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Nacht, Sturm, Gewitter.
Hintergrund: Felsenpartien, hie und da von Tannen besetzt. Nach der Höhe zu wird die Waldung dichter. Einige Wege führen durch die Waldung herab nach einem freien Platze, der wieder von Felsen mit spärlicher Bewaldung eingeschlossen ist und in dessen Mitte sich eine uralte, dem Wodan geweihte Eiche erhebt. Am Fuße der Eiche ein Altar, der ebenfalls dem Wodan geweiht ist. Die Seitenfelsen sind von Schluchten durchbrochen, die alle in den freien Platz münden.
Wie der Vorhang aufgeht, steht Hermann neben dem Altar, seine Hand darauf stützend.
Pause.
Hermann
Ich hab's geschworen. Wodan vernahm meinen Schwur. Thor ballt finsteres Gewölk, schleudert Blitze, als wollte er uns zerschmettern. Gut! Müssen wir sinken, so sinken wir wie dein Hammer, donnernd im Falle! Aber Knechtschaft, Knechtschaft, das Wort soll mit uns fallen. Ich hab's geschworen.
Geht ab.
Flavus und Segest kommen aus einer der Seitenschluchten, in Mäntel gewickelt.
Segest
Die Eulen schreien, und die wilde Jagd jauchzt durch den Wald; Flavus, mir ist frostig zumut und schwül im Herzen.
Flavus
Segest! Jetzt laß uns handeln und nicht träumen; da wir träumten, schliefen wir. Sich umsehend Es ist kein Mensch am Platz?!
Segest
Noch ist's vor Mitternacht; weiß Varus um den Thing?
Flavus
Arminius hat Schildwache gestanden bei ihm, bei Tag und zur Nachtzeit, bis jetzt! – Der Thing ist da, und kein Römer ahnt davon! Doch es ist gut; was ich nicht hemmen konnte, werde ich zähmen unter meiner Hand, Untertan machen meinem Willen gegen Arminius und Marbod.
Segest
unmutig
Flavus, die Götter hassen uns!
Flavus
Tote Götter können nicht hassen! Und die lebenden lieben uns, Jupiter ist der Götter Vater, und ihm werde ich ein Opfer bringen, wie es noch kein Großer dieser Welt gebracht hat. Ganz Deutschland!
Segest
Und wie das? – Arminius hat mit Marbod einen Bund geschlossen gegen die Römer. Hermann ist ein großer Feldherr, Marbod ist ein großer Feldherr, und beide sind mächtig! Er deutet auf den Thingplatz Und hier, was soll's hier geben? Was anders als eine Verbrüderung aller noch übrigen Stämme zum Kampfe gegen die Römer.
Flavus
bedeutsam
Nicht gegen die Römer und Varus, sondern gegen Arminius und Marbod.
Segest
Flavus, bist du von Sinnen? Wann kämpft Kattwald für die Römer? Wann Eber für die Römer? Wann Bojokal für die Römer?
Flavus
fortfahrend
Wann kämpft Bojokal für Hermann? Wann Kattwald für Hermann? Wann Eber für Hermann und Marbod? So rede doch! – Eher für Varus und die Römer als für die, welche ihnen abtrünnige Überläufer und Verräter sind.
Segest
Geht es gegen die alte Schlange Rom und Varus, so sind sie alle ein Wunsch und ein Wille, und die Feindschaft zwischen ihnen fällt herab wie eine zersprungene Schaumblase.
Flavus
lauernd
Und wer sagt ihnen denn, daß Varus und Marbod gegen die Römer kämpfen? Ah! nun wird's hell um dich! Wen halten sie für der Römer engsten Verbündeten? Arminius und Marbod. Wem schwuren sie denn Tod und Verderben? Arminius, Marbod, Varus! Und so sage ich dir, sie werden den Schwur halten, ich werde sie zwingen dazu unter meiner Hand! – Tod und Verderben auf Arminius und Marbod!
Segest
Flavus, die alten Götter leben noch.
Flavus
Deine alten Beine schlottern, deine alten Hände zittern, und du bist furchtsam.
Segest
So willst du Freund gegen Freund hetzen?!
Flavus
Freunde gegen Freunde! Germanen gegen Germanen! Verräter gegen Verräter! Den Wolf Eber, Kattwald gegen den Wolf Arminius, Marbod. So verschlingen sie sich, und der verratene Römer zertritt beide.
Segest
Das hat Loki ersonnen! – Wie gedenkst du das zu vollbringen?
Flavus
geheimnisvoll
Heute ist Heerkönigswahl?!
Segest
zögernd
Man wird wählen.
Flavus
Der Heerkönig hat die Macht! – Wer Heerkönig werden könnte, hätte leichtes Spiel und freies Handeln.
Segest
Warum sagst du so?
Flavus
hastig
Weil ich Heerkönig werden will und muß!
Segest
ausweichend
Laß uns Schutz suchen vor dem Wetter. So hat der Forst nie getobt, seitdem ich ihn bewohne.
Flavus
ihn betrachtend, langsam
Und du wirst stark sein, Segest?!
Segest
senkt das Haupt
So stark als ein Mensch.
Flavus
sich hinter Segest schleichend
Und wenn du flügellahm würdest, Segest?!
Segest
ohne sich zu bewegen, entschlossen
Dann falle ich.
Flavus
hinter ihm stehend
Und ich?
Segest
wie vorher
Du fällst mit mir.
Flavus
Und Rom?
Segest
Fällt mit dir.
Flavus
sein Schwert halb aus der Scheide ziehend
Kattwald kommt aus einer der Schluchten rechts mit Marsen-Kriegern. Unter diesen Horst.
Kattwald
zu seinen Kriegern
Haltet! Hier ist der Thingplatz, mein' ich. Aber der Sturm peitscht mir ins Gesicht. Horst, schau einmal um dich.
Siegmund kommt mit Sigambrern über das Gebirge im Hintergrunde.
Horst
Kattwald, da kommen andre über das Gebirg'.
Kattwald
zu Horst
Ob es Freunde sind? Ich will sie anreden. – Römer oder Germanen?!
Siegmund
Fluch und Tod allen Römern! – Was seid ihr?
Kattwald
Kattwald ist mein Name.
Segest
hinzutretend
Segest ist mein Name.
Flavus
Mich nennt man Flavus unter den Römern.
Alle sich untereinander die Hände schüttelnd.
Siegmund
Schütze uns Wodan und gebe uns gute Arbeit.
Flavus
Er wird's wohl tun. Gen Himmel deutend Und Thor steht uns bei.
Bojokal kommt mit seinen Ansibaren übers Gebirge im Hintergrunde.
Bojokal
zu den Seinigen
He, Leute, da hör' ich Stimmen, faßt eure Schwerter. Zu denen auf dem Thingplatz Wer seid ihr?
Flavus
Wer ihr?
Bojokal
Nein, gebt mir Antwort!
Horst
Es ist Bojokal mit seinen Ansibaren.
Bojokal
herabsteigend
Das war Horstens Stimme! Ihr seid Germanen! Der Sturm und die Finsternis, Horst, haben meine alten Augen überwunden. Heil und Sieg, Brüder!
Alle
Heil! Heil!
Sigwin kommt und tritt schnell unter sie.
Sigwin
hastig, freudig
Heil und Sieg, Brüder! Die Nacht ist gut, und der Sturm ist gut, Brüder!
Alle
ihn umringend
Die Götter mit dir, Sigwin!
Flavus
Wo ist der Meister Schmied von Teutoburg?
Bojokal
Der den Numonius erschlug?
Sigwin
Freunde, das ist ein deutscher Mann!
Flavus
Wo bleibt er heut?
Sigwin
deutet in eine der Schluchten links
Schaut doch den Bach entlang! – Wer ist das?
Horst
Das ist Teutofried mit seinen Wangionen.
Sigwin
Und Meister Eber kommt mit ihnen des Wegs.
Eber
noch unsichtbar in der Schlucht, ruft
Der Sturm hat uns die Fackeln verlöscht!
Einer der Germanen hat eine Fackel angezündet, die ihm Sigwin aus der Hand nimmt.
Sigwin
in die Schlucht leuchtend
Laßt euch die Blitze leuchten!
Adgandest, Ebertrud mit Katten und Gothonen aus den Schluchten rechts.
Segest
zu ihnen
Was ist die Losung?
Adgandest
Freiheit!
Ebertrud
Und Germanien!
Segest
Seid willkommen.
Begrüßung. Eber und Teutofried mit Wangionen, denen Sigwin geleuchtet hat, kommen aus der Schlucht links.
Eber
Seht, wie des alten Sigwins Augen funkeln.
Sigwin
Eber, heut fluch' ich meinem morschen Leib; o wäre mein Leib mein Geist!
Eber
Heute nicht fluchen, Sigwin, heute ist ein heiliger Tag, Wodan schütze dich!
Sigwin
begeistert Eber umarmend
Beten und danken! Germanien wird frei!
Ingomar kommt mit Friesen. Stumme Begrüßung.
Ja! es wird frei!
Sigwin
Sahst du mein Kind, meine Siegtraut?
Eber
Osmundis ist zu ihr gegangen, Alter.
Sigwin
Das ist lieb, das ist gut. Schwermütig Mir ist bange um meine Siegtraut.
Eber
Bange?
Sigwin
Hab' mich just zu sehr an das Kind gewöhnt, und wenn sie nicht bei mir ist, bin ich nicht bei mir! – Doch da kommen die letzten.
Godomar kommt und Cambris mit Hermunduren und Brukterern; Cambris über das Gebirge, Godomar aus einer der Seitenschluchten,
Flavus
zu Godomar
Halt! sagt, wer seid ihr?
Godomar
Einer, der euch so wenig fürchtet als Sturm und Gewitter.
Flavus
Römer oder Germanen?
Godomar
Godomar bin ich, ein Germane.
Flavus
Thors Hammer den Feinden der Germanen! Und Geier ihren Gebeinen! Reicht eure Hand dem Flavus!
Begrüßung.
Cambris
Holla! wer seid ihr?
Eber
Feinde des Verrats.
Cambris
Freunde der Germanen. Fluch ihren Feinden!
Eber
Was sucht ihr?
Cambris
Ein Brukterer
Freies Wort.
Eber
Männer zu Heerkönigen.
Alle
durcheinander
Männer zu Heerkönigen!
Der Tumult legt sich, alle bilden um die Eiche einen Halbkreis.
Sigwin
in den Halbkreis tretend
Männer zu Königen! Männer! – Habt ihr sie gefunden, Germanen? Von Sonnenaufgang und von Sonnenuntergang seid ihr gekommen um einer heiligen Sache willen. Nun gilt's, Männer zu finden, uns zu führen würdig.
Kattwald
in den Halbkreis tretend
Wer regiert eure Glieder? Das Haupt! Die Glieder verfaulen ohne Haupt. Unsere Sache wird morsch wie Zunder ohne Haupt.
Flavus
in den Halbkreis tretend
Wenn ihr aber wen wählt und ihm die Macht gebt über Leben und Tod, Glieder sein wollt eines Körpers, zu dem er das Haupt ist, so wählt mit Umsicht, Germanen, mit Bedacht. Denn wenn das Haupt blind ist, rennen die Glieder in den Sumpf, wenn das Haupt feig ist, verkriechen sich die Glieder und verharren in tatenloser Ruhe. Wenn das Haupt falsch ist, wird es vom Rumpfe abgeschlagen, und der Rumpf modert. Und wie muß das Haupt sein, das ihr wählt? Klug, denn die Römer sind klug; verschlagen, denn die Römer sind verschlagen; kriegskundig, denn die Römer sind kriegskundig. – Marbod hat den Kinderschuh abgelegt, Arminius ist ein gefährlicher Feind, Varus nicht minder. Denkt ihr diese drei mit Haselgerten zu schlagen? Die Usipeter haben sich erhoben, die im Osten wohnen. Hermann führt die römischen Legionen, unsere aufständischen Brüder fester ins Joch zu spannen. Und Marbod, so geht das Gerücht, steht ihm bei.
Alle
erstaunt, entrüstet
Marbod, der Suevenfürst?
Eber
Hermann und Marbod, sagst du, zögen aus gegen die ihres Volkes?
Flavus
Das sagt' ich, und ihr findet's bald bestätigt.
Eber
Mein Hammer soll euch suchen, soll euch finden, ihr hündischen Verräter!
Segest
Zur Heerkönigswahl! – Ich wähle Kattwald den Marsen.
Flavus
mit einem finstern Seitenblick auf Segest
Ja, ihr Brüder, das ist auch meine Wahl; Kattwald führe uns gegen die Römer!
Kattwald
den Kopf schüttelnd
Nein, Freunde, beim großen Thor! Ich kann's nicht. Kämpfen kann ich, und ich will's beweisen; fordert mein Schwert, mein Blut, und es mag rinnen fürs Vaterland, aber nicht meinen Geist, der ist nicht klug wie der der Römer, nicht verschlagen, nicht kriegskundig – doch ich wüßte wohl wen an meiner Statt, und ich lese aus euren Augen, meine Wahl ist euch genehm. Flavus' Hand erfassend Hier steht unser Heerkönig, er mag uns führen zum Sieg oder zum Tode!
Alle
wirr durcheinander
Ja, er mag uns führen! – Flavus mag uns führen! – Heil! Heil! Heil Siegmars Sohn!
Flavus
sich gelassen stellend
Brüder! – Freunde! – Ihr handelt töricht!
Gemurmel und abwehrende Bewegung unter der Menge.
Alle
durcheinander
Flavus
sich entrüstet stellend
Ihr seid Männer?! Ist es so? – Oder seid ihr Kinder? Spielt ihr mit dürrem Herbstlaub oder mit Blut und Leben?
Segest
für sich
O Falschheit!
Flavus
Was ist es für eine Sache, um derentwillen ihr kamt? Ein Ringelreihn oder ein fröhliches Götterfest, eine Hochzeit, eine Schwertleite? – Nun, ihr werdet euch eines Besseren besinnen, werdet mit euch zu Rate gehn, dann erst wählen.
Eber
mit Eifer
Brüder, ihr habt gewählt, wo fändet ihr einen Beßren? Das ist Bescheidenheit, falsche Bescheidenheit! Zu Flavus Oder, Siegmars Sohn, bist du feig? Hast du Furcht vor dem Hündlein Marbod, vor der Katze Hermann und vor ihrem Gebieter Varus? – Ich schlug den wilden Ur, der Siegmars Garten verwüstete, mit diesem Hammer nieder, schraubte Grandmars Streithengst mit dieser Rechten die Fesseln zusammen, daß er sie um kein Haarbreit verrücken konnte, und sollte zittern vor dem Buben Hermann? Hohnlachend Ich will dich vor ihm sicher halten, wenn du Furcht hast.
Flavus
Das wohl nicht!
Eber
Nun, so meinte ich auch, ehe ich fragte, so wußte ich vorher! Aber es gibt kräftige, schnelle Gäule, die dennoch erst der Sporen bedürfen. So einer scheint mir Flavus. Zu den Germanen Bedenkt, keiner kennt die Römer wie er, keiner kennt den Varus wie er, denn er hat Macht über ihn wie ich über meinen Hammer!
Sigwin
Erlöst hat er uns von der Rache der Römer, als wir dem schleichenden Schurken Numonius seine Gelüste gestillt hatten.
Eber
Und ich habe die Tat nicht gestanden wie ein Sklave, mit flehend hündischer Gebärde, nicht kriechend und die Sohlen meiner Kläger leckend, sondern mit trotziger Miene, wild und unbändig. Dennoch erwirkte Flavus unsre Freiheit.
Segest
sich kaum mehr bändigend
Flavus, sagt ihr?
Flavus
ihm schnell in die Rede fallend und ihn beiseite nehmend
Auf ein Wort, Segest, auf ein Wort!
Adgandest
zu den übrigen
So euer Plan gelingen soll, wählt Flavus!
Flavus
abseits, leise und hastig zu Segest
Willst du Verrat üben? Willst du mich preisgeben? Willst du meine Pläne durchkreuzen? Meineid'ger! denk an Hermann, denk an dein geschändetes Kind! Denk an alles, was dir heilig und was Hermann zertreten, raffe deine alten Glieder zusammen! Sei mutig an meiner Seite, und wir siegen. Bei Jovis Thron! Die anderen Germanen sind indessen wieder näher getreten, Flavus wendet sich plötzlich abbrechend zu ihnen. Kattwald hat meine Stimme, und mich laßt aus dem Spiel!
Alle
durcheinander
Du sollst unser Heerkönig sein! Du mußt unser Heerkönig sein!
Sigwin
dicht an Flavus herantretend
Wie ist es Brauch beim Thing? Antworte, Siegmars Sohn! Der Spruch der Mehrheit ist Gesetz, und wer dem Gesetz widerspricht, dem gehört der Tod.
Flavus
Aber ich bin zu jung, da stehen Männer, die ein Recht haben auf solche Ehre.
Sigwin
Bist du ein Glied unsres Bundes? Hast du mitgeschworen einen heiligen Schwur, Gut und Blut, Haus und Hof der guten Sache zu opfern? Hast du des Himmels Rache herabgeschworen auf den Verräter? Und bist du kein Verräter, wenn du dich weigerst?
Segest
ruft
Ja! ein Verräter!
Flavus
finster, fest
Wer nennt mich also?
Drückende Pause.
Eber
Ehe ich dir antworte, Siegmars Sohn, antworte du mir: Willst du uns führen gegen die Römer?
Flavus
wie vorher
Wer nennt mich Verräter?
Eber
Wir alle, wenn du dich weigerst, unser Heerkönig zu sein.
Alle
durcheinander
Wir alle!
Flavus
sein Schwert ziehend
Ich bin's. Er geht nach dem Altar. Und nun Gehorsam!
Alle
jubelnd
Heil dir, Flavus, Rächer der Knechtschaft! Heil! Heil!
Segest ist unbemerkt bis dicht an Flavus herangetreten und spricht nun mit gedämpfter Stimme.
Hermann erscheint auf der Höhe im Hintergrunde. Er hat seinen Mantel umgeschlagen und schreitet langsam, immer den Fortgang des Things beobachtend, herab nach dem Thingplatz. Der Mond bricht für einige Augenblicke durch die Wolken und beleuchtet Hermann und die versammelten Germanen. Ein leises Grollen verrät das in die Ferne gezogene Gewitter.
Segest
zu Flavus
Ich sage dir, Verderber deines Volkes – denn was bist du mir jetzt mehr als eine Sumpfkröte –, schüttle die Lose nicht, wirf die Zügel der Rosse von dir, oder ich will sie stacheln, daß sie sich aufbäumen und deine Falschheit zerstampfen mit ihren Hufen – dich mit deiner Tücke!
Flavus
nachdem er einen Augenblick verlegen geschwankt, kommt plötzlich zu einem Entschluß; von Segest wegtretend, spricht er laut und vernehmlich
Was redest du mir von Verrat, törichter alter Römer! Kriecher, der du nach Gold lechzest und Ehrenketten der Römer, was redest du mir von Verrat, Neiding! Was brütest du finstere Pläne unter dem Mantel des Lammes? Was grinsest du, während du doch besser die Zähne wiesest!
Alle
Was will Segest von dir, was gibt's mit ihm?
Flavus
Verraten will er mich und euch, Germanen, faßt ihn und bindet ihn!
Alle
Wen binden?
Flavus
Diesen hier, der euch verrät.
Segest
schreiend, sich gegen die Germanen wehrend, welche ihn binden wollen
Frei! Frei! laßt mich nur frei! Ihr seid verraten!
Eber
Horst, mach ihm einen Knebel, dem ränkevollen Wichte. Reiß ihr den Giftzahn aus, der Schlange! Reiß ihn nieder, reiß ihn nieder! Unser König befahl!
Tumultuarische Bewegung. Segest wird abgeführt.
Sigwin
zu Flavus
Was hat er getan, daß wir ihn binden?
Flavus
Was er getan? Siegesbewußt, herrisch Es ist nicht gut, daß ihr alles wißt und den Grund erfahrt von allem, denn das raubt Zeit vor der Tat. Laßt mich handeln und tun für euch. Haben wir die Römerhorden besiegt und aus dem Lande getrieben, dann fragt, und ich werde Antwort geben. Ich sage euch, Segest ist ein Verräter; daß er's ist, beweise ich nachher.
Steht an dem Altar, die Germanen um ihn einen Halbkreis bildend. Hermann ist bei den letzten Worten des Flavus bis nahe an den Altar gekommen und spricht nun, eine unbändige Wut unter äußerem Gleichmut verbergend.
Hermann
Beweis es jetzt, beweis es jetzt, ich will's!
Es wird wieder dunkel.
Flavus
mißtrauisch, zurückschauernd
Wer bist du, Mann?
Hermann
Ein Deutscher bin ich.
Flavus
verlegen zu den übrigen
Laßt uns weitergehen, Freunde, laßt uns beraten. Zu Hermann Und du gedulde dich.
Hermann
heftiger
Nein! Nein! Seit wann ist's Brauch beim Thing, Brüder zu verdammen ohne Urteil?!
Flavus
Was wagst du?
Hermann
Alles für mein Land!
Flavus
tritt rückwärts schreitend einen Schritt von dem Altar nach dem Vordergrunde zu und spricht, von einer plötzlichen Angst befallen
Hermann
Flavus folgend, wirft er seinen Mantel zurück und steht nun in seiner Rüstung als Cheruskerfürst vor ihm. Kaum vermag er noch seine Wut zu bändigen.
Ich bin!
Flavus
Hermann erkennend, noch weiter zurückschreckend
Bist Hermann!
Hermann
sich in rasender Wut auf Flavus stürzend
Ja, ich bin's,
der dich entlarvt, zertritt.
Sie ringen miteinander.
Alle
durcheinander
Helft! rettet Flavus!
Sigwin
Es donnert in der Ferne.
Nein, Brüder, nein, laßt unsre Götter richten.
Kattwald
Wer ist der Jüngling?
Eber
Löwenmutig ist er.
Hermann hat Flavus niedergeworfen.
Hermann
Nun, Schurke, Bube, jag uns aneinander!
Nun hetze, hetze, hetze aneinander
Freunde zu Freunden, Deutsche wider Deutsche!
Hat Flavus das Knie auf die Brust gesetzt, hält ihn mit der rechten Hand nieder und ruft, sich möglichst hoch aufrichtend
Hört mich, Germanen!
Eber
Wer bist du?
Hermann
zu Flavus
Lieg still, du gift'ger Molch. Verdammt und ekel,
daß uns ein Vater beide hat erzeugt!
Wüßt' ich, von wem's ihm kam, den wollt' ich schlagen
wie einen Hund.
Alle
erstaunt
Du bist Arminius?
Eber
Der morgen auszieht mit dem Römerheer,
aufständige Germanen fest zu spannen
ins alte Joch?!
Sigwin
knirschend vor Zorn
Was willst du?
Hermann
immer noch auf Flavus kniend, mit äußerster Anstrengung
Euch erretten!
Eber
ohne darauf zu achten, spricht, Hermann immer näher tretend, in äußerster Leidenschaft
Aufständige Germanen bändigen?
Mit Marbod kämpfen gegen deine Brüder,
das Joch festschrauben deinem eignen Volk,
den Leib zerreißen willst du deiner Mutter?
Du bist der Hermann, seiner Brüder Geißel
in Römerhänden, bist der, der mit Gier
die Hefe trank aus jedes Römers Glas,
du bist's und wagst zu stehn vor meinem Blick,
vor meinem Hammer.
Er erhebt den Hammer.
Knabe! Knabe! Knabe!
Sigwin
fällt Eber in den Arm
Den Hammer nieder, Schmied, laß deinen Hammer,
such beßre Beute dir als Frösch' und Nattern,
die man zertritt.
Er tritt nach Hermann.
Hermann
springt auf. Im Übermaß der Wut und Beschämung nach Worten ringend
Ha! so ist's denn vorbei?!
Ist keine Rettung! – Fahr hin, matter Bube,
nun sucht Arminius ein andres Wild!
Schreiend
Wer trat mich eben?
Alle weichen zurück. Zu Eber
Reiß ihn 'raus, den Hammer,
du deutscher Wolf, kämpf mit dem deutschen Bären! –
Stirb hin, mein Vaterland, und sterbt mit ihm!
Germanen drängen sich zwischen den anstürmenden Hermann und Eber. Flavus entweicht.
Eber
Zurück, Gesellen, ich fecht's mit ihm aus,
zurück, ich zahl's ihm heim.
Hermann
eilt nach dem Altar
Hört mich noch einmal!
Eber
Was! flüchtest du dich zu den Göttern, Bube!
Hermann
am Altar stehend, ruft über die Menge
Hört mich noch einmal!
Eber
Bist du feig dazu,
auch aus der Götter Armen reiß' ich dich.
Hermann
Nicht doch, mein Freund, so war es nicht gemeint.
Er entwindet Eber blitzschnell den Hammer und steht im nächsten Augenblick mit wogender Brust, mit flammendem Blick, mit erhobener Waffe auf den Stufen des Altars.
Her deinen Hammer, der ist nicht für Kinder!
Unter der Menge entsteht eine Bewegung, man sucht umher und ruft den Namen Flavus, indessen steht Eber, wie vom Schlage gelähmt, finster zur Erde blickend.
Alle
Den memm'gen Hasenkönig, bringt ihn wieder!
Reißt ihn hervor, wo ihr ihn findet!
Entfernen sich suchend von der Szene.
Sigwin
leise zu Eber
Flavus …
Eber
aus dumpfem Brüten aufwachend, monoton
Was Flavus?
Sigwin
… ist entflohen.
Eber
gedankenlos nachsprechend
Ist entflohen.
Plötzlich zur Besinnung kommend
Thor! – Flavus ist entflohen?
Sigwin
Ja, er ist's.
Eber
Entflohen, sagt Ihr?
Kattwald
vom vergebenen Suchen zurückkehrend
Wie am Sumpf ein Irrlicht.
Sigwin
Vielleicht tat'st du dem Hermann unrecht, Alter.
Alle Germanen kehren nach und nach mit Zeichen der Entrüstung auf den Thingplatz zurück.
Stimme Segests
Laßt mich nur frei! Laßt mich nur frei!
Segest
tritt auf, sein Haar ist wirr und wüst, seine Kleider sind in Unordnung gebracht und hie und da zerrissen beim Sträuben gegen die Fesseln; er stürzt auf Eber zu und ruft
Halt ein!
Mich tötet! Mich, mich tötet! Blöde Toren!
Erhebt ihr eure Waffen, den zu morden,
der euch allein die Freiheit geben kann?
Mich tretet mit den Füßen, zaust mein Haar,
wie ihr es tatet, als ihr mich gebunden,
schlingt mich an eines wilden Rosses Schweif
und laßt mich schleifen, bis mich von dem Kot,
in dem ich weiland kroch, auch noch im Tode
niemand mag unterscheiden, laßt mich schleifen
durch Dorn und Disteln, über Stock und Stein!
Er wird schwach, man stützt ihn.
Sigwin
Sprecht nicht, bei Wodan, nicht ein Wort!
Segest
Vernehmt! Wir beide, jener Schurk' und ich …
Eber
Wer? jener Schurke? Hermann?
Segest
Flavus mein' ich,
wir hatten solche Dinge ausgebrütet,
daß die Enthüllung mir ein Grauen schafft.
Nur eins wißt, Freunde!
Eber
herb
Was nennst du uns Freunde?
Segest
Da sagt ihr recht, das darf die Kröte nicht.
Gönnt mir den Odem nur, daß ich entschleire
den schnöden Trug, der unser Banner war.
Schwach
Er ließ mich binden …
Kattwald
Warum hieß er uns
dich binden? Rede, rede, alter Mann!
Segest
… weil ich in mir so was wie Reue fühlte,
weil sich in meiner Brust begann zu regen
unbändig die betäubte Mannesehre.
Scham überkam mich, Wut und Angst und Reue
und Rachedurst und alles, alles, alles!
Ich wollte greifen in des Buben Anschlag,
ihn hemmen, wenn's noch möglich, ihn vernichten,
zertreten, einerlei. Drum band er mich,
Weinend
drum band er mich, den Greis mit weißen Haaren.
Nach einer Pause
Hermann ist keiner, der sein Land verrät,
ist euer Freund, das wußten ich und Flavus
und eilten auch, dem Varus zu enthüllen,
daß Hermann ihn betrog. Doch Varus glaubt
an Hermann fester wie an alle Welt,
und unser Ohrenflüstern war vergebens.
Da suchten wir auf andre Weise Hermann
zu hintergehen, eure Augen, die
er selbst, vor dem Verrate sich zu sichern,
gar wohl geblendet, noch mehr zu verwirren.
Wir schürten euern Haß auf gegen Hermann,
auf daß ihm die Rechtfertigung vor euch,
wie einem zehnfach überwiesnen Mörder,
unmöglich werden sollte.
Eber
Weiter!
Segest
Und
das war bis jetzt gelungen. – Tötet mich
nur gleich, ich bitt' euch, ich bin ein Verräter.
Eber
Und Hermann ist es doch, der die Legionen
des Varus führt durch Deutschlands Mark hindurch,
um Deutschlands Herz zu treffen?!
Hermann
zwischen sie tretend
Ja, er ist's,
und hierin, deutsche Männer, seid ihr recht
berichtet. Merkt auf meine Worte, wäget,
bedenkt sie hin und her, und ob ich log,
eurem erfahrnen Urteil überlass' ich's.
Wohl lernt' ich lügen, weil ich lügen mußte,
doch was zum Lug mich trieb, das war die Wahrheit,
die Freiheit war's, die unsre Wahrheit ist.
Und scheut' ich auch die Lüge, haßt' ich sie,
so war's ein Haß, wie ihn der Kranke fühlt
zu bittrer Arzenei, der dennoch sie,
weil sie ihm nützt, gebraucht. So übte ich
die Lüg' mit Abscheu! Ihr habt mich geschmäht,
getreten, und das ist ein gutes Zeugnis
dafür, daß ich den bittren Trank genoß;
nun macht zu Gift mir nicht die Arzenei,
scheucht die Genesung nicht von eurem Lager!
Wohl zieh' ich aus mit Römern gegen Deutsche,
der letzte bittre Trank ist's, den ich trinke,
der letzte, Brüder, und die letzte Lüge.
Dann werf' ich ab das gleißende Gewand
und bin ein Löwe, wie ich einst ein Lamm war,
ein Löwe, der die Römerbrut zerreißt.
In eben diesem Maße mess' ich Mut,
in dem ich Demut übervoll gemessen!
Bedenkt, daß ich gelitten mehr wie ihr,
wenn mir das brennend heiße Jugendblut
emporschoß nach dem Haupt bei ew'ger Schmach,
wenn ich vor mir errötete und mich
verlor in Selbstverachtung, mich verfluchte
ob meiner Kriecherei, dennoch vermied,
der Rache Schwert nur leise zu berühren,
so zwang ich mich um einer Hoffnung willen,
die, eine Feuersäule, vor mir stand,
blutend und dampfend. Diese Feuersäule
rückt näher, Freunde, näher, immer näher,
und wie sie näher rückt, reißt die Geduld
mir mehr und mehr! Der Lug hat mich erhoben
auf eine Höhe, die das reinste Herz
verpesten könnte. Meine Hand regiert
in wenig Tagen Roms geprüftes Heer.
Was werd' ich wohl mit diesem Heere tun?
Antwortet, Brüder! – Führen will ich es
an einen Abgrund, also jäh und tief,
daß einem Adler davor schwindeln sollte!
Und wenn es an dem Abgrund steht, was dann?
Er faßt ein Horn, das ihm um die Hüfte hängt
Dann weck' ich Wettersturm mit diesem Horn,
befreie die Vulkane eurer Brust
und peitsche sie hinab, hinab, hinab,
die ganze Römerbrut, die dieses Land
wie Pesthauch überflutet, die es quält,
die an ihm hängt und saugt, hinab, hinab!
Alle
Heil Hermann, Hermann Heil!
Segest
Ertönt das Horn, Germanen, heißt es Freiheit;
Marbod ist mit ihm, Marbod der Gewalt'ge.
Und eh zwei Sonnen sich verjüngen, sollte
das schon geschehn. Daher war's hohe Zeit,
daß Flavus eure Hände sicherte,
daß sie im Notfall gegen Marbod stritten,
daß er euch Feind schien wie Arminius.
Eber
Das ist nicht wahr, so ich ein Mensch mich nenne!
Segest
ernst, feierlich
Ist das Beweis, wenn vor dem Angeklagten
der Kläger flieht, schon wenn er ihn erblickt,
der Kläger, der umstanden ist von Zeugen,
die alle ihm gehorchen, willig, blindlings,
indes der Angeklagte ganz allein
hinein sich wagt, vertrauend auf sein Recht,
so habt ihr den Beweis! – Doch gilt das nicht
und wollt ihr mehr, ist das vielleicht euch Bürgschaft,
wenn einer seiner falschen, schurk'schen Kläger,
von Reu getrieben, des Verklagten Unschuld
mit seinem Blut beschwört,
Er zieht einen Dolch und ersticht sich
so nehmt die Bürgschaft.
Hermann
Sigwin
Was geschah?
Kattwald
Er gab den Tod sich.
Eber
Hermann ist unschuldig.
Sigwin
Für seine Unschuld blutet er.
Kattwald
Du bist …
O haltet ihn!
Segest
scharf
Ich bin …?
Kattwald
Du bist gesühnt.
Segest
Verzeihung, Hermann.
Hermann
Dir ist längst verziehen.
Segest
Grüß meine Tochter, auch sie soll verzeihen.
Hermann
Dir ist verziehen.
Segest
Bin ich ganz gesühnt?
Alle
gerührt
Ganz, ganz.
Segest
Leb wohl! – Hermann – tritt her, Hermann!
Ganz nahe – so. – Wenn ich nun ganz gesühnt bin,
zeig mir das Horn!
Segest
zu dem Horne
Sei gesegnet, schaffe
dir eine Donnerstimme an, es gilt
ja Blitze zu erwecken! Töne gut,
und merkt, Germanen, auf des Hornes Klang,
es macht euch frei – das Horn – es macht euch frei.
Er sinkt zurück, alle umstehn ihn in stummer Ehrfurcht. Plötzlich rafft er sich empor mit letzter Kraft, setzt das Horn an den Mund.
Gib her! ich will noch leben – Freiheit, Freiheit …
Ein Röcheln dringt aus dem Horne, Segest bricht zusammen. Vorhang fällt.
Dieselbe Nacht. Vor Sigwins Hütte. Mondschein.
Sconea
sitzt auf einem Steine vor der Hütte
Denken da drinnen, die alte Vettel schläft und sieht die Schande nicht und die Buhlerei mit dem Römer. Die alte Sconea war auch schön und jung und hatte noch Augen dazu und Tugend. – Armer Sohn! Während er den Wolf jagt, sitzt dieser an seinem Herde und tut sich gütlich in ekler Brunst. Komm heim, komm heim, Sohn! Es ist besser, kein Fleisch nach sich wissen als madiges. – Die Augen sind der alten Sconea schwer, und die Luft ist kalt! Hu, wie kalt!
Sie schläft ein.
Sigwin und Eber kommen vom Thing.
Sigwin
Gute Nacht, Eber. Überm Walde färbt sich der Himmel schon. Das war eine gute Nacht, Eber.
Eber
Schlaf wohl, Sigwin, und wenn du erwacht bist, dicht uns einen Schlachtgesang und laß Hermann darin gepriesen sein hoch, hoch! Eine einfache Singweise sollst du dazu zurechtlegen. Ich gehe heim und wache bis zum Morgen. Hammer und Amboß haben heute noch einen bösen Stand, und die Funken sollen auch ihre Nachtruhe verlieren, sollen hüpfen und springen unter meinen Schlägen wie Römerlein. – Gute Nacht!
Sigwin
Gute Nacht.
Beide schütteln sich die Hände. Eber ab.
Sigwin geht zur Türe seiner Hütte, da gewahrt er seine Mutter.
Sigwin
Mutter, was sitzest du hier?
Sconea
erwachend
Kommst endlich heim?! Wie war's beim Thing? – Gut, hoff ich.
Sigwin
Gut, Mutter, aber was sitzest du hier?
Sconea
bitter
's geht lustig her in deinem Haus drinnen! Hat mich nicht gelitten unter den Blutschändern. – Sohn, du hast kein reines Fleisch mehr! Ist besudelt von Römern!
Sigwin
Mutter!
Sconea
Hab' nicht lang mehr zu leben, Sigwin! Ich bin alt, meine Haut ist nicht fein, sondern alt und runzlig. Mein Herzschlag geht träge, und mein Blut schleicht wie Harz. Aber jede Fiber meines Körpers ist Haß und Verachtung gegen die Römer.
Sigwin
schaudert zurück, seine Augen rollen, seine Lippen beben
Sconea
Nichts, als daß ein Römer bei deiner Tochter Nächte durchwacht, daß dieser Römer ihre Hüfte umschlingen darf ungestraft – daß er – daß er – sie verlockt zur Schande ungestraft.
Sigwin
halb wahnsinnig seine Mutter rüttelnd
Das lügst du, das ist Lug und Trug! Fällt an ihr nieder. Ihr Sterne, fallt herab! – O Mutter, Mutter!
Vorhang fällt.
In Sigwins Hütte. Im Kamin brennt Feuer. In einem Ringe an der Wand ein brennender Kienspan. Siegtraut und Severus im Gespräch. Osmundis auf Tierfellen schlafend am Boden.
Severus
Leb wohl, leb wohl! Wenn mir wer wieder sagt:
»Es gibt noch Unschuld auf der Welt«, ha, ha –
den – den …
Siegtraut
Du sollst nicht böse scheiden, Lieber,
nicht so im Sturm der bösen Leidenschaft;
bezähme dich!
Severus
Nein, nein, war das von dir?
Siegtraut
Was denn?
Severus
Das von dem Varus mein' ich.
Wie nenn' ich's doch, daß ich sein großes Herz
stillstehen heißen soll?
Siegtraut
nachdem sie geschwankt
Es war von mir.
Severus
Stellt mir die goldne Sonne vor die Augen,
ich finde dunkle, schwarze Flecken drin.
Kind! weißt du, was du sprichst? Ahnst du es, Blindheit,
weißt du, was Mord ist, ekler, blut'ger Mord?
Schnell abgehend
Leb wohl!
Ab.
Osmundis
träumend
Greif zu, greif zu! du stolzer schwarzer Aar,
noch einen Schlag!
Sie erwacht.
So ist er fort!
Siegtraut
Er ist's.
Osmundis
Hast du getan, Siegtraut, was ich dir riet?
Siegtraut
schwermütig
Ich tat's!
Osmundis
Und was tat er?
Siegtraut
wie vorher
Das weiß ich nicht.
Osmundis
Ging er, dich zu verklagen, oder dich
durch Taten zu erringen?
Siegtraut
spöttelnd, wehmütig
Zu erringen?
Osmundis
Nun ja, was sonst? Ich sagte, zu erringen.
Siegtraut
wehmütig
Nein, zu erringen nicht, ich werde sterben.
Osmundis
Das kannst du nicht mehr, denn du bist es schon!
Bist für dein Land gestorben! – Wisse denn,
wie ich die Sache hin und her erwog,
die spielet zwischen dir und jenem Römer,
da kam mir doch zuletzt die Reue. Ja!
ich sah es ein, die Kluft ist allzu tief,
die zwischen Römern und Germanen gähnt,
und wohl zehntausend Römer-Feldherrn deckten
mit ihren blut'gen Leichen sie nicht zu,
wie denn der eine! – Ich muß fort. Ich muß!
Ich mag mit dir nicht mehr ein Wille sein. –
Ich träumte, zwei gewalt'ge Adler packten
in Wolkenhöhe sich. Der eine hatte
goldglänzendes Gefieder. Schwarz wie Nacht
war, der mit ihm sich rang. Hei, das ging scharf!
Die Federn stoben, Kampfgeschrei ertönte,
bis plötzlich sich der schwarze hoch erhob,
indes der goldne matt zur Erde sank.
([Am Rand] Ausruf)
Das war ein Traum!!!
Siegtraut
Du nennst die Kluft zu tief,
und doch, wer war's, die mir das Gräßliche
geraten? – Er eilt jetzt vielleicht, Osmundis,
die Tat zu tun, die ihn auf ew'ge Zeit,
statt zu erheben, brandmarkt.
Osmundis
Geh hinein,
er tut es nicht, ich bürge dir dafür.
Stimme Sigwins
von außen
Siegtraut, mein Kind, mein Kind!
Osmundis
Siegtraut
ängstlich
's ist seine Stimme, und doch ist sie's nicht.
Stimme Sigwins
Siegtraut, mein einz'ges Kind, wo bist du?
Osmundis
zu Siegtraut
Nun,
was schreckt dich so?
Siegtraut
Nichts. Aber nie, nein nie
hat er sich so gebärdet.
Osmundis
Wer, dein Vater?
Eindringlich
Es ist dein Vater, Siegtraut.
Sigwin
kommt, wirr, wüst, bleich; auf der Schwelle bleibt er stehen und spricht sarkastisch
Vater? Nein!
Geht unruhig auf und ab.
Ich bin sehr müde, Kinder; Dank, Osmundis,
für deine gute Wacht. – Geh jetzt!
Siegtraut
Willkommen,
mein guter Vater.
Sigwin
Guter Vater? – Hm.
Zu Osmundis
Dank dir, Osmundis, für die gute Wacht,
Dank dir von Herzen.
Osmundis
Habt ihr viel verrichtet?
Wie ging's beim Thing?
Sigwin
ungeduldig
Hm. – Gute Nacht, Osmundis.
Osmundis
Mir scheint, Ihr habt Euch heute überwacht,
darum Ihr also wirr und wortkarg seid.
Sigwin
wehmütig
Ja, überwacht!
Osmundis
Schlaft nur recht gut.
Sigwin
wie vorher
Oh, schlafen!
Plötzlich wirr und ungeduldig
Ich will's schon.
Osmundis
an der Türe zaudernd
Gute Nacht, Siegtraut!
Sigwin
schreit
Gut' Nacht!
Osmundis zaudernd ab.
Sigwin schreitet unruhig auf und ab, plötzlich bleibt er vor Siegtraut stehen, als wollte er reden.
Siegtraut
Mein Vater!
Sigwin
Ja!
Siegtraut
Sigwin
geht weiter, barsch
Du hast gelitten.
Siegtraut
nach einer Pause
Vater, sagt, was ist Euch?
Sigwin
Nichts, nichts, ein wenig Bitterkeit im Herzen,
ein wenig Galle. – O der dummen Menschheit!
Was sagt sie, Kindermord sei Unnatur,
indes sie duldet, daß ein Kind die Ehre
des Vaters tötet! Das beängstigt mich.
Siegtraut
Was, Vater?
Sigwin
auf sie zeigend
Dieses da. – Ei, du bist blind
und siehst mich nicht. – Komm einmal her.
Faßt ihre Hand
So, so,
zeig deine Hände! So! Nun deinen Mund.
Schande klebt an, mein Kind, Schande klebt an.
Wie lebtest du, seit ich dich jüngst verließ,
wie lebtest du? Gut, gut, vortrefflich, gut.
Brauchst drum nicht rot zu werden.
Siegtraut
sich an ihn klammernd
Vater, Vater!
Sigwin
Die Sache muß beschleunigt werden, Kind!
Mit Überwindung
Sieh, ob man dir vom Herde nichts entwendet;
ein Wolf sprang mir entgegen, als ich kam.
Auf und ab gehend
Ich bin so närrisch, ach so schrecklich närrisch …
Bleibt stehen, sinnend
Doch, da geht mir ein Nam' im Kopf herum,
wie war er doch? – Quintilius Varus? Nein!
Valla Numonius? – Auch dieser nicht.
Vielleicht Severus?
Siegtraut
niedersinkend
Gnade!
Sigwin
wild, rasend
Ja, Severus!
Sie emporziehend
Der Name war's, ja, ja! der Name war's.
Was schreist du Gnade? – Leg dich nieder, Kind.
Komm, komm in deine Kammer.
Er reißt sie mit sich in ihr Schlafgemach.
Siegtrauts Stimme
von innen
Gute Götter,
seid mir gnädig, gnädig. – Oh, ich sterbe.
Sigwins Stimme
Fahr hin, du Metze!
Plötzlich lautlose Stille.
Sigwin
schleicht aus der Kammer, einen blutigen Dolch in der Hand
Still – stumm – alles still –
nun, Vater, hattest du und hast nicht mehr,
nichts mehr, nichts mehr! – Nichts mehr? Ach, alter Tor,
nun endlich scheint mir's zum Erwachen Zeit;
was lastest du auf mir, todwüster Traum,
der alles mir verwirrt, Schlechtes und Gutes! –
Umhergehend
Ich aß zuviel zur Nacht, das ist nicht gut,
nein, wahrlich nicht! Ich sagt' es früher immer …
Sich besinnend
Mir schwante Unnatürliches vom Thing,
die sonst Verräter waren, wurden Helden,
und die sonst Helden, wurden mir Verräter.
Ha, ha, ha, ha!
Reibt sich die Augen und tritt ans Fenster; der Morgen tagt.
Ei! wie's den Wald durchdringt
so rot und goldig. Jede Blätterlücke
kann ich durchschaun, und doch ist es ein Traum,
ist alles, alles, alles bloßer Traum …
Verfluchter Traum, fahr hin, ich will erwachen,
umklammre mich nicht mit den langen Armen,
den Spinnenarmen, die mich ekeln. Fort,
zu Hülfe, Hülfe, Hülfe, Hülfe, Hülfe,
laßt immerhin zur Knechtschaft mich erwachen,
nur gebt mir meine einz'ge Tochter wieder!
Wer pocht?! – mein Kind – wer pocht?
Er wankt nach dem Eingange des Schlafgemachs.
Ich will sie wecken,
es scheint mir, daß der Morgen schon begann!
Er läßt den Dolch fallen
Was willst du, blut'ge Waff, in meiner Hand?
Er zieht die Vorhänge zurück und bricht mit einem Schrei zusammen.
Es ist nicht wahr, bei Wodan, ist nicht wahr!
Gegen Ende des Monologs vernimmt man fernes Herdengeläute, das immer stärker wird; wie es näher kommt, vermischt sich damit der Gesang der Hirtin Osmundis. Letztere wird, auch für einen Augenblick durch das Fenster sichtbar.
Der Gesang
Sonnige Hügel, finstere Tannen,
Herdengeläute und Waldhornklang,
Morgen im Herzen, zieh' ich von dannen. –
Sonnige Hügel, finstere Tannen
und in den Lüften der Lerche Gesang.
Während des Gesanges und Geläutes fällt der Vorhang.