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Zeit: nachmittags zwischen vier und fünf. Am Tisch sitzen Käthe und Frau Vockerat. Käthe mit Nähen eines Kinderhemdchens beschäftigt, Frau Vockerat mit Stricken. Käthe stark abgehärmt. Es vergehen einige Sekunden. Johannes kommt aus dem Studierzimmer. Er hat den Hut noch nicht recht festgesetzt, den Sommerüberzieher noch nicht ganz angezogen und ist im Begriff auszugehen.
Johannes. Ist Anna fort?
Frau Vockerat, verschnaufend. Eben hinaus.
Johannes ist zu Käthe getreten und küßt sie auf die Stirn. Nimmst du auch dein Tränkchen regelmäßig?
Frau Vockerat. Ach, die dumme Medizin! die nutzt was Rechts. Ich wüßte schon, was besser nützte.
Johannes. Ach Mutter, Mutter!!
Frau Vockerat. Ich bin ja schon stille.
Frau Käthe. Ja, ja! ich nehm' sie schon. Mir ist ja überhaupt nichts.
Johannes. Du siehst auch heut tatsächlich besser aus.
Frau Käthe. Mir ist auch besser.
Johannes. Na schon dich nur recht. Adieu! Wir kommen bald wieder.
Frau Käthe. Geht ihr weit?
Johannes. Nur'n bißchen in den Wald. Wiedersehen! Ab über die Veranda. Kleine Pause. Man hört das Brausen und Rauschen eines Eisenbahnzuges. Hierauf Läuten der Bahnglocke fern.
Frau Vockerat. Horch mal, die Bahnhofsglocke.
Frau Käthe. Der Wind trägt den Schall, Mutti! Sie läßt die Arbeit sinken und versinnt sich.
Frau Vockerat, flüchtig aufblickend. Worüber denkst du denn nach, Käthemiezel?
Frau Käthe, weiterarbeitend. Ach – über allerhand.
Frau Vockerat. Über was denn zum Beispiel?
Frau Käthe. Ob es zum Beispiel Menschen geben mag, die nichts zu bereuen haben.
Frau Vockerat. Sicher nicht, Käthchen!
Frau Käthe, der Schwiegermutter die Näherei hinhaltend. Ob ich Kettelstich nehme – hier rum, Mutti? Sie faßt das Hemdchen oben und unten und spannt es auseinander. Ich denke, es wird lang genug sein.
Frau Vockerat. Ja nicht zu kurz. Lieber bißchen zu lang. Die Kinder wachsen zu schnell. Beide arbeiten emsig weiter. Kleine Pause.
Frau Käthe, unterm Nähen. Hannes hat manchmal recht zu leiden gehabt – unter meinen Launen. Er hat mir oft genug leid getan. Aber man kann eben nicht gegen seine Natur: das ist das Unglück! Kurz und bitter in sich hineinlachend. Man war allzu sicher. Man hat sich's nicht wahrgenommen. Sie seufzt. – Da fällt mir ein bei dem Hemd: in Gnadenfrei – da war eine alte Wärterin . . . in der Anstalt. Die hatte ihr selbstgewebtes Totenhemd schon jahrelang im Schubfach liegen. Das zeigte sie mir mal. Da wurd' ich ganz melancholisch.
Frau Vockerat. Die alte, überspannte Person. Kleine Pause.
Frau Käthe, unterm Nähen. Der kleine Fiedler ist ein lieber Kerl. Gestern nahm ich ihn 'n bißchen rauf und zeigte ihm Bilder. Da fragt' er mich: »Nich wahr, Tante Käthe, der Schmetterling is der Mann und die Libelle is seine Frau?«
Frau Vockerat, gutmütig lachend.
Frau Käthe. Das dumme Herzel! Und dann tippte es mir auf die Augenlider und fragte: »Schlafen da die Augen drin?«
Frau Vockerat. Zu niedlich sind Kinder manchmal.
Frau Käthe, mit einer sanften, wehmütigen Lustigkeit. Und dann sagt er immer Punken statt Funken. Damit neck' ich ihn immer.
Frau Vockerat. Zu drollig: »Punken«. Sie lacht.
Frau Käthe läßt die Arbeit in den Schoß sinken. Und was man sich so für Schmerzen macht als Kind. Ich weiß noch, als ich klein war, jahrelang – wo nur ein Kartoffelfeld kam – da hab' ich den lieben Gott inbrünstig gebeten: Ach, lieber Gott! laß mich doch nur ein einziges Mal einen großen Totenkopfschmetterling finden. – Ich hab' aber nie einen gefunden. – Sie erhebt sich müde. Seufzend. Später hat man andre Schmerzen.
Frau Vockerat. Wo willst du denn hin? Bleib doch noch 'n bißchen.
Frau Käthe. Ich muß nachsehen, ob Philippchen wach ist.
Frau Vockerat. Käthe, nicht so unruhig! Es wird alles besorgt.
Frau Käthe ist stehen geblieben, neben dem Stuhl, die Hand an der Stirn. Laß, Mutti! ich muß denken.
Frau Vockerat, milde zuredend. Du mußt gar nicht denken. Komm, erzähl mir noch 'n bißchen! Sie zieht die Willenlose auf den Stuhl zurück. Komm, setz dich! – Johannes hatte auch als Kind immer so niedliche Einfälle.
Frau Käthe sitzt da wie erstarrt, die weit offnen Augen auf das Porträt über dem Pianino gerichtet. Ach, der gute Papa in seinem Talar! Der hat sich nicht träumen lassen, was seine Tochter . . . Ihre Stimme wird von Tränen erstickt.
Frau Vockerat, es bemerkend. Aber Käthemiezel!
Frau Käthe, mühsam redend. Ach bitte, laß mich! Beide arbeiten eine kurze Weile weiter.
Frau Käthe, unterm Nähen. Hast du dich gefreut, als Johannes geboren war?
Frau Vockerat. Von Herzen, Käthchen! Du nicht über Philippchen?
Frau Käthe. Ich weiß wirklich nicht. Erhebt sich abermals. Ach! ich will mich lieber ein bißchen niederlegen.
Frau Vockerat erhebt sich ebenfalls, streichelt Käthes Hand. Ja, ja! Wenn du angegriffen bist.
Frau Käthe. Faß mal meine Hand, Mutti!
Frau Vockerat tut es. Nun? Sie is eiskalt, Miezel!
Frau Käthe. Nimm mal die Nadel! Reicht ihr die Nähnadel.
Frau Vockerat zögert, sie zu nehmen. Ja – was soll ich denn damit?
Frau Käthe. Paß mal auf! Sticht sich blitzschnell mehrmals in die Handfläche.
Frau Vockerat erhascht ihre Hand. Aber du! du! Was machst du denn nur da?
Frau Käthe, lächelnd. Es tut gar nicht weh. Keine Spur. Ich fühle auch rein nichts.
Frau Vockerat. Was das für Ideen sind! Komm, komm! Ja, ja! Leg dich bißchen nieder! Leg dich bißchen! Führt Käthe, sie ein wenig stützend, in das Schlafzimmer.
Nach einer kleinen Pause kommt Braun. Er legt den Hut ab, zieht den Überrock aus, hängt beides an den Kleiderhaken.
Frau Vockerat steckt den Kopf durch die Schlafstubentür. Ach, Sie sind's, Herr Braun.
Braun. Guten Tag, Frau Vockerat!
Frau Vockerat. Ich komme gleich. Sie zieht den Kopf zurück, kommt nach wenigen Sekunden ganz heraus, eilt auf Braun zu und drückt ihm hastig ein Telegramm in die Hand. Nu raten Sie mir! Während er liest, verfolgt sie mit ängstlicher Spannung den Ausdruck seines Gesichts.
Braun, nachdem er gelesen. Haben Sie Herrn Vockerat gesagt, worum es sich handelt?
Frau Vockerat. Kein Sterbenswort. Nein, nein, nein! Das hätt' ich auch nicht übers Herz gebracht. Ich hab' ihm nur geschrieben, daß er doch mal herkommen möchte, weil . . . weil ich doch noch nicht so bald fortkönnte und weil Käthe doch noch immer nicht ganz munter wär'! Aber sonst hab' ich nichts geschrieben. Nicht mal, daß Fräulein Anna noch hier ist, Herr Braun.
Braun, nach einiger Überlegung, zuckt mit den Achseln. Ja! Da kann ich weiter nichts sagen.
Frau Vockerat, ängstlicher. Halten Sie's nicht für recht? Hätt' ich am Ende lieber nicht schreiben sollen? Aber Käthe vergeht mir ja unter den Händen. Wenn sie erst mal zum Liegen kommt, dann . . . dann weiß ich nicht, was noch geschieht. Und aller Augenblicke muß sie sich jetzt schon hinlegen, in den Kleidern aufs Bett. Gerade jetzt liegt sie wieder. Ich kann's ja nicht mehr. Ich kann ja die Verantwortung nicht mehr allein tragen, Herr Braun. Sie muß sich schneuzen.
Braun, ins Telegramm blickend. Mit dem Sechsuhrzug kommt Herr Vockerat? Wie spät is's jetzt?
Frau Vockerat. Halb fünf noch nicht.
Braun, nachdem er wieder eine Weile nachgesonnen. Hat sich denn gar nichts geändert in den acht Tagen?
Frau Vockerat schüttelt trostlos den Kopf. Nichts.
Braun. Hat sie nie Miene gemacht abzureisen?
Frau Vockerat. Nein – nicht ein Mal. Und Johannes, der is förmlich wie verhext. Er war ja immer leicht kratzig, aber er machte doch schließlich, was man wollte. Er sieht nicht, er hört nicht. Nur diese Person. Nur immer diese Person. Nicht Mutter, nicht Frau, Herr Braun. Ach, Gott! was macht man denn nur? Ich tu' ja keine Nacht mehr ein Auge zu. Ich hab' schon hin und her überlegt. Was macht man denn nur? Pause.
Braun. Ich weiß wirklich nicht, ob es gut ist, daß Herr Vockerat herkommt. Hannes wird dadurch nur noch gereizt, aufs höchste . . . Und dann . . . dann will er sich vor dem Fräulein . . . Ich hab' überhaupt manchmal ein Gefühl – als ob sich Hannes schon allein wieder rausarbeiten würde.
Frau Vockerat. Das hab' ich ja doch auch geglaubt. Deshalb hab' ich mich ja damals, als er sie zurückbrachte, wieder überreden lassen. Deshalb bin ich ja hiergeblieben. Aber es wird ja immer schlimmer. Man darf ja gar nicht mehr wagen, nur'n leises Sterbenswörtchen drüber zu sprechen. Und zu Käthe darf ich auch nichts sagen. An wen soll ich mich denn wenden?
Braun. Hat denn Frau Käthe nie mit Hannes drüber gesprochen?
Frau Vockerat. Ja, einmal – da sind sie wach gewesen die halbe Nacht. Weiß Gott, was sie da gesprochen haben. Aber Käthel is viel zu geduldig. Sie nimmt noch Hannes' Partei, wenn ich mal was sage. Nicht mal diese . . . diese Dame . . . diese sogenannte, durchschaut sie. Die wird womöglich noch in Schutz genommen. Kleine Pause.
Braun. Ich hab' mich schon gefragt – ob ich vielleicht mal mit Fräulein Anna rede.
Frau Vockerat, schnell. Ja, das wäre wirklich vielleicht was.
Braun. Ich wollte sogar schon mal an sie schreiben . . . Aber allen Ernstes, Frau Vockerat, eh Herr Vockerat in seiner Weise eingreift – das kann die Sache meiner Ansicht nach verschlimmern im höchsten Maße.
Frau Vockerat. Na ja, na ja! Aber was blieb mir denn übrig in meiner Herzensangst? Ach, wenn Sie wollten . . . wenn Sie wirklich mit ihr reden wollten! Man hört Annas und Johannes' Stimme. Ach, großer Gott! Ich kann sie jetzt unmöglich sehn. Ab durch die Flurtür. Braun zögert. Da sie noch nicht eintreten, ebenfalls ab durch die Flurtür. Fräulein Anna tritt ein von der Veranda her.
Fräulein Anna hat ihren Hut abgelegt. Spricht durch die offne Tür zu Johannes, der noch draußen auf der Veranda verweilt. Gibt's was Interessantes, Herr Doktor?
Johannes. Es muß was los sein. Ein Polizist ist im Kahn. Kommt herein. Vielleicht wieder'n Unglück geschehn. –
Fräulein Anna. Ein melancholisches Vorurteil. –
Johannes. Hier kommt oft genug was vor. Das ist ein gefährliches Wasser. – Was haben Sie denn da, Fräulein?
Fräulein Anna. Katzenpfötchen, Herr Doktor! Die nehm' ich mir mit zum Andenken.
Johannes. Wenn Sie mal reisen, heißt das. Und das wird so bald nicht sein.
Fräulein Anna. Meinen Sie? Kleine Pause, während welcher beide langsam und jeder für sich umhergehen. Es wird schon recht zeitig finster.
Johannes. Und kühl, sobald die Sonne weggeht. Soll ich Licht machen?
Fräulein Anna. Wenn Sie wollen. – Sonst feiern wir bißchen Dunkelstunde. Sie setzt sich.
Johannes setzt sich ebenfalls, von Anna entfernt, auf irgendeinen Stuhl. Nach einer Pause. Dunkelstunde! – Da kommen alte Erinnerungen.
Fräulein Anna. Märchen, nicht wahr?
Johannes. Ja, auch. – – Ach, es gibt wundervolle Märchen.
Fräulein Anna. O ja! – Und wissen Sie, wie die schönsten gewöhnlich schließen? – Da zog ich mir einen gläsernen Pantoffel an – und da stieß ich an einen Stein – und da machte er »kling« – und da sprang er entzwei.
Johannes, nach kurzem Schweigen. Ist das nicht auch ein melancholisches Vorurteil?
Fräulein Anna. Das glaub' ich nicht. Sie erhebt sich, geht langsam bis zu dem Sessel vor dem Klavier, setzt sich darauf, haucht in die Hände.
Johannes erhebt sich ebenfalls, tut langsam ein paar Schritte, bleibt hinter Anna stehen. Nur ein paar Takte. Machen Sie mir die Freude. Wenn ich nur ein paar ganz simple Töne höre – das genügt mir schon.
Fräulein Anna. Ich kann nicht spielen.
Johannes, mit gelindem Vorwurf. Ach, Fräulein Anna – weshalb sagen Sie das? Sie wollen nur nicht, ich weiß es ja.
Fräulein Anna. Aber ich habe wohl sechs Jahre lang keine Taste berührt. Erst seit diesem Frühjahr hab' ich langsam wieder angefangen. Und dann dudle ich auch nur so. – Solche traurige, trostlose Liedchen, wie ich sie von meiner Mutter mitunter gehört habe.
Johannes. Wollen Sie nicht mal so eins singen? So ein trauriges, trostloses Liedchen –?
Fräulein Anna lacht. Sehen Sie, Sie necken mich schon.
Johannes. Ich merke schon, Fräulein. Sie wollen mir's nicht zuliebe tun. Kleine Pause.
Fräulein Anna. Ja, ja! Herr Doktor, ich bin ein häßliches, launisches Geschöpf.
Johannes. Das sag' ich nicht, Fräulein Anna! Kleine Pause.
Fräulein Anna öffnet das Klavier. Setzt die Finger auf die Tasten. Sinnt nach. Wenn ich was Lustiges wüßte. –
Johannes hat sich in einer entfernten Ecke niedergelassen, den Kopf vornübergebeugt; die Beine übereinander geschlagen, den Ellbogen daraufgestemmt, die Hand an der Ohrmuschel.
Fräulein Anna legt die Hände in den Schoß, spricht langsam und in Pausen. Es ist eigentlich eine große Zeit, in der wir leben. – Es kommt mir vor, als ob etwas Dumpfes, Drückendes allmählich von uns wiche. – Meinen Sie nicht auch, Herr Doktor?
Johannes räuspert sich. – Inwiefern –?
Fräulein Anna. Auf der einen Seite beherrschte uns eine schwüle Angst, auf der andern ein finstrer Fanatismus. Die übertriebene Spannung scheint nun ausgeglichen. So etwas wie ein frischer Luftstrom, sagen wir aus dem zwanzigsten Jahrhundert, ist hereingeschlagen. – Meinen Sie nicht auch, Herr Doktor? – Zum Beispiel, Leute wie Braun wirken doch auf uns nur noch wie Eulen bei Tageslicht.
Johannes. Ich weiß nicht, Fräulein! Das mit Braun ist wohl richtig. Aber ich kann noch nicht recht zur Lebensfreude durchdringen. Ich weiß nicht . . .
Fräulein Anna. Ganz abgesehen von unsern individuellen Schicksalen. Von unsern kleinen Schicksalen ganz abgesehen, Herr Doktor! Pause. Fräulein Anna schlägt einen Ton an und hält ihn aus.
Johannes, nachdem der Ton verhallt ist. Nun?
Fräulein Anna. Herr Doktor!
Johannes. Wollen Sie nicht spielen?! Bitte, bitte!
Fräulein Anna. Ich wollte Ihnen etwas sagen – aber Sie müssen nicht aufbrausen; Sie müssen ganz ruhig und artig bleiben.
Johannes. Nun was?
Fräulein Anna. Ich glaube, meine Zeit ist abgelaufen. Ich möchte reisen.
Johannes seufzt tief, erhebt sich dann und geht langsam umher.
Fräulein Anna. Herr Johannes! Wir fallen auch in den Fehler schwacher Naturen. Wir müssen den Blick ins Allgemeine mehr richten. Wir müssen uns selber leichter tragen lernen. Kleine Pause.
Johannes. Wollen Sie wirklich reisen?
Fräulein Anna, mild, aber bestimmt. Ja, Herr Johannes!
Johannes. Da werd' ich von nun an zehnfach einsam sein. Pause. Ach, reden wir wenigstens jetzt nicht davon.
Fräulein Anna. Ich möchte Ihnen nur noch sagen: ich habe mich für Sonnabend oder Sonntag zu Hause angemeldet.
Johannes. Sie haben sich . . . Aber, Fräulein, weshalb eilen Sie denn nur so sehr?
Fräulein Anna. Aus vielen Gründen. Pause.
Johannes, schneller und heftiger schreitend. Soll man denn wirklich alles, alles, was man gewonnen hat, dieser verfluchten Konvention aufopfern? Können denn die Menschen absolut nicht einsehen, daß ein Zustand kein Verbrechen sein kann, in welchem beide Teile nur gewinnen, beide Teile besser und edler geworden sind? Ist es denn ein Verlust für Eltern, wenn ihr Sohn besser und tiefer wird? Ein Verlust für eine Frau, wenn ihr Mann wächst und zunimmt, geistig?
Fräulein Anna, in Güte drohend. Herr Doktor, Herr Doktor! der böse Affekt.
Johannes, besänftigt. Ja hab' ich denn nicht recht, Fräulein?
Fräulein Anna. Ja, und nein. – Sie werten anders, wie Ihre Eltern werten. Ihre Eltern werten anders, wie Frau Käthe wertet. Darüber läßt sich gar nichts sagen, meiner Ansicht nach.
Johannes. Aber das ist eben furchtbar – furchtbar für uns.
Fräulein Anna. Und für sie . . . für die andern nicht minder. Pause.
Johannes. Ja, aber Sie sagten doch selbst immer, man soll die Rücksicht auf andre nicht über sich herrschen lassen; man soll sich nicht abhängig machen!?
Fräulein Anna. Aber wenn man abhängig ist?
Johannes. Gut: ich bin abhängig. Leider Gottes! aber Sie . . . Warum nehmen Sie für die andern Partei?
Fräulein Anna. Ich habe sie eben auch liebgewonnen. Pause. Sie haben mir oft gesagt, Sie ahnten einen neuen, höheren Zustand der Gemeinschaft zwischen Mann und Frau.
Johannes, mit Wärme und Leidenschaft. Ja, den ahne ich, den wird es geben, später einmal. Nicht das Tierische wird dann mehr die erste Stelle einnehmen, sondern das Menschliche. Das Tier wird nicht mehr das Tier ehelichen, sondern der Mensch den Menschen. Freundschaft, das ist die Basis, auf der sich diese Liebe erheben wird. Unlöslich, wundervoll, ein Wunderbau gradezu. Aber ich ahne noch mehr: noch viel Höheres, Reicheres, Freieres . . . Unterbricht sich, wendet sich an Anna. Wenn ich deutlich sehen könnte, jetzt, – so würde ich Sie lächeln sehn. Hab' ich recht?
Fräulein Anna. Herr Doktor . . . nein – ich habe diesmal nicht gelächelt. Aber richtig ist – solche Worte – an denen man sich leicht berauscht . . . da kommt gleichsam gewohnheitsmäßig – etwas Spöttisches in mich. – Nehmen wir aber einmal an: es hätte wirklich etwas Neues, Höheres gelebt – in unseren Beziehungen.
Johannes, mit Betrübnis. Zweifeln Sie daran? Soll ich Ihnen Unterschiede nennen? Empfinden Sie zum Beispiel etwas andres für Käthe als herzliche Liebe? Ist mein Gefühl für Käthe etwa schwächer geworden? Im Gegenteil, es ist tiefer und voller geworden.
Fräulein Anna. Aber, wo ist außer mir ein Mensch, der Ihnen das noch glauben kann? – Und wird Frau Käthe deshalb weniger zugrunde gehen? – Ich möchte nicht gern von uns beiden reden. – Nehmen wir mal an – ganz im allgemeinen –, ein neuer, vollkommenerer Zustand wird von jemand vorempfunden. Dann ist er vorläufig nur im Gefühl – eine überzarte, junge Pflanze, die man schonen und wieder schonen muß. – Meinen Sie nicht auch, Herr Doktor? – Daß das Pflänzchen sich auswächst, während wir leben, das dürfen wir nicht hoffen. Wir können sie niemals groß werden sehn, ihre Früchte sind für andre bestimmt. Auf die Nachwelt den Keim bringen – das können wir vielleicht. Ich könnte mir sogar denken, daß jemand sich das zur Pflicht macht.
Johannes. Und daraus wollen Sie ableiten, daß wir uns trennen müssen?
Fräulein Anna. Ich wollte nicht von uns beiden reden. Aber, da Sie nun doch . . . ja! wir müssen uns trennen. – Einen Weg zu gehen, wie es mir wohl vorgeschwebt hat . . . in Sekunden . . . und das will ich nun auch nicht mehr. Ich habe eben auch etwas wie eine Ahnung empfunden. – Und seitdem, da erscheint mir auch das alte Ziel zu unbedeutend für uns – zu gewöhnlich, offen gestanden! – Es ist gerade so, als ob man aus hohen Bergen mit weitem, weitem Ausblick heruntersteigt und nun alles so eng und nah findet im Tal. Pause.
Johannes. Und wenn nun keine Existenz darüber zugrunde ginge?
Fräulein Anna. Das ist nicht möglich.
Johannes. Aber, wenn nun Käthe die Kraft hätte? Wenn es ihr gelänge, sich auf die Höhe dieser Idee zu erheben?
Fräulein Anna. Wenn es Käthe gelänge – zu leben – neben mir, dann . . . dann würde ich mir selbst doch nicht trauen können. In mir . . . in uns ist etwas, was den geläuterten Beziehungen, die uns dämmern, feindlich ist, auf die Dauer auch überlegen, Herr Doktor. Wollen wir nun nicht Licht machen?
Frau Vockerat, vom Flur her mit einem Lichte. Sie spricht in den Flur zurück. 's is noch dunkel hier. Ich will die Lampe erst anzünden. Bleiben Sie nur noch'n bißchen draußen, Herr Braun. Ich will's schon so einrichten, daß . . .
Johannes hustet.
Frau Vockerat erschrickt. Wer is denn hier?
Johannes. Wir, Mutter.
Frau Vockerat. Du, Johannes?
Johannes. Wir, Fräulein Anna und ich. – Wer is denn draußen?
Frau Vockerat, ziemlich ungehalten. Na, Hannes! Du hättest doch wirklich Licht machen können. Das is doch nicht . . . So im Dunkeln . . . Sie steckt die Lampe an. Fräulein Anna und Johannes rühren sich nicht. Hannes!
Johannes. Ja, Mutter!
Frau Vockerat. Kannst du mal mitkommen? Ich möchte dir was sagen.
Johannes. Geht das nicht hier auch, Mutter?
Frau Vockerat. Wenn du keine Zeit für mich übrig hast, dann sag's doch einfach.
Johannes. Ach Mutter . . . Natürlich komm' ich. Entschuldigen Sie, Fräulein. Ab mit Frau Vockerat in das Studierzimmer.
Fräulein Anna fängt ganz leise schlichte Akkorde zu greifen an. Dann singt sie dazu mit gedämpfter Stimme. »Zum Tode gequält durch Gefangenschaft, bist du jung gestorben. Im Kampfe für dein Volk hast du deinen ehrlichen Kopf niedergelegt.« Sie hält inne. Herr Braun ist eingetreten.
Fräulein Anna wendet sich mit dem Drehsessel herum. Guten Abend, Herr Braun!
Braun. Ich wollte nicht stören. Guten Abend, Fräulein!
Fräulein Anna. Man sieht Sie ja so selten.
Braun. Ach, wieso?
Fräulein Anna. Es wurde mehrmals nach Ihnen gefragt.
Braun. Wer hat denn nach mir gefragt? Hannes gewiß nicht.
Fräulein Anna. Herr Johannes? Nein. – Frau Käthe.
Braun. Sehn Sie! – Aufrichtig, ich . . . Ach, das ist ja jetzt alles Nebensache. Pause.
Fräulein Anna. Wir sind, scheint's, heut in einer Stimmung, daß wir uns eigentlich was Lustiges erzählen sollten. Wissen Sie nicht was? Man muß sich manchmal zum Lachen zwingen. Irgendeine Anekdote oder so . . .
Braun. Nein! wahrhaftig nein!
Fräulein Anna. Ich glaube wirklich, Sie verstehen den Sinn des Lachens nicht. Pause.
Braun. Ich bin eigentlich – gekommen, Fräulein – um etwas Ernstes mit Ihnen zu besprechen.
Fräulein Anna. Sie? – mit mir?
Braun. Ja, Fräulein Anna!
Fräulein Anna erhebt sich. Nun bitte! Ich höre. Begibt sich an den Tisch, bindet den Strauß Immortellen auf und fängt an, sie zu ordnen und aufs neue zu ordnen.
Braun. Ich saß damals in schweren Konflikten. Ich meine, damals – als wir uns kennenlernten – in Paris. Es waren ja im Grunde Lappalien. Nichts ist schließlich so gleichgültig als: ob man mit oder ohne Rücksicht malt. Kunst ist Luxus – und heutzutage Luxusarbeiter sein ist schmachvoll unter allen Umständen. Damals war Ihr Umgang jedenfalls der Rausreißer für mich. Und – was ich hauptsächlich sagen wollte: ich habe Sie damals achten und schätzen gelernt.
Fräulein Anna, beim Ordnen der Blumen, leicht. Was Sie sagen, ist zwar wenig zart – aber reden Sie nur weiter.
Braun. Wenn Worte wie die Sie verletzen, Fräulein – dann bedaure ich . . . dann verwirren sich meine Begriffe.
Fräulein Anna. Das tut mir leid, Herr Braun!
Braun. Es ist mir peinlich und unangenehm. Man sollte die Dinge einfach laufen lassen. Wenn es nur nicht so entsetzlich folgenschwere Dinge wären. Aber man kann doch nicht . . .
Fräulein Anna summt vor sich hin. »Spinne, spinne, Töchterlein!« Katzenpfötchen. – Ich höre, Herr Braun!
Braun. Wenn ich Sie so ansehe, Fräulein, so kann ich mich wirklich des Gefühls nicht erwehren . . . Sie scheinen sich gar nicht bewußt zu sein . . . Sie scheinen den ganzen furchtbaren Ernst der Sache gar nicht zu würdigen.
Fräulein Anna summt. »Sah ein Knab' ein Röslein stehn.«
Braun. Man hat doch schließlich ein Gewissen. Ich kann mir nicht helfen, Fräulein: ich muß an Ihr Gewissen appellieren.
Fräulein Anna, nach einer kleinen Pause, kühl und leicht. Wissen Sie, was Papst Leo der Zehnte über das Gewissen sagte?
Braun. Das weiß ich nicht, das liegt mir auch wirklich in diesem Augenblick ziemlich fern, Fräulein.
Fräulein Anna. Es sei ein bösartiges Tier, sagte er, das den Menschen gegen sich selbst bewaffne. – Aber bitte, bitte! Ich bin wirklich ganz Ohr.
Braun. Ich weiß nicht, es liegt doch eigentlich auf der Hand. Sie müssen das doch auch sehn – daß es sich hier um Leben und Tod einer ganzen Familie handelt. Ich dächte mir, ein einziger Blick auf die junge Frau Vockerat, ein einziger Blick muß einem doch da jeden Zweifel vollständig benehmen. Ich dächte mir . . .
Fräulein Anna, nun ernst. Ach so! Das ist es also. Nun, weiter, weiter!
Braun. Ja, und – ja – und Ihr Verhältnis zu Johannes.
Fräulein Anna, abweisend. Herr Braun! – Sie bis hierher anzuhören, glaubte ich dem Freunde meines Freundes schuldig zu sein. Was Sie nun noch sprechen, sprechen Sie in den Wind.
Braun, kurze Verlegenheitspause. Dann wendet er sich, nimmt seinen Hut und Überzieher und entfernt sich mit der Geste eines Menschen, der das mögliche getan hat.
Fräulein Anna wirft das Bukett weg, sobald Braun hinaus ist, und geht einige Male heftig auf und ab. Sie wird ruhiger und trinkt Wasser.
Frau Vockerat vom Flur.
Frau Vockerat sieht sich ängstlich überall um, kommt hastig auf Anna zu, nachdem sie sich vergewissert, daß sie allein ist. Ich bin in so großer Angst – meines Hannes wegen. Hannes ist so schrecklich heftig, Sie wissen ja. Und nun liegt mir etwas auf der Seele. Ich kann's nicht mehr unterdrücken, Fräulein! – Fräulein! – Fräulein Anna! Sie sieht Anna an, mit einer rührenden, flehenden Gebärde.
Fräulein Anna. Ich weiß, was Sie wollen.
Frau Vockerat. Hat Herr Braun mit Ihnen gesprochen? Fräulein Anna will mit Ja antworten, die Stimme versagt ihr, dann überwältigt sie ein Anfall von Weinen und Schluchzen. Frau Vockerat, um sie bemüht. Fräulein Anna! Liebes Fräulein! Wir müssen den Kopf oben behalten. O Jesu Christ, daß nur nicht Hannes kommt. Ich weiß ja nicht, was ich tue. Fräulein, Fräulein!
Fräulein Anna. Es war nur . . . es ist schon vorüber. Sie brauchen sich nun nicht mehr ängstigen, Frau Vockerat!
Frau Vockerat. Ich habe auch mit Ihnen Mitleid. Ich müßte ja kein Mensch sein. Sie haben Schlimmes durchgemacht im Leben. Das geht mir ja alles tief zu Herzen. Aber Johannes steht mir nun doch einmal näher. Ich kann's doch nicht ändern. Und Sie sind ja auch noch so jung, so jung, Fräulein. In Ihrem Alter überwindet man ja noch so leicht.
Fräulein Anna. Es ist mir entsetzlich peinlich, daß es so weit gekommen ist.
Frau Vockerat. Ich habe es nie getan. Ich kann mich nicht besinnen, daß ich mal jemand die Gastfreundschaft verweigert hätte. Aber ich weiß keinen andern Weg. Es ist der letzte Ausweg für uns alle. – Ich will nicht richten in diesem Augenblick. Ich will zu Ihnen sprechen, eine Frau zur Frau – und als Mutter will ich zu Ihnen sprechen. Mit tränenerstickter Stimme. Als Mutter meines Johannes will ich zu Ihnen kommen. Sie erfaßt Annas Hand. Geben Sie mir meinen Johannes! Geben Sie einer gemarterten Mutter ihr Kind wieder! Sie ist auf einen Stuhl gesunken und benetzt Annas Hand mit Tränen.
Fräulein Anna. Liebe, liebe Frau Vockerat! Das . . . erschüttert mich tief. – Aber – kann ich denn etwas wiedergeben? Hab' ich denn etwas genommen?
Frau Vockerat. Das wollen wir lieber beiseite lassen. Das will ich nicht untersuchen, Fräulein. Ich will nicht untersuchen, wer der Verführer ist. So viel weiß ich nur: mein Sohn hat sein lebelang nie schlimme Neigungen gehabt. Ich war seiner so sicher – daß ich noch heut gar nicht begreife . . . Sie weint. Es war Vermessenheit, Fräulein Anna.
Fräulein Anna. Was Sie auch sagen, Frau Vockerat, ich kann mich nicht verteidigen gegen Sie . . .
Frau Vockerat. Ich möchte Ihnen nicht wehe tun. Ich möchte Sie nicht erbittern um Himmels willen. Ich bin ja in Ihrer Hand. Ich kann Sie nur immer wieder bitten und bitten in meiner furchtbaren Herzensangst. Lassen Sie Johannes los – eh alles verscherzt ist – eh Käthes Herz bricht. Haben Sie Erbarmen!
Fräulein Anna. Frau Vockerat! Sie erniedrigen mich so sehr . . . Mir ist zumut, als ob ich geschlagen würde, und . . . Aber nein – ich will Ihnen nur einfach sagen: es ist beschlossene Sache, daß ich gehe. Und wenn es sich nur darum handelt . . .
Frau Vockerat. Was werden Sie nun sagen, Fräulein? Ach, es geht mir kaum über die Zunge. Es sind nämlich gewisse Verhältnisse . . . Es müßte nämlich gleich sein . . . Sie müßten womöglich noch in dieser Stunde . . .
Fräulein Anna. Sie nimmt die Sachen, die sie abgelegt hatte, zusammen.
Frau Vockerat. Ich habe keine Wahl mehr, Fräulein. Kleine Pause.
Fräulein Anna, die Sachen überm Arm, nimmt langsamen Schrittes die Richtung nach der Flurtür. Vor Frau Vockerat bleibt sie stehn. Konnten Sie denken, daß ich noch zögern würde?
Frau Vockerat. Gott geleite Sie, Fräulein!
Fräulein Anna. Adieu, Frau Vockerat!
Frau Vockerat. Werden Sie Hannes sagen, was wir gesprochen haben?
Fräulein Anna. Seien Sie unbesorgt, Frau Vockerat!
Frau Vockerat. Behüt' Sie Gott, Fräulein Anna! Anna ab durch die Flurtür. Frau Vockerat atmet befreit auf, eilt schnell ab ins Schlafzimmer.
Auf der Veranda erscheint eine Laterne. Der alte Vockerat, in Kaisermantel und Plüschmütze, tritt ein, hinter ihm ein Wagenschieber von der Bahn, mit Paketen bepackt.
Vockerat, über und über vergnügt. So! – Niemand hier? Legen Sie die Sachen hier hin. Warten Sie! Er sucht im Portemonnaie. Hier, für die Mühe.
Der Blaukittel. Ich dank' vielmals schön!
Vockerat. Warten Sie mal, lieber Mann. Er sucht in seinen Überziehertaschen. Ich weiß doch – ich hatte doch noch paar Exemplare – »Palmzweige« . . . Hier! Er übergibt ihm einige Heftchen. Ein frommer Mann hat sie geschrieben. Wahre Erlebnisse. Es gereiche Ihnen zum Segen! Er drückt dem verblüfften Blaukittel die Hand; der weiß nichts zu sagen und entfernt sich stumm. Vockerat hängt Mantel und Mütze auf, sieht sich um, reibt sich vergnügt die Hände und horcht dann an der Schlafstubentür. Als hinter ihr Geräusch entsteht, nimmt er Reißaus und versteckt sich hinter dem Ofen.
Frau Käthe kommt aus der Schlafstube, sieht die Pakete, den Mantel, die Mütze. Ja, lieber Gott! das sind doch . . . das ist doch . . . das sind doch Papachens Sachen.
Vockerat stürzt wie ein Wirbelwind hinter seinem Ofen hervor, lachend und weinend zugleich, alles nur so hervorsprudelnd. Er umarmt und küßt Käthe wiederholt. Tochter! Herzenskäthe! Kuß. Wie geht's euch? Was macht ihr? Seid ihr alle gesund und munter? Kuß. Nein, ihr könnt euch nicht denken . . . Er gibt Käthe frei. Ihr könnt euch nicht denken, wie ich mich gefreut hab' auf den Tag. Fast in einem Lachen. Was macht der Prinz, ha ha ha? Wie befindet sich Seine Hoheit, ha ha? Seine Hoheit Prinz Schnudi, ha ha ha ha? Ach, ich danke dem lieben Gott, daß ich nun wieder endlich hier bin. Ein wenig erschöpft. Weißt du, – nimmt die Brille ab und reinigt die Gläser – es is auf die Dauer doch nichts mit dem Alleinsein. – Ha ha! Es lebt der Mensch nicht gern allein, es müssen immer zweie sein, ha ha ha ha! – Tja, tja, so geht's! – und dann gab's auch viel Arbeit, weißt du – mit dem Dungfahren. Der Dünger, ha ha ha! der is Gold für den Landwirt. Pastor Pfeiffer besuchte mich neulich, der hielt sich drüber auf, daß wir die Dunggrube so nah beim Hause haben. Lacht. Ich hab' ihm aber gesagt: lieber Pastor, sag' ich, das is unsre Goldgrube, ha ha ha ha! Na, wo steckt nun meine alte, treue Hausehre – und mein Hannes? Betrachtet Käthe genauer. Ich weiß nicht, macht's die Lampe? Du scheinst mir immer noch nicht so ganz wie früher, Käthchen!
Frau Käthe, ihre Bewegung schwer verbergend. Ach – Papachen! ich fühl' mich ganz . . . Fällt ihm um den Hals. Ich freu' mich so, daß du gekommen bist.
Vockerat. Ich hab' dich wohl . . . ich hab' dich wohl'n bißchen erschreckt, Käthe?
Frau Vockerat erscheint in der Flurtüre.
Vockerat, aufs neue außer sich. Kuckuck, ha ha ha ha! Da kommt sie an. Er und seine Frau fliegen einander stumm in die Arme. Weinen und Lachen.
Frau Käthe ab, von Rührung überwältigt.
Vockerat, nach der Umarmung seiner Frau den Rücken klopfend. So, so! altes, treues Herz. – Das war unsre längste Trennung. – Nun fehlt bloß noch Johannes.
Frau Vockerat, nach kurzem Zögern. Auch der Besuch ist noch da.
Frau Vockerat. Ja, das Fräulein!
Vockerat. So! – Welches Fräulein?
Frau Vockerat. Du weißt ja! Fräulein Mahr.
Vockerat. Ich denke, die is abgereist. Übrigens, hier gibt's Eßware. Er beschäftigt sich mit seinen Paketen. Hier hab' ich Butter mitgebracht. Mit Eiern hab' ich's diesmal gelassen. Ich denk' noch mit Schrecken ans letzte Mal. Hier! – für Hannes – selbstfabrizierter Käse. Das muß alles bald in den Keller. Hier, ein Schinken. Ich sag' dir, Marthchen, was Delikates! wie Lachs. – Aber du sagst ja gar nichts. Du bist doch gesund?
Frau Vockerat. Ja, Papa. – Aber – ich weiß nicht – ich hab' etwas auf dem Herzen. Ich wollte dir's eigentlich nicht sagen – aber – ich . . . Du bist mein treuster Lebensgefährte. Ich kann's allein nicht mehr tragen. – Unser Sohn . . . unser Johannes – war nahe daran . . .
Vockerat stutzt, wird ängstlich. Was, Hannes, unser Hannes? Was? Ja was denn?
Frau Vockerat. Aber reg dich nicht auf. Mit Gottes Hilfe ist ja alles nun glücklich beigelegt. Das Fräulein geht ja nun wenigstens bald aus dem Hause.
Vockerat, tief erschüttert. Martha!! Das kann nicht wahr sein!
Frau Vockerat. Ich weiß ja auch nicht – wie weit sie gegangen sind – nur . . . Es war eine schreckliche Zeit für mich.
Vockerat. Die Hand hätt' ich mir abhauen lassen, Martha, ohne Bedenken. – Mein Sohn – Martha! mein Sohn – pflicht- und ehrvergessen?!
Frau Vockerat. Ach, Männchen, du mußt es erst sehn, du mußt's erst selbst untersuchen. Ich weiß ja nicht . . .
Vockerat geht umher, bleich, murmelnd. Dein Wille geschehe! Dein Wille geschehe!
Frau Vockerat weint still.
Vockerat bleibt vor ihr stehen, dumpf. Martha, – irgendwo muß die Schuld stecken. – Laß uns nachsinnen.
Frau Vockerat. Wir haben es stillschweigend geduldet. Mehr und mehr sind die Kinder von Gott und dem rechten Weg abgekommen.
Vockerat. Da hast du recht. Das ist es auch. Dafür werden wir nun gestraft. Beide Hände seiner Frau ergreifend. Aber laß uns Gott bitten – in tiefer Demut – Tag und Nacht. Laß uns Gott bitten, Martha.