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Zweiter Akt

Erste Szene

Norwegen. Im Palast des alten Norweg. Der alte Norweg, ein Edelmann, der englische Gesandte.

Norweg

Wie heißen sie?

Edelmann

's ist Lord Cornelius
sowie Lord Voltimand. Sie lassen bitten,
Botschaft des Königs Claudius von Dänmark
aus ihren Händen zu empfangen.

Norweg

Gut so! und längst erwartet. Riecht Ihr was?

Der englische Gesandte

Vielleicht, daß euer Neffe Fortinbras
im Feuer seiner tatendurst'gen Jugend
die so gebotne Vorsicht außer acht ließ.

Norweg

Was wollt Ihr? Wahrlich, an Verwarnung hat
es nicht gefehlt. Nun laßt mich machen. Jung
ist jung. Und dieser andre Fortinbras
ist noch nicht flügge. Darum schien er mir
gemacht für seinen Auftrag. Treibt er Unfug,
mißbraucht die Truppenmacht an Dänmarks Grenzen
wohl gar ein wenig, nun, wir weisen's ab,
dafür die Schuld zu tragen.

Der englische Gesandte

Kam Eurer Majestät
sonst heue Kunde zu aus Helsingör?
Es wird gerüstet.

Norweg

Wird gerüstet, ja.
Doch fehlt der Führer. Dieser Claudius
ist keiner, höchstens seines Bruders Affe.

Der englische Gesandte

Vielleicht auch mehr als das!

Norweg

Nein, nein, nicht mehr!

Der englische Gesandte

Nun, und der junge Hamlet?

Norweg

Pah! ein Geck, ein Muttersöhnchen. Kommt es hoch,
ein Bänkedrücker, Bücherwurm, was weiß ich.

Der englische Gesandte

Und dennoch hat Prinz Hamlet großen Anhang,
man liebt ihn. Die Armee steht hinter ihm.
Hätt' er ein wenig kriegerischen Geist,
der ganz ihm fehlt, wir hätten Grund zur Sorge.

Norweg

Ein Knabe! gute Weil', bis er ein Mann wird,
wenn er es je wird. Laßt die Herren ein.

Der Edelmann ab. Cornelius und Voltimand treten ein.

Seid mir willkommen, edle Lords!

Cornelius

Wir grüßen Eure Majestät gehorsamst.

Voltimand

Mit Eu'r Erlaubnis füg' ich noch hinzu:
wir sind gerührt, daß man so schnell uns vorläßt.

Norweg

Wie kann dies anders sein: ihr kommt von Dänmark
mit seinem königlichen Herrn, mit dem
in engrer Freundschaft wir verbunden sind
als, wie ihr wißt, mit weiland König Hamlet.
Allein, auch ihn, den nun Verstorbnen, der
als Mann und Herrscher stets gleich groß erschien,
trag' ich mit höchsten Ehren im Gedächtnis.
Habt nun die Güte, sagt, warum ihr kommt.

Voltimand

Zunächst, um Euer Majestät zu danken
im Namen unsres Königs Claudius
für alle Grüß' und Wünsche, die zur Krönung
und Thronbesteigung Seiner Majestät
zu übermitteln Ihr die Gnade hattet.
Auch lassen Ihre Majestäten Euch –
beide, der König und die Königin –
von Herzen Wünsche sagen zur Genesung.
Auch, daß sie ins Gebet Euch schließen deshalb,
Gott bittend, Euch gesund zu machen, Euch
zu alter Kraft und Frische zu erneuern.
Und was die Ländereien anbetrifft,
rechtskräftig eingebüßt von Eurer Majestät
an König Hamlet, sollen wir bestät'gen
von unsrem Herrn noch einmal den Bescheid,
der jüngst erteilt ward: gütlichem Verhandeln,
da Seine Majestät der Krone Norwegs
sich sehr verbunden fühlt und gerne sich
erkenntlich zeigt, sei Tür und Tor geöffnet.

Norweg

Dies ist's, was ich erwartete. Habt Dank.
Doppelt willkommen! Dreifach! Hundertfach!
Ich hoffe nun, ihr werdet eine Zeit
uns schenken, lieben Freunde, lang genug
für uns und unsren Wunsch, euch wohlzutun,
und euch, die schönen Tage zu genießen,
die unser Hofhalt euch bereiten soll.

Cornelius

Ein kleines bleibt noch übrig, hoher Herr.

Norweg

Ein sehr geringes, wie ich sicher weiß,
und vorher schon bewilligt.

Cornelius

Peinlich ist es,
zu klagen, wo man so viel Huld erfährt.
Allein, es muß sein, meine Pflicht verlangt's.
Wir sind berichtet, daß Eu'r edler Neffe,
der Euren hocherlauchten Namen trägt,
der junge Fortinbras, an unsren Grenzen
und teils sogar in unsern Grenzen schon
mit Truppen steht. Dies hat durchaus den Schein
des höchst Bedrohlichen, zumal die Truppenzahl
sich täglich mehrt durch Werbung. Und die Werbung
geschieht nicht nur in Norwegs Grenzen, sondern
auch innerhalb der unsren.

Norweg

Laßt's genug sein!
Dem Grünspecht geb' ich seine Lektion.
O diese Bürschchen, die noch hinterm Ohr
nicht trocken sind, was bündeln sie uns auf
mit ihrem kind'schen Übermut und mit
der knabenhaften Lust am Trommeln, Pfeifen
und am Soldatenspielen: alle Hände
voll, ihren Unfug gutzumachen, hat man
zu tun. Doch bleibt's dabei, wie Ihr sie nanntet,
ist diese Sache eine Kleinigkeit
und baldig abgestellt, des seid versichert.
Ich lad' ihn vor, den Neffen. Findet sich's,
daß irgend etwas gegen Dänemark
in seinem Hirne spukt, so setz' ich ihn
fest in Verhaft, und Seine Majestät
mag ruhig sein. Dies alles sei versichert
nicht mündlich nur: wir geben's schwarz auf weiß
Und also wiederhol' ich: laßt's euch wohl sein,
ihr lieben Lords, am Hof bei uns. Habt Dank.
Auf Wiedersehn bei Tisch. Dann sollt ihr mir
berichten, wie die Majestäten sich befinden,
die durch Fortunens sonderbare Laune
den schwersten Unglückstag des Dänenreichs
in einen Tag des Glücks gewandelt sahen,
zum Staunen und zur Freude aller Welt.

Cornelius und Voltimand ab.

Zweite Szene

Ein Zimmer im Hause des Polonius. Polonius und Reinhold.

Polonius

Gib ihm das Geld und die Papiere, Reinhold.

Reinhold

Ja, gnäd'ger Herr.

Polonius

Ihr werdet mächtig klug tun, guter Reinhold,
Euch zu erkund'gen, eh Ihr ihn besucht,
wie sein Betragen ist.

Reinhold

Das dacht' ich auch zu tun.

Polonius

Ei, gut gesagt! recht gut gesagt! Seht Ihr,
erst fragt mir, was für Dänen in Paris sind.
Erforscht das Wie und Wo und Wann und Was,
wie's unter ihnen zugeht, was sie treiben.
Kommt dann heraus, sie kennen meinen Sohn,
so tastet Euch behutsam weiter vor
und werdet schließlich dreister. Deutet an,
er sei Euch irgendwie nicht unbekannt,
Ihr saht den Vater einmal oder so,
gelegentlich auch ihn, wenn auch nur flüchtig …
Versteht Ihr, Reinhold?

Reinhold

Völlig, gnäd'ger Herr.

Polonius

Jawohl: auch ihn, doch flüchtig, wie gesagt.
Und dann schlagt auf den Strauch, und nennt ihn Tollkopf,
erfindet Dinge, immer mit dem Zusatz,
vorausgesetzt, es sei der, den Ihr meint.
Nichts Ehrenrühriges natürlich: Streiche,
verwegne Jugendstreiche, wißt Ihr, wie sie
ein ungebundnes Leben mit sich bringt.

Reinhold

Als Spielen, Herr?

König

Willkommen, Rosenkranz und Güldenstern.
Wir wünschten nicht nur sehnlich, euch zu sehn,
auch das Bedürfnis eurer Dienste trieb
Uns zu der eiligen Sendung an. Ihr hörtet
von der Verwandlung Hamlets schon: so nenn' ich's.
Er ist verwandelt, gleicht sich selbst nicht mehr,
innen wie außen. Seines Vaters Tod
hat ihn verstört, so meint man. Die Erklärung
befriedigt nicht mein fragendes Gemüt,
das sich um diesen lieben Sohn besorgt.
Die Kriegsgewölke über Dänemark,
der drohnde Blitz, der etwa darin lauert,
sie ängsten uns und könnten wohl ihn ängsten.
Allein, er ist zu sehr dem Leben fremd,
zu fern von allem Wirklichen und auch
noch allzu jung. Drum, liebe Herren, seid –
da ihr von Kindheit auf mit ihm erzogen –
ersucht, die Jugendfreundschaft zu erneuern
nach Möglichkeit. Sucht der Verdüsterung
des Prinzen, wo es angeht, zu begegnen
mit dem, was eure Jugend heiter machte.
Verstrickt ihn in unschuld'ge Fröhlichkeit,
und überdem sucht hinter das zu dringen,
was etwa, uns verborgen, ihn bedrückt.
Wir sind bereit, von irgendwelcher Schuld
mit elterlicher Lieb' ihn freizusprechen.

Königin

Tut, was ihr könnt, ihr lieben Herrn. Ich kenne
kein zweites Paar von Namen, das so oft
auf seine Lippen kommt als Rosenkranz
und Güldenstern. Und wahrhaft liebt er euch.
Auf euch liegt unsre Hoffnung, täuscht sie nicht,
und was ihr tut, wird unvergessen bleiben
und uns aufs höchste euch verpflichten.

Rosenkranz

Dank.
Es haben Eure Majestäten zu
befehlen, nicht zu bitten.

Güldenstern

Wir gehören
mit Leib und Seele Euren Majestäten.

König

Dank, Rosenkranz und lieber Güldenstern.

Königin

Dank, Güldenstern und lieber Rosenkranz.
Sucht unverzüglich doch den Prinzen auf.
Ich bin beruhigt, weiß ich euch erst bei ihm,
denn so beängstigend scheint mir sein Zustand,
daß die Sekunde Schlimmstes etwa zeitigt.

Güldenstern

Der Himmel gebe Segen unserm Auftrag
und unserm Tun.

Königin

So sei es, Amen.

König

Amen.

Rosenkranz und Güldenstern ab.

Gertrud, ist's dir genehm, so würd' ich gern
mit diesem edlen Lord und Peer von England
zwei Worte im Vertrauen reden.

Königin

Wohl.

Königin ab.

König

Wie seht Ihr dieses Prinzen Sache an?

Der englische Gesandte

Die Antwort ist nicht leicht und auch der Fall nicht,
wie Eure Majestät ganz richtig fühlt.

König

Bringt mich auf eine Fährte, wenn Ihr könnt.

Der englische Gesandte

Die Mutter war sein Abgott, ganz wie er
der Mutter Abgott ist.

König

Nun ja, mag sein.
Was weiter?

Der englische Gesandte

Und sein Vater war
der Inbegriff von allen Tugenden.

König

Er ist ein Träumer.

Der englische Gesandte

Träumer sind voll Ehrgeiz.
Auch dies ist zu beachten und sein Anspruch
auf das, was ihm und manchem andren noch
als sein rechtmäßiges Erbe gilt.

König

Der Thron?

Der englische Gesandte

Verschickt ihn. Sei es immerhin nach England,
damit er in den Wirren, die Euch drohn,
nicht noch den Feind im eignen Hause mache.

König

So sei's. Ich habe England mir verbunden
sogleich beim Antritt meines höchsten Amts
durch Nachlaß harter Lasten. Und ich darf
auf Gegendienste rechnen.

Der englische Gesandte

Ganz gewiß.

Polonius kommt.

Polonius

Mein König, die Gesandten sind von Norweg
froh wieder heimgekehrt.

König

Du wärest stets der Vater guter Zeitung.

Polonius

Nicht wahr? Ja, so ist's wirklich, bester Herr:
so hoch wie meine Seele steht die Pflicht mir,
sogleich nach meinem Gotte kommt mein König.
Zum zweiten Guten also, das ich weiß –
oder ich habe meine Findigkeit
nicht mehr! Es ist heraus, was für den Irrsinn
des Prinzen die geheime Ursach' abgibt.

König

Das ist es, was Wir wissen wollen. Sprecht!

Polonius

Eins nach dem andern: die Gesandten erst,
dann kommt vom guten Schmaus der gute Nachtisch.

Die Königin kommt, Polonius ab.

König

Er sagt mir, liebe Gertrud, daß er jetzt
den Grund der Krankheit Eures Sohnes wisse.

Königin

Ich fürcht', es ist nichts andres als das eine:
des Vaters Tod und unsre hast'ge Heirat.

König

Dies sind zwei Dinge! – Später mehr davon.

Polonius kommt mit Voltimand und Cornelius zurück.

Willkommen, liebe Freunde! Voltimand,
sagt, was Ihr bringt von Unsrem Bruder Norweg.

Voltimand

Erwiderung der schönsten Grüß' und Wünsche.
Auf unser erstes sandt' er aus und hemmte
die Werbungen des Neffen, die er hielt
für Zurüstungen gegen den Polacken;
doch näher untersucht, fand er, sie gingen
auf Eure Hoheit wirklich. Drob gekränkt,
daß seine Krankheit, seine Altersschwäche
so arg mißbraucht sei, gab er Haftbefehl
und ließ den Neffen vor sich bringen: er
empfängt Verweise von dem alten Norweg
und muß ihm schließlich schwören, niemals mehr
die Waffen wider Dänemark zu kehren.
Der alte Norweg ist damit zufrieden,
und um den Tatendrang des jungen Herrn
ein wenig zu beschäft'gen, gibt er ihm
Vollmacht in einem Handel wider Polen,
dreitausend Kronen jährlich Schmerzensgeld
und bittet Eure Majestät, Ihr möchtet
der Unternehmung keinen Widerstand
entgegensetzen. Denn es handelt sich
um einen Truppendurchzug durch Gebiete,
entlegen zwar, des Dänenreichs. Doch sollen
sie scharf umrissen werden durch Vertrag.

König

Was haltet Ihr von dieser Botschaft?

Der englische Gesandte

Nichts.

König

Wir kommen später noch darauf zurück.
Fürs erste sind wir sehr zufrieden. Dank
für eure Müh', sie war wohl angewandt.
Bei Tafel sehn wir uns. Indes lebt wohl!

Voltimand und Cornelius ab.

Polonius

So wäre dies Geschäft nun wohl vollbracht.

König

Ja, wenn man will, gewiß. Doch nun zum zweiten,
von dem ich mehr noch mir versprechen möchte
und muß, sofern es uns befried'gen soll.

Der englische Gesandte

So bitt' ich Eure Majestäten denn
um Urlaub.

König

Bis zur Tafel, länger nicht,
denn viel ist zu erörtern zwischen uns.

Der englische Gesandte ab.

Zu dir nun: rede frei.

Polonius

So frei wie stets.
Mein Fürst und gnäd'ge Fürstin, zu erörtern,
was Majestät ist, was Ergebenheit,
warum Tag Tag, Nacht Nacht, die Zeit die Zeit –
das hieße Tag und Nacht und Zeit verschwenden.
Weil Kürze denn des Witzes Seele ist,
Weitschweifigkeit der Leib und äußre Zierat,
fass' ich mich kurz. Eu'r edler Sohn ist toll!
Toll nenn' ich's: denn worin besteht der Irrsinn,
als daß man gar nichts andres ist als toll.
Doch das mag sein.

Königin

Zur Sache ohne Umschweif.

Polonius

Nach meiner Art: schlicht, kurz und klar wie immer.
Toll ist er, das ist wahr. Wahr ist's, 's ist schade,
und schade, daß es wahr ist. Doch dies ist
'ne törichte Figur, sie fahre wohl.
Um ohne Umschweif nun zu Werk zu gehn:
wir nehmen ihn für toll. Jetzt bliebe übrig,
daß wir den Grund von dem Effekt ergründen,
den Grund ergründen mehr von dem Defekt,
denn dieser Defektiv-Effekt hat Grund.
So steht's nun, und der Sache Stand ist dies:
Erwägt!

Ich hab' 'ne Tochter – hab' sie, weil sie mein –,
die mir aus schuldigem Gehorsam, seht,
dies hier gegeben: schließt und ratet nun.
»An die himmlische und den Abgott meiner Seele, die liebreizende Ophelia.« – Das ist eine schlechte Redensart, eine gemeine Redensart; »liebreizende« ist eine gemeine Redensart. Aber hört nur weiter: »An ihren trefflichen zarten Busen diese Zeilen«, und so weiter.

Königin

Hat Hamlet dies an sie geschickt?

Polonius

Geduld nur, gnäd'ge Frau, ich meld' Euch alles.

»Zweifle an der Sonne Klarheit,
zweifle an der Sterne Licht,
zweifl', ob lügen kann die Wahrheit,
nur an meiner Liebe nicht. –

O liebe Ophelia, es gelingt mir schlecht mit dem Silbenmaße. Ich besitze die Kunst nicht, meine Seufzer zu messen, aber daß ich dich bestens liebe, o Allerbeste, das glaube mir. Leb wohl. Der Deinige auf ewig, teuerstes Fräulein, solange diese Maschine ihm zugehört. Hamlet.«
Dies hat mir meine Tochter schuld'germaßen
gezeigt und überdies sein dringend Werben,
wie sich's nach Zeit und Weis' und Ort begab,
gehorsam mir bekannt.

König

Allein, wie nahm sie seine Liebe auf?

Polonius

Was denket Ihr von mir?

König

Daß Ihr ein Mann von Treu' und Ehre seid.

Polonius

Gern möcht' ich's zeigen. Doch was dächtet Ihr,
hätt' ich gesehn, wie diese heiße Liebe
sich anspann – und ich merkt' es, müßt Ihr wissen,
eh meine Tochter mir's gesagt –, was dächtet
Ihr oder meine teure Majestät,
Eu'r königlich Gemahl, hätt' ich dabei
Brieftasche oder Schreibepult gespielt,
was dächtet Ihr?! Nein, ich ging rundheraus
und sagte so zu meinem jungen Fräulein:
»Prinz Hamlet ist ein Fürst, zu hoch für dich;
dies darf nicht sein«, und dann schrieb ich ihr vor,
daß sie vor seinem Umgang sich verschlösse,
Boten und jegliche Geschenke abwies'.
Drauf machte sie sich meinen Rat zunutz,
und er, verstoßen – um es kurz zu machen –,
fiel in 'ne Traurigkeit, dann in ein Fasten;
drauf in ein Wachen, dann in eine Schwäche;
dann in Zerstreuung und durch solche Stufen
in die Verrücktheit, die ihn jetzt verwirrt
und sämtlich uns betrübt.

König

Denkt Ihr, dies sei's?

Königin

Es kann wohl sein, sehr möglich.

Polonius

Habt Ihr's schon je erlebt, das möcht' ich wissen,
daß ich mit Zuversicht gesagt: »So ist's!«,
wenn es sich anders fand?

König

Nicht, daß ich wüßte.

Polonius

indem er auf seinen Kopf und Schultern zeigt

Trennt dies von dem, wenn's anders sich verhält!
Wenn eine Spur mich leitet, will ich finden,
wo Wahrheit steckt, und steckte sie auch recht
im Mittelpunkt.

König

Wie läßt sich's näher prüfen?

Polonius

Er wandelt stundenlang hier auf und ab
in dieser Galerie.

Königin

Das tut er wirklich.

Polonius

So geb' ich meiner Tochter denn Erlaubnis,
ihn hier zu treffen. Wir verstecken uns
und sehn, was vorgeht: wenn er sie nicht liebt
und ihn nicht Lieb' um den Verstand gebracht,
dann will ich nimmermehr ein Staatsmann sein,
laßt mich das Land bebaun und Leute halten.

König

Wir wollen sehn.

Hamlet kommt lesend.

Königin

Seht, seht, wie der bejammernswürd'ge Arme
dort kommt und liest.

Polonius

Fort! Ich ersuch' euch, beide fort von hier!
Ich mache gleich mich an ihn. O erlaubt!

König, Königin und Gefolge ab.

Wie geht es meinem besten Prinzen Hamlet?

Hamlet

Gut, dem Himmel sei Dank.

Polonius

Kennt Ihr mich, gnäd'ger Herr?

Hamlet

Vollkommen. Ihr seid ein Fischhändler.

Polonius

Das nicht, mein Prinz.

Hamlet

So wollt' ich, daß Ihr ein so ehrlicher Mann wärt.

Polonius

Ehrlich, mein Prinz?

Hamlet

Ja, Herr, ehrlich sein heißt, wie es in dieser Welt hergeht, ein Auserwählter unter Zehntausenden sein.

Polonius

Sehr wahr, mein Prinz.

Hamlet

Denn wenn die Sonne Maden in einem toten Hund ausbrütet: eine Gottheit, die Aas küßt – habt Ihr eine Tochter?

Polonius

Ja, mein Prinz.

Hamlet

Laßt sie nicht in der Sonne gehn. Gaben sind ein Segen: aber da Eure Tochter empfangen könnte – seht Euch vor, Freund.

Polonius

Wie meint Ihr das? Beiseite. Immer auf meine Tochter angespielt. Und doch kannte er mich zuerst nicht; er sagte, ich wäre ein Fischhändler. Es ist weit mit ihm gekommen, sehr weit! Und wahrlich, in meiner Jugend brachte mich die Liebe auch in große Drangsale, fast so schlimm wie ihn. Ich will ihn wieder anreden. – Was leset Ihr, mein Prinz?

Hamlet

Worte, Worte, Worte.

Polonius

Aber wovon handeln sie?

Hamlet

Wer handelt?

Polonius

Ich meine, was in dem Buche steht, mein Prinz.

Hamlet

Verleumdungen, Herr, denn der satirische Schuft da sagt, daß alte Männer graue Bärte haben; daß ihre Gesichter runzlig sind; daß ihnen zäher Ambra und Harz aus den Augen trieft, daß sie einen überflüssigen Mangel an Witz und daneben sehr kraftlose Lenden haben. Ob ich nun gleich von allem diesem inniglich und festiglich überzeugt bin, so halte ich es doch nicht für billig, es so zu Papier zu bringen. Denn Ihr selbst, Herr, würdet so alt werden wie ich, wenn Ihr wie ein Krebs rückwärts gehen könntet.

Polonius

Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode.
Wollt Ihr nicht aus der Luft gehn, Prinz?

Hamlet

In mein Grab?

Polonius

Ja, das wäre wirklich aus der Luft. – Mein gnädigster Herr, ich will ehrerbietigst meinen Abschied von Euch nehmen.

Hamlet

Ihr könnt nichts von mir nehmen, Herr, das ich lieber fahren ließe – bis auf mein Leben, bis auf mein Leben, bis auf mein Leben.

Polonius

Lebt wohl, mein Prinz.

Hamlet

Die langweiligen alten Narren!

Rosenkranz und Güldenstern kommen.

Polonius

Ihr sucht den Prinzen Hamlet: dort ist er.

Rosenkranz

zu Polonius

Gott grüß' Euch, Herr.

Polonius ab.

Güldenstern

Verehrter Prinz –

Rosenkranz

Mein teurer Prinz –

Hamlet

Meine trefflichen guten Freunde! Was machst du, Güldenstern? Ah, Rosenkranz! Gute Burschen, wie geht's euch?

Rosenkranz

Wie mittelmäß'gen Söhnen dieser Erde.

Güldenstern

Glücklich, weil wir nicht überglücklich sind,
wir sind der Knopf nicht auf Fortunas Mütze.

Hamlet

Noch die Sohlen ihrer Schuhe?

Rosenkranz

Auch das nicht, gnäd'ger Herr.

Hamlet

Ihr wohnt also in der Gegend ihres Gürtels oder im Mittelpunkte ihrer Gunst?

Güldenstern

Ja wirklich, wir sind mit ihr vertraut.

Hamlet

Im Schoße des Glücks? O. sehr wahr, sie ist eine Metze! Was gibt es Neues?

Rosenkranz

Nichts, mein Prinz, außer daß die Welt ehrlich geworden ist.

Hamlet

So steht der Jüngste Tag bevor; aber eure Neuigkeit ist nicht wahr. Laßt mich euch näher befragen: worin habt ihr, meine guten Freunde, es bei Fortunen versehen, daß sie euch hierher ins Gefängnis schickt?

Güldenstern

Ins Gefängnis, mein Prinz?

Hamlet

Dänemark ist ein Gefängnis.

Rosenkranz

So ist die Welt auch eins.

Hamlet

Ein stattliches, worin es viele Verschlage, Löcher und Kerker gibt. Dänemark ist einer der schlimmsten.

Rosenkranz

Wir denken nicht so davon, mein Prinz.

Hamlet

Nun, so ist es keines für euch, denn an sich ist nichts weder gut noch böse: das Denken macht es erst dazu. Für mich ist es ein Gefängnis.

Rosenkranz

Nun, so macht es Euer Ehrgeiz dazu; es ist zu eng für Euren Geist.

Hamlet

O Gott, ich könnte in eine Nußschale eingesperrt sein und mich für einen König von unermeßlichem Gebiet halten, wenn nur meine bösen Träume nicht wären.

Güldenstern

Diese Träume sind in der Tat Ehrgeiz; denn das eigentliche Wesen des Ehrgeizes ist nur der Schatten eines Traumes.

Hamlet

Ein Traum ist selbst nur ein Schatten.

Rosenkranz

Freilich, und mir scheint der Ehrgeiz von so luftiger und loser Beschaffenheit, daß er nur der Schatten eines Schattens ist.

Hamlet

So sind also unsre Bettler Körper und unsre Monarchen und gespreizten Helden der Bettler Schatten. Sollen wir an den Hof? Denn bei Gott, mich plagt der Stumpfsinn.

Rosenkranz und Güldenstern

Wir sind beide zu Euren Diensten.

Hamlet

Nichts dergleichen. Ich will euch nicht zu meinen übrigen Dienern rechnen; denn um wie ein ehrlicher Mann mit euch zu reden: mein Gefolge ist abscheulich. Aber um auf der ebnen Heerstraße der Freundschaft zu bleiben: was macht ihr in Helsingör?

Rosenkranz

Wir wollten Euch besuchen, nichts andres.

Hamlet

Ich Bettler, der ich bin, sogar an Dank bin ich arm. Aber ich danke euch, und gewiß, lieben Freunde, mein Dank ist um einen Heller zu teuer. Hat man nicht nach euch geschickt? Ist es eure eigne Neigung? Ein freiwilliger Besuch? Kommt, kommt, geht ehrlich mit mir um! wohlan! nun sagt doch!

Güldenstern

Was könnten wir sagen, gnädiger Herr?

Hamlet

Was ihr wollt – außer das Rechte. Man hat nach euch geschickt, und es liegt eine Art Bekenntnis in euren Blicken, die zu verfälschen euch die Gerissenheit fehlt. Ich weiß, der gute König und die Königin haben nach euch geschickt.

Rosenkranz

Warum, mein Prinz?

Hamlet

Das muß ich von euch erfahren. Aber ich beschwöre euch, bei den Rechten unserer Schulfreundschaft, bei der Eintracht unserer Jugend, bei der Verbindlichkeit unserer stets bewahrten Liebe und bei allem noch Teurerem, was euch dringlichere Überredungskunst ans Herz legen könnte: geht geradeheraus gegen mich, ob man nach euch geschickt hat oder nicht.

Rosenkranz

zu Güldenstern

Was sagt Ihr?

Hamlet

beiseite

So, nun habe ich euch schon weg. – Wenn ihr mich liebt, haltet nicht zurück.

Güldenstern

Gnädiger Herr, man hat nach uns geschickt.

Hamlet

Ich will euch sagen, warum; so wird mein Erraten eurer Entdeckung zuvorkommen, und eure Verschwiegenheit gegen den König und die Königin braucht keinen Zollbreit zu wanken. Ich habe seit kurzem, ich weiß nicht wodurch, alle meine Heiterkeit eingebüßt, meine gewohnten Übungen aufgegeben. Und es steht in der Tat so übel um meine Gemütslage, daß die Erde, dieser treffliche Bau, mir nur ein kahles Vorgebirge scheint; seht ihr, dieser herrliche Baldachin, die Luft, dies wackre umwölbende Firmament, dies majestätische Dach, mit goldenem Feuer ausgelegt: kommt es mir doch nicht anders vor als ein fauler, verpesteter Haufe von Dünsten. Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! wie edel durch Vernunft! wie unbegrenzt an Fähigkeiten! in Gestalt und Bewegung wie bedeutend und wunderwürdig! im Handeln wie ähnlich einem Engel! im Begreifen wie ähnlich einem Gott! die Zierde der Welt! das Vorbild der Lebendigen! Und doch, was ist mir diese Quintessenz von Staub? Ich habe keine Lust am Manne – und am Weibe auch nicht, wiewohl ihr das durch euer Lächeln zu sagen scheint.

Rosenkranz

Mein Prinz, ich hatte nichts dergleichen im Sinne.

Hamlet

Weswegen lachtet ihr denn, als ich sagte: ich habe keine Lust am Manne?

Rosenkranz

Ich dachte, wenn dem so ist, welche Fastenbewirtung die Schauspieler bei Euch finden werden. Wir holten sie unterwegs ein, sie kommen her, um Euch ihre Dienste anzubieten.

Hamlet

Der den König spielt, soll willkommen sein, Seine Majestät soll Tribut von mir empfangen; der fahrende Ritter soll seine Klinge und seine Tartsche brauchen; der Liebhaber soll nicht unentgeltlich seufzen; der Launige soll seine Rolle in Frieden endigen; der Narr soll den lachen machen, der ein kitzliges Zwerchfell hat; und das Fräulein soll ihre Gesinnung frei heraussagen, oder die Verse sollen dafür hinken. – Was für eine Gesellschaft ist es?

Rosenkranz

Dieselbe, an der Ihr so viel Vergnügen zu finden pflegtet: die Schauspieler aus der Stadt.

Hamlet

Wie kommt es, daß sie umherziehen? Ein fester Aufenthalt war vorteilhafter, sowohl für ihren Ruf als ihre Einnahme.

Rosenkranz

Ich glaube, diese Unterbrechung rührt von der kürzlich aufgekommenen Neuerung her.

Hamlet

Genießen sie noch dieselbe Achtung wie damals, da ich in der Stadt war? Besucht man sie ebensosehr?

Rosenkranz

Nein, freilich nicht.

Hamlet

Wie kommt das, werden sie rostig?

Rosenkranz

Nein, ihre Bemühungen halten den gewohnten Schritt; aber es hat sich da eine Brut von Kindern angefunden, kleine Nestlinge, die immer über das Gespräch hinausschrein und höchst grausamlich dafür beklatscht werden. Diese sind jetzt Mode und beschnattern die gewöhnlichen Theater – so nennen sie die andern – dergestalt, daß viele, die Degen tragen, sich vor Gänsekielen fürchten und kaum wagen hinzugehen.

Hamlet

Wie, sind es Kinder? Wer unterhält sie? Wie werden sie besoldet? Wollen sie nicht länger bei der Kunst bleiben, als sie den Diskant singen können? Werden sie nicht nachher sagen, wenn sie zu gemeinen Schauspielern heranwachsen – wie sehr zu vermuten ist, wenn sie sich auf nichts Besseres stützen –, daß ihre Komödienschreiber unrecht tun, sie gegen ihre eigene Zukunft deklamieren zu lassen?

Rosenkranz

Wahrhaftig, es hat auf beiden Seiten viel zu tun gegeben, und das Volk macht sich kein Gewissen daraus, sie zum Streit aufzuhetzen. Eine Zeitlang war kein Geld mit einem Stück zu gewinnen, wenn Dichter und Schauspieler sich nicht darin mit ihren Gegnern herumzausten.

Hamlet

Ist es möglich?

Güldenstern

Oh, es ist viel Hirnschmalz verschleudert worden.

Hamlet

Haben es die Kinder aufgelesen?

Rosenkranz

Und ob, gnädiger Herr, Herkules und seine Last obendrein.

Hamlet

Es ist nicht sehr zu verwundern: denn mein Onkel ist König von Dänemark, und ebendie, welche ihm Gesichter zogen, solange mein Vater lebte, geben zwanzig, vierzig, fünfzig bis hundert Dukaten für sein Porträt in Miniatur. Wetter, es liegt hierin etwas Übernatürliches, wenn die Philosophie es nur ausfindig machen könnte.

Trompetenstoß hinter der Szene.

Güldenstern

Da sind die Schauspieler.

Hamlet

Liebe Herren, ihr seid willkommen zu Helsingör. Gebt mir eure Hände. Wohlan! Manieren und Komplimente sind das Zubehör der Bewillkommnung. Laßt mich euch auf diese Weise begrüßen, damit nicht mein Benehmen gegen die Schauspieler – das, sag' ich euch, sich äußerlich gut ausnehmen muß – einem Empfang ähnlicher sehe als mein Verhalten gegen euch. Ihr seid willkommen, aber mein Onkel-Vater und meine Tante-Mutter irren sich.

Güldenstern

Worin, mein teurer Prinz?

Hamlet

Ich bin nur toll bei Nordnordwest; wenn der Wind südlich ist, kann ich einen Habicht von einer Handsäge unterscheiden.

Polonius kommt.

Polonius

Es gehe euch wohl, meine Herren.

Hamlet

Hört, Güldenstern, – und auch Ihr, Rosenkranz: an jedes Ohr einen Hörer: der große Kindskopf, den ihr da seht, ist noch nicht aus den Windeln.

Rosenkranz

Aus den ersten vielleicht, aber das Alter hat ihn zum zweiten Male in die Windeln gelegt.

Hamlet

Ich prophezeie, daß er kommt, um mir von den Schauspielern zu sagen. Gebt acht! – Ganz richtig, Herr, am Montag morgen, da war es eben.

Polonius

Gnädiger Herr, ich habe Euch Neuigkeiten zu melden. –

Hamlet

Gnädiger Herr, ich habe Euch Neuigkeiten zu melden. – Als Roscius ein Schauspieler zu Rom war –

Polonius

Die Schauspieler sind hergekommen, gnädiger Herr.

Hamlet

Lirum, Larum.

Polonius

Auf meine Ehre –

Hamlet

»Auf seinem Eslein jeder kam« –

Polonius

Die besten Schauspieler in der Welt, sei es für Tragödie, Komödie, Historie, Pastorale, Pastoral-Komödie, Historiko-Pastorale, Tragiko-Historie, Tragiko-Komiko-Historiko-Pastorale, für unteilbare Handlung oder fortgehendes Gedicht. Seneca kann für sie nicht zu traurig noch Plautus zu lustig sein. Für das Aufgeschriebene und für den Stegreif haben sie ihresgleichen nicht.

Hamlet

»O Jephta, Richter Israels« – welchen Schatz hattest du?

Polonius

Welchen Schatz hatte er, gnädiger Herr?

Hamlet

Nun:

»Hätt' ein schön Töchterlein, nicht mehr,
die liebt' er aus der Maßen sehr.«

Polonius

beiseite

Immer meine Tochter.

Hamlet

Habe ich nicht recht, alter Jephta?

Polonius

Wenn Ihr mich Jephta nennt, gnäd'ger Herr, so habe ich eine Tochter, die ich aus der Maßen sehr liebe.

Hamlet

Nein, das folgt nicht.

Polonius

Was folgt denn, gnäd'ger Herr?

Hamlet

Ei:

»Wie das Los fiel,
nach Gottes Will' …«

und dann, nicht wahr:

»Hierauf geschah's,
wie zu vermuten was« –

Aber Ihr könnt das im ersten Abschnitt des Weihnachtsliedes weiter nachlesen; denn seht, da kommen die Störenfriede unseres Dialogs.

Vier oder fünf Schauspieler kommen.

Seid willkommen, ihr Herren! willkommen alle! – Ich freue mich, dich wohl zu sehen. – Willkommen, meine guten Freunde! – Ach, alter Freund, wie ist dein Gesicht betroddelt, seit ich dich zuletzt sah! Willst du mir Angst machen? – Ei, meine schöne junge Dame! Bei unsrer Frauen, Eure Magdschaft sind dem Himmel um die Höhe eines Stiefelabsatzes näher gerückt, seit ich Euch zuletzt sah. Gebe Gott, daß der Stimmbruch nicht das helle Gold Eurer Kehle außer Kurs gesetzt habe wie ein angebrochenes Goldstück! – Willkommen alle, ihr Braven! Wir wollen frisch daran, wie französische Falkeniere auf alles losfliegen, was uns vorkommt. Gleich etwas vorgestellt! Laßt uns eine Probe eurer Kunst sehen. Wohlan! eine leidenschaftliche Tirade.

Erster Schauspieler

Welche Tirade, mein Prinz?

Hamlet

Ich hörte dich einmal etwas vortragen, nicht im Theater, nur so. Das dazugehörige Stück wurde kaum aufgeführt oder höchstens einmal. Das Publikum lehnte es ab: es war Kaviar für den Klüngel. Aber wie ich und andere es ansahen, deren Urteil ich höher schätzen muß als mein eigenes, war es ein ausgezeichnetes Stück, klar disponiert, mit ebensoviel Umsicht als Geschick abgefaßt. Ich erinnre mich, daß jemand sagte, es fehle der Paprika in den Phrasen, um die Sinne zu kitzeln, und ihr Sinn ergebe sich auf eine wohltuende Weise schlichthin. Der Dichter verirre sich niemals in Ziererei. Seine Art, sich zu geben, sei überall klar und gesund, ohne Schnörkel, schön durch sich selbst. Einen Passus in deinem Vortrag liebte ich ganz besonders, es war in der Erzählung des Äneas vor Dido, ungefähr daherum, wo er von der Ermordung des Priamus spricht. Wenn du es noch im Gedächtnis hast, so fange bei der Zeile an … halt, wartet! gleich – einen Augenblick – »Der rauhe Pyrrhus, gleich Hyrkaniens Leu'n« – nein, ich irre mich, aber es fängt mit Pyrrhus an:
»Der rauhe Pyrrhus, er, des düstre Waffen,
schwarz wie sein Vorsatz, glichen jener Nacht,
wo er sich barg im unglückschwangern Roß,
hat jetzt die furchtbare Gestalt beschmiert
mit grauserer Heraldik: rote Farbe
ist er von Haupt zu Fuß: scheußlich geschmückt
mit Blut der Väter, Töchter, Mütter, Söhne,
gedörrt und klebend durch der Straßen Glut,
die grausames, verfluchtes Licht verleihn
zu ihres Herrn Mord. Heiß von Zorn und Feuer,
bestrichen mit verdicktem Blut, mit Augen,
Karfunkeln gleichend, sucht der höllische Pyrrhus
Altvater Priamus …«
Fahrt nun so fort.

Polonius

Bei Gott, mein Prinz, wohl vorgetragen: gut betont und mit gutem Anstände.

Erster Schauspieler

»… Er find't alsbald ihn,
wie er den Feind verfehlt: sein altes Schwert
gehorcht nicht seinem Arm; liegt, wie es fällt,
unachtsam des Befehls. Ungleich gepaart
stürzt Pyrrhus auf den Priam, holt weit aus:
doch bloß vom Sausen seines grimmen Schwertes
fällt der entnervte Vater. Ilium
schien, leblos, dennoch diesen Streich zu fühlen;
es bückt sein Flammengipfel sich hinab
bis auf den Grund und nimmt mit furchtbarm Krachen
gefangen Pyrrhus' Ohr: denn seht, sein Schwert,
das schon sich senkt auf des ehrwürd'gen Priam
milchweißes Haupt, schien in der Luft gehemmt.
So stand er, ein gemalter Wütrich, da
und, wie parteilos zwischen Kraft und Willen,
tat nichts.
Doch wie wir oftmals sehn vor einem Sturm
ein Schweigen in den Himmeln, still die Wolken,
die Winde sprachlos und der Erdball drunten
dumpf wie der Tod – miteins zerreißt die Luft
der grause Donner: so nach Pyrrhus' Säumnis
treibt ihn erweckte Rach' aufs neu zum Werk;
und niemals trafen der Kyklopen Hämmer
die Rüstung Mars', gestählt für ew'ge Dauer,
fühlloser, als des Pyrrhus blut'ges Schwert
jetzt fällt auf Priamus. –
Pfui, Metze du, Fortuna! All ihr Götter
im großen Rat, nehmt ihre Macht hinweg;
brecht alle Speichen, Felgen ihres Rades,
die runde Nabe roll' vom Himmelsberg
hinunter bis zur Hölle.«

Polonius

Das ist zu lang.

Hamlet

Es soll mit Eurem Barte zum Barbier. – Ich bitte dich, weiter! Er mag gern eine Posse oder eine Zote, sonst schläft er. Sprich weiter, komm auf Hekuba.

Erster Schauspieler

»Doch wer, o Jammer!
die schlotterichte Königin gesehn …«

Hamlet

Die schlotterichte Königin?

Polonius

Das ist gut; »schlotterichte Königin« ist gut.

Erster Schauspieler

»… wie barfuß sie umherlief und den Flammen
mit Tränengüssen drohte; einen Lappen
auf diesem Haupte, wo das Diadem
vor kurzem stand; und an Gewandes Statt
um die von Wehn erschöpften magern Weichen
ein Laken, in des Schreckens Hast ergriffen;
wer das gesehn, mit gift'gem Schelten hätte
der an Fortunen Hochverrat verübt.
Doch wenn die Götter selbst sie da gesehn,
als sie den Pyrrhus argen Hohn sah treiben,
zerfetzend mit dem Schwert des Gatten Leib:
der erste Ausbruch ihres Schreies hätte,
ist ihnen Sterbliches nicht gänzlich fremd,
des Himmels glühnde Augen taun gemacht
und Götter Mitleid fühlen.«

Polonius

Seht doch, hat er nicht die Farbe verändert und Tränen in den Augen? – Bitte, halt inne!

Hamlet

Es ist gut, du sollst mir das übrige nächstens hersagen. – Lieber Herr, wollt Ihr für die Bewirtung der Schauspieler sorgen? Hört Ihr, laßt sie gut behandeln, denn sie sind der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters. Es wäre Euch besser, nach dem Tode eine schlechte Grabschrift zu haben als üble Nachrede von ihnen, solange Ihr lebt –

Polonius

Gnäd'ger Herr, ich will sie nach ihrem Verdienst behandeln.

Hamlet

Potz Wetter, Mann, viel besser! Behandelt jeden Menschen nach seinem Verdienst, und wer ist vor Schlägen sicher? Behandelt sie nach Eurer eignen Ehre und Würdigkeit; je weniger sie verdienen, desto mehr Verdienst hat Eure Güte. Nehmt sie mit.

Polonius

Kommt, ihr Herren.

Hamlet

Folgt ihm, meine Freunde; morgen soll ein Stück aufgeführt werden. – Höre, alter Freund, könnt Ihr die Ermordung Gonzagos spielen?

Erster Schauspieler

Ja, gnäd'ger Herr.

Hamlet

Gebt uns das morgen abend. Ihr könntet im Notfall eine Rede von ungefähr zwölf bis sechzehn Zeilen auswendig lernen, die ich abfassen und einrücken möchte, nicht wahr?

Erster Schauspieler

Ja, gnäd'ger Herr.

Hamlet

Folgt dem Herrn, und daß ihr euch nicht über ihn lustig macht. Polonius und die Schauspieler ab. Meine guten Freunde, ich beurlaube mich von euch bis abends: ihr seid willkommen zu Helsingör.

Rosenkranz

Gnäd'ger Prinz …

Rosenkranz und Güldenstern ab.

Hamlet

Nun, Gott geleit' euch. – Jetzt bin ich allein.
O welch ein Schuft und niedrer Wicht ich bin!
Wie ungeheuerlich: der Mime hier
vermochte seine Seele aufzupeitschen
durch leere Einbildungen, einen Traum
von Leidenschaft! Und bloßer innrer Trug
macht sein Gesicht erröten und erblassen,
sein Auge naß, ihn selber ganz bestürzt,
bricht ihm die Stimme, krümmt ihn, macht ihn starr!
Ein leeres Nichts springt mit ihm um, um nichts!
um Hekuba! was ist ihm Hekuba, was ist er ihr,
um ihrethalb zu heulen? Hätte er
den Wink und Grund und Sporn zur Leidenschaft
wie ich, was würd' er tun?! Die Bühn' in Tränen
ersäufen und das allgemeine Ohr
mit grauser Wut zerreißen, bis zum Wahnwitz
den Schuldigen hetzen, den Unschuldigen schrecken,
durch Raserei den Unbeteiligten
verwirren und betäuben. – Nun, und ich?
Und ich, ein tran'ger Lümmel ohne Schneid,
wie Hans der Träumer, drücke mich herum
und schweige, bringe nicht ein Wort heraus
für einen König, meinen edlen Vater,
an dessen Eigentum und teurem Leben
entmenschter Raub geschah! Bin ich 'ne Memme?
Wer nennt mich Schelm? knackst mir den Schädel an?
rauft mir den Bart und bläst ihn mir ins Antlitz?
kneift an der Nase mich und schmäht mich Lügner
tief in den Hals hinein? Verdammt! Verflucht!
Ich würg' es ganz gehorsamst, nehm' es hin,
ein Schöps an Grimm, ein Täublein, ohne Galle,
den Jammer unerträglich zu verbittern,
sonst hätt' ich längst die Geier fett gemacht
mit dieses Sklaven Aas! Gemeiner Bube!
Tückischer, geiler, unnatürlicher Bube! –
Ja! I-ah! I-ah! Esel, der ich bin!
Verwaister Königssohn von einem Vater,
der ihm gemeuchelt ward: ich, angetrieben
durch Höll' und Himmel, seinen Mord zu rächen,
entlade mich durch Keifen wie ein Marktweib!
Wie die geprellte Hure fahr' ich los
und packe aus, unflät'ge Worte geifernd!
wie eine Küchenmagd …
Genug! Pfui drüber! Frisch ans Werk, mein Kopf!
Man hat gehört, daß schuldige Geschöpfe,
bei einem Schauspiel sitzend, durch die Kunst
der Bühne so erschüttert worden sind
im innersten Gemüt, daß sie sofort
zu ihren Übeltaten sich bekannt.
Denn Blut, hat es schon keine Stimme, schreit
mit rätselhaften Zungen. – Diese Mimen
will ich vermögen, etwas darzustellen,
und zwar vor meinem Onkel, das der Mordtat
an meinem armen Vater gleichen soll.
Und somit prüf ich ihn auf Herz und Nieren:
stutzt er auch nur, so weiß ich meinen Weg.
Der Teufel hat am Ende mich genarrt
mit diesem Nachtgespenst, das mich geängstet.
Der Teufel kann zum Engel sich verstellen,
und meine Schwachheit und Melancholie
macht ihm die Täuschung etwa leicht,
zumal Gespensterspuk von alters her
sein Rüstzeug ist, und lockt mich ins Verderben.
Ich brauche sichren Grund. Das Schauspiel bringe
mir den Verbrecher, ist er's, in die Schlinge.

Ab.


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