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Szene: Zimmer in Hannas Privatwohnung. – Die Möbel sind zum Teil dieselben, wie im zweiten Akt. In der Mitte des Zimmers ein großer Tisch mit hochlehnigen Stühlen. Darüber eine brennende Lampe. Die Mitte des Hintergrundes nimmt ein großer Bücherschrank ein. Rechts davon die Tür zum Korridor, links das Ecksofa mit Tisch. – Auf der rechten Seite vorn steht der Geldschrank, dahinter ein Füllofen, der einen Feuerschein ausstrahlt. – An der linken Seite vorn der Schreibtisch, dahinter die Tür ins Nebenzimmer. – Die Einrichtung ist ernst und gediegen, mehr in der Art eines Herrenzimmers. Dunkle Portieren und Decken.
Hanna (in einem schwarzen Kleide von eleganter Einfachheit, sitzt vorn am Mitteltisch und liest einen Brief.)
Lieschen (sitzt, in befangener, kerzengerader Haltung, rechts am Mitteltisch. Sie trägt ein hochmodernes Promenadenkostüm und sieht sich mit neugieriger Scheu im Zimmer um.)
Hanna (läßt den Brief sinken. Bewegt:) Die gute Mutter. – Aber persönlich traut sie sich doch nicht her.
Lieschen (in einem gezierten Ton, aus dem sie nur hin und wieder herausfällt:) Ach, sie tät es ja wohl. Aber du weißt ja, wie dein Vater ist. Ich geh selber immer nur hin, wenn ich bestimmt weiß, daß er nicht zu Hause ist.
Hanna (nachdenklich:) Hm. – Heut, nach Tisch hat sie dir den Brief gegeben?
Lieschen. Ja, sie ist extra deswegen zu uns gekommen. Sie hat ja so 'ne Bange!
Hanna (ernst, ohne Lieschen anzusehen:) Die gute Mutter! – – Ach was! Es ist ja nichts! Nichts! (Sie erhebt sich:) Sie beurteilt Konrad ganz falsch. Ich – will ihn erwarten.
Lieschen. Ach, Hanna: er ist jetzt noch viel rabiater, wie früher. Du glaubst gar nicht, wie er sich verändert hat. Ich denke mir, er wird sich in Amerika oder in London so 'n stillen Suff ergeben haben. Von wegen der Seeluft, weeßt du.
Hanna. Das kann ich mir nicht denken.
Lieschen. Ach doch, ja. – Nein: wir sind alle schrecklich besorgt um dich. Ne wirklich: wir haben mächtige Manschetten um dir! 94
Hanna. So. – Ach, das sind ja Einbildungen.
Lieschen. Na, na: sag das nicht! Erst gestern hab ich wieder im Lokalanzeiger gelesen, wie einer aus Liebe zwei Mädchen auf einmal totgeschossen hat. Bloß: er wußte nicht, welche sollt er nehmen. Na, und nu dein Vater! Der putscht ja nu noch immer! Der macht ihn nu erst ganz wild! Weißt du, was er ihm nach London geschrieben hat? Ach ne: das will ich dir doch lieber nich sagen. Na, aber, du darfst es mir nich übelnehmen! »Sie avanciert,« hat er geschrieben. »Sie avanciert. Jetzt ist sie schon die Maitresse von einem Grafen.« Ja. Weißte, dein Vater kennt eben absolut nich den Unterschied zwischen einem Grafen und einem Baron. – Er hat eben keene Bildung.
Hanna. Das hat . . . mein Vater geschrieben?
Lieschen. Was ich dir sage! Darauf ist ja eben Konrad hergekommen. Ohne an die eigene Polizeisicherheit zu denken – umgehend! Denk doch mal, wenn sie den kriegten!
Hanna (schüttelt traurig den Kopf:) Also das . . .
Lieschen. Ja. Und du wärst eine Begehrliche!
Hanna. Eine Begehrliche? Was heißt denn das?
Lieschen. Ja, ich weiß nicht. Davon spricht er auch so immer. Was die richtigen Arbeiter wären, die hätten die Begehrlichkeit nicht. Das wär 'ne Lüge. Die wollten bloß ihr gutes Recht. – Aber die Reichen – was er so die Bürgerlichen nennt, und auch die Adligen – die hätten die Begehrlichkeit und wollten immer noch mehr haben. Und du wärst auch 'ne Begehrliche. So is es.
Hanna (bitter:) »So is es.« Ja. Er hat recht. Sie – haben die Begehrlichkeit nicht. Es ist schlimm. – – Also, mein liebes Lieschen: ich danke dir sehr für deine freundlichen . . . Eröffnungen, und . . . Bitte, geh noch heute Abend zur Mutter, ja? Sag ihr, sie solle keine törichte Angst haben. Mit Konrad würde ich schon fertig werden. Ja – es würde mich 95 freun, wenn er käme. Ihm gegenüber kann ich mich rechtfertigen. Er ist nicht wie mein Vater. Der wird mich freilich nie mehr verstehn.
Lieschen. Ja, da hast du wirklich sehr richtig. Geradeso geht's mir mit Mutter. Die versteht mich auch partout nich.
Hanna. So?
Lieschen. Partout nich. Gott, und es ist doch so einfach! Was soll man denn machen, wenn man weiter kommen will und . . . und will was vom Leben haben. Is nich wahr? Heiraten tut einen ja doch kein anständiger Mensch mehr, und schließlich: was hab ick denn davon, wenn da nu auch wirklich so'n Maler oder Maurer kommt, der selber nichts zu brechen und zu beißen hat . . . und Kinder will er womöglich auch haben. Ne, ne! Wenn man erst mal mit feine Herrn so in besserem Verkehr gestanden hat – nachher paßt einem das schon lange nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Hab ich nicht recht?
Hanna. Gewiß, Lieschen – und es ist schön, wenn man recht hat. Aber . . .
Lieschen. Nicht wahr! Ach! Weißt du, liebe Cousine: die andern . . . die waren ja einfach alle viel zu dumm. Aber ich . . . ich kann wohl sagen: von allen Anfang an habe ich allein immer die richtigste Auffassung über dich gehabt! Und wenn ich früher manchmal so'n bißchen eklich gegen dich gewesen bin . . . so is das immer bloß Neid gewesen. Wahrhaftigen Gott!
Hanna (belustigt:) Ja, ja: ich hab das ja auch niemals anders aufgefaßt.
Lieschen (beteuernd:) Hand aufs Herz –: bloß aus Neid! Niemals so wie die andern, aus Moral, oder so. Keine Spur! Denn wozu? Heutzutage muß man modern sein.
Hanna (lächelnd:) Woher weißt du das?
Lieschen. Ach, das hab ich nu allmählich selber rausgekriegt. – Nein, wirklich, liebe Cousine: du 96 glaubst gar nicht, wie lange ich mich schon danach gesehnt habe, mich einmal so recht ordentlich mit dir auszusprechen. Wirklich wahr! Denn im Grunde, mußt du wissen, in meinem Innern, hab ich dir eigentlich immer recht gegeben. »Ganz recht hat sie, hab ich immer gesagt –: ganz recht! Was kann das schlechte Leben helfen!«
Hanna (lacht auf.)
Lieschen (in das Lachen einstimmend:) Na ja – is doch aber auch wahr! – Siehste: und deshalb, liebe Cousine, mein ich: wir beide sollten doch . . . He? –
Hanna (weicht Lieschen, die ihre Hand fassen will, aus. Ernst und kühl:) Verzeih! Ich hab jetzt keine Zeit mehr. Ich muß noch mal hinunter ins Geschäft. – Also nochmals: sag der Mutter meinen besten Dank für ihre . . . »Warnung«, aber . . . du weißt ja nun. Kann ich dir sonst noch mit . . . etwas dienen?
Lieschen (affektiert-verletzt:) Nicht, daß ich wüßte. Danke sehr. (In anderm Ton, schnell:) Das heißt . . . (Vertraulich:) Du, Hanna . . . sei doch mal offen gegen mich! Gibt dir denn dein Baron viel?
Hanna (heftig:) Ach, bitte, Lieschen . . . geh jetzt! Weshalb meine Mutter gerade dich zu mir geschickt hat . . . Na . . . jedenfalls . . . (Sie zieht ihr Portemonnaie:) . . . Ich will nicht undankbar sein: da, hier – (Gibt ihr ein Goldstück:) Für den Weg.
Lieschen (nimmt das Geld und betrachtet es einen Augenblick unschlüssig schwankend, dann steckt sie es ein und sagt kühl, fast herablassend:) Bitte sehr, bitte sehr – hat nichts zu sagen. Ich will nicht länger stören. (Wendet sich zum Gehen:) Adieu.
Hanna (abgewendet:) Adieu. (Setzt sich links an den Schreibtisch.)
Lieschen (zuckt die Achseln:) P–hö! (Nach hinten ab.)
Hanna (nachdenklich vor sich hin sehend, schüttelt den Kopf. – Pause. – Aus ihren Gedanken heraus, halb lachend:) »Was kann das schlechte Leben helfen!« (Steht auf und klingelt. Dann geht sie zum Schreibtisch zurück, nimmt einige Briefe an sich und schließt ihn zu.) 97
Hedwig (tritt von links ein.)
Hanna. Hedwig, ich bleibe heute Abend zu Hause. Legen Sie noch nach. Ich gehe jetzt hinunter. Wenn der Herr Baron kommt, bitten Sie ihn, hier oben auf mich zu warten. (Geht zur Tür. Es klingelt draußen. Sie bleibt stehen:) Sollte er das schon sein? Sehen Sie nach.
Hedwig (nach hinten ab.)
Hanna. Oder gar . . . (Sie nestelt nervös an ihrem Haar.)
Bernhard (tritt schnell ein. Laut und lebhaft:) Guten Abend! Guten Abend. Ach Pardon! Ich vergesse immer, draußen erst abzulegen. (Schnell wieder ab.)
Hedwig (tritt durch die offene Tür ein, geht über die Bühne und links ab.)
Bernhard (von draußen, durch die offene Tür sprechend:) Könntest du dem guten Mädchen nicht angewöhnen, mir hierbei behilflich zu sein?
Hanna (lächelnd:) Aber Bernhard . . . Selbst ist der Mann.
Bernhard (im Eintreten:) Na ja, schon gut, weiß schon . . . Wie geht's? (Tritt zu ihr und küßt ihr die Hand:) Gut, natürlich. Wie?
Hanna. Dir auch. Danke. – Aber du kommst ja heut so früh. Ich muß noch herunter.
Bernhard. Herunter! Immer herunter! Schrecklich! (Gepreßt:) Oh, Hanna, du . . . (Zieht sie an sich und küßt sie, dann läßt er sie los und wendet sich ab:) du ahnst ja nicht, wie traurig du mich machst mit deinem . . . mit diesem ewigen »Geschäft«.
Hanna. Aber mein lieber Bern! Du mußt doch vernünftig sein! Selbst wenn ich nun das Geschäft verkaufen wollte –
Bernhard (lebhaft:) Wie? – Nun?
Hanna (lächelnd:) Ich meine: selbst dann müßte ich doch bis zum letzten Tage in alter Weise darin tätig sein. Darauf beruht doch nun mal – meine Freiheit.
Bernhard. Eine schöne Freiheit!
Hanna. Ja! Dem einen kommt sie teuer – dem andern billig zu stehn. Das ist nun mal nicht anders – 98 einstweilen. – – Aber jetzt laß mich. Die Mädchen warten auf mich. Laß dir die Zeit nicht lang werden! Da! (Sie deutet auf den Bücherschrank:) Falls du etwas für deine Bildung tun willst. Auf Wiedersehn. (Geht zur Tür. Dort bleibt sie stehen. Leise, zärtlich:) Bern?
Bernhard. Ja?
Hanna. Ich habe dir nachher . . . etwas zu sagen.
Bernhard. Ja? Was denn?
Hanna. Nachher! – O, wir wollen so frohe Menschen werden, Bern . . .
Bernhard (nähert sich ihr:) Hanna!
Hanna (hebt abwehrend die Hand:) Pst! Nachher. (Schnell ab. Pause.)
Bernhard (ist sehr ernst geworden. Er seufzt laut und geht nach links. Gepreßt:) Wie ein Kind! Wie ein Kind! –
Hedwig (von links, mit Kohleneimer, geht zum Ofen.)
Bernhard (auffahrend:) Was?! Sie wollen doch nicht etwa gar noch einheizen?
Hedwig (unbeirrt:) Fräulein hat's befohlen.
Bernhard. Aber, mein Gott, es ist ja schon eine tropische Glut hier!
Hedwig (unbeirrt, antwortet nicht, sondern schüttet Koks auf.)
Bernhard (mit Selbstironie:) Freilich –: wenn's Fräulein befohlen hat . . . (Setzt sich an den Ecksofatisch und schlägt ein Buch auf. Legt es wieder weg:) Ä! – Sagen Sie mal, Hedwig, ich wollte Sie schon immer mal fragen . . .!
Hedwig (unbeirrt am Ofen beschäftigt.)
Bernhard. Ich meine: gesetzt den Fall, es vollzöge sich hier eine plötzliche, oder sagen wir wenigstens eine baldige . . . Veränderung . . . daß Fräulein von Berlin fortzöge, oder so – ich meine: Sie würden doch mitgehn – was?
Hedwig. Das ist gar nicht möglich.
Bernhard. So? Na . . .
Hedwig. Fräulein wird niemals von Berlin fortziehn.
Bernhard (ärgerlich:) Sehr gut! Woher wissen Sie denn das? 99
Hedwig (ohne sich umzuwenden, mürrisch:) Fräulein wird sich hüten und wo anders wieder von vorn anfangen.
Bernhard (abbrechend:) Na! –
Hedwig (ist fertig und erhebt sich. Kalt:) Herr Baron kennen eben unser Fräulein erst oberflächlich.
Bernhard (streng:) Ach bitte! (Es klingelt.)
Hedwig (sieht Bernhard einen Moment feindselig an, zuckt dann die Achseln und geht ruhig nach hinten ab.)
Bernhard (allein, wütend:) 's is . . . es ist wirklich . . .
Hedwig (öffnet Alexander die Tür. Höflich:) Bitte, Herr Doktor! (Sie ist ihm beim Ablegen behilflich. Dann ab.)
Bernhard (in höchstem Erstaunen:) Herr Doktor! Sie!?
Alexander. Ja – ich. Guten Abend.
Bernhard (tritt näher und reicht ihm die Hand:) Guten Abend.
Alexander (hält die Hand fest, ernst:) Ich . . . muß vor allem noch um Verzeihung bitten, daß ich Ihnen auf die traurige Nachricht vom Ableben Ihres Herrn Onkels . . . nur schriftlich geantwortet habe. Aber . . . mein Pedal war mal wieder . . . nicht in Ordnung . . . ist es auch eigentlich jetzt noch nicht. Ich wäre sonst längst über alle Berge.
Bernhard. Ja, ich hörte schon, Sie wären in Sizilien.
Alexander (hinkt nach dem Stuhl rechts am Mitteltisch:) Bin ich auch. Wenigstens . . . Wollte heute schon unterwegs sein. Hm. (Setzt sich.)
Bernhard (im Tone freundlichen Vorwurfs:) Die ganze Zeit haben Sie sich nicht wieder sehen lassen. Seitdem!
Alexander. Sie meinen: Ruinen gehören zur Landschaft.
Bernhard (herzlich:) O, pfui. Wir wollten doch gute Freunde bleiben!
Alexander. Ja. Na, und aus – Feindschaft bin ich nicht weggeblieben. Oder meinen Sie?
Bernhard. Lieber Freund!
Alexander. Na also. – Ach hier ist es hübsch warm. Ganz wie in Sizilien. Überhaupt, riesig behaglich! (Seufzt:) Ja, ja! Wer sich hier so festsetzen 100 könnte, der – wär ein Esel, wenn er – auf Reisen ginge. Wie?
Bernhard. Na sehn Sie. Weshalb kommen Sie da nicht!
Alexander. Tja . . . wer weiß! Vielleicht ist es eine angeborne Scheu . . . das dritte Rad am Bicycle zu spielen. Vielleicht . . . ist das so der Stolz meiner Männerseele, wie Lasker sagte. Lassen wir's unentschieden. So viel ist sicher: heute hab ich einen hinreichend legitimierenden Grund zu kommen.
Bernhard. Bitt um Entschuldigung, Herr Doktor, aber ich sollte meinen, Sie als alter Junggeselle hätten eigentlich immer berechtigte Ursache . . .
Alexander. Andre Leute zu stören? Nein! Da faß ich nun meine Situation doch menschenfreundlicher auf. Das wird mir auch gar nicht so schwer, wie Sie glauben. Denn, abgesehn von der einen denkwürdigen . . . Ihnen ja nicht unbekannt gebliebenen Episode, hab ich mein Leben lang eigentlich immer draußen gesessen . . . verstehn Sie? draußen. Ich bin das also gewohnt.
Bernhard (verlegen:) Aber, lieber Herr Doktor . . .
Alexander. Ja, ja. Sie vergessen immer: es ist noch gar nicht so unmenschlich lange her, daß ich ein . . . bettelarmer Student war . . . der geborene Bildungsproletarier . . . eben: bis ich eines Tages meine Entdeckung machte. Ich bin also gar nicht verwöhnt, wirklich nicht. Hab es früh genug gelernt, mit mir allein zu sein. – Hm. – Na, aber . . . davon ist ja gar nicht die Rede. Sagen Sie mir vor allen Dingen: wie geht es Ihnen denn? Ich meine: wie gut? Was macht die Kunst? Oder: die Künste, muß man bei Ihnen fragen. Haben Sie sich nun für eine entschieden? Hat die Violine gesiegt? Die liebe Violine! Wie geht es ihr?
Bernhard. Na, ich danke. Besser wie mir. Sie hat Ruhe. –
Alexander (sieht ihn an:) Hm. (Er nimmt eine Zigarre aus 101 seinem Etui:) Ja: das ist nun eine äußerst schwierige Sache –: Sie rauchen nicht?
Bernhard. Nein. Aber bitte . . .
Alexander. Infolgedessen wird die Herrin den Tabaksgeruch gar nicht mehr gewöhnt sein. Und Sie . . . sind hier eigentlich doch zu wenig kompetent . . (Er hat währenddem die Zigarre abgeschnitten, in Brand gesetzt und raucht jetzt mit Behagen die ersten Züge:) . . . sonst würd ich Sie nämlich um die Erlaubnis gebeten haben.
Bernhard. Na ja: da haben wir's?! Nun fangen Sie auch noch an!
Alexander. Aber, was denn?
Bernhard. Ach, liebster Herr Doktor –! Sie haben ja keine Ahnung, wie ich hier in diesem Hause behandelt werde . . . Das spottet einfach jeder Beschreibung!
Alexander (behaglich:) Na . . . dann beschreiben Sie's mal.
Bernhard. Wenn mir das früher einer gesagt hätte! und ich . . . säße infolgedessen jetzt . . . wegen Totschlags aus Jähzorn im Gefängnis – mir wäre wohler.
Alexander. Na nu!
Bernhard. Sehn Sie . . . ehemals, wenn ich so in den Ferien nach Hause kam . . . und so sah, wie mein guter alter Onkel so hin und wieder saugrob wurde gegen die Leute . . . das konnt er werden . . . da fand ich, als empfindsamer Musensohn, das einfach schrecklich, einfach schrecklich. Einmal hab ich meinem Onkel sogar eine richtige Rede darüber gehalten . . . A–ber, wissen Sie – das war ja alles Kinderei, das war ja der reine Humanitätsdusel im Vergleich mit der Art und Weise, wie man hier mit mir umspringt! – – Und, was das Schönste ist, nicht bloß die Herrin behandelt mich so . . . na, wie soll ich sagen . . . so als liebenswürdigen Zimmerschmuck . . . auch die Sklavin, diese gußeiserne Hedwig . . . glauben Sie, die hätte irgendwie eine begründete Überzeugung von der Zweckmäßigkeit meines Daseins? Keine Spur. 102
Alexander (lacht.)
Bernhard. Ach, lachen Sie nicht! Das ist sehr schlimm. – Noch hab ich ja wenigstens einigen Galgenhumor . . . aber auf die Dauer . . . wie soll man sich selber dabei den guten Glauben . . . an die Wichtigkeit der eigenen Existenz erhalten!
Alexander (trocken:) Sie haben recht. Das muß furchtbar schwer sein.
(Pause.)
Bernhard (in verändertem Ton, sehr ernst:) – Und es geht auch nicht so weiter. –
Alexander (ebenfalls ernst, beinah erschrocken:) Was – sagen Sie?
(Pause.)
Bernhard. So was paßt eben nicht für jeden. Bei Ihnen war das was anderes. Bei Ihnen hatte es keine Gefahr . . . mit der Selbständigkeit. Sie standen ihr in anderer Beziehung nicht nur gleichberechtigt gegenüber, waren ihr nicht bloß gewachsen – Sie waren ihr sogar von vornherein entschieden überlegen, als ihr Lehrer gewissermaßen. Sie hatte sich Ihnen geistig ein für allemal untergeordnet.
Alexander. Leider, ja.
Bernhard. Ich dagegen besitze Gott sei Dank nicht die geringsten pädagogischen Talente! Und da Hanna nach dieser Richtung hin bisher offenbar – verwöhnt war – so gelt ich ihr nicht für voll. Ein Erzieher wird gesucht!
Alexander. Na, na, na . . .
Bernhard. Ja, ja! Sie hat mich gewiß sehr lieb – das weiß ich – aber die Art und Weise, wie sie mich behandelt, das ist doch . . . das ist doch nicht . . .
Alexander. Nun?
Bernhard. Ach! Das ist doch so nicht das richtige Verhältnis zwischen Mann und Weib.
Alexander. Hm, hm!
Bernhard. Nie und nimmer nicht! Wissen Sie, wie mir das vorkommt? Direkt verdreht kommt mir das 103 vor: gerade umgekehrt! Als ob ich – ihr Geliebter wäre.
Alexander. Ja – ist das denn nicht der Fall?
Bernhard. Mein Herr!
Alexander. Mein hoher Herr!
Bernhard. Ach! Sie verstehn mich ja ganz gut.
Alexander. Ja – wer weiß! Vielleicht . . . verstehe ich Sie so, daß nach Ihrer Ansicht die Sache in Ordnung wäre, wenn Hanna – Ihre Geliebte wäre.
Bernhard (verdutzt:) Wie? – Na nehmen Sie's mir nicht übel, aber – es ist doch wirklich arg, in welcher Weise sich Menschen wie Sie . . . das Einfachste und Natürlichste, was es überhaupt auf der Welt gibt . . . das Verhältnis zwischen Mann und Frau . . . künstlich verzwickeln und verzwackeln, bis kein gesunder Mensch mehr draus gescheit wird. Ja, ja! Darin sind Sie Virtuose! Von Ihnen hat auch Hanna alle ihre Schrullen.
Alexander (qualmend:) Wenn ich von Ihnen absehe . .
Bernhard. Von mir nimmt sie gar nichts an.
Alexander. So. Na, wie Sie meinen. Jedenfalls –: Menschen wie ich glauben eben nicht daran, daß . . . das Verhältnis zwischen Mann und Frau . . . heutzutage wirklich so einfach, so natürlich gegeben sei. Menschen wie ich sind vielmehr der Überzeugung, daß es zurzeit einmal wieder Problem geworden ist.
Bernhard. »Problem!« – Ich bin kein Nußknacker.
Alexander. Nein. Es wäre unrecht, das zu behaupten.
(Pause.)
Bernhard (treuherzig:) Lieber Herr Doktor! Mir ist das Herz so voll! Und Ihnen gegenüber hab ich von jeher ein so unbegrenztes Vertrauen gehabt. – Sie haben mir noch nicht gesagt, weshalb Sie herkommen, aber es ist gut, daß Sie da sind. Lassen Sie mich mal wahnsinnig offen gegen Sie sein. Sie sind der einzige Mensch, den ich kenne, vor dem man sich damit nichts vergibt. (Er reicht ihm die Hand.) 104
Alexander (nimmt die Hand und sieht ihn an. Ernst:) Ich danke Ihnen. –
Bernhard. Sehn Sie: wenn ich mir Hannas Wesen klarzumachen versuche . . . ich weiß ja so schrecklich wenig darüber, wie sie eigentlich – geworden ist. Ich habe sie durch Sie als eine fertige, in sich abgeschlossene Natur kennen gelernt . . .
Alexander. Meinen Sie? Nun – ich und die Tatsachen, wir können Ihnen darin nun leider doch nicht recht geben.
Bernhard. Ja . . .
Alexander. Aber einerlei. Sie wollen von mir etwas über die Zeit hören, wo ich . . . Hannas Erzieher war. Nicht wahr? Nun ja: ich versteh schon. –
(Pause.)
Ja, also – das Einmaleins hab ich ihr nicht beigebracht. Und daß es im Leben häßlich eingerichtet sei, auch nicht. Solche Elementarkenntnisse brachte sie mit. – Aber andre Sachen, daß es sehr schöne Verse gäbe . . . und sehr schöne Bilder und . . . und auch guten Rotwein . . . Und daß das Leben überhaupt um des Leben willen schön sei. Solche Dinge, wissen Sie. – – Hm. Ja. Wenn ich an dieses Erwachen, dieses Aufkeimen, an diesen Frühling in ihren Sinnen denke! . . . Hungrig und durstig war sie zu mir gekommen. Es war ja wie eine neue Welt für sie! Wie eine neue Religion – der Schönheit – der Kunst – des Genusses. Bis dahin war die Partei ihr ein und alles gewesen. Solange da der holde Glaube an die baldige Revolution . . . vorgehalten hatte, war das ja gegangen. Aber nun war er weg. Und was noch blieb – du lieber Gott! Das war doch alles gar zu schnell vom Verstande verzehrt – von einem solchen Verstande! Und nun das Herz . . . das Gemüt . . . und die lieben Sinne? Die hungerten und dürsteten, wie gesagt – es war ein Jammer mit anzusehn. – – Da hab ich ihr nun alle Türen weit geöffnet! Und was hab ich mich da aus innerstem 105 Herzen freuen dürfen, wie sie alsbald, nachdem so die erste Schüchternheit überwunden war, mit naivem Appetit an all die guten Dinge des Lebens heranging! – (Mit einem tiefen Seufzer:) Ja! – Und noch jetzt . . . an Wintertagen . . . werd ich warm, wenn ich daran zurückdenke. – Vor dem Frühling selber aber . . . flücht ich . . . nach Italien. Der ist mir nun mal . . . verleidet. Und da unten, da ist er jetzt schon – überstanden. (Pause.)
Bernhard. Hm. – Und . . . Herr Doktor . . . entschuldigen Sie . . . haben Sie nun damals nie daran gedacht, Hanna . . . zu heiraten?
Alexander (fährt vor Überraschung ein wenig zusammen:) Ach– haben Sie vielleicht einen Aschenbecher?
Bernhard. O Pardon! Stellt ihm einen hin.
Alexander. Danke schön. Hm. – O ja, mein Lieber: daran hab ich wohl gedacht.
Bernhard. Aber?
Alexander. Aber sie nicht.
Bernhard. Was?! Sie wollte nicht?!
Alexander. Nein.
Bernhard. Unmöglich! Pardon, aber – das versteh ich nicht. Das ist mir neu.
Alexander. Nicht wahr? Das geht wider die Natur! Aber trösten Sie sich, Herr Baron –: ich als Plebejer hab es damals auch nicht gleich – kapiert. Ja, ja. (Seufzt:) Na, das soll uns aber nicht abhalten, die Fahne der Wissenschaft und . . . und der »Philosophie des freien Menschentums« aufrecht zu erhalten, und wenn Sie so viel Einfluß auf Ihre Freundin, die gußeiserne Hedwig zu besitzen glauben, so bitte, klingeln Sie mal und bestellen mir irgend was Trinkbares: mein Abenddurst meldet sich.
Bernhard (klingelt:) Verzeihen Sie: ich hätte schon dran denken können.
Hedwig (von links, zu Alexander:) Herr Doktor befehlen?
Bernhard (scharf:) Ich habe geklingelt. Bringen Sie eine Flasche zu Alexander: Rotwein, nicht wahr? 106
Alexander (lächelnd, nickt.)
Hedwig. Ich habe keinen Schlüssel.
Bernhard. Ach bitte, dann gehen Sie gefälligst hinunter und lassen ihn sich von Fräulein geben.
Alexander (gibt der noch zögernden Hedwig hinter Bernhards Rücken einen Wink, worauf sie nach hinten abgeht:) Na sehn Sie, wie sie gehorcht.
Bernhard. Gehorcht? Das nennen Sie gehorchen? Solche Augen hab ich ihr erst machen müssen! (Schaut Alexander gebieterisch an:) Da haben Sie's nun mal selber gesehn. Das muß ich mir nun gefallen lassen. Ich! – Nein, nein! Es geht nicht! Ich bin nun einmal nicht der Mensch dazu. Das hab ich einfach nicht gelernt! Es scheint, ich soll mir erst durch kordiale Formen die Schwesternliebe dieser Person erschleichen – ehe ich sie um etwas bitten darf. Wetter auch! Das ist mir nicht gegeben! – – – Aber wenn ich Hanna das sage, dann . . . dann lacht sie!
Alexander. Ja, sie ist ein herzloses Weib.
Bernhard. Sie ist das herrlichste Weib der Welt, aber in einer Weise egoistisch –: es existiert für sie nichts – absolut nichts – außer ihr.
Alexander. Gott sei Dank.
Bernhard. Und was ist aus mir geworden! Ich habe ja gar keine Konturen mehr. Ich . . . (Aufgeregt:) Aber es hat ein Ende. Heute noch! Ich wollt's Ihnen schon vorhin sagen . . . es ist das ein Entschluß, mit dem ich mich schon lange trage. Ganz einerlei . . . alles einerlei . . . ich frage sie heute noch, ob sie – meine Frau werden will – meine Frau.
Alexander. Oh! – Warum wollen Sie sich den schönen Abend verderben? –
Hedwig (kommt von links mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern. Sie serviert und geht wieder ab.)
Alexander (schenkt sich ein und kostet.)
Bernhard (unruhig auf und ab.)
Alexander (besieht die Etikette der Flasche. Lächelnd, für sich:) Ach ja. Hm. (Laut zu Bernhard:) Na – aber 107 schließlich: sie hat ja Humor. Vielleicht nimmt sie's doch ganz gut auf. Hoffen wir das Beste.
Bernhard. »Wir wollen doch so frohe Menschen werden« . . . Sagte sie!
Alexander (gemütlich:) Hm. Mein lieber Herr von Vernier, bitte: kommen Sie her! Setzen Sie sich mal hübsch zu mir! So. (Schenkt ihm ein:) Prosit! (Stößt mit ihm an:) Sein wir vergnügt! Wissen Sie, wer uns heute Abend noch besuchen wird?
Bernhard (apathisch:) Nein.
Alexander. Ein gewisser Konrad Thieme.
Bernhard (springt erregt auf:) Was?! Der Mensch, der auf Sie geschossen hat?
Alexander. Nun ja: weshalb meinen Sie denn, daß ich sonst hier wäre?
Bernhard. Heute noch?
Alexander. Ja.
Bernhard. Was kann der Mensch denn wollen?!
Alexander. Ja, das weiß er wohl selber nicht. Jedenfalls kommt er. Ich weiß es von einem meiner Arbeiter, einem alten Freunde von ihm. Dem hat er dummerweise sein Herz ausgeschüttet, und bei der Gelegenheit . . . ist auch ein funkelnagelneuer Revolver zum Vorschein gekommen.
Bernhard. Revolver!
Alexander. Ja. Ach dabei müssen Sie sich weiter nichts denken. Das sind die schlechtesten Menschen noch lange nicht, die gern bewaffnet unter die Leute gehn. Die transatlantischen Umgangsformen, die Theorie der persönlichen Exekutive . . .
Bernhard. Und Sie haben ihn nicht verhaften lassen?
Alexander. Verhaften? Nein. Das ist nicht mein Geschmack. Überdies, wer weiß denn –: wahrscheinlich hat der Mann ganz recht. Er hat doch seine Informationen jedenfalls aus Hannas Familienkreisen. Na und da kann ich's ihm gar nicht übelnehmen, daß er herkommt, um sie totzuschießen. Ich würde 108 das an seiner Stelle vielleicht auch tun, wenn es mir sonst . . . die Mittel meines Temperaments erlaubten.
Bernhard. Ich . . . ich bin noch ganz . . . verwirrt. Sie sagen das alles mit einer Ruhe, als ob Sie selber gar nichts befürchteten . . . als ob das alles nur Scherz wäre. Und doch kommen Sie selber her und . . .
Alexander. Ja, sehn Sie: ich möchte doch nicht, daß Hanna allein wäre, wenn der junge Mann ihr . . . seine Visite macht. Ich halte es immerhin für zweckmäßig, wenn jemand da ist, der dem Komparenten mit . . . Vernunftgründen begegnen kann. Hanna gegenüber wird er vermutlich . . . sinnlos rasen. Sie werden . . . ihm gegenüber vermutlich auch nichts Besseres tun: da könnte ich ihm vielleicht . . . bei meiner ausgesprochenen Begabung zum Akademiker . . . mit einer lichtvollen Klarlegung der tatsächlichen Verhältnisse dienen. Das ist manchmal viel wert. – Na und im Notfall – (Er zieht einen Revolver aus der Tasche und zeigt ihn Bernhard:) Ich hatte auch noch so 'n Ding liegen.
Bernhard (sehr aufgeregt:) Das ist ja . . . (Mit plötzlichem Schreck:) Wo bleibt Hanna? Finden Sie nicht, daß sie längst oben sein könnte? Es ist halb Acht! Wenn der Mensch ihr aufgelauert hätte! Ich will hinunter . . .
Alexander (ruhig:) Sein Sie unbesorgt, mein lieber Herr von Vernier –: der schießt nur en face. Das kenn ich. Der weiß auch, daß sie ihn vorläßt, wenn er zu ihr will.
Bernhard. »Vorläßt«!? Um Gotteswillen! Man muß die Hedwig instruieren. (Eilt zur Klingel.)
Alexander. Ich fürchte, daß Ihnen in diesem Falle selbst Ihre gußeiserne Freundin nichts helfen wird. Was Hanna will – hat sie noch immer durchgesetzt. Ah . . .
Hanna (öffnet von außen die Tür im Hintergrunde. Spricht nach außen:) Es ist gut. Sie können dann schließen. (Fordert Konrad zum Eintreten ein:) Bitte. Komm.
Konrad, (ausländisch gekleidet, beträchtlich gealtert, bleich und bartlos, tritt ein.) 109
Bernhard (am Schreibtisch links, wie angewurzelt.)
Alexander (ist bei Hannas Stimme unwillkürlich heftig zusammengefahren, hat sich aber gefaßt, sich langsam erhoben und an den Eintretenden umgewendet.)
Konrad (hat anfangs Alexanders Blick erwidert, ohne ihn zu erkennen. Plötzlich heftig erregt:) Sie! Sie sind es! Hier! Was heißt das? Was bedeutet das?
Alexander (geht ruhig auf Konrad zu und reicht ihm die Hand:) Herr Thieme –: ich bin nicht Ihr Feind. (Er hält ihm die Rechte bin, indem er die Linke flüchtig Hanna reicht, die sie schnell drückt.)
Konrad (zögert erst. Dann, auf einen Blick Hannas, schlägt er ein.)
Alexander (hält seine Hand einen Augenblick fest, beide sehn sich an.)
Hanna (zu Alexander:) Ich hörte schon, daß du gekommen wärst. (Mit einem Blick des Einverständnisses:) Ich danke dir. (Zu Bernhard:) Nun . . . Bernhard . . . du stehst ja so abseits? (Zu Konrad, mit einer vorstellenden Handbewegung:) Der Herr Graf, von dem dir mein Vater schrieb –
Bernhard (aufs äußerste verletzt:) Aber Hanna, ich bitte dich, wie kannst du nur . . . ich begreife dich nicht . . . ich . . . (Stockt.)
Hanna. Wie? – Ach du weißt wohl nicht . . .
Bernhard (schroff:) Ich weiß genug.
Hanna (streng:) Bernhard! –
Bernhard (unter dem Zwange ihres Blickes mühsam höflich:) Herr . . . Thieme . . . Sie werden es wohl nicht so unbegreiflich finden . . . daß ich, der gar nicht weiß . . . in welchen Absichten, mit welchen Gedanken Sie . . . (mit Betonung:) zu meiner Braut kommen . . . daß ich zögere, Sie hier willkommen zu heißen . . . Sagen Sie uns, was Sie hier wollen! Was Sie herführt! Ich hoffe, daß Sie vor meiner Braut . . . die Achtung hegen, die sie beanspruchen darf und die ich fordre!
Konrad (unsicher:) Herr Graf, Sie sprechen von Ihrer Braut? 110
Bernhard (kurz:) Ich bin nicht Graf. Ich heiße von Vernier.
Konrad (aufbrausend:) Herr! Es ist mir auf der ganzen Welt nichts gleichgültiger. –
Bernhard (einfallend, heftig:) Wollen Sie nun –
Alexander (laut:) Vernier!
Hanna (gleichzeitig:) Bernhard! (Pause.)
Hanna (zu Konrad:) Ja – er sprach von seiner – Braut. (Zu Bernhard:) Du meintest wohl mich damit. (Zu Konrad:) Aber daran mußt du dich nicht stoßen. Bernhard kennt dich ja nicht. Er meint vielleicht, du würdest vor der . . . Braut des – Entschuldige, Bernhard! – des Herrn von Vernier – mehr Respekt haben, als vor – einem selbständigen Menschen – vor mir.
Bernhard. Ich habe allerdings noch nicht den Vorzug, Herrn Thieme zu kennen, und halte mich daher für sehr wohl berechtigt, ihn zu fragen, was er hier will.
Konrad (schwer:) Ich tue . . . was ich tun muß . . . damit ich . . . ich . . . nicht ersticke. Und ich habe noch nie danach gefragt, ob das . . . gerade andern genehm ist.
Alexander (zu Bernhard, diesem das Wort abschneidend:) Wie ich Herrn Thieme zu kennen glaube . . . hat er selber gar keinen leidenschaftlicheren Wunsch, als . . . seine frühere Braut hochachten zu dürfen. Nur – er ist über sie sehr schlecht unterrichtet worden, man hat sie verleumdet, ihr Bild verzerrt . . . und er kommt nun hierher, um sich – von der Wahrheit zu überzeugen. (Zu Konrad:) So ist es doch. Nicht wahr?
Konrad. . . . Ja . . .
Alexander (jovial:) Nun also. – Nun kommen Sie, Herr Thieme: setzen Sie sich hierher . . . in meine Nähe . . . so . . .
Konrad (ist im Begriff seiner Aufforderung nachzukommen. Auch Hanna und Bernhard nähern sich dem Mitteltisch, um sich zu setzen.)
Alexander. Den Brief, den Sie mir vor einem halben Jahr – 111
Bernhard (flüstert, während Alexander spricht, Hanna schnell etwas zu.)
Hanna (schüttelt mit dem Kopf.)
Konrad, (der dies bemerkt, plötzlich mit großer Heftigkeit, überlaut:) Nein! Nein! Nein! Ich will nicht! Ich will mich hier nicht einlullen lassen! Zum Teufel mit den glatten Redensarten! Ich will ausführen, weswegen ich gekommen bin. Weiter nichts. Hanna! Mit dir habe ich zu sprechen! Mit dir ganz allein!
Bernhard (sucht sich zwischen Hanna und Konrad zu drängen.)
Hanna (weist ihn mit einer Handbewegung zurück.)
Alexander, (der sich bereits wieder gesetzt hatte, erhebt sich schnell und faßt Konrad scharf ins Auge. Alles dies geschieht, während Konrad spricht. Dann kurze Pause.)
Hanna (ruhig, indem sie Konrad voll ansieht:) So sprich!
Konrad (mit verhaltener Leidenschaft:) Hanna, wir . . . wir haben uns vor Jahren wohl verstehen können. – Ich weiß nicht, ob es jetzt überhaupt noch möglich ist. Damals kämpftest du – und das tue ich noch heute – für die Menschheit! Ihr Elend rührte dich noch . . . das Unrecht, das sie litten, erbitterte dich noch . . . und du wolltest mitarbeiten an ihrer Befreiung . . . an ihrer Erlösung! – – Und jetzt?
Hanna. Konrad, ich habe mir die Menschen . . . meine lieben Mitmenschen . . . wie ich mir einbilde, gründlich angesehn. Glaube mir: nicht die äußeren Feinde einer Partei sind es, die einen von ihr entfremdeten. Jeden, der kein Schwächling ist, werden die nur härter machen. Aber all jene zahllosen bitteren Enttäuschungen, die man jahraus, jahrein an Freunden und Genossen zu erleben hat, diese kleinen jämmerlichen Intrigen und lächerlichen Niedrigkeiten aller Art –: und über dem Ganzen – dies indolente Protzentum der gesinnungstüchtigen Hohlköpfe – das war es, siehst du, das alles, was mir das Parteileben schließlich zur Hölle gemacht hat! – Dazu kam, daß ich mit der Zeit jede Form der Vergewaltigung hassen gelernt hatte. Nicht bloß die ein oder andere. 112 Ich sah, wie sie es trieben – diese Menschen, die vorgaben, eine bessere Zukunft gepachtet zu haben. Der Glaube, daß man die Welt erlösen könne, indem man eines Tages an die Stelle einer . . . fertigen Gewalt . . . diese noch unfertige setzt – der ist mir da freilich abhanden gekommen. – Und so hab ich mich denn auf eine Art von innerer Mission resigniert und mit der . . . bei mir angefangen. Du magst das meinetwegen Egoismus nennen. Mir scheint . . . die Menschheit würde schneller vorwärts kommen . . . wenn es mehr solche – Egoisten gäbe. (Pause.)
Konrad (dumpf:) Auch ich . . . glaube nicht mehr . . . an vieles nicht mehr. (Fanatisch:) Aber trotzdem – ich . . . (Abbrechend:) Aber davon wollen wir jetzt nicht weiter sprechen. Ich kann begreifen, wie du so geworden bist. Nur das eine! Sag mir nur das eine –: dieser Mann hier, was . . . was hat er für ein Anrecht an dich?
Hanna (hell:) Ich – liebe ihn!
Bernhard (losplatzend:) Was berechtigt Sie . . .
Hanna (schnell:) Bernhard! Was berechtigt denn dich? Er ist ja zu mir gekommen. Zu mir – nicht zu dir. Und ich will ihm Rede stehn. – Konrad: das ist alles, was ich zu sagen habe. Ich – liebe ihn. Ein anderes – Anrecht hat er nicht an mich. – (Leise, warm und eindringlich:) Konrad: was hast du von mir denken können! Du – von deinem alten Kameraden? – – Vorhin fragtest du, wie es möglich sei, daß Könitz hier wäre. Sieh – ich weiß – ihn hab ich tief . . . tief verwundet . . . damals, als er fühlte . . . . . Aber meinst du: er wäre einen Augenblick an mir irre geworden? Nein! In seiner vornehmen Güte . . .
Alexander (brummt mißbilligend:) Na, na . . .
Hanna (sieht zu ihm hinüber, mit Betonung:) In seiner vornehmen Menschengüte hat er damals noch Ruhe und Humor erheuchelt – nur damit es mir leichter 113 würde, das zu tun, was auch in seinen Augen meine Pflicht war – mich freizumachen – von ihm. (Indem sie Alexander die Hand reicht:) Hab ich dich verstanden, Alexander?
Alexander (drückt ihre Hand. Bewegt:) Hm . . . hm. –
Hanna (wieder zu Konrad:) Und Bernhard – der Graf, zu dessen Maitresse ich avanciert bin . . . (Bewegung aller:) Ja, ja –: es klingt nicht hübsch. Aber ich muß es mir noch öfter wiederholen –: es ist das Urteil eines Vaters über seine Tochter. Nicht wahr? So stand es doch in dem Briefe, den er dir nach London schrieb?
Konrad (nickt.)
Hanna. Nun – Bernhard hat mich vorhin seine Braut genannt. Das war unrecht von ihm. Sehr unrecht. Denn – frage ihn nur –: ob schon jemals, seit wir uns lieben, zwischen uns beiden von Heirat die Rede gewesen!
Bernhard. Bis jetzt noch nicht, nein. Aber . . .
Hanna (lebhaft:) Siehst du! Siehst du! (Heftig:) Denn du mußt wissen: ich möchte doch immer noch lieber seine Maitresse heißen – als seine Braut. (Bewegung aller:) Ja. (Leidenschaftlich:) Weit erbärmlicher wär's mir, wenn ich in meiner Position auf eine solche Ehe spekuliert hätte – als von so einem armen dummen Mädel, das . . . nun ja: das man nachher, wenn sie auf einen hereingefallen ist, Maitresse schimpft! – (Sieht sie an:) Das kann euch nicht wundern. – (Wieder ruhiger:) Und – verzeih mir, Bernhard – aber gerade das hat öfter störend zwischen uns gelegen . . . zumal seit dem Tode deines Onkels –: »Ist sie nun am Ziele?« – Aus Furcht vor diesem quälenden Gedanken – glaube mir! – hab ich oft meine . . . meine Grenzen eifersüchtiger bewacht, meine Unabhängigkeit eigensinniger betont, als mir mein . . . Gefühl gebot. Bernhard – sag es hier – vor diesen – nicht wahr: dir ist niemals, – niemals der Gedanke gekommen . . . der Verdacht: als ob ich hätte – »Gnädige Frau« werden wollen. 114
Bernhard. Aber Hanna, wie kannst du nur . . .
Hanna. Sag: nein!
Bernhard. Nein! Nein! (Inniger Händedruck der beiden.)
(Pause.)
Alexander (zu Konrad:) Nun, Herr Thieme? –
Konrad (wie aus einer Erstarrung auffahrend:) Ja . . . Ich . . . muß fort. (Er tritt auf Hanna zu und spricht stoßweise mit mächtig arbeitender Brust:) Hanna . . . es ist wahr . . . ich . . . habe dir . . . Unrecht getan . . . Unrecht getan. Menschen, die dich nicht kennen, die dich nie begreifen werden . . . haben mich belogen. Du – bist niemandem Rechenschaft schuldig – du hast deine Gesetze hier . . . in dir. Das fühl ich jetzt. – Wenn du willst . . . verzeih mir und . . . Weiter nichts. – Leb wohl!
(Er geht, ohne auf die andern zu achten, mit schnellen Schritten ab.)
Alexander (sich erhebend:) Herr Thieme! Herr Thieme! So warten Sie doch. Ich wollte Ihnen ja noch . . . Da läuft er nun wieder drauf los . . . (Zu Hanna:) Einen Augenblick, ich – (Sieht die beiden an:) Fürchte übrigens nicht, durch meine Abwesenheit zu stören. (Ab.)
Bernhard. Hans! (Er zieht sie an sich.)
Hanna (an seiner Brust, leise:) Bernhard . . . ich sagte dir doch . . . vorhin . . . daß ich dir etwas . . . zu sagen hätte . . .
Bernhard (zärtlich:) Daß wir frohe Menschen werden wollten . . . ja, Hans . . . das sagtest du . . . und ich, ich weiß nur einen Weg dazu, nur einen Weg. Hanna – werde mein Weib!
Hanna (lächelnd, leise:) Bin ich das nicht?
Bernhard (leidenschaftlich:) Hanna – zeige mir, daß du mich liebst – einfach – warm und natürlich, wie wir sterblichen Menschen es sollen. Opfere mir . . . opfere mir nur ein weniges . . . von deinem Stolze . . . von deiner unausstehlichen Selbstherrlichkeit. Zeige mir, daß ich nicht auch etwa bloß – dein Lehrer bin. – Sieh: ich – kann es nicht länger ertragen. Ich unterliege unter den kleinen Demütigungen, die mir 115 deine . . . unnahbare Überlegenheit, diese . . . diese schreckliche Unabhängigkeit bereitet. Und daß ich so wenig teil an dir habe . . . Ich bin nun einmal so. Du mußt mich doch auch – nehmen wie ich bin . . . Nur ein Weniges opfere mir. Werde meine Frau! Verkauf diesen Trödel! Verlaß mit mir Berlin!
Hanna (mit fröhlich erstauntem Lächeln:) Aber Bernhard . . .
Bernhard (eindringlich:) Wenn du die Herrin von Westernach sein wirst . . . Hanna! Du glaubst es doch wohl selber nicht, daß du je das Geringste von deiner geliebten Souveränität verlieren könntest! Nur schöner wird sie dir stehn . . . vornehmer vor aller Welt! Und dann, Hanna: sieh – du hast eben noch zugegeben, daß du allzu eigensinnig auf deine jetzige Selbständigkeit pochst, weil du immer in Furcht bist, es könne in mir der Gedanke aufkommen, du wolltest geheiratet werden . . . Nun sieh –: du hast es ja in der Hand –: heirate mich – und du bist die Furcht für ewig los.
Hanna (fröhlich lachend:) O Bernhard – was ist das für eine Logik!
Bernhard. Zum Teufel mit der Logik! Es handelt sich um unser Glück! Was gilt dir mehr: deine Prinzipientreue oder . . . oder du und ich.
Hanna. Du und ich und . . .
Bernhard (fast erschrocken:) Was?! Hanna – du . . . du willst also? Ja?
Hanna. Ja. Ich will. Ich will.
Bernhard (stürmisch:) O du, du . . . Das war wohl . . . Wolltest du mir das sagen? Das? Ja?
Hanna. Nein . . . das nicht. Aber . . .
Bernhard. Nun?
Hanna (leise:) Ach, Bern: ich für mich allein . . . ich hätte nie daran gedacht . . . aber . . . (Ihre Stimme ist leiser geworden, sie verbirgt sich an seiner Brust.)
Bernhard (macht einen Augenblick ein sehr dummes Gesicht:) Für dich allein . . .?
Hanna (vorwurfsvoll, daß er sie nicht versteht:) Bernhard! 116
Bernhard (begreift:) Ah . . . (Außer sich vor Glück:) Hans! Hans! Jetzt bist du erst mein Weib . . . wie? (Setzt sich und zieht sie auf seinen Schoß. Jubelnd:) Jetzt bist du mein Weib!
Alexander (kommt außer Atem wieder:) Gott sei Dank – hab ihn noch gekriegt! (Bemerkt die beiden:) Na nu?
Bernhard (jubelnd:) Doktor! Sie sagt ja! Sie sagt ja! – Wer hat nun recht?
Hanna (verbirgt den Kopf an Bernhards Brust.)
Alexander. Ich. – Sie hat eben Humor.
(Ende)