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Als Mrs. Tucker starr, bleich aber mit hoch erhobenem Haupte aus der Tienda trat und davonfuhr, hatte sie ungefähr die Empfindung, als versinke sie in die einförmige Ebene, die sich in trostloser Greifbarkeit ringsum ausbreitete. Hätte nicht die Einsamkeit und Oede der Landschaft eine ganz neue herzbrechende Bedeutung für sie gewonnen, sie würde vielleicht alles für einen schweren Traum gehalten haben. Als dann jedoch das Blut wieder anfing, ihre bleichen Wangen zu färben, als sie nach und nach zu einem schmerzvollen Bewußtsein erwachte, da schien es ihr fast, als sei ihr ganzes bisheriges Leben ein Traum und nur der letzte schreckliche Auftritt Wirklichkeit gewesen.
Ihre Augen brannten vor Scham und das Blut stieg ihr von Zeit zu Zeit heiß bis zum Nacken und zu den Schläfen empor, während sie sich und ihren zertretenen Stolz in ihr Umschlagetuch hüllte und sich über die Zügel beugte. Punkt für Punkt reimte sie sich jetzt Poindexters geheimnisvolle Vorsichtsmaßregeln und seine sonderbaren Andeutungen mit ihrer und ihres Mannes Schande zusammen. Deshalb also hatte man sie, die verlassene Frau, hierher gebracht! Der harte, helle Glanz des Himmelsgewölbes über ihr, der unaufhörliche Wind, das kalte Glitzern der Tümpel und Wasserstreifen, welche die Marschen durchzogen, die scharfen Linien des Küstengebirges, das Klappern der Pferdehufe und das sie im Takte begleitende Rasseln des Buggy reizten ihre Nerven und quälten sie. »Nein! nein! nein!« rief sie, »die Worte unzähligem«! mit der bewußtlosen Hartnäckigkeit eines Fieberkranken wiederholend.
Wann und wie sie die Hacienda erreicht, hätte sie kaum zu sagen vermocht. Nur eines kam ihr zum Bewußtsein, daß die staubige Einsamkeit des Patio, welche ihr tags vorher so unerträglich erschienen war, sich jetzt, als sie in denselben einfuhr, wie Balsam um ihre wunde Seele legte. Die zerbröckelnden Mauern schienen ihr Ruhe und Frieden – den Frieden der vollständigen Abgeschlossenheit, der Einsamkeit des Vergessens, des Todes zu versprechen. Dessenungeachtet sprang sie, als sich eine Stunde später Pferdegetrappel und Sporenklirren dem Gehöft näherten, von ihrem Lager auf und trat Kapitän Poindexter in der Veranda mit zusammengezogenen Brauen und blitzenden Augen entgegen.
»Ich würde Sie nicht jetzt schon belästigt haben, wenn ich nicht glaubte, Ihnen vielleicht eine Wiederholung der Scene von heute morgen ersparen zu können,« begann er in ernstem Tone, und als ihn ein zorniger, verächtlicher Blick aus ihren schönen Augen traf, fügte er mit einer ruhig abwehrenden Handbewegung hinzu: »Hören Sie mich an. Ich habe soeben in Erfahrung gebracht, daß sich Ihr Nachbar, Don José Santierra von Los Gatos, auf dem Wege nach Los Cuervos befindet. Er hatte diese Ländereien hier mit Beschlag belegt und haßte Spencer, weil dieser einem Rivalen, welcher das Land ebenfalls in Anspruch nahm, und dessen Rechtstitel gerichtlich bestätigt wurde, den Komplex abkaufte. Ich sage Ihnen dies alles nur,« fuhr er, als sich Mrs. Tucker ungeduldig abwandte, mit flüchtigem Erröten fort, »ich sage Ihnen alles dies nur, um Ihnen zu zeigen, daß dem Manne keinerlei gesetzliche Rechte zustehen und daß Sie ihn nicht zu empfangen brauchen, wenn Sie nicht wollen. Ich konnte sein Kommen nicht verhindern, ohne Ihnen damit vielleicht mehr zu schaden, als zu nutzen – bin ich aber hier, wenn er erscheint, so können Sie ihn einfach an mich, Ihren Anmalt, weisen.«
Kapitän Poindexter schwieg einen Moment, Mrs. Tucker durchmaß die Veranda mit kurzen ungeduldigen Schritten, während sie die Hände krampfhaft ineinander verschlungen hielt.
»Habe ich Ihre Erlaubnis, zu bleiben?« fragte er.
Sie blieb plötzlich stehen, trat dann mit schnellen Schritten auf ihn zu und blickte ihm starr in die Augen.
»Weiß ich jetzt alles?« fragte sie.
Er konnte nur erwidern, daß er nicht wisse, was und wieviel sie gehört habe.
»Nun, ich habe gehört, daß mein Mann schändlich hintergangen und mißbraucht worden ist – hintergangen und mißbraucht von einem abscheulichen Weibe, das ihn dazu gebracht hat, ihr sein Vermögen, seine Freunde, seine Ehre, mit einem Worte, außer mir, alles zu opfern, was er besaß,« rief sie verächtlich.
»Alles außer Ihnen?« stotterte Poindexter.
»Ja, er hat ihr alles geopfert, nur mich nicht.«
Poindexter guckte in die Luft, nach dem Himmel, betrachtete die öde Veranda, das Pflaster des Patio und sogar sich selbst. Dann kehrten seine Blicke wieder zu der unbegreiflichen Frau zurück, die da vor ihm stand.
»Ich glaube, Sie wissen alles!« sagte er ernsthaft.
»Und da mein Mann mir gelassen hat, was er mir lassen konnte, diese Besitzung meine ich« – sie sprach immer schneller und drehte dabei ihr Taschentuch krampfhaft zwischen den Fingern zusammen – »so kann ich damit nun auch machen, was ich will – nicht wahr?«
»Gewiß können Sie das.«
»So verkaufen Sie die Hacienda und die dazu gehörigen Ländereien!« rief sie mit leidenschaftlicher Heftigkeit. »Verkaufen Sie alles und jedes! Verkaufen Sie auch dies!« fuhr sie fort, nachdem sie in ihr Schlafzimmer geeilt war, um die Diamantringe herbeizuholen, welche sie sofort, nachdem sie nach Hause zurückgekehrt, von den Fingern gestreift und aus den Ohren genommen hatte. »Verkaufen Sie das alles zu jedem Preise, den man Ihnen bietet, nur verkaufen Sie es so schnell als möglich; gleich auf der Stelle!«
»Aber wozu?« fragte Poindexter mit ernsten Lippen, während es in seinen Augen humoristisch aufblitzte.
»Um die Schulden zu bezahlen, in welche ihn diese – diese Person gestürzt hat – um das Geld zurückzugeben, um das er die Leute bestohlen hat – um ihn vor jedem Anteil an ihrer Schande zu reinigen! Verstehen Sie mich nicht?«
»Aber, liebe, verehrte Frau,« begann Poindexter, »selbst wenn sich das machen ließe –«
»Sagen Sie mir nicht, wenn sich das machen ließe – es muß sich machen lassen! Glauben Sie, ich wäre imstande, unter dem Dache dieser Hacienda zu schlafen, welche durch die Trümmer jener ruinierten Tienda aufrecht erhalten wird? Glauben Sie, ich konnte noch diese Diamanten tragen, nachdem jenes wütende Weib mir gesagt, sie seien mit ihrem Gelde bezahlt? Nein, wenn Sie der Freund meines Mannes sind, so werden Sie das für – für ihn thun.«
Hier brach sie ab, besah eine Weile ihre kalten Fingerspitzen und fuhr dann zögernd und nur wie halb mechanisch fort: »Ich weiß es, Kapitän Poindexter, Sie haben es gut gemeint, indem Sie mich hierher brachten, und Sie dürfen nicht denken, daß ich Sie für das schreckliche Resultat, den Auftritt von vorhin, verantwortlich mache. Aber wenn ich durch mein Hierherkommen irgend etwas gerettet habe, so bitte ich Sie um Gottes willen, lassen Sie mich's so schnell als möglich hingeben und von dannen ziehen. Ich habe einen Freund, der mir behilflich sein wird, mich entweder wieder mit meinem Manne zu vereinigen, oder nach Kentucky heimzukehren, wo Spencer mich aufsuchen wird, das weiß ich gewiß. Mehr will und verlange ich nicht.«
Hier unterbrach sie sich von neuem und jede andere Frau würde die nun folgende Pause mit Thränen ausgefüllt haben. Mrs. Tucker aber hielt den Kopf hoch über der Flut des Leides, welche über ihr Herz dahinging und die klaren Augen, welche sich auf Mr. Poindexter richteten, waren, obwohl schmerzumwölkt, dennoch von keinem feuchten Schimmer verdunkelt.
»Das alles würde viel Zeit beanspruchen,« entgegnete Poindexter in teilnehmendem Tone, »denn Sie können jetzt nichts verkaufen, weil es Ihnen niemand abnehmen würde. Sie sind wohl in der Lage, die Hacienda zu behaupten, solange Sie sich im thatsächlichen Besitz derselben befinden, aber Sie haben nicht die Macht, einem anderen das Eigentumsrecht zu gewährleisten. Wahrscheinlich kommt es, da Spencer außer den Leuten da drüben in der Tienda, noch vielen seiner Geschäftsfreunde Geld schuldig ist, zu einem Prozesse, und wenn auch niemand imstande ist, Sie, die Ehefrau des Flüchtlings, welche der vollen Teilnahme der Richter und Geschworenen sicher sein kann, von hier zu vertreiben, so würde sich die Sachlage sofort verändern, wenn Sie die Hacienda verkauften. Jeder Käufer würde wissen, daß Sie nicht verkaufen können, und wenn Sie es dennoch thäten, so wäre dies nur ein nutzloses und darum lächerliches Opfer.«
Sie hörte ihm halb zerstreut zu, ging bis an das Ende der Veranda, kehrte um und fragte, ohne die Augen vom Boden zu erheben: »Sie kennen die Person, wie ich vermute?« »Wen meinen Sie?«
»Ich meine jenes Geschöpf, Sie haben sie doch wohl gesehen?«
»Niemals, soviel ich mich erinnere.«
»Das ist sonderbar – Sie waren doch sein Freund!« sagte sie, die Augen zu ihm erhebend, »Aber,« fuhr sie ungeduldig fort, »Sie wissen ja wohl, wer sie ist und was sie ist?«
»Ich weiß nicht mehr von ihr, als ich schon gesagt habe,« erwiderte Poindexter. »Sie ist eine berüchtigte Dirne.«
Mrs. Tucker wurde rot, als hätte die Bezeichnung sie selber getroffen.
»Es gibt doch wohl Gesetze gegen Kreaturen dieser Art,« sagte sie mit so trockener Stimme, als stelle sie eine geschäftliche Frage, aber mit Augen, die ihren steigenden Zorn verrieten. »Es gibt doch wohl Gesetze gegen Kreaturen dieser Art, so daß man sie ergreifen und vor Gericht stellen kann – Gesetze, welche unschuldige Personen gegen die Folgen der Verbrechen schützen, welche jene begehen?«
»Ich fürchte, es würde den Leuten in der Tienda wenig genutzt haben, wenn man die Person angehalten hätte,« bemerkte Poindexter.
»Von denen spreche ich nicht,« antwortete Mrs. Tucker mit einer plötzlichen erhabenen Verachtung gegen die Pattersons, deren Sache sie noch eben zu der ihrigen gemacht hatte. Ich spreche von meinem Manne.«
Poindexter biß sich in die Lippen.
»Sie würden in jener Person die stärkste Belastungszeugin gegen ihn aufstellen und können daran nicht denken,« sagte er diesmal ohne Umschweife.
Mrs. Tucker schlug die Augen nieder und schwieg, Poindexter empfand plötzlich eine Scham, als habe er ihr einen Faustschlag versetzt.
»Verzeihen Sie,« fügte er hastig hinzu, »ich spreche wie ein Anwalt zum anderen,« Jeder anderen Frau würde er bei dieser ehrlichen und herzlichen Entschuldigung die Hand geboten haben, Mrs. Tucker gegenüber hielt ihn ein gewisses Etwas davon zurück. Mitleidig blickte er nur auf ihre niedergeschlagenen Augen und wiederholte die Frage, ob er, bleiben dürfe, um bei Don Josés Besuch zugegen zu sein. »Ich muß Sie bitten, sich schnell zu entscheiden, denn ich höre ihn schon kommen,« sagte er.
»Bleiben Sie,« entgegnete Mrs. Tucker, als sich in diesem Moment das Klappern von Hufschlägen und das Klirren mexikanischer Sporen von dem Corral her hören ließ. »Nur noch eine Frage,« fuhr sie dann, plötzlich die Augen erhebend, fort: »Seit wann kennt er jene Person?«
Aber noch ehe Poindexter antworten konnte, näherten sich Männertritte und die Gestalt Don José Santierras erschien im Thore.
Don José war ein ansehnlicher, sorgfältig rasierter Mann von mittleren Jahren, welcher eine aus schwarzem seinem Tuch gefertigte Serape trug – jenen bei den spanischen Amerikanern besonders beliebten, meist aus einem Stück bunten, gewebten Zeuges, oder einer wollenen Decke hergestellten Mantel, welcher nur mit einer Oeffnung zum Durchstecken des Kopfes versehen ist. Diese Halsöffnung an Don Josés Serape war mit so breiter Stickerei verziert, daß dieselbe einen ringsum laufenden silbernen Kragen bildete und zwei Reihen silberner Knüpfe, welche an den Außenseiten der Reithosen hinabliefen, sowie mächtige silberne Sporen vervollständigten das eigentümliche und reiche Kostüm.
Mrs. Tucker bemerkte mit schnellem, weiblichem Scharfblicke alle diese Einzelheiten ebensogut, wie den Umstand, daß die tiefe Verbeugung des Ankömmlings etwas gehaltener und förmlicher ausfiel, als die übertriebene höfliche Begrüßung, an welche sie in diesem Grenzlande gewöhnt war, und das genügte, um sie in ihrem ersten Entschlüsse, sich sofort zurückzuziehen, wankend zu machen. Zögernd blieb sie stehen, während Mr. Poindexter dem Gaste entgegenging, um sich zwischen ihn und sie zu stellen und mit einer ironischen Verschärfung seiner gewöhnlichen humoristisch-duldsamen Miene, Don Josés Blick zu erwidern, welcher schon von weitem verriet, daß er ihn erkannte. Der Spanier schien diese Miene nicht zu bemerken, sondern blieb ernst und schweigend stehen, wahrend er Mrs. Tucker mit dem Ausdrucke tiefer und unwillkürlicher Aufmerksamkeit anblickte.
»Sie sind hier ganz recht,« begann Kapitän Poindexter. »Dies ist Mrs. Tucker. Ihre Augen täuschen Sie nicht – und es wird Mrs. Tucker zum Vergnügen gereichen, Sie in ihrem Hause zu begrüßen. Es wäre denn, daß Sie in Geschäften kämen,« setzte er halb zu Mrs. Tucker gewendet hinzu, »in welchem Falle ich Sie bitten müßte, mit mir fürlieb zu nehmen.«
Don José Santierra geruhte jetzt mit einem leichten Emporziehen der Brauen die Anwesenheit des Advokaten zu bemerken.
»Ich komme heute nicht in Geschäftsangelegenheiten, sondern nur in der Absicht, der Señora die Hand zu küssen und ihr als Nachbar meine Dienste anzubieten,« entgegnete er mit einer Art sanfter Melancholie, und indem er seine Augen rings über die Umgebung schweifen ließ, fuhr er fort: »Das ist hier kein Aufenthalt für eine Dame – das ist ja kaum noch ein Haus, sondern nur noch ein Platz für Wind und trockene Knochen, ohne Bequemlichkeit und Behagen. Die Señora wird uns daher die Gunst erweisen, ihr hierher schicken zu dürfen,, was wir in unserer armen Hütte in Los Gatos besitzen, um ihr den Aufenthalt ein wenig angenehmer zu machen. Was dürfen wir herüber senden? Ich erwarte die Befehle der Señora. Oder wäre es ihr vielleicht genehm, diesen Tag für uns dadurch denkwürdig Zu machen, daß sie als Gast nach Los Gatos käme, um da zu verweilen, bis ihre Einrichtungen hier so sind, daß sie selbst Gäste empfangen kann? Wir würden uns das zur höchsten Ehre anrechnen.«
»Die Signora würde es, nachdem sie Don Josés Gastfreundschaft genossen, nur um so schwerer finden, unter dies bescheidene Dach zurückzukehren,« sagte Kapitän Poindexter mit einem bedeutsamen Blick auf Mrs. Tucker.
Aber der Wink schien weder bei seiner schönen Klientin, noch bei dem Fremden Beachtung zu finden. Mit einer gewissen schüchternen Würde, welche Don Josés Anwesenheit in ihr wachgerufen zu haben schien, nahm Mrs, Tucker das Wort: »Sie sind sehr gütig und aufmerksam, Mr. Santierra. Ich danke Ihnen dafür, und weiß, daß mein Mann« – hier ließ sie ihre schönen, klaren Augen voll auf den beiden Herren ruhen – »sich Ihnen ebenfalls zu Dank verpflichtet fühlen würde. Aber ich werde nicht lange genug in der Gegend bleiben, um von Ihrer Güte hier oder in Ihrem Hause Gebrauch machen zu können. Ich habe gegenwärtig nur einen Wunsch, nur einen Zweck, und das ist der, diese Besitzung – allerdings alles, was ich mein nenne – zu veräußern, um die Schulden meines Mannes zu bezahlen. Vielleicht steht es in Ihrer Macht, mir dabei behilflich zu sein, Don Jos«,« fuhr sie fort, ohne weder den Ausdruck eines ihm aufgehenden Verständnisses, welcher sich über das Gesicht des Spaniers verbreitete, noch das humoristische Erstaunen Kapitän Poindexters zu bemerken. »Man hat mir gesagt, Sie wünschten Los Cuervos an sich zu bringen, und wenn Sie sich darüber mit Mr. Poindexter verständigen wollten oder könnten, würde ich Ihnen gern in jeder Weise entgegenkommen. Das wäre alles, was Sie für mich zu thun vermöchten, und Sie dürften sich von meiner Dankbarkeit dafür überzeugt halten. Außerdem können Sie mir nur noch in einer Weise dienen – Sie können allen Ihren Freunden und Bekannten sagen, daß Mrs. Bell Tucker sich nur zu dem Zwecke hier aufhält, um das auszuführen, was, wie sie weiß, den Wünschen und Absichten ihres Mannes entsprechen würde.«
Nachdem sie diese kleine Rede beendigt hatte, senkte sie den schönen, stolzen Kopf, machte dem höheren Alter, der Silberstickerei und der würdevollen Haltung Don Josés eine artige Verbeugung und verschwand mit dem flüchtigen Sonnenstrahle eines Lächelns von der Veranda.
Die beiden Männer blieben einen Augenblick stumm voreinander stehen. Don José blickte wie in Gedanken versunken nach der Thür, hinter welcher Mrs. Tucker verschwunden war, bis Poindexter, der sein duldsames Lächeln wiedergefunden hatte, ihn anredete.
»Sie haben Mrs. Tuckers Vorschläge gehört, und kennen die Verhältnisse ebensogut, wie sie ihr bekannt sind,« sagte er.
»Ich kenne sie möglicherweise besser,« entgegnete Don José.
Poindexter streifte das dunkle, ernste Gesicht des Mannes mit einem schnellen Blicke, da er aber keinen ungewöhnlichen Ausdruck in seinen Mienen wahrnahm, fuhr er fort: »Sie sehen, sie legt die Sache in meine Hand, und wir wollen wie Geschäftsmänner darüber reden. Denken Sie daran, die Besitzung zu kaufen?«
»Sie zu kaufen – nein, das nicht.«
Poindexter zog die Brauen zusammen, glättete sie aber gleich darauf wieder und blickte Don José mit verzeihendem Lächeln an, indem er sagte: »Sollten Sie eine andere Absicht verfolgen, Don José, so möchte ich, als Mrs. Tuckers Anwalt, Sie darauf aufmerksam machen, daß die Dame sich in rechtlichem Besitze des Unwesens befindet und daß nichts als ihr eigener Entschluß sie aus dieser Stellung heraustreiben kann.«
»So – so!«
Das Achselzucken, welches diese Worte begleitete, reizte Poindexters Zorn und in etwas schärferem Tone fuhr er fort: »Demnach hätten Sie mir wohl nichts weiter zu sagen –« »Vielleicht doch – es ist sogar wahrscheinlich, daß ich Ihnen allerlei zu sagen habe,« entgegnete Don José. »Aber,« fügte er hinzu, indem er nach Mrs. Tuckers Thür hinblinzelte, »das kann nicht hier geschehen.« Dann schwieg er eine kleine Weile, worauf er mit einem entschuldigenden Lächeln und einer einladenden, etwas studierten aber graziösen Gebärde nach dem Thorwege zeigte und fortfuhr: »Wollten Sie nicht eben auch Ihr Pferd besteigen?«
»Was kann der Bursche vorhaben?« murmelte Poindexter vor sich hin, wahrend er mit einem zustimmenden Nicken daran ging, sich auf den Rücken seines Mustangs zu schwingen. »Wäre er nicht ein alter Hidalgo, ich würde ihm mißtrauen. Aber es wird sich ja zeigen. Also vorwärts!«
Auch Don José bestieg seinen Mustang! stumm durchritten die beiden Männer den Corral und erreichten Seite an Seite die offene Ebene. Poindexter sah sich um; kein anderes menschliches Wesen war zu sehen und zu hören – aber erst als die einsame Hacienda hinter ihnen versunken war, brach Don José das Schweigen.
»Sie sagten eben, wir wollten als Geschäftsmänner miteinander reden,« begann er. »Aber das möchte ich nicht, Don Marco – das mochte ich nicht. Ich schlage vor, daß wir als – als Gentlemen miteinander verhandeln.«
»Schießen Sie los!« entgegnete Poindexter, welchen die Sache anfing zu belustigen.
»Ich bemerkte eben, daß ich nicht die Absicht habe, den Rancho von der Señora zu kaufen, und will Ihnen nun sagen, warum nicht,« fuhr Don José fort, indem er mit der Hand unter die Serape fuhr und ein großes, gefaltetes Papier daraus hervorzog, »Sehen Sie, Don Marco, da haben Sie das Warum.«
Poindexter nahm ihm lächelnd das Schriftstück aus der Hand und entfaltete es. Aber das Lächeln verschwand von seinen Lippen, während er es überflog. Mit sprühenden Augen spornte er sein Pferd, um dem Spanier, der ruhig vorausgeritten war, zu folgen. Fast hätte er ihn überritten.
»Was soll dies bedeuten?« fragte er beinahe drohend.
»Was dies bedeuten soll?« wiederholte Don José ebenfalls mit flammenden Augen. »Das will ich Ihnen sagen. Es bedeutet, daß dieser Mann, Ihr Klient, dieser Spencer Tucker, ein Judas ist – ein Verräter! Es bedeutet, daß er Los Cuervos vor Jahresfrist seiner Maitresse schenkte, welche dis Besitzung am Tage, ehe sie mit ihm das Land verließ, an mich – hören Sie wohl! – an mich, José Santierra, verkaufte. Es bedeutet, daß Spencer, dieser Coyote, der Dieb, welcher das Land von einem Diebe kaufte und es an eine Dirne verschenkte, euch alle betrogen hat. Sehen Sie,« fuhr er fort, indem er sich im Sattel emporhob und das zusammengerollte Dokument wie einen Kommandostab vor sich hin hielt und einen weiten Kreis damit beschrieb, »sehen Sie, soweit Ihr Auge reicht, gehörte dieser Grund und Boden früher mir – und jetzt gehört er wieder mir. Ich brauche also Los Cuervos nicht zu kaufen, denn wenn wir, wie Sie wünschen, als Geschäftsmänner sprechen, so wissen Sie, daß ich Los Cuervos bereits gekauft habe und daß dies Papier hier in meiner Hand der Kaufvertrag ist.«
»Aber derselbe ist nicht gerichtlich bestätigt und eingetragen,« entgegnete Poindexter mit einer Sorglosigkeit, die er keineswegs empfand.
»Nein, das ist er nicht. Wünschen Sie, daß ich ihn jetzt bestätigen lasse?« fragte Don José mit seinem früheren einfachen Ernste.
Poindexter biß sich in die Lippen.
»Sie sagten vorhin, wir wollten als Gentlemen miteinander verhandeln,« warf er ein. »Nun erlauben Sie mir wohl die Frage, ob der Weg, auf dem Sie in Besitz dieses Dokumentes gelangten, eines Gentlemans würdig war?«
Don José zuckte die Achseln.
»Was wollen Sie?« sagte er. »Ich habe die Besitzung in der Schürze einer Buhlerin gefunden und sie für ein Butterbrot gekauft.«
»Und würden Sie dieselbe wieder für ein Butterbrot verkaufen?« fragte Poindexter.
»Wie soll ich das nehmen?« sagte Don José, seine eisengrauen Brauen in die Höhe ziehend. »Vor einer Viertelstunde noch waren wir bereit, alles und um jeden Preis zu verkaufen – und jetzt möchten wir kaufen. Habe ich recht verstanden?«
»Hören Sie mich einen Augenblick an, Don José,« versetzte Poindexter mit dem Ausdrucke tiefer Betrübnis in seinen schwarzen Augen. »Habe ich recht verstanden? Soll ich annehmen, daß Sie der Bundesgenosse Spencers und jener Dirne sind, und daß Sie die Absicht haben, jene zwiefach betrogene Frau von der letzten Stätte zu vertreiben, die ihr geblieben ist, um ihr Haupt zur Ruhe zu legen?«
»Ich begreift Sie nicht. Mrs. Tucker sagte ja in Ihrer Gegenwart, daß sie den Wunsch hätte, zu gehen. Vielleicht paßt es mir, mich gössen das Volk, das zum Rancho gehört, und gegen die Leute in der Tienda großmütig zu zeigen – ich will das gar nicht verreden, und mehr verlangt sie nicht. Aber Sie, Don Marco, wessen Anwalt sind Sie denn eigentlich? Es sieht mir fast aus, als hätten Sie die Absicht, Partei gegen Ihren Klienten und seine Maitresse zu nehmen und sich auf die Seite seiner Frau zu schlagen.«
»Ueber meine Absichten werden Sie bald Näheres hören,« entgegnete Poindexter, der seine Fassung wiedergefunden hatte und plötzlich sein Pferd anhielt, »Aber unsere Pfade scheinen auseinander zu gehen und so ist's wohl am besten, wir trennen uns gleich hier. Guten Morgen.«
»Geduld, mein Freund, haben Sie nur ein bißchen Geduld!« rief Don José. »Heiliger Antonius, was sind diese Amerikaner für Leute! Hören Sie mich doch an! Was Sie zu thun gedenken, danach habe ich nicht zu fragen; meiner Meinung nach handelt es sich nur darum, was ich« – hier tippte er sich zur Erhöhung der Wichtigkeit seiner Person mit der Hand auf die Brust – »ich, José Santierra, zu thun gedenke. Nun ich will es Ihnen sagen. Heute werde ich gar nichts thun – morgen ebenfalls nichts, ebensowenig in den nächsten acht Tagen und in den nächsten vier Wochen! Dann wollen wir weiter sehen!«
Poindexter dachte einen Moment nach. »Wollen Sie mir Ihr Wort geben, Don José, Ihr Besitzrecht einen Monat lang nicht geltend zu machen?« fragte er dann.
»Das will ich – aber nur unter einer Bedingung,« gab der Spanier zur Antwort, »Merken Sie wohl auf! Ich fordere von Ihnen nicht etwa das Gegenversprechen, daß Sie die Zeit nicht zum Vorteil Ihrer Partei benutzen wollen,« hier zuckte Don José leicht die Achseln. »Nein, ich mache nur eine Bedingung: Sie versprechen mir, daß Mrs, Tucker während dieser Zeit nichts vom Dasein dieses Schriftstückes erfährt.«
Poindexter zögerte einen Augenblick, »Gut, ich verspreche es,« sagte er dann.
»Abgemacht. Adios, Don Marco,« gab der Spanier zurück.
»Adios, Don José.«
Der Spanier drückte seinem Mustang die Sporen in die Seiten und galoppierte in der Richtung nach Los Gatos davon. Der Anwalt hielt noch eine kleine Weile an der Stelle, um dem sich zurückziehenden aber doch siegreichen Gegner nachzublicken. Zum erstenmale verschwand der Ausdruck humoristischer Duldsamkeit und Nachsicht, womit Mr. Poindexter sonst alle menschlichen Schwachheiten zu betrachten pflegte, aus seinem Gesichte, um einer gewissen Bitterkeit Platz zu machen.
»Ich hätte darauf gefaßt sein sollen,« sagte er mit einem Anflug von Zornröte auf Stirn und Wangen. »Er ist ein alter Narr, und sie? – na, vielleicht wendet sich für sie noch alles zum Besten.«
Dabei sah er mit einem beinahe zärtlichen Blicke nach Los Cueruos hin, dann lenkte er sein Pferd dem Landungsplatze des Dampfschiffes zu.
Im Laufe des langen Nachmittages traf in Los Cuervos ein knarrender Ochsenwagen ein, beladen mit allerlei notwendigen und zur Bequemlichkeit, wie zum Schmucke der Zimmer dienenden Hausgeräten, und gleichzeitig erschien in der Küche auf geheimnisvolle Weise ein junges mexikanisches Mädchen, welches der alten, gebrechlichen Concha zur zeitweiligen Stütze dienen sollte. Beides, die junge Dienerin wie der Ochsenkarren mit seiner Ladung, kamen ohne allen Zweifel von Don José, welcher diese zarten Aufmerksamkeiten wahrscheinlich schon vorbereitet hatte, ehe Mrs. Tucker sein Anerbieten zurückgewiesen. Sie konnte die Annahme nun nicht verweigern, ohne geradezu eine Unart zu begehen – unartig und unhöflich wollte sie sich aber nicht zeigen. Im Gegenteil, sie hätte gewünscht, rücksichtsvoller und liebenswürdiger gegen dieses lebendige Ueberbleibsel einer malerischen, formvollen und glänzenden Vergangenheit gewesen zu sein. War doch Don José in seiner gehaltenen, ruhigen Weise so ganz verschieden von allem, was bis jetzt ihr Leben ausgemacht hatte, und was nun so unentwirrbar vor ihr lag.
Mit praktischem Sinne überlegte Mrs. Tucker, daß, wenn der alte Herr die Besitzung wirklich an sich brächte, es ihm vielleicht nur angenehm sein könne, all diesen Hausrat gleich hier zu haben, während, wie sie mit weiblichem Instinkt herausfand, die Sachen doch auch sehr wertvoll waren, um dem Hause für etwaige andere Käufer ein besseres Ansehen zu verleihen. So machte sie sich denn mit Vergnügen daran, die Dinge geschmackvoll zu ordnen, ja sie beschäftigte sich sogar mit dem Gedanken, wie angenehm ihr dieser Zuwachs an Schmuck und Bequemlichkeit gewesen sein würde, wenn sie sich in der Lage befände, die Hacienda zu behaupten Dieselbe war ja gar nicht so einsam und trostlos öde, wenn sie hier gebildete, angenehme Nachbarn, wie den alten Spanier, fand, die sie freundlich aufnahmen.
Außerdem sagte ihr ein instinktives Gefühl, daß diese Leute, welche selbst an der angeborenen Untauglichkeit und Unfähigkeit für die neue Civilisation rettungslos zu Grunde gingen, den Bankerott ihres Mannes milder beurteilen würden, als seine eigenen Stammesgenossen, und es fiel ihr schwer, zu glauben, daß Don José ihren Mann wirklich hassen sollte, weil dieser die Besitzung von einem siegreichen Mitbewerber gekauft hatte, wenn er doch seine eigenen gesetzlichen Rechte daran nicht zu beweisen vermochte. Dazu kam, daß das harmlose Geplauder und die Erzählungen des neuen Hausmädchens – welches auf sein gebrochenes Englisch nicht wenig stolz war – anfingen, Mrs. Tucker zu interessieren, und während sie darauf einging, wurden ihre Sympathien für den Charakter und das einfache, ernste Wesen ihres neuen Bekannten immer lebhafter. Sie fühlte sich immer mehr hingezogen zu dem Vertreter jenes echten Gesinnungsadels, welcher den Abkömmling der alten Kastilianer, und sie, die Tochter eines freien Volkes, auf dieselbe Stufe stellte.
Auf diese Weise ging der zweite Tag nach Mrs. Tuckers Besitzergreifung von Los Cuervos zu Ende. Dicke Wolken lagerten an dem grauen Horizonte, der sie nervös machende Wind, der draußen um die Mauern sauste, wurde schwächer und schwächer – bei Anbruch der Nacht stieg der Mond am Himmel empor und begann heimliche Zwiegespräche mit den niederströmenden Regenschauern zu halten.
Mrs. Tucker war früh schlafen gegangen, wachte aber kurz nach Mitternacht davon auf, daß jemand, wie sie meinte, ihren Namen rief. Der Eindruck war ein so lebhafter, daß sie aufsprang, hastig einige Kleider überwarf, ans Fenster trat und hinausblickte. Die Zwergeiche dicht daneben triefte noch von dem letzten Regengusse; aber das weite Grasland und die Marschen darüber hinaus, welche in dem wechselnden Lichte auf und ab zu wogen schienen, lagen still und einsam. Da hörte sie noch einmal ihren Namen rufen und diesmal von einer so wunderbar bekannten Stimme, daß sie mit einem leisen Aufschrei hinaus auf die Veranda stürzte, den Patio kreuzte und bis zu dem offenen Thore lief.
Aber die Finsternis, welche vorhin dem siegreichen Monde gewichen, hatte während dieses kurzen Moments die Herrschaft bereits wieder gewonnen und vergeblich versuchte die einsame Frau, dieselbe mit Auge und Stimme zu durchdringen, Totenstille umgab sie. Dann riß der Wolkenschleier plötzlich wieder entzwei. Die weite Fläche von den Bergen bis zur See lag klar, wie in hellem Tageslicht vor ihr – der bewegte Wasserspiegel des fließenden Kanals glitzerte wie ein Band von schwarzen Perlen, die stehenden Tümpel erschienen wie geschmolzenes Blei – aber kein Zeichen des Lebens, kein Geräusch unterbrach die lautlose Einförmigkeit der Landschaft. Sie mußte wohl geträumt haben! Ein eisiger Luftzug scheuchte sie in das Haus zurück; sie legte sich wieder nieder und nach einer halben Stunde umfing sie ein sanfter, friedvoller Schlummer.