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Den nachfolgenden Szenen, die im Jahre 1896 geschrieben sind, liegt eine Novelle Grillparzers zugrunde.
Ernster, hoher Raum in einem Kloster; in einer Wandvertiefung ein altertümliches Bett hinter dunklen Vorhängen. Es ist auch ein großer Kamin da. Das hohe Fenster steht offen. Abenddämmerung. Ein Ritter, wie er vom Pferde gestiegen ist, und sein Diener, der Mäntel, Reisedecken und Zaumzeug hereinträgt.
Der Ritter. Ich dachte schon, wir würden heute im Freien nächtigen müssen. So haben wir es ja noch gut genug getroffen.
Der Diener. Ja, Herr.
Der Ritter. Das Zimmer ist klein, aber das Bett scheint gut. Sogar einen Kamin haben wir.
Der Diener. Der Knecht, der mir die Pferde abnahm und ins Dorf führte, hat sich, als er mir die Sättel hier hereintragen half, vielmals bekreuzt. Der Dummkopf meinte, daß es in diesem Gemache manchmal nicht recht geheuer sei.
Der Ritter. Ha, ha! Fürchtest du dich? Übrigens für den Notfall: es gibt Gespenster von Fleisch und Blut, lege mir die Pistolen neben das Bett. – Es ist übrigens ein recht seltsames Bett, muß man sagen.
Der Diener. Ja, recht seltsam.
Der Ritter. Am Ende sieht es viel mehr einem Sarge ähnlich als einem Bett. Schlage die Vorhänge lieber zurück! Viel lieber mag mir der Mond mitten hineinscheinen ins Gesicht, als daß ich hinter diesen kohlschwarzen Tüchern ersticke. – Langt unser Wein noch?
Der Diener. Morgen sind wir in Warschau. Bis dahin langt er gewiß. In Warschau müssen wir neuen kaufen.
Der Ritter. Es scheint mir ein altes Turmgemach, Peter, die Wände sind rund.
Der Diener. Ja, Herr! So sagte der Knecht. Und er sagte noch dieses, Herr: der alte Turm sei lange vor dem Kloster gewesen und das Kloster sei an ihn und um ihn herum gebaut.
Der Ritter, einen frugalen Imbiß beiseite schiebend. Räume weg, ich habe genug. Nur den Becher laß stehen und die Kanne. – Jetzt lege dich schlafen, Peter, und morgen vor Sonnenaufgang weckst du mich! – O heilige Maria: ich wünschte, wir wären wieder daheim! – Gute Nacht.
Der Diener hat sich entfernt. Mit aufgestütztem Ellenbogen sitzt der Ritter am runden Tisch. Immer klarer und heller dringt Mondlicht schräg durch das Fenster herein. Da erscheint ein Mönch in der Tür, eine Last Reisig tragend.
Der Mönch, mit leiser Stimme. Verzeiht! – Er begibt sich an den Kamin, legt die Bürde ab und beginnt alsdann, Scheite und Reisig für das Feuer zurechtzuschichten.
Der Ritter. Wer kommt noch so spät? Ach, Ihr seid es, ehrwürdiger Vater.
Der Mönch, sanft verbessernd. Bruder.
Der Ritter. Ehrwürdiger Bruder dann. Du siehst, ehrwürdiger Bruder, ich bedarf deines Feuers nicht, ich habe das Fenster geöffnet und freue mich der milden, mondhellen Nacht. Es tut nicht not.
Der Mönch. Die Nächte sind kühl hierherum.
Der Ritter. Was sagst du, Bruder?
Der Mönch antwortet nicht.
Der Ritter schüttelt befremdet den Kopf.
Der Mönch ist aufgestanden und will sich entfernen.
Der Ritter. Ehrwürdiger Bruder, ich bitte Euch, gebet mir Auskunft, eh Ihr geht: ich denke, ich bin in der Woiwodschaft Sendomir?
Der Mönch. Ja. –
Der Ritter. Es ist ein gesegnetes Land. Überall herrliche Wälder, Hügel und Schluchten. Alles voll Blüten. Fruchtbare Äcker. Hier möcht' ich wohl leben und meine Hütte bauen, wofern ich ein Kind dieses Landes wäre! – Du frierst, lieber Bruder?!
Der Mönch. Nein. – Gute Nacht.
Der Ritter. Bleib und trink Wein! Es ist ein feuriger spanischer Wein: er wärmt. Ich bitte dich, trink!
Der Mönch schüttelt ablehnend den Kopf.
Der Ritter. Ich bitte dich, trink! Du sollst aus dem Becher meiner Geliebten trinken. Aus purem Gold sollst du trinken! Ich bitte dich, tu mir Bescheid.
Der Mönch. Bruder, ich darf dich nicht kränken. Er setzt die Lippen an den Becher. Ich danke dir – und nun gute Nacht.
Der Ritter. Bleib, du gefällst mir, Bruder! Noch auf ein Wort: ein Fremder bin ich, unkundig der Landsart. Sage mir doch, wer hat euer herrliches Kloster erbaut?
Der Mönch blickt düster in das Auge des Ritters. Was fragst du mich?
Der Ritter. Ei, Bruder, nur weil ich denke, daß du es weißt.
Der Mönch. Du weißt es selbst.
Der Ritter. Wie würde ich fragen, wenn ich es wüßte?
Der Mönch. Es trifft sich zuweilen, daß es geschieht.
Der Ritter. Du bist ein seltsamer Heiliger, Bruder, wahrlich. Wer hat das Kloster gegründet? sage mir doch! Es ist übergenug guten Weins im Krug, komm, trink: wir wollen des edlen, gottseligen Mannes Gesundheit trinken, der es gegründet hat.
Der Mönch. Ich dank' Euch, Herr.
Der Ritter. Sieh, Bruder, ich trinke des Mannes Gesundheit. Warum? Kloster zu gründen gehet mir übrigens ganz wider meine Art. Es gehet mir wider Ritter-, Reiter- und Kriegsmannsgemüt. Aber ich sitze hier gut! Ich sitze hier herrlich gut! Ein herrlicher Platz! Der Mann sei gesegnet, dem ich die göttliche Stunde verdanke.
Der Mönch. Bist du ein Deutscher, Herr?
Der Ritter. Du hast es geraten.
Der Mönch. Du hast einen fröhlichen Geist, lieber Herr, den erhalte dir Gott.
Der Ritter. Bruder, es war nicht immer so. Komm, rücke den Stuhl ein wenig näher und setze dich. Sieh, es gab eine Zeit, wo Sauersehen mein täglich Brot war. Ich konnte das Maul kaum zum Lachen verziehen. – Da, siehe das Bild. Er weist ihm ein Miniaturbildchen, das er an einem Kettchen auf der Brust trägt.
Der Mönch, erblassend. Ist das dein Weib?
Der Ritter. Es ist mein Weib und, Bruder, hier mein Kind.
Der Mönch. Ein schönes Weib!
Der Ritter. Ja, Bruder. Und hier: ein schönes Kind.
Der Mönch. So sieh dich vor . . .
Der Ritter. Was meinst du, Mönch?
Der Mönch. Daß du nicht doch dereinst noch ein Kloster gründest zu guter Letzt.
Der Ritter. Was willst du damit?
Der Mönch. Es baue niemand sein Glück auf Weib und Kind – –!
Der Ritter. – – Nun, Bruder, wir verstehen uns nicht. Du bist ein Mönch, nun gut; ich bin es nicht. Wahrhaftig in Gott, ich bin kein Mönch! Du lebst dem Himmel, ich lebe der Erde. Und siehe, die Erde ist himmlisch schön! Hart ist das Eisen, grimmig und kalt. Weicher wie Blätter der Rose das Weib und duftig und heiß! Beides lieb' ich, beides halt' ich im Arm! Du aber, du hast das Kreuz!
Der Mönch, wie im Fieber bebend, flüsternd. Ich habe das Kreuz!
Der Ritter. Bruder, du zitterst. Bist du krank?
Der Mönch. Nein! – Tritt hierher! – Siehst du dort – im Nebel . . . siehst du . . .?
Der Ritter. Trümmer. Gebrochene Mauern. Wem gehörte das Schloß?
Der Mönch. Dem Grafen Starschenski. Und was du siehst, all das gesegnete Land gehörte dem Grafen Starschenski.
Der Ritter. Was ist's damit?
Der Mönch. Du reitest nach Warschau, so frage Johann Sobieski nach ihm. Er hatte, wie du, das Schwert und das Weib im Arm, und dennoch nahm er am Ende das Kreuz allein. – Gute Nacht.
Man hört dumpfen Chorgesang.
Der Ritter. Wollt Ihr schon fort?
Der Mönch. Freilich. Zur Messe! – Zur Totenmesse. Er verschwindet.
Während des Gesanges wirft sich der Ritter müde aufs Bett, so wie es ist. Es wird dunkler, sowie sein Bewußtsein erlischt, und hellt sich wieder auf in die Gebilde eines Traumes, darein sich ihm und den Zuschauenden alles verwandelt.
Ein schöner, hoher, freundlicher Saal bei vollem Sonnenlicht. Starschenski in reicher Kleidung, sein noch nicht zweijähriges Töchterchen auf dem Arm. Marina, seine Mutter, eine ehrwürdige alte Frau, sitzt, mit Handarbeit beschäftigt, in einer Fensternische. Die Amme.
Starschenski. Mutter.
Marina. Nun?
Starschenski. Ich bin glücklich!
Marina. Wohl mir, so bin ich's auch.
Starschenski. Soll ich nicht glücklich sein? Wer soll glücklich sein, Mutter! – Elga!
Die Amme. Elga, höre, der Vater ruft. Wenn der Vater ruft, mußt du hören, Elga.
Starschenski. Laß sie doch, Amme. Unterbrich sie nicht in ihrem höchst wichtigen Tun. Ich sehe sie ja. Und wenn ich mit der Hand über ihr blauschwarz glänzendes Haar streichen will, – er tut es – hat sie's gern und läßt es geduldig zu. Nicht, Elga?
Klein Elga. Atti, Atti!
Die Amme. Atti spricht sie: das soll Vater heißen.
Starschenski. Vater, sagst du? Komm, Tochter, komm! Mein bist du. Ja! Meine Tochter bist du! Wo ist deine Mutter?
Die Amme. Die Herrin kleidet sich an für das Mittagsmahl.
Starschenski. Sie schmückt sich für mich, Mutter. Er übergibt Klein Elga der Amme. Da, Amme, nimm sie! Halt einmal, Amme!
Klein Elga, bei der Amme. Atti, Atti!
Starschenski. War es nicht gut, daß man sie Elga hieß, nach der Mutter? Hat sie nicht ganz dasselbe Haar? Schwarzes Haar und blaue Augen. – Geh, Amme! Die Amme entfernt sich mit dem Kinde.
Starschenski, nach einigem Stillschweigen. Mutter!
Marina. Mein Sohn?
Starschenski. Ich bin glücklich!
Marina. So bin ich's auch.
Starschenski. Hast du jemals gedacht . . . ich meine früher, als ich noch einsam lebte mit dir . . . als ich noch einsam und menschenscheu lebte, daß ich jemals könnte so glücklich werden?
Marina. Nein. Das hab' ich mir nicht gedacht. So erhalte dir Gott dein Glück.
Starschenski. Bangst du?
Marina. Nein. Aber die Zeit steht nicht still. Ist man ohne Glück, so hat man nichts als zu wünschen. Wünschen und Hoffen tut wohl. Ist man glücklich, so hat man viel eher zu fürchten.
Starschenski. Mutterchen, Mutterchen, es liegt uns im Blut! Sinnieren, Grübeln, Sorgen und Bangen liegt uns im Blut. Und siehst du, ihr Blut ist leicht: deshalb lieb' ich sie so! – Ach, Mutterchen, halte doch deine Augen nicht immer so fest auf den Stickrahmen geheftet! Blick um dich, blick auf! Draußen ist Frühling! Wir wollen Kristallkelche mit Rosen auf die Tafel stellen und den ältesten Wein aus dem Keller – und Elga wird bei uns sein.
Marina, bewegt. Ja, du liebst sie, du liebst sie, mein Sohn!
Starschenski. Ich liebe sie, Mutter; das sage du nur. Aber du weißt doch nicht, was du sagst, wenn du dein Wort sagst. Zwanzig Jahre im Kerker, lichtlos, widerwillig schimmliges Brot nagend. Mehr war mir die Welt nicht, ich weiß nicht, warum. Ich konnte die andern nicht begreifen, wenn sie von Blumen sprachen, von grünen Wäldern und goldenen Saaten, wenn sie einen Jubel hörten aus dem Gesang der Vögel, aus dem Blau des Himmels ein Lachen. Ich fühlte nur Knechtschaft und Fron. Jetzt bin ich sehend und frei! Sehend und frei hat sie mich gemacht.
Elga tritt schnell ein.
Elga. Starschenski!
Starschenski. Elga?
Elga. Heut müssen wir zu Pferde und jagen. –
Starschenski. Jagen wir. Aber nicht über die jungen Saaten.
Elga. Über Saaten, Hecken, Zäune und Gräben . . . Schau! –
Ein Schmetterling hat sich an ihrer Brust niedergelassen.
Starschenski. Der Frühling flattert an deiner Brust.
Elga. Ein Schmetterling.
Starschenski nimmt und zerdrückt den Schmetterling.
Elga. Was tust du?
Starschenski. Nichts: mein ist der Platz!
Elga. Narr.
Starschenski. Elga! Sie umarmen und küssen sich.
Marina, aufblickend. Küßt ihr euch wieder?
Starschenski. Ja, Mutter, wir küssen uns. – Hast du mich lieb, Elga?
Elga. Heut: ja!
Starschenski. Wirst du mich immer lieb behalten?
Elga. Immer? Immer? Einst werd' ich Staub sein! – Aber heut leb' ich. – Laß mich.
Starschenski. Bleib! Einen Augenblick noch: bleib! – Oh, ihr Augen!
Elga. Du drückst mich.
Starschenski. O weh! Liebe Hand!
Elga. Laß! –
Starschenski. Deine Brüder kommen, weißt du das schon?
Elga. Grischka und Dimitri?
Starschenski. Beide!
Elga. Warum? Was wollen sie?
Starschenski. Sorge dich nicht darum.
Elga. Ich sorge mich nicht. Aber ich will nicht, daß sie immer kommen und Geld von dir nehmen.
Starschenski. Vielleicht wollen sie diesmal kein Geld.
Elga. Und wenn sie es wollen: sie sollen von dir keinen Heller erhalten! Versprich mir das!
Starschenski. – Ich wollte dir dies und noch mehr versprechen, wenn es nur nicht deine Brüder wären.
Elga. Mutter, hilf mir! Versprich mir das!
Marina. Du solltest, mein Sohn, nicht ihrer Verschwendung Vorschub tun. Aber du, meine Tochter: es sind deine Brüder!
Elga. Ihr verderbt mir den Tag.
Starschenski. Ich will alles tun.
Elga. Und nicht einen Heller!
Starschenski. Nein! Aber sei fröhlich! Sei fröhlich, wenn wir mit deinen Brüdern bei Tafel sitzen. Wir wollen schmausen. Wir wollen von den jungen Pfirsichblüten in unsern Wein tun und Gott für das Leben danken.
Marina. Danket Gott anders, liebe Kinder, danket Gott nicht auf diese Art.
Starschenski. Auf diese Art, Mutter, auf keine andere! Wenn der Wein schäumt und Elga lacht, so gibt es weder im Himmel noch auf Erden sonst noch ein Paradies.
Marina. Sündige nicht!
Starschenski. Mutter, Elga im Arme halten . . . das und sündigen? Lobt sich nicht Gott durch sie? Verklärt sich nicht Gott in ihr? Übertrifft sich nicht Gottes unerfaßliche Bildnerkraft in diesem Geschöpf? Weißt du mir eine Frucht zu nennen an irgendeinem Baume des schaffenden Gärtners, nur halb so herrlich, schwellend, süß und göttlich, wie diese ist? Bete ich nicht den Schöpfer an in ihr? Genieße ich nicht Gott selber in ihr? Wer bin ich, daß er dich mir geschenkt?!
Elga. So wahre mich wohl!
Starschenski, nach kurzem Nachdenken, mit tiefer Festigkeit. Ich will's –!
Dimitri und Grischka treten ein mit Lebhaftigkeit.
Dimitri. Da sind wir.
Starschenski. Dimitri und Grischka! Willkommen beide.
Grischka, die Hand Marinas küssend. Gott beschütze Euch, gnädigste Frau.
Elga. Hat man euch auf dem Hofe gesehen?
Dimitri, nachdem auch er Marina die Hand geküßt. Nein. Wir sind durch den Garten gekommen, durch das Mauerpförtchen bei dem alten Wartturm.
Starschenski. Wo habt ihr die Pferde?
Grischka. Der alte Timoska, der Verwalter, schlich dort herum; der hat sie uns abgenommen.
Elga. Was sucht der Timoska bei dem alten Wartturm?
Starschenski. Weiß nicht.
Grischka. Als wir erschienen, erschrak er.
Marina. Er ist nicht furchtsam für sich. Er ist nur besorgt für seinen Herrn. Er hat euch, ich weiß es, im Verdacht, daß ihr mit dem unzufriedenen Teile des Adels konspiriert wider Johann Sobieski, unsern König. Er selber hat unter Sobieski gedient: und dieser, meint er vielleicht, könne am Ende sogar noch auf seinen Herrn ein Mißtrauen werfen.
Starschenski. Er ist nur unnütz besorgt um mich, seinen Herrn. Er ist alt und treu.
Grischka, lachend. Und grob!
Elga. Wer sagt, daß er treu ist? Aber legt ab, liebe Brüder. – Was macht der Vetter?
Dimitri. Oginski ist wohl.
Grischka. Er ist wohler als wir. Er hält mit dem wenigen haus, das unser Vater für ihn als Vormund zurücklegte. Er hält sich versteckt, allein, er führt sonst ein gutes Leben.
Starschenski. Das freut mich. Ihr habt mit anderen Genossen von Adel konspiriert: aus Leidenschaft und freiem Entschluß. Oginski ist grundlos verwickelt in euren Widerstand und ist überdies kein Held.
Grischka. Nein.
Marina. Er glaubte, er müsse tun wie ihr, weil ihr seine Freunde und Vorbilder wäret.
Dimitri. Ja.
Starschenski. Ich freue mich, wenn es ihm still und wohl ergeht, gemäß seiner Art. Möge er doch einmal bei Nacht aufsitzen und uns besuchen.
Dimitri. Er ist zu scheu.
Starschenski. So sage ihm, daß ich ihn bitte. Man muß ihn aufrütteln.
Marina, bitter. Ja, das muß man. Als ich ihn sah, drückte er sich immer an den Wänden herum.
Elga. Er ist ein Weib! Ich mag ihn nicht hier haben.
Starschenski. Du bist zu hart. Er hat ein weiches Gemüt, das vielleicht reicher als unseres ist. Er mag nur kommen und seine Füße wärmen an meinem Herd.
Dimitri. Unser Vater hat ihn oft allzu übel behandelt.
Grischka. Und meist verächtlich.
Elga, hart. Das sagt ihr. Der Vater hat ihn gerecht behandelt!
Marina. Komm, Elga, führe mich.
Elga, herzlich, dienstwillig. Ei, Mütterchen, bis ans Ende der Welt. Marina, von Elga gestützt, entfernt sich mit ihr.
Starschenski. Wein! – Ihr seid durstig.
Dimitri. Drei Stunden auf dem Gaul, und wie geritten!
Starschenski. Wild, wie ihr lebt.
Grischka. Es lohnt nicht, das Leben zahm und langsam zu leben.
Starschenski. Es lohnt!
Dimitri. Das sagst du! Mir lohnt es nicht.
Grischka. Mir auch nicht.
Dimitri. Es kommt mir vor, als liefen wir alle herum mit einem abgebrochenen Speer im Rücken.
Grischka. Ja. Von Taumel zu Taumel vorwärts, von Rausch zu Rausch, damit man ihn nicht fühlt.
Starschenski. Ihr seid arm.
Dimitri. Du nicht?
Starschenski. Nein.
Dimitri. Du fühlst die vergiftete Wunde, darin der Spieß steckt, nicht?
Der Diener hat Karaffen mit Wein gebracht, Gläser hingestellt und eingegossen.
Starschenski erhebt sein Glas. Trinkt! – Du sagst es: ich fühle sie nicht. Ich habe gedacht wie ihr, und wo ihr den Taumel sucht, suchte ich den Tod. Ich habe ihn in Sobieskis Schlachten gesucht – und mich in der Stille vergraben, wie Vetter Oginski. Ich war ein Narr. Ich fühle den Spieß und die bohrende Wunde nicht. Stößt an. Es gibt Glück!
Grischka. Wenn du meinst?
Starschenski. Ja, es gibt Glück.
Dimitri. Wo?
Starschenski. Setzt euch. Im Weibe ist Glück.
Dimitri und Grischka lachen laut auf.
Starschenski. Ihr lacht? Warum lacht ihr?
Dimitri. Weil du das sagst.
Starschenski. Wißt ihr es anders?
Grischka, lachend. Ich denke wohl. Was mich betrifft, mir sind alle Weiber schal geworden.
Starschenski. Alle?
Dimitri. Alle, wie ich sie nacheinander genoß.
Starschenski. Vielleicht. – Alle sind schal, außer einer.
Dimitri. Ei! Die wäre?
Starschenski. Sie!
Grischka, nach kurzem Stillschweigen. Schwager, du bist ein Wunder von Mann! Nach bald drei Jahren der Ehe sprichst du so.
Starschenski. Ja, so spreche ich immer noch.
Dimitri. Und nichts von Überdruß?
Starschenski. Nichts davon! Hört mir zu: Als ich vor vier Jahren in jener Regennacht durch die Straßen von Warschau ging und sie zuerst vor mir auftauchte . . .
Dimitri. Eine schlimme Zeit für Vater und Schwester.
Grischka. Eine böse Zeit.
Starschenski. Für beide böse, doch nicht für mich.
Grischka. Verflucht die Meute, die meinen Vater ins Elend hetzte.
Dimitri. Verdammt die Knechte und feigen Schergen, die Vater und Schwester zu Bettlern machten.
Starschenski. Ja, elend war sie, einer Bettlerin sah sie gleich, wie sie mir nachlief und Hilfe erflehte . . . doch nichts davon! – Sobald ich mit ihr in die Kammer trat . . .
Dimitri. Jawohl: wo unser zum Tode erkrankter armer Vater, ins Stroh gewühlt, den Kopf auf einen Sattel gebettet, doch als ein Held sein Ende erwartete.
Starschenski. Ich sah nur sie! Die Kerze flackerte auf, doch ich sah nur sie! – Und seit der Stunde, in jeder wachen Minute langer Jahre . . . ich sah nur sie! Immer mehr versonnen. Sie verstellt mir das All! Sie ist mir das All! Ich sehe nur sie!
Dimitri, nach einigem Zögern, listig. Schwager!
Starschenski. Sprich! Sage, was du willst.
Dimitri. Du hast viel für uns getan.
Starschenski. Nichts! Es ist nichts! Was ich für euch tun kann, ist nichts.
Grischka. Nein, du hast viel für uns getan. Die Dankesschuld ist zu groß, wir werden sie niemals abtragen: bitter genug, sie noch häufen zu müssen! Indessen wir stehen im Kampf. Wir schlagen uns für Freiheit und Ehre des Standes, dem wir zugehören. Dazu dienen wir auch der Sache des Volks.
Starschenski. Ich nicht.
Grischka. Das halte getrost, wie du willst. Wir gönnen dir jedes Glück. Wir hingegen sind unbehaust. Unsere Feinde geben uns keinen Frieden. Ohne Geld keine noch so kurze gesicherte Rast.
Starschenski. Fordert, wieviel ihr wollt.
Dimitri. Tausend Goldgulden.
Starschenski. Ihr sollt sie haben, doch Hand auf den Mund!
Der alte Hausverwalter tritt ein.
Starschenski. Was willst du, Timoska?
Der Hausverwalter. Ich störe. So komme ich ein anderes Mal.
Starschenski. Tritt näher, Timoska. – Verzeiht mir. – Ich habe mich gewöhnen müssen, das Meine mit Ernst zu verwalten. Weit über hundert Gespanne gehen auf meinen Äckern. Mehr denn fünfhundert Bauern sind bei der Arbeit.
Dimitri. Du bist das Muster von einem Wirt.
Starschenski. Berichte mir also, Timoska! Seht, er ist meine rechte Hand. Wir beide wandern tagelang durch meine Felder, Forsten und Meierhöfe.
Grischka. Das Auge des Herrn macht die Kuh fett.
Dimitri. Und den Knecht mager, jawohl.
Starschenski. Einerlei. Es tut wohl, einer Pflicht zu genügen. Es sitzt sich fröhlicher beim Mahl nach getaner Arbeit. Und Elga wird lachen!
Grischka. Ja, sie lacht fast zu viel. Aber weißt du was, Dimitri, laß uns zu ihr gehen! Beide verbeugen sich kurz und gehen.
Starschenski. Was brummst du, Alter? Sprich deutlich zu mir.
Der Hausverwalter. Herr, es ist ärgerlich.
Starschenski. Was?
Der Hausverwalter. Der blonde Knecht hat die Deichsel des Kutschwagens zerbrochen.
Starschenski. Laß eine neue machen. – Ist es nichts weiter?
Der Hausverwalter. Herr, es ist ärgerlich.
Starschenski. Hm! – Noch etwas?
Der Hausverwalter. Ja, Herr, noch etwas.
Starschenski. Ist Weizen auf dem Boden umgekommen?
Der Hausverwalter. Nein.
Starschenski. Ei, muß man dir die Worte mit Zangen herausziehen? – Hat das große Gewitter viel Schaden gemacht?
Der Hausverwalter. Nein.
Starschenski. Ist der Marder in den Taubenschlag gefallen, oder was?
Der Hausverwalter. Herr, es ist ärgerlich. Ich freue mich, daß Ihr nicht mehr mißmutig sitzet und im Finstern grübelt. Ich freue mich, daß wir eine liebe Herrin bekommen haben und daß Ihr ein Töchterchen auf den Knien wiegt . . .
Starschenski, ungeduldig. Nun, und was freut dich nicht?
Der Hausverwalter. Daß Ihr Euch mit Pan Dimitri und Pan Grischka so sehr einlaßt.
Starschenski. Seit einem Jahre selten genug, scheint mir.
Der Hausverwalter. Es kann Euch Gut und Glück kosten.
Starschenski. Höre, du Graukopf: du bist alt und treu, deshalb verzeih' ich dir. Ich will dir sogar Rede stehen. Was Pan Grischka und Dimitri tun, das mögen sie tun. Ich kann ihrer Seelen Hüter nicht sein. Was mich betrifft: ich bin dem König ergeben und baue mein Land. Jetzt aber sage, was bringt dich darauf?
Der Hausverwalter. Sie kommen zu oft.
Starschenski. Wer kommt zu oft?
Der Hausverwalter. Pan Dimitri und Pan Grischka. – Die Bauern im Dorfe wissen es.
Starschenski. Vor dreiviertel Jahren sind sie zum letzten Mal bei mir gewesen.
Der Hausverwalter. Die Bauern wissen es anders.
Starschenski. Dann sind sie Dummköpfe!
Der Hausverwalter. – Herr, – ich habe es mit diesen Augen gesehen . . .
Starschenski. Was hast du gesehen?
Der Hausverwalter. Wie der heimliche Bote kommt und geht bei der Nacht.
Starschenski, erstaunt und befremdet. Ein heimlicher Bote kommt und geht? Wo kommt er her? Wo geht er hin?
Der Hausverwalter. Durch dasselbe Pförtchen.
Starschenski. Hinten im Garten? Am alten Turm?
Der Hausverwalter. Wo Pan Grischka und Dimitri heute hereintraten.
Starschenski. Wer hat den Schlüssel zu Pförtchen und Turm?
Der Hausverwalter. Pani Elga.
Starschenski. Zum Teufel!! Geh! Was schwatzest du da! –
Der Hausverwalter entfernt sich nach einer tiefen Verbeugung.
Die Stimme Elgas. Starschenski, mein Falke, komm!
Starschenski steht geistesabwesend.
Elga tritt ein. Hörst du nicht, wenn ich rufe?
Starschenski, erwachend. Riefst du mich?
Elga. Wie? Was? Hast du geträumt?
Starschenski, mit einem qualvollen Seufzer. Schwer! –
Elga. Schwer hast du geträumt? Was hast du geträumt, armer Nachtwandler?
Starschenski. Küsse mich!
Elga, unter leidenschaftlichen Küssen. Da! da! und da! Willst du noch mehr?
Starschenski. Sieh mich an.
Elga. Nun? – Sieht ihm frei und fest ins Auge. Was ist's? –
Starschenski, nachdem er sie tief und forschend angesehen. Nichts!
Elga. Was fehlt dir?
Starschenski, befreit. Nichts! Es ist gut! Es ist alles gut!
Er küßt sie auf die Stirn.
Der Raum verwandelt sich in ein Schlafzimmer. Elga ist vor ihrem Toilettentisch beschäftigt. Die Amme mit dem schlafenden Kind auf dem Arm ist bei ihr. Es ist nachts gegen elf Uhr.
Elga. Geh, Amme, geh mit dem Kinde vorsichtig hinaus. Du sollst auch heute nacht nicht im Zimmer nebenan schlafen mit ihr. Dortka wird dir helfen die Wiege ins gelbe Zimmer tragen. Ich bin furchtbar müde und mag die Nacht nicht gestört sein.
Die Amme. Ach, Herrin, es ist unnütz. Ich kenne sie. Ich weiß es voraus, wenn sie unruhig sein will. Sie wird Euch heute die Nacht hindurch so ruhig im Bettchen liegen und stumm wie ein Fischchen.
Elga. Tu, was ich sage. Einerlei.
Die Amme. Freilich tu' ich das. Wofür wäre ich sonst eine gehorsame Dienerin? Sie wacht! Komm, kleine Meerkatze, komm. Machst große Augen. Schau, wie die liebe Mutter sich schmückt. Sternchen auf der Brust! Schöne rote Flimmersteinchen im Ohr.
Elga, in den Spiegel vertieft. Ei, bist du immer noch da! Geh! Mach, daß du fortkommst.
Die Amme entfernt sich mit dem Kind.
Elga singt für sich.
Ich bin ein wilder Vogel
und fahre daher.
Ich bin ein weißer Falke,
ein schwanenweißer Sperber!
Ich segle unter der Sonne
und über meinem Schatten:
Tief unter mir mein Schatten,
mein Schatten zieht mit mir.
Wer ist denn draußen? Dortka, bist du es?
Dortka, die Kammerzofe, tritt ein.
Dortka. Ja, Herrin.
Elga. Ist der Graf ausgeritten?
Dortka. Ja, Herrin. Er ist fort. Ich hörte, wie er zum Verwalter sagte: Ich habe so viele Geschäfte, ich übernachte heute in der Stadt.
Elga. Setzt sich aufs Pferd, reitet davon, sagt mir nicht einmal gute Nacht. – Leichtsinnig. Sei's drum.
Dortka. Ich hörte, wie er dem Verwalter Grüße für Euch auftrug.
Elga. Dem Timoska?
Dortka. Ja.
Elga. Auch ein Liebesbote.
Dortka. Aber ein wackeliger.
Elga. Ich habe die Rubinen ins Ohr gehangen, ist es recht?
Dortka. Ihr braucht sie nicht. Ihr habt welche auf den Lippen.
Elga. Ah, aha! Poesie! – Machst du denn auch Gedichte, Dortka?
Dortka. Nein. Oder nicht gute wenigstens. Pan Oginski macht bessere.
Elga. Woher weißt du das?
Dortka. Habt Ihr mir nicht eines seiner Gedichte vorgelesen, erst jüngst?
Elga. Welches?
Dortka. Von einem Falken war es oder so was.
Elga. Ist es nicht schön? – Horch! –
Dortka. Es ist nichts. Habt Ihr etwas gehört?
Elga. Es war mir, als hätte das Gartenpförtchen geknarrt.
Dortka. Es knarrt nicht. Ich habe selbst Öl in die Eisenringe gegossen.
Elga. Ist die Mutter zu Bett?
Dortka. Ja.
Elga. Pani Marina ist gut und still. Sie hat Frieden. Meine Mutter war nicht so. Aber sie war wunderschön.
Dortka. So schön wie Ihr?
Elga. Oh, Dortka, ich bin nichts gegen sie! So schön ist meine Mutter gewesen. Auf hundert Werst im Umkreis hieß sie die Schöne bei den Leuten. – Ich habe einmal etwas Furchtbares gesehen, Dortka. Wir hatten einen Knecht, er trug mich oft auf seinen Schultern – ach oft! oft . . . Seine Knochen waren wie Mammutknochen, doch sein Seelchen wie eines Singvögelchens.– Eines Morgens hatte er sich an der Tür meiner Mutter aufgehängt.
Dortka. Der Narr! Durfte er seine Augen so hoch erheben?
Elga. Geht es dir auch so, Dortka?
Dortka. Wie?
Elga. Daß dir am Abend etwas von dem Traum der vergangenen Nacht wiederkommt. Den ganzen Tag ist er fort, plötzlich schwebt etwas davon an der Seele vorbei.
Dortka. Wißt Ihr, daß Ihr geschrieen habt in der gestrigen Nacht?
Elga. Nein.
Dortka. Es war ein gellend nadelspitzer Schrei, der mich aufweckte, er war so fremd, wie gar nicht von Euch.
Elga. Nicht träumen! Überhaupt nicht träumen! Ich sah etwas Schwarzes, Lichter, einen Toten, glaube ich, man sieht oft Tote im Traum.
Dortka. Das bedeutet Glück!
Elga. Es ist heute so hell, Dortka! Der Mond scheint so furchtbar hell. Fast taghell ist es.
Dortka. Aber die großen Kastanien haben Blätter bekommen, da gibt es Schatten. Im Winter war es viel schlimmer.
Elga. Die Bäume haben Blätter und Blüten bekommen, nicht nur die Kastanien. Wie süß der Geruch des Flieders ist! Ach, Dortka! Dortka! . . .
Dortka. Nun, Herrin?
Elga. Ich lieb' ihn so.
Dortka. Gott weiß es, daß Ihr ihn liebt.
Elga, plötzlich mit Hast. Aber weißt du: er soll nicht kommen! Geh, sag ihm . . . geh schnell und sag ihm das! Geh, Dortka: er soll nicht kommen.
Dortka. Was habt Ihr doch heut? Weshalb zittert Ihr doch? Warum fürchtet Ihr Euch? Es ist alles in tiefer Ruh'. Ist es denn heut das erstemal, Herrin? Weiß ich denn nicht, wie Ihr die Minuten verflucht habt, weil sie zu langsam verstrichen bis heut? Wie es sollte, ist alles gekommen: der Herr ist in Warschau! Was bangt Ihr denn?
Elga. Was hab' ich gesagt?
Dortka. Er soll nicht kommen, habt Ihr gesagt.
Elga. Geh, lauf, Dortka, so schnell du kannst . . .
Dortka. Er soll nicht kommen?
Elga. Bist du bei Sinnen! – Dortka.
Dortka. Was?
Elga. Ich hörte Hufschlag!
Dortka. Es sprengt jemand davon. Es wird der Verwalter sein. Sein Pferd stand im Stalle gesattelt, als ich vorhin drüben war und den Knechten und Mägden Branntwein brachte.
Elga. Traust du dem Verwalter?
Dortka. Nein. Aber der alte Timoska ist taub und blind, er hat keine Zähne und Fäuste. Er hört, sieht, beißt und schlägt nicht.
Elga, belustigt, dann erschreckt. Sieh doch: da ist Licht . . .drüben ist Licht.
Dortka. Wahrhaftig, im alten Wartturm ist Licht.
Elga. Schnell, gib mir den Schafpelz.
Dortka. Wollt Ihr hinüber?
Elga. Was sonst?
Dortka. Er sollte nicht Licht machen.
Oginski kommt.
Elga. Wie kommst du herein?
Oginski. Das Ausfallspförtchen stand offen.
Dortka. Ich ließ es offenstehen aus Vorsorge.
Oginski. Da, nimm! – Er gibt Dortka Geld, sie entfernt sich. Oginski und Elga fliegen einander in die Arme.
Elga. Warum bist du so lange nicht zu mir gekommen?
Oginski. Ich weiß nicht. Ich bin herumgegangen auf den einsamen Feldwegen und durch die Schluchten der Wälder, immer einsam, ganz einsam; und doch war ich bei dir.
Elga. Was hab' ich davon? Wenn du fort bist, bist du mir fort. Wenn du fort bist und du sagst, daß du dennoch bei mir bist, so bist du doch nicht bei mir.
Oginski. So komm, komm mit mir! Warum bliebst du hier? Warum folgtest du mir nicht?
Elga. Papperlapapp! Küsse mich!
Oginski küßt sie leidenschaftlich. Danach eindringlicher. Warum folgst du mir nicht?
Elga. Wohin?
Oginski. Ich habe ein wenig Geld vom Starosten Laschek geerbt, du weißt es. Wir können ins Ausland. Wir könnten glücklich sein.
Elga. Soll ich Hemden und Strümpfe waschen?
Oginski. Ich werde für dich arbeiten. Ich will mir das Schlafen abgewöhnen und Tag und Nacht für dich arbeiten.
Elga hält ihm den Mund zu. Nein, nein, mein Freund, daraus wird nichts.
Oginski. So liebst du mich nicht.
Elga schüttelt mit fatalem Lächeln den Kopf.
Oginski. So laß uns ein Ende machen!
Elga. Oginski!
Oginski. Ei, es führt zu nichts! Es führt wirklich zu nichts! Du liebst mich nicht: du liebst Starschenski! Er ist dein Gatte! Gut! So sei's!
Elga. Ich liebe Starschenski nicht!!
Oginski. Aber du liebst mich auch nicht. Elga, man hat es mir gesagt: deine Tage verstreichen unter Lachen und Jauchzen, wenn ich fort bin. Du bist fröhlich und tanzest. Im Tanz bist du unermüdlich, sagen sie, und jedes Fest ist dir zu kurz. – Elga! Elga, weine nicht. Er küßt ihr die Tränen aus den Augen.
Elga. Ach . . . du! . . . Laß! . . . Es ist nichts! – – – Starschenski wird dich zu uns aufs Schloß laden, weißt du schon?
Oginski. Nein.
Elga. Wirst du kommen?
Oginski, ernst und fest. Ich werde kommen, wenn er mich ladet.
Elga. Er wird dich laden. – Meine Brüder waren hier.
Oginski. Sie wollten Geld von ihm?
Elga. Ich weiß nicht. Aber ich habe ihm gesagt, was du mich geheißen hast: daß ihre Unternehmungen töricht sind und ihre Verschwendung sinnlos. Er hat mir versprochen, ihnen keinen Heller ferner zu geben. – Mit innerlichem, Lachen. Drollig war es!
Oginski. Was?
Elga. Sie sprachen von dir.
Oginski. Wie sprachen sie wohl von mir?
Elga. Mitleidig.
Oginski. Hanswürste sind es.
Elga. Man hätte denken können, du seiest ein armes, hungriges Schaf und sie zwei Löwen.
Oginski. Ein Löwe bin ich nicht.
Elga. Es hörte sich an, als hätten sie dich nur immer am Fädchen gezogen all die Zeit.
Oginski. Starschenski: glaubt er ihnen?
Elga, lachend. Er wird dich aus purem Mitleid zu Gaste bitten.
Oginski. Und dennoch komme ich!
Elga. Nein, komm nicht!
Oginski. Weshalb nicht?
Elga, zerknirscht. Ich werde noch schlechter werden, wenn du kommst. –
Dortka stürzt herein.
Dortka. Fort, fort, Pan Oginski! Sie suchen den Garten ab.
Oginski. Wer?
Dortka. Sie haben das Licht im Wartturm gesehen.
Oginski springt zum Fenster hinaus.
Elga. Schließ das Pförtchen.
Dortka rennt hinaus. Elga, allein, eilt ans Fenster, darauf an die Tür. Plötzlich schreit Dortka draußen auf und wird, noch schreiend, von Starschenski hereingeführt.
Starschenski. Bekenne!
Dortka. Was soll ich bekennen?
Starschenski. Bekenne, Dirne! Und wehe dir! Eine Lüge wäre dein Tod.
Elga, plötzlich mit Heftigkeit. Was willst du von ihr, und was hat sie getan?
Starschenski. Das eben will ich wissen von ihr! Bekenne, Dirne! Wo ist der Mann? Wer war der Mann? Timoska! Immer herein! Habe keine Furcht: ich befehle es dir! Wer war der Mann? Er schlich durch das Pförtchen. Wir haben ihn beide genau gesehen. Ich habe ihn gesehen und der Verwalter auch.
Elga. Verwalter! Verwalter! Und stets der Verwalter! Dein Verwalter mag auf Knechte und Mägde achten! Das Bereich seiner Herrin geht ihn nichts an! Oder hättest du etwa deinen Verwalter über die Ställe und zugleich über dein Weib gesetzt?
Starschenski. Elga!
Elga. Was willst du?
Starschenski. Ich kenne dich nicht.
Elga. Die Mutter schläft und das Kind, was kommst du und machst einen sinnlosen Lärm, daß alle im Schlosse zusammenlaufen?
Starschenski. Ich will nicht Dirnen im Hause haben! Ich will nicht, daß sie in meinem Hause den Feinden des Königs Unterschlupf bieten. Mein Schild ist rein, und mein Haus soll rein sein: keine Diebshöhle, keine Herberge für Gesindel. Deshalb bekenne, Dirne, oder: hinaus! Und, Verwalter, die Hunde hinter ihr drein!
Elga, mit wildester Energie. Sie ist meine Zofe. Du wirst es nicht tun!
Starschenski. Was werde ich nicht tun?
Elga. Du wirst sie niemals davonjagen!
Starschenski. Das werde ich, so Gott mir . . .
Elga. Niemals! Oder sie und mich zugleich. – Lieber will ich in Armut leben, als zur knechtischen Dienerin deiner Knechte werden. Weise den Verwalter hinaus!
Starschenski. Elga . . .
Elga. Laß mich!
Starschenski. Komm zu dir!
Elga. Dann reize mich nicht weiter! – Dortka, hierher! Sie reißt Dortka von der Hand Starschenskis zu sich. Und dort hinein! Dortka entfernt sich weinend unter Elgas Schutz. Elga, beruhigter und mit Festigkeit. Dortka gehört mir. Ich bin ihre Richterin. – Willst du mich ferner kränken, so laß den Morgen herankommen. Gönne wenigstens meinen Gliedern bis dahin ein wenig Ruhe und Schlaf. Sie geht Dortka nach, man hört, wie sie von innen die Türe zuschließt.
Der Hausverwalter, zu Starschenski, der regungslos in sich gesunken steht. Pan Starschenski! – Pan Starschenski! – Wollt Ihr nicht zur Ruhe gehen, Pan Starschenski?
Der Speisesaal in Starschenskis Schloß, kurz vor Sonnenaufgang. Im Lehnstuhl, vor einem der hohen Fenster, Starschenski, noch wie am Abend vorher gekleidet, vor sich hinbrütend. Zwei Diener, ohne Starschenski zu bemerken, sind im Begriff, den Raum in Ordnung zu bringen.
Erster Diener. Was hat es doch gegeben heut nacht?
Zweiter Diener. Ich habe geschlafen.
Erster Diener. Der Herr hat gelärmt, und der Verwalter war die ganze Nacht auf den Beinen.
Zweiter Diener. bemerkt Starschenski. Pst! – Was ist das?
Erster Diener. Heiliger Ambrosius von Krakau!
Zweiter Diener. Es ist der Herr.
Starschenski. aufmerksam werdend. Was wollt ihr?
Erster Diener. Den Saal kehren, Herr, und den Tisch für das Frühstück bereiten.
Starschenski. Hm, das tut! – He, du!
Erster Diener. Zu dienen, Erlaucht.
Starschenski. Der Verwalter soll kommen.
Der Diener entfernt sich, Starschenski versinkt wieder in Grübelei. Der Hausverwalter tritt ein.
Der Hausverwalter, sich bemerklich machend, mit Vorsicht. Herr . . . Ihr ließet mich rufen, Herr.
Starschenski sieht ihn fremd an. Ja, – Hm.
Der Hausverwalter. Ihr ließet mich durch den Diener rufen, Herr.
Starschenski. Ja, so! Der Verwalter! – Komm her, Timoska! – Erfaßt seine Hand. Was wollt' ich doch sagen, Timoska? Ja, so: nach Warschau will ich!
Der Hausverwalter. Zu dienen, Erlaucht. Ich will den Schimmeln die Geschirre auflegen lassen.
Starschenski. Geh! – – Bist du da, Verwalter?
Der Hausverwalter. Ja, Herr.
Starschenski. Ein Arzt soll kommen.
Der Hausverwalter. Bist du krank, Herr?
Starschenski. Ich glaube wohl. Ich denke wohl, daß ich krank bin. Mich friert. Bringt mir meinen Pelz.
Der Hausverwalter. Du solltest dich niederlegen, Pan, solltest zu Bett gehen.
Starschenski, während man ihm den Pelz umlegt. Nach Warschau will ich.
Der Hausverwalter, halblaut zu den Dienern. Macht Feuer im Kamin, damit es warm wird im Saal. Der Herr friert, beeilt euch. Und heißt bald den Samowar bringen, sogleich heißen Tee für den Pan.
Starschenski. Bringt Tee! Jawohl! Es tut gut in dem Pelz. – Warum bin ich hier? Bin ich gar nicht zu Bett gewesen?
Der Hausverwalter. Nein, Herr.
Starschenski. Warum nicht? – – – Geh!
Der Hausverwalter ab. Starschenski ist aufgestanden und geht, unruhig grübelnd, hin und her. Ein Diener bringt den Samowar, gießt Tee ein, und Starschenski trinkt.
Starschenski, nachdem er getrunken. Weckt Pani Marina, sagt, ich lasse bitten.
Erster Diener. Pani Marina kommt aus der Kirche.
Marina kommt.
Starschenski, erzwungen harmlos. Guten Morgen, Mutter.
Marina. Gottes Segen, mein Sohn.
Starschenski. Ja, Gottes Segen. Komm, setz dich. Sitz und trink Tee. Wir wollen miteinander sitzen. Bringt Licht! Es soll hell um uns sein. Bringt Licht! So, Mutter. Lange haben wir nicht so allein miteinander gesessen.
Marina. Lange nicht, guter Sohn. Es liegt nicht an mir. Ich versäume die Frühmesse nie. Ihr aber geht spät zu Bett und spät aus dem Bett. Es liegt nicht an mir.
Starschenski. Ich weiß.
Marina. Es liegt mehr an euch, lieber Sohn. Doch du siehst blaß. Was fehlt dir?
Starschenski. Nichts. – Wie lange haben wir nicht so allein beim Frühstück gesessen, Mutter? Wie lange?
Marina. Beinahe drei Jahre nicht.
Starschenski. Man kann eine Leiter hinaufsteigen und wieder herabsteigen. Nicht wahr?
Marina. Ich denke wohl, lieber Sohn. Weshalb fragst du das?
Starschenski. Weil es auch eine Leiter gibt, die man nur hinaufsteigen kann, Mutter. Ich bin auf dieser Leiter sehr hoch gestiegen. Ich sah die Erde nicht mehr. Wer nun zurück wollte, müßte zerschellen.
Marina. Warum? Wir sind alle in Gottes Hand.
Starschenski. Du fragst, warum? Steigt man aufwärts, so tritt man Sprossen von Elfenbein: rückwärts sind sie verwandelt in glühendes Eisen.
Marina. Auf diese Weise müßte man fallen.
Starschenski. Jawohl! Fallen und unten zerschmettert liegen, Mutter.
Marina. Was ist das für eine seltsame Himmelsleiter, die du da meinst?
Starschenski stöhnt auf. Ich könnte nicht leben, wie ich früher gelebt! Da unten könnt' ich nicht leben! – –
Marina.– – Sonderbar bist du heut! – Komm! Ich mag dich nicht fragen, welcherlei Sorge du hast, doch vertrau auf Gott! Sieh, die Sonne steigt eben herauf hinter deinen Feldern. Höre die Vögel in deinen Gärten und über den Saaten Gott und den Frühling loben. Erfülle dein Herz mit dem neuen Morgen, ermanne dich, Sohn! – Oder bist du krank?
Starschenski. Sie loben Gott und sie loben den Frühling, Mutter! Es ist ein Jubel, der einem zum Höllenhohn werden kann. – Da unten könnt' ich nimmermehr leben!
Marina. Was meinst du damit?
Starschenski. Sieh, Mutter: Nicht alle, die den Frühling sehen, sehen den Frühling. Manche vermeinen den Frühling zu sehen und sehen ihn nicht. Ich werde es dir nicht begreiflich machen. Hier liegt das Geheimnis des Lebens! Sieh, ich weiß, dir klingt es verwirrt . . . und Gott erwählet, ach, wie wenige! Niemand weiß von dem Wunder des Frühlings zu sagen, der das nicht kennt . . . der das nicht erfahren hat, Mutter! Nur der allein, der es weiß und erfuhr, nur der allein hört Gott lachen. – Man hört Elga laut und heiter lachen im anstoßenden Zimmer. Starschenski wird bleich, erhebt sich und faßt nach dem Herzen. Mutter . . . ich . . .
Marina. Du bist ernstlich krank, Sohn. Wir müssen sogleich den Arzt rufen. Sogleich! Du fieberst! Es scheint ein Fieber im Anzug!
Starschenski. Hier hilft kein Arzt! Sei ruhig, es ist nichts. – Es war Elga, die lachte, nicht? – Ja, Mütterchen, wie ich sagte. Es ist nun so! Und es ist nicht anders! Ertrag es, Mutter, finde dich drein.
Elga kommt, ganz harmlos, mit voller, überquellender Lebensfrische.
Elga. Guten Morgen, mein Falke. – Nun? –
Marina. Deinem Gatten ist nicht wohl, Elga.
Elga. Nicht wohl? Laß sehen: kann ihn sein Weib nicht gesund machen? Krank sein ist häßlich. Pfui. Ein kranker Mann, ein häßlicher Mann! – Sie setzt sich auf seine Knie und küßt ihn. Wie? Hab' ich nicht recht? – Gelt, nun bist du gesund?
Starschenski. Elga! – Er bricht in unterdrücktes, nervöses Schluchzen aus.
Elga. Oh! Oh! Ach! Und was ist mir nun das?! Held Starschenski! He, Erlaucht! Weinen will der Held? Der starke Mann weinen, Tränen will er weinen um nichts? Heiße, salzige Tränen. Warum? – Festige dein Herz, stärke deine Glieder, und dann fort mit mir: zu Wagen, zu Pferd, durch den Wald, ins Feld! Frisch und stark muß ein Mann sein! Nicht weichmütig und matt! Als Starschenski sie glühend umarmt. So! So! Nun kommt wieder Leben in ihn! Ja, drücke mich, küsse mich! Nimm Leben von mir, ich habe genug für zwei.
Starschenski, verwandelt. Ach, Mutter, richte doch deine alten Augen auf dies Geschöpf: Ist sie nicht schön, Mutter? Ist sie nicht wie die Genesung, Mutter, so schön? Schön und mein!
Elga. Wasser verjüngt! Wasser erfrischt und verschönt! Ich bin durch den See geschwommen. Tue wie ich! Da wird alles Kranke von der Seele gespült.
Starschenski. Bleib doch, Mutter! Mir ist wieder frei und gut.
Marina. So ist mir auch, wenn dir frei und gut ist. Doch laß mich jetzt. Ich will zu dem Kinde hinein. Sie muß mich sehen, wenn sie aufwacht. Sie ist es gewohnt.
Starschenski. Gib Klein Elga an meiner Statt einen Morgenkuß. Marina nickt und entfernt sich.
Elga hat sich erhoben und vor Starschenski hingestellt. Steht mir das Kleid?
Starschenski. Ich lieb' dich so sehr! . . .
Elga. Es ist das Neuste von Paris.
Starschenski umarmt sie wiederum. Ich liebe dich so! Ich könnte dich töten, so liebe ich dich!
Elga, mit leiser Ungeduld. Wieder drückst du mich so.
Starschenski hält sie an beiden Armen. Mein Eigentum bist du! Mein Eigentum! Du bist mein kostbares Eigentum! Du bist wie ein Krug! Es gibt kein zweites Gefäß so köstlich wie dich in der weiten Welt, und wär' es aus Onyx oder Jaspis geschnitten. Man trinkt daraus den köstlichsten Wein. Nie wird es leer. Er küßt sie.
Elga macht sich los. Dortka kommt.
Dortka, ein wenig schüchtern, tritt ein. Sie stellt einen großen Strauß Veilchen auf den Tisch, einen kleineren behält sie in der Hand.
Elga. So. – Stell hierher! – Nun . . .? Schmücke den Herrn! – Nun . . .?
Dortka kniet vor Starschenski und küßt seine Hand. Verzeihung, Herr!
Starschenski nimmt den kleinen Veilchenstrauß entgegen. Steh auf, es ist gut.
Der Hausverwalter kommt.
Der Hausverwalter. Der Wagen steht vor der Türe, Herr.
Starschenski. Ein Wagen? Was für ein Wagen, Timoska?
Der Hausverwalter. Ihr wolltet nach Warschau, Herr.
Elga. Du wolltest nach Warschau?
Starschenski. Ich will es nicht mehr.
Elga faßt und zieht Timoska am Ohrläppchen. Du bist ein alter Dummkopf, Timoska! Verstehst du mich? Scheinheilig bist du! Warst auch einmal jung! Mißgönnst dem Mädchen sein bißchen Sünde! – Nun laß nur die Pferde angespannt. Wir wollen fahren, der Herr und ich. Komm, Dortka, leg mir den Mantel um. Sie geht hinaus. Dortka folgt ihr.
Starschenski hat Elga zugenickt, geht nun, allein mit dem Hausverwalter, mehrmals auf und ab, dann bleibt er stehen und wendet sich ungnädig an Timoska. Was stehst du noch?
Der Hausverwalter. Herr . . .
Starschenski. Du hast mir mit deiner Torheit übel gedient.
Der Hausverwalter. Bestrafe mich, Pan!
Starschenski. Ich sollte dich strafen, jawohl, du hast recht! Ich werde lächerlich durch dich! Soll ich, der Herr, den Liebeshändeln der Knechte und Zofen nachspüren?
Der Hausverwalter. Nein, Herr.
Starschenski. Nun also! Ich weiß, im Grunde war deine Absicht gut. Aber du sollst mich künftighin mit ähnlichen Torheiten nicht mehr behelligen. Hast du gehört?
Der Hausverwalter. Ich habe gehört.– Sollen wir heute den Hafer säen, Herr?
Starschenski. Tue, was dir gut dünkt. Der Hausverwalter ab. Die Amme kommt, Klein Elga auf dem Arme tragend. Kommt nur herein.
Die Amme. Wir suchen die Mutter.
Starschenski. Klein Elga nimmt mit dem Vater vorlieb. Er hebt sie auf seinen Arm. – So! – Was hat sie da in der Hand?
Klein Elga. Atti, Atti!
Die Amme. Atti, Atti: das soll Vater heißen.
Starschenski. Was hat sie da in der Hand, Amme?
Die Amme. Es ist das Schmuckkästchen der gnädigsten Herrin, Erlaucht. Sie will es nicht hergeben.
Marina kommt.
Starschenski. Sieh, Mutter, was für ein herrliches Spielzeug Klein Elga hat.
Marina. Ach, dahin seid ihr verschwunden! Da mag man suchen . . .
Starschenski. Klein Elga ist reich. Da, nimm sie, Mutter!
Er setzt sie der Mutter auf den Arm.
Marina. Sie hat einen Brautschmuck.
Starschenski, flüchtig verfinstert. Ich werde Klein Elga nie einem Manne geben.
Klein Elga läßt das Kästchen aus der Hand fallen.
Marina. Heb auf, Amme, schnell!
Starschenski, heiter. Der Brautschmuck zerbricht! – Er hebt das Kästchen auf, blickt hinein, wühlt mit dem Finger darin; plötzlich entdeckt er etwas und nimmt es heraus. Ei, was ist das!?
Marina. Was hast du denn da? Was war denn darin?
Starschenski, erdfahl. Nichts ist darin.
Marina. Was hast du nur wieder? – Sie gibt das Kind der Amme, die es forttragen will.
Starschenski. Bleib einmal, Amme! Stell dich dorthin mit dem Kinde! Und nun steh still! Er vergleicht ein kleines Medaillonbildnis, das er in der hohlen Hand hält, mit den Zügen des Kindes.
Marina. Was machst du doch da?
Starschenski. Komm und sieh! – Kennst du das Bildnis?
Marina. Nein.
Starschenski. Den Mann, dessen Züge es darstellt?
Marina. – Ich kenne ihn nicht, Sohn.
Starschenski. Vergleich einmal.
Marina. Was soll ich vergleichen?
Starschenski. Klein Elgas Augen und – diese Augen! Klein Elgas Brauen und – diese Brauen! Klein Elgas Haar und – dieses Haar! Ihr Kinn, ihren Mund – und diesen Mund! Du kennst den Mann!?
Marina. Nein. Ja. Vielleicht. Es ist vielleicht der Vetter Oginski.
Starschenski, furchtbar verändert, fast stammelnd. Jawohl! – Nun . . . was . . .? . . . Ach, laß mich! . . . Es . . . es geht schon vorüber. – Freilich ja, es ist Oginski! – Jetzt kenn' ich ihn! Der Vetter und Bettler und feige Schleicher! Der schlechte, kriechende, stinkende Hund! Laß . . . laß . . . ich glaube, ihr holt den Arzt . . . man will mich erwürgen . . .
Marina. Gott im Himmel!
Starschenski, mit gewaltsamer Fassung, halb irrsinnig. Still, Mutter, still, komm, setze dich her. Erzähle mir was. Ich bitte dich: du weißt mehr als ich! Du hast den Starosten von Laschek gekannt. Was ist es mit diesem Vetter Oginski? Was braucht sie ein Bild von dem Vetter Oginski?
Marina. So sei doch erst ruhig. Mäßige dich. Die Amme mit dem Kinde ist hier.
Starschenski. Was geht mich das Kind an! Fort! Hinaus! – Die Amme mit dem Kinde entfernt sich. Oh, Mutter, bete! Binde mich fest! Oh, Jesus Christus, sonst mord' ich mein Kind.
Marina. So helfe dir Gott in Gnaden, mein Sohn! Was hast du? Was ist mit dir vorgefallen?
Starschenski, trocken, hart, zitternd. Ich hab' wohl ein Fieber, wie du sagst, doch laß es gut sein, es scheint vorüber. Doch, Mutter, bleibe; eins muß ich wissen – sieh, daß es klar wird innen bei mir. Erzähle mir von dem Vetter Oginski.
Marina. Was soll ich erzählen? Du weißt es ja. Er war im Hause des alten Starosten. Er ist mit Elga zusammen erzogen. Mehr weiß ich nicht.
Starschenski erhebt sich, zieht die Hausschelle. Mehr weißt du nicht. – Doch ich muß mehr wissen! Alles!! Nun muß ich alles wissen. Der Hausverwalter tritt ein. Ich fahre nach Warschau, wie es bestimmt ist. – Der Hausverwalter ab. Zur Mutter. Leb wohl! Starschenski entfernt sich schnell.
Marina blickt ihrem Sohne kopfschüttelnd nach.
Elga kommt, bereit zur Ausfahrt.
Elga. Ich bin bereit. – Wo ist der Graf?
Marina. Nach Warschau, mein Kindchen.
Ein Saal im Schloß. Abend. Marina sitzt bei Licht am Stickrahmen. Elga geht langsam umher.
Elga. Ich verstehe nicht, was er in Warschau tut, nun schon den dritten Tag.
Marina. Ich auch nicht.
Elga. Und daß er den Verwalter mit sich genommen hat.
Marina. Ja, das ist auch nicht gut. Die Bauern kommen und fragen nach der Arbeit. Man weiß nicht, was man ihnen da antworten soll.
Elga. Es ist auch so furchtbar langweilig. Weißt du, Mutter, ich langweile mich so leicht. Ich fürchte die Langeweile wie ein großes, scheußliches Untier mit schläfrigen Augen und triefigem Maul. Puh!
Marina. Ich langweile mich nie, mein Kind.
Elga. Das begreif ich nicht.
Marina. Siehst du, es war bei uns nicht wie bei euch. Mein Vater war streng. Ich habe nur immer daheim getan, was ich sollte, nie, was ich wollte. Einem verflogenen Flaumfederchen mußt' ich über drei Zäune nachklettern. Da war mir der Tag immer zu kurz. Du tatest daheim, was du wolltest – und wolltest meist nichts tun: so hast du's denn mit der Langenweile.
Elga. Ja, wozu sollte man sollen, Mutter?
Marina. Man soll, weil man soll.
Elga. Das verstehe ich nicht. Ich habe schon einigemal steile Berge mühsam erstiegen. Es lockte mich etwas hinauf . . . ich wollte der Sonne, dem Himmel oder dem lieben Gott näher sein; was weiß ich! Allein, sofern ich das nicht gewollt hätte, Mutter, dann wäre ich sicherlich unten geblieben. Ich ersteige den Berg nicht, weil ich soll: die Langeweile peitschte mich denn.
Marina. Ihr Lascheks seid ein anderes Geschlecht: eigenwillig, leichten Sinnes, immer bereit, alles aufs Spiel zu setzen. – Deshalb verlort ihr auch alles.
Elga. Und gewannen es wieder.
Marina. Du vielleicht.
Elga. Freilich, ich!
Marina. Und kannst es wieder verlieren.
Elga. Freilich wohl! Auf und ab, immer auf und ab geht der Weg, und er schlängelt sich. Es ist besser, als immer alles auf grader Linie und in gleicher Ebene leben. Das Tier Langeweile ist steif wie ein Krokodil: Hügel auf, Hügel ab kann es schlecht folgen. Auch wenden kann es sich schlecht.
Marina, über der Arbeit sorgenvoll aufblickend. Hast du denn gar keinen Sinn für ruhiges Glück?
Elga. Wenig.
Marina. Wer so lebt, lebt in beständiger, großer Gefahr.
Elga. Das ist es eben. Das macht mir das Leben erst lebenswert. Der Tod geht einem zur Seite, fast sichtbarlich, und jagt einen immer tiefer ins Leben: hie kalt, hie heiß, hie Grausen, hie Glück.
Marina. Rede nicht so. Um Gott! Wer wird so vom Tode reden!
Elga. Ich stehe ganz gut mit ihm, besser, als ihr mir zutraut. Er verdirbt mir die Laune nicht halb so wie euch. Als ich damals am Krankenbette des Vaters stand, ohne Brot, ohne Geld, in einer Spelunke von Warschau, da rief ich ihn und erkannt' ich ihn. Und weißt du, was er mich lehrte, Mutter? Er lehrte mich lachen! Er lehrte mich auf eine ganz besondere Weise über vielerlei ernste Dinge des Lebens lachen. – Doch larifari! Noch lebe ich gern! – Wenn nur Starschenski heimkäme.
Marina. Da ist Timoska.
Der Hausverwalter ist eingetreten.
Der Hausverwalter, zu Marina. Guten Abend, Herrin.
Marina. Wo ist dein Herr?
Der Hausverwalter. Er hat mich vorausgeschickt, Herrin! Ich soll bestellen, Herrin . . .
Marina. Was sollst du bestellen? Komm doch zu Atem!
Der Hausverwalter. Es kommt ein Gast mit dem Herrn. Sie sind hungrig und durstig. Ich soll bestellen, daß man die Tafel herrichtet.
Marina. Gelobt sei Gott, wenn es nichts Schlimmres ist! Mußt du einen deshalb so erschrecken?
Elga. Wer ist der Gast?
Der Hausverwalter, lauernd. Ich kenne ihn nicht.
Elga. Wer kann es sein, Mutter?
Marina. Das frag' ich dich. Es ist nie seine Gewohnheit gewesen. Doch willkommen der Gast, wenn er fröhlich ist. Er möge uns allen die Stunden aufheitern. Der Hausverwalter ab. Ein Wagen fährt vor. Sie sind schon hier. Ich erkenne den Sohn am Schritt.
Elga, erblassend. Den Schritt deines Sohnes erkennst du?
Marina. Geh du ihm entgegen, so bleib ich zurück.
Elga. Nein, Mütterchen, geh.
Marina, ihrem Sohne entgegen, ab. Von einer anderen Seite Dortka heftig herein.
Dortka, mit heimlichem Freudenausbruch. Herrin, wer kommt? Wer kommt mit Erlaucht, dem Herrn Grafen, die Treppe herauf?
Elga. Still! Ich weiß!
Starschenskis Stimme, noch auf der Treppe. Elga, mein Täubchen!
Elga. Fort! Daß er dich hier nicht sieht. Dortka ab. Starschenski tritt ein.
Starschenski, verändert, von Trunk und Leidenschaft merklich aufgeregt. Guten Abend, mein Täubchen.
Elga. Bist lange ausgeblieben.
Starschenski. Ja. Aber nun schilt mich nicht: ich habe dir etwas mitgebracht.
Elga. Was hast du mir mitgebracht?
Starschenski. Rate!
Elga. Seidene Hemden, um die ich dich bat?
Starschenski. Ja. Seidene Hemden sind unten im Wagen. Ich habe die kostbarsten ausgesucht. Indessen ich habe noch mehr mitgebracht, noch etwas. Rate!
Elga. Ich habe dich sonst um nichts gebeten. Ich weiß es nicht.
Starschenski. Den Vetter Oginski habe ich dir mitgebracht! –?
Elga, scheinbar ungläubig lachend, gibt ihm einen leichten Backenstreich. Ach! Narr, der du bist!
Starschenski, unsicher. Freust du dich nicht?
Elga. Worüber sollt' ich mich freuen? Über Vetter Oginski sollt' ich mich freuen?
Starschenski. Über Vetter Oginski!
Elga. Habe ich dir nicht meine Meinung gesagt? Doch nun er schon hier ist, wenn du nicht scherzest: was soll man da tun? Er mag da sein oder nicht, ich kann es nicht ändern.
Starschenski. Komm herein, lieber Vetter! Drücke dich nicht an den Wänden herum. Oginski tritt ein.
Oginski. Wann hätte ich das wohl getan? Es beliebt Euch zu scherzen, Erlaucht! – Euer Diener, gnädigste Gräfin.
Elga. Guten Abend, Vetter!
Starschenski. Verzeiht mir, Pan Oginski. Ich wußte nicht, wie es mir kam. Dies ist ein alter Herrensitz. Und besonders die Wände im Treppenhaus sind immer feucht, schwammig und giftig. Es wäre mir leid um Euren kostbaren, neuen Rock. – Kommt, setzet Euch, seid mein Gast und mein Freund! – Wie ist es dir ergangen, mein Täubchen, seit ich fort war? Hast dich gesehnt nach mir? Sie sehnt sich nach mir, Pan Oginski. Wie das Kind den Stieglitz, hält sie mich festgebunden am Bein. Ich gehe nur eine halbe Werst hinaus ins Feld, so sehnt sie sich schon. Nicht wahr, mein Täubchen?
Elga. Du redest Unsinn, Starschenski.
Starschenski. So? Rede ich Unsinn? Es mag wohl sein! Wir waren in Warschau ein wenig wild, wir beide. Nicht wahr, Oginski? Aber Freunde sind wir geworden!
Elga. Höre, du! Du solltest heute abend nicht mehr Wein trinken.
Starschenski. Weshalb nicht?
Elga. Du solltest heut abend nicht mehr trinken, glaube mir.
Starschenski, den Arm um Elga legend. Ist sie nicht schön, Oginski?
Elga. Laß mich frei.
Starschenski. Ist ihr Mund nicht süß und zart, wie eines saugenden Kindes Mund . . .
Elga. Du sollst mich lassen!
Starschenski. . . . und keusch, noch nicht entwöhnt von der Mutterbrust?! Es ist ein gefährlicher Mund! Sieh, wie es zuckt um diesen gefährlichen Mund, Oginski! Reise durch Polen und Rußland, durch alle Orte, Steppen und Wälder Asiens, so findest du keinen Mund wie diesen und so verführerisch.
Elga. Laß mich los! Verzeih ihm, Vetter! – Du bist betrunken! Sie geht hinaus.
Oginski. Ihr seid nicht gut zu Eurem Weibe.
Starschenski. Nein!
Oginski. Ihr solltet besser zu Eurem Weibe sein.
Starschenski. – Ich sollte mein Weib mit Ruten züchtigen!
Oginski. Hm. – Weshalb bin ich hier? – Die Leute haben mir manches von Euch erzählt. Zuweilen haben auch Elgas Brüder von Euch gesprochen: ich habe gedacht, Ihr wäret ein Edelmann.
Starschenski. Was hab' ich nun von Euch gedacht? Was seid denn Ihr? – Ich weiß es nicht.
Oginski. Laßt das, Pan Starschenski. Ich tat sehr übel, daß ich Euch folgte. Was soll ich hier? Ich habe die Menschen niemals geliebt! Was zerrest du mich hervor aus meiner Verborgenheit? So leb jetzt wohl.
Starschenski. Nein, Pan Oginski, ich lasse Euch nicht.
Oginski. Was willst du von mir?
Starschenski. Deine Freundschaft will ich.
Oginski. Das ist nicht wahr!
Starschenski. So helfe mir Gott! – Setz dich, Freund! Trink diesen Wein, er ist trefflich gut. Jetzt bin ich ein anderer: verzeih mir. Verzeih mir, wenn ich mich übel hielt. Trink und verzeihe.
Oginski. Ich habe nichts zu verzeihen, Pan.
Starschenski. – So sage mir eins. Trink und sage mir eins: Du kanntest Elga von Kindheit an?
Oginski. Ja.
Starschenski. Ihr habt miteinander als Kinder gespielt?
Oginski. Sie spielte mit mir.
Starschenski. Sie hatte dich gern?
Oginski. Vielleicht.
Starschenski. Du hattest sie gern?
Oginski. Ich nicht, denn sie war nicht liebenswert.
Starschenski. Du hattest Elga nicht gern?
Oginski. Ich sage die Wahrheit.
Starschenski. Sie war nicht schön?
Oginski. Nein, Pan.
Starschenski. Das lügst du, Pan.
Oginski erhebt sich.
Starschenski. Bleib, setze dich.
Oginski. Es ist genug.
Starschenski. Elga ist schön. Sag, daß sie schön ist!
Oginski. Es ist genug.
Starschenski. Ich könnte dich töten – und küssen, wenn du nicht lögst. Gib mir die Hand! Bruder, gib mir die Hand.
Oginski. Was wollt Ihr damit?
Starschenski. Ich habe dich Lügner genannt. Verzeih!
Oginski. Wir lügen alle.
Starschenski. So logst du jetzt?
Oginski, kalt. Das sag' ich nicht.
Starschenski. Nimm dich in acht! – Oder habe Mitleid! –
Er läßt den Kopf auf den Tisch sinken und röchelt.
Oginski, sich erhebend, mit grausamer Kälte. Was nützt Euch Mitleid, Erlaucht? Mitleid ist zehnfache Pein. Ich habe die zehnfache Pein gefühlt. Wollte Gott Mitleid zeigen mit einem Manne, der unterliegt, so wäre er nicht ein Gott der Gnade und Milde. Fordere kein Mitleid, Pan.
Starschenski, sich ermannend, fest. Ich fordere es nicht!
Elga kommt wieder, reich gekleidet.
Elga, leichthin. Bist du nun wieder nüchtern, Freund?
Starschenski. Ich denke, ja. Komm und plaudere mit uns.
Elga. Gut. Die Tafel wird schon gerichtet, gleich ruft man uns. Was habt ihr für Wein?
Starschenski. Koste.
Elga. Wie hast du gelebt, Oginski, seit wir uns nicht gesehen?
Starschenski, schnell. Wie lange saht ihr euch nicht?
Elga, zu Oginski. Nun, sprich: wie lange?
Oginski. Ich zähle die Tage nicht. Sie kommen und gehen, es gilt mir gleich.
Elga. Pfui, hast dich gar nicht nach deiner alten Gespielin gesehnt? Weißt du noch, wie das war, Oginski? Ich lief schneller als ihr. Ich sprang weiter als ihr. Bei euren Kriegen führte ich euch an. Ich war eure Herrin. Ihr Knaben mußtet mir folgen, nach meinem Willen tun, allesamt. Oh, wie lustig war das!
Oginski, angewidert. Ich bitt' euch, laßt mich. Ich kann nicht lachen und lustig sein.
Starschenski. Was tut's? Ich auch nicht. Sie tut es für uns. – Ich will euch erzählen, was ich geträumt habe. Ich träumte von einem jungen Weibe. Es ist so. Ja. Das Weib war nackt, und es tanzte die ganze Nacht . . . sie tanzte, tanzte, tanzte auf eine qualvolle Weise vor mir. – Nun aber gib acht: worauf tanzte das Weib? Denkt euch den Mond kalkbleich! Der kalkbleiche, geisterhaft blasse, wie vor Entsetzen blasse Mond schien über ein weites, unendlich weites, gebirgiges Land. In diesem weiten, gebirgigen Lande, das war wie ein im Sturme erstarrtes Meer, wuchs nichts, kein Halm, weder Baum noch Strauch. Es kam mir im Traume vor, als seien die Berge getürmt und die Täler gefüllt mit Menschenknochen und Menschenschädeln. Darüber tanzte das Weib.
Elga. Hu, seltsame Träume hast du. Höre doch auf, mich schaudert's.
Oginski. Aber der Traum ist noch nicht zu Ende, Pan.
Starschenski. So bring ihn zu Ende. Erzähle du.
Oginski. Ich kann nicht erzählen.
Elga. Er bittet dich und ich bitte dich: tu's.
Oginski. Gut, so hört: Ich habe das Weib wie du gesehen, das über die Schädel tanzt. Es war schön . . .
Starschenski. Schön wie Elga.
Oginski. Es war schön und war nackt . . .
Starschenski. Und ihr Leib war wie Elgas Leib.
Oginski. Doch das Seltsamste waren die Augen an ihr. Aus ihnen hervor kam zuweilen ein Licht, das den Mond verdunkelte. Aus ihnen hervor quoll dann wieder der Tod und die Nacht. Sie hatte Augen . . .
Starschenski. Wie Elgas Augen.
Elga. So höre doch auf!
Oginski. Die konnten, in meinem Traum, die Täler und Berge grünen machen mit einem Blick: ich meine die Augen, von denen ich sprach. Da flossen die Bäche, da fingen die Birken an zu duften . . .
Starschenski. Ja, so war's.
Oginski. Dann wiederum fuhr dir derselbe Blick ins Herz wie Gift.
Elga erhebt sich, geht langsam hinaus. Es friert mich bei euren Geschichten. Gute Nacht!
Starschenski, allein mit Oginski, erhebt sich düster und feierlich. Pan Oginski, ich denke, nun wollen auch wir zu Ende kommen.
Oginski. Ja. Heut oder morgen, einerlei!
Starschenski. Ich denke, heut! – Mit Bedeutung. Gute Nacht also!
Oginski, ebenso. Gute Nacht.
Starschenski. Du wirst die Sonne des morgigen Tages nicht mehr sehen, Oginski.
Oginski, bitter ironisch. Du auch nicht, Pan.
Starschenski. Mag sein. – Aber du wirst eines schmachvollen Todes sterben.
Oginski. Du lebst ein schmachvolles Leben.
Starschenski. Mag sein. – Ich möchte dich nicht auf einen bloßen Verdacht hin richten . . .
Oginski. Sei unbesorgt.
Starschenski. Sie hat in deinen Armen geruht?
Oginski, mit unverhohlenem Triumph. Ich habe gelebt!
Starschenski. Wohlan! – Er schlägt mit dem Degen dreimal auf den Tisch, der Hausverwalter und Bewaffnete stürzen herein. Tut euer Werk!
Er geht. Die Bewaffneten binden und knebeln Oginski schnell und schleppen ihn fort. Der Raum bleibt leer, längere Stille. Danach kommt Dortka, in höchster Angst.
Dortka. Herrin! Herrin! Pani Elga!
Elga kommt.
Elga. Dortka, was schreist du so?
Dortka. Es ist gut, Pani Elga, daß ich Euch treffe.
Elga. Warum ist es gut?
Dortka. Hinten im Garten, wo der alte Wartturm steht . . . seht, es ist Licht darin.
Elga. Was weiter?
Dortka. Leute gehen herum mit Windlichtern.
Elga. Was tun sie dort?
Dortka. Leute mit Waffen.
Elga. Geh, du träumst.
Starschenski ist aus einer Tür hervorgetreten und hält den Blick starr auf Elga gerichtet. Er ist leichenfahl im Gesicht.
Elga. Pan Starschenski, was soll dies bedeuten?
Starschenski. Es bedeutet nichts.
Elga. Dann gute Nacht und morgen mehr.
Starschenski. Du kannst jetzt nicht schlafen, Elga. Du mußt deinen Mantel nehmen und mit mir gehn.
Elga. Du bist ertrunken in lauter Torheit, Pan.
Starschenski. In Torheit ertrunken, nicht übel! Dortka, geh! Suche den Hausverwalter auf und frage dies: Hast du des Herren Gebot verrichtet? Dann bring mir Bescheid. Dortka ab. – Elga, steh auf und folge mir.
Elga. Das werde ich nicht. Ich folge dir nicht.
Starschenski. Du willst nicht?
Elga. Nein.
Starschenski. So bleib und sage mir eins . . .
Elga. Du bist zum Narren geworden, ich weiß nicht, wodurch.
Starschenski. Vielleicht durch dich.
Elga. Dann laß mich frei und behalte das Deine, Starschenski. Viel lieber in Armut und bitterstem Elend leben als so!
Starschenski. Ich soll das Meine behalten? Was läßt du mir übrig?
Elga. Soviel du willst! Du bist meiner überdrüssig! Ich fühl' es wohl. Ich bin dir zuwider: so laß mich gehn!
Starschenski. Zum Vetter Oginski.
Elga. Was sagst du da?
Starschenski. Zum Vetter Oginski würdest du gehn.
Elga. – – Nun denn –: wohin ich ginge, das stände bei mir! –
Sie steht auf, geht umher.
Starschenski. Wenn du es kannst, so leugne! Höre und sprich: Du und Oginski, ihr waret einander verlobt, eh du mich kanntest?
Elga. So höre auch du nun. Ich bin es müde. Hat Oginski geschwatzt im Trunk, wohlan: wir waren Kinder, er und ich. Dir aber sage ich: Wir sind zu alt, um jetzt noch Kinder zu sein! So plage mich nicht mit Vergangenem! Plag mich nicht mit dem Vetter Oginski! Oder laß mich gehn.
Starschenski. So liebst du Oginski nicht mehr? Sage das eine: liebst du ihn jetzt nicht mehr?
Elga. Wäre ich mit dir gegangen? Wäre ich dein Weib geworden? Es ist mir in deiner Welt nicht immer heimisch gewesen! Gemeinsame Kindheit, gemeinsame Welt.
Starschenski. Gemeinsames Paradies vielleicht.
Elga. Meinethalben auch das! Nun, ich wurde dein Weib,, was mehr?
Starschenski. Liebst du denn mich?
Elga. Nein! – Jetzt lieb' ich dich nicht! Weil du mich quälest und folterst, lieb' ich dich nicht. Aber einst ging ich mit dir und war mit dir fröhlich. Glücklich und fröhlich war ich mit dir: und wo ich glücklich und fröhlich sein kann, Pan, da liebe ich auch.
Starschenski. So komm!
Elga. Wohin soll ich jetzt mit dir gehen? Ich bleibe hier – oder gehe allein. Krank bist du und solltest zum Arzt. Aus ehrlicher Seele gesprochen: ich habe Angst. Ich fürchte mich jetzt, mit dir zu gehn.
Starschenski. So sage das eine: Liebst du Oginski jetzt nicht mehr?
Elga. Ich sage: nein!
Starschenski. Tot oder lebend ist er dir gleich?
Elga. Er lebt nicht für mich! Er stirbt nicht für mich!
Starschenski. So komm! –
Er hat sie mit eisernem Griff um das Handgelenk gefaßt und führt sie mit sich.
Verwandlung. Das Gemach der ersten Szene, damals noch im alleinstehenden Wartturm gelegen. Rechts und links vor dem verhangenen Bett hohe vergoldete Standleuchter mit unangezündeten Kerzen. Nacht, Mondschein. Der Hausverwalter vor dem Bett mit einem langen, entblößten Schwert. Dortka kommt.
Dortka. Was ist das für eine Nacht! – Bist du hier, Timoska?
Der Hausverwalter. Ja. Was willst du?
Dortka. Erlaucht, unser Herr, schickt mich. Hast du des Herrn Gebot verrichtet, soll ich dich fragen.
Der Hausverwalter. Ich denke wohl. Geh und sage dem Herrn: Der tote Wolf frißt kein lebendiges Schaf. – Du hast hier nichts mehr zu suchen. Was stehst du noch?
Dortka, zitternd. Verwalter, was hast du vor?
Der Hausverwalter. Frage den Herrn.
Dortka. Mich grauset's, wenn ich dich ansehe, ich weiß nicht, warum.
Der Hausverwalter. Ja, du hast Grund zum Grausen.
Dortka. Ich?
Der Hausverwalter. Ja, du.
Dortka. Was habe ich getan?
Der Hausverwalter. Dirne, du weißt es!
Dortka. Timoska, habe Erbarmen mit mir. Ich weiß es nicht.
Der Hausverwalter. Habt ihr Erbarmen gehabt mit meinem Herrn?
Dortka. Mit deinem Herrn, Timoska?
Der Hausverwalter. Was habt ihr aus ihm gemacht? Reich, jung und gütig vor wenig Tagen, ist er heut alt, arm und voll Haß.
Dortka. Und ich? Mir gibst du die Schuld?
Der Hausverwalter. Wahrlich nicht dir allein. Dir und der ganzen Brut! Ich hasse die Lascheks, sie haben den Fluch.
Dortka. Was hab' ich doch mit den Lascheks gemein? Der Herrin hab' ich gedient, sonst nichts.
Der Hausverwalter. Sie ist keine Herrin. Sie ist eine Dirne wie du!
Dortka. Es ist nicht wahr. Die Leute lügen, wenn sie das reden. Ihr seid verblendet: es ist nicht wahr!
Der Hausverwalter. Wir wissen es. Sie ist keine Herrin. Nein. Sie ist ein Teufel. Sie war eine Dirne, als er die Bettlerin fand in den Straßen von Warschau. Ein Ungeziefer, das er auflas und heimbrachte. Ich und Pani Marina wußten es. Sie steckte ihre Hände in seine Taschen. Die Brüder steckten die Hände hinein. Ein Vampir ist sie und trank ihm das Blut aus der Brust. Jetzt hebe dich weg, man kommt, errette dein Leben.
Dortka ab. Starschenski erscheint in der Tür.
Starschenski, nach rückwärts sprechend. Es ist nichts: doch komm herauf. Es ist um einer nichtigen Sache willen, ich geb' es zu: aber komm herauf!
Elgas Stimme. Ich gehe nicht weiter.
Starschenski. Du kannst nicht zurück! Es sind Bewaffnete vor der Tür, du kannst nicht zurück! Du setzest dein Leben aufs Spiel, wenn du ohne mich rückwärts gehst. Komm getrost herauf! Oder fürchtest du dich?
Elga tritt ein im Mantel.
Elga, verbissen und fest. Nein!
Starschenski. Es ist kalt dort unten. So ist es recht. Es ist hier wärmer. Hast du gesehen? Es hat einen harten Frost gegeben die Nacht. Wir sind über einen weißen Teppich von Blütenblättern gegangen durch den ganzen Garten, vom Schloß bis hierher. Bist du jemals den Weg gegangen?
Elga, zu Timoska. Wer bist du? Wer ist der Mann, der dort steht?
Starschenski. Komm, ich will dir den Mantel abnehmen. Der alte Timoska ist es. Setze dich. – Jawohl, es ist ein seltsam dumpfes Gemach. Ich begreife wohl: unheimlich für jeden, der es zum ersten Mal betritt. Es ist, als hätten hier seit dem Anfang der Welt Gespenster und nur Gespenster gehaust. Du bist noch niemals hier oben gewesen?
Elga. Du weißt es, ich bin hier oben gewesen, was fragst du mich?!
Starschenski. Ich wußte es nicht. Wievielmal wohl bist du hier oben in dieser verfluchten Kammer gewesen?
Elga, düster, trotzig. Viele Male.
Starschenski. Weißt du es auch, was hinter dem Vorhang ist?
Elga. War ich hier oben, so weiß ich, was hinter dem Vorhang ist.
Starschenski. So sage mir deutlich, was es ist. Ich frage mit gutem Grund und erwarte die Antwort. – Du meinst, daß ein Bett hinter diesem Vorhang ist?
Elga. Nun also, was sonst?
Starschenski. Es ist noch mehr! Kennst du die Sage, die man sich in den Hütten der Knechte, auf den Schlössern im Umkreis und auf der Gasse erzählt von dem alten Gemach und der Lagerstatt?
Elga. Ich kenne sie nicht und will sie nicht wissen. Jetzt ist es genug, ich gehe!
Starschenski. Setze dich nicht in Gefahr, du weißt! Und bleib. Timoska wird dir die Sage erzählen. Der Alte kennt sie.
Der Hausverwalter beginnt laut und langsam ein Pergament abzulesen. Es lebte vor alten Zeiten ein treuer Mann und reicher Graf. Er lebte für sich und in Frieden mit seiner erlauchten Mutter. Endlich aber hing er sein Herz an ein Weib . . .
Starschenski. Und habt Ihr alles genau nach meinem Befehle verrichtet?
Der Hausverwalter. Aufs Wort genau.
Starschenski. So daß auch das Letzte zu tun nicht mehr übrigbleibt?
Der Hausverwalter. Nein. Es ist alles getan und nichts mehr übrig.
Starschenski. Erzähle weiter.
Der Hausverwalter. Doch es war eine Grube voll Schlangen und kein Weib. Sie log und betrog ihn, der redlich und ohne Falschheit war. Sie verriet ihn und überschüttete ihn mit Schande.
Starschenski. Wo tat sie das?
Der Hausverwalter weist auf das Bett. Hier, Graf Starschenski.
Starschenski. Auf diesem Lager, meinst du?
Der Hausverwalter. Ja.
Elga. Wahnsinnig seid ihr! Zu Hilfe! Zu Hilfe! – Sie preßt sich, wie gejagt, zitternd an die Wand.
Starschenski, ruhig. Pani Elga, sei still, es geschieht dir nichts. – Entzünde die Lichter.
Der Hausverwalter. Ja, Herr, sogleich. – Er steckt die Kerzen der Standleuchter an.
Elga, wie irrsinnig, starrt in die Lichter. Dortka! Oginski! Mich drückt ein Alp! Ich will nicht träumen! Weck mich, Dortka! Der Vorhang ist schwarz! Warum sah ich es nicht? Ich habe den Traum von den Leuchtern schon einmal geträumt. Warum weckst du mich nicht? Ich will nicht träumen!
Starschenski. Still, Herrin, still, dir geschieht kein Leid. Du träumst auch nicht, Herrin, sondern du wachst. Doch lüge nicht! Lüge in dieser furchtbaren Stunde nicht! Du bist voll Makel! Du bist nicht rein. Und dennoch: liebst du Oginski nicht mehr – so sprich ein Wort!
Elga, fast winselnd, in wahnwitziger Angst. Ich habe gesprochen, du glaubst mir nicht.
Starschenski. Bei Gottes Liebe, wenn es die Wahrheit ist, so bist du mir rein: dann tritt zu mir her – und sei mein Weib!
In diesem Augenblick – die Lichter sind alle angezündet –, geht auf einen Wink Starschenskis der Vorhang auseinander, und man erblickt Oginski erdrosselt auf dem Bette liegen. Elga, eben im Begriff, den Worten Starschenskis zu folgen und zu ihm zu treten, wird beim plötzlichen Anblick des Toten von einer tiefen Starrheit erfaßt. Es scheint, als würde sie, vollkommen willenlos, von dem Toten an sich gezogen. Dumpf röchelnd wirft sie sich über die Leiche. Nach längerem Stillschweigen beginnt Starschenski mit veränderter, bewegter Stimme.
Starschenski. Elga!
Elga antwortet nicht.
Starschenski, dringender und inniger, sich ihr nähernd. Elga!
Elga fährt herum, haßerfüllt, wie eine Wölfin, die ihr Junges verteidigt. Rühr ihn nicht an!
Starschenski, begütigend, fast flehentlich. Elga
Elga richtet sich langsam auf und weicht voll Haß, Grauen und Ekel vor ihm zurück; dann bricht sie los. Ich hasse dich! Ich speie dich an!
Eine tiefe Finsternis senkt sich über den Raum. Man hört leise den Chorgesang der Mönche, wie in der ersten Szene. Die Morgendämmerung dringt durch die Fenster. Man unterscheidet allmählich die Silhouette des deutschen Ritters gegen den sich langsam rötenden Morgenhimmel; sonst ist das Gemach leer. Die schwarzen Vorhänge des leeren Bettes sind geöffnet. Es pocht.
Der Ritter. Wer ist da? Herein!
Der Diener tritt ein. Es ist Zeit, daß wir abreiten, Herr, wir müssen fort.
Der Ritter. Nun, Peter, du bist mir willkommen. Hinaus! Aufs Pferd! Und hinein in die helle, lebendige Welt!
Der Diener. Sollen wir ohne Frühstück abreiten? Die Brüder sind bei der Frühmesse.
Der Ritter. Flugs hinaus! Ich möchte keinem der Brüder wieder begegnen! – Es hat mich einer von ihnen noch gestern zur Nacht besucht. Hinaus in die Frühe! Hinaus aufs Pferd! Es lag ein schwerer Alp auf mir, schwer bis zum Tod. Gott sei uns gnädig! Ich werde noch lange an diese Nacht im Kloster zurückdenken.