Gerhart Hauptmann
Kollege Crampton
Gerhart Hauptmann

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Vierter Akt

Ein kleines, schmales, sogenanntes möbliertes Zimmer. Das Möblement besteht aus einem billigen Sofa, einem wackligen Tisch, einem eisernen Waschständer, einem Vertiko, einem Bett und einigen Stühlen. Auf dem Vertiko zwei billige Miniaturgipsbüsten. Über dem Sofa an der Wand hängt ein Öldruck. In der Ecke steht ein Kachelofen. In der Rückwand sowie in der rechten Seitenwand je eine Tür. Professor Crampton liegt auf dem Sofa, ein nasses Handtuch turbanartig um seinen Kopf geschlungen, und spielt mit zwei jungen Leuten Karten. Er ist mit einem alten Schlafrock bekleidet, hat ein Federkissen im Rücken und zur Seite auf einem Stuhl ein Becken mit Wasser. Auf dem Tisch halbleere Biergläser. Die beiden jungen Leute, Stenzel und Weißbach, stehen im Alter zwischen achtundzwanzig und dreißig. Der Ausdruck ihrer Gesichter zeugt von nur mäßiger Intelligenz. Hüte und Überzieher der beiden liegen auf einem Stuhle. Ein alter italienischer Radmantel des Professors sowie der Fes, auch ein breitkrempiger Künstlerhut sind an der Mitteltür aufgehängt. Stöße von Büchern, Bände alter Zeitschriften sind auf dem Vertiko, den Stühlen und sogar auf der Diele angehäuft. Eine Mandoline liegt neben den Biergläsern auf dem Tisch. Es ist nachmittags gegen halb sechs. Auf dem Tisch brennt eine Lampe. Die Spielenden rauchen stark.

Crampton, trällert. Sul mare luccica. Schlägt eine Karte auf. Das – und das – und das – Ich danke, meine Herren. Ich habe genug. – Sul mare luccica . . .

Weißbach. Stenzel gibt Karten.

Stenzel. Herr Professor, es geht auf sechs. Ich glaube, wir müssen jetzt aufbrechen.

Weißbach. Ach richtig, wir haben heut Abendakt.

Crampton, er mischt die Karten, dudelt. Ich bin ein freier Mann und singe. – Wollen Sie wirklich gehen? – Von sechs bis acht haben Sie Akt? Um acht kommen Sie wieder, nicht?

Weißbach, mit Bezug auf Stenzel. Er wohnt bei seiner Mutter, Herr Professor. Die will ihm den Hausschlüssel nicht mehr geben.

Crampton, leichthin. Lassen Sie sich scheiden, Stenzel. Lassen Sie sich von Ihrer Mutter scheiden. Ich lasse mich von meiner Frau auch scheiden, mein Lieber! Er wirft die Karten zusammen. Nun also, machen wir Schluß, meine Herren! – Kommen Sie nur um acht Uhr wieder. Kommen Sie nur bestimmt. Enthusiastisch. Ich habe ein paar reizende Scherzchen für Sie. Ein paar kostbare Boccaccio-Geschichtchen. Allerliebste Dingerchen, allerliebst. Sie kennen doch Boccaccio, den göttlichen Schwerenöter. Nicht? Ach, laßt euch begraben, ihr Provinzialen.

Stenzel. Herr Professor, Boccaccio ist uns zu unmoralisch.

Crampton, kichernd. Ein köstlicher Einfall, mein lieber Stenzel. Ich will euch was sagen. Er ist zu graziös für euch. Ihr habt einen Magen für Erbsen und Schweinefleisch. Ihr jungen Leute hier in der Provinz, ihr liebt wie Gorillas; ja, ganz wie Gorillas! – Na, geht nur, geht, – gutmütig, spöttisch – damit ihr nichts versäumt. Damit ihr nicht zu spät kommt in eure Drillanstalt! Lachend. Sonst müßt ihr nachsitzen – – furchtbar komisch.

Stenzel und Weißbach ziehen lachend ihre Überzieher an.

Selma, eine Kellnerin, kommt herein. Man bemerkt durch die offenstehende Tür ein Billard und Gäste, welche die Queues kreiden.

Crampton nimmt die Mandoline, spielt und singt dazu mit Empfindung und Feuer die erste Strophe von »Santa Lucia«. So, schöne Selma, so girrt man in Italien. Aber hier bei euch ist es wie ein Grünzeughandel. – Wiederholt den letzten Vers. – Bringen Sie mir etwas zu trinken, mein Kind, und etwas Rauchbares! Zu den jungen Leuten. Was soll man machen? Man raucht und trinkt, man trinkt und raucht.

Selma, indem sie die Gläser abnimmt und den Tisch abwischt. Sie rauchen wirklich zu viel, Herr Professor. Den ganzen Tag und die ganze Nacht.

Crampton, blasiert. Was soll ich machen? Ich kann nicht schlafen. Man raucht und liest und spült Bier hinunter. Apropos, lieber Stenzel, Bücher, Bücher! Sie sagten doch: alte »Gartenlauben«, alte Illustrierte. Bringen Sie mir, was Sie haben. Ich bin dankbar für alles. Ich brauche nicht essen, aber lesen muß ich. Er nimmt sich den Umschlag ab. Ihr lest zu wenig, ihr jungen Künstler. Ihr seid Ignoranten schlimmster Sorte. Ihr wißt von Gott und der Welt nichts. Kennen Sie Swift? Nein. Kennen Sie Smollet, kennen Sie Thackeray, kennen Sie Dickens? Wissen Sie, daß ein Mann namens Byron einen »Kain« geschrieben hat? Kennen Sie E. T. A. Hoffmann? Ihr seid Ignoranten schlimmster Sorte.

Selma, die mit den leeren Gläsern fortgegangen war, kommt mit einem vollen zurück; sie trällert.

    Die Alma war so schön,
    so schön wie eine Taube,
    und als ick sie besah,
    da war's 'ne alte Schraube.

Weißbach. Adieu, Herr Professor! Wir werden uns bessern.

Stenzel. Herr Professor! das hätt' ich beinah vergessen. Mich hat jemand gestern nach Ihrer Wohnung gefragt.

Crampton, geht umher, finster. Ich wohne nirgend, nirgend, mein Lieber.

Stenzel. Ich hab' auch gesagt, ich wüßte nicht, wo Sie wohnen.

Crampton. Recht, Stenzel, recht, ich wohne nirgend. – Wer fragt denn nach mir?

Weißbach. Sie wissen doch, Strähler, der relegierte Maler. Er hat mich auch schon nach Ihnen gefragt.

Crampton, aufgebracht. Was geh' ich die Menschen an, frag' ich bloß. Sie sollen mich endlich in Frieden lassen. – Nun machen Sie's gut, Stenzel! Machen Sie's gut, Weißbach!

Stenzel und Weißbach, gleichzeitig. Adieu, Herr Professor!

Weißbach zwickt im Vorbeigehen Selma in den Arm.

Selma. Ach, geh nach Haus, Aff' du!

Stenzel und Weißbach lachend ab. Im Restaurationszimmer wird Billard gespielt.

Crampton. Langweilige Peter. Entsetzlich langweilig. – Mein liebes Kind, du bist zu bedauern. Er zieht den Schlafrock aus und die Samtjacke an.

Selma. Ach, ich? Wieso?

Crampton. Gefällt dir das Leben?

Selma. Was soll ich machen?

Crampton. Das ist die Frage.

Selma, zögernd. Aber Sie, Herr Professor, Sie tun mir leid.

Crampton. Ich? Ha, ha! noch besser. Ungeduldig. Nun, geh nur, geh nur!

Selma. 'n Mann wie Sie, Herr Professor, der müßte doch rauskommen aus diesem Leben. Wenn Sie nur wollten, daß müßte doch gehen. Statt dessen ruinieren Sie Ihre Gesundheit.

Crampton, mit tragikomischer Verzweiflung. O dio mio! – Kurz und mißlaunig abwinkend. Nun laß mich schlafen. Er streckt sich aufs Sofa. Selma ab.

Draußen beginnt wüster Kneipengesang. Nun klopft es mehrmals hastig, und als der Professor nicht antwortet, wird die Mitteltür von außen geöffnet. Mehrere rote Biedermannsgesichter blicken durch den Spalt, und ein Mensch in gestickten Schlafschuhen, an Wäsche und Kleidern unsauber, mit einem gemeinen und bleichen Gesicht, kommt herein. Es ist Kaßner, der Inhaber der Restauration.

Kaßner. Herr Professor, Sie entschuldigen.

Crampton schrickt auf. Was, was soll ich entschuldigen?

Kaßner. Es sind a paar Herrn hier, die lassen um die Ehre bitten . . . ob vielleicht der Herr Professor so freundlich sein wollten und mit den Herrn a Glas leeren.

Crampton, brüsk. Was sind das für Herren?

Kaßner. 's is a kleener Verein, Herr Professor!

Kunze und Seifert, zwei dicke, angeheiterte Philister, kommen herein.

Seifert. Sie werden entschuldigen, Herr Professer, mir haben gehört, daß Sie hier sind; und da mir heut grade alle so vergnügt sind . . . und da mir heut alle grade mal so vergnügt beisammen sind, da wollten mir Sie heeflich gebeten haben, Herr Professer . . .

Crampton. Kennen Sie mich denn?

Seifert. Herr Professor, Sie sind 'n großer Künstler, Sie sind 'n Kunstmaler, ich bin bloß 'n eenfacher Maler. Aber deshalb: Menschen sind mir alle. Mit Rührung. Und wenn man a guttes und treues Herze hat, spreche ich . . . Da hier, sprech' ich, der Brustfleck, das is die Hauptsache. Und da sind mir Ihnen vielleicht nicht zu niedrig. Und Sie steigen vielleicht heut abend amal zu uns herab und leeren vielleicht amal a Glas mit uns und stoßen vielleicht amal mit uns an, und wenn's ooch bloß mit eenen eenfachen Stubenmaler is, Herr Professer.

Kunze, während an der Tür noch mehrere Gäste und die Kellnerin stehen und lachend zuschauen. Sie brauchen sich unsrer nicht zu schämen, Herr Professor. Wenn wir ooch einfache Leite sind. Wir haben Achtung vor der Kunst.

Crampton, scheinbar gleichgültig, leichthin. Nun, ich hab' nichts dagegen, ich hab' nichts dagegen.

Ein Bravo erschallt. Auch die Zuschauer in der Tür applaudieren. Kunze und Seifert fassen Crampton jeder unter einen Arm und führen ihn im Triumph und mit wiederholten Bravorufen ab.

Kaßner, nachlaufend. Herr Professor, Herr Professor! die halten Sie warm, die Brieder haben Puttputt, mehr wie erlaubt ist. Ab.

Ein kurzes Bravorufen mehrerer Stimmen. Während des Rufs wird die Tür rechts von außen aufgeschlossen und geöffnet. Löffler und Max Strähler treten ein.

Löffler läßt Max vorangehen. Treten Sie ock rein, Herr Strähler!

Max, sich umsehend. Hier wohnt der Professor?

Löffler. Nu heern Se ock den Teeps. Das geht nu von abends sechse an bis a andern Morgen um sechse, sieben. Es is a Elend, a schreckliches Elend!

Max. Ja sagen Sie, Löffler, weshalb hat er sich denn dieses Loch hier ausgesucht?

Löffler. Nu, das will ich Ihn gleich sagen. Die Sache is so: der Mann hier, den sind mer sechzig Mark schuldig. Nun hat er, um das Geld ni zu verlieren, den Professor ufgenommen. A spikeliert nämlich uf de Verwandten. Da ist er doch aber schief gewickelt. Und jetzt merkt ersch ooch schonn, daß er sich a bissel verspikeliert hat, denn a is doch nu schonn bald acht Tage da, der Professer, und's kräht keen Hahn nach'm. Wer weeß nu, wie lange das wird noch halten dahier.

Max. Wo ist er denn hin, der Herr Professor?

Löffler. Nu a wird wohl drinne in der Gaststube sein. – Nu sehn Se mal an: nu der Gastwirt derhinterkommt, uf die eene Art geht's nich, da versucht ersch uf die andre. Nu benutzt a a Professor so wie als Zugmittel.

Max. Nun hören Sie mal auf mich. Hier stecken Sie sich zunächst mal das Geld ein. Er gibt ihm einen Schein. Davon bezahlen Sie erst mal die Schulden hier. Und dann muß der Professor unbedingt aus dem Bums hier herauskommen.

Löffler. Ja sehn Se, das is die Sache. Der Mann hat een Kopp – ich sag' Ihn, Herr Strähler, een Kopp hat der Mann – wenn der sich den ufsetzt – oje nee! da is alles umsonste. Ja, wenn der den Kopp nich hätte. – Nu sehn Se, hier is der reene Gift fer den Mann. De Kneipe, na? – und der Bierapparat looft a ganzen Tag. Und hier sitzt a, na? – und da braucht er bloß ruffen, und da kommt's Mädel. Und das Mädel, das is Ihn vernarrt in den Mann. Und was er bestellt, das bringt s'n halt. Und wenn der Gastwirt kee Bier gibbt, da zahlt s' es stillschweigend aus ihrer Tasche. Nu bleibt der Mann halt in eenen Trinken. Nu nehmen Se mal an, was soll dadraus werden?! Und sag' ich zu'n: Herr Professer, mer werden versuchen, 'ne Stelle zu kriegen, da spielt a sich uf. Stolz is Ihn der Mann. – Wenn der ni so stolz wär' . . . Da sind er schonn viele hier gewesen, die haben wollen helfen. Was soll ma nu machen? Wenn eener kommt, den schmeißt er zur Tiere naus. Stimmen nähern sich der Mitteltür. Nu wird a erscht schimpfen, daß ich Sie gebracht hab'. – Nu mag a schimpfen! Der Professor kommt, gefolgt von Seifert, der um ihn herumscherwenzelt. Gu'n Abend, Herr Professer!

Crampton. Guten Abend, mein Lieber. Gehen Sie hinein, und lassen Sie sich Bier eingießen. Löffler ab. Zu Max. Sie sind Akademiker, wie?

Max, der in einem dunklen Teile des Zimmers steht. Jawohl! Ich . . .

Crampton. Gut, gut; warten Sie!

Seifert, eifrig. Nu ja, Herr Professor, da wär'n mir ja einig. Wir sind's erschte Geschäft, das kenn Se glauben. Und wenn mer zufrieden sind mitnander, da kenn Se ooch Geld verdienen mehr wie genug. Ich kann Ihn sagen, ich bin kein schlechtsituierter Mann.

Crampton, ungeduldig. Das glaub' ich, das glaub' ich.

Seifert. Nein, nein, Herr Professor! ich bin kein schlechtsituierter Mann. Sie kenn ieberall rumfragen, ieberall, ieberall! Die besten Referenzen, Herr Professor. Sehen Sie, wir haben ooch Kunstsachen auszufiehren; – oh – und wissen Se, wenn wir einig werden, da hätt' ich eine scheene Sache. Da kennt' ich eine scheene Sache übernehmen. Da is in Görlitz . . . Da wolln se so'n Konzertsaal ausgemalt haben.

Crampton, mit wachsender Ungeduld. Nun ja, lieber Herr, nun ja, nun ja. Ich will mir die Sache 'nmal beschlafen. Wenn ich Zeit gewinne, warum denn nich? Wollen sehn, wollen sehn. Dann also bis morgen.

Seifert. Nu nehmen Se's nich iebel. Bis morgen also.

Crampton. Recht, recht, lieber Herr; nun machen Sie's gut. Seifert mit Verbeugung ab.

Max tritt ein wenig vor. Guten Abend, Herr Professor. Ich möchte mir erlauben, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen.

Crampton streckt sich auf das Sofa, mißlaunig. Recht, recht, mein Lieber. Wie heißen Sie doch?

Max. Mein Name ist Strähler.

Crampton. Ach richtig, Strähler. – Nun, lieber Strähler, Sie sind wohl Maler.

Max. Gewiß, Herr Professor! Ich habe sogar bei Ihnen gemalt.

Crampton. Ach ja, ich' erinnere mich. Strähler, Strähler? Wohl drüben in der Drillanstalt? Wohl, als ich noch drüben meine Zeit vergeudete? Ja sehen Sie, Bester, diese Zeit ist in meinem Gedächtnis so ziemlich ausgelöscht. – Ach freilich, freilich! Sie wurden davongejagt? Sie hatten ein bißchen Talent, nicht wahr? Und wurden deshalb davongejagt?

Max. Man hielt es für gut, mich auszuschließen.

Crampton. Sie kamen dann oft in mein Studio, freilich! Es war ein recht hübsches, gemütliches Studio. Mein Atelier war gemütlich, nicht wahr? Ich hatte mir nach und nach etwas gesammelt. Erinnern Sie sich meiner gotischen Truhe? Meiner Meißner Porzellane?

Max. O ja, recht gut.

Crampton. Und der reizenden Bronzen? – Da hatte nun alles seine Geschichte. Nun einerlei, es muß auch so gehen! – Sie haben mir das ja nun alles genommen. – Ich habe einstweilen hier gemietet. Es ist ja ganz leidlich, ein bißchen finster, indessen ganz leidlich! – Wie war doch Ihr Name?

Max. Mein Name ist Strähler.

Crampton. Herr Strähler, Herr Strähler. Kleine Pause.

Max. Herr Professor, ich bin eigentlich hergekommen, Sie zu fragen, ob ich Ihnen vielleicht mit irgend etwas dienen könnte? Ich . . .

Crampton. Ich wüßte nicht gleich – das heißt, mein Lieber, wenn Sie etwas tun wollen, bringen Sie mir Bücher. Ich lese fast immer. Ich kann nicht schlafen. Ich würde mich dankbar erzeigen, mein Lieber. Ich könnte Sie empfehlen, nach Weimar, nach Wien. Ich habe die besten Verbindungen überall.

Max. Haben Sie Nachricht von Ihrer Fräulein Tochter, Herr Professor?

Crampton, vom Sofa emporschnellend, kurz und abweisend. Was geht Sie meine Tochter an, junger Mann?

Max. Vielleicht erinnern Sie sich doch, Herr Professor, daß Sie mir vor nicht langer Zeit den Beweis eines großen Vertrauens gegeben haben.

Crampton, sich über die Stirn fahrend. Ach, jawohl! jawohl! Das heißt . . .

Max, bescheiden, doch mit Festigkeit. Herr Professor! ich war der Meinung, dadurch das Recht erworben zu haben, den Namen Ihrer Tochter auszusprechen.

Crampton. Nun gut, nun gut, dann tun Sie mir einen Gefallen. Es ist hier so eine Atmosphäre . . . dann sprechen wir wenigstens an diesem Orte nicht von meiner Tochter.

Max. An diesem Ort? Gut, Herr Professor. Dann möcht' ich mir aber zu fragen erlauben, an welchem andern Ort darf ich denn mit Ihnen von Ihrer Tochter sprechen?

Crampton. Am liebsten gar nicht, am liebsten gar nicht.

Max. Nun – wenn Sie wünschen. – Dann möchte ich nur eine Frage stellen. Warum . . . doch das ist nicht so leicht, Herr Professor. Mit einem Wort, es schmerzt mich, zu sehen, wie Sie hier in einem engen, finsteren Raume leben, wo Sie nicht mal Licht zur Arbeit haben und Ihrer Gesundheit aufs äußerste schaden. – Herr Professor! würden Sie mir nicht gestatten . . . Ich versichere Sie, es würde mich beglücken, es würde mich stolz machen, wenn ich etwas tun könnte für einen Mann, den ich so hoch verehre wie Sie, Herr Professor. Können Sie sich denn nicht entschließen, mir das Vertrauen zu schenken?!

Crampton, ein wenig milder, aber immer abweisend. Aber lieber Freund, was glauben Sie denn? Ich wohne hier, weil es mir behagt, hier zu wohnen. Ich finde es hier durchaus erträglich. Man hat mir mein ganzes Material genommen. Sonst könnte man hier sogar etwas arbeiten.

Max. Erlauben Sie mir wenigstens, Ihnen das Material zu schaffen.

Crampton. Ja, tun Sie das, tun Sie das. Ich bin kein Spielverderber. Aber wissen Sie, es liegt an mir, ich bin müde. Die Aufträge kommen geflogen, aber ich bin müde. Da soll ich zum Beispiel jetzt einen Konzertsaal ausmalen. Der Mann bedrängt mich. Ich hätte eine recht nette Idee im Kopfe, aber wie gesagt, ich bin müde. Ich hatte mir gedacht für den Plafond, wissen Sie, ein rundes Bildchen. Etwa den Naturlaut. Da hatt' ich mir gedacht ein Meer, wissen Sie, den Ozean und den Sturm, der ihn aufwühlt. Und mitten im Ozean, da hatt' ich mir einen Felsen gedacht und Giganten, die den Felsen auseinanderreißen. Und aus dem Spalt, wissen Sie, da sollte das Feuer hervordonnern, ja, es müßte förmlich hervordonnern, mein Lieber. – Wie? – Was? – Bin ich ein alter Gaul? Habe ich Sägespäne im Kopf? In Ekstase. Sie sollen nur kommen! Sie sollen mir das nur nachmachen, diese Anstreicher und Kuchenbäcker von der Drillakademie. Er geht umher.

Max. Erinnern Sie sich noch meines Bruders, Herr Professor?

Crampton. Ein dicker Krämer, nicht wahr, mein Lieber?

Max. Ein dicker Krämer, jawohl, Herr Professor! Ich habe auch eine Schwester hier am Ort. Sie wohnen zusammen, mein Bruder und meine Schwester.

Crampton, zerstreut. So? Freut mich, freut mich. Vertragen Sie sich?

Max. Das auch, Herr Professor.

Crampton. Recht, freut mich, mein Lieber!

Max. Ich bin deshalb auf meine Schwester gekommen . . . Meine Schwester läßt Ihnen durch mich, Herr Professor, eine Bitte vortragen.

Crampton, außer sich. Um Gottes willen! ich soll sie wohl malen. Mein Allerliebster, mein Allerliebster! Ich bedanke mich höflich. Ich werde mich hüten. Den Kneipwirt soll ich malen für fünfzig Pfennig. Ein Grünzeugweib soll ich abklatschen für einen Topf saure Gurken. Ein Porträt, mein Freund, kostet sechshundert Taler; nicht mehr und nicht weniger. Ich kann mich nicht wegwerfen. Also wenn Sie das wollen, dann stehe ich zu Diensten.

Max, aufstehend, ihm die Hand hinstreckend. Ein Mann ein Wort, Herr Professor!

Crampton. Mensch, sind Sie von Sinnen?

Max. Nicht im geringsten. Es handelt sich nämlich um ein Geschenk, Herr Professor. Mein Bruder Adolf . . .

Crampton. Ich denke, die Schwester.

Max, in Verlegenheit stotternd. Das heißt, meine Schwester, die soll gemalt werden.

Crampton. Ihr Bruder bestellt es.

Max, errötend. Mein Bruder bestellt es.

Crampton. Nun, lieber Strähler, wenn das Ihr Ernst ist . . . Mit schlecht verhehlter Freude. Darüber kann ich unmöglich böse sein.

Max. Und nun, Herr Professor . . . ich muß doch noch einmal . . . Ich soll Sie von Ihrer Tochter grüßen.

Crampton wendet sich, um seine Bewegung zu verbergen, von Max ab. Na aber, aber, wie kommen Sie dazu?

Max, stockend. Da Sie Ihre Adresse so streng verheimlicht haben, so hat Fräulein Gertrud sich an mich wenden müssen.

Crampton. Sie korrespondieren mit meiner Tochter?

Max. Ich korrespondiere . . . Das heißt, Herr Professor, ich bin ja der einzige, durch den Fräulein Gertrud etwas über Sie zu erfahren hoffte.

Crampton. Und hinter meinem Rücken, mein Lieber? Was soll das heißen? Was soll das heißen?

Max. Das heißt . . . nicht eigentlich . . . Es war Fräulein Gertrud, wie ich herausfühlte, entschieden kein lieber Gedanke, zu den Großeltern zu reisen. Und da . . .

Crampton, bitter auflachend. Das will ich glauben! Das will ich glauben! Was wird man dem Kinde die Hölle heiß machen! Wie wird man auf ihrem Papa herumhacken. Das will ich glauben. Da heißt es nur immer: kreuzige! kreuzige! und wenn sie nicht einstimmt – dann ist sie verloren. Die lieben Verwandten! Die guten Seelen! Die Frau ist ein Engel. Meine Frau ist ein Engel. Ein Engel vom Himmel, – recht! Mag sie's bleiben.

Max, nach einer Pause. Ich weiß auch, daß Fräulein Gertrud sehnlichst wünscht, Sie wiederzusehen, Sie zu besuchen, Herr Professor.

Crampton. Ich kann sie nicht brauchen! Ich kann sie nicht brauchen! Sie sehen ja selbst, ich kann sie nicht brauchen! Ich führe ein Leben – ein Hundeleben! Für mich ist es gleichgültig, so oder so. Man ist doch verschüttet! Man ist gänzlich verschüttet! – Ich kann sie nicht brauchen, mein lieber Strähler.

Max. Da hat mich meine Schwester beauftragt, Sie recht herzlich zu bitten. Es würde ihr eine Freude sein, Fräulein Gertrud bei sich aufnehmen zu können.

Crampton, sich wiederum wegwendend. Nun aber, aber! Was sind das für Dinge? Nein, nein, mein Lieber, das ist ja nicht möglich. Die weite Reise im Winter, mein Lieber. Es ist auch wohl besser. Es ist auch wohl besser.

Max. Sie könnten sich doch so leicht überzeugen, wenn Sie uns nur einmal besuchen möchten. Fräulein Gertrud wäre bei meiner Schwester ganz gewiß gut aufgehoben. Sie kennen sich beide vom Konservatorium.

Crampton. Aber, lieber Strähler, ich zweifle ja gar nicht . . . Die Rührung läßt ihn nicht weiterreden. Es ist ja auch schließlich ganz selbstverständlich, daß ich mich freuen würde, das Kind in der Nähe zu haben. Sie wissen ja gar nicht, was das für ein Kind ist. Was das Kind für ein kluges, gescheites Köpfchen hat. Wie gerecht dieses Kind, dieses Backfischchen, denkt. Und wie tapfer das kleine Mädchen sein kann. Sie ist zuweilen nicht gut mit mir umgesprungen. Sie hat mir den Kopf gewaschen, sag' ich Ihnen, aber sie hat mich dafür auch herzlich geliebt. Sie hat mich verteidigt wie'n kleiner Tiger. Er zieht eine Photographie aus der Tasche. Da hab' ich ihr Köpfchen. Ein süßes Köpfchen? Ein starkes Mädchen . . .

Max. Ein Wort, Herr Professor, und sie ist hier.

Crampton. Ein Wort, mein Lieber? Oh, liebe Jugend! Das Wörtchen könnte uns übel bekommen. Ich kann sie nicht brauchen.

Seifert und Kunze kommen herein.

Seifert, rot, vergnügt, angeheitert. Herr Professor, mir wollten noch mal ieber eenen Punkt mit Ihn reden. Ich hab' hier gleich meinen Kompagnon mitgebracht. Kunze ist nämlich mein Kompagnon. Wenn Ihn bekannt is, Kunze und Seifert. Sehen Se, wenn Se uns gleich mechten 'ne bestimmte Auskunft geben. Mir würden Ihn ooch frei Bier bewilligen. Mir trinken ja alle gern eenen, nich wahr? Dadruff käm's uns nich an . . .

Crampton, kurz, heftig. Wer sind Sie, was wollen Sie, meine Herren?

Seifert. Nu mir waren doch, denk' ich, schon halb und halb einig.

Crampton. Ich weiß nicht, was Sie wollen? Mein Name ist Crampton, Professor Crampton, und wer sind Sie?

Seifert. Ich heeße Seifert.

Kunze. Ich heiße Kunze.

Crampton. Nun, Herr Hinz und Kunz – oder wie Sie heißen –, wie können Sie so ohne weiteres in mein Zimmer eindringen? Wissen Sie vielleicht, was Anstand ist? Kennen Sie vielleicht die Gesetze der Höflichkeit? Ich bitte Sie jetzt, uns allein zu lassen. Seifert und Kunze ziehen sich konsterniert zurück.

Seifert, unter Bücklingen. Se werden entschuldigen! Se werden entschuldigen!

Kunze. Entschuldigen Sie mich gütigst. Empfehle mich sehr!

Crampton ruft ihm nach. Sie sind schon empfohlen. Sie sind schon empfohlen. Löffler kommt. Nun sagen Sie, Löffler, was sind das für Menschen? Überfallen mich hier in meinem Zimmer. Ich bin meines Lebens nicht sicher vor diesen Menschen. Ich ziehe aus. Ich ziehe sofort aus, ich bleibe nicht hier. Nicht eine Minute bleibe ich mehr hier. Löffler, zahlen Sie unsere kleine Rechnung. Legen Sie diese paar Pfennige aus. Eine gute Wohnung, Löffler, eine gute Wohnung. Und dieser junge Mensch hat jederzeit Zutritt. Er setzt den Hut auf, hängt den Radmantel um. Und was das Porträt anbelangt, lieber Strähler, es wäre mir recht, wenn wir bald damit anfangen könnten. Von nächster Woche ab bin ich besetzt, da werd' ich nicht wissen, wo mir der Kopf steht. Kaßner bringt eine Tasse Kaffee. Crampton fährt ihn an. Was bringen Sie da? Ich danke für Milchwasser. Es paßt mir nicht mehr. Ich ziehe aus.

Kaßner. Nu ziehn Se, ziehn Se, aber erscht bezahlen. Mir paßt's schonn lange nich, kennen Se sich denken. Sie wollen nur nich arbeiten, weiter wollen Sie nischt. Sie kennten die scheenste Arbeit kriegen. Die Malermeester sind nur reiche Leute.

Crampton. Der Mann ermordet mich, lieber Strähler! Der Spelunkenkönig bringt mich von Sinnen.

Max. Dann gehen wir doch voraus, Herr Professor!

Kaßner. Erscht Heller fer Fennig, dann kann er gehn.

Crampton, zu Strähler. Wir gehen, mein Lieber. Begleichen Sie's, Löffler.

Löffler. Heut geht's amal grade. Zu Kaßner. Was sind mir denn schuldig? Max mit dem Professor, der ihn untergefaßt hat, ab.

Kaßner. Was heeßt denn das nu?

Löffler. Nu, so a Professer, der muß doch Geld haben.


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