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Von diesem Abend an widerfuhr es nun Hjalmar Harfagr, daß seinem Namen bei gesellschaftlichen Vorstellungen die Mitteilung hinzugefügt wurde, daß Pradilla mit ihm gesprochen habe, wie man bei der Erwähnung des Namens einer Dame ja auch niemals hinzuzusetzen versäumt, daß der Stierfechter Bembo oder Minuto in dem oder jenem Jahre 151 ihrem Schoße die Hut seines Mantels anvertraut habe, während er drunten kühnen Herzens mit dem Stier, mit Gott und mit dem Tode tanzte. Don Hjalmar hatte die höchste Sprosse, die einem Fremden vorbehalten sein kann, auf unserer Leiter erklettert.«
Federico Ferrandiz schwieg nun eine Weile lang, dann stellte er die Frage an mich, ob ich glaube, daß Hjalmar Harfagr jemals in seinem Leben sehr glücklich gewesen sei. Ich erwiderte, daß ich es nicht wüßte, eher jedoch das Gegenteil annehmen möchte. »Wir wissen überhaupt so wenig Tatsächliches über ihn. Für wie alt haben Sie ihn gehalten?«
»Ich möchte glauben«, erwiderte ich, »daß er ungefähr fünfunddreißig Jahre alt gewesen ist.«
»Nein«, sagte Federico Ferrandiz, »aus seinem Paß ging zu meiner Überraschung hervor, daß er kurz vor der Vollendung seines fünfundvierzigsten Jahres gestorben ist.«
»Was wissen Sie sonst noch genau von ihm?« fragte ich. »Sagen Sie es mir.«
»Wenig im Grunde«, entgegnete Ferrandiz, »eigentlich nur, daß er die alten und die neuen Sprachen Europas mit seltener Vollkommenheit wirklich beherrschte, und daß sein Mund sie alle fast einem Eingeborenen gleich zu formen wußte, und daß er in allen großen europäischen Ländern jahrelang gelebt hatte, um, wie er mir einmal sagte, zu einem wirklichen Europäer zu werden. Darüber hinaus glaube ich nur noch dies eine zuverlässig zu wissen, daß er in den letzten Wochen, die seinem Tode vorangingen, wirklich glücklich gewesen ist, und das ist eigentlich das Letzte, wovon ich Ihnen zu berichten habe. – Haben Sie je die Guerrera gesehen?« 152
»Nein, niemals, während meines Winters in Malaga kam sie leider nicht her. Wenn ich nicht irre, verbrachte sie jenes Jahr mit Gastspielen in Amerika.«
»Ja, ich entsinne mich. Aber Sie kennen natürlich ihren Ruhm. Goethe nennt Voltaire einmal den vollkommensten, der französischen Nation gemäßesten Schriftsteller, weil er die hervorragendsten Eigenschaften der Franzosen in sich vereinige. Goethe zählt dann diese Eigenschaften auf, es sind ihrer fünfundvierzig. Etwas ähnliches könnte jemand, der uns Spanier von Grund auf kennte, wohl auch von der Guerrera behaupten.
Sie hatte sich vor ihrem amerikanischen Gastspiel mit dem Herzoge von Mendozza verheiratet, der um ihret- und seiner Schulden willen seinen Stand bei Hofe fahren gelassen und mit einer kleinen schauspielerischen Begabung ein Mitglied ihrer Truppe geworden war.
Mit ihm und ihren Schauspielern kam die Guerrera nun nach Malaga und eröffnete ihr Gastspiel nicht mit einem spanischen, sondern mit einem antiken Werk. Sie spielte die Antigone in der Tragödie des Sophokles. Don Hjalmar, der sie noch niemals gesehen hatte, wohnte dieser Eröffnungsvorstellung bei, die natürlich ganz Malaga fast wie ein großes Stiergefecht auf die Beine gebracht hatte. Ich selber lag leider mit einer leichten Erkältung zu Bett. Nach der Vorstellung betrat Don Hjalmar mein Zimmer. ›Nun?‹ fragte ich.
Er streckte seine beiden langen Arme gen Himmel und rief selig berauscht: ›Welch eine wunderbare Frau.‹ Dann setzte er hinzu: ›Ich habe ihr natürlich das Pferd ausgespannt!‹ – ›Was haben Sie?‹ 153
›Ich habe ihr das Pferd ausgespannt! Man kann doch nach einem solchen Abend eine solche Frau nicht von irgendeinem kleinen Pony nach Hause ziehen lassen. Ich habe also nach der Vorstellung das Tier aus der Gabeldeichsel ihres englischen zweirädrigen Karrens geschirrt, mich an seine Stelle geschoben und sie im Trabe zu ihrem Gasthof gefahren.‹ Mit diesen Worten setzte er sich an mein Bett. Fassungslos starrte ich ihn an.
›Und was hat das Publikum getan?‹
›Es hat mich beneidet, hat ununterbrochen Olé geschrien und unsere Fahrt laufend begleitet, obwohl es ihm schwer wurde, mit mir einigermaßen Schritt zu halten. Es war eine jubelnde, eine wohlverdiente, eine echte Triumphfahrt.‹
›Und was hat die Guerrera getan?‹
›Anfangs hat sie sich gefürchtet, weil sie vielleicht glaubte, ich hätte durch ihr Spiel den Verstand verloren. Dann aber hat es ihr sehr wohl gefallen, vor dem Hotel ist sie lustig aus dem Wagen gesprungen, hat mir gedankt, hat mir gesagt, daß ich nicht nur ein artiger, ein anmutiger, sondern auch ein starker Ritter sei und hat mir versichert, daß sie mir auf ihrer flachen Hand ein Stück Zucker vor den Mund halten würde, wenn sie eines bei sich hätte, und dann ist sie lachend in den Gasthof geschlüpft.‹
›Und was hat der Herzog getan?‹
Don Hjalmar sah mich mit namenlosem Erstaunen an und fragte: ›Wer?‹
›Nun, der Herzog von Mendozza. Sie ist doch mit ihm verheiratet. Er hat in der Vorstellung einen der Chorführer gespielt.‹
Don Hjalmar atmete tief mit starrer Miene, dann erholte er sich langsam und sagte: ›Herzogin von 154 Mendozza! Es freut mich, daß sie im bürgerlichen Leben wenigstens eine Herzogin ist, in Wahrheit ist sie die Königin von Spanien. Von ihrem Ehegatten habe ich nichts wahrgenommen, es sei denn, er wäre das Pony gewesen, das ich aus ihrer Deichsel gespannt habe.‹
Ich weiß nicht, ob mich der Ernst, mit dem Don Hjalmar diese Worte sprach, oder sein noch immer grenzenlos erstauntes Gesicht zum Lachen brachte. Dann aber sagte ich ihm, daß der Herzog zwar kein hervorragender Schauspieler, aber immerhin ein Grande von Spanien, und außerdem einer der berühmtesten Degenfechter des Landes sei, daher schöbe er auch, wo es nur irgend angängig sei, in alle seine Rollen stets einen Degenkampf ein; mit dem griechischen Chorführer, den er in der Antigone gesprochen, habe er dies allerdings wohl kaum tun können.
Don Hjalmar überhörte geflissentlich meine Worte und ließ sich dann die Geschichte dieser Ehe, so weit sie mir selber bekannt war, erzählen. Dann sprach er sehr ernst zum Teil und zum Teil mit ergriffenem Entzücken von der Schönheit der Guerrera und von der tiefen Beseeltheit ihrer schauspielerischen Kunst. Als er dann schließlich in sein Zimmer hinüber ging, drehte er sich im Türrahmen noch einmal um. ›Sie wird doch nicht etwa geglaubt haben, ich hätte die Frau Herzogin nach Hause fahren wollen?‹
Sein Gesicht war bei dieser Frage so bestürzt, daß ich wiederum über ihn lachen mußte.
›Nein‹, erwiderte ich, ›das auf keinen Fall! Übrigens ist sie es gewöhnt, daß man ihr die Pferde ausspannt, in Madrid hat man es jedenfalls vor ihrer 155 Verheiratung wohl nach jeder neuen Rolle, die sie spielte, getan.‹
›Nun‹, sagte Don Hjalmar, fast mit Empörung in der Stimme, ›daß aber ein einziger Mann ihren Wagen gezogen hat, das wird sie wohl noch niemals erlebt haben. Gute Nacht!‹
Nachdem Hjalmar Harfagr mich allein gelassen, spielte meine Phantasie noch lange mit dem verwunderlichen Anblick der schönen Frau zwischen den hohen Rädern und der Gestalt des trabenden Riesen in der Gabeldeichsel. Aber ich sah sie beide wie auf einem Blumenkorso mit Blütenketten behängt. Lange grübelte ich darüber nach, ob man ein solches Bild wohl malen könne.
Mit einiger Beklommenheit ging ich am nächsten Vormittage in die Stadt hinunter, um Nachrichten über die Wirkung dieser neuen Tat oder Untat unseres nordischen Freundes einzusammeln. Man erzählte, daß der Herzog, später als seine Frau abgeschminkt, einigermaßen verdutzt gewesen sei, vor dem Bühnenausgange wohl auf sein einsames, vom Pförtner gehaltenes Pony, nicht aber auf seinen Wagen und auf seine Frau zu stoßen. Die Wenigen, die des Spasses halber auf ihn gewartet, hatten ihm lachend und begeistert von dem Vorgefallenen erzählt, auch einiges über die Person Hjalmar Harfagrs, und daß Pradilla mit ihm gesprochen, hinzugefügt und ihn dann mit seinem Pony und seinem verbissenen Ärger allein gelassen. Während die letzten Lichter im Theatergebäude erloschen, habe sich dann die sehr hagere, einsame Gestalt des Herzogs, die Leine seines Pferdes um Arm und Hand gewickelt, durch die leer gewordenen Gassen verdrossen auf den Weg gemacht. Vor dem Gasthof habe 156 er das Tier wieder in die Deichsel des verlassen dastehenden Wagens geschirrt und sei in die Nacht hinausgefahren. Bisweilen hatte der Arme unter dem Ruhme seiner Frau wirklich sehr zu leiden. Am Morgen habe er dann den Gobernador aufgesucht, um dort Genaueres über unseren norwegischen Freund zu erfahren und schließlich auf Zureden des Marqués de Heredia eingesehen, daß er nicht gut beleidigt aufbegehren könne, wenn jemand auf seine Weise dem großen Ruhme seiner Gattin begeistert huldige.
Da der Herzog sich keineswegs großer Beliebtheit erfreute (man fand ihn an der Seite seiner Frau und auch als Schauspieler in der Truppe wenig am Platze), hatte Hjalmars verwegene Begeisterungstat scheinbar allenthalben in der Stadt vergnügte und ein wenig boshafte Zustimmung ausgelöst. – Beruhigt kehrte ich nach Hause zurück.
Hjalmar Harfagr verbrachte fortan alle Abende im Theater, auch bei den Wiederholungen. Am Schlusse jeder Vorstellung versank die Guerrera in Blumen, die Don Hjalmar beinahe wie Beete auf die Bühne befördern ließ, ohne sich jedoch je als Spender zu offenbaren. Auf den Ersatz des Ponys durch seine eigene Person hingegen verzichtete er fortan. So wäre wohl alles ganz schön und gut verlaufen, hätte er zugleich auch darauf verzichtet, überall von ungefähr am Wegrande zu stehen, wenn die Guerrera vorüberschritt und ihr gemäß unserer Sitte ledigen Frauen gegenüber höflich, gemessen und wohlgesetzt seine Huldigungen zuzusprechen. Als er sie dann einmal, des hinter ihr schreitenden Gatten keineswegs achtend, nicht nur ›das Leben seines Lebens‹, ›den Stern seiner Nächte‹, sondern sogar 157 ›die Tochter seiner Eingeweide‹ genannt hatte, wurde die Sache dem Herzoge zu dumm, und seine eheherrliche Geduld riß. Wenige Stunden nach dieser Begegnung schickte er zwei Zeugen mit einer Herausforderung zu Don Hjalmar auf den Monte de Sandia. Hjalmar Harfagr beteuerte den Herren, daß ihm zwar jede Bosheit in seiner Ausübung spanischer Sitten fern gelegen habe, daß er sich aber nichtsdestoweniger glücklich schätze, vom Herzoge mit einer Forderung, deren Berechtigung er vom Standpunkt des Herzogs sogar voll und ganz anerkenne, geehrt zu werden. Die Herren möchten sich gütigst für einen Augenblick mit der Gesellschaft Diegos genügen lassen, er werde seine Zeugen sofort zu ihnen schicken, damit alles Nähere auf der Stelle abgesprochen werden könne. Selbstverständlich willige er seinerseits schon im voraus in jedwede Bedingung, die der Herr Beleidigte immer stellen würde.
Höchst vergnügt erschien Don Hjalmar dann bei mir im Atelier und berichtete von dem Geschehenen. Ich hatte einen solchen Ausgang aus mannigfachen Gründen erwartet, denn warum sollte sich der Herzog eine solche Gelegenheit entgehen lassen, daß nicht immer nur von seiner Frau, sondern auch einmal von ihm gesprochen werden würde und gar, wenn für diesen Anlaß ein Körper sich ihm gegenüber stellte, an dem vorbeizustechen auch ein schwächerer Fechter, als er es war, wenig Aussicht haben konnte. Zu Don Hjalmar sagte ich jetzt jedoch nichts dergleichen, sondern vielmehr, daß sich meiner Meinung nach die Sache leicht müsse beilegen lassen, wenn er nur ein wenig Vernunft annehmen wollte. Ich würde dies mit den wartenden 158 Herren sofort besprechen. Don Hjalmar zeigte sich aufs Äußerste entrüstet. Wie ich auch nur einen Augenblick lang auf den Gedanken verfallen könne, ihm den größten Spaß seines Lebens verderben zu wollen. Er wünsche durchaus sich mit dem Herzoge zu duellieren und denke gar nicht daran, sich auf welche Art auch immer zu vergleichen. Es könne sich nur noch darum handeln, einen zweiten Zeugen herbeizuschaffen und Zeit und Waffen zu vereinbaren.
Was die Waffe anginge, rühre er ja gerade an den wunden Punkt, erwiderte ich ihm einigermaßen ärgerlich. Der Herzog würde doch ohne jeden Zweifel diejenige Waffe wählen, in der er ein Meister sei, und ob er selber sich denn wirklich einen Spaß davon versprechen könne, seinen Riesenleib der behenden Degenspitze des Herzogs entgegenzustellen? Don Hjalmar erwiderte mir, daß er sich gerade darauf am meisten freue. Ich möge sogar, falls dies notwendig werden sollte, der Wahl des Stoßdegens das Wort reden. Er habe einige Male Gelegenheit gehabt, den Herzog als Meister dieser Waffe auf der Bühne herumspringen zu sehen und ihn dabei gebührlich bewundert. Er sei ihm dabei mit seinen dürren geknickten hohen Beinen und seinen hageren eckigen Armen stets ganz wunderlich wie eine Riesenheuschrecke vorgekommen, deren hüpferische Behendigkeit ihn jeden Augenblick habe befürchten lassen, die Schrecke könne sich plötzlich flugartig ganz vom Boden lösen und schwirrend und schwebend auch aus der Luft her attackieren. Das würde natürlich im Ernstfall, da er seinerseits vollkommen erdgebunden sei, eine gewisse Gefahr bedeuten. Da dies jedoch auf der 159 Bühne noch niemals vorgekommen, hoffe er zuversichtlich, daß es sich auch im Leben kaum ereignen würde, so lägen also zu besonderer Besorgnis keinerlei Gründe vor. Übrigens würden die Herren drunten mittlerweile anfangen, sich in Diegos Gesellschaft zu langweilen, ich möge mich also eilen, die Sache abzuschließen. Ihm sei alles recht, vor allem müsse der Zweikampf so schnell wie nur irgend möglich stattfinden! Falls der Herzog greifbar sei, habe er sogar nichts dagegen, wie in den klassischen spanischen Theaterstücken sofort mit ihm hinter das Haus in unseren Garten zu gehen und seine Kräfte dort mit ihm zu messen.
Verwirrt und wider meinen Willen jedoch auch belustigt, da ich die Angelegenheit noch immer nicht recht ernst nahm, begab ich mich zu den Zeugen des Herzogs hinunter, nachdem ich vorher Mercedes zu meinem Freunde, dem Bildhauer Moncada, in sein an unseren Garten grenzendes Atelier mit der Bitte geschickt hatte, er möge unverzüglich zu mir herüber kommen.
Die Zeugen des Herzogs waren zwei mir nur flüchtig bekannte junge Schauspieler aus der Truppe der Guerrera. Sie nahmen die Sache förmlich und feierlich, und die Art, in der mein Hinweis auf eine doch denkbare friedliche Beilegung der Angelegenheit zurückgewiesen wurde, brachte mir plötzlich voll zum Bewußtsein, daß es dem Herzoge, vor allem aus den schon erwähnten Gründen, mit der Herausforderung ernst sein möchte. Ich glaubte also, das Spiel zunächst im Sinne Don Hjalmars spielen zu sollen, und brachte vor, daß Don Hjalmar zwar annähme, dem Herzoge würde an der Wahl der schwersten Waffe, der Schußwaffe, gelegen sein, daß 160 ich meinerseits jedoch den Stoßdegen in Vorschlag bringen möchte, um in anbetracht der doch nicht übergewichtigen Veranlassung zu dem Zwist mit einiger Wahrscheinlichkeit einen tödlichen Ausgang des Zweikampfes zu verhindern. Mein Vorschlag schien den Zeugen etwas Wind aus ihren geblähten Segeln zu nehmen und sie sichtlich zu überraschen, und der eine von ihnen stimmte sofort mit der Bemerkung zu, auch der Herzog habe seinerseits die vorgeschlagene Waffe ausersehen. Dann bliebe also nur noch, sagte ich, der Ort und die Zeit zu vereinbaren, Don Hjalmar sei vor allem an einem schnellen Austrag gelegen. Inzwischen war mein herbeigerufener Nachbar Moncada eingetroffen. Ich verständigte ihn schnell und gewahrte, daß ihm die Angelegenheit keinen Schrecken einjagte, sondern eher als ein großer Spaß erschien. Wir berieten nun über Zeit und Ort mit dem Ergebnis eines Vorschlages der Gegenseite, der uns, was die Zeit anging, unannehmbar erschien. Wir begaben uns jedoch zunächst einmal zur Befragung Don Hjalmars in mein Atelier hinauf.
›Warum will denn Ihr Polarriese durchaus ein Sieb aus sich machen lassen?‹ fragte mich Moncada belustigt auf der Treppe. Ich erwiderte: ›Reden Sie es ihm aus. Ich habe es vergeblich versucht.‹ Dazu sei es nun wohl zu spät, meinte Moncada, außerdem sei die Vorstellung eines Degenkampfes zwischen einem Elefanten und einem Wiesel so grotesk, daß man besonders als Bildhauer ohne weiteres begierig darauf sein müsse. Ich erwiderte Moncada, daß Don Hjalmar sich selber zwar nicht mit einem Elefanten, den Herzog jedoch mit einem Grashüpfer verglichen habe, dennoch glaube er, 161 keine Scheu tragen zu sollen, sich mit dem Herzoge zu messen, so lange der Herzog sich nicht eben wirklich wie ein Heuschreck schwirrend in die Luft erhöbe und aus der Luft angriffe. Moncada fand das von Hjalmar gebrauchte Bild über die Maßen ergötzlich.
Das Herzogspaar war einen Tag nach seiner Ankunft in ein einsam in einem großen Weingarten gelegenes Landhaus übergesiedelt, das ihm alljährlich für die Monate seines Aufenthaltes in Malaga von Freunden zur Verfügung gestellt wurde, die ihrerseits nicht in diesem ihrem Besitz, sondern in Madrid lebten. In der Tiefe des Weingartens lag, von einem Seitenwege aus betretbar, ein großer Pavillon, der vom Herzoge für seine täglichen Übungen zu einem vollkommenen Fechtsaal umgestaltet worden war. Seine Zeugen hatten nun den Vorschlag gemacht, den Zweikampf eben in diesem Fechtsaale stattfinden zu lassen, und da der Zufall es wolle, daß der Herzog am heutigen Abend spielfrei sei, während die Guerrera die tragende Rolle des Abends inne hatte, meinten sie, es stünde der Ansetzung des Zweikampfes noch für den gleichen Abend nichts im Wege. Wir trugen Don Hjalmar diese Anregungen vor, fügten jedoch hinzu, daß die Abhaltung des Zweikampfes noch am gleichen Abend unbedingt zurückzuweisen sei, da der Herzog in täglicher Übung stünde, während seinem Gegner billiger Weise Zeit gelassen werden müsse, sich für den Fechtgang die Gelenke geschmeidig zu machen.
Don Hjalmar hörte uns ruhig und mit großem Ernste an, dann sagte er, falls es zuträfe, daß die Frau Herzogin mit einer bei Frauen doch so 162 seltenen, an sich bewunderungswürdigen, Pünktlichkeit stets genau eine Stunde vor der Vorstellung ihre Garderobe beträte, und man es so einrichten wolle, daß der Zweikampf sofort nach der Abfahrt ihres Wagens beginnen könne, so sei er bereit, beide Vorschläge anzunehmen, andernfalls jedoch müsse er den heutigen Abend als Zeitpunkt zurückweisen, da er unter gar keinen Umständen willens sei, den Beginn der Abendvorstellung zu versäumen. Die Frau Herzogin spiele eine Rolle, in der er sie von der ersten Sekunde ihres Auftretens an zu sehen wünsche. Den Versuch unserer Einrede wies Don Hjalmar mit der ingrimmigen Bemerkung zurück, er habe in Paris einen japanischen Schwertmeister zum Fechtlehrer gehabt, und so stünden ihm seine Gelenke, wann immer er es wolle, vollauf zur Verfügung.
Mit dieser Botschaft begaben wir uns wiederum in Don Hjalmars Zimmer hinunter. Wir trafen die Zeugen des Herzogs noch immer stehend an, und auf meinen zuvorkommenden Tadel, warum sie sich denn nicht meiner Bitte gemäß niedergesetzt hätten, erwiderte der eine von ihnen, der kleine im Zimmer verbliebene weiße Hund sei dieser ihrer Absicht feindlich gesinnt gewesen, und so hätten sie es zur Vermeidung erneuter Zwistigkeiten vorgezogen, stehend auf unsere Rückkehr zu warten. Don Hjalmars Zustimmung wurde ihnen in ihrem genauen Wortlaut wiedergegeben und rief zum Teil ein verwundertes, und zum anderen Teil ein spöttisches Lächeln auf ihre Lippen, dann wurde alles schnell zu Ende abgeredet, mit der Verpflichtung meinerseits, einen Arzt mitzubringen.
Als der Hufschlag des Ponys die Abfahrt der 163 Guerrera in dem vom Groom des Herzogs gelenkten Wagen verkündete, betraten wir von der Rückseite, der Herzog mit seinen Sekundanten von der Gartenseite her den Pavillon, der hinter seinen Läden in hellstem, vom Herzoge sachverständig verteilten Fechtlicht erstrahlte, und in überraschend kurzer Zeit standen sich dann Goliath und David mit nackten Oberkörpern gegenüber, der eine im Fleische blühend, der andere wie ein mit gelbem Glacéleder überzogenes Knochengefüge.
Der Herzog griff sofort den ihm gegenüber ragenden Fleischturm vehement mit gelenkigen Sprüngen an und schien erst langsam inne zu werden, daß der weich, geschmeidig und blitzschnell parierende Arm seines Gegners durch seine Länge ihn selbst in eine Leere bannte, in der die Spitze seines stoßenden Degens nirgends auf Widerstand stieß. Er attackierte immer aufs Neue und immer stürmischer, ohne Don Hjalmars geistesgegenwärtige Ruhe erschüttern zu können. Bei einem der hohen Sprünge des Herzogs flüsterte mir Moncada zu: ›Hoffentlich schwirrt er nicht wirklich unversehens in die Luft.‹ Im gleichen Augenblick flog der Degen des Herzogs in flirrendem Bogen zur Decke empor, und fast war ich etwas verwundert, daß er den Herzog nicht mit hinaufgehoben hatte. Don Hjalmar ließ sich in den Stand zurückfallen, salutierte höflich und wartete, bis dem Herzoge die Waffe zurückgereicht worden war. Mochte es nun sein, daß der Herzog durch seine unzähligen Scheingefechte auf der Bühne seine Meisterschaft notwendigerweise mehr und mehr darin vervollkommnet hatte, seinen Gegner zu verfehlen als ihn zu treffen, mochte es sein, daß seine rechte Hand, kräftiger Gegenwehr nicht mehr 164 gewärtig, ihren festen Griff gewohnheitsgemäß gelockert hatte, oder mochte es sein, daß Don Hjalmar in seinem starken Handgelenk wirklich einen unberechenbaren, japanischen Blitz kommandierte, jedenfalls geschah es fortan, in steigendem Maße öfter und öfter, daß nach der geschmeidigen Umrundung der Degenspitzen des Herzogs Waffe in flirrendem Bogen zur Decke sauste, und zwar so oft, daß Moncada mir zuraunte: ›Wir hätten Regenschirme mitbringen sollen.‹ Der Herzog geriet sichtlich immer nervöser an den Rand seiner Fassung, seine Gliedmaßen wurden immer dürrer und länger, seine geknickten Gelenke immer spitziger, seine Sprünge immer höher und härter, und schließlich sah er einem wilden, ins Übergroße verdehnten Heupferd wirklich ähnlicher als einem Granden von Spanien. Als Don Hjalmar, der in seiner geschmeidigen, gewissermaßen aus inneren geheimen Quellen geölten Ruhe in Angriff und Parade unerschüttert blieb, des Herzogs Waffe wiederum in die Luft geschnellt hatte, benutzte er die Sekunde, bis der Degen in des Herzogs Hand zurückgegeben war, um den Kopf zu wenden und die Zeit auf der hinter ihm hängenden, vergitterten Wanduhr abzulesen, und nun geschah es plötzlich, daß er mit ungeheurer Wucht wie ein schwerer voranspringender Turm avancierte, dem retirierenden hochbeinigen Insektengerippe unbeirrbar voranwuchtend folgte, und dann durchfuhr sein Degen unerbittlich das Fleisch an der Schulterspitze des Herzogs, soweit es vorhanden war, so gründlich, daß der Stahl auf dem Rücken seitlich des Schulterblattes sichtbar wurde.
Wir Sekundanten sprangen dazwischen, der Arzt 165 nahm sich des von seinen vielen Sprüngen sichtlich erschöpften Herzogs an, und während ich Don Hjalmars in Schweiß gebadeten Oberkörper abrieb und von den Bandagen befreite, flüsterte er mir zu: ›Ich glaube, ich komme gerade noch zur Zeit. Werden Sie es mir übelnehmen, wenn ich vorangehe?‹ Dann wies er mit dem Kopf zum Herzoge hinüber und fragte mit einem wirklich unbeschreibbaren Lächeln um den Mund und in den Augen: ›Muß ich ihn fragen, ob ich seiner Frau etwas bestellen soll?‹ Ehe er den Gartensaal verließ, um über den Berg nach Hause zu eilen, verneigte er sich stumm aber tief vor dem Herzoge, dessen hageres verzogenes Gesicht mittlerweile wirklich den Ausdruck einer zwar noch immer edelrassigen aber sichtlich mitgenommenen afrikanischen Heuschrecke angenommen hatte, verneigte sich dann auch vor den Zeugen, die den Herzog stützten, während der Arzt ihn verband, und deren Mienen verrieten, daß etwas Unfaßbares für sie geschehen sei, und erst nach dem korrekten Vollzug all dieser Obliegenheiten stürmte der norwegische Ichthyosaurus aus dem Pavillon.
Die nächste Entwicklung der Ereignisse hat sich dann schnell und einfach vollzogen, wie am Tage darauf offenbar wurde. Der Herzog, der nur eine Fleischwunde ohne Verletzung der Lungenspitze davon getragen, war, nachdem er dem Arzt das Versprechen gegeben, sofort nach seiner Ankunft ein Krankenhaus aufzusuchen, noch am selbigen Abend nach Madrid abgereist. Seine Gattin hatte nach ihrer Rückkehr aus dem Theater einen Brief von ihm vorgefunden, dessen Inhalt sich unserer Kenntnis entzieht. In jedem Falle mochte die Verletzung seines Fechterstolzes viel tiefer sein als die 166 Verwundung seines seit Ahnengenerationen verknorpelten Fleisches und den Herzog dazu gedrängt haben, zunächst einmal vom Schauplatz durchlebter und bevorstehender Ereignisse zu verschwinden.
Sowohl mit der äußeren Erscheinung wie mit dem Wesen Don Hjalmars ging in den nächsten Tagen eine große Veränderung vor. Sein Wesen strahlte still und beruhigt in einer gewissermaßen zu Gott erlösten Heiterkeit und Verklärung der Gegensätze. Die Veränderung seiner äußeren Erscheinung, wie wir sie in den Gassen Malagas fortan von Zeit zu Zeit zu Gesicht bekamen, kann ich Ihnen im Abbilde zeigen.«
Mit diesen Worten hob mein Freund Ferrandiz eine bemalte Leinwand auf die Staffelei. »Ich habe es aus dem Gedächtnis gemalt«, sagte er.
Von links nach rechts über die Schulter einer riesenhaft ragenden Gestalt geworfen, verhüllte die Falte einer dunklen Capa bis dicht zu den unteren Augenrändern ein menschliches Antlitz, und die breite Krempe eines bis auf die Brauen herabgezogenen schwarzen spanischen Stierfechterhutes verbarg eine Stirn bis zum Nasenansatz, in dem schmalen Schlitz zwischen Hutkrempe und Mantelfalte jedoch standen lichtblau und wasserklar zwei Augen, die bestimmt in ganz Spanien nicht ein zweites Mal anzutreffen gewesen wären. »Ein mächtiger wandelnder Marabu, nicht wahr«, sagte Ferrandiz, »oder vielmehr ein Riesenvogel Strauß, der seinen Kopf nicht in den Sand, sondern in zwei Wolkenfalten schwarzen Tuches gesteckt hat und nun in dem königlichen Gefühl völliger Unkenntlichkeit oder Unsichtbarkeit stolz, kindhaft und erhaben durch die Welt schreitet.« 167
»Lieber Ferrandiz«, sagte ich nach einer Weile des Schauens, »dies ist wirklich das liebenswerteste und irgendwie erhabenste und ergreifendste Stück Humor, das ich jemals gesehen, selbst Gott müßte darüber lächeln, wenn ihn die Kindlichkeit des reinen idealen Toren darin nicht allzu sehr rühren würde.«
»Das haben wir in Malaga auch empfunden«, erwiderte Ferrandiz, »und haben es, ohne uns darüber zu verständigen, durch gegenseitige und allseitige Verschwiegenheit gefeiert und geehrt.«
Während wir beide noch in Heiterkeit und Wehmut zu dem Riesenvogel Strauß und seinem unergründlich hellen Augenpaar hinüberblickten, kratzte es leise an der Tür. »Zeichen und Wunder«, sagte Ferrandiz und öffnete. Still kam Diego herein und suchte sich einen Platz auf einem Stuhl. »Er hat uns sprechen hören«, sagte ich, »und scheinbar das Hoffen noch immer nicht aufgegeben.«
»Lieber Freund«, fragte ich schließlich, »hat Hjalmar Harfagr Ihnen gegenüber denn niemals seine eigene Verschwiegenheit gebrochen und die Capa gelüftet?«
»Unmittelbar niemals, mittelbar vielleicht«, erwiderte Federico Ferrandiz. »In einer Nacht hat er Stunden lang hier im Atelier zu mir darüber gesprochen, daß doch jeglicher Mann in seiner Seele die Anbetung zu unzähligen Frauengestalten mit sich herumtrüge, welche von Kindesbeinen an durch die große dramatische Dichtkunst aller Völker und aller Zeiten in seiner Phantasie entzündet worden sei. Man liebe Desdemona und Imogen, die griechische Iphigenie und die schottische Maria, das deutsche Gretchen und die spanische Elvira, ohne ihnen 168 doch anders als in seiner Phantasie zu begegnen. Würde einem Manne jedoch die Beseligung zuteil, einer Frau zu begegnen, sie zu lieben und von ihr geliebt zu werden, deren göttliche Berufung es sei, allen diesen Gestalten durch die Wandelkraft ihrer Seele und die Wandelkraft ihres Leibes zu sinnlicher Wirklichkeit und Wahrnehmbarkeit zu verhelfen, so würde diesem Manne das recht eigentlich zaubervolle Glück zuteil, ohne jemals die Treue brechen zu müssen, in dieser einen Frau alle Frauen zu umarmen, die seiner Seele jemals begehrenswert erschienen seien. Diesem Manne würde ein Übermaß an Beseligung zuteil, das alle Grenzen menschlicher Beschränkung zersprenge und ihn gewissermaßen zu einem Gott mache, vor dem alle Zeiten, alle Völker und alle Länder auf geheimnisvolle Weise ins ewig Gegenwärtige sich fügten. Ein solcher Mann erlebe wirklich Seligkeiten, welche im Grunde nur der Allmacht griechischer Gottheiten vorbestimmt gewesen seien, ohne daß er es nötig habe, sich ein solches Glück bald als Stier und bald als Schwan auf höchst unbequeme Weise zu erschleichen.
Auch dem Kreise und den Herzen der anderen Schauspieler war Hjalmar Harfagr nahe gekommen. Einer von ihnen erzählte mir einmal, daß die Guerrera Don Hjalmar um seinen Rat bei der Einstudierung eines nordischen Stückes gebeten habe, und er von da ab dann eigentlich täglich auf die Proben gekommen sei. Hier habe sich nun zu ihrer aller Überraschung eine ihm selber wohl bis dahin unbewußte Begabung offenbart, an den Schauspieler nicht von außen her ein Vorbild heranzutragen, das er nachzubilden versuchen solle, sondern vielmehr tief in der seelischen Eigenart des betreffenden 169 Darstellers selber das Darzustellende aus dem ihm allein gemäßen und natürlichen Seelengrund zum Keimen, Sichgestalten und Sichvollenden zu bringen, so daß sie alle unter seiner Führung sich nicht als Reproduzierende, sondern recht eigentlich als schöpferisch Arbeitende zu empfinden gelernt hätten, welches Gefühl eine ihnen bis dahin unbekannte glückliche Befriedigung in ihren Herzen erzeugt habe. Aus dieser und noch mancher anderen Äußerung, die mir zukam«, fuhr Ferrandiz fort, »habe ich entnommen, lieber Freund, daß sich hinter der nach außen alles verhüllenden Capa des großen Vogel Strauß mehr als Weg und Abweg, sondern vielmehr eine ganze geistige und seelische Spanne seines Lebens verborgen zu halten gesucht hat, eine Spanne, so möchte ich glauben, die ihn glücklicher gemacht hat, als er es bis dahin zu irgend einer Zeit seines Lebens gewesen war.
Unversehens brach dann in dieses glückhafte Leben das unsinnige Verhängnis eines fast dumm zu nennenden Todes.
Wie jedes Jahr einmal verfielen einige unserer müßigen jungen Leute auf den lustigen Zeitvertreib eines Liebhaberstiergefechtes, zu dem die geladenen Damen in einer Loge an die Kämpfer Tee ausschenkten und sie mit kleinen Kuchen fütterten. In diesem Jahre bestand der Hauptspaß natürlich in der Teilnahme des norwegischen Riesen Hjalmar Harfagr, mit dem sogar Pradilla gesprochen hatte, an der gefahrlosen Spielerei, unter deren Ehrengästen sich auch die Herzogin von Mendozza befand.
Während nun in dem gewissermaßen zum Kinderspielplatz gewordenen sandigen Rund das eine kleinwüchsige vierbeinige Geschöpf von einem 170 guten Dutzend zweibeiniger langer Geschöpfe übermütig hin- und hergejagt wurde, oder sie seinerseits hin- und herjagte, mußte wohl einen der jugendlichen Gladiatoren plötzlich ein unwiderstehlicher, aber unverzeihlicher Urrausch überkommen haben, der das Spiel plötzlich zum Ernst wandte, denn er riß unversehens ein kurzes dreikantig geschliffenes spanisches Stilett hervor, rannte wilden Laufes in schräger Linie auf den kleinen hübschen Stier zu und bohrte ihm die Waffe in den Nackenfleck, den im ernsten Endkampf die Degenspitze des Espadas sucht. Das junge Tier stieß ein klägliches Brüllen aus und trachtete durch wildes Springen und Schütteln seines Rückens des beißenden Schmerzes ledig zu werden.
Inmitten des überraschten unbedachten Auflachens einzelner der Spielenden drängte sich über Hjalmars Lippen ein zorniges Schimpfwort, ich erschrak und besorgte, er möchte sich mit seinem ganzen Leibe wütend über den Missetäter werfen, aber nach seiner ersten Regung, dies zu vollführen, raste er stattdessen mit weit vorgestrecktem Arm unmittelbar von vorn durch die Arena auf den kleinen Stier zu, um den steckengebliebenen brennenden Stahl aus dem Nacken des Tieres zu entfernen.
Als nun dieser zweite übergroße Leib wie ein Sturmwind auf das verängstigte Spielopfer zuschwoll, mochte es fälschlich eine neue Gefahr wittern. Während Don Hjalmars Hand bereits zwischen sein Gehörn gefahren und sich um den Dolchgriff geschlossen hatte, bäumte der Stier wild empor und stieß springend zu. In diesem Aufbäumen und Zuspringen gelangte sein Kopf fast in die Höhe der Schultern der anrennenden, auf keine Abwehr bedachten 171 Gestalt und eines seiner kurzen gedrungenen Hörner bohrte sich in Hjalmar Harfagrs Brustkasten. Ehe wir Zuschauer noch voll begriffen hatten, was sich zugetragen, stürzte Don Hjalmars Riesenleib rücklings zu Boden. Der kleine Stier aber, des Brandes im Nacken ledig, beugte wie erstaunt seinen Kopf dicht über das am Boden liegende Gesicht Don Hjalmars und beschnupperte es mit geblähten Nüstern. Dann sprang er wild davon.
Einem der Mitspielenden gelang es, ihm seine Capa über den Kopf zu werfen, andere gesellten sich helfend hinzu, und der unschuldige Unheilsbringer wurde aus der Arena geführt. Die zuschauenden Damen waren wie erschreckte Vögel aus den Logen geflattert und drängten sich am Rande des Sandes in einem kleinen Haufen eng zusammen. Ich, ein mir befreundeter Arzt und die Guerrera, die mit einer wunderbar entschlossenen Gebärde ihres stolzen Kopfes gewissermaßen die verhüllende Capa fortschleuderte, die auch sie, wenn auch unsichtbar, in den letzten Wochen getragen hatte, liefen auf die in der Mitte der leer gewordenen Arena am Boden liegende Gestalt Don Hjalmars zu. Sein großer schwerer Körper lag, das Gesicht mit geschlossenen Lidern zum Himmel gewandt, auf dem Rücken. Er atmete tief, und seine Atemzüge klangen wie ein leises Stöhnen. Wir drei, ich hinter dem Kopfe Hjalmars, knieten an dem Körper nieder, der Arzt machte seine Brust frei und untersuchte ihn. Schon nach wenigen Augenblicken lehnte er sich in den Knien zurück und sagte leise: ›Die Spitze des Horns sei ins untere Herz gedrungen, alles Blut flösse nach innen, es gäbe nichts mehr zu tun.‹ Die Guerrera suchte nach Hjalmars im Sande ruhenden Hand, seine 172 Finger umklammerten noch den aus dem Fleisch des verstörten Tieres gerissenen Dolch. Die Guerrera löste die gekrampften Finger und entfernte den Dolch. Dann beugte sie sich tief auf Don Hjalmars Gesicht herab, starrte hinein und lauschte auf seinen allmählich leiser und müder werdenden Atem.
Plötzlich verzerrten sich Hjalmar Harfagrs Züge, als litte er unerträgliche Schmerzen, und zugleich kehrte er sein Gesicht nach der von uns abgewandten Seite. Sobald der Arzt diese grausame Veränderung in seinen Zügen wahrgenommen, zog er sein medizinisches Taschenbesteck hervor, bat mich, ihm die schmale Lederkassette zu halten, füllte eine Glasspritze mit gelöstem Morphium und schickte sich an, die Nadel in Don Hjalmars Brusthaut zu stechen, um ihm den Tod zu erleichtern.
Da hob und wandte Hjalmar Harfagr langsam und mühsam seinen schweren Kopf, kehrte ihn dem Arzt zu, öffnete die Lider, und während ein Lächeln den Krampf in seinem Gesicht überflog, sagte er sehr leise, aber ganz klar in gütig bittendem Tone: ›Nicht doch, Doktor! Ich möchte so gern dabei sein, wenn ich sterbe!‹
Der Arzt sah mit fassungslosem Bedauern über die Zurückweisung der Sterbehilfe in meine Augen, zugleich aber formten seine Lippen lautlos jenes Wort, das in spanischen Gemütern hervorzulocken dem Wesen Don Hjalmars nun einmal vorbehalten war. Ich hatte den Augenblick, in dem Hjalmar Harfagrs Kopf sich vom Sande gelöst, dazu benutzt, meine Hände darunter zu schieben, so kam es, daß sein zurücksinkendes Haupt in das Hohl meiner Hände fiel, er mochte es fühlen, denn seine noch offenen Augen kehrten sich nun nach hinten zu mir empor, er 173 erkannte mich noch, und etwas wie eine ängstliche, grenzenlose Frage kam in seinen Blick, unwillkürlich schlossen sich meine Finger und Handflächen enger an sein Haar, und als ströme etwas Beschwichtigendes aus diesem Druck zu ihm hinüber, ging der Ausdruck des ratlosen Staunens in seinen Zügen in den Ansatz eines beruhigten Lächelns über, ganz leise bewegten sich seine Lippen, ich beugte mein Ohr auf sie hinab und vernahm deutlich ein für mich auch heute noch undeutbares Wort, die Lippen Don Hjalmars hauchten auf deutsch ›Niemals, Monika‹, dann schloß er die Augen und wandte seinen Kopf in meinen Händen, wie man sich erleichtert zum Schlafen legt, auf die Seite.
Mit großer Gewalt hatte die Guerrera ein Schluchzen, das ihren Körper heftig zu schütteln begann, unterdrückt. Mit abgewandtem Gesicht versuchte Don Hjalmars schwere Hand ihren Kopf zu erreichen und ihn zu sich niederzuziehen, sie legte ihn auf seine Brust, und er preßte ihn mit letzter Kraft an sich. Nach einer Weile lockerte sich die Spannung seines Armes, seine Hand glitt von ihrem Kopf in den Sand zurück. Dann regte er sich nicht mehr. Nach einer Weile löste sich die Guerrera von seiner Brust, schaute in sein Gesicht und erkannte nun, was der Arzt und ich bereits wahrgenommen, daß nämlich Hjalmar Harfagr inzwischen still und ohne Aufhebens gestorben war.«
»Lieber Freund«, sagte ich nach einer Weile, »ich vermag das letzte Ihnen unverständliche Wort, das Hjalmar Harfagr auf dieser Welt gesprochen hat, mit ziemlicher Sicherheit zu deuten«, und ich berichtete Federico Ferrandiz von dem Ausspruch der kleinen Monika, von dem mir der Wikinger erzählt 174 hatte. »Er scheint also«, sagte ich »in dem Augenblicke, in dem er ganz aus seinem Körper in seine Seele hinüberglitt, entsagend und erlöst erkannt zu haben, daß er nun niemals mehr erfahren würde, wer Gott ist, da auf eine wunderbare Weise alle Neugierde von ihm abgefallen war.«
Wir schwiegen.
Dann stand Federico Ferrandiz leise auf und zog die Vorhänge von den großen Fenstern. Der Morgen war angebrochen.
»Lieber Freund«, sagte er, »lassen Sie uns nun noch tun, was Hjalmar Harfagr nach durchwachter Nacht so oft einsam getan hat, lassen Sie uns durch die Palmen und Eukalyptusbäume zusammen ans morgendliche Meer hinuntergehen.
Auf seinen drei weißen und seiner einen braunen Pfote langsam, schwer und müde wie ein sehr großer Hund daherschreitend, begleitete uns Diego.