Gerhart Hauptmann
Kaiser Karls Geisel
Gerhart Hauptmann

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Dritter Akt

Wiederum auf dem Landsitz Karls in der Nähe von Aachen. Ein Raum im Inneren der Villa, mit Säulen, von einer Kuppel überwölbt. Der Fußboden besteht aus farbigem Marmor. Es führen offene und verschlossene Türen ins Innere des Hauses, eine andere in den Garten. Aus einem etwas tiefer gelegenen, mit der Kuppelhalle verbundenen Raum steigen Magister Alcuin und Graf Rorico über mehrere Stufen herauf. Magister Alcuin ist eine hohe und edle Greisenerscheinung, zugleich die eines Gelehrten, Dichters und Mannes von Welt, natürlich im geistlichen Gewande.

Rorico
Nicht weiter, Herr Magister, darf ich dich
geleiten, und beim Zeichen, das der Torwart gibt,
muß ich, ob du den Kaiser sahst, ob nicht,
von Haus und Garten dich verweisen.

Alcuin                                                         Wie?
auch dann, wenn ich durch eigenhändige Schrift
des Herrn hierher berufen bin?

Rorico                                             Du bist
berufen?

Alcuin           Freilich, Graf. Und wär' ich's nicht,
ich säße friedlich jetzt bei meinen Büchern,
und ohne, glaub mir, Neugier zu verspüren,
wehrt' ich mich vor Gerüchten, wie bisher.
    (Immer mit leichter Schalkhaftigkeit und durchaus liebenswürdig)
Was habt ihr hier für Heimlichkeiten? Was
betreibt ihr hier für Maskeraden, Graf?
Warum hält sich der Keulenschwinger Karl
versteckt, in diesem Hinterhalt? denn wirklich,
eh man zu euch gelangt, in eure Wildnis,
auf schmalen Pfaden durch die Sümpfe, die
euer Inselchen und dieses Haus umschließen,
hat man Gefahren zu bestehn. – Sie sagen:
da allenthalben sich das Raubzeug rege,
so täte not, daß unser Herakles
sein Löwenfell ein wenig rüttelte,
statt am Spinnrocken . . . ah, was wohl zu tun?

Rorico
Wir sind hier um der heißen Thermen willen,
im Erdgeschoß des Hauses: König Karl,
der sie Jungbrunnen nennt, braucht hier die Kur.

Alcuin
Jungbrunnen nennt er – was?

Rorico                                             Die heißen Quellen.

Alcuin
Richtig, ganz wohl verstanden, bester Graf.
Auch kenn' ich meinen alten Patriarchen
genugsam! Sah ich Hirten doch – nicht Hirten
von Völkern: nur von Lämmern! – ihre Füße,
die kalt und starr vor Alter waren, wärmen
in junger Tiere Eingeweiden! Zeus,
der Oberhirt der Götter und der Menschen,
trotz ewiger Jugend, fror zuweilen! Angst
des Alterns überschlich ihn, und er fühlte,
seltsam genug, als Stier sich wieder jung! –
Weiß Gott, es kriecht mir laulich übern Rücken!
Jungbrunnen: warum nicht, wenn's ihm gedeiht,
dem Mann der Männer? diesem irdischen
Zeus! mag er unter seine Lämmer greifen . . .
ich wollte sagen: baden, wo er will.

Rorico
So du berufen bist, Hochwürdigster,
nimm Platz. Es ist ein zweiter Ruf ergangen,
an unsern Kanzler Ercambald, zum Vortrag! –
Ein Umstand, den ich mir zum Guten deute;
denn sonst . . . es fehlt der Arzt bei unsrer Kur!
Ich darf nicht reden, mag nicht, weiß es Gott!
ich überschaue den Gewaltigen nicht
und weiß nichts Besseres als zu gehorchen
bei seinem Anblick! Doch sein Anblick ist
nicht so, als hätte ihn das Bad verjüngt.
Sieh selbst: es ist sein Schritt auf der Terrasse.

Er zieht sich schnell zurück. Alcuin mustert nochmals flüchtig seine Kleidung und stellt sich zurecht. Ein brauner Diener öffnet von außen die Gartentür und läßt Karl an sich vorüber eintreten. Karl ist ein wenig bleicher als früher. Die Ruhe und Festigkeit seines Blicks hat eingebüßt. Er kommt aus dem hellen Tageslicht, das seinen langen Schatten vor ihn hinwirft. Er bemerkt Alcuin und hält die Hand, wie um den Blick zu verschärfen, über die Augen.

Karl
Noch kann ich nicht erkennen, wer du bist.

Alcuin
Doch ich den Unverkennbaren, den David!

Karl
Flaccus, du bist es.

Alcuin                           Ja, der schwache Flaccus,
den deine rauhen Krieger, die, im Forst
verteilt, um ihren Cäsar Wache halten,
als stünde seine Burg in Feindesland,
zur Not verschonten.

Karl                                   Flaccus, Feindesland
ist für den Mann und Menschen überall,
wo Männer sind und Menschen.
    (Er klatscht in die Hände)
                                                    Nimm nun Platz.
Harun al Raschid zaubert durch das Klatschen
der Hände Paradiese aus dem Nichts.
Kein Magier bin ich, nur ein rauher Franke,
der dir nicht mehr als deinen Lieblingswein,
dazu Gesottnes und Gebratenes –
wie's eines armen Landmanns Herd vermag –
nach ausgestandner Angst kann bieten.

Alcuin (lachend)                                               Mehr
heischt ein bescheidner Mann wie Flaccus nicht.

Zwei sarazenische Diener in bunten Turbanen erscheinen und küssen die Erde vor Karl; Alcuin, mit einem Blick auf die Diener, schalkhaft

Auch find' ich mich mit Davids Armut ab.

Karl
Hassan, wir wollen speisen wie die Götter.

Die Diener, die sich erhoben hatten, werfen sich nochmals zur Erde, stehen auf und treten ab.

Alcuin
Nun scheinst du dennoch, Herr, ein Magier mir!

Karl
Wär' ich's! ich bin es nicht. Vier andre Sklaven,
gleich diesen, schenkte eben der Kalif
Harun al Raschid mir nebst, wie du weißt
und wissen mußt, sechs dunklen Sklavinnen.
Erst jüngst der fast Vergessenen mich erinnernd,
kam mir die Laune, daß ich sie berief,
hierher, zu meinem Dienst, wo ich denn erst
der kaiserlichen Gabe Wert erfand:
denn wie sie dir das Bad bereiten, wie
dich wickeln, hüllen, kneten, deinen Winken
zuvortun, dies ist über alles Lob! –
Verweichlichend vielleicht: doch Weichlinge
sind's von Natur! ich werd' es nie, mein Flaccus! –
Jetzt höre kurz, warum ich dich berief.
Du bist geboren in Northumbria,
und zwar aus Sachsenblut . . .

Alcuin                                             Ja, König David.

Karl
So wirst du bald in diesem Hause etwas
rumoren hören, was dir nah verwandt:
doch davon später! – Was ich brauche, ist
der Sachse nicht. Den Bruder brauch' ich, brauche
den Mann von gleicher Einsicht, gleichem Wert!
und das bist du, mein Flaccus, der das Schwert,
das geistliche, an seiner Seite führt,
das Gott zurückließ auf der Welt. Du hobst
es auf, wie ich das weltliche, und bist
mehr Petri Schwert- und Schlüsselhalter mir
als der zu Rom. Du bist im Göttlichen:
von Gott – im Menschlichen: von Gott allein
nicht minder, und von niemand sonst, belehrt.
So sei der Mann, der mir willkommene!
er muß verstehn: nicht richten! muß das Leben
verehren: nicht abtöten wollen! Denn
wollt' ich abwerfen, was ich tragen muß,
wie Oheim Pippin, der ins Kloster floh,
so braucht' ich eine leere Zelle nur
zum Atemholen, keines Menschen Brust. –
Du bist mein Freund und treu, mein Flaccus! nun,
mir geht es wunderlich! Die Menschen sagen
vielleicht . . . ich weiß nicht, was die Menschen sagen!
ich spüre nur, daß in mir etwas ist,
was mich, von unten auf, durch tausend Röhren,
wie einen kahlen Baum mit Saft erfüllt! –
Nun ist dies ja vielleicht wohl lächerlich
und spottet meinem eignen Bauernkopf
wie aller Bauernregeln des Kalenders:
ein alter Baum, seit langem dürr und von
Schmarotzerpflanzen ausgesogen, denen
er noch den trocknen Stamm als Stütze leiht,
damit sie, wie bisher, aufrecht ins Licht
der Sonne geilen, ist er selbst gleich tot . . .
ein solcher Stamm fängt an frisch auszuschlagen!
da gibt's ein Wispern in den Blätterchen
des Schlingkrautnetzes: ei, der alte Karl,
der alte Obstbaum will noch leben! Nicht
für uns, oho!, so züngelt's, nur für sich!
Nun ja: der alte überzählige Karl
vielleicht hat sich zu schämen, daß er lebt,
vor euch: doch will er leben!! somit gut.

Alcuin
Herr! großer David unsrer Tafelrunde,
die, von des Heiligen Geistes sieben Gaben
durchglüht, erhaben über Irdisches,
dich, wie das Gold den Edelstein, umringt . . .
was sind wir ohne dich? du, der den Pflug
führt wie das Schwert und ebenso den Griffel:
was in der Erde ruht, rufst du hervor!
was auf ihr friedlich wohnen will, ernährst du
und gibst ihm Schutz! was in dem Himmel ist,
verehrst du, Sämann du von Christi Saat! –
Karl! lallt das Kind, bevor es Vater spricht;
Karl ist kein Wort! das Wort ist Kraft und Macht.
Zwei Nachbarn zanken – Karl! der Streit ist aus.
Völker bekriegen sich – Karl! es ist Friede.
Das Erdreich liegt in Frieden – Karl! der Grund
erbebt, die Welt verfinstert sich, und: Karl
heißt nun nicht Friede mehr, heißt Krieg!
Wer wollte sich vermessen, dich zu meistern.

Karl
Daß mich wer meistert, nein, das fürcht' ich nicht!
dazu bin ich zu sehr ein grober Franke,
und steh' ich gar gewappnet unterm Schild,
dringt schwerlich mir ein Spieß bis auf die Haut.
Hingegen, wo ich mich vertraue, wo
ich meine Seele biete, hüllenlos . . .
in dem, was unterm harten Knubben Karl
noch etwa Zartes ist, bin ich verwundbar.

Sarazenische Diener haben die gedeckte Tafel hereingetragen und zurechtgestellt, andere halten goldene Handbecken und Kannen.

Ich war ein wenig einsam hier. – Nun, komm
und setze dich! –

Er und Alcuin nehmen am Tisch Platz. Man gießt Wasser über ihre Hände.

                            Mir ist die Einsamkeit
lieb und erwünscht im ganzen, doch entbehrt
hab' ich – nicht Freunde! – aber doch den Freund.

Damit hebt er seinen Becher und trinkt Alcuin zu, der ihm Bescheid tut. Nachdem beide getrunken haben, entsteht eine kurze Pause, darnach sagt Karl

Willst du, so schaff ich niedliche Gesellschaft.

Alcuin (fein, verbindlich)
Lädt den Horaz Anakreon zu Gast,
erwart' ich mir bei vielen guten Dingen:
Wein! Lieder! und ein Liebstes obendrein.

Karl
Brav, alter Heide! aber ziehe dir
ein gut genietet Gitter um dein Herz.

Er schlägt an eine Metallplatte, die einer der Diener trägt. Der Ton ist kaum verhallt, als Gersuind, herzugeeilt, bereits vor den beiden Männern steht. Sie ist leicht und phantastisch gekleidet. Ihr Haar ist offen.

Gersuind (stutzt, als sie die beiden am Tisch sieht)
Ihr eßt? Pfui!

Karl                       Pfui? was? muß der Mensch nicht essen?

Gersuind
Wenn Leute essen, ekelt's mich.

Karl                                                     Wie? Leute?
sind wir denn Leute?

Gersuind                         Seid ihr etwa mehr?

Alcuin
Was nun den einen von uns anbelangt,
du Quellgeist . . .

Karl                           Quälgeist sollst du lieber sagen!

Alcuin (fährt fort, auf Karl deutend)
Was diesen anbelangt, so irrst du dich.

Karl
Für sie sind alle Männer: Leute! Und
so leider alle Leute Männer auch.

Gersuind
Was mehr? Ich liebe überhaupt nicht Menschen.

Alcuin
Nur ausgenommen unsern König Karl,
den allverehrten, allgeliebten, hoff ich.

Karl
Freund! Keinen nimmt sie aus: so helf' mir Gott.
Wär' ich ein Krammetsvogel und ich könnte
schön singen: dann vielleicht! wär' ich ein Kitschlein,
noch blind im Wurf der Mutter, und ich schrie
Miau: ja dann! dann könnt' ich wohl vielleicht
auf Liebe hoffen und auf Zärtlichkeit.

Gersuind (genäschig umherblickend)
Habt ihr für mich nichts?

Karl (seinen Kelch darbietend)   Wein!

Gersuind                                           Pfui! widerlich!

Sie stößt den Kelch zurück.

Karl
Sie nährt sich von Orangenblütenwasser,
von Rosenblütenwasser, kommt es hoch,
in Schnee gekühlt, wie es die Farbigen
ihr zubereiten! Und wir füttern ihr
Angoraziegen, weil ihr Säuglingsmund
nur dieser Tiere Milch zu schlürfen wünscht.

Alcuin
So ist es Nektar und Ambrosia,
womit du deine reine Lebensblüte
nährst, gleich den Göttern des Olymps?! – und wirklich
scheinst du von überirdischem Stoff zu sein.

Karl
Sie ist von irdischem Stoffe!

Gersuind                                     Allerdings!
nennt mich, wie's euch gefällt, nur keine Heilige,
denn alles wollt' ich lieber sein als das!
Ich esse, trinke, tue, was ich mag,
nicht, was die andern wollen, und die andern
mögen dafür auch, was sie wollen, tun!

Karl
Und wenn die andern wollen: so und so . . .
was recht und gut ist . . .

Gersuind                               . . . tu' ich's grade nicht!

Karl
Mein weiser Flaccus, nun versuch's einmal,
ob die Erfahrung deiner Jahre, ob
dein Wissen, eingeheimst mit Bienenfleiß,
die schwer errungene Weisheit langer Nächte,
du Licht- und Werkfreund, unersättlicher . . .
ob dir des gottgelehrten Geistes Kraft,
die volle Macht der sieben freien Künste
nur so viel nützt, daß du vor diesem Kinde
nicht hilflos wie ein Abc-Schütz bist!
Mir hat sie meine Ohnmacht längst besiegelt.

Alcuin
Was wäre Flaccus, wo Augustus sich,
mit des Herakles Lorbeer um die Stirn,
ohnmächtig dünkt: doch geb' ich gern mich preis.

Karl
Laß dich einmal belehren . . . sagen wir: –
was Sünde sei?

Gersuind (schnell)     Nun, Sünde gibt es nicht.

Karl
Schamhaftigkeit? Ja! Frag sie etwa dieses!

Alcuin
Jungfrau, was, meinst du, ist Schamhaftigkeit?

Gersuind (lacht erst in sich hinein, dann frei heraus)
Ich bin ein Kind von eurer Eva nicht
und eurem Adam: meine Urureltern
aßen von eurem Sündenapfel nicht!
drum weiß ich also nicht, was gut und böse.

Alcuin
Bist also nicht an Wissen Gotte gleich
und dennoch aus dem Paradies verstoßen.
Wie aber kommst du je dorthin zurück?

Gersuind
Da sorge, Graukopf, du für dich allein! –
Was faselt ihr nur von Schamhaftigkeit?!
Wenn ich mich meiner Glieder schämen soll:
soll ich denn stolz auf meinen Schneider sein?
Sind Wolle, Fäden eines Seidenwurms, die Faser
von Flachs denn besser als das, was ich bin?
wodurch ich sehe, höre, schmecke, atme?
Wenn deine Töchter, Türme Goldes, Türme
edlen Gesteins – ich mag nicht Schmuck! – herwandeln,
sind nicht die Töchter mehr als das Gestein?
bin ich vor Gott nicht nackt? wollt ihr es anders?
Gut! sprecht: so streif ich meine Kleider los
und lass' euch die, statt meiner, zur Gesellschaft!

Karl
Halt, halt! sie ist imstande, Freund, und tut's.

Gersuind hat allen Ernstes Anstalten gemacht, ihre Kleider aufzunesteln und abzuwerfen.

Was sagst du jetzt, Magister?

Alcuin                                             Ich bin sprachlos!

Karl
Was führen wir dawider nun ins Feld?

Gersuind (einen langen Schleier, mit dem sie sich drapiert hat, abwerfend)
Vielleicht fragt ihr nun nochmals meinen Schal,
und der, womöglich, gibt genehmere Antwort!

Sie wirft ihren Schal auf die Erde und läuft mit Gelächter davon.

Karl
Gersuind! –

Sie ist verschwunden und kehrt auf den Ruf nicht zurück.

                    Fort ist sie! –
                                          Sage, klingt ihr Lachen
dir angenehm?

Alcuin                     Einst, tief im Jütengau,
belauscht' ich, wie sie Götzenopfer brachten.
Es war in einer bitterkalten Nacht.
Gleich Legionen trampelnder Dämonen
lärmte der Scheiterhaufen durch den Wald.
Ein langgemähnter Fuchs, zweijährig kaum,
den Schweif nachschleppend, ward herbeigeführt,
bestimmt zum Opfer. Nahe dem Versteck,
darin wir lagen, stand der nackte Hüne
still, der das edle Tier am Zügel hielt.
Vom jähen Schein der Opferglut berührt,
hob es die Nüstern. Und es wieherte!
Ich kann nicht sagen, wie es klang: war es
ein wildes Lachen, oder war's ein Weinen.

Karl
Du triffst ihr wahres Wesen, Flaccus, das
der Trübsal näher als der Freude ist.

Alcuin
Und, sag' ich noch, vom Graun der Mitternacht
umstrickt! trotzdem sie nichts Geringeres
scheint als ein voller Strahl des Tags zu sein.

Karl
Vergiß das Essen nicht und Trinken.

Alcuin                                                       Dank.
Seit mehr als sechzig Jahren ess' ich nun
und trinke, sozusagen im Vertrauen,
nichts Übles zu begehn, wenn ich es tue:
heut nun, auf einmal, tritt mich Zweifel an!
Ich sinne nach, ob ich nicht lieber faste.
Und über manches andere sinn' ich noch,
was sie zu denken gab, mit ihren Worten,
und gibt, mit allem, was sie scheint und ist.

Karl
Nun bist du dort, wo ich dich haben wollte,
mein Flaccus! manches Tierlein fing ich schon,
mit Hamen, Bolz und Netz, wie du wohl weißt:
doch ging mir noch kein Wild ins Garn wie dieses!
und darum heg' ich's, pfleg' ich's, halt' ich's wert.
Natürlich: 's ist kein Tier! und also auch
ein höherer Beruf, den ich erfülle,
als der des Bändigers: fast väterlich,
im Sinne der Seelsorge frommer Väter.
Auch leugn' ich nicht, daß es mir Freude macht,
diesmal im einzelnen mich zu bewähren
und – wo ich doch aus kahlen Wüsteneien
zuweilen wohlbebaute Länder machte! –
auch hier die Saat des Guten auszusäen.

Alcuin
Und streut sie keine Saaten um sich?

Karl                                                             Freilich!
Wohl ist der Kampf um eine Seele schwer,
gefährlicher als Schwertkampf! und der Feind
Gottes und alles Guten, jener, der
die Wüste ausdörrt, schläft nicht! und er sendet
fressende Gluten aus ins Paradies.
Ich weiß es wohl! jedennoch hab' ich Lust
an solchem Streit und will den Feind bestehn.
Auch trag' ich Schuld . . .

Alcuin                                     Herr, Hunnen, Wilzen, Sachsen,
Avaren, Langobarden, Bayern . . . die
Normannen schlugst, die Basken du aufs Haupt!
was immer aufstand, brach vor dir ins Knie:
doch jeder Sieg war leicht, mit dem verglichen,
den dein erhabener Wille hier sich vorsetzt.

Karl
Du traust mir nicht?

Alcuin                             Es ziemt mir nicht zu zweifeln.
Doch bleibt Karl – Karl! wenn er auch hier erliegt.

Karl (erhebt und verfinstert sich)
Glaubst du, daß ich aus einer Schüssel fresse
mit räudigen Hunden?

Alcuin (tief erschrocken)       Treffe mich der Blitz,
wo ein Gedanke, diesem ähnlich, nur
von ferne mich gestreift.

Karl                                       Nun gut. 's ist gut.

Karl schreitet mehrmals auf und ab, seine jähe Erregung legt sich wieder. Rorico tritt ein.

Was gibt's, Rorico?

Rorico                           Kanzler Ercambald.

Karl
Es eilt nicht, und der alte Narr mag warten.

Rorico
Er folgt mir auf dem Fuß.

Karl (zu Alcuin)                         So bitt' ich dich,
da unser Mahl doch unterbrochen ist,
erspare dir's, dem Griesgram zu begegnen.
    (Er streift einen Ring vom Finger und läßt ihn in Alcuins Hand gleiten)
Inzwischen lache, übe deinen Geist:
dies ist ein Ring, ein Spielzeug, weiter nichts!
in sieben Ringlein fällt es auseinander:
mach aus den sieben – einen wiederum,
und dann bedenke eins, indes du lachst:
weshalb du lachst, ist solch ein Spielzeug mir!
nicht weniger allerdings, doch auch nicht mehr!

Ercambald ist erschienen. Er hat die letzten Worte mit angehört. Alcuin macht eine Verbeugung gegen Karl und entfernt sich in den Garten. Auch Rorico tritt ab. Karl schreitet langsam durch den Raum, bleibt stehen und blickt Ercambald fragend an.

Ercambald
Ich komme dem ergangnen Ruf gemäß.

Karl
Du kommst . . .? Wie? . . . Wem gemäß kommst du?

Ercambald (sehr bleich)                                                   Ich sage,
daß mich mein Kaiserlicher Herr berief.

Karl
Ja, so! –
                Wie steht es mit dem Sachsen? Bennit
war, denk' ich, wohl sein Name! Ist sein Gut
im Fuldaschen, zu Unrecht konfisziert,
ihm endlich wieder zugesprochen?

Ercambald (finster, trotzig)                       Nein!

Karl
Warum nicht?

Ercambald             Weil erneute Revision
Bennits wie Assigs Schuld erwiesen hat!
Hier ist das Protokoll der Untersuchung,
hier die Urkunde, der Gerichtsbeschluß.
Fehlt nur das Siegel.

Karl                                 Zeig her.
    Er empfängt und zerreißt das Schriftstück
                                                So! und: so! –
Wollt ihr mir trotzen? –

Ercambald                           Was befiehlst du?

Karl                                                                   Nichts.

Ercambald
Verzeih: das ist's, was jeder treue Mann
und jedes treue Herz im Reich bedauert!

Karl
Was? daß ich nicht befehle? Handelt! Tut
das Gute, tut das Rechte, unbefohlen!
Soll ich im Schweiße meines Angesichts,
ob mir die Zunge lahm wird, nur befehlen?
Holzfäller ruhen, Ackersleute rasten!
reißt doch die faulen Mäuler auf und schreit:
hier dies! hier das! tut das! und dies! und dies! –
nur durch ein Jahr, nicht durch ein ganzes Leben,
und seht, ob ein Lastträger müde wird!
Was muß ich also denn befehlen nun?

Ercambald
Zahllose Briefe warten auf Bescheid.

Karl
Von wem? Das Wichtigste! Zunächst die Namen.

Ercambald
Hier König Ludwig, dein erlauchter Sohn
und Herr zu Aquitanien. Hier Peter
von Pisa! Hier der Abt von Fulda: Sturm!
die Bischöfe von Köln, Mainz, Salzburg, Reims!
in Basel: Hildigern! in Besançon:
Richwin! und andre! auch von Rom sind Briefe,
höchst sorgenvolle, angelangt.

Karl                                                 Warum
denn diese Sintflut plötzlich?

Ercambald                                   Lies es selbst.

Karl
Berichte.

Ercambald     Herr, die großen Angelegenheiten
des Reiches nehmen keinen Fortgang, stocken!
und Stockung macht sich fühlbar! Außerdem
hat sonderbarerweise ein Gerücht
den Weg gefunden durch das ganze Land
sogar zu unseren Feinden ist's gedrungen
auch hier, zu Alfons von Galicien
und von Asturien, unserm Bundsgenossen!
der es bezweifelt zwar, jedoch erwähnt.

Karl
Und was erwähnt er? was bezweifelt er?

Ercambald
Was er erwähnt und was bezweifelt, Herr:
es fällt nicht leicht, dir das zu wiederholen.

Karl
So laß es bleiben! weiter.

Ercambald                               Dieser Brief,
Herr, kam durch bloßen Zufall mir zu Händen.
Er stammt von deinem Sohn Pippin und ist –
auch mit Bezug auf jene dunkle Kunde –
gerichtet an den Herzog Gelimer,
den du mit Gnaden leider überhäuft.

Karl
Zeig her.

Ercambald     Ein schlimmer Plan, den er enthüllt
und den der argberatene Prinz sich leider
nicht so, wie er wohl sollte, ferngehalten.

Karl (nachdem er gelesen hat)
Sohn einer Kebse, Hundsfott! Narr! Hanswurst!
Du schreibst von einer stinkigen Dirne, die
den altersschwachen, lahmen König Karl
am Nasenringe führt: just du, Pippin,
den ich gemacht, im Zelt, mit einer Magd,
die in den Wurf mir lief und dann verschwand! –
und den ich, als sie dann geboren hatte,
emporhob wie den Heiland aus der Krippe,
statt nieder ihn zu stampfen in den Kot.
Recht so! der Buckel will den Lahmen stürzen.
Und darum ist's, daß du mich hier bemühst?
Den Buckelhans geschoren und ins Kloster!
    (Nach kurzem Stillschweigen, sachlich)
Die Herren draußen mögen ihre Besen
stumpf kehren, wo sie wollen, nur nicht hier,
vor meiner Pforte, meinem Landhaus! Sonst
fahr' ich mit meinem etwa aus dem Haus,
und der ist immer noch der alte, scharfe! –
Die Geisel Gersuind ist aus edlem Blut,
und meine Absicht ist, sie zu vermählen:
womöglich mit dem jungen Fridugis,
den ich in irgendeinen Sachsengau
als Sendgraf schicken will, denn er ist tüchtig.

Ercambald (unwillkürlich)
Herr, gebe Gott, daß du das nicht versuchst.

Karl
Was?

Ercambald   Ihn mit diesem Mädchen zu verbinden!

Karl
Warum nicht?

Ercambald             Weil ich für sein Leben fürchte,
wird eine solche Absicht ihm bekannt.

Karl
Er tötet sich?

Ercambald           Ja, Herr.

Karl                                     Vor meiner Gnade
ergreift der junge Fridugis die Flucht?
und stürzt sich lieber in die Hölle?

Ercambald                                           Ja!!

Karl
Verbissene Miene zu so kurzem Schluß? –
Gibt's keine Gräfin, keine Markgräfin,
die in dem blinden Rausch der Jugendjahre
so Schlimmes, Schlimmres hat als sie verübt?
und die nun, ohne Tadelns Grund zu bieten,
wie andere keusch und eingezogen lebt?

Ercambald
Keusch? Eingezogen, Herr? – Nun muß ich reden! –
Ja! – doch wie fang' ich's an? – 'ne Markgräfin,
die sündigte, derweil sie jung war: oh,
so etwas ist nicht neu, nicht unerhört!
nicht unerhört wie das, was Gersuind tut –
und schrecklich ist mein Amt in dieser Stunde.
War ich schon oftmals Richter, Henker nie!
und alles dies ist grauenvoll, mich schaudert's.

Karl
Mich nicht! Kurzab, kurzum: die Gurgel mein' ich!
Kurz umgedreht, wenn was zu würgen ist!

Ercambald (weinend, fast schreiend)
Gebiete mir zu schweigen, König Karl!

Karl
Jetzt, wo du reden mußt, wie du doch faselst?

Ercambald
Vernichte jeden, Gott! der dich betrügt!

Karl
Das wird Gott nicht tun, denn er ist barmherzig
und hat mit Noah seinen Bund gemacht,
daß keine Sintflut soll hinfort mehr kommen.

Ercambald
Sie kommt! die Sintflut kommt, kommt über mich,
Herr, meine Kniee zittern, gib mir Urlaub.

Karl
Meinst du, daß, was dich zittern macht, mich umwirft?
Was gibt's?

Ercambald         Verbrechen! Unheil! Buhlschaft! Schmach!

Karl
Wahrhaftig, ja, das gibt es, gab es immer!

Ercambald
Doch nie so nah wie jetzt an deinem Thron . . .

Karl
Sprich deutlich!

Ercambald               . . . nie den Purpur so befleckend.

Karl
Noch deutlicher!

Ercambald                 Nie häufte irgendwer,
vom Weib geboren, so viel Schmach auf dich . . .

Karl
Als wer?

Ercambald     Als sie, als Gersuind tut, die Geisel.

Karl
Beweis!

Ercambald     Mit saurer Mühe geb' ich ihn:
Gott ist mein Zeuge . . .

Karl                                       Ei, nur er allein?

Ercambald
Dies trug sich zu in jüngstverwichener Nacht . . .
dies hat in einer schlechten Schenke sich . . .
am Flusse unten, ja, trug es sich zu!
Ich, Ercambald, in grober Kleidung, ich,
dein Kanzler, schlich mich unerkannt hinab,
weil mahlstromartig die Gerüchte schwollen
und fast zum Aufstand stachelten das Volk.
Ich hoffte nichts zu sehn und sah – zuviel!
zahm fand ich, zahm und zahnlos die Gerüchte!
Ich sah Gersuind! sie war's! und sie war nackt!
mit nichts bekleidet als mit ihren Haaren,
die sie umfluteten, gleich einer Flut
von Feuer! und es floß und wich die Flut,
indes sie zwitschernd nach dem Takte sprang:
der Otter Leib preisgebend und verhüllend.
Die Zecher grölten: Fischer, Handwerksknechte
von Sankt Marien, Maurer, Welsche, die
hierher das Denkmal führten von Ravenna,
das du zu sehn noch immer weigerst, des
Theoderich! – Sie alle heulten, schrien,
nannten sie Königsliebchen, und sie hob
abwechselnd ihre glatten Knie im Tanz,
bis, von dem Beben ihres blassen Mundes
plötzlich geweckt – ich selber mochte kaum
dem Ruck des Drudenzaubers widerstehn! –,
ein wildes Höllenwetter sich erhob. –
Laß mich zu Atem kommen!

Karl                                               Atme!

Ercambald                                               Ja . . .
Nun ja, es ist so! – Du bist König Karl!
ich Ercambald! ich rede nicht im Wahnsinn!
ich rede Wahrheit. Was geschah, ist dies . . .
Laß mich nachsinnen . . . kurz: mit einem Schlag
stand er, der Fürst des Abgrunds, unter uns!
Mich schwindelte! miteins herabgerissen,
die bacchisch Schäumende, ward sie vom Tisch:
und einer jetzt, der andere dann, zusammen
sie alle, packten sie . . . es ward ein Keuchen
vernommen im Raum, ein wildes Stampfen. Fluch
auf Fluch zerriß die Luft! sie warfen Gersuind
zur Erde, Stränge ihres roten Haares
gewickelt um die Werkmannsfäuste, stießen
sie hin und her und taten so mit ihr . . .
das Licht verlosch, ich sah nicht, was sie taten,
bis sie entstellt, entseelt im Winkel lag.

Karl
Du meinst – und nicht im Scherze! –, Ercambald,
daß alles dieses . . . wem, wem widerfuhr?
doch der Gefangnen nicht in diesem Hause?

Ercambald
Ja, der Gefangnen, die du bei dir hast.

Karl
Und du? du tatest nichts, als dies geschah?

Ercambald
Ich war betäubt! nichts tat ich, konnt' ich tun!
und als das Grab sich aufschloß – denn es war
ein Grab um mich, an Finsternis und Stille,
urplötzlich! –, als ich wieder zu mir kam:
da lag sie mit verrenkten Gliedern, lag
steif wie ein Leichnam, eisig anzufühlen.

Karl (mit gewaltiger Selbstbeherrschung)
Nun aber lebt sie, atmet, ist nicht tot,
und also hat dein Märchen eine Lücke.
Genug! – Geschwätz! sprich von Geschäften mir!
von Schiffsbaumeistern, die ich nötig habe,
von alledem, wofür du Brot und Lohn
beziehst, dein Amtskleid trägst, und nicht davon,
was sich die Ammen in der Pfalz erzählen.
    (Laut rufend)
Rorico! – Geh! – Rorico!
    (Rorico erscheint. Ercambald zieht sich zurück.)
                                        Wachen! was?
ihr Schurken, hab' ich denn nicht Wachen? was?
ihr Hunde! schlaft ihr? wollt ihr nichts als fressen
und schlafen? schlechte Bestien! Hunde! was?
hab' ich nicht Wachen? wacht ihr denn im Schlaf? –
Er lügt! – Bring mir die sächsische Gefangne!

Rorico
Sie schläft.

Karl                   Sie schläft?

Rorico                                   So spricht die Dienerin.
Sie wollte selbst im Garten Trauben schneiden,
und kaum damit begonnen, schlief sie ein.

Karl
Im Weinberg schlief sie ein? und liegt nun: wo?
Im Garten?

Rorico               Nein, bereits im Schlafgemach.
Die Kammerfrauen brachten sie zu Bette.

Karl
Reißt sie denn aus den Betten! bringt sie her!

Rorico entfernt sich. Karl, allein, plötzlich verwirrt, fast wahnsinnig

Steine! mein Schild! die Luft verfinstert sich!
Schloßen! mein Hals! mein Haupt! sie schleudern Steine!
Ah! Schurken! wieviel Hände habt ihr? brav!
das traf! auch dies! ihr wollt mich steinigen!

Er muß sich festhalten, um nicht umzusinken. Gersuind erscheint, aufgescheucht, aber scharf und klug beobachtend. Lange mit eiserner Energie sich aufrecht haltend, faßt Karl Gersuind ins Auge. Schließlich ringt sich von seinen Lippen

Er lügt.

Gersuind     Gewiß, wer mich verleumdet, lügt.

Karl
Hexe! du sprichst? wer heißt dich sprechen, wer
mit solchem Wort und Klang der Stimme dich
erbarmungslos bezichtigen?

Gersuind                                     Ich mich?

Karl (zu Rorico)
Sperr ab den Vorsaal!
    (Rorico entfernt sich, um den Befehl auszuführen.)
                                      Nun, rechtfertige dich!

Gersuind
Oh, ich? rechtfertigen? tat ich denn mehr
Unrecht, als was ich offen eingestand?

Karl
Ja, man behauptet's: und wo du dich nicht
von diesem Anwurf, diesem Unflat reinigst
und mich zugleich, so tilg' ich selber dich
vom Angesichte dieser Menschenwelt
gleich einem widerlichen Makel aus.

Gersuind (leichtfertig, ungezogen)
Weshalb? Warum? ich liebe nicht zu beichten.

Karl (schreit)
Leibwache!

Gersuind (blickt sich wie ein gestelltes Wild verzweifelt hilfesuchend um. Da nirgends ein Ausweg sich zeigt, überkommt sie plötzlich Todesangst. Sie stürzt auf Karl zu, ihm Hand, Arme und Kleid inbrünstig küssend)
                    Laß mich leben, Kaiser Karl!
Gnade! sei gnädig! Gnade! laß mich leben!

Karl (sie zurückstoßend)
Du Abschaum!

Gersuind (wie vorher)   Laß mich leben! laß mich leben!
schließ mich in schwere Ketten, König Karl:
und keiner soll mich sehn als du! und niemand
als du soll mich fortan berühren! Niemand
die Ketten, süßer Vater, um mich tun
als du! auch lösen, starker Cherub, niemand
als du! nur du! du Gott des Himmels! du!

Karl
Nein, alles dieses wird ein andrer tun
statt meiner . . .

Gersuind                 Wer?

Karl                                   Ein andrer: sei's genug,
doch eh ich winke – und er steht bereit,
der andre! nenn ihn Vater, Cherub, Gott!
wie dir's beliebt: er ist es, mehr als ich! –,
eh ich ihm winke, der die Fesseln löst
und welche schmiedet, die unlösbar binden:
bekenne, wie du dich vergangen hast.

Gersuind
Du willst mich töten lassen!

Karl (fest)                                     Ja, ich will's!

Gersuind (verändert, dreist)
Ei, und wofür wohl, sag mir, sterb' ich denn?

Karl
Besinnst du dich aufs Leugnen? jetzt? Zu spät!
Erst leugnen, dann bekennen: gut! – bekennen
und dann ableugnen, Dirne, reimt sich nicht!
Wie täuschtest du die Wächter in den Nächten?

Gersuind
Wer sagt, daß ich die Wächter täuschte?

Karl                                                                   Ich!

Gersuind
Wozu sollt' ich die Wächter täuschen? Frage
die Knechte, laß sie kommen, frage sie!

Karl
Mit deiner abgenützten Münze also,
Wegwurf, hast du ihr Schweigen dir erkauft.

Gersuind (verändert, rasend)
Was hebst du Wegwurf auf? was ließest du
mich Wegwurf denn nicht liegen, wo ich lag,
und hobst mich auf? du tatest's ungebeten!
Ich klagte nicht! ich schrie nicht, rief dich nicht!
ich warf mich nicht vor deine Füße hin
und bettelte: nimm, heb mich aus dem Staube!
du aber packtest mich und hieltest mich:
Warum? wozu? der du doch mein nicht achtest,
nur meiner spottest, meiner nie begehrst!
ich mag den Spott nicht! mag nicht deinen Blick,
der, wo er auf mich trifft, mich anklagt! Der
mit schlecht verhehltem Graun nur auf mir ruht.
Ich mag nicht deinen Käfig, deinen Kerker,
der mich vom Leben ausschließt, von dem Gott
trennt! meiner Gottheit! meiner brünstigen Glut,
denn brennen muß ich, oder ich erkalte.

Karl (finster)
Und bei mir frierst du . . . stirbst du also nun!
Du bist sehr ungeduldig.

Gersuind                               Ja, wer zögert
und mir nur Worte gibt, der liebt mich nicht!
Wer zögert, läßt mich schmachten! wer mich darben
und hungern läßt, der macht mir bittere Pein!
der macht mich einsam! macht mich ungeliebt!
läßt mich fremd stehn, mit Angst beladen und
gequält vom Alpdruck der Verlassenheit.
Wer zögert, eh er an die Brust mich reißt,
der läßt vielleicht zu mir dem Würger Tod
den Vortritt, der um alles uns betrügt.

Karl (betrachtet die Hochaufatmende eine Weile still, dann beginnt er langsam)
Du hast mich still gemacht und mild, Gersuind:
so mild, daß mir der eine Tod genügt,
den du in Karols Haus gestorben bist:
dich – abzutun, bedarf's des zweiten nicht!
Er nimmt den Vortritt ungerufen wohl,
ganz wie du sagst, sobald es ihm beliebt. –
Nun geh! –
    (Gersuind bewegt sich nicht vom Platz.)
                    Man wird dich in die Heimat bringen,
zu deinem Gott – der Greueln, den du ehrst!
dort wälze dich im Kot: gedenk nie meiner! –
    (Er hat sich von ihr abgekehrt, sie bleibt wie vorher unbeweglich stehen.)
Stehst du noch immer da? Die Peitsche denn . . .

Gersuind
Schlag mich!

Karl                       Ich bin kein Büttel.
    (Er ruft in den Garten)
                                                      Flaccus! Flaccus!
    (Er klatscht in die Hände. Die farbigen Diener kommen.)
Räumt hurtig ab den Tisch! Fegt rein das Haus!
Bringt edlern Wein und bessere Gerichte!
    (Alcuin kommt aus dem Garten.)
Flaccus, Freund! nun erst recht willkommen mir!
Die Luft ist neu, die Brust befreit! wir haben
unreine Geister länger nicht zu Gast!
Des Weines Blume macht uns fürderhin
nicht widerlich der Atem der Verwesung.
Rico! die Klepper! Habichte! erst laßt
uns schmausen, unsere Frankenbäuche stopfen,
wacker, wie Drescher, mit gesunder Kost!
und dann mit Waidmannsheil hinaus zur Jagd!

Alcuin
Hier, König David, hast du deinen Ring:
ich kann die Teile nicht zum Ganzen bringen.

Karl (empfängt den Ring)
Du bist des Spielzeugs müde?!
    (Er wirft den Ring verächtlich weg. Er rollt zu Gersuinds Füßen.)
                                                  Nun: ich auch!

Gersuind (hebt blitzschnell den Ring von der Erde und steckt ihn zu sich)
Nur mit dem Leben geb' ich ihn zurück.

Sie läuft hinaus.


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