Gerhart Hauptmann
Der Bogen des Odysseus
Gerhart Hauptmann

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Zweiter Akt

Inneres im Anwesen des Sauhirten Eumaios. Rohe Steinwände. Im Hintergrund der Herd mit glimmendem Feuer, darüber ein rußiger Rauchabzug. Das ganze längliche Gemach ist von Ruß geschwärzt. Neben dem Herd setzt sich der Raum in andere Räumlichkeiten fort, die zu Wirtschaftszwecken dienen. Es sind dort Kesselanlagen zur Bereitung des Viehfutters, man sieht Amphoren zur Aufbewahrung von Wein usw. Der Fußboden besteht aus unregelmäßigen Steinplatten.

Das vordere Gemach enthält in der linken und rechten Wand je eine Tür. Die der linken Wand bleibt verschlossen. Ein langer, sehr alter hölzerner Tisch nimmt den größten Teil des Raumes ein. Hier pflegt Eumaios mit seinen Mägden und Knechten die Mahlzeit einzunehmen.

Im anstoßenden Raume ist Melantho beschäftigt. An ihr vorüber kommt Leukone nach vorn. Sie trägt eine Schüssel mit Wasser in den Händen.

Melantho
Wo bleibst du? und was gibt es vor dem Hoftor?

Leukone
Einen, der zu uns paßt mit seinem Unglück.

Durch die Tür rechts, die sich öffnet, kommen der Bettler und Eumaios, jener von diesem gestützt, aus dem Hofe herein.

Eumaios
Ich sah noch keinen, der wie du, o Mann,
so tiefe Demut lernte. Richte dich
empor! Vergiß, und sei's auf kurze Zeit,
die Mühsal deines Kampfs und deiner Jahre!

Odysseus
Oh, was vergaß ich nicht!

Eumaios                                 Nimm Platz und laß
Melantho dir die Füße waschen. Komm,
Magd, tu dem armen Greisen diesen Dienst.

Melantho hereinblickend, dreist
Fußwaschen dem verlausten Pracher dort?
Wär' es so weit mit mir gekommen, wehe!

Leukone
Dies ist mein Amt. Hier bin ich schon, Großvater.
Laß die Erboste ihrer Arbeit nachgehn.

Eumaios
Ja, tu das, Magd, geh deiner Arbeit nach;
doch wenn ich auch zusehe, deines Treibens
scheinbar nicht achte, einstmals kommt der Tag,
wo du dein Korn wirst hundertfältig ernten.

Odysseus da Melantho höhnisch auflacht
Laßt an den Steinen dieses Herdes, in
die kalte Asche eingewühlt, mich rasten!
Und duldet mich so lange und vergeßt mich!

Eumaios
Du bist willkommen, nicht geduldet, Fremdling.

Odysseus
Dir! nicht den Himmlischen: willkommen dir
vielleicht, doch von den Himmlischen verflucht.
    Er sinkt in die Asche nieder und wühlt darin, den Herd küssend.

Eumaios
Was tust du? Dieses schlichten Herdes Stein
birgt keinen Dämon, dich zu ängsten, nichts,
was du versöhnen müßtest oder fürchten:
er trägt ein gastlich Feuer dir und mir. –
Und nun, sei mannhaft! Bist du so verfolgt
um Schuld, so ist's um große Schuld, und du
warst groß und mannhaft einst in Schuld. Sei nun
nicht minder groß und mannhaft im Erdulden!

Odysseus
Laß mich die Flamme streicheln dieses Herdes
und mein entehrtes und verfluchtes Antlitz
tief in die Glut eindrücken: wie ein Kind
das Haupt verbirgt in seiner Mutter Schoß.
Laß mich!

Eumaios         Er ist von Sinnen.

Melantho                                     Oder ist
nicht mehr als ein gerißner Ferkeldieb,
der seinen Vorteil ausmacht.

Eumaios                                     Komm und iß.

Er und Leukone heben Odysseus auf und führen ihn an die Tafel, wo sie ihn niedersetzen. Indessen wendet sich Eumaios wieder an Melantho

Du aber zähme deine dreiste Zunge
ein wenig, du Rothaarige! Poche etwa
nicht auf tagscheue Räuber, die ich jüngst
schon einmal habe kläglich heimgesandt.

Melantho
Du tust mir nichts: du weißt, sie kommen wieder!
und dem geht's übel, der mir nur ein Haar krümmt.

Eumaios
Was bebst du unter meinen Händen und
blickst so voll Grauen?

Odysseus                           Herr, ich fürchte mich.

Eumaios
Vor was?

Odysseus       Ich fürchte mich vor deinen Mägden.

Melantho
Da tust du gut. Und tische nur nicht etwa
ein Märlein von Odysseus' Heimkehr auf.

Odysseus mit ersticktem Aufschrei
Niemals! denn wer dahin ist, kehrt nie wieder.

Melantho
Recht so! Betrüger peitscht man hier vom Hof.

Eumaios
Entweihst du dieses Mannes Gram, Melantho,
mit frechen Worten? Peinigst dem Verfolgten,
im Frieden dieses Hauses noch, den Schrei
der Furcht und des Entsetzens aus der Brust?
O ich erkenne, wo du dies gelernt hast! –
Gramvoller, dies ist nur ein Weib, nichtswürdig
und gottlos! Grob von Art! Sie weiß noch nicht,
daß einer, den der Fluch der Gottheit zeichnet,
der Gottheit Zeichen auf der Stirne trägt. –
Nun ist's genug, du Hündin, packe dich!

Während sich Melantho mit höhnischem Achselzucken entfernt, bringt Noemon, ein junger Schweinehirt, das gebratene Ferkel auf einer Schüssel herein und setzt es auf den Tisch. Eumaios fortfahrend

Des sei gewiß, o Greis, daß ich dich nicht
für einen jener Erzbetrüger nehme,
die uns mit Märlein jezuweilen etwa
daherschmarutzen von Odysseus' Heimkunft.
Nimm, was geboten wird, und letze dich. –
Du flüsterst?

Odysseus           Laß mich sinnen: Sage mir,
was Lüge ist.

Eumaios             Der Lügner weiß es, und
nicht minder weiß es, wer die Wahrheit spricht.

Odysseus
So bin ich zwischen Wahrheit eingeklemmt
und Lüge, über einem Abgrund. – Doch
genug. Zu Leukone
            Hab Dank! – Odysseus kehrt nie heim.

Er beginnt heißhungrig zu schlingen. Leukone geht in den anstoßenden Raum, von wo sie beobachtet.

Eumaios
Du sagst zu viel. Und weiß ich gleich, du kannst
nichts wissen von Odysseus, fremder Vater:
der leere Klang der Worte, die du aussprichst,
macht dennoch eine Wunde in mein Herz.
Du willst mir Wohltat nicht mit Wunden lohnen,
und was ist dir ein Name, sei es auch
der unsres Königs, daß du seiner nicht,
sei unser Herr lebendig oder tot,
entraten solltest: laß den Namen ruhn.

Odysseus schlägt auf den Tisch, schreit
Zwölf Klaftern tief begrabt ihn in die Erde!

Eumaios befremdet
Wen?

Odysseus   Nun, wen sonst, den König!

Eumaios                                                   Wen?

Odysseus                                                           Nun, ihn!
Fort mit ihm, sei's auch nur der Name, der
euch ängstet: scharrt ihn ein, er sei vergessen!

Eumaios
Odysseus' Name ängstet seine Feinde,
nicht aber uns.

Odysseus               Doch, Hirt!

Eumaios                                     Da irrst du dich!
Was weißt du von Odysseus!

Odysseus                                     Dies, sonst nichts:
An seinem Tisch ihn nennen bringt Gefahr!

Eumaios
Meinst du den Tisch, um den die Freier sitzen
und Werber um Penelopeias Hand,
die Schwelgertafel unten im Palaste,
so hast du recht, doch unrecht, wenn du meinst,
daß hier bei uns ein Name beßren Klang hat.
Nein! doch des Harrens müde – zwanzig Jahr
und länger warten wir –, des Harrens nicht,
allein, des hoffnungslosen Harrens, mein' ich,
regt der erlauchte Name unsres Herrn
uns nutzlos Martern der Verzweiflung auf.

Odysseus
Und wenn er wiederkäme?

Eumaios                                   Greis, vergiß
des Essens nicht und laß dies gut sein! – Was
durchbohrst du mit den Augen mich? Wer bist du?

Odysseus
Ein armer blinder Bettler, Herr, sonst nichts.

Eumaios
So wärst du blind und kannst so blicken?

Odysseus                                                       Freilich!
Mit diesem Blick hab' ich den Gott besiegt!

Eumaios
Und welchen Gott bezwangst du?

Odysseus                                           Dessen Licht
seitdem in meiner Seele Nacht erlosch.

Eumaios
O armer, armer Sieger!
    Telemach, so wie er vom Schiff gestiegen ist, tritt ein.
                                      Telemach!
Bist du's?

Telemach       Leibhaftig, Vater Hirt.

Eumaios                                           Du bist's
leibhaftig, hochgeliebter Sohn?

Telemach                                         So wahr
das Meer mich nicht behielt.

Odysseus mit Ekstase aufspringend
                                              Ein Gott!

Eumaios                                                     Ein Gott!
wohl darfst du dieses sagen, ja, ein Gott!

Telemach
Nur Telemach. Wo ist Leukone, Alter?

Eumaios
Laß dich betrachten, du Geliebter! du
Ersehntester! komm! Gott beschütze mich:
ein Mann! als Knabe ging er auf die Reise.

Telemach
Gut, brav, ein Mann! ihn eben brauchen wir,
den Mann: nicht mehr! Mög' euch der Schein nicht trügen,
wie er den Bettler trog, der dort mich anstiert.
Laß dich nicht stören, Fremder, setze dich!

Odysseus indem er sich zitternd setzt, für sich
Ein Gott!

Telemach       Kein Gott! nur einer Mutter Sohn.

Eumaios
Und wäre statt des Sohnes, der hier steht,
Odysseus selbst, der Vater, heimgekommen –
bist du nicht beides? lebt er nicht im Sohn? –,
Sohn, keinen größeren Jubel kennt' mein Herz.
    Er umarmt Telemach.
Allein nun sag: wie kamst du durch die Späher?

Telemach
Wir landeten am Vorgebirge. Die
Genossen segeln ohne mich rings um
die Insel und zum Hafen.

Eumaios                                 Dies, o Sohn,
riet euch ein Himmlischer.

Telemach                                 Mir riet mein Herz.

Eumaios
So darf ich auf ein Gut wohl nicht mehr schelten,
das dich vom Bord und zum Neriton zog:
da es vom sichren Tod dich rettete.
Nun, Schurken draußen, laßt die Ruder poltern
und eure Rahen kreischen; er ist hier!
Der Fisch brach durch das Garn; er ist geborgen.

Telemach
Wie steht es in der Stadt, seit ich nicht hier war?

Eumaios
Viel ärger, als es stand, eh du in See gingst.
Kein Wunder: seit du fort bist, sehen jene
Fürsten, die sich selbst Freier nennen und
nichts Besseres als Räuber sind, die Gipfel
von Hellas, die weißschimmernden, mit Mißtraun.
Und wie wir hoffend des Taygetos
Schneespitzen täglich mit den Augen suchten,
so taten sie's mit schlechtverhohlner Angst.
Und konnte doch von dorther jede Stunde
ein Heer von Rächern kommen ihrer Schandtat,
die nun durch dich in Hellas ruchbar ward!
Nun zechten sie und schwelgten doppelt, häuften
die Greuel und die Taten der Gewalt:
und wehe dem Bauern, Winzer oder Hirten,
der ihren zügellos entbundnen Lüsten
sich nicht mit Weib und Kindern unterwarf.
Bringst du uns Hilfe, Retter Telemach?

Telemach
Nicht, wenn nicht hier in meinen beiden Händen.
Kein Kiel, kein Segel und kein Mast folgt mir
hierher, die ausgenommen, die ich mitnahm:
es sei denn, daß du eine Ladung leerer
Versprechungen für Myrmidonen anschlägst.

Odysseus schlägt auf den Tisch, närrisch
Schlachtet ein Mastschwein! Schlachtet! Opfert und
esset bis an den lichten Morgen! Ich,
der Herr, befehle: schlachtet! schlachtet und
eßt!

Eumaios   Herr, die Götter schlugen ihn mit Irrsinn.

Telemach
Richtet ein schlichtes Mahl! Mir widersteht's,
den Prassern im Palast es gleichzutun.

Eumaios
Dies nenn' ich nicht mit Umsicht handeln. Lieber.
Der Knecht, der seinen Herrn erkennen soll,
verlangt mit Fug sein Fest zu rechter Zeit.
Darum soll mir des Bettelmanns Gebot
heut mehr Gebot als deines sein. – Da kommt
die Enkelin. Ihr mögt mich wohl entbehren.
Ich geh' und richte selber, was zu tun ist.

Leukone nähert sich mit einer gewissen Verhaltenheit aus dem anstoßenden Raume, während Eumaios nach rechts in den Hof gegangen ist.

Leukone
Kaum trau' ich meinen Augen, Telemach.
Bist du es wirklich?

Telemach                       Hat die Fremde mich
so sehr verändert, daß ich fremd dir bin?

Leukone
Wohl hat die Fremde dich verändert; doch
aus Finsternissen banger Sorge plötzlich
gerissen, glaubt man nicht sogleich an Licht.

Telemach
Nun, ich bin Telemach, derselbe, dem du
die Fahrt anrietest, die er nun bestand.

Leukone
Und rauschten Schiffe nicht mit vollen Segeln
in euren Lauf, bemannt, von Waffen starrend,
als bei Asteris ihr vorüberfuhrt?

Telemach
Ich mied das Eiland.

Leukone                         So bewahrte dich
ein Gott! Der gleiche, der das Seil dir löste
zur Reise, brachte wohlbehalten dich
vor Meuchlerschwertern heim: denn daß ich's gleich
dir sage, nach dem Leben trachten dir
die Freier, trachtet dir Antinoos,
seit deine Reise ruchbar ward; von nun an
ganz schamlos offen, keineswegs geheim,
betreiben sie's mit ihren Helfershelfern.
Sie lagen auf der Lauer Tag und Nacht,
abwechselnd wachend, draußen auf dem Wasser.

Telemach
Was zagst du? ich bin hier. An jenem Tag,
als ich vergeblich in der Volksversammlung
ein Schiff erbeten hatte und die Worte
der Freier, salziger als selbst die Lauge
der Meerflut, sich ausgossen über mich –
den Knaben, wie sie meinten! –, sieh, da stand's
um meine jungerworbne Mannheit schlimm.
Ich kam zu dir. Wir opferten der Nymphe
am Quell. Wir stiegen dann hinab zum rauschenden
Gestade, tauchten in die graue Flut
die Hände, beide zu Athene flehend.
Und sieh, der Gott vernahm uns. Deine Seele,
entzündet ward sie von der Himmlischen.
Du sprachst, sprachst Unvergessenes, Du sagtest:
»Was dir die Plappermäuler weigern, nimm!
Odysseus ist kein Name. Telemach,
Odysseus' Sohn, ist nicht ein leerer Schall!« –
Erfahren hab' ich's, daß er es nicht ist! –
»Des Löwen Same zeuget junge Löwen,
nicht junge Zicklein«, sagtest du, »so sei
ein junger Löwe, zeige deine Pranken,
was gilt's, daß keiner in den Weg dir tritt?«
So hab' ich's denn vollendet! und zu dir
strebt' ich zuerst. Denn die Gefährten segeln
nun ohne mich rings um die Spitze in
den Sund, zum großen Hafen. Ich verließ sie
am Vorgebirg' und klomm zu euch hinauf:
zu dir! um dich zu sehn, eh irgendwer
mich sieht, eh irgend jemand etwa sich
vermißt, den Blick, der seine Weide sucht,
auf sich zu lenken, den verschmachtenden:
auf toten, leeren, ausgebrannten Grund. –
Warum bist du voll Grauen? hast im Blick
statt jenes hellen Muts, den du mir schenktest,
die Angst? Sei fröhlich, Mädchen, denn ich weiß . . .
ich wußte, weiß es, hab' es stets gewußt
und weiß es mehr als je: es ist ein Kampf
auf Tod und Leben, der begann, und nicht
ein Spiel! So soll es sein! Hoch ist mein Mut,
froh meine Seele, und mein Herz ist furchtlos!
Wie geht es meiner Mutter?

Leukone                                     Als sie es
erfuhr, du seist heimlich zu Schiff gegangen . . .

Telemach
Still, fremde Ohren hören uns; und ich
vergaß den Bettler dort.

Leukone                               Er ist entschlummert. –
Als deine Mutter es erfuhr, du seist
heimlich zu Schiff gegangen, ohne Abschied,
da konnte sie's nicht glauben. Nun sie aber
erkannte, daß man Wahrheit sprach, erschrak sie.
Sie schwieg und schloß sich ein. Dann hörten ihre
Mägde sie weinen. Und sie rief und schalt
die alte Eurykleia, schlug die Brust
und drohte schwerste Strafen jedem an,
der etwa heimlich um den Plan gewußt.

Telemach
Wie viele Tage, sage mir, vergingen,
eh sie nach ihrem Sohne fragte?

Leukone                                             Vier.

Telemach
Gern hätt' ich dir's erspart, o arme Mutter,
daß du dich nun am fünften Tage doch
erinnern mußtest eines Sohnes, der
dir schwerlich halb so lieb als lästig ist.
Doch still davon. Genug, es geht ihr wohl
und allen ihren Freiern, hoff ich, die
Kronion meiner Rache aufbewahrt. –
Was ächzt der alte Mann im Traum?

Leukone                                                   Ich weiß nicht.
Doch wenig geb' ich für sein Leben, das
nur schwach im rauhen Wind des Schicksals noch
flackert und etwa heute schon verlischt.

Telemach
Nun sieh, dies ist der weiten Fahrt Gewinn:
Am Herd des greisen Nestor und im Land
des Helden Menelaos, aber mehr
im Kampf mit Wog' und Wind ward ich ein andrer.
Dort draußen erst erkannt' ich, wer ich bin.
Und mehr erkannt' ich: das, was ist und nicht ist,
ich unterschied es! Was sein sollte, sah
mein Blick, und was zu dulden schmählich ist.
Ich sah das Ziel und sah den Weg und sah
die Tat! die unausweichlich dieser Hände
und keiner andren wartet: eine Tat,
die, blutig treffend, meinen Vater, mich
und meine Mutter rächen wird! – Nicht sie
zuletzt, sie ist die meist Beschimpfte
durch ihrer Werber widerlichen Schwarm. –

Leukone
Und welche Kunde bringst du heim vom Vater?

Telemach
Daß er ein Gott war! Hier auf Ithaka
beißt man die Lippe, krampfhaft schweigend, wenn
sein hoher Name durch die Säle schwebt.
Man kehrt zum Nachbar sich und zuckt die Achsel,
bedauernd oder zweifelnd. Wenn die Mutter
sein Lob singt, spöttelt's in den Angesichtern
der Männer, und ihr Schweigen nimmt sich aus
wie Nachsicht mit der Schwachheit eines Weibes.
So ist's in Ithaka, des rauher Felsgrund
den Mann, dem keiner gleicht, hervorgebracht.
So schmachgewohnt und stumpf ist dies Geschlecht,
das hier den Boden düngt, daß es sich ärgert
am Strahlenglanze des Olympiers
und auf nichts andres denkt, als Gier und Brunft
in seinem Bett und Reichtum auszulöschen.
Da draußen ist es anders. Mächtig schreitet
der Vater im Gesange, schreitet klirrend
im Vollgetön der Harfen durch die Hallen
der Könige. Und so gewaltig schwoll
das Lied der Sänger, ihn verherrlichend,
daß ich erschrak und bei mir selbst erwog,
ob ich auch wirklich seines Blutes sei.

Leukone
Und welcher Meinung sind die Fürsten nun,
soll man noch hoffen?

Telemach                           Daß er etwa lebt
und heimkommt? Nein! Noch ferner harren wäre
nur Frevel. Er ist tot. Die Götter wollen
nicht, daß man, flehend um Unmögliches,
sie an die Grenzen ihrer Macht erinnre.
Und wahrlich: wohl ihm, daß er nicht mehr lebt,
fern von der Heimat! Solchen Jammer fügen
die Götter ihren Lieblingen nicht zu
für ewige Zeit. Was er, der Herrliche,
erlitten hat, ermess' ich nun erst. Als
im weiten Schoß des Meeres Ithaka
versank, rang sich zum erstenmal hervor
aus meiner Brust der Name: Vater!
Da erst verstand ich ihn zum erstenmal
mit Schmerzen, und sein ungeheures Leid,
aufdämmernd bloß, trieb mir die Tränen heiß
aus beiden Augen. Da zum erstenmal
war er mir nah, der Fremdling, dessen Sohn
mich meine Mutter nennt, und seine Seele
umarmte mich – des Vaters Seele! – weinend.
Und dann: sie blieb bei mir. In tiefer Nacht,
als ich das Ruder hielt und sich hochrollend
die Fluten wälzten unter unsrem Schiff,
berührte mich des Vaters Atem, fühlte
ich streicheln etwas, gleichend einer Hand,
auf Stirn und Schultern, und hochklopfend schwoll
mein Herz von einem rätselschweren Glück,
wuchs mir voll Mut! Hochklopfend sprach's in mir:
Du bist sein Sohn und ferner keine Waise!
Und wie wir nun den Kiel heimlenkten, siehe,
da flog sein Geist voraus. Der dumpfe Hall
des Ufers, als ich von dem Borde sprang,
schien mir ein Gruß des Unterirdischen,
Zurückgekehrten, Heimatsrecht verlangend.

Es soll dir werden, Vater. Wem die blaue
Meerflut, gleich einem wellenwerfenden,
glückseligen Himmel leuchtend ausgedehnt,
lieblicher dünkt als blumenreiche Wiesen
und Waldesrauschen um Neritons Haupt,
der kennt Poseidaons, des blaugelockten,
furchtbare Tücken nicht. Er soll bedenken,
daß diese breite, heuchlerische Flut,
sofern ihn dürstet, nicht den kleinsten Becher
vom Quell der Arethusa aufwiegt. – Vater,
willkommen bist du in der Heimat! wohnen
sollst du in bunten Wohnungen aus Stein,
im Licht, nachdem ich deinen Hügel dir
geschichtet und mit Opfern dich getränkt,
du Durstverschmachteter! und trinken sollst du
von allen heil'gen Quellen deines Landes –
des süßen Wassers und des süßen Weines,
das schwarze Blut der Widder und was süßer
als dieses alles: deiner Feinde Blut.

Odysseus ist aufgesprungen, steht mit närrischem Gebaren vor Telemach
Hier! Bah! begrabe mich: ich bin Odysseus.

Leukone
Wagst du den Heros zu entwürdigen?

Telemach
Laß ihn, Leukone, komm, er widert mich.

Telemach und Leukone ab.

Odysseus
Ihn ekelt's! Wie denn nicht, sofern Leichname
atmen, Verwesung hauchend, betteln um
Begräbnis. Wer denn lehrte ihn, den Sohn,
den Kern der goldnen Ruhmesfrucht erkennen,
der ausgespien am Wege fault und der
nicht ist das, was er scheint! – Und auch nicht scheint
das, was er ist! Doch wer, wer bin ich? ist
nicht meine Tat von mir entflohn und steht
fern, zwischen Göttern, am gestirnten Himmel,
in Licht verhüllt, ein funkelndes Gestirn,
fremd meiner Seele? und ich hocke hier,
ein Bündel schlechter Lumpen! Wandte sich
mein eignes Fleisch und Blut nicht schaudernd von mir,
als ich, ich selbst zu sein, mir angemaßt?
Ist nicht mein Sohn so fremd mir wie mein Ruhm?
Und ich bin hier, um Sohn und Ruhm zu betteln!
O tückische Götter! still! Den ihr zu Taten
beriefet, muß das Dulden lernen: Mut
lernt Feigheit! Wer der Erste war im Rat
und in der Schlacht, lernt kopflos fliehn. Der Held
sucht wie ein Hund vor einem Stein das Weite.

Er will davonrennen. Da tritt Eurykleia, gefolgt von Eumaios, ein. Odysseus weicht zurück und nimmt zusammengekrümmt wieder auf der Bank Platz.

Eurykleia
Ihr metzget, wie, Ihr brüht ein Mastschwein, was?
Auch Ihr gebt Gasterein, verpraßt das Gut
des edlen Laertiaden? Pfui! o pfui,
Eumaios!

Eumaios         Pfui, Eumaios, sagt sie: ei,
soll die Heuschrecke unten im Palast
den Raub allein verzehren?

Eurykleia                                     Pfui! o pfui!
Mög' Euch das Wort gereuen, Sauhirt! möget
Ihr an dem Fraß ersticken, Sauhirt! an
dem Raub blau werden und erwürgen.

Eumaios                                                     Das
wird Zeus verhüten. Schürze dich und hilf
zurichten, altes Schwatzmaul.

Eurykleia                                       Ja, ich will
Euch wohl zurichten, Sauhirt, will Euch unten
zurichten vor Penelopeia! Euch
ausrichten, Sauhirt! Wahrlich, in der Angst
des Herzens steige ich zu Euch empor . . .

Eumaios
Zeus stärk' das Eselein, das dich getragen.

Eurykleia
Ich steig' empor, so alt ich bin, ich schwanke
am Abgrund, stürze, sterbe fast: so glitt,
so stolperte das Tier . . .

Eumaios                               Ja, und? Vergiß
nicht, was du sagen wolltest, Eurykleia.

Eurykleia
Und find' Euch toll geworden wie die andern.

Eumaios lacht laut auf.

Odysseus schlägt inmitten des Lachens auf den Tisch
Schlachtet und eßt! schlachtet und eßt!

Eurykleia erschrocken                                     Wer ist
der Mann, Eumaios?

Eumaios                           Niemand! Nimm
für niemand ihn, denn so viel ist er: niemand!

Eurykleia
Wo Aas ist, sammeln sich die Geier, Sauhirt.
Gesindel überall! Wär' ich hier Herr
auf Ithaka, Giftbrocken legt' ich oder
hetzte mit Hunden dieses Prachervolk
ins Meer! Doch dies hat gute Weile, ich
bin ein hilfloses altes Weib, kein Herr
herrscht mehr im Land! Der Erbe ging den Weg
des Vaters. Zeus mag wissen, wo der Sohn,
wo Telemach und wo der Vater fault.
O mächtiger Odysseus! – Zu Eumaios
                                          Wehe dir,
auch dir, Abtrünniger, wenn er zurückkehrt!

Eumaios einfach
Er sei willkommen.

Odysseus                     Der Roßtäuscher! der
an Ränken unser aller Meister ist:
behend in jedem Diebespfiff, erfahren
in jedem feigen Trug, gerissen und
gehauen und gestochen, wie man sagt.
Wir wollen ihn zum Fürsten machen über
die Gaunerzunft auf Ithaka.

Eurykleia fährt auf ihn los             Du schmähst
den König, fremder Lump, und niemand
schlägt, Lügner, hinter beide Ohren dich?!

Odysseus
Ja, Niemand schlägt mich! Niemand schlägt mich!
    Er bearbeitet seinen Kopf selbst mit Schlägen.

Eumaios                                                                         Er
ist ganz von Sinnen, achte seiner nicht.

Eurykleia erschrocken
Wer ist es?

Odysseus         Niemand!

Eurykleia                           Bist du niemand?

Odysseus                                                     Ja!
Du kennst mich, ich bin Niemand, Tochter Ops'.

Eurykleia
Mir graut vor ihm.

Eumaios                       Nun er gegessen und
getrunken, fällt er lästig.

Odysseus in Angst, wie verfolgt   Raum, gebt Raum!
Laßt mich!

Eumaios           Wo willst du hin? was ficht dich an?

Odysseus
Ihr wollt des armen Bettlers Schlaf beschleichen.
Mörder!! – Er rennt nach hinten davon.

Eurykleia         Stütze mich, Hirt. Wer würgt ihn?
Das Blut gerinnt mir. Ich bin alt. Ich sah
Menschen einander morden, doch noch nie
zerriß ein Schrei wie der die Seele mir.

Eumaios
Nun, alte Schaffnerin, ich hörte schlimmre.
Was führt dich zu uns?

Eurykleia                             Nachricht soll ich bringen
von Telemach. Die Herrin schickt mich, sie
zerschlägt die Brust sich, weint und schilt,
weil man sie hintergeht.

Eumaios                               Wer hintergeht sie?

Eurykleia
Du, ihre Werber, ihre Mägde, alle!
und nun zuletzt der eigne Sohn! Sprich nicht
für Telemach! Die Mutter töten, wie –
durch Schreck und durch Bestürzung töten –, ist
das guten Sohnes Art? Der Gott vergebe
es seinem Leichtsinn! Macht sich heimlich auf,
allein, unkindlich, ohne Abschied, steigt
ins Schiff und fährt davon, bei dunkler Nacht.
Ihm fehlt der Vater, sag' ich! diesem Buben
hat eines Vaters strenge Faust gefehlt.

Eumaios
Bist du nun fertig, Eurykleia?

Eurykleia                                       Nein!
Der Himmel weiß es, um die Kehle mir
mit Worten rauh zu machen, stieg ich nicht
herauf zu dir und deinen Schweinen. Du
und deine Schweine sind mir minder wert
als Telemach und seine Mutter. Du
Verräter deines jungen Herrn! denn wie
willst du heraus dich schwatzen? hast du nicht
den Anschlag heimlich fördern helfen? Schiff
und Knechte ihm verschafft und Steuermann?
Und zu was Ende? Um ihn los zu sein.

Eumaios
O alte kluge Henne du!

Eurykleia                             Ich habe
Augen und sehe, Ohren hab' ich noch
und höre, hätt' ich auch Melantheus nicht,
den Ziegenhirten, noch getroffen.

Eumaios                                               Wie?
du trafst Melantheus?

Eurykleia                           Freilich traf ich ihn.
Den Freund Eumaios stieg er zu besuchen.

Eumaios
Machst du mir nichts Geringeres zum Vorwurf,
und hast uns die Buhldirne, die Melantho,
wie Ungeziefer in den Pelz gesetzt!
Nun kommt der widerliche Ziegenhirt –
soll dies ein Wunder sein –, sie zu besuchen,
die doch des listigen Schubiacks Tochter ist.
Beim Zeus, so geht's mit uns nicht weiter, Alte.
Zudem ist Telemach zurückgekehrt.
Wir haben einen Mann und einen Herrn
uns eingewechselt für den Knaben, der
vor Monatsfrist in See ging. Spare dir
deshalb nur jedes Wort und sei zufrieden.

Eurykleia
Hat mir doch wahr geträumt vergangne Nacht.
Ich will ihn sehn, befühlen, bring mich zu ihm.

Melantho hat, dreist und neugierig horchend, sich aus dem anstoßenden Raume genähert.

Melantho
Ist's wahr, daß du den Vater trafst?

Eumaios                                                 Was willst du?

Melantho
Ei, nichts. Nur hören, ob ich recht gehört.

Eumaios
Arbeite! Stopfe Wachs in deine Ohren!

Melantho
Man hört gern manches, was zu wissen gut ist.

Eumaios
O ja! so wisse: dir gebührt ein Stein
um deinen Hals, und daß man dich versenkte
im Meere für dein Tun und für dein Maulwerk.

Melantho lacht höhnisch
Die Häupter der Fürsten denken nicht wie du
und werden andren tun, was du mir wünschest.
So lange harr' ich ruhig mit Geduld.
O wüßten nur die Freier, was hier vorgeht.

Eurykleia
Bist du noch nicht gebändigt, Schändliche,
die sich im heiligen Palast des Königs
an jeden Lotterbuben schamlos wegwarf,
willfährige Dienerin jedes fremden Lüstlings,
den heiligen Herd verratend, der dich großzog!
Gehst du noch jetzt nicht in dich, wo die Herrin
die mildeste Strafe, dich zu bessern, aussann?

Melantho
Wär' denn die Königin so keusch, mit ihrer
Schar toller Fürsten, wilder Jünglinge,
die ihr das Haus durchlärmen tags und nachts?
Liegt auf der Schwelle ihres Schlafgemachs
der hundertköpfige Höllenhund zur Wache?
Und schnäbelt sich hier oben Telemach
anders mit eines Hörigen niedrer Magd,
als es geschah, wenn man nicht log und mich
Eurymachos, der Held, wirklich geküßt hat!?

Melantho lacht und begibt sich in das hintere Gemach zurück. Der alte Laertes, dem Bettler Odysseus zum Verwechseln ähnlich, hat sich unbemerkt auf den Platz gesetzt, den jener vorher innehatte.

Eumaios
Seit sie hier ist, hab' ich den Feind im Haus.
Und kommt es einst zur blut'gen Rechnung, Alte,
so ist sie nicht die letzte, die hinab muß.

Eurykleia bemerkt Laertes und erschrickt
Da ist er wieder.

Eumaios                   Wer?

Eurykleia                           Ein Grauen faßt mich.
Was will der fremde Schleicher wiederum?

Eumaios
Du irrst: Laertes ist es!

Laertes                               Ruft mich jemand?

Eumaios
Willkommen heißt dein Knecht dich, edler Herr.

Laertes
Koche mir eine Hafersuppe, hörst du?
Du sollst mir eine Hafersuppe, sollst
mir eine Hafersuppe kochen, Sauhirt.

Eumaios
Heilig ist diese Stunde, Herr, dein Enkel
ist heimgekehrt! Reich soll dein Mahl sein, Herr.
Wir haben ein Gelage angerichtet
zu deines Enkels, Telemachens, Heimkehr.

Laertes
Jawohl, die Hafersuppe. Recht so, koche
mir eine Hafersuppe, Sauhirt.

Eurykleia                                       Oh,
mein alter, lieber, göttergleicher Herr,
Vater des vielgeprüften Irrenden,
den man Odysseus nennt, den Zornigen.
Ich kannte ihn. Ich kannte seinen Zorn,
der, einmal aufgewacht, mit Blut allein
sich sättigte und stillte. Armer Vater,
bist du so schutzlos? Hast du niemand, der
im Bad dich knetet und dich königlich
ankleidet? Sind Penelopeias Kammern nicht
mit Prunkgewändern angefüllt?

Laertes                                             Eumaios,
du sollst mir eine Hafersuppe kochen.

Eurykleia
Läßt man dich darben, den ehrwürdigen
eisgrauen Patriarchen? Ward dies je
erhört, ein reicher Fürst in Lumpen? Käme
dein Sohn doch wieder, dies zu rächen.

Laertes                                                         Wer
ist dieses Weib, Eumaios?

Eumaios                                     Eurykleia.

Laertes
Ah, bist du es, Eurykleia, Tochter Ops'? –
    Eurykleia küßt ihm die Füße, schluchzend.
Es ist doch wunderlich, Eumaios: sieh,
dies Weib war einstmals jung! noch wunderlicher:
ich selbst bin einstmals jung gewesen! beide,
sie und sogar auch ich, wir waren jung!
Ich hatte keinen Sohn und keine Schwieger,
die mir mein Leichenhemde webt, und keinen
Enkel mit Namen Telemach. Ich war
geboren und lachte. Und sie war geboren
und richtete mir, hoch geschürzt, das Bad.
Denke: von allen unsren Feinden, die
das Eiland heut bevölkern, dem Gewimmel
des Schiffsvolks groß und klein am Hafen war
noch keiner da. Noch ungeboren war
so Tier und Mensch, was heut hier wütet, und
weißt du, warum ich damals nicht, als ich
so gern es wollte und du lieber noch
geduldet hättest, deinen jungen Leib
genossen, Eurykleia, Tochter Ops'?
    Kichernd
Ich weiß es nicht! Nun sind wir alt und zahnlos,
und du und ich, wir buhlen nicht mehr, nein! –
Koche mir eine Hafersuppe, Hirt!

 


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