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Die Offizierswohnung Rudorffs im Parterre der Kaserne. Ein wenig tiefes, einfenstriges Zimmer mit dem großen Fenster in der Mitte der linken Seite.
Links hinten ein Klavier, vorn ein Schreibtisch. Rechts hinten die Tür zum Schlafzimmer. Über der Tür ein viergeteiltes Fenster mit Milchscheiben, das um die Mitte verstellbar, beweglich ist. Rechts vorn die Tür zu einem dunklen Vorraum, der auf den Korridor führt. Zwischen den Türen ein dunkelrot lackierter Kleiderschrank. Rechts in der Ecke ein eiserner Ofen,
In der Mitte des Hintergrundes ein langes altes Ledersofa mit ovalem Tisch davor und zwei einfachen Rohrstühlen. Links vom Sofa Kommode mit Spiegel darüber, rechts ein Vertiko, auf dem ein Likörservice steht. Über dem Sofa die Bilder der drei Kaiser, Lichtdruck in braunem Holzrahmen. Über dem Kleiderschrank mehrere durchschossene Scheibenbilder. Auf dem Klavier die Gipsbüsten von Mozart und Beethoven und ein Bild von Wagner. In die Portieren des Fensters sind zahlreiche Kotillonorden gesteckt. Direkt über dem Sofa Epauletts und Achselstücke an der Wand befestigt.
Der zweite Akt spielt etwa acht Tage später als der erste. Abends nach zehn Uhr. Wenn der Vorhang aufgeht, liegt der Bursche Rudorffs, Heinrich Nettelbusch, auf dem Ledersofa und schnarcht. Die Bühne ist dunkel, nur von einer Stearinkerze auf dem Sofatisch erhellt. Auf dem Sofatisch ein Wecker. Über den einen Stuhl am Sofatisch gelegt: Paletot, Helm und Schärpe.
Hans (hastig von rechts vorn. Er sieht sich im Zimmer um und bemerkt Heinrich:) Heinrich! – Heinrich!!
Heinrich (fährt aus dem Schlaf auf. Erschrocken, verschlafen:) Herr Leutnant. (Er springt auf.)
Hans. Kerl! Wo steckst du denn? Habe dich schon in der Burschenstube gesucht. Was fällt dir denn eigentlich ein?! Mein Sofa . . . Bist wohl toll geworden?
Heinrich (schlaftrunken:) Herr Leutnant . . . haben um Zwölf Ronde.
Hans. Weiß ich. Nu mach mal schleunigst Licht: Steck die Lampe an! Vorwärts!
Heinrich (steckt auf der Kommode links die Lampe an.)
Hans (nimmt den Paletot vom Stuhl und hängt ihn in den Kleiderschrank:) Mein Schwiegervater kommt gleich. 230
Heinrich, (erschrocken, pustet das Licht aus.)
Hans. Steck mal sofort das Licht wieder an und stell's aufs Klavier! Und die beiden Klavierleuchter auch anstecken! (Er nimmt Helm und Schärpe und trägt sie in den Vorraum. Er sieht die Weckuhr:) Und hier da, das Dings da, den Wecker – weg damit – auf die Kommode.
Heinrich (führt alle seine Befehle hastig aus.)
Hans (sieht sich im Zimmer um:) So . . . Halt! Hätt ich ja bald die Hauptsache vergessen! – Er holt aus der Fensternische eine Staffelei, die er vor dem Fenster am Klavier aufstellt. Das Bild! Bring mal das Bild!
Heinrich. Welches Bild meinen Herrn Leutnant?
Hans. Na, was ich vorhin rüber geschickt habe. Esel. Wo hast du's denn gelassen?
Heinrich. Ach!
(Er eilt zum Vertiko rechts, an das das in Papier eingeschlagene Bild angelehnt ist.)
Hans (kommt ihm entgegen:) Gib her! (Er nimmt ihm das Bild ab, reißt das Papier ab und gibt es ihm:) Weg mit dem Papier!
Heinrich (nimmt das Papier, öffnet die Schlafzimmertür und wirft es ins Schlafzimmer.)
Hans (stellt das Bild, eine ziemlich große Platinotypie in Goldrahmen, auf die Staffelei – tritt einen Schritt beobachtend zurück und richtet die Staffelei so, daß sie ordentlich beleuchtet ist. – Er geht an den Ofen:) Natürlich, ausgegangen. Schleunigst wieder anmachen! Es ist eine Bullenkälte hier. – Und wenn du dann geheizt hast, gehst du in die Kantine und sollte da schon geschlossen sein, ins Kasino und holst zwölf Flaschen Bier.
Heinrich. Jawohl, Herr Leutnant.
Hans (geht zur Tür:) Halt! Gläser! Wieviel haben wir denn noch?
Heinrich. Eins, Herr Leutnant.
Hans. Eins? Dann gehst du also zum Ökonomen und sagst: ich ließe ihn um zehn Biergläser bitten. So. Und nun schnell, schnell: ich komme gleich wieder.
(Hastig rechts vorn ab.) 231
Heinrich (reckt die Arme und gähnt:) Ach ja! – »Schnell, schnell!« –
(Er sieht in den Ofen und gähnt wieder. Langsam geht er zur Tür.)
Joseph Wachowiock (steckt den Kopf durch die Tür:) Na, Rudorff, wat is denn hier noch los?
Heinrich (phlegmatisch:) Es ist chut, daß du kommst, Glahn. Sag mal, habt ihr denn woll noch en bißgen Feuer im Ofen?
Joseph. Wir? Natürlich! Bei uns wird jetzt jede Nacht durchgearbeitet. Ahnst du, wie wir streben?
Heinrich. Ach du, dann holst du mir woll 'ne Schippe voll rüber. Ich soll nämlich noch Bier holen und Gläser holen und . . . unser Schwiegervater kommt noch.
Joseph. Ooch noch. Na weil du's bist.
Heinrich. Aber schnell, schnell, schnell . . .
Joseph. Nu ja doch! Ick loofe ja schon.
(Er eilt rechts ab.)
Heinrich (geht zum Sofa und läßt sich in die Sofaecke nieder:) Ach ja! – (Er gähnt.)
Joseph (kommt eilends zurück mit einer Schaufel glühender Kohlen, die er schnell zum Ofen trägt:) Nanu? Du hast's ja recht eilig.
Heinrich (erhebt sich:) Ich hatte so bannig fein jepennt . . . (Er geht ins Schlafzimmer.)
Joseph (heizt ein:) Wenn du nur pennen kannst, oller Dachs . . .
Heinrich (kommt mit einem großen braunen Korb zurück und geht zur Korridortür.)
Joseph (am Ofen beschäftigt:) Du, Rudorff! Wat is denn det für 'n Schwiegervater?
Heinrich (schläfrig:) Ich weiß nicht. Wie sie so sind. (Man hört plötzlich entfernte Musik. Er fährt zusammen.) Herrjeses! Da kommen sie ja schon.
(Er eilt zum Korridor ab. Die Musik kommt langsam näher. Sie spielt den Radetzkymarsch.) 232
Joseph (springt vom Ofen auf, eilt auf die Tür vorn rechts zu, öffnet sie den ihm entgegenkommenden Offizieren und bleibt im Türrahmen stramm stehen.)
Peter, (der sich die große Pauke umgehängt hat, voran. Ihm folgt)
Paul (mit dem Becken. Darauf mehrere Musiker mit Blasinstrumenten. Sie stellen sich, indem sie weiter spielen, zwischen dem Kleiderschrank und dem Sofa in einer Reihe auf.)
Hans (kommt, mit seinem Schwiegervater Arm in Arm, gleich hinter der Musik. Sie stellen sich vor den Sofatisch. Dann folgen im Gänsemarsch: Benno, von Marschall, Moritz, Harold, Glahn und noch drei Leutnants. Alle Herren tragen bunte Papierfackeln. von Marschall bleibt anfangs in der Tür stehen und wartet, bis Hans und sein Schwiegervater vor dem Sofatisch Stellung genommen haben. Dabei tritt er nach dem Takte der Musik auf der Stelle.)
von Marschall, (indem er die Fackel hoch und wieder herunterhält:) Frei – – weg!
(Er marschiert im Parademarsch, Kopfstellung rechts, von den andern im Abstand von zwei Schritt gefolgt, an Hans und dessen Schwiegervater vorbei. Die Herren nehmen an der linken Seite Aufstellung.)
Hans (winkt die Musik ab. Zu dem Hornisten:) Blasen Sie zur Kritik!
Hornist (gibt das Signal: »Zur Kritik«.)
Die Herren (versammeln sich im Kreise um Hans und seinen Schwiegervater, wobei sie ihr Berittensein markieren. Sie salutieren mit den Fackeln.)
Hans. Meine Herrn! (Alles schweigt.) Meine Herrn, ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen die vollste Zufriedenheit Seiner Exzellenz, meines Herrn Schwiegervaters, über Ihr strammes Verhalten am heutigen Übungstage aussprechen zu können! – Der heutige Gefechtstag hat sich dank der vorzüglichen Anlage von seiten des Herrn Oberleutnants von Marschall zu einem überaus lehrreichen gestaltet! – Meine Herren!
Heinrich (kommt von rechts mit dem Bierkorb und Gläsern. Er 233 stutzt, wird mit Gelächter und lautem Hallo empfangen und trägt die Sachen auf den Schreibtisch. Dort bleibt er stehen.)
Hans. Meine Herrn! Fehler sind dazu da, daß sie gemacht werden – wir wollen an ihnen lernen. Die Haltung der Herrn Offiziere war trotz der Strapazen des Tages eine musterhafte! – Der Geist, der in der Truppe herrscht, hat auf meinen Herrn Schwiegervater den wohltuendsten Eindruck gemacht – die Verpflegung wurde allen Ansprüchen gerecht. – Ich danke Ihnen, meine Herrn – ich habe mich gefreut, Sie wiederzusehn.
Die Herren (salutieren wieder und gehen auf den Bierkorb zu. Alles redet auf einmal laut durcheinander.)
Peter und Paul (bilden mit Hans und dem Schwiegervater eine Gruppe.)
Peter (schlägt nochmal die große Trommel. Die Musiker stehen bescheiden rechts.)
Die Herren (trinken von dem Bier, teils aus Gläsern, teils aus der Flasche.)
Hans (ruft:) Benno bitte! Bring uns doch mal Bier!
Benno (bringt zwei Glas Bier:) Herr Kommerzienrat! Erlauben Sie, daß ich noch einmal mit Ihnen anstoße! Wie ein guter Freund von mir schon auf Kriegsschule zu sagen pflegte: die einzigen Zivilpersonen, mit denen der Offizier verkehren sollte, sind die Schwiegerväter und die Mädels – Pardon! Pardon! Die Damen!
Schmitz (stößt gutmütig lachend mit ihm an:) Ja ja, lieber Herr von Klewitz, man merkt es: der Karneval liegt uns schon allen im Blute, was?
Benno. Liegt in der Luft, jawoll, Herr Kommerzienrat!
Hans. Aber willst du dich nicht setzen, lieber Papa . . .
Schmitz. Ach nein, ich möchte doch erst auch noch ein paar Worte . . .
Hans. Aha! (Zu dem Hornisten:) Achtung! Blasen Sie: »Achtung«!
Hornist (gibt das Signal: »Achtung«.) 234
Hans. Seine Exzellenz bittet die Herren noch einmal . . . (Alles schweigt.)
Schmitz (ernst, anfangs beinah schüchtern, mit Wärme:) Meine lieben, verehrten Herrn Leutnants! Ich bin zwar nie Soldat gewesen . . . Und ich habe während meines ziemlich bewegten Lebens eigentlich nur recht wenig mit dem Militär zu tun gehabt. (Er räuspert sich.) Aber ich kann Ihnen nur sagen, daß mich die nette, liebenswürdige Art, mit der sie mir heute entgegengekommen sind, einfach . . . einfach . . . wie soll ich sagen? – entzückt hat. Ich danke Ihnen von Herzen dafür! Ich kann Ihnen wirklich nur sagen, daß ich stolz darauf bin, daß mein Schwiegersohn, mein lieber Hans, einem wirklich so reizenden Kreise angehört. Sein Sie versichert, daß ich diesen köstlichen, gemütlichen Nachmittag in Ihrem Kasino niemals vergessen werde, und wenn Sie mal nach Köln kommen, so hoffe ich, werden Sie sich meiner erinnern und nicht an meiner Tür vorübergehn. (Beifälliges Gemurmel. Mit etwas erhobener Stimme fortfahrend:) Wahrhaftig, meine Herrn! So lange unsre Armee solche frische, lebensfrohe und ritterliche Offiziere hat, in denen ein so guter deutscher Geist lebt – so lange wird unser teures deutsches Vaterland blühen, wachsen und gedeihn und stark sein gegen äußere und innere Feinde! (Allgemeines lebhaftes Bravo. Gesteigert:) Und darum, meine Herren, gestatten Sie mir, als schlichtem Kaufmann, in dieser Stunde ein Hoch auszubringen . . . ein Hoch auf das starke Band, das unser gesamtes wirtschaftliches und nationales Leben kraftvoll zusammenhält – das starke Band, unsere herrliche deutsche Armee – sie lebe hoch! hoch! hoch!
(Dreifacher Tusch. Alles stimmt begeistert ein.)
Hans, (indem er Schmitz die Hand schüttelt:) Lieber Papa, du beschämst uns – verzeih nur den Unsinn, den wir treiben!
Schmitz. Aber ich bitte dich, lieber Hans! Das gehört doch dazu . . . (Er sieht nach der Uhr.) So. Na und . . . Wie spät ist es denn jetzt eigentlich? 235
Hans (ebenfalls nach der Uhr sehend:) Oh, du hast noch Zeit, Papa . . .
Schmitz. Na? – Ich muß noch ins Hotel . . . Wenn wir noch ein paar Worte zusammen reden wollen . . . Und du hast um Zwölf Ronde, hab ich gehört?
von Marschall. Wollen Herr Kommerzienrat wirklich diese Nacht noch zurückfahren?
Schmitz. Ja, ja, mein lieber Herr von Marschall. Leider. Auch unsereins hat seinen Dienst. Ja . . .
von Marschall. Na dann gestatten Sie wohl, Herr Kommerzienrat, daß wir uns von Ihnen verabschieden.
Peter (hängt Benno die große Trommel um.)
Paul (gibt einem anderen jungen Offizier die Becken.)
Schmitz. Adieu, lieber Herr von Marschall – auf Wiedersehn.
von Marschall. Nun, wir haben ja recht bald das Vergnügen, Herrn Kommerzienrat wiederzusehen. Rosenmontag!
Schmitz. Ja, ja, am Rosenmontag! Ja, meine Käthe und die Mama kommen ganz bestimmt, ob ich schon wieder abkommen kann . . .
Hans. Aber gewiß, lieber Papa – du mußt! Bedenke doch, welch ein Fest! Da sollst du uns erst mal kennen lernen!
Schmitz. Na, will mal sehn. (Sie schütteln sich nochmals die Hand.) Adieu. –
von Marschall. Adieu.
Die andern Herren (verabschieden sich mit Verbeugung und Händedruck der Reihe nach.)
von Marschall. Musik, antreten! Benno! An die Tete! Marsch!
(Paukenschlag von Benno.)
(Die Musik setzt sich in Bewegung und spielt einen Marsch. Alles, mit Ausnahme von Schmitz, Peter, Paul und Hans, folgt.)
Hans (laut:) Harold, Moritz! Ihr kommt doch noch wieder? Ihr wißt doch, ich habe Ronde.
Harold und Moritz. Jawohl, jawohl.
(Der Zug zieht rechts ab.) 236
Paul und Hans (am Fenster, vor dem Bilde der Braut.)
Peter (zu Schmitz:) Nun, Herr Kommerzienrat, nun haben Sie ja unser bescheidenes Dasein hier mit all seinen Reizen kennen gelernt. Sie sehen, wir lassen uns die Laune nicht verderben und leben stillvergnügt drauf los!
Schmitz. Na, stillvergnügt . . .?
Peter (lachend:) Nu ja, manchmal auch ein bißchen lustig, ausgelassen, zumal jetzt. Aber was sagen Sie zu Hans: wie der aufgetaut ist, was? Gar nicht wieder zu erkennen! Sie haben sich gewiß ebenso wie unsere ganze Familie von Herzen gefreut, daß er sich so famos wieder in die Sache hineingefunden hat! .
Schmitz. Ja, wirklich, das muß ich sagen! Und ich glaube, ich täusche mich nicht, mein lieber Herr von Ramberg, wenn ich ein Hauptverdienst daran Ihnen zuschreibe. Sie haben sich seiner gewiß recht angenommen.
Peter. Das hat nichts zu sagen. Hans ist eben von Grund aus Soldat und zwar ein vorzüglicher Soldat. Er ist jetzt einfach wieder in seinem Element. (Zu Hans:) Nicht wahr, Hans?
Hans. Was? – Pardon.
Peter. Na, dein Schwiegervater meint, du fühltest dich hier wie der Fisch im Wasser.
Hans. Gewiß, lieber Papa. – Wie der Fisch im Wasser. Nur . . . (Mit einer Handbewegung auf die Räumlichkeit hinweisend) – Das Bassin könnte größer sein.
Schmitz. Na, die kurze Zeit als Bräutigam wirst du hier wohl noch aushalten. Später sollst du dich darüber nicht zu beklagen haben.
Hans. Ach, das ist ja nur Scherz, Papa . . .
Peter (sich verabschiedend:) Ja . . . Herr Kommerzienrat: Sie haben gewiß mit Hans noch das ein oder andere zu besprechen, gestatten Sie also, daß auch wir uns empfehlen. Adieu! Also auf Wiedersehn – am Rosenmontag. 237
Schmitz. Leben Sie recht wohl, Herr von Ramberg. Und ich danke Ihnen noch einmal herzlich: Sie wissen. –
Peter. Bitte sehr! Viele herzliche Grüße an Ihre werte Familie. – Und wenn Sie Großmama sehn –
Schmitz. Danke schön.
Paul. Bitte gleichfalls. Adieu . . .
Schmitz. Adieu . . .
(Händeschütteln.)
Peter (winkt im Abgehen Hans mit der Hand:) Na, wir sehen uns noch nachher.
Hans. Aber bestimmt.
(Die beiden Rambergs ab.)
Hans (sieht ihnen etwas zerstreut nach.)
Schmitz (gemütlich:) So. Na nu gestatte mal . . . nu will ich mich mal auf dein Ledersofa setzen. (Er setzt sich in die Sofaecke rechts. Er will sich so recht hineinwerfen, fühlt aber, daß es hart ist.) Oho!
Hans. Ja, ja! Nicht wahr: was so'n echtes Königlich Preußisches Kasernensofa ist . . . »Je mehr anderwärts Luxus und Wohlleben um sich greifen, um so ernster tritt an den Offizierstand die Pflicht heran, nie zu vergessen, daß es nicht materielle Güter sind, welche ihm die hochgeehrte Stellung im Staat und in der Gesellschaft verschafft haben.«
Schmitz (lachend:) Du redst wie 'n Buch.
Hans. Das hab ich noch so von Kriegsschule her behalten. – Aber wollen wir nicht lieber ins Hotel gehn? Da ist es denn doch . . .
Schmitz. Weshalb? Ich find es hier sehr nett. Hotels kann ich alle Tage haben, aber in so 'ner Leutnantsstube in der Kaserne bin ich noch nie gewesen. (Er sieht sich um:) Riesig interessant.
Hans. Nicht wahr . . .
Schmitz. Aber komm, setz dich doch auch, Hans! 238
Hans (setzt sich rechts auf den Stuhl.)
Schmitz. Komm, steck dir noch eine von den Echten an, die dir vorhin so gut schmeckten.
Hans. Die vorletzte?
Schmitz. Oh, ich hab im Koffer noch. Nimm dir nur! Von Köln werd ich dir ein Kistchen zukommen lassen. (Sie zünden sich die Zigarren an.) Nun sag mal: wo schläfst du denn hier eigentlich?
Hans. Ja, sieh mal, das ist ja nun eigentlich ziemlich mangelhaft. (Indem er aufsteht und die Tür rechts hinten öffnet:) Das ist hier. Ein kleiner Raum. Ganz dunkel. Wie eine Gruft – wie ein Familienbegräbnis. (Er schließt die Tür wieder.) Licht und Luft kommen einzig und allein hier oben durch dies Fenster. Das ist verstellbar. Natürlich läßt man's den ganzen Tag offen. (Lächelnd:) Nu, aber, wie du so freundlich warst anzudeuten – man wird ja hier sein Leben nicht beschließen. (Er setzt sich wieder auf seinen Stuhl.)
Schmitz. Ja! Es ist doch ein merkwürdiges Leben . . . Sag mal: deine Vettern, die Rambergs: das sind doch so eigentlich die . . . die Richtigen?
Hans. Die Richtigen?
Schmitz. Nun ja . . . ich meine . . . für das Offiziersleben.
Hans. Erlaube mal! Ich wohl nicht?
Schmitz. Dich könnt ich mir auch anspruchsvoller denken. Aber die . . . Ein paar prächtige Menschen übrigens!
Hans. Ja, ja . . .
Schmitz. Deine Großmama kann sie gar nicht genug rühmen.
Hans. Das glaub ich! Sie waren schon in Lichterfelde Musterknaben. Aber, verzeih mal, lieber Papa: das ist mir vorhin aufgefallen: weshalb . . . wofür danktest du ihnen eigentlich?
Schmitz (verlegen lächelnd:) Ich? Ach so . . . na, sie haben sich doch wohl deiner immer sehr angenommen.
Hans. Angenommen? 239
Schmitz. Sie stehn dir ja doch schließlich auch am nächsten.
Hans. Nun ja, aber: »angenommen –« Na, wenn du willst . . .
(Pause.)
Schmitz. Das Bild von der Käthe macht sich da übrigens sehr schön.
Hans. Prachtvoll, jawohl. Eigentlich viel zu schade für so 'ne Kasernenbude.
Schmitz. Schade? Wieso?
Hans. Ich meine nur: es paßt doch nicht so recht . . . in die Umgebung.
Schmitz. Hm. Ja. Na . . . (Pause.) Hans, hör mal zu! Es ist mir peinlich, aber – ich hab's nun mal deiner Großmutter versprechen müssen – sie hat mir da so was angedeutet – so was erzählt – von einem Mädel – Gott: jeder hat ja mal in seiner Jugend . . . mehr oder weniger . . . seine Streiche gemacht. . . sich die Hörner abgelaufen . . .
Hans (schweigt.)
Schmitz. Also – versteh mich nicht falsch, Hans . . . ich will dir nicht etwa deine Sünden vorhalten und Tugend predigen – keineswegs. Ich will nur – oder eigentlich soll nur – dich noch einmal – fragen – du sollst mir – sagen: daß jetzt – verstehst du wohl: jetzt alles vorbei ist. Aber auch alles! – Kannst du mir das versichern?
Hans (ohne aufzusehen:) Ja, Papa: das kann ich dir mit gutem Gewissen versichern.
Schmitz (reicht ihm die Hand.)
Hans (schlägt ein:) Es ist wirklich alles – vorbei.
(Pause.)
Schmitz. Na, Gott sei Dank! Nun bin ich die Sache los. Ich meine: diesen peinlichen Auftrag. Ich weiß wirklich nicht, weshalb deine Großmama mit solcher Energie darauf bestand, daß ich diese feierliche Frage an dich richten sollte. Nun ja, die lieben Damen nehmen solche . . . hm . . . Geschichten natürlich 240 immer viel zu tragisch. Ich sagte mir ja gleich: was kann da sein! Pa! Ein junger hübscher Offizier, wie du – mein Gott: wozu sind denn die Mädels da?
Hans (steht auf – lebhaft:) Nein! – So war's nun doch nicht! – Etwas anderes war's nun doch! – Pardon!
Schmitz (überrascht:) Wie? –
Hans (aufgeregt:) Lieber Papa. Es ist das erste- und soll das letztemal sein, daß wir über diese Sache – miteinander sprechen. Aber da – will ich dir auch reinen Wein einschenken. Ich – ich will keine Geheimnisse vor dir haben – du sollst die volle Wahrheit wissen. – Es . . . es handelte sich nicht um das landesübliche Techtelmechtel, sondern um eine Sache, die mir beinah ans Leben gegangen wäre. –
Schmitz. Aber, Hans, du bist ja ganz . . .
Hans (läßt ihn nicht aussprechen:) Laß mich bitte, Papa. Es muß einmal heraus. Also . . . Vorigen Sommer vor einem Jahre hab ich das Mädchen zuerst gesehn. In der Kirche war's . . . eines Sonntags, als ich meine Leute zum Gottesdienst führte. Gertrude hieß sie, Gertrude Reimann, aus einer Handwerkerfamilie. Es lebte nur die Mutter noch. Bei der wohnte sie. – –
Ich will nicht leugnen, daß ich das Verhältnis anfänglich ebenso leichtfertig auffaßte und hinnahm, wie das im allgemeinen üblich ist . . . aber das war nur im Anfang . . . nach und nach gab es zwischen uns eine Vertrautheit und eine so wunderbare Innigkeit, wie sie in solchen Fällen wohl ganz selten ist. Das kam mir vor wie das schönste Glück. Ja! Ich vergaß ganz und gar, daß an dieser . . . Liebe etwas Unrechtes und Unreines sein könnte. Wir beide lebten wie in einer anderen Welt, und wenn ich an die Zukunft dachte, dann kam mir wohl das eine oder andere in den Sinn – alles mögliche ging mir durch den Kopf – aber niemals, niemals der Gedanke, daß wir uns trennen könnten. – –
Schmitz (erstaunt:) Ja, Hans – aber . . .
Hans. Ja! Du schüttelst den Kopf . . . verrückt, 241 verrückt! Ich weiß ja. Aber was willst du! Ich war's eben mal . . . (Nervös auflachend:) Ehre, wem Ehre gebührt. Ich will mich nicht besser machen, als ich bin. – (Er geht aufgeregt durchs Zimmer und bleibt dann wieder vor dem unruhig gewordenen Schmitz stehen:) Siehst du: so standen die Dinge, als ich vorigen Juni zur Gewehrfabrik kommandiert wurde. Ein Jahr lang, grade ein Jahr lang hatten wir so einander angehört, die Traute und ich – und vier Wochen, lumpige vier Wochen sollt ich fortbleiben. Aber das war schon zu lang! (Er lacht bitter auf.)
Schmitz. Ach so? – Hm. Nun ja, natürlich . . .
Hans. Die ersten vierzehn Tage schrieb sie mir noch die zärtlichsten Briefe . . . dann hörte das auf einmal auf – gar nichts mehr ließ sie von sich hören, und als ich zurückkam, erfuhr ich sofort, daß sie mich in der schamlosesten Weise betrogen hatte. Und zwar mit einem Menschen – aber das gehört nicht hierher. Genug: alle Welt wußte davon. Alle Welt! Sogar der Oberst hatte merkwürdigerweise davon erfahren und hielt es für notwendig, mir nachträglich die wohlwollendsten Ermahnungen zukommen zu lassen. Na – lieber Papa: ihm hab ich damals schon mein Ehrenwort gegeben, daß die Sache tot und begraben sei! Tot und begraben!
Schmitz. So. – Hm. Und sag mal, Hans . . . hast du sie denn seitdem – niemals – wiedergesehn?
Hans. Niemals! Gott sei Dank. Ja: Gott sei Dank! O, was glaubst du wohl: was ich damals für eine Wut, für eine wahnsinnige Wut am Leibe hatte! – Bei Gott, Papa, es saß verdammt tief! Ich würgte und würgte daran . . . Folge war, daß ich ganz toll drauf los lebte . . . sinnlos.
Schmitz. Aha! Und da machte man dann Dummheiten.
Hans. Ja. Offen gestanden, lieber Papa, es ist mir ganz recht, daß wir auch darauf kommen, damit du mich richtig beurteilst. Siehst du: das ist die einzige 242 Zeit meines Lebens, in der ich gespielt und Schulden gemacht habe: mir war einfach alles Wurscht. Ich war vollkommen außer Rand und Band und bummelte ganz kolossal. Die Folge waren dienstliche Unannehmlichkeiten, verzweifelte Stimmungen . . . da wurd ich krank – zu meinem Glück vielleicht. Na . . . und das Übrige – weißt du.
(Pause.)
Schmitz. Hm. Bist du also nun zu Ende?
Hans. Ja.
Schmitz (erhebt sich. Gewichtig:) Nun dann . . . lieber Junge: gib mir mal zunächst deine Hand! Ich bin nun selber froh, daß die Sache zwischen uns zur Sprache gekommen ist. – So hatt ich sie mir freilich nicht vorgestellt, ich wußte nur so ungefähr, was die Rambergs damals an die Großmama geschrieben: Gott sei Dank, er ist sie los . . . oder so was, aber . . .
Hans (frappiert:) Die Rambergs – an die Großmama?
Schmitz. Ja. – Jetzt sehe ich, daß es doch viel ernster war. Ich danke dir für deine offene, ehrliche Beichte – sie hat dir in meinen Augen gewiß nicht geschadet – im Gegenteil. (Er atmet erleichtert auf und setzt sich wieder:) Na! – Alles in allem kann man dir schließlich nur gratulieren, daß du die gefährliche Person so glatt losgeworden bist.
Hans. Gefährliche Person? Wenn du sie gesehn hättest . . .
Schmitz. Ja, ja, ja . . . laß man gut sein: soviel hab ich nun doch gemerkt: gefährlich, reell gefährlich hätte dir das Mädchen werden können. Sieh mal, so 'n Mädel, das sich mit einem Offizier einläßt, von dem sie doch von vornherein weiß, daß er sie nicht heiraten wird – wie kann denn die was taugen? Sie mag ja manchmal ganz nette und liebenswürdige Eigenschaften haben – aber im Grunde ist es doch immer wieder dasselbe. Du hast es ja erlebt. Wehe dem Manne, der sein Herz an ein solches Geschöpf hängt!
Hans (seufzend:) Du hast recht. Ich hab's erlebt. – 243
Schmitz (munteren Tones:) Na!? Nu wollen wir mal von was Erfreulicherem reden. Herrgott, war euer Fest heute nett! Hab ich mich amüsiert! Weißt du, unter uns gesagt – ich hab mir das so fidel nicht vorgestellt. In einer Kaserne!
Hans (zerstreut:) Ja, ja . . . das ist ja auch . . .
Schmitz. Wie?
Hans. Ja, ja! Es war wirklich sehr nett . . . (Es klopft:) Herein!
Moritz (tritt von rechts ein.) O Pardon! Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Herr Kommerzienrat, wenn ich störe.
Schmitz. O, bitte sehr. Keineswegs, Herr Leutnant, Sie wollen Hans gewiß bis zu seinem Rondengange noch etwas Gesellschaft leisten, und für mich – (Er sieht nach der Uhr:) Ja für mich ist es überhaupt schon die höchste Zeit, wenn ich noch ein paar Stunden schlafen will. Um drei Uhr geht mein Zug. – Also, lieber Hans, gib mir einen Kuß –
Hans. Aber, lieber Papa, wo denkst du hin, ich begleite dich doch natürlich ins Hotel . . . schlimm genug, daß ich dich nicht auf die Bahn bringen kann.
Schmitz. Laß doch, ich weiß ja Bescheid. Es ist ja hier ganz nah . . . Du wirst doch deinen Kameraden nicht allein lassen.
Moritz. Bitte sehr, meinetwegen . . . ich setze mich ein bißchen ans Klavier, wenn du gestattest . . . die anderen müssen ja auch gleich kommen.
Hans (nimmt seinen Paletot aus dem Schrank und schnallt um.) Ach, natürlich geh ich mit. Selbstverständlich. Moritz, unser preisgekrönter Armeetenor, setzt sich ein bißchen ans Klavier und übt. Übe dich, Moritz, vorwärts: übe dich. »Phantasiere!«
Schmitz. Na also dann: Adieu, Herr Leutnant. Vermelden Sie nochmals allen Ihren Herrn Kameraden meinen herzlichsten Dank für den schönen Abend! 244
Moritz. Ganz auf unsrer Seite, Herr Kommerzienrat.
Hans (fertig angezogen:) Du hast deine Sachen noch im Kasino, Papa, da kommen wir vorbei. Adieu, Moritz, komme gleich wieder.
( Hans und Schmitz ab.)
Moritz (geht zu dem Bilde und betrachtet es. Er drückt seine Zustimmung aus:) Schwer vergoldet. (Er geht zum Klavier, öffnet es, wischt die Tasten ab und spielt ein paar Passagen. Dann spielt und singt er:)
»Stell auf den Tisch die duftenden Reseden,
Die letzten roten Astern trag herbei Und laß uns wieder von der Liebe reden, Wie einst im Mai . . .« |
Peter und Paul von Ramberg (sind nach »von der Liebe reden« eingetreten und singen den Schluß: »wie einst im Mai« mit.)
Moritz (abbrechend:) Gott, nun stört ihr mich schon wieder! Ihr konntet nun auch 'ne Viertelstunde später kommen... Ich bin heute grade wunderbar bei Stimme.
Peter. Na schön. Denn sing uns mal: »Nach Frankreich zogen zwei Grenadier« dideldum...
Paul. »Die waren in Rußland gefangen.« Bum, bum...
Moritz. Ach! Ihr Barbaren. Ihr habt ja keine blasse Ahnung. Was ist das Leben ohne...
Paul. Gänseleberpastete!
Moritz. Materialisten! Gar keinen Schwung habt ihr, gar keinen Sinn für das, was einen so über das elende Kommißdasein hinweghebt. Hans und ich sind noch die einzigen...
Peter und Paul (lachen.)
Peter. Alter Salontiroler! Ihr müßt mal zusammen was dichten, verstehste. Jawoll: so 'n trauriges Singspiel! Er macht det Jefühl und du 245 die Musike. Wenn das nich zieht, zieht jarnischt mehr.
Harold (eintretend:) Guten Abend. Ist Hans noch nicht zurück?
Moritz. Nein, er ist eben erst gegangen.
Peter. Na? Wie gefällt er euch der neue Schwiegervater?
(Sie setzen sich.)
Harold. Ganz gut. Solid. Nicht zu protzig.
Moritz. Fideler alter Herr. Ich glaube sagen zu dürfen: eine nette, eine wertvolle Akquisition fürs Regiment! Nun und die Braut kennt ihr natürlich? Wie? Ich habe gehört, sie soll eine außerordentlich musikalische Dame sein.
Paul. Man ißt sehr gut bei ihm.
Peter. Ich kann dir sagen: die tadellosesten Diners. Natürlich kennen wir Fräulein Käthe. Reizender Balg mir etwas zu oberflächlich. Ach, sie war ja schon als Kind der Liebling unserer Großmama.
Paul. Tadellos erzogen! Ich nähme sie sofort. Aber ach! Schon als süßer kleiner Backfisch war sie ja so verliebt in Hans...
Peter. Und weiß sich tadellos anzuziehn.
Moritz. Ich finde, das ist kein Grund, daß wir hier dursten müssen.
Paul (springt auf und geht zum Schreibtisch:) Aber Kinder, was wollt ihr denn. Hier ist ja die schwere Menge. Gestatten die Herren, daß ich sie bediene... (Er nimmt vier Flaschen und stellt sie auf den Sofatisch. Er schenkt ein.) Ich weiß nicht, findet ihr das nun stilvoll von Hans, daß er einen bei so 'ner Gelegenheit mit Lagerbier traktiert? Aber das soll so dem Schwiegervater gegenüber nach was aussehen als ob er Wunder wie solide wäre... Prosit, die Herren!
Peter. Ja, wenn man sich das so überlegt . . . was doch manch einer zeit seines Lebens für 'n unverdientes Glück hat. Er kann's anstellen, wie er will. Der Hans ist ein echtes Sonntagskind! 246
Harold. Na . . .
Peter. Erlaube mal! Er hatte sich doch unter uns gesagt schon böse hineingeritten. Keinen Pfennig Geld mehr, Schulden bis über die Ohren... Und jetzt?
Paul. Na prost, Brüderchen: (Er stößt mit Peter an:) Wir sollen leben! Wir haben es ehrlich verdient.
Peter (stößt an und trinkt. Lachend:) Bei Gott! Ja! Wenn ich bedenke, was wir doch eigentlich für gute Kerle sind... Wir haben's wirklich ehrlich verdient.
Harold. Verdient? Was habt ihr verdient?
Peter. Ach ja! Weißt du: es war nämlich immer schon der Lieblingswunsch unserer Großmutter, daß gerade die Beiden mal ein Paar würden, der Hans und die Käthe Schmitz.
Harold. Donnerwetter! Eure Großmutter alle Achtung. Die scheint bei euch so die stellvertretende Vorsehung zu spielen.
Peter (zu Harold:) Bitte, lieber Harold, keine Ironie! Die alte Frau Generalin ist tatsächlich eine ganz hervorragende Dame! Die weiß, was sie will!
Paul. Jawohl. Und das kann nicht jeder von sich sagen. Es gibt eben Menschen, die immer erst mit der Nase drauf gestoßen werden müssen.
Moritz. Die arme Nase.
Peter. Ja, ja . . . Ihr kennt ihn eben nicht. Hans ist ohne Eltern aufgewachsen. Das darf man nicht vergessen! Wir kennen ihn schließlich doch am besten. Von klein auf.
Paul. Und wie! Für ihn wär's auch viel besser gewesen, wenn sie ihn in die Kadettenanstalt gegeben hätten.
Peter. Nicht jeder ist seines Glückes Schmied.
Moritz. Man glaubt zu schmieden und man wird geschmiedet.
Harold (ernst und unwillig:) Na, was denn! Das sind ja sehr schöne, weise Worte, aber ich versteh das nicht. Was soll denn das alles heißen? Ich kenne doch auch 247 meinen Hans und wer weiß: vielleicht versteh ich ihn besser, als ihr alle zusammen.
Paul. Oho!
Peter. Na nu, man nicht so hitzig! Sieh mal, lieber Harold, die Sache ist doch ganz klar. Hans ist nun mal von Natur so 'n bißchen Schwärmer, so 'n bißchen Phantast... er war es wenigstens... immer.
Paul (patzig:) Nu ja! Wenn er zum Beispiel jetzt das Mädel da, die Traute, noch am Bein hätte so wär er heute nicht der Schwiegersohn des Kommerzienrats »August Schmitz und Kompagnie«.
Harold. Selbstverständlich. Daran zweifelt kein Mensch. Aber bitte: was hat das mit eurer Großmutter zu tun? Ich versteh den ganzen Zusammenhang nicht. He? Ich will euch mal was sagen! Mir paßt die ganze Art und Weise, wie ihr von Hans sprecht, schon lange nicht! Ich habe bei Gott während meiner ganzen Dienstzeit keinen Menschen kennen gelernt, der so fein, so vornehm, so nobel denkt und fühlt, wie Hans!
Moritz. Bravo!
Peter (gleichzeitig:) Daran zweifelt ja auch kein Mensch.
Harold, (ohne sich unterbrechen zu lassen, laut:) Er hat Unglück gehabt. Nu ja! Er ist in seiner Liebe in seinem Vertraun von dem Mädel schmählich getäuscht worden. Das hat ihm eben weh getan verdammt weh ich weiß das wie kein andrer. Es war eben eine Kanaille. Und es ist ja auch vielleicht ganz gut, daß es so gekommen ist aber Himmelkreuzmillionenelement! Was hat das mit euch und eurer Großmutter zu tun?!
Peter. Na bitte, nu mal vor allen Dingen nicht so grob.
Paul (gleichzeitig:) Das hat allerdings sehr viel mit uns zu tun!
Harold. Bitte! Wieso?!
Paul. Weil wir doch . . . 248
Peter (gleichzeitig:) Ach, lassen wir doch die Sache ruhn...
Harold (energisch:) Nein, nein!
Paul. Weshalb denn auch? Jetzt, wo alles glücklich abgelaufen ist, können wir's doch ruhig sagen: er verdankt es doch bloß uns, daß es so gekommen ist.
Harold. Euch! Ja, bitte, wollt ihr mir das nun nicht endlich erklären?
Paul. Nichts einfacher . . .
Peter (fällt ihm ins Wort:) Paul! Laß lieber!
Paul. Nein, nein, laß mich jetzt. Nichts einfacher als das. Wie Hans damals nach Erfurt ging nicht wahr da hatte das Verhältnis mit der Traute doch derartige Dimensionen angenommen, daß wir beide ganz klar vor Augen sahn: wenn das so weiter ging dann ging es schief! Und wir sagten uns: im Interesse der Familie und im Interesse seiner Karriere: hier muß etwas geschehn wir müssen ihn von dem Mädel loseisen.
Moritz. Aha!
Harold. Ihr – müßt . . .?
Peter. Wir! Jawohl! Als Vettern und Kameraden! Wir mußten ihn loseisen!
Paul. Na ja! Und wir wußten ganz genau: solange die Traute ihm treu blieb solange war nichts zu machen. Es war also gradezu eine Pflicht gegen die Familie...
Harold. Pflicht gegen die Familie.
Paul. Jawohl! Ihn aus den Banden dieses Geschöpfes zu befreien!
Harold. »Banden dieses Geschöpfes«? Die Traute... Na, aber weiter!
Paul. Was weiter? Da haben wir eben den... » Treubruch« gedeichselt was denn weiter? Verstehst du denn das nicht?
Harold (starr:) Nein.
Moritz. Aber ich! Hört, hört!
Paul. Herrgott! Bist du schwerfällig. 249
Harold. Oder soll das heißen, daß ihr sie zu dem Zwecke mit mit Grobitzsch zusammen geführt habt?
Paul. Nun ja, natürlich. (Lachend:) Auf Grobitzsch konnte man sich doch verlassen! Es genügte ja schon sein Renommee. Na? Uns hatte Hans sie beim Abschied feierlichst anvertraut einen besseren Freundschaftsdienst konnten wir ihm gar nicht leisten. Heute siehst du's ja!
(Pause.)
Harold (ist aufgesprungen und gebt aufgeregt durchs Zimmer.) Alle Achtung! Alle Achtung!! Das ist ja eine lustige Geschichte... Ihr seid mir ein paar wackere Kameraden!
Peter. Ja, was willst du denn?
Harold. Na und Grobitzsch? Der machte das mit?
Peter. Grobitzsch
(Er stockt, als er Hans eintreten sieht)
Hans (tritt schnell ein:) Grobitzsch? Was habt ihr denn mit dem?
Peter. O nichts . . .
(Pause.)
Hans (gutgelaunt:) Na? Was ist denn mit euch? Ihr sitzt ja da wie die Ölgötzen. Ach, ihr seid wohl »böse«, daß ich euch warten ließ? Entschuldigt nur. Aber erst kommt doch wohl der Schwiegervater... (Er legt ab.) Übrigens: Grobitzsch ich muß sagen: er benimmt sich wider Erwarten anständig gegen mich wirklich, ich kann nicht klagen. Sehr fremd, aber... (Er setzt sich aufs Sofa. Schweigen.) Aber mein Gott! So seid doch nicht so entsetzlich stumpfsinnig! Ist wohl kein Bier mehr da?
Paul (holt ihm Glas und Flasche:) Bitte Schön.
Hans. Danke sehr, lieber Vetter, du bist ein Engel. 250 Prosit! (Er trinkt.) Ich soll euch übrigens noch grüßen ganz speziell euch beide. Ihr habt natürlich einen vorzüglichen Eindruck auf ihn gemacht. Er ist ganz weg in euch, den ganzen Abend hat er von euch geredet. Rambergs hier und Rambergs da... (Er lacht.) Na, ihr benehmt euch ja auch danach. Ha, ha! Nehmt's mir nicht übel, aber ihr tut doch grade so, als ob ihr an meinem Glücke schuld wäret als ob ihr mich verlobt hättet.
Harold (kann sich nicht beherrschen. Laut:) Haben sie auch! Bedank dich nur!
Peter (schnell:) Harold?
Harold. Ach was! Laßt mich zufrieden. Ich mache das nicht mit! Ich finde die Sache haarsträubend und...! Kann mir nicht helfen!
Hans. Harold! Was denn was ist denn los?
Peter. Harold, überlege dir, was du tust!
Harold. Ein Schuft, der in gewissen Dingen zu überlegen braucht. Was los ist? Hier! Die Rambergs, deine lieben Vettern und Vormünder, haben die Traute an Grobitzsch verkuppelt.
Peter und Paul stark: Harold! Das ist nicht wahr!
Harold, (ohne sich unterbrechen zu lassen:) Einfach verkuppelt nach allen Regeln der Kunst jawohl! damit du frei wurdest und dich verloben konntest. Das ist los! Und dessen rühmen sie sich noch! Damit brüsten sie sich!
(Pause.)
Hans (steht schweigend auf, geht nach rechts und sieht die leiden Rambergs, einen nach dem andern an. – Still:) Wie... ist das?
Heinrich (tritt schnell vorn rechts ein mit Helm und Schärpe.)
Hans (fährt ihn an:) Was willst du?
Heinrich. Herr Leutnant, es ist höchste Zeit zur Ronde.
Hans (sieht nach der Uhr:) Ja . . . Mach schnell! (Er läßt sich anziehn.)
Peter. Lieber Hans, laß dir sagen : was wir getan haben haben wir lediglich in deinem Interesse getan. 251
Hans, (indem er seinen Anzug vollendet:) Laß, laß... (Zu dem Burschen:) Geh zu Bett!
Heinrich (schnell ab.)
Hans (mit der Uhr in der Hand. Finster:) Nun? (Aufbrausend:) Was habt ihr getan? Ihr habt die Traute...?
Paul (energisch:) Wir müssen uns die beleidigenden Ausdrücke von Harold auf das Entschiedenste verbitten. Sind wir etwa für Grobitzsch verantwortlich?
Hans (drohend:) Ihr erinnert euch, daß ich euch beiden die Traute damals auf die Seele band Bei Gott! Wenn ihr da
Peter. Wir haben einfach
Paul (gleichzeitig:) Eine kleine Notlüge...
Hans (heftig:) Halt! (Sich beherrschend, mit erzwungener Ruhe:) Jetzt hab ich Dienst. Dienst. Morgen Es wird sich ja alles aufklären. Jedenfalls. Also auf Wiedersehn.
(Er geht zur Tür.)
Harold (setzt seine Mütze auf:) Ich werde dich begleiten.
Hans (in der Tür:) Auf Wiedersehn.
(Beide ab.) 252