind beglückt, und draußen jubelt Foix,
die Stadt, und prangt im Schmuck von tausend Wimpeln.
Glänzt so das ganze Land im Morgenlicht,
so werdet Ihr Euch leider überzeugen,
daß in das Fraungemach der Herzogin
davon nichts eindringt. Die den Frieden heiß
und mehr als ich ersehnt, sie kann ihn heut,
auf sonderbare Weise tief umnachtet,
nicht mehr willkommen heißen. Ja, es scheint,
er steigre, er verdopple ihre Selbstqual.
Zur Nonne
Wie geht's der Herzogin?
Nonne
Nicht anders, Hoheit,
wie hergebracht. Wir haben es vermocht,
daß sie gestattete, sie zum Empfange
des Herrn Gesandten anzukleiden.
Wilhelm
Wollt
Ihr glauben, Graf, daß sie selbst mir nur selten
erlaubt, nach ihr zu sehn? Macht Euch gefaßt
auf Schlimmeres, als Ihr vermuten könnt!
Besonders, da Ihr meine Gattin Ermlind
gekannt als stolze Schönheit, in der Zeit,
als sie und Herzogin Heurodis, damals
wie Schwestern engverbunden, als die schönsten
der schönen Frauen galten weit und breit.
Ich hätte ihren Anblick Euch erspart,
wenn ich nicht wüßte, daß ihr Zustand sie
– was ihre Schuld auch sei – entsühnen werde
an Herzog Ottos Hof.
Trossebof
Ihr wißt, wie furchtbar
sich Ottos Wüten gegen sie gewandt
und auch der Zorn des jungen Prinzen Paul,
bevor ein milderer Geist im Rate durchdrang.
Wie das geschah – es war recht wunderlich.
Ja – etwas Jähes war nicht zu verkennen,
besonders bei Prinz Paul. Mit einem Male
warf er sich überraschend auf die Jagd
und wütete berserkerhaft im Wildbestand,
als ein Achill für Hirsche, Luchse, Füchse,
Bären und was noch sonst, indes – Ihr wißt's –
Prinz Peter süße Liebeslieder girrt.
Euch ist die große Wirrnis wohl bekannt,
die Peter angerichtet.
Geralda ist scheu und trotzig eingetreten.
Wilhelm
Ja! – Gerald,
komm näher! Dies ist Kanzler Trossebof!
Geralda tut einen Schritt, hält sich aber dann, gleichsam scheu und mißtrauisch, den beiden Männern fern.
Es muß Euch nichts erstaunen, Graf, nachdem
Ihr nun die Dielen dieser Fraungemächer
unter den Füßen habt. Geraldas Mutter
lebt einzig von des Kindes Blick, und so
sind beide unzertrennlich. Dies bedingt
verwandte Neigungen in vieler Hinsicht:
so die zur Einsamkeit. Die Herzogin
lebt meistens fern dem Lärm der Residenz
inmitten weiter Forsten. Nur mit Mühe
bewog man sie, ihr Bergschloß zu verlassen
und Wohnung in der Residenz zu nehmen
für kurze Zeit. So ist Geralda denn
zur Jägerin geworden – und zugleich
in mancher Hinsicht auch zum scheuen Wild.
Trossebof
Nicht deshalb stutz' ich, staun' ich, Herzog Wilhelm,
weil uns ein trotziger Blick entgegenschlägt
und gleichsam Nadelduft. Ist die Prinzessin
ein Kind der Wildnis, das den Eber jagt,
so ist sie doch Dianen gleich an Schönheit.
Nein, etwas anderes ging mir durch den Sinn,
als die Prinzessin aus der Türe trat.
Nie hab' ich sie gesehen, wie Ihr wißt,
und doch: mir schien, als kennt' ich sie seit Jahren.
Geralda
Ich kenn' Euch nicht und will Euch auch nicht kennen.
Trossebof
Was hab' ich Euch getan, Prinzessin?
Geralda
Nichts!
Doch meiner armen Mutter um so mehr!
Denn Ihr gehört zu Herzog Ottos Sippe.
Wilhelm
Belieb' es Euch zu registrieren, Graf,
daß unserm laubbekränzten Friedensschifflein
hier eine Klippe droht, dicht vor dem Hafen.
Denn nicht genug, daß sie die Männer haßt:
sie wolle eher, hat sie einst geschworen,
sich einem räudigen Hund vermählen als
mit einem der Gekrönten unserer Feinde!
Trossebof
Bist du so böse, schöne Fürstin?
Geralda
Ja!
Ich würgte jeden Wolf, der je mich ansprang.
Trossebof
faßt sich an die Stirn
Und doch – und doch – und doch ... wie ist mir nur?!
Mir kommt es vor, Prinzeß Gerald, als wärt Ihr
verkleidet, sprächet Eingelerntes, das
mit Euerm eignen Wesen nichts zu tun hat.
Ein Mime, eine Mimin tun desgleichen.
Ihr seid die einzige Tochter Eurer Eltern,
sonst dächt' ich wohl, Ihr seid von Zwillingen
der eine mir bisher noch unbekannte,
indessen ich den andern längst gekannt.
Wilhelm
Höchst sonderbar, Herr Kanzler Trossebof:
Ihr trefft zwar nicht die Wahrheit, doch den Wahn,
der meine arme Frau besessen hält.
Sie schwört, sie habe Zwillinge geboren
und eins der beiden Mädchen ausgesetzt.
Ich decke kein Geheimnis auf: Geralda
hört täglich ihrer Mutter Klagen an
um das verlorne Kind.
Ihr werdet selbst mit Augen sehn, mit Ohren
vernehmen, wie sich diese Einbildung
in ihrem Innern eingenistet hat
und sie zerfrißt.
Geralda
Was soll uns dieser Mann?
Träf' ich ihn lieber in den Wäldern, Vater,
als hier! Und könnt' ich meines Speeres Spitze
baden in seiner Brust, statt daß er hier
sich an der Mutter Leiden hämisch letzet!
Wilhelm
Schweig still, wo Männer sprechen und das Schicksal!
Zur Nonne
Und meldet nun uns bei der Herzogin!
Die Nonne geht ab und kehrt sogleich mit Fürstin Ermelinda zurück. Sie ist eine gebeugte, früh gealterte Frau, die sich auf einen Stab stützt. Spuren ehemaliger Schönheit, offenes graues Haar, kranker Blick, erregtes Wesen.
Ermelinda
Wilhelm – du bist's! Wer ist der fremde Mann?
Wilhelm
Graf Trossebof, des Herzogs Otto Kanzler.
Ermelinda
grübelnd
Graf Trossebof ... Graf Trossebof ... jawohl,
er war ein Troubadour. Ich hatte ihn,
vor lange, mit Heurodis im Verdacht.
Wer, sagst du, sei der fremde Mann?
Wilhelm
Der Kanzler
des Herzogs Otto und der Herzogin
Heurodis, die mit allen Kräften um
den Frieden sich bemüht und dir durch ihn,
den Kanzler, Botschaft sendet.
Ermelinda
Trossebof –
er war ein schöner Mann – der schönste Mann.
Trossebof
Ihr macht mich schamrot, Herzogin Ermlind!
Denn Stolz kann sich nicht regen, da mein Spiegel
ein solches Lob alltäglich mir entkräftet.
Erlaubt, daß ich den Brief Euch überreiche.
Er kniet vor ihr nieder. Sie legt die Hand auf seinen Scheitel.
Ermelinda
Ihr habt schon weißes Haar, Graf Trossebof?
Ich auch.
Trossebof
Gäb's eine andre Farbe noch,
die Alter, Sorge, Gram und aller Jammer
dem Favoriten, ihrem größten Liebling,
allein gewährten – seid gewiß, mein Scheitel
wäre damit gefärbt!
Ermelinda
läßt den Brief fallen
Was sollen Briefe?
Es sei denn einer, der mich auf den Block bringt.
Trossebof
Was sagt Ihr, Herzogin?
Wilhelm
Das alte Lied.
Ihr werdet's bis zum Ende hören müssen!
Ermelinda
geht unruhig auf und ab
Ich weiß wohl, wer du bist! Du bist der Henker!
und kommst, um auf den Richtplatz mich zu schleppen.
Und dort gehör' ich hin.
Geralda
Sprich nicht so, Mutter!
Ich möchte fliehn! Mein Mut verläßt mich, wenn
du dich an diese Luftgebilde wegwirfst!
Nichts macht mein Herz erstarren. Doch wenn dies
dich übermannt, der Zwang zu leerer Selbstqual,
so lähmt mich Schrecken!
Die Nonne mit dem Wedel sprengt Weihwasser.
Kein Weihwasser jagt
dann die Dämonen fort, die, Meuten gleich,
mit ihrer giftigen Rachen ekler Luft
das Zimmer füllen! Schweig und mache zu
Mitwissern deines Wahnes nicht die Welt!
Sie wird sich's nicht entgehen lassen, Mutter,
ruchlos zu flüstern, Euer Wahn sei Wahrheit!
Ermelinda
Und sie hat recht: er ist's! Wilhelm! Ich bin
nicht wert, daß du hier stehst. Ich bin nicht wert,
daß du mich deine Gattin nennst noch immer.
Nicht wert, daß deine Reiter, deine Wagen
mich nach der Hauptstadt brachten! Ich bin Abhub
des tiefsten Höllenpfuhls. Was dich umgibt
hier im Palast, ist, gegen mich gehalten,
rein wie der Geist der Höhle von Lombrives,
der Kathedrale. Denn ich habe dir
ein süßes Kind gemordet, eine Tochter, einen
von Zwillingen, die ich dereinst gebar
und die ich dir gebar: Gerald und Gerlind.
Und sie, Gerlinden, warf ich vor die Wölfe.
Sie geht im Kreise umher.
Wilhelm
Graf Trossebof: wir haben nachgeforscht,
wir haben jedes Mittel aufgeboten,
mit dem Erfolg, daß nicht die kleinste Spur
für dieses Wahnes Wahrheit sich ergibt.
Die Wehemutter zwar ist tot, die damals
die Herzogin entband; so auch der Arzt.
Die Herzogin gebar auf einem Bergschloß.
Doch lebt der Kastellan, lebt seine Frau,
der Ritter Gurun, der den Forst verwaltet,
und was noch sonst – sie wissen ganz genau
sich jedes kleinsten Umstands zu erinnern
von der Geburt Geraldas. – Ermelinda!
Befreie endlich dich von deinem Irrtum!
Ermelinda
Ich lache über euren, über deinen!
Doch nein: ich weine Blut! Denn dies ist wohl
die schlimmste Marter, daß ihr mir nicht glaubt
und nicht ins Antlitz speit, wie ich's verdiene.
Trossebof
Was hätte Euch – Frau Herzogin, erklärt Euch! –
bewegen sollen, Euer Zwillingskind,
das Ihr Gerlinde nanntet, auszusetzen?
Meint Ihr, die Liebe Eures Herrn Gemahls
hätte nicht auch Gerlinden froh begrüßt?
Ermelinda
Ich weiß ja, Wilhelm, daß ich dich bestahl!
dein Glück, der Kinder, unser aller Glück
zertrat durch meine Tat.
Wilhelm
Den Grund! den Grund
für ein so unbegreifliches Verhalten!
Ermelinda
Hast du vergessen, wie die Boten kamen,
mit Wimpeln und mit Kränzen, von Heurodis?
Sie saßen auf arab'schen Hengsten, glänzend
im Edelsteingeschirr und purem Gold.
Noch hör' ich die Fanfaren, sehe noch
die langen silbernen Trompeten. Und
den Herold, der mit lauter Stimme sprach,
es habe Gott gefallen, unsere Freunde,
das hohe Herzogspaar vom Land Andorra,
mit Zwillingen zu segnen, Prinzen, die
in jedem Sinne wohlgeboren ...
Wilhelm
... dessen
erinnr' ich mich genau, als wär' es heut!
Ermelinda
Nun ja, in mir schwoll Neid ob so viel Glückes.
Da rief ich laut, bis zu des Herolds Ohr
und aller Ritter: »Zwillinge verraten
die eheliche Untreu' ihrer Mutter!« –
Und ein gesprochnes Wort kehrt nie zurück.
Wilhelm
Daß du in dieser Weise dich vergaßest,
ist leider wahr und allbekannt. Dies Wort
hat Unheil über Unheil angerichtet.
Allein, heut schlägt die Stunde der Versöhnung.
Ermelinda
Hört weiter, ihr verstockten Seelen! Denn
noch bin ich nicht zu Ende. Zwillinge
gebären kann auch ich – so wie Heurodis –
und habe es gekonnt. Und ich gebar,
wie sie, miteins zwei Kinder. Doch ich schämte mich,
es offen zu bekennen, schämte mich,
weil ich im gleichen Falle war wie sie,
und hörte eine Welt von Schadenfreude
aufheulend unter Lachen mich begraben.
Denn Zwillinge, so hatt' ich ja gesagt,
bewiesen eheliche Untreu'.
Trossebof
Seltsam,
wie ein dem Tiefsinn und der Selbstqual ganz
verfallnes krankes Hirn doch immerhin
den Lieblingswahn zu stützen weiß mit einem
Schein von Vernunft, der überzeugend fast
sich dem gesunden Hörer aufzwingt.
Wilhelm
Seht,
wie sie nun wiederum verfallen hockt:
so starrt sie tagelang nur vor sich hin.
Wie furchtbar ist dies alles!
Trossebof
Herzogin,
erwacht! Es soll nun Frieden werden. Weist
auch Ihr den finstern Geist nun von Euch, laßt
vom Frühlingshauch des Friedens Euch umgarnen!
Der harte Winter ist vorbei! Das Eis
schmolz von den Herzen! Süße Bande sollen
für immer Eure beiden Häuser einen!
Ermelinda
So sprechen ausgesuchte Teufel und
zerschneiden langsam, langsam mir das Herz.
Ich weiß nichts von dem allem: – gebt mir Gerlind!
Trossebof
Ihr legtet Eure Hand auf meinen Scheitel,
Frau Herzogin. Laßt mich zum Dank die meine
auf Eure Stirne legen. Blickt mich an:
selbst wenn in Euren Worten Wahrheit wäre,
ein Leiden ohne Maß hat Euch entsühnt!
Doch hört: wenn es in Gottes Ratschluß steht,
so kann er mehr noch an Euch tun als das.
Mehr, als Euch nur entsühnen! Euer Ruf
nach Strafe, Euer wilder Wunsch
zu büßen drang vielleicht bis an sein Ohr,
und Gottesliebe gibt Euch irgendwie
zurück, was Ihr, falsch oder wahr gedacht,
durch Sündenschuld verlort. Sind Gottes Wege
doch oft recht wunderlich! Ihr blickt mich an
mit Augen eines Rehs, Prinzessin Gerald,
und auch mein Blick wird von Euch angezogen
auf rätselhafte Weise. Wie alt seid Ihr?
Wilhelm
Zu nächstem Pfingsten wird sie siebzehn Jahr.
Doch warum fragt Ihr das?
Trossebof
Ich weiß es nicht.
Ein Etwas fragt aus mir, das ich nicht selbst bin.
Sei uns die Zukunft gnädig!
Wilhelm
Amen, Graf!
Ein alter, monddurchschlagener Wald. Hinten links eine gewaltige und düstere Ruine. Im Turm unten ein Pförtchen. Rechts die verschlossene Klause des Paters Johannes.
Aus dem Turmpförtchen tritt Geralda, amazonenhaft, den Speer in der Hand. Sie blickt sich um, geht langsam auf die Eremitage zu, pocht mit dem Schaft ihres Speeres an deren verschlossene Tür. Ein ehrwürdiger weißbärtiger Eremit, Pater Johannes, tritt hervor.
Pater Johannes
Noch immer pocht Geralda, wenn sie pocht,
nicht mit dem Klopfer, sondern mit dem Speerschaft.
Wo kommst du her?
Geralda
Mir ist im leeren Nest
der Schwarzen Berge wohler als in Foix,
der lauten Stadt.
Pater Johannes
Und wo ist deine Mutter?
Geralda
Pater Johannes
Man hat sie nötig
zum Friedensschluß.
Geralda
Auch mich. Doch ebendeshalb
hab' ich die Flucht ergriffen und bin hier.
Pater Johannes
Ist dir nicht bange in der leeren Burg,
der ausgestorbnen, wo nur Nachtgespenster
noch hausen und die goldnen Wiegen wiegen,
die deine arme Mutter drin zurückließ
als Zeichen ihres Irrwahns?
Geralda
Ist es einer?
ein Irrwahn, Pater?
Pater Johannes
Daß sie Zwillinge
geboren hat?
Geralda
Ja, Pater?
Pater Johannes
Weißt du nicht,
daß ich nur meiner Andacht lebe, Kind?
Geralda
Ich weiß es. Doch enthüllt dir deine Andacht
zum Kreuze Dinge, die uns dunkel sind.
Pater Johannes
Wir alle hier im Wald von Brezilian
sind von besondrem Stoff. Beinah mehr Geist
als Leib. Nun freilich ist der Leib ein Nichts,
weil er nur lebt im Geist. Doch eine Vielfalt
ganz ohnegleichen ist das Geistbereich,
die Heimat aller Höllen, aller Himmel,
grundloser Abgrund, der uns rings umgibt,
und Stern, der allen Götterbergen leuchtet! –
Für deine Mutter bist du in der Tat
nur eins von zwei zugleich gebornen Mägdlein.
Und dein vermißtes Schwesterchen heißt Gerlind.
Geralda
Mit dieser Antwort ist mir nicht gedient.
Die eine von den beiden goldnen Wiegen
ist die, darin ich lag als kleines Kind.
Sie regt sich nicht, sie steht wie tot. Die andre,
von unsichtbarer Geisterhand bewegt,
ist ruhelos auch jetzt. Und doch: du sagst
mit Recht, die ganze Burg sei ausgestorben.
Pater Johannes
Sie ist es. Freilich nicht in jedem Sinn:
sei deine Mutter nun auch festgehalten
in Foix, ihr Herz ist hier und wiegt die Wiege.
Geralda
So liebt sie ihre Einbildungen, scheint's,
weit mehr als mich!
Pater Johannes
Und dies ist unter Menschen
ein gar nicht seltner Fall, Prinzeß Gerald!
Hör mich: ich lese manchmal in den Sternen,
du weißt es. Ich vermöchte nicht zu sagen,
in Worten nicht, was da zu wissen stand.
Denn nicht das Auge war's, wodurch das Licht
der Sterne sprach. Auch nicht das Ohr. Und so
ist deinem Aug' und Ohr nichts zu verraten.
Es schweben Schicksalswolken über dir –
nicht, daß sie keine Schatten hätten! doch
es schenkt sich ihnen Licht vom heil'gen Berge
der Läuterung.
Geralda
Das klingt recht seltsam, Pater,
im Augenblicke, wo ein wüster Mensch
die friedlich eingehegte Wildbahn wild
durchtobt, der Tierwelt heil'gen Gottesfrieden
vernichtend hier im Wald von Brezilian!
Ich habe dieses Gotteslästrers Weg
dreimal gekreuzt, hob dreimal meinen Speer
und hätte ihn an einen Baum genagelt,
wenn nicht ein unsichtbarer Arm den meinen
im letzten Augenblicke vor dem Wurf
mit erzner Kraft zurückgehalten hätte.
Pater Johannes
Ich weiß. Doch dieser grimme Menschenwolf
ist – mußt du wissen – ein Gesandter Gottes!
Geralda
Ein Menschenwolf? Ein Mägdlein! sag: ein Milchbart!
Pater Johannes
Auch Wölfe schlecken Milch und würgen Lämmer!
Und dieser Milchbart würgt, du sagst es selbst,
das Reh, den Bären, was ihm vor den Speer kommt.
Geralda
Und ist er drum ein Gottgesandter?
Pater Johannes
Ja
und nein! Werkzeuge Gottes sind so blind
wie eben sonst ein Werkzeug. Laß dir sagen:
auch dieser Rasende, er flieht vor Paul,
wie du! Er flieht und kann ihm nicht entgehen.
Vielleicht, daß sich ein Teil des Sternenrats
in Worte fassen läßt. Dann wärest du
berufen, ihn vor Paul zu retten und
er dich vor ihm.
Geralda
Wie sollte dies geschehen?
Pater Johannes
Du warst auf seiner, er auf deiner Spur
und ist es noch. So haben's meine Geister
mir zugeflüstert. Die Gefahr ist groß.
Mag sein, ich werde zwischen Herzog Wilhelm
und Herzog Otto wie ein Wurm zerquetscht,
wenn sie erfahren, was ich jetzt dir rate:
erhör ihn, wenn er dich um Liebe anfleht!
Denn seit der wilde Milchbart dich ersehen,
bist du sein einziges Wild.
Geralda
Wenn dieser Mann
mich niederwirft, den Speer mir aus der Hand ringt,
so will ich seine Magd sein, anders nicht.
Doch dann für immer! Mag die Mutter mich
vermissen wie Gerlinden und mit Tränen
auch meine Wiege täglich dann beträufeln
und schaukeln mit dem qualvoll-blut'gen Herzschlag.
Mag meines Vaters Fluch und Ottos Fluch,
Pauls Wut und seiner Mutter Wut mich suchen:
ich weiß Verstecke, wo wir sicher sind!
Pater Johannes
Tritt hier herein! Ich höre Äste knacken.
Die Spur hat, scheint's, den Rüden recht geführt.
Er naht.
Geralda
Nicht gern verkriech' ich mich.
Pater Johannes
Du mußt es,
willst du nicht meine Mission durchkreuzen.
Sie tritt in die Klause, er schließt die Tür und schiebt den schweren eisernen Riegel vor.
Prinz Paul
steht mit einem Satz, den Speer in der Hand, vor dem Eremiten
Was geht hier vor?
Pater Johannes
Ich schließe meine Zelle.
Prinz Paul
Bist du ein Mönch? – Viel eher schien es mir,
ein Kerkermeister schöbe schwere Riegel
von Eisen an die Türen seiner Kerker.
Das Echo tönte wahrhaft fürchterlich.
Pater Johannes
Auch du erfüllst den Wald von Brezilian
mit einem fürchterlichen Echo.
Prinz Paul
Ja –
mag sein, jawohl. Es ist so meine Art,
den Felsen anzurufen und den Wald
mit meinen lauten Schreien zu beleben.
Besonders nachts.
Pater Johannes
Dies scheint dir anzuhaften aus der Zeit,
als du dein Schwert noch schwangst im Männerkampf,
als deine Opfer dich noch überschrien!
Doch auch die Eber schreien, die du abstichst.
Was tust du hier, in Herzog Wilhelms Wäldern?
Prinz Paul
Sind es die Forsten Herzog Wilhelms?
Pater Johannes
Ja!
Und es ist Waffenruhe.
Prinz Paul
Einen Menschen
wie dich zu treffen, hab' ich mir gewünscht.
Ich habe hin und wieder wohl gebeichtet,
doch nichts, was mich bewegt, nur leeres Zeug.
Was Vater Ugo hören wollte, wußt' ich,
und damals stand ich außerdem mit Paul –
den Prinzen mein' ich – noch auf gutem Fuß.
Heut ist das anders. Ich verachte Paul,
ja fliehe ihn und meide seine Nähe.
Hör mich: ich bin kein Mensch. Ich bin die Wirrnis.
Die Wirrnis in höchsteigener Gestalt.
Was soll die Wirrnis mit der Wirrnis zeugen
als Wirrnis?!
Pater Johannes
Warum rasest du im Forst,
da doch der blut'ge Krieg sich nun geendet?
Prinz Paul
Ich weiß es nicht. Es sei denn, zu vergessen,
daß ich nur Wirrnis bin. Hör mich, mein Freund:
wenn mich das Rasen überfällt, so schlägt
mich Blindheit. Ajax oder Roland wird
ein jeder, den im Kampf Medusa anglotzt,
gleichviel, er morde Hammel oder Männer.
Doch ist im Walde etwas mir begegnet,
das mich mit kühler Hand, wie sie der Tod hat,
berührte. Wenn ich noch die Waffen führe,
so ist's, weil sie noch an mir hängen, nicht
an ihnen ich. In diesem Zauberwald,
scheint's, walten fremde Mächte. Zweimal schon
trat zwischen mich und meines Speeres Ziel
ein Wesen, scheinbar weder Mann noch Weib,
des flücht'ger Wink die Hand am Speer mir lähmte.
Als es zum drittenmal den Weg mir kreuzte,
hätt' ich es gern an einen Baum genagelt.
Und ohne Zweifel wäre das geschehen,
wenn nicht ein unsichtbarer Arm den meinen
im letzten Augenblicke vor dem Wurf
mit erzner Kraft zurückgehalten hätte.
Pater Johannes
Ihr wart begnadet von dem höchsten Gott!
Sein Cherub hat die Hand euch festgeschmiedet!
Prinz Paul
Wo bin ich hier? Bin ich noch in der Welt?
Pater Johannes
's ist schwer zu sagen. Diese Gegenden
sind seltsam hier, seltsamer, wo der Wald
zu Ende geht: dort ist zur Unterwelt
der Eingang. Höhlen zeigen dunkle Himmel,
darunter Berge, Städte, Felderbreiten,
Obstgärten und so fort. Die Fackel nur
erschafft sie dir. Vergeblich freilich würde
dein Arm nach Früchten langen oder Ähren,
denn alles hat die Werkstatt der Natur
aus Stein gebildet. Diese Wundernacht,
die weithin labyrinthisch sich verzweigt,
bewohnen tief im Inneren Templeisen,
die an Altären dienen und dem höchsten,
dem allerheiligsten, der den Rubin
im Weihekelch bewahret: Christi Blut.
Willst du, daß ich dich dorthin führe?
Prinz Paul
Nein!
Mag sein, ich lege meine Waffen nieder
vor deinem Gotteshaus, Einsiedelmann.
Mein eignes Feuer hat mich leergebrannt.
Der Wald von Brezilian hat mich verwandelt.
Was ich umirrend nachts darin erlebt,
hat mich gejagt weit mehr, als daß ich jagte,
gehetzt mehr, als ich hetzte, übermannt
mehr, als ich übermannte. Aus den Wipfeln
erglommen geile Fratzen, lüstern wandten
nach mir verknorrte Äste sich. Die Stämme
von Birken spreizten sich wie nackte Schenkel
schamlos, als stünd' die tollste Unzucht Kopf.
Mir schien, als habe Gott das Paradies
der Schlange hingeschenkt und mich der Schlange,
die sich millionenköpfig wand und nach
mir ringelte. Bis sie erschien,
die rätselhafte Jungfrau, und bis du
mit deinem Anblick schon mich stillgemacht.
Und nun – mir leuchtet zwar der ferne Gral
durch eure Nacht, allein, noch bin ich ganz
ein Kind des Tags und seiner goldnen Sonne,
zu jung, um mich dem Jenseits schon zu opfern.
Doch meine Waffen leg' ich gerne ab.
Er legt seine Waffen vor dem kleinen Gotteshaus nieder.
Pater Johannes
Wer die Versuchung fühlt und ihr erliegt:
er ist nicht ferne der Erlösung.
Prinz Paul
Oh –
wie haben diese Waffen doch gerast
im Dienste Pauls und des gekränkten Vaters,
für ihrer Mutter, ihrer Gattin Ehre!
Wie adlig, feurig, göttlich blitzten sie!
Und doch: hier liegt ein Schlächtermesser jetzt,
der Spieß, um eine Wildsau abzustechen.
Laß mich die Nacht in deiner Zelle ruhn
und wache du indes auf dieser Schwelle,
zum Schutz vor der Dämonen Überfall!
Pater Johannes
Er schiebt die Riegel zurück. Ein lauter Hall entsteht. Paul, im Begriff, durch die geöffnete Tür einzutreten, trifft auf Geralda. Sie steht im Mondlicht wie eine gewappnete Artemis, mit Helm, Schild und Speer. Paul springt zurück, starrt sie an, krampft die Hände ineinander und zittert.
Prinz Paul
Was treibst du hier für wunderliche Künste,
Einsiedelmann?
Pater Johannes
Der diese Künste treibt:
wär' ich's – ich müßte mehr sein, als ich bin!
Hier walten andere, ewig dunkle Mächte,
die trotzdem doch das helle Leben meistern.
Prinz Paul
Mir schmerzt das Hirn! Du schlägst dies Götterbild,
schlägst diesen Schemen grausam in mein Haupt
wie einen eisigen Stempel. – Wird der Schemen
auch Worte sprechen – he, Einsiedelmann?
Oder willst du mir nur beweisen, daß
nur Wahn in dieser Weih-Nacht mich beherrscht
und auch die Jägerin Wahn war?
Geralda
Fluche Paul,
so schon' ich, waffenloser Knabe, dich
heut noch und lasse morgen früh dich sterben.
Prinz Paul
Ich fluche Paul – schon, weil du es verlangst!
Sei Schemen oder nicht: dein hehres Bild
ziert meiner Seele Tempel und sonst nichts.
Geralda
Spricht er im Schlaf? Ist er verrückt, verhext?
Bin ich denn mehr, als was ich immer war:
des Kastellanes Tochter, der die Burg
Sansnom bewacht? Ermann dich, junger Fant!
Du magst die Nacht in unsrer Burg verbringen.
Zwei Wiegen – du magst wählen! – sind bereit!
Prinz Paul
Ich bin Achill nicht. Doch du gleichst genau
der Amazone, die er niederwarf!
Mit dir in einer Burg zu wohnen aber,
da du kein Schemen bist, ist nun bei mir
beschloßne Sache! Ob du gern mich siehst,
ob nicht.
Geralda
Heb deine Waffen auf, du Unmann!
Und mache dich bereit, die Pforte dort
zu stürmen, weil ich sie mit Schild und Schwert
verteidige. Siegst du: gehör' ich dir!
Sieg' ich: so mußt du sterben!
Prinz Paul
Närrin, schweig!
Er ist blitzschnell bei ihr, umfaßt sie unter den Armen, schüttelt sie, so daß ihr die Waffen entfallen, und trägt sie in die Burg.
Des Spukes Ende konnte dies nur sein:
ich lade mich in deine Kammer ein!
Die Hölle weicht, so wie dein Schwert und Spieß.
Nun kommt ein Augenblick im Paradies!
Beide verschwinden, man hört das Poltern die Stiege hinauf.