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1

Im Winter 18** fuhr ich mit einer von Rönnebergs Fischerjachten aus Aalesund nach den Lofotinseln. Wir machten die Fahrt in knapp vier Wochen, ich verließ in Skroven das Schiff und wartete dort auf eine Gelegenheit, um weiter zu reisen. An Ostern sollte ein Heimvitjaboot nach Saltenland hinüber, und obwohl ich auf diese Weise nicht gerade an mein Ziel kommen konnte, schiffte ich mich dennoch ein. Die Ursache meiner Reise war ein Bekannter und Kamerad von mir, der in diesen Gegenden wohnte, und er hieß Munken Vendt; wir beide hatten verabredet, uns zu einer Wanderung zusammenzutun. Das sind fünfzehn Jahre her, – ein halbes Menschenalter.

Eines schönen Tages, Mittwoch, den 16. April kam ich an den Handelsort Sirilund. Hier lebte Kaufmann Mack, der große Herr. Hier lebte neben ihm auch der gute Mann Benoni Hartvigsen, er war reich und half allen. Diese beiden waren zu gleichen Teilen Besitzer Sirilunds und aller Fahrzeuge und Unternehmungen. Geht zu Mack oder geht zu Hartvigsen, zu welchem Ihr wollt! sagten die Leute auf dem Heimvitjaboot zu mir.

Ich ging zum Hof hinauf und sah mich um und beschloß vorbeizugehen, denn alles war so groß und vornehm hier, wo der alte Mack seinen Wohnsitz hatte. Dagegen ging ich um die Mittagszeit zu Benoni Hartvigsens Haus und stellte mich vor. Da ich kein großer Herr war, sondern nur mit meiner Büchse und einigen einfachen Kleidern in einem Bündel ankam, bat ich bescheiden um Unterkunft in der Knechtstube auf Sirilund, bis Tag und Zeit käme.

Da wird wohl zu helfen sein, antwortete Hartvigsen. Wo kommen Sie her?

Von Süden. Und ich will nach Utvaer und Os hinaus. Ich heiße Parelius, Student. Ich kann übrigens zeichnen und malen, wenn Sie dafür Verwendung haben.

So sind Sie ein studierter Mann, wie ich höre.

Ja. Und ich bin kein Ausreißer. Ich will in dieser Gegend einen Kameraden treffen, wir haben das gleiche Studium, und wir sind beide Jäger. Wir wollen wandern.

Nehmen Sie Platz! sagte Hartvigsen und stellte einen Stuhl zurecht.

Es war unter anderem ein kleines Klavier in der Stube, aber ich hielt mich davon zurück hinzugehen und es sofort auszuprobieren; dagegen erklärte ich Hartvigsen alles, worüber er mich ausfragte, und er gab mir Essen und Trinken. Er war sehr freundlich gegen mich und wollte mich in seinem Haus behalten, anstatt mich in die Knechtstube auf Sirilund zu schicken.

Sie können bei mir bleiben und mir bei verschiedenen Dingen helfen, sagte er. Sind Sie verheiratet? fragte er und lächelte.

Nein. Ich bin erst zweiundzwanzig Jahre alt. Ich wachse noch.

Dann haben Sie vielleicht auch niemand lieb?

Nein.

Hartvigsen sagte schließlich:

Da Sie so viele gelehrte Dinge können, können Sie wohl auch mein Haus und meinen Bootsschuppen, kurz gesagt alle meine Gebäude abzeichnen und mir ein paar Bilder machen?

Ich lächelte und wunderte mich ein wenig über seine seltsame Rede, ich hatte ihm doch soeben erklärt, daß ich zeichnen und malen könne.

Ich habe so vieles in meinem Haus, sagte er, und außerhalb meines Hauses fliegen meine Tauben, und ich bin Besitzer von allem, was Sie sehen; aber ich habe keine Bilder, sagte er, nein, das habe ich nicht.

Ich erwiderte auf all dieses, daß ich mein Bestes tun und alles abmalen würde, was er wünschte.

Als Hartvigsen zu den Ladespeichern ging und mich mir selbst überließ, trieb es mich dazu, die Einsamkeit aufzusuchen. Keine Türe war mir verschlossen, ich ging, wohin ich wollte, setzte mich eine Weile in den Schuppen, von Dank gegen Gott erfüllt, weil ich so weit in die Welt hinausgekommen war und bis jetzt gute Menschen getroffen hatte.

Nach den Feiertagen fing ich an, Hartvigsens Haus und Schuppen abzuzeichnen und mit Farben zu übermalen. Als ich in den Laden ging und das und jenes zu diesem Zwecke holte, sah ich Kaufmann Mack, den großen Herrn, zum erstenmal. Er war nicht mehr jung, aber scharf und bestimmt, dazu durch und durch vornehm und groß in seinem Wesen. Er trug eine kostbare Diamantnadel im Hemd und viel Goldschmuck an seiner Uhrkette. Als er hörte, daß ich kein Ausreißer sei, sondern sogar ein Student, der eine Wanderung zu machen gedenke, erwies er mir nicht geringe Achtung.

Je länger ich malte, desto zufriedener wurde Hartvigsen mit meinem Werk und lobte mich, daß ich die Häuser so leibhaftig darstelle. Ich sandte einen Brief an meinen Kameraden Munken Vendt, daß ich auf geradem Weg zu ihm sei, hier aber von guten Menschen aufgehalten werde.

Schreiben Sie, daß Sie nicht vor dem Herbst kommen, sagte Hartvigsen zu mir. Ich kann Sie im Sommer zu unendlich vielen Dingen brauchen. Wenn die Fahrzeuge vom Lofot heimkommen, will ich auch diese abgemalt haben, zunächst und vor allem die Galeasse Funtus, die ich nach Bergen gesegelt habe.

Es war auch gar nichts Auffallendes daran, daß ich mich hier an diesem großen Ort so lange aufhielt; es kamen immer Leute hierher, und selten fuhr jemand sogleich wieder fort. Zwei Wochen später kam ein Haftelmacher nach Sirilund. Als er eine Unzahl von Haken für groß und klein gemacht hatte, reiste er nicht weiter, sondern blieb noch hier. Er konnte tatsächlich nichts weiter als diese kleinen Haken biegen; aber er war ein guter Komödiant im Nachahmen der Tier- und Vogelstimmen. Er verbarg im Mund ein kleines Instrument und konnte singen wie ein Wald voll kleiner Vögel, ohne sich anmerken zu lassen, daß der Gesang von ihm kam. Er war ganz merkwürdig, sogar Mack selbst blieb stehen und hörte zu, wenn der Haftelmacher über den Hof ging. Schließlich fand Mack eine Beschäftigung für ihn in der Mühle, so daß er ständig zur Hand war und eine Rarität auf Sirilund bildete.

2

Als ich mich eine Zeitlang bei Hartvigsen aufgehalten hatte, traf ich eines Tages auf dem Weg nach dem Laden Mack in Begleitung einer fremden Dame. Sie trug einen Blaufuchs, ließ ihn jedoch offen, weil bald die Zeit der Kreuzmesse war. Ich war es nicht mehr gewöhnt, junge Damen zu sehen und dachte: Gott segne sie! als ich grüßte und ihr gutes Gesicht sah. Sie war wohl reichlich über zwanzig Jahre, groß und mit hellbraunem Haar, mit einem braunen Mund. Sie sah mich genau wie eine Schwester an und mit unschuldiger Stirne.

Da ich im Weitergehen an sie dachte und Hartvigsen später von meiner Begegnung erzählte, sagte er sofort:

Das war Rosa. War sie schön?

Ja.

Das war Rosa. Dann ist sie also wiedergekommen.

Ich wollte mich nicht neugierig zeigen und sagte nur: Ja, sie war schön. Sie sah nicht so aus, als sei sie von hier.

Hartvigsen antwortete:

Nein, sie ist nicht von hier. Na, sie ist nur aus der Nachbargemeinde. Sie ist zu Besuch bei Mack.

Das alte Mädchen in Hartvigsens Haus erzählte mir später mehr über Rosa: sie war die Tochter des Pfarrers im Nachbarkirchspiel, war kurze Zeit verheiratet gewesen, nun ist sie allein, der Mann ist nach dem Süden gereist. Rosa war auch einmal mit Hartvigsen verlobt gewesen, es fehlte nichts mehr zur Hochzeit, da verheiratete sie sich mit einem anderen. Das ging sehr sonderbar zu.

Ich bemerkte, daß Hartvigsen sich seit einigen Tagen besser kleidete und in seinem ganzen Wesen den Herrn darzustellen suchte. Ich höre, daß Rosa gekommen ist, sagte er zufälligerweise zum Hausmädchen.

Wir gingen zusammen nach Sirilund hinüber. Eigentlich hatten wir ja beide dort nichts zu tun. Hartvigsen sagte:

Brauchen Sie nichts aus dem Laden?

Nein. Doch, einige kleine Nägel, Stifte.

Sie, die wir im Laden suchten, war nicht da. Als ich die Nägel erhalten hatte, sagte Hartvigsen wieder:

Brauchen Sie die Stifte zu den Bildern?

Ja, für die Rahmen.

Sie brauchen vielleicht noch mehrere Dinge für die Rahmen. Lassen Sie sich Zeit und denken Sie nach.

Und ich begriff, er sagte das nur, weil er die Zeit hinausziehen wollte.

Es fielen mir noch ein paar andere Dinge ein, die ich verlangte, Hartvigsen stand unterdessen da und wartete und sah ab und zu zur Türe hin. Schließlich verließ er mich und ging ins Kontor. Da er Mitbesitzer von allem und außerdem so reich war, öffnete er die Kontortüre ohne anzuklopfen, und das tat sicherlich kein anderer als er.

Während ich wartend am Ladentisch stand, kam die, die wir suchten. Sie hatte Hartvigsen wohl kommen sehen und wollte ihn treffen. Als sie durch den Laden hereinschritt, sah sie mich voll an und es stieg mir ganz heiß in die Wangen, sie trat sofort hinter den Tisch und fing an, in den Wandfächern etwas zu suchen. Sie war sehr groß und gut gewachsen und faßte die Waren mit zarten Händen an, ich sah sie lange Zeit an. Sie war wie eine junge Mutter im Wesen.

Wenn jetzt nur Hartvigsen aus dem Kontor käme! dachte ich. Gleich darauf kam er. Er begrüßte Rosa, und Guten Tag! erwiderte sie. Es war keine große Spannung zwischen ihnen zu erkennen, obwohl sie einmal miteinander verlobt gewesen waren, ach, so ruhig reichte sie ihm die Hand, und sie errötete nicht, auch schien es ihr nicht peinlich zu sein, ihn wieder zu treffen.

Sie sind hier in dieser Gegend? sagte er.

Ja, antwortete sie.

Sie wendete sich zu den Fächern zurück und fuhr fort, etwas zu suchen. Es entstand eine Pause. Dann sagte sie, ohne ihn anzusehen:

Ich wühle nicht für mich in Ihren Waren, es gehört für das Haus.

Ja, wieso?

Ja ja, da gehe ich nun hinter den Ladentisch wie in alten Tagen. Aber ich werde nichts stehlen.

Sie spotten! sagte er verletzt.

Ich dachte: an Hartvigsens Stelle würde ich jetzt nicht mehr länger hier stehen bleiben! Er blieb stehen. Es rührte sich wohl etwas in seinem Inneren, weil er sich nicht losriß und ging. Warum trat er nicht selbst hinter den Ladentisch und erbot sich die Waren herauszufinden, nach denen sie suchte? Er besaß doch das Ganze? Nun stand er wie ein Kunde mit mir vor dem Tisch. Oh, aber die Ladengehilfen Steen und Martin wagten in seiner Nähe nur noch ganz leise zu sprechen, so ungeheuer reich war er und noch dazu ihr Herr.

Ich habe einen fremden Studenten dabei, sagte Hartvigsen zu Rosa. Und er meint, ob Sie nicht einmal kommen könnten und bei uns ein wenig auf dem Klavier spielen möchten? Ich habe nun einmal dieses Klavier, es steht da.

Ich kann nicht vor fremden Leuten spielen, entgegnete sie und schüttelte den Kopf.

Hartvigsen wartete lange Zeit, dann sagte er:

Nein, nein, es war nur eine kleine Anfrage. Ja, ja, wandte er sich zu mir um, dann sind Sie wohl fertig?

Ja.

Ich kann wirklich nicht ein bißchen spielen, sagte Rosa plötzlich, aber wenn Sie – können Sie nicht bitte in die Stube hinaufgehen?

Wir gingen alle drei in Macks Zimmer hinauf. Dort stand ein neues, kostbares Klavier, auf dem Rosa spielte. Sie gab sich alle Mühe, sie wollte es wohl wieder gutmachen, daß sie so abweisend gewesen war. Als sie endete, sagte sie: Das ist alles, was ich kann.

Hartvigsen saß lange und wollte nicht wieder gehen. Mack kam herein, er war überrascht und trug große Liebenswürdigkeit zur Schau, wir bekamen Schnaps und Kuchen. Er führte mich rund durch das Zimmer und zeigte mir Bilder, reizende Stiche und Malereien; unterdessen saßen Hartvigsen und Rosa beisammen und unterhielten sich. Sie sprachen von allerhand Dingen, die ich noch nicht kannte, von einem Kind, einem kleinen Mädchen, das Martha hieß, der Tochter Steens, des Ladengehilfen. Hartvigsen wollte das Kind zu sich nehmen, wenn Rosa damit einverstanden sei.

Nein, das bin ich nicht, antwortete Rosa.

Überlege es dir, sagte Mack plötzlich zu ihr.

Da fing Rosa zu weinen an und sagte:

Was wollt Ihr eigentlich von mir?

Hartvigsen wurde es dabei schlimm zumute, er redete gut auf sie ein:

Sie haben das Kind gelehrt sich zu verneigen. Es war nicht anders gemeint. Ich wollte es zu mir nehmen, weil Sie ihm so gute Sitten beigebracht haben. Weinen Sie nicht deshalb.

Ja, Gott segne Sie, nehmen Sie das Kind zu sich. Aber ich kann nicht zu Ihnen kommen, rief Rosa aus.

Hartvigsen dachte lange nach und sagte:

Ich kann das Kind nicht ohne Sie zu mir nehmen.

Selbstverständlich nicht! sagte Mack auch.

Da wehrte Rosa mit der Hand ab und ging aus dem Zimmer.

3

Die Lofotfahrer kamen nach und nach heim, Fahrzeuge und Boote; Singen und Rufen klangen von der Bucht herauf, die Sonne schien und es wurde Frühling. Hartvigsen ging tagsüber in tiefen Gedanken umher, als aber die Fahrzeuge einliefen, bekam er mit den Fischen viel zu tun und wurde leichteren Sinnes. Rosa sah ich nicht.

Ich machte in der Person des Leuchtturmwächters eine merkwürdige Bekanntschaft. Er hieß Schöning, er war früher Schiffskapitän gewesen. Ich traf ihn eines Nachmittags, als ich über die Klippen schlenderte und die Vögel auf dem Strand beobachtete, er saß auf einem Stein und tat nichts. Als ich kam, sah er mich fortwährend an, weil ich ein Fremder war, und ich sah ihn auch an.

Wo wollen Sie hin? fragte er.

Ich sehe den Vögeln zu, antwortete ich. Ist das nicht erlaubt?

Er erwiderte nichts, und ich ging vorbei.

Als ich umkehrte und zurückkam, saß er immer noch auf seinem Stein.

Wenn die Vögel ihre Nester bauen, sollten sie nicht gestört werden, sagte er. Wozu gehen Sie hier umher?

Ich fragte zurück:

Wozu sitzen Sie hier?

Ho, junger Mann! sagte er und hielt seine flache Hand in die Höhe. Wozu ich hier sitze? Ich sitze hier und halte Schritt mit meinem Dasein. Jawohl, das tue ich.

Ich muß wohl gelächelt haben, denn er lächelte welk und grinsend zurück und fuhr fort:

Ich sagte heute zu mir selber: sieh nun zu, daß du in der Komödie deines eigenen Lebens eine Rolle zu spielen anfängst. Gut, antwortete ich mir. Und dann nahm ich hier Platz.

Er war so sonderbar, ich kannte den Leuchtturmwächter nicht und dachte, er wolle seinen Scherz mit mir treiben.

Sind Sie es, der bei Benoni Hartvigsen wohnt? fragte er.

Ja.

Sie sollen ihn nicht von mir grüßen.

Haben Sie etwas gegen ihn?

Ja. Diese ungeheuren Reichtümer unter unseren Füßen gehörten einmal ihm. Sie stehen in diesem Augenblick auf Silber für eine Million, das gehörte ihm. Dann verkaufte er alles miteinander und machte sich zu nichts.

Ist Hartvigsen nicht reich?

Nein. Wenn er sich ordentliche Kleider kauft, kann er sich für den Rest seines Geldes gerade noch Grütze kochen.

Stimmt das, daß Sie es waren, der diese Schätze entdeckte und sie doch nicht für eine Kleinigkeit kaufen wollte? fragte ich.

Was sollte ich mit den Schätzen? erwiderte der Leuchtturmwächter. Meine beiden Töchter sind gut verheiratet, mein Sohn Einar stirbt bald. Und was meine Frau und mich betrifft, so können wir nicht mehr essen, als wir bereits tun. Sie finden mich gewiß ungewöhnlich dumm?

Nein, Sie sind sicherlich klüger als ich verstehe.

Ganz richtig! sagte der Leuchtturmwächter. Und außerdem: das Leben muß wie eine Frau behandelt werden. Muß man nicht galant gegen das Leben sein und es gewinnen lassen? Man soll sich bescheiden und alle Schätze liegen lassen.

Das Postschiff kam durch die Bucht hereingeschwommen, und ich bemerkte, daß auf der Landungsbrücke viele Leute versammelt waren, auch waren auf Sirilund und auf den Ladespeichern Fahnen aufgezogen. Auf dem Schiff stand eine deutsche Musikkapelle und spielte, die Messinghörner blitzten in der Sonne. Ich sah Mack und Macks Haushälterin, Hartvigsen und Rosa auf der Brücke, aber sie winkten niemand zu, und es wurde auch vom Schiff nicht herübergewinkt.

Weshalb wohl geflaggt wird? fragte ich den Leuchtturmwächter.

Für Sie, für mich, was weiß ich! entgegnete er gleichgültig. Aber ich sah, daß seine Augen und Nasenflügel sich den glänzenden Hörnern und der Musik entgegenweiteten.

Als ich ging, blieb er in seine eigenen Gedanken vertieft sitzen. Sicher war er meiner Fragen und auch meiner selbst müde, – Gott, wie hat er sich vom Leben besiegen lassen! dachte ich. Ich wandte mich zweimal um, er saß völlig unbeweglich, eingeschrumpft in seinem grauen Kittel, mir einem durchlöcherten Hut, der ihm auf allen Seiten herunterhing.

Ich schlug den Weg zu den Ladespeichern hinunter ein und erfuhr, daß Macks Tochter Edvarda vom Schiff an Land kommen solle. Sie war mit einem finnischen Baron verheiratet gewesen und im Winter Witwe geworden, sie hatte zwei Kinder.

Jetzt fing Rosa an mit ihrem Taschentuch zu winken und auf dem Schiff winkte eine Dame zurück; Mack winkte nicht. Dagegen rief er besorgt den Leuten im Expeditionsboot unten zu: Paßt auf, daß ihr die Baronin und die Kinder schön an Land bringt!

Während ich so dastand, mußte ich mich darüber wundern, daß Rosa mit Hartvigsen verlobt gewesen war, sich aber ohne weiteres mit einem anderen verheiratet hatte. Hartvigsen war eine große, kräftige Erscheinung und hatte ein verständiges und gutmütiges Gesicht; dazu war er reich und gegen Leute in Not hilfsbereit, so daß gegen seine Gesinnung nichts einzuwenden war. Was hatte also Rosa gegen ihn? Er fing an, an den Schläfen ein wenig zu ergrauen, aber er hatte noch den dicksten Haarpelz; wenn er lachte, zeigte er seine großen gelben Zähne, die allesamt gesund waren. So hatte Rosa offenbar aus einer inneren Ursache, die für andere verborgen war, etwas gegen ihn.

Die Baronin kam mit ihren zwei kleinen Mädchen an Land. Sie war groß und schlank und dicht verschleiert. Als sie ihren Vater begrüßte, hob sie den Schleier nicht und küßte ihn nicht, es war bei keinem von ihnen Freude zu erkennen; als sie aber mit Rosa zu sprechen anfing, wurde sie lebhafter, und es lag ein schöner Samtton über ihrer Stimme.

Im Boot war auch noch ein fremder Herr vom Schiff mitgekommen. Als er an Land ging, zeigte es sich, daß er unmäßig betrunken war und mit seinen Augen nichts zu sehen schien; Mack und auch Hartvigsen grüßten ihn, und er vermochte kaum ein wenig zurückzunicken, griff auch nicht an die Mütze. Ich hörte, es sei ein Engländer, Sir Hugh Trevelyan, er komme Jahr für Jahr hierher und betreibe die Lachsfischerei in dem großen Fluß im Nachbarkirchspiel; es sei der gleiche Herr, der Hartvigsen die Silberklippen für eine große Summe abgekauft habe. Er nahm einen Mann für sein Gepäck und verließ die Landungsbrücke.

Ich stand ziemlich abseits, da ich ein Fremder war und mich nicht aufdrängen wollte; als aber nach kurzer Zeit Mack und seine Gesellschaft zum Hof hinaufwanderten, schloß ich mich als letzter an. Als Hartvigsen zu seinem Haus abbiegen wollte, hielt ihn die Baronin zurück und sprach einige Augenblicke mit ihm; bei dieser Gelegenheit zog sie den Handschuh ab und gab auch mir die Hand, eine lange dünne Hand mit einem merkwürdig weichen Griff.

Später am Abend standen die beiden kleinen Mädchen der Baronin unten am Strand. Sie stemmten die Hände auf die Knie und waren eifrig damit beschäftigt, etwas im Sande zu betrachten. Es waren zwei gesunde und lebhafte Kinder, aber sie waren so kurzsichtig, sie konnten nichts am Boden unten sehen, ohne sich niederzubeugen. Sie betrachteten einen toten Seestern, und ich erzählte ihnen ein wenig von diesem seltsamen Geschöpf, das sie noch nie gesehen hatten. Ich ging mit ihnen weiter auf die Klippen hinaus und sagte ihnen, wie die verschiedenen Vögel hießen und zeigte ihnen Tang und Algen auf dem Strand; alles war neu für sie.

4

Ich bin eigentlich fertig mit meiner Malerei; aber Hartvigsen will mich nicht reisen lassen. Es sei so unterhaltend, solange ich hier wäre, sagte er. Und das Bild ist nach seinem Geschmack: das Haus, der Schuppen und das Taubenhaus, alles ist da; aber wenn es sommerlicher wird, will Hartvigsen, daß ich einen grünen Hintergrund in das Bild male: die Gemeindewälder, die in einem violetten Dampf weit draußen gegen die Berge zu enden. Die Folge wird sein, daß ich auch die kalte Farbe der Luft, ja sogar die Farbe der Häuser ändern muß. Malen Sie jetzt übrigens die Galeasse, sagt Hartvigsen.

Ich rudere zur Galeasse hinaus. Es ist heller Tag, alle Fahrzeuge liegen da und alle Mannschaften waschen Klippfische, die der Reihe nach auf dem Trockenplatz ausgebreitet werden. Der fremde Engländer Sir Hugh Trevelyan steht an Land, stützt sich auf seine Angelrute und beobachtet die Wäscherei. Man erzählt mir, daß er im vergangenen Jahr ebenfalls zwei Tage lang so dagestanden habe. Sein Blick ist auf niemand bestimmten in dem Menschengewimmel gerichtet, er sieht weiter nichts, als daß der Fisch gewaschen wird; dann und wann holt er vor aller Augen eine Flasche aus einem Reisesack und nimmt ein paar große Schlucke. Dann schaut er wieder starren Blickes zu.

Ich sitze dort in meinem Boot und zeichne mit Bleistift die Galeasse ab und die großen Zehnruderer, die dabeiliegen und die Ladung löschen. Es ist eine angenehme Beschäftigung, und da es mir gut gelingt, fühle ich mich glücklich. Am Morgen war ich im Laden gewesen und hatte von dort einen Eindruck von besonders inniger Art mitgebracht, der mir lange gut tat. Rosa vergaß das Ganze wohl sogleich, ich aber behielt es im Gedächtnis: ich öffnete die Türe und hielt sie für sie offen, sie sah mich an und sagte Danke, das war alles.

Das war alles. Und es ist ein halbes Menschenalter her.

Tief und blank liegt die Bucht, vollkommen unbeweglich liegt sie da; aber so oft zwei salzschwere Klippfische von der Galeasse herabgeworfen werden, sinken die Zehnruderer ein ganz klein wenig tieferund schieben dadurch feine Reifen von sich weg. Ich hätte diese feinen Linien abzeichnen mögen und ebenso die schönen Schatten, die die fliegenden Seevögel auf das Wasser warfen. Sie waren wie Schatten, die durch einen Atemzug hervorgerufen werden, ein Hauch über Samt. Zu innerst in der Bucht steigt eine Lumme auf und streicht nahe der Wasserfläche an allen Inseln vorüber hinaus ins offene Meer. Sie hinterläßt gleichsam eine zitternde Linie von R's, ihr langer steifer Hals sieht aus wie Erz, wie ein Projektil. Dort wo der Vogel verschwand, rollt soeben ein Braunfisch an der Wasseroberfläche, es ist als schlage er Purzelbäume in dem dicken Samt. Schön ist das alles miteinander.

Die Kinder der Baronin stehen am Strand und rufen mir zu, ich rudere an Land und hole sie. Sie hatten mich nicht gesehen, hatten aber von jemand anderem gehört, daß ich draußen auf der Bucht läge, und riefen nun meinen Namen, den ich ihnen gesagt hatte. Mit kurzsichtigen Augen sahen sie mein Bild an, und die größere erzählte, daß sie gut Städte zeichnen könne. Die kleinere, die fünf Jahre alt war, wurde schläfrig von der ungewohnten Bewegung im Boot, ich breitete meine Joppe im Vorderschiff unter ihr aus und sang leise ihren Augen entgegen, bis sie einschlief. Ich hatte auch einmal eine kleine Schwester.

Dann unterhalten wir uns, das große Mädchen und ich, sie sagte mitunter einige schwedische Worte und sprach rein schwedisch, wenn sie wollte, im übrigen bediente sie sich der Sprache ihrer Mutter. Sie erzählte, daß ihre Mutter sie jede Ostern morgens die Sonne durch ein gelbes Seidentuch betrachten lasse, wie sie vor Freude über Jesu Auferstehung tanze. Ob die Sonne auch hierzulande tanze?

Die Kleine schlief.

Nach einer guten Weile rudere ich mit den Kindern wieder zurück an Land; unterwegs wird die Schlafende von der Schwester geweckt: Wach jetzt auf, Tonna! Tonna erwacht endlich und liegt eine Zeitlang da und begreift nicht recht, wo sie ist. Dann wird sie ein wenig verdrießlich und schneidet ihrer Schwester, die sie auslacht, ein Gesicht, aber gleich darauf richtet sie sich ganz auf, so daß ich sie zurückhalten muß. Ich bekomme meine Joppe wieder. Am Strande steht die Baronin und ruft uns zu; Klein-Tonna und Klein-Alina strahlen über ihr Erlebnis im Boot ihr entgegen. Aber Tonna mag nicht hören, daß sie eingeschlafen war.

Am Strande steht auch Rosa; kurz darauf kommt Hartvigsen, er will zu den Klippfischfelsen gehen; wir sind nun ziemlich viele auf dem kleinen Fleck. Die Baronin dankt mir, weil ich den Kindern vom Seestern und von den Vögeln erzählt habe, dann wendet sie sich an Hartvigsen und spricht die ganze Zeit mit ihm; Rosa steht still da und hört zu. Dann will sie aus Höflichkeit gegen mich meine Zeichnung sehen; ich bemerke, daß sie, während sie sie betrachtet, nur darauf lauscht, worüber die Baronin und Hartvigsen sprechen.

Es sind so große Veränderungen hier daheim vor sich gegangen, konnte die Baronin sagen. Und ich war einmal in Sie verliebt, Hartvigsen, konnte sie sagen. Ich mit meinen einigen Dreißig und meinen zahlreichen Töchtern, konnte sie sagen ... Sie trägt ein weißes Kleid, sie ist darin noch größer und schlanker, und sie dreht ihren Oberkörper nach rechts und nach links, ohne die Stellung ihrer Beine zu verändern. Ihr Gesicht war nicht schön, es war klein und dunkel, auch lag ein Schatten über ihrer Oberlippe; aber sie hatte einen hübschen Kopf. Sie nahm den Hut ab.

Ihre zahlreichen Töchter, lacht Hartvigsen. Es sind ja nicht mehr als zwei.

Zwei zu viel, sagt sie.

Hartvigsen ist schwerfällig und gutmütig, er wiederholt:

Also nicht mehr als zwei – bis jetzt. Ha ha. Was sich im übrigen noch ändern kann.

Die Baronin lacht:

Sie haben ja die besten Hoffnungen für mich, wie ich höre.

Rosa bekommt eine Falte über der Nase, und ich frage sie, um etwas zu sagen:

Ich möchte am liebsten meine Zeichnung nicht farbig machen, ich bin nicht so geschickt im Malen. Soll ich sie vielleicht so lassen, wie sie ist?

Ja, denken Sie, das glaube ich auch, antwortet sie abwesend und hört wieder auf die Baronin.

Von dem, was die Baronin sagte, habe ich nun dies hier niedergeschrieben. Oh, aber sie sagte auch viele reizende, kleine Dinge, ich verleumde sie vielleicht und reiße ihre Worte aus dem Zusammenhang heraus. Sie war hilflos und lächelte kleinlaut, wenn sie etwas zu rasch gesagt hatte und es ihr plump schien. Sie hatte es nicht gut, und sie war wohl selbst auch nicht gut, aber sie war unglücklich. Ihr Körper war so geschmeidig, sie faltete die Hände und hielt ihre Arme über dem Kopf, da wurden die Arme wie ein Tor, in dem sie stand und mit jemand außerhalb sprach. Das war sehr schön.

5

Hartvigsen wurde zu der Einladung gebeten, die man der Baronin zu Ehren gab, und der Bote richtete aus, daß er mich mitnehmen möge. Ich wußte sehr wohl, daß ich keinen Anzug für eine Gesellschaft dabei hatte, wollte aber dennoch nicht fern bleiben; Hartvigsen meinte, meine Kleider seien gut genug, das aber wußte ich besser. Ich hatte das alles in meinem guten Elternhaus gelernt.

Hartvigsen wollte sich der Baronin zu Ehren übertrieben fein kleiden. Er hatte sich in Bergen einmal einen Frackanzug zu seiner Hochzeit gekauft, den trug er nun zum erstenmal; aber er kleidete ihn nicht. Vielleicht hätte er auch diesen Anzug nicht gerade jetzt nehmen sollen, da Rosa ihn vielleicht kannte. Das schien er nicht zu bedenken.

Er bot auch mir feine Kleider an, sie waren mir aber alle zu groß, da ich schmächtigeren Wuchses war als er. Da meinte Hartvigsen, ich könne eine seiner Jacken über meine eigene anziehen. Dann werden Sie auch stattlicher aussehen, sagte er. Später erfuhr ich, daß es in dieser Gegend Brauch und Sitte sei, zwei Jacken anzuziehen, wenn man fein sein wollte, ja, selbst an warmen Sommertagen trug man oft zwei Jacken übereinander.

Als Hartvigsen fortgegangen war, trieb ich mich eine Weile am Strand umher, worauf ich wieder hineinging und mich hinsetzte. Es verging einige Zeit, ich las ein wenig, sah meine Flinte nach, da klopft unerwarteterweise Rosa an die Türe und kommt herein.

Sie war noch nicht dagewesen, seit ich hier war, so erhob ich mich denn ein wenig erstaunt und ging ihr entgegen. Sie hatte den Auftrag, mich nach Sirilund mitzunehmen. Da sie sich nun diese Mühe gemacht hatte, schickte es sich nicht für mich, mich dem länger zu entziehen; ich entschuldigte mich wegen meiner Kleider, ging aber sofort hinaus, um mich ein wenig in Ordnung zu bringen. Ich bemerkte, daß Rosa sich vom ersten Augenblick an, da sie hereingekommen war, forschend umsah, wie Hartvigsen es hier im Haus habe, wie alles bei ihm sei. Als ich draußen gewesen war und wieder in die Stube hereinkam, ertappte ich sie dabei, wie sie am Anrichtetisch etwas ordnete.

Entschuldigen Sie! sagte sie tief verlegen. Ich wollte nur – es war nichts –

Dann gingen wir nach Sirilund.

Ich erinnere mich von jenem Mittagessen her noch einiger Handelsleute von den Schären, die zwei Jacken trugen. Auch ihre Damen waren übertrieben dick gekleidet. Der Leuchtturmwächter und seine Frau waren ebenfalls da, auch Rosas Eltern, die Pfarrersleute aus der Nachbargemeinde, waren da; sie hießen Barfod. Der Pfarrer war ein kräftiger, schöner Mann, ein Jäger und Wildfänger. Wir sprachen von den Wäldern und den Bergen. Er lud mich auf seinen Pfarrhof ein, ich müsse Rosa in den nächsten Tagen begleiten, wenn sie durch den Gemeindewald heimgehe, sagte er.

Mack hielt eine kleine Rede auf seine heimgekehrte Tochter. Viele Menschen können starke Worte gebrauchen, und es macht keinen Eindruck, Macks Rede bestand nur aus einfachen und wenigen Worten, aber sie wirkte sehr. Er war ein wohlerzogener Mann, er sagte und tat das, was nötig war und nicht mehr; die Tochter saß mit einem starren Blick da und sah an uns allen vorbei, ja, es war, als läge eine Wasserpfütze im Walde und könne sehen. Sie hatte an nichts Freude. Auch hatte sie die unglaublichsten Gewohnheiten; es war, als hätte sie in ihrer ganzen Jugend an einem Küchentisch gegessen und könne nun ihre Unarten von dort nicht ablegen. Oh, aber sie tat das alles wohl nur, um uns verächtlich zu behandeln, wir waren ihr alle so gleichgültig. Ich will nun einige der merkwürdigen Dinge aufschreiben, deren sie sich schuldig machte, ja, es war fast wie ein ganzes System der Unerzogenheit in ihr, und sie war doch Baronin. Sie fand sofort etwas, womit sie ihre Nägel putzte, ihr Nachbar, Pfarrer Barfod, sah es und blickte gleich weg. Wenn sie etwas in den Mund steckte, stützte sie den Ellbogen auf den Tisch. Wenn sie trank, hörte sogar ich, ihr gegenüber am Tisch, daß der Wein in ihrem Magen »Grund faßte«. Sie schnitt das ganze Fleisch auf ihrem Teller auf, ehe sie zu essen anfing; beim Käse beobachtete ich, daß sie immer mehr Butter aufs Brot strich, so oft sie davon abgebissen hatte, ja, gerade dort die Butter aufstrich, wo sie abgebissen hatte – nein, nie hatte ich so schlimme Dinge bei mir daheim gesehen. Und nach dem Essen saß sie da, und es stieß sie immer leicht, und sie blies die Wangen auf, als wollte das Essen wieder heraufkommen.

Nach Tisch sprach sie mit Hartvigsen, und ich hörte sie darüber reden, daß sie während der Mahlzeit geschwitzt hatte. Und sie schämte sich nicht. Ich dachte zuerst: der Mangel an gebildetem Umgang hat all diese übertriebene Natürlichkeit hervorgerufen. Hartvigsen, der es nicht besser wußte, durfte sich ihr gegenüber auch viel herausnehmen, ohne daß es sie verletzte. In der Stube standen vier Silberengel, jeder auf seiner Säule; sie waren dazu da, Kerzen zu halten. Hartvigsen sagte verdächtig: Ich sehe, die Engel sind wieder heruntergekommen! Ja, antwortete die Baronin lachend, mein alter Papa hat sein Bett einige Jahre damit geschmückt; aber dort gehören ja keine weißen Engel hin!

Wie ungeheuer deutlich konnte sie sich gelegentlich ausdrücken! Und ich begriff nicht, warum sie sich so grob machte, nur um uns zu mißachten.

Ich sprach mit den Kindern, sie waren meine Zuflucht und mein Vergnügen, sie zeigten mir Zeichnungen und Bücher, wir spielten auf einer Tafel »Tripp Trapp Holzschuh«. Ab und zu hörte ich auch den Handelsleuten von den Schären zu, wenn sie mit Mack sprachen und sich anstrengten, um ihm zu gefallen. Zum Kaffee draußen auf der großen Veranda gab es Likör, nichts fehlte. Mack erwies allen die größte Liebenswürdigkeit. Für die Männer gab es lange Tabakspfeifen, und die Frauen saßen still da und hörten zu, was ihre Männer sagten; dann und wann flüsterten sie ein wenig untereinander.

Hartvigsen nahm auch eine Pfeife und ein Glas. Der Wein bei Tisch hatte ihn ein wenig leichter gemacht, jetzt half der Likör noch dazu und löste ihm die Zunge. Er schien diesen Leuten von den Schären zeigen zu wollen, daß er sich in Macks Haus nicht geniere, wählte sich von selbst eine Pfeife aus, kam herzu und setzte sich, als sei er in dieser Umgebung aufgewachsen. Er war ein Kind. Er war der einzige, der einen Frackanzug trug, aber das überstand er gut und strich sich manchmal über die Aufschläge. Obwohl er aber Macks Teilhaber war und dazu so übermächtig reich, war doch nicht er es, sondern Mack, vor dem die kleinen Handelsleute am meisten Respekt hatten.

Was das Mehl und das Getreide betrifft, sagte Hartvigsen, so kaufen wir unsere ganze Ware bar. Der Russe verkauft stets, wenn er nur Geld bekommen kann, und wir importieren zu jeder Zeit, das ganze Jahr hindurch.

Einer von den Schären sieht Mack an und sieht Hartvigsen an und erkundigt sich höflich:

Aber es gelten doch nicht samt und sonders die gleichen Preise, zu welcher Zeit kauft Ihr die Waren am günstigsten?

Mack erblickt den Leuchtturmwächter, der sich noch in der Stube befindet, er geht sofort zu ihm und will ihn zum Kaffee mit herausnehmen.

Als Hartvigsen allein ist, erklärt er dem Handelsmann das Ganze auf seine Art:

In einem so großen Land wie Rußland ist so vieles, was die Preise für Getreide ungleich macht. In nassen Jahren gibt es zum Beispiel die Regenüberschwemmungen. Die Wege werden unfahrbar, der Bauer kann mit der Ernte nicht in die Stadt kommen. Dann steigen die Preise in Archangel.

Großartig! sagt der Mann von der Schäre.

Das gilt nun von der Gerste, sagte Hartvigsen und hat Wasser auf die Mühle bekommen. Und aus dem gleichen Grund, wie ich ihn genannt habe, ist es mit dem Roggen ebenso, sagt er.

Als aber die Baronin kam und am Tisch Platz nahm, wurde er noch gesprächiger:

Wir bekommen ja unsere Telegramme. Wenn Korn und Roggen und alle möglichen Waren zu steigen anfangen wollen, dann heißt es aufpassen und kaufen.

Hartvigsen hatte keine Kenntnisse, aber es war Gutmütigkeit und Gleichmäßigkeit über ihm, so daß es ihm in einem Gespräch immer gut ging. Wenn niemand in der Nähe war, vor dem er sich schämte, vertraute er immer mehr und mehr auf sich, er vergaß, mit Worten groß zu tun und sprach dann wie seinesgleichen. Sein bester Zuhörer, der Handelsmann von den Schären, der sich so höflich erkundigt hatte, sagte wieder:

Ja, ja, Ihr seid es nun einmal, der für uns alle Auslug hält.

Jetzt aber war die Baronin anwesend, und Hartvigsens Ansicht über die Dinge wurde deshalb sofort erweitert:

Wir, die weit herumgekommen sind und Bergen und dergleichen gesehen haben und auch sonst allerhand, wir finden uns nicht so großartig.

Oh! sagt ein anderer von den Schären draußen und wiegt den Kopf hin und her, Hartvigsen treibe seinen Scherz.

Die Baronin schüttelt auch den Kopf und sagt, das Gesicht ihm voll zugewendet:

Nein, Hartvigsen, darüber gibt es keinen Zweifel, daß Sie für uns alle Auslug halten.

So, meinen Sie, antwortet er dankbar. Um ihr aber auf halbem Wege entgegenzukommen, fügt er hinzu: Aber ich darf wohl sagen, daß es in Bergen so ungefähr mehrere Tausend solcher Kerle wie mich gibt.

Oh! wendet der Mann von den Schären wieder ein und findet, Hartvigsens Scherz sei grenzenlos.

Rosa steht in der Stube drinnen. Ich gehe zu ihr hin und mache sie auf ihr Rotweinglas aufmerksam, das sie auf einem Tisch abgestellt hat. Die Stube ist so geräumig: weit hinten steht dieses Glas allein, es ist so dunkelrot und einsam, es ist so glühend.

Ja, antwortet Rosa mir nur und ist mit ihren Gedanken ganz wo anders. Sie ist wohl schon eifersüchtig auf die Baronin, ihre Freundin, und denkt im Ernst daran, zu Hartvigsen zu gehen und ihm den Haushalt zu führen. Sie umkreiste den Kaffeetisch auf der Veranda und entfernte sich wieder, ruhelos.

Hartvigsen sagte in seiner Gutmütigkeit zu ihr:

Setzen Sie sich doch, Rosa, bitte. Wir können ja die Zeit einstweilen mit einem Glas Wein vertreiben.

Sie lächelte, und es sah aus, als sei ein Wunder mit ihr geschehen, als habe sie sich in Hartvigsen verliebt. Sie setzte sich.

Und ich ging auf die Veranda hinaus und von der Veranda ins Freie. Es gab auch draußen viel zu sehen. Nach einer Weile ging ich wieder hinein, es war Grog hereingebracht worden. Mack trank fast nichts, Hartvigsen trank auch kaum mehr, doch beide stießen fleißig mit den Gästen an. Die Stimmung war jetzt eine andere. Der eine von der Schäre fragte den anderen, wie viel Uhr es sei; als der Gefragte darüber hinwegging, sagte Mack taktvoll: Es ist erst drei Uhr! Eine kleine Weile später fragte der Schärenmann seinen Kameraden wieder: Welche Zeit hast du auf deiner Uhr? Der Gefragte saß wie auf Nadeln, er war zwar ein älterer Mann, aber er wurde ganz rot im Gesicht. Was waren die Menschen hier doch für Kinder! Dieser Handelsmann von den Schären ging zwar mit seiner prangenden Haarkette mit Goldschloß umher, hatte aber keine Uhr in der Tasche. Und sein Kamerad wollte ihn damit beschämen.

Da kam der Haftelmacher an der Veranda vorüber, und wir hörten Vogelgezwitscher. Mack winkte ihn heran und bot ihm ein Glas und einen Stuhl an. So saß denn der Haftelmacher eine Weile da und war ein Wald voll singender Vögel; aber man sah es ihm nicht an, denn er setzte eine unschuldige Miene auf und musterte die Glasscheiben in der Veranda.

Später spielte Rosa im Zimmer drinnen. Sie hatte immer noch keine Ruhe, sie wandte sich immer wieder nach der Gesellschaft auf der Veranda um. Nein, wenn ihr nicht zuhören wollt, dann spiele ich nicht mehr! sagte sie und erhob sich. Und doch war es nur das, daß die Baronin und Hartvigsen nahe beieinander gesessen und vielleicht ein wenig geflüstert hatten.

Da ging ich wieder auf den Hof hinaus. Ich nahm ein langes Fernglas mit und beobachtete damit die Leute draußen auf dem Trockenplatz, um mich zu zerstreuen.

6

Einige Tage später sah ich Rosa zur Landungsbrücke gehen. Sie ging nicht, als habe sie etwas Bestimmtes vor, sondern schritt langsam und gemächlich dahin. Dort geht sie nun, um Hartvigsen zu treffen, denke ich. Da ich wußte, daß ich nun für eine Zeitlang im Hause sicher sei, machte ich mich daran, etwas zu tun, von dem ich aus Eitelkeit nicht wollte, daß jemand davon erführe, ah, noch nicht, nicht ehe meine Zeit kam. Ich werde später niederschreiben, was es war.

Aber auch ich hatte keine Ruhe, ich war durch Rosas Gang zur Landungsbrücke erregt worden, ich wollte zum Trockenplatz hinüberrudern, um wieder ruhig zu werden; aber das Boot lag an der Brücke. Ach, es war wohl gerade deswegen, weil das Boot an der Landungsbrücke lag, daß ich hinaus wollte und rudern.

Da ist er! sagte Hartvigsen, als ich an die Brücke kam. Jetzt können wir ihn fragen.

Nein –! sagte Rosa bittend und war aus irgendeinem Grunde verlegen.

Ich stand einen Augenblick wartend da, da sie aber nichts sagten, schickte es sich nicht länger, zu bleiben, ich machte das Boot frei und ruderte fort.

Am Nachmittag bat Hartvigsen mich inständigst, den Sommer über bei ihm zu bleiben. Er habe viel Arbeit für mich und wolle mich bitten, ihn verschiedene Dinge zu lehren, ich solle ihm in allerhand ein Lehrer sein. Hartvigsen erzählte weiterhin, daß Rosa es sich vorstellen könne, zu ihm zu kommen und ihm den Haushalt zu führen, wenn wir zu zweit seien, und er nicht eine einzelne Mannsperson als Umgang für sie. Ich versprach alles, worum er mich bat und freute mich darüber.

Am Abend ging Hartvigsen nach Sirilund und war, nachdem er heimgekommen war, ein paar Stunden lang sehr nachdenklich. Dann setzte er den Hut wieder auf und ging noch einmal nach Sirilund.

Er benahm sich merkwürdig, er traf wohl die Baronin auf diesen Spaziergängen, und einige Worte von ihr hatten bei ihm offenbar ihre Wirkung getan. Ich sah sie nachts um halb zwei Uhr am Strande, dann gingen sie am Strande entlang weiter hinaus, gegen den Gemeindewald zu. Was Rosa wohl dazu sagt? dachte ich.

Und woran dachte Macks Tochter? Sie war merkwürdiger als alle anderen, sie war eine Baronin in dieser abgelegenen Gegend, sie trug den kleinen reizenden Kopf auf ihrer geschmeidigen Gestalt und schien außerdem eigenartige innere Eigenschaften zu besitzen.

Tag auf Tag verging, und Rosa kam nicht. Hartvigsen schien gleichgültig zu sein. Wann kommt Rosa? fragte ich, und ich hörte mein Herz pochen. Ich weiß nicht, antwortete Hartvigsen gedankenvoll.

Ich brachte ihm etwas Rechtschreibung bei; im Rechnen war er stark und genau und konnte alles, was er brauchte. Er war überlegt in allem und verständig. Da wir keine Bücher besaßen, mußte ich ihm Napoleons Lebenslauf und den Freiheitskrieg Griechenlands in kleinen Abschnitten erzählen. Was ihm am meisten imponierte an mir, war, daß ich einige Sprachen gelernt hatte und lesen konnte, was auf den verschiedenen Waren in seinem Laden stand, wie zum Beispiel auf Fadenrollen und Baumwollwaren aus England. Das lernte auch er augenblicklich, denn sein Kopf wußte vorher so wenig und war beinah jungfräuliches Land. Wenn ich nun eine hebräisch gedruckte Bibel hätte, könnten Sie dann darin lesen? fragte er. Und er wollte in Bergen eine hebräische Bibel kaufen.

Ich traf Rosa eines Tages unterwegs. Sie, die stets eine so schöne Zurückhaltung in ihrem Wesen trug, hielt mich nun an und fragte mich mit einem ratlosen Lächeln:

Wie geht es mit euch beiden und dem Haus?

Ich war sehr erstaunt und erwiderte:

Danke schön. Aber wir warten auf Sie.

Auf mich? Ach nein, ich werde wohl in den nächsten Tagen vielleicht wieder zum Pfarrhof heimgehen.

Kommen Sie nicht zu uns? fragte ich erregt.

Nein, anscheinend nicht, antwortete sie.

Ihr Mund war groß und kupferroter bebte ein wenig, als sie lächelte und ging. Ich wollte sie daran erinnern, daß ich von ihrem Vater aufgefordert worden war, sie heimzubegleiten, aber ich enthielt mich dessen Gott sei Dank.

Es zeigte sich auch, wie gut es war, daß ich geschwiegen hatte: am Abend kam Rosa zu Hartvigsens Haus und ich sah, wie sie darunter litt, daß sie nicht stolzer war. Sie hatte doch ein ehrliches und reines Vorhaben: sie wollte ein Goldkreuz zurückbringen, das Hartvigsen ihr wohl in der Verlobungszeit geschenkt hatte; einen Ring, der auch ein Geschenk von ihm war, habe sie leider verloren, Verzeihung!

Das tut nichts, antwortete Hartvigsen verwundert und nachsichtig.

Doch, das ist wirklich schlimm, sagte Rosa. Und dann fand ich auch einen Brief. Er ist von Ihnen damals. Es ist der Brief von den Lofotinseln.

All das wurde gedacht und gesagt, ehe ich mich entfernen konnte; Rosa war so aufgeregt und sprach atemlos. Aber Hartvigsen blieb merkwürdig unberührt von diesem Auftritt, noch ehe ich zur Türe hinauskam, hörte ich ihn sagen:

Ach der alte Brief. Er ist wohl fürchterlich, sowohl was die Trennungszeichen betrifft, als –

Rosa blieb nicht lange drinnen. Ich sah sie wieder gehen, vornübergebeugt, und sie sah nichts, hörte nichts. Ich dachte daran, was es sie wohl gekostet haben mochte, diesen demütigenden Gang zu tun.

Tags darauf kam sie wieder. Ich bedauerte sie zu tiefst und war traurig darüber, sie so zerrissen zu sehen. Sie hatte dunkle Schatten unter den Augen und schien nicht geschlafen zu haben; ihre Lippen waren blaß.

Nein, Sie brauchen nicht zu gehen, sagte sie zu mir. Sie wandte sich an Hartvigsen und sagte: Haben Sie jemand für den Haushalt bekommen?

Nein, entgegnete er, träge und gleichgültig.

Ich könnte es wohl tun, sagte sie wieder.

Er antwortete wieder träge und gleichgültig:

Jaja. Aber ich weiß nicht recht –

Ja, vielleicht haben Sie sich nun anders entschlossen?

Es wurde ihm wohl klar, daß er die Oberhand hatte, er sagte plötzlich schonungslos und grob:

Nein, du warst es, die sich einmal anders entschloß. Wenn du dich daran erinnerst.

Sie wartete ein wenig, sank mehr und mehr zusammen, sagte leise: Jaja! und ging wieder.

Sie hatte sich nicht gesetzt und hatte die Klinke nicht aus der Hand gelassen.

Ich verließ die Stube nach ihr und ging in den hintersten Winkel des Schuppens, wo ich auf den Knien zu Gott für die Unglückliche betete. Die Unruhe trieb mich danach nach Sirilund zum Laden, zu der Mühle, wieder zurück zum Laden. Als ich am Abend heimkam, sagte Hartvigsen:

Ich will heute Nacht auf den Schellfischfang gehen, da müssen Sie so lange auf das Haus aufpassen.

Er scherzte und war in einer seltsam erwartungsvollen Stimmung, er sah oft auf den Weg hinaus.

Da ging ich wieder nach Sirilund, um nicht anwesend zu sein, wenn Hartvigsen auf den Schellfischfang ruderte; – er würde wohl nicht allein sein. Ich ging wie im Traum umher.

Die Nacht verging.

Hartvigsen und ich sitzen am nächsten Tag vor dem Haus und plaudern miteinander, es ist Mittag. Ich entsinne mich, daß es ein wenig zu regnen anfing, – da kam Rosa zum drittenmal. In der Zwischenzeit aber ist Hartvigsen eine lange Nacht mit der Baronin herumgestreift. Zu mir hatte er gesagt, er wolle auf den Schellfischfang, allein er war in dieser warmen Nacht im Walde gewesen.

Rosa kam mit unsicherem Gang, sowie ich sie sah, befürchtete ich, daß sie etwas Starkes getrunken habe. Ich wünschte mich weit fort und erhob mich bei ihren ersten Worten:

Ich komme jetzt oft. Was ich sagen wollte: dort im Walde, ja. Dort beim Espenhügel, ja.

Was weiter? fragt Hartvigsen plötzlich. Wir saßen dort und vertrieben uns die Zeit mit Kurzweil.

Rosa lacht gellend.

Sie sagt, sie sei über dreißig Jahre. Ja, sie ist über dreißig Jahre.

Was weiter? fragt Hartvigsen. Trau dich nur nicht!

Rosa sieht ihn an und denkt nach; ich wende mich um und sehe, daß sie nachdenkt, und höre sie sagen:

Sie ist ja viel älter als ich.

Im selben Augenblick warf sie sich zur Erde und fing zu schluchzen an.

7

Es regnete zwei Tage und Nächte lang, und der Klippfisch lag zu Haufen geschichtet, mit Birkenrinde bedeckt. Es gab nun keine Arbeit auf dem Trockenplatz und das Wetter war auch düster und ungemütlich; aber Äcker und Wiesen schossen auf und wurden dicht und wogten im Winde.

Mack hatte sich erboten, Hartvigsens Namen in den Namen der Firma aufzunehmen; es mußte nur mit etlichem Geld bezahlt werden. Hartvigsen fragte mich um Rat darüber, obwohl er sicher bereits entschlossen war. Ich verstand mich nicht auf den großen Handel und Wandel in der Welt und konnte ihm nicht raten. Macks Name war alt und bekannt, das hatte wohl seinen Wert; auf der anderen Seite führte Hartvigsen seinen privaten Reichtum und seine Gediegenheit dem Geschäfte zu. Im übrigen war ja die Teilhaberschaft bereits da.

Er schrieb etwas auf ein Papier, zeigte es mir und sagte:

So sollte es aussehen. Damit es wie ein ausländischer Name würde.

Auf dem Zettel stand: Mack & Hartwich.

Mir kam auf der Stelle der Verdacht, daß die Baronin mit dieser Namensveränderung etwas zu tun habe. Hartvigsen sah mich unaufhörlich an, während ich dasaß und dachte und das Papier las. Ich hatte diesen Mann ein wenig schreiben und lesen gelehrt, aber nicht genug, ach, nicht zureichend, es war nur zum Staat, ja, wie eine Haarkette ohne Uhr. Hartwich? Aber Rosa liebte ihn wohl, da sie zu ihm kam und sich demütigte und weinte.

Dreimal war sie gekommen. Als sie zum drittenmal gekommen war und sich auf die Erde warf, wurde Hartvigsen wohl gerührt, es weckte einige seiner alten Empfindungen, außerdem fühlte er sich sicher dadurch geschmeichelt, daß man ihn wie einen Herren ansieht, er nahm sie in Gnaden auf und bat sie, sich zu erheben und mit ins Haus zu gehen. Dort waren sie über vieles einig geworden, ja, über allerhand, ich kam eine gute Stunde später in die Stube und fand sie versöhnt. Im ersten Staunen sah ich Rosa an, es war kein Leiden mehr in ihrem Gesicht, nur Zufriedenheit und Ruhe.

Ja, dann kommst du wohl an einem der nächsten Tage, sagte Hartvigsen zu ihr, als sie ging.

Zu mir aber sagte er nichts.

Rosa kam. An der Hand führte sie Martha, das kleine Mädchen Steens, des Ladengehilfen.

Da kommen wir! sagte Rosa lächelnd. Martha verneigte sich, wie sie es gelernt hatte, kam zu uns her und faßte uns bei der Hand und verneigte sich wieder. Hartvigsen sagte zu allen beiden: Willkommen im Hause!

In diesem Augenblick steht jemand draußen auf dem Hof und sieht durch das Fenster zu uns herein. Es ist ein Lappe. Als Rosas Blick auf ihn fiel, verdeckte sie das Gesicht mit der Hand und sagte: Uff!

Es ist nur der Gilbert, sagte Hartvigsen beruhigend und lachte ein wenig, der treibt sich immer hier herum.

Rosa antwortete:

Er hat mir jedesmal Unglück gebracht.

Hartvigsen ging hinaus. Ich blieb zurück und schwätzte ein wenig mit dem Kind, auch mit Rosa wechselte ich einige Worte. Ohne eine Frage meinerseits fing sie an von dem Lappen Gilbert zu sprechen:

Es ist sonderbar. So oft ich meinen Wohnort wechsle, taucht er auf. Und so oft sich in meinem Leben etwas ereignet, taucht er auf.

Da sie bereits gesagt hatte, daß diese Veränderungen und Ereignisse ihr zum Unglück ausgeschlagen waren, wollte ich sie nicht ausfragen. Ich bat sie, ein wenig auf dem kleinen Klavier zu spielen. Martha, die solche Musik noch nie gehört hatte, ging zu ihr hin und sah mit großen Augen zu; dann und wann drehte sie sich nach mir um, wie um zu fragen, ob ich schon je so etwas gehört habe.

Dann kam Hartvigsen wieder herein. Er setzte sich still hin und lauschte; er fand wohl, daß ein guter Geist in sein Haus eingezogen sei, denn gegen seine Gewohnheit nahm er den Hut ab und hielt ihn auf den Knien. Auch er sah manchmal zu mir herüber und nickte benommen mit dem Kopf, und seine Augenbrauen waren vor Stolz und Verwunderung hoch aufgezogen. Es war, als lege er größeren Wert auf Musik auf seinem eigenen Instrument, als auf dem Macks.

Wir wurden nun eine ganze Familie, vier Menschen außer dem Hausmädchen, das wie früher weiterhin kommen und die grobe Arbeit tun sollte. Rosa erhielt ihre Kleider von zu Hause und wohnte ständig bei uns: Klein-Martha schlief mit ihr zusammen im Zimmer. So verging Tag für Tag.

In diesen ersten Zeiten geschah nichts, das des Aufzeichnens wert wäre; es würde bloß von mir handeln, davon, daß ich meine kleinen Freuden und Sorgen, meist aber Freuden hatte. Wenn Rosa ein Brett hinaustrug, öffnete ich ihr die Türe, wenn sie am Morgen vom Dachboden herunterkam, nahm ich die Mütze ganz ab und grüßte, – ein größeres Glück erwartete ich mir nicht und verdiente ich nicht. Ich war ein Fremder. Aber des Abends unterhielten wir uns oft in der Stube, und wenn Hartvigsen schwieg, waren es Rosa und ich, die zu sprechen anfingen. Oh, ab und zu aber schwieg Hartvigsen den ganzen Abend nicht, nur damit Rosa und ich nicht sollten anfangen können. Er war ein Kind. Dann wußte sich Rosa nicht anders zu helfen, als daß sie das und jenes auf dem Klavier spielte; sie spielte viele herrliche Dinge.

Der tägliche Umgang mit Rosa wirkte auf diesen Mann so ein, daß er in seinem Ton nun noch weniger achtsam und dafür kecker wurde. Es war nicht behaglich.

Was meinst du dazu, wenn ich meinen Ring wieder an die rechte Hand steckte? fragte er sie lachend in meinem Beisein. Er hatte die ganze Zeit am linken Ringfinger einen glatten Goldreifen getragen, es war wohl sein alter Verlobungsring; jetzt steckte er ihn ohne weiteres an die rechte Hand, ohne auf Antwort zu warten. Es war, als müsse sie das selbstverständlich wollen. Er fuhr fort: Und dir muß ich wohl einen neuen Ring kaufen statt des verlorenen.

Sie erwiderte gedämpft:

Ich kann ja keinen Ring annehmen.

Da erzählte Hartvigsen, daß der König ihre Ehe mit einem gewissen Nikolai vom Küstershof geschieden habe. Der Mack und ich, sagte er, haben diese Sache geordnet. Ja, versteht sich, aber natürlich der Benoni und ich, wir haben ihn ausbezahlt!

Ich sah, wie es Rosa gleichsam einen tüchtigen Stoß gab, und daß sie sich setzte. Ich verließ das Zimmer.

Später erklärte Hartvigsen mir, er habe Rosas Mann dazu gekauft, daß er sich scheiden lasse. Es habe ihn mehrere tausend Taler gekostet. Aber kaum habe Nikolai vom Küstershof dieses Geld erhalten, so habe er sich auch schon zu Tode gesoffen! So, jetzt war er tot. Ja, ob er wohl tot ist? dachte ich.

Ich hatte kein Vergnügen an diesen Begebenheiten, sondern ich dachte oft bei mir selbst, daß Rosa nicht hätte in dieses Haus kommen sollen. Sie ist um der Eifersucht willen gekommen, dachte ich weiter, die Eifersucht auf die Baronin hat sie bezwungen. Aber warum hatte diese Baronin Hartvigsen so leicht losgelassen? Warum trieb sie es nicht weiter mit ihm? Sie hatte wahrlich den besten Anfang gemacht gehabt. Hier steckte offenbar etwas dahinter, was meinen Augen verborgen war. Vielleicht wußte es der alte Mack, er war so klug, ein Mann mit einer Imperatorseele. Weshalb mußte Hartvigsen Geld dafür zahlen, daß sein Name in den Firmennamen aufgenommen wurde? Oh, das Ganze war von Mack sehr gut ausgedacht, von dieser Imperatorseele.

Als aber Rosa einige Wochen bei uns gewesen war, hatte Hartvigsen sich an sie gewöhnt und nahm es nicht mehr so genau mit dem, was er tat und sagte. Ich dachte: so war er damals wohl kaum, als sie verlobt waren; aber in der Zwischenzeit war er so unglaublich reich geworden. Dieser Mann hatte es scheinbar nicht vertragen, reich zu werden, so war es wohl.

Was meinst du dazu und dazu, Rosachen? konnte er sagen und ihr dabei auf den Rücken klopfen. Er schämte sich nicht, Andeutungen über die Baronin zu machen, darüber, daß sie mit ihm am Espenhügel gewesen sei, daß sie ihm eingestanden habe, in ihrer Jugend in ihn verliebt gewesen zu sein. Als Klein-Martha einige Kleider brauchte, antwortete Hartvigsen sofort Ja und sagte zu Rosa: Du brauchst nur in den Laden zu gehen und es auf meine Rechnung setzen zu lassen; sie kennen mich dort schon. Du brauchst nur zu schreiben: B. Hartwich. An Manufaktur für einen Taler! Als er dies gesagt hatte, wandte er sich zu mir und lächelte selbstzufrieden. Er war ein Kind.

Noch etwas: er mißgönnte Mack den Haftelmacher, mißgönnte ihm, daß dieser arme Kerl mit den Vogelstimmen zu Mack gegangen war und nicht lieber zu ihm – Hartvigsen – gekommen war mit der Bitte, bleiben zu dürfen. Der Haftelmacher war in Hartvigsens Augen ein ganzer Teufelskerl, nun hatte man ihn zusammen mit Jakobine, genannt Bramaputra, in der Scheune ertappt; ihr Mann Ole Menneske hatte sie überrascht. Oh, da war kein Irrtum möglich! Was tat nun der Haftelmacher? Er schwor sich frei. Dieser Wagehals, er setzte den rechten Zeigefinger auf das Auge und forderte den Teufel feierlich heraus, zuzuschlagen!

Dies erzählte Hartvigsen uns in Rosas Beisein und unterdrückte nichts, was Bramaputra betraf. Vom Haftelmacher aber sagte er: mir wäre es recht, wenn er zu mir gekommen wäre; ich hätte mehr wie genug Arbeit für ihn gehabt.

8

Ich gehe den Weg zur Mühle hinunter und komme wieder zurück, da holt mich die Baronin ein, sie ist weiß bestäubt und offenbar drinnen bei den Müllern gewesen. Als ich grüße, schenkt sie mir im Vorübergehen einige Worte; sie ist bereits an mir vorbeigegangen, da verlangsamt sie plötzlich ihren Schritt und schließt sich mir an. Ich bitte, das Mehl von ihrem Kleid abbürsten zu dürfen, und sie bleibt stehen und dankt. Dann gehen wir zusammen weiter; aber nicht, daß mir daran gelegen hätte. Sie spricht von verschiedenen Kindheitserinnerungen, hier war sie als die kleine Edvarda umhergegangen, hatte aufrecht auf dem Mehlwagen gestanden, war allein zum Espenhang hinuntergegangen und hatte dort gesessen.

Sie war wehmütig, und über ihrer Stimme lag dieser köstliche Samtton, sie sagte: Man spielt alle Spiele des Lebens, und zuletzt bleibt einem niemand übrig.

Sie hatte in dieser Stunde viel Macht über mich, selbst ihre langen dünnen Hände waren mir seltsam lieb, obgleich ich sie bisher in ihrem Ausdruck unkeusch gefunden hatte. Ich dachte an das, was sie, wie ich gehört, an einem der vergangenen Tage getan hatte: Es gab hier einen Mann, der Jens Kindsvater genannt wurde. Er hatte in Edvardas Jugend bei Mack im Dienst gestanden, war aber dann auf die Schären hinausgekommen, hatte sich verheiratet, war krank geworden und ins Elend gesunken. Seine Frau fuhr von ihm fort nach den Lofotinseln und kam nicht wieder; Kinder hatte er keine, Jens Kindsvater. Vor einigen Tagen nun kam er zu Edvarda, sah sie an und sagte nicht viel, sondern stand nur da wie ein großer Hund. Da verschaffte Edvarda ihm einen Posten auf Sirilund und in der Umgegend, er sollte mit Knochen handeln. Er sollte in die wenigen Häuser gehen, wo Fleisch gegessen wurde, und die Knochen sammeln und sie in den Laden bringen und dort teuer verkaufen; von dort wurden sie nach Süden geschickt und zu Knochenmehl gemahlen. Auch auf Sirilund sollte er alle Knochen bekommen. Mack mußte ein bißchen darüber lächeln, daß er seine eigenen Fleischknochen um teures Geld kaufen sollte, aber er sagte: Jaja! und fand es nicht der Mühe wert, Einwendungen dagegen zu erheben. Ebenso sollten die Knochen aus Hartvigsens Küche an Jens Kindsvater gehen. Es war so putzig, aber Jens Kindsvater nahm die Sache ernsthaft und wollte kein Nein hören. Er verdiente ein schönes Geld, schon als er das erstemal Knochen verkaufte, konnte er sich einige Kleider leisten, und Edvarda selbst verhandelte mit ihm im Laden und rechnete alles aus. Dann verschaffte sie Jens Kindsvater ein Dach über dem Kopf auf Sirilund, zunächst zusammen mit dem Greis Fredrik Mensa, der in einer Kammer im Knechtehaus bettlägerig war, später bekam er dann einen besseren Raum auf einem Dachboden.

Diese Geschichte fiel mir ein, ich dachte daran, wie geistesgegenwärtig und tüchtig die Baronin sich also gezeigt hatte. Jetzt aber war sie niedergedrückt. Ich sagte etwa, daß es ein Glück sei, andere zu erfreuen, Kinder, Menschen um sich zu erfreuen.

Sie blieb stehen.

Glück? Nein doch! sagte sie kurz.

Sie zog die Brauen zusammen und dachte ein wenig mehr darüber nach, dann ging sie wieder. Kurz darauf verließ sie mit einigen raschen Schritten den Weg und warf sich ins Gras nieder. Ich kam nach und blieb stehen. Sie sagte wieder:

Glücklich? Nein doch! Wenn das Glück käme, würde ich es nur lange ansehen und anstarren, so unbekannt würde es mir sein. Freilich gibt es kurze Zeiten, die ein wenig besser sind als andere Zeiten. Das ist klar.

So ist es wohl, sagte ich darauf. Und ich entdeckte, daß sie auf der Stirne Furchen der Sorge und des Alters hatte, sie saß in diesem Augenblick nicht da und machte Kunststücke, sondern ließ auch die Unterlippe hängen. Sie hatte ihre ganze Jugend hinter sich.

Hier in diesen Wäldern gab es einmal einen Jäger, fing sie wieder zu sprechen an und deutete weit hinaus. Er hieß Glahn. Haben Sie davon gehört?

Ja.

Ja. Und er lebte hier. Es war ein junger Mann, Thomas Glahn hieß er. Manchmal hörte ich einen Schuß, und ich dachte daran, einen Antwortschuß abzugeben, manchmal ging ich ihm entgegen. Übrigens – Glahn? Ach ja, es gab Augenblicke, da war es besser mit ihm zu sein als mit allem anderen in meinem Leben; aber ... Und ich hatte ihn so lieb, ach, die ganze Welt verschwand, wenn er kam. Ich erinnere mich eines Mannes, der gegangen kam! Er hatte einen Vollbart, er war wie ein Tier, bisweilen blieb er stehen und hob den einen Fuß und lauschte, dann ging er weiter. Er trug auch Kleider aus Leder.

War er das? fragte ich.

Ja.

Wie es mich interessiert, Sie das erzählen zu hören.

Es ist so viele Jahre her, haben die Leute es noch nicht vergessen? Ich selbst vergesse es die meiste Zeit, aber jetzt denke ich daran, seit ich wieder heimgekommen bin und hier von einem Ort zum anderen gehe. Ich denke heute daran. Aber er war ein Tier, ich verliebte mich so unglaublich in ihn, er war groß und freundlich. Sicherlich aß er mitunter Renntiermoose, denn sein Atem duftete wie der eines Renntierbockes. Es war etwas wie Wildgeschmack an seinem Atem. Ich erinnere mich nun, daß auch er in mich verliebt war. Einmal kam er mit offenem Hemd, und seine Brust war dick behaart. Das ist wie eine Wiese, um sich hineinzulegen! dachte ich, denn ich war so jung. Ich küßte ihn einige Male, und ich weiß, ich habe nie etwas Ähnliches erlebt. Und einmal kam er des Weges gegangen, ich sah ihm an, daß er mir nun langsam näher kam, und auch er sah mich die ganze Zeit an, seine Augen drangen wohl in mich ein, in mir fing etwas an, sich vor Süßigkeit zu drehen, und als er mir nahe war, hob ich mich auf den Zehenspitzen zu ihm und verharrte so. Oh, ich, die verheiratet war und alles miteinander – nie werde ich an etwas anderes denken. Er war ganz wunderbar. Dann und wann war er verzagt, er band seine Halsbinde wie ein Kind, oft vergaß er sie und ließ sie daheim liegen. Aber er war dennoch so wunderbar, und er war ohne Grenzen. Damals war ein Doktor hier, er hinkte, Glahn schoß sich durch den Fuß, um nicht besser zu sein als der Doktor. Er hatte einen Hund, der hieß Äsop, Glahn erschoß ihn und sandte die Leiche zu – zu der, die er liebte. Ohne Grenzen war er, ohne Grenzen. Na, aber er war kein Gott, sondern er war ein Tier. Glahn? Gerade das war er, ein unvergleichliches Tier.

Aber Sie lieben ihn sicher jetzt noch. So scheint es mir.

Nein. Liebe ich ihn? Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich erinnere mich seiner nicht oft, ich gehe nicht umher und denke an ihn. Er ist übrigens tot, heißt es, also schon aus diesem Grunde –. Nein, aber ich finde jetzt, daß es damals schön war. Oft war es, als ginge ich nicht auf der Erde, und ich habe niemals so gebebt. Wir waren zum Schluß wie zwei Verrückte, so wundervoll war er. Eines Tages buk ich kleine Kuchen, da kam er draußen ans Fenster und sah herein. Ich hatte den weichen Teig so lange gerührt, ihn breit gewalkt und mit dem Messer in Stücke geschnitten; jetzt zeigte ich ihm das Messer und sagte zu ihm: Wäre es nicht am besten, wir beide stürben? Ja, antwortete er, komm mit mir zur Hütte, dann wollen wir es tun! Ich wusch mich und ging mit ihm zur Hütte. Er fing sofort an allerhand Dinge zu ordnen und sich zu waschen und zu bürsten. Oh, aber ich hatte schon wieder den Sinn gewechselt und sagte es ihm, nein, ich konnte nicht sterben. Da nickte er, es sei auch so gut; aber ich sah, daß er tief enttäuscht war, er hatte mir Glauben geschenkt. Später meinte er, daß er einfältig sei und keinen Spaß verstehe. Es war oft etwas seltsam Idiotisches über ihm, das auf mich wirkte. Ich dachte bei mir: Man könnte ihn zu allem bringen, was es auch sei, er würde schweigen, man könnte ihn zu einem großen Sünder machen, er würde schweigen. Dann plötzlich wurde er hellsichtig, seherisch, er durchschaute alles. Oh, dann war er durchaus nicht einfältig, sondern scharf und rasch. Ich erinnere mich einer Sache: es stand ein besonders langer und dünner Eibischbaum im Walde. Glahn sah ihn oft an und zeigte mir, daß er so lang und gerade sei, ich glaube, er liebte ihn. Da wollte ich ihm einmal weh tun und ihn quälen und ließ jemand den Baum rund um die Wurzel abschneiden, daß er kaum noch stand. Tags darauf kam Glahn und sagte: Kommen Sie jetzt mit in den Wald! Und ich kam mit. Er zeigte mir den Eibischbaum und sagte: Das ist eine schlechte Tat! Wenn es schlecht ist, dann hat es wohl eine Frau getan, erwiderte ich; denn ich hatte nichts dagegen, den Verdacht auf mich zu lenken, oh, ich wünschte das! Nein, es sei eine starke und dumme linke Hand, die das getan habe, antwortete er. Das könne er an den Schnitten sehen. Da wurde mir ein wenig angst, denn es war wahr, was er sagte. Dann hat es wohl ein linkshändiger Mann getan, sagte ich. Da antwortete Glahn: Nein, dazu ist es zu schlecht gemacht. Das ist von einem Mann gemacht, der entweder die Linkshändigkeit vorgetäuscht hat oder jetzt mit einer brandigen rechten Hand umhergeht! Da begriff ich, daß der Mann, den ich zu dieser Arbeit veranlaßt hatte, verloren war, er trug in jenen Tagen die rechte Hand in einer Binde; eben aus diesem Grund hatte ich ihn zum Handlanger genommen, um Glahn irre zu führen. Oh, aber Glahn ließ sich nicht irre führen, er fand den Mann und züchtigte ihn. Hu! Und Glahn gebrauchte dazu nur eine Hand, damit er nicht zwei gesunde Hände habe gegen einen, der selbst nur eine gebrauchen konnte. Ein paar Tage danach hörte ich davon, ich ging zu Glahn und quälte ihn noch mehr und sagte: übrigens war ich es, die Ihren Eibischbaum verstümmeln ließ! Als ich das gesagt hatte, ging ich meines Weges ... Wie merkwürdig, daß ich mich dessen noch so gut erinnere, es fällt mir nach und nach immer mehr ein, er war mitunter so gefährlich und entdeckte alles. Und der Mann, mein Handlanger, lebt immer noch, er kam vor einigen Tagen zu mir, man nennt ihn Jens Kindsvater.

So?

Die Baronin warf bei meinem kurzen Wort einen Blick auf mich. Ich stand da und dachte: Also gerade diesem Jens Kindsvater hat sie zu einem Posten verholfen, er ist ja auch ihr einmal dabei behilflich gewesen, Glahn zu quälen. Liebt sie denn einen toten Mann bis zum Haß und zur Grausamkeit, und will sie immer noch versuchen, ihm wehe zu tun? Oder lebt Glahn, und will sie mit ihrer Quälerei fortfahren?

Ich fragte:

Glahn ist vielleicht nicht tot?

Ich weiß es nicht, entgegnete sie. Doch, er ist sicher tot. Er wechselte so, das Wetter beeinflußte ihn, die Sonne und der Mond und das Gras wirkten auf ihn, und der Wind führte Gespräche mit ihm. Das Rauschen oben in den Bergen durchlief ihn. Ja, ja, er ist jetzt tot, es ist so lange her, seit er hier war, so schrecklich viele Jahre.

Die Baronin erhob sich und ging zur Mühle zurück. Es war schmerzlich, sie anzusehen. Es hatte ein anderer Ton über ihrer Redeweise gelegen, sie hatte nicht gelächelt und keine Kunststücke vollführt, sondern nur wehmütig gesprochen. Ich war froh, daß ich mir nicht die Freiheit herausgenommen hatte, mich neben sie in die Wiese zu setzen, sondern die ganze Zeit stehend zugehört hatte.

9

Nein, Hartvigsen kann nicht leicht darüber hinwegkommen, daß er im letzten Jahr ein angesehener Mann geworden ist, sein Selbstgefühl nimmt einen immer unsinnigeren Umfang an. Nur ihn allein gibt es hier am Ort und keinen anderen, nur er ist der Gott für den ganzen Distrikt und kein anderer.

In dieser Torheit war er dumm und langweilig; aber seine angeborene Gutmütigkeit war immer noch groß. Er gab Steen, dem Ladengehilfen, folgenden Befehl: – Sollte der Leuchtturmwächter etwas aus dem Laden benötigen, so soll das, ganz wie durch einen Irrtum, alles auf meine Rechnung, B. Hartwich, geschrieben werden. – Mir erklärte er offen, daß er ohne das Dazwischentreten des Leuchtturmwächters an den Silberklippen, die er verkauft habe, nicht reich geworden wäre, dafür wolle er sich nun erkenntlich zeigen. Ebenso gebe er Aron in Hopan allen möglichen Kredit, jenem Manne, der ihm die Klippen für fast nichts verkauft hätte.

Oh, aber der Leuchtturmwächter Schöning verlangte nichts auf Rechnung; wenn er in den Laden kam, geschah das mit seinen Schillingen in der Hand.

Eines Tages sagt Hartvigsen zu ihm:

Wenn Sie einmal Waren von hier brauchen, so sollen Sie sie nicht bezahlen.

Der Leuchtturmwächter steht verwelkt da und sieht uns alle blinzelnd an.

Da sagt Hartvigsen:

Denn Sie brauchen nur zu sagen, daß es auf meinen Namen geschrieben werden soll!

Endlich antwortet der Leuchtturmwächter: Aber das ist doch keine Bezahlung? Und ich kann doch ebenso gut meine Waren bezahlen?

Durch diese Antwort wird Hartvigsen nicht größer, sondern kleiner und schlechter, er sagt:

Jaja, es war als eine Wohltat gedacht!

Als aber der Leuchtturmwächter anfing, ihn auszulachen und seinen grauen Kopf schüttelte und dazu einmal weit ausspuckte, da nannte Hartvigsen ihn in seinem großen Verdruß einen Idioten und ging wuchtig zum Laden hinaus. Und er vergaß die schmähliche Absage des Leuchtturmwächters nicht, sondern grämte sich noch weiter darüber, obwohl er sagte, es sei ihm ganz gleichgültig. Du wirst wohl auch noch so stolz werden, daß du mich eines Tages nicht haben willst, konnte er zu Rosa sagen. Und wenn sie dazu den Kopf schüttelte und nicht darüber sprechen wollte, sagte er gekränkt: Jaja, du mußt tun, was du willst!

An den Abenden liebte er es, uns zu erzählen, was er im Laufe des Tages ausgerichtet hatte, und das war durchaus nicht immer viel. Er konnte dahin und dorthin gehen und sich bei seinen Leuten in allerhand Kleinigkeiten mischen und sie aufhalten, nur um sich als ihr Herr zu zeigen. Er sagte zum Obermüller, den er auf dem Wege traf: Ich wollte soeben zu dir hinaus gehen; heute mußt du uns alles Mehl geben, das du liefern kannst! Aber das tat ja der Obermüller sowieso jeden Tag, er mahlte stets so viel Korn, als er vermochte. Es soll geschehen, antwortete er dennoch gehorsam. Denn ich komme jetzt vom Ladespeicher, es sind nicht mehr als zwanzig Säcke SF auf unserem Lager! sagt Hartvigsen. Er sagte zu mir: Komm mit hinaus auf den Trockenplatz! Wir ruderten hinüber, und Hartvigsen untersuchte den Fisch und fühlte sich als Besitzer desselben und stellte Fragen an Arn Törker: Hast du daran gedacht, daß morgen Regen kommen und den Fisch wieder aufweichen kann? Wenn du nicht genug Leute hast, dann sage es mir! Doch Arn Törker antwortete nur, er habe genug Leute, aber die Sonne sei eben nicht besser, das Trocknen brauche seine Zeit. Hartvigsen erwiderte: Jaja, ich habe mich nun dazu entschlossen, daß wir den Fisch noch vor den Hundstagen geschichtet haben müssen! Und obwohl Arn Törker das alles sehr genau wußte, schlug er die Hände zusammen und tat erstaunt. Da mußte Hartvigsen ihm erklären, wie es in früheren Jahren gewesen war, daß im vergangenen Jahr der Fisch noch vor den Hundstagen geschichtet gewesen und die Fahrzeuge nach Süden gefahren seien, und so sei es das Jahr vorher und alle Jahre gewesen. Oh, Arn Törker mußte sich drein finden, es gab keine Möglichkeit für ihn, zu entkommen. Aber Hartvigsen ging mit mir weiter und sagte: Nein, dieser Mack, da steht er jetzt nur im Kontor und schreibt, aber was die Aufsicht über alles betrifft und das große Kopfzerbrechen mit allen Leuten, das fällt mir zu. Ich werde wohl nicht einmal Zeit haben, mich zu verheiraten.

Rosa wurde still und schön in der Ruhe dieses täglichen Lebens, oft nahm sie Martha bei der Hand und ging mit ihr zu den Kindern der Baronin und blieb mit ihnen viele Stunden auf den Klippen. In diesen Zeiten war ich im ganzen Hause sicher und gab mich da wiederum meiner heimlichen Übung hin, von der ich schon einmal gesprochen habe. Ich schloß Türen und Fenster, um es abzudämpfen, alle Viertelstunde ging ich hinaus und spähte umher, ob Leute kämen, dann ging ich wieder hinein und war mit meiner Sache beschäftigt. Oh, Rosa sollte als erste erfahren, was es war, ich will es auch jetzt nicht niederschreiben.

Sie war so rechtschaffen und mild. Als sie begriff, daß Hartvigsen seine Unterrichtsstunden bei mir gerne verheimlichen wollte, verließ sie das Zimmer und ging in den Laden und kaufte etwas für das Haus. Ebenso machte sie es am Abend, wenn wir allerhand schwätzten, sie war eine gebildete Dame und nachsichtig mit uns, wenn wir zu viel Unsinn sagten, sie war auch in aller Stille nachsichtig mit Hartvigsen, wenn er derb war. Hartvigsen führte eine so merkwürdige Sprache. Da er nun ein mächtiger Mann geworden war, hielt er seinen Mund nicht über jene Dinge, die er nicht verstand, sondern kam im Gegenteil mit Redensarten, derengleichen ich nie gehört hatte. Oh, wie vielerlei schien doch in seinem Kopf zu wohnen! Er sprach vom leibhaftigen Meer und wickelte seine Worte merkwürdig ein. Luther, ja, der war nun selbst das große Schiff auf diesem leibhaftigen Meer. Nein, ich weiß es nicht, aber so erfasse ich es eben in meiner Einfalt. Und das mußte ein ganz vortrefflicher Glaube an das Gute sein, der Glaube, den er hatte!

Und was konnte Rosa darauf antworten? Daß, ja, ja, Luther, dieser Mann! Und sie verzog keine Miene.

Da äußerte Hartvigsen eines Tages, daß ich vielleicht bald abreisen könne.

Das geschah am Tage, nachdem ich den Abend zuvor draußen auf der Türschwelle gesessen und mit Rosa und dem Kind geplaudert hatte, und mit dem Kind hatte ich mich am meisten unterhalten. Da kam Hartvigsen heim. Setz dich auch her! sagte Rosa im Spaß zu ihm. Aber Hartvigsen war hungrig und ging hinein. Wir drei kamen nach. Er kam offenbar von Sirilund, und vielleicht hatte ihn jemand aufgebracht. Nach dem Abendessen fragte er Rosa plötzlich:

Na, hast du daran gedacht, daß der Sommer bald vorüber ist? Und ob wir uns nun verheiraten sollen oder nicht?

Rosa warf mir einen entsetzten Blick zu.

Ja, damit hat nun der Student nichts zu tun, sagte Hartvigsen.

Ich schüttelte lächelnd den Kopf, sagte Nein und ging hinaus. Ich blieb draußen, bis Hartvigsen selbst kam und mich wieder hineinbat. Rosa saß im Zimmer. Sie wollte es wohl wieder ein wenig gut machen, daß ich die Stube hatte verlassen müssen, und richtete deshalb einige Worte an mich:

Mein Vater möchte gerne, daß Sie ihn besuchen. Das dürfen Sie nicht vergessen. Es war doch ursprünglich verabredet, daß Sie mich durch den Gemeindewald begleiten sollten, aber ...

Na, sagte Hartvigsen plötzlich, ja, du willst vielleicht durch den Gemeindewald nach Hause gehen?

Nein, antwortete sie, ich bleibe ja hier.

Ja, denn ich will es nur wissen, fuhr Hartvigsen gereizt fort. Es soll mir im übrigen nicht darauf ankommen, Sie mit dem Boot hinüberbringen zu lassen, wandte er sich an mich und sah mich freundlich an.

Ich will lieber gehen, entgegnete ich.

Wir sprachen nun alle ruhiger, aber ich merkte sehr wohl, daß Hartvigsen auf der Hut gegen mich war, und daß ich nicht viel mehr sagen dürfte. Da schwieg ich. Vielleicht hatte mich irgend jemand bei ihm verdächtigt, was wußte ich.

Klein-Martha kam mit einem Spielzeug an meine Knie heran und sagte: Mein Bruder hat das zerbrochen! Ich setzte es zusammen und versprach, es morgen zu leimen. Rosa kam herbei, beugte sich herab und sah es auch an, das Ganze dauerte vielleicht eine Minute, und Rosa sagte vielleicht ein paar Worte über das Spielzeug. Da stand Hartvigsen mit einemmal auf und verließ das Zimmer.

Das war gestern Abend. Heute morgen nun kam Hartvigsen und fing davon an, daß ich bald fahren könne. Jaja, antwortete ich. Aber ich hatte doch ein neues Bild von seinen Häusern mit dem Gemeindewald im Hintergrund angefangen, an all das dachte er nicht.

Die Sache ist die, daß das Hausmädchen nun für immer bei uns wohnen soll, da brauchen wir Platz, sagte Hartvigsen zur Entschuldigung.

Ich nahm es nicht schwer, um seinen Verdacht nicht zu vermehren, aber ich wurde mit einemmal sehr wehmütig.

Und das Bild? sagte ich.

Das müssen Sie zuerst fertig machen, antwortete Hartvigsen, erleichtert darüber, daß ich mir keine andere Sorge ankennen ließ. Versteht sich, das Bild müssen Sie noch fertig malen.

Es war früh am Tage, und ich brauchte Nachmittagsbeleuchtung zu meinem Bild, hatte also noch ein paar freie Stunden. Ich schlenderte nach Sirilund hinüber.

10

Die Baronin sagt zu mir:

Ich bin so froh, daß Sie sich mit den Kindern unterhalten und sie Verschiedenes lehren.

Das muß nun aufhören, erwidere ich, denn jetzt werde ich abreisen.

Die Baronin streckt den Kopf ein wenig vor.

Abreisen? So?

Ich habe noch etwas an einem Bild zu tun, ich male noch ein wenig. Dann fahre ich.

Wo wollen Sie hin?

Ich habe einen Kameraden draußen im Distrikt Os und Utvaer, zu ihm fahre ich.

Einen Kameraden? Ist er älter als Sie?

Ja, er ist zwei Jahre älter.

Ist er Maler?

Nein, Jäger. Er ist auch Student. Er und ich wollen wandern.

Als die Baronin ging, war sie sehr gedankenvoll.

Am Nachmittag, als ich dastand und malte, kam die Baronin zu mir und sprach mit mir, und ihre Hand griff da tief in mein Schicksal ein: sie bat mich um nichts weniger als darum, nach Sirilund hinüber zu ziehen und in Zukunft der Führer und Lehrer der kleinen Mädchen zu sein.

Ich hörte sofort zu malen auf und bebte bei ihren Worten, denn ich freute mich aus einem guten Grunde darüber, noch eine Zeitlang an diesem Ort bleiben zu können, ja, ich hatte sogar im stillen Gott darum gebeten. Ich bat sie, es mir überlegen zu dürfen, und sie erlaubte es mir. Sie sagte:

Und die Kinder sollen Sie vorläufig noch nicht viel lehren, denn sie sind so klein, sondern nur mit ihnen umhergehen und mit ihnen plaudern und sie mitnehmen. Ach, ich möchte Sie darum bitten, sie besser zu machen, als ich bin, sie sind so klein und schön! Und Sie selbst sollen selbstverständlich Ihren guten Lohn erhalten.

Ich hätte augenblicklich ja antworten können, da alles in mir eitel Freude war, statt dessen aber sagte ich:

Es kommt darauf an, was mein Kamerad sagt. Denn jetzt wird ja dann nichts aus unserer Wanderung.

Die Baronin wandte sich um und sagte, als sie ging:

Die Kleinen reden von Ihnen, sie beten für Sie am Abend. Es war ihr eigener Vorschlag, für Sie zu beten. Ja, antwortete ich ihnen da, tut das nur.

Am nächsten Tag kam die Baronin in der gleichen Angelegenheit zu mir, und ich war entschlossen. Da es sich nicht mehr schickte, mich groß und kostbar zu machen, fing ich selbst an in Ehrerbietung zu sprechen und sagte sofort ja, ich hätte mir ihr gutes Angebot überlegt und nähme es mit Dank an.

Sie reichte mir ihre Hand, und wir waren einig.

Als ich für diesen Tag mit dem Malen fertig war, ging ich an meinen alten Platz in Hartvigsens Schuppen hinunter und dankte Gott für seine Erhörung. Und ich war den ganzen Abend still und versonnen. Ich wollte nicht über Hartvigsen triumphieren und ihm von meinem Umzug nach Sirilund erzählen, dagegen schrieb ich an Munken Vendt, daß das Schicksal mich an diesem Ort aufgehalten und noch für einige Zeit gebunden habe.

Erst einige Tage, nachdem mein Bild fertig war, wurde die Neuigkeit durch Mack selbst bekannt. Hartvigsen kam von Sirilund heim und sagte:

Ich höre von Mack, daß Sie nach Sirilund sollen?

Rosa horchte auf, Martha horchte auf.

Ja, so wird es wohl sein, antwortete ich.

Na, jaja.

Hartvigsen aß und wir sprachen über Verschiedenes; aber ich fühlte genau, daß er mit meinem Platzwechsel beschäftigt war. Rosa sagte nichts.

Das ist doch ganz seltsam von ihr ausgedacht, sagte Hartvigsen vor sich hin.

Von wem? fragt Rosa.

Von der guten Edvarda. Jaja, es kann ja nun gleich sein.

Ich dachte: Dann war es offenbar die Baronin, die Hartvigsen gegen mich aufgehetzt hatte; aber wenn es darum geschah, um mich als Lehrer und Begleiter ihrer Kinder zu gewinnen, so war das nicht so übel, ich weiß nicht. Aber Hartvigsen sah betrogen aus. Er war wohl eifersüchtig darauf, daß ich in Macks Haus kommen sollte, statt weiterhin bei ihm zu bleiben, und er ärgerte sich vielleicht darüber, daß ich nun so Tür an Tür mit ihm leben würde. Denn dann bliebe ich ja dennoch in Rosas Nähe.

Am andern Morgen sollte ich umziehen. Aber nun kommt das hinzu, daß ich Rosa zu offenbaren wünschte, was ich im Hause so in aller Heimlichkeit getrieben hatte. Sie ist mit Martha fortgegangen, und vielleicht hat sie es gerade deshalb getan, um fort zu sein, wenn ich ginge. Ich warte, bis ich sie in einiger Entfernung mit dem Kinde kommen sehe, dann mache ich kein Geheimnis mehr daraus, sondern trete bei offener Türe auf und sehe mich nicht um.

Rosa und Martha kommen heim, sie stehen in der Türe.

Ich sitze dort und spiele auf dem Klavier. Und ich spiele das Schönste, das ich weiß: die A-Dur-Sonate, Mozart. Es geht wirklich gut, es ist, als habe ich ein großes und stolzes Herz bekommen, das mir in dieser Stunde half. Oh, ich war jetzt wieder so in der Übung, daß ich mich nicht schämte, Rosa alles hören zu lassen; aber ehe dies geschähe, hatte ich die ganze Zeit warten wollen, bis ich tüchtig genug dazu war. Nun, an diesem Morgen dankte ich Gott dafür, daß ich wieder so tüchtig geworden war. Ich hatte mein Spiel einmal in meinem schönen Heim gelernt, alles hatte ich dort gelernt, lauter gute Kenntnisse, bis mein Heim aufgelöst wurde und mich nicht mehr beherbergen konnte. Deo Gloria.

Ich wende mich um. Rosa starrt mich an und sagt:

Nein, aber – spielen Sie auch?

Ich erhob mich und gestand ihr ein, daß ich im geheimen auf dem Klavier geübt habe; wenn sie finde, es sei der Mühe wert zuzuhören, wäre ich dankbar! Mehr sagte ich nicht, die Bewegung wollte mich übermannen. Aber später war ich sehr froh darüber, daß ich nicht schwach geworden war und gesagt hatte, ich spiele zum Abschied. Ich ging fort und packte mein Wanderbündel.

Ich wartete, bis Hartvigsen heimkam.

Jaja, es war nun nicht beabsichtigt, daß Sie mich verlassen sollten, sagte er. Denn ich habe ja unendlich viel Arbeit für Sie; aber ...

Rosa lenkt seine Aufmerksamkeit ab, indem sie erzählt, daß ich gespielt habe – der Student habe gespielt.

So, können Sie auch spielen? fragte Hartvigsen.

Rosa antwortete:

Ja, er kann spielen!

Ich wurde stolzer über diese Worte als über alles Lob, das ich bisher in meinem Leben geerntet hatte, und ich nahm Abschied und ging fort aus Hartvigsens Haus, das Herz von Dank erfüllt. Oh, ich taumelte dahin in meiner großen Erregung und sah kaum den Weg, obgleich ich auf ihn niederstarrte.

Jetzt kam ich nach Sirilund und blieb dort. Der Umzug brachte keine größere Veränderung in mein Leben, ich trieb mich mit den Kleinen umher, zeichnete ihnen etwas und malte Verschiedenes. Und meine Herrscherin, die Baronin, sagte oder tat nichts mehr, das nicht einer gebildeten Frau würdig gewesen wäre, nein, mein Lieber, sie tat nichts Unschönes oder Schlechtes. Aber sie behielt die Gewohnheit bei, dann und wann mit ihren Armen ein Tor zu bilden, in dem sie stand, und das nahm sich merkwürdig schön aus. Bei Tisch hielt sie sich gut, nur ganz selten stützte sie beide Ellbogen auf den Tisch auf, wenn sie einen Bissen in den Mund schob oder aus einer Tasse trank.

Ich wollte das Innere von Macks Großstube malen, es sollte ein feines Bild werden mit dem einen großen Silberengel in der Ecke und mit zwei Kupferstichen an der Wand über dem Klavier. Aber alles, was im Hause war, interessierte mich nicht, nur Rosas Rotweinglas, das sie auf den Tisch gestellt hatte. Das sollte dort in der Nachmittagssonne stehen, wiederum rot und einsam und gleichsam verlöschend.

Hier an diesem großen Handelsplatz war auch mehr Leben und Betrieb als in Hartvigsens Haus, hierher kamen sogar fremde Schiffer, wenn sie vor Unwettern in der Nordsee hereingetrieben waren, und unter ihnen befand sich einmal ein Russe, mit dem ich Französisch sprach, so gut ich vermochte. Er lag mehrere Tage mit seinem großen Schiff des Wetters wegen in unserer Bucht. Die Baronin und ich waren bei ihm an Bord, er kaufte einige Bärenhäute und Blaufuchspelze, die Rosas Vater zu verkaufen hatte.

Da ich mir nun auf Sirilund standesgemäßere Kleider angeschafft hatte, konnte ich mich bewegen, wo ich wollte und fühlte mich wohl dabei. Ab und zu ging ich in den Laden und beobachtete, wer kam und ging, die Leute der Gemeinde und Fremde, Wanderer, die Brot in der Bäckerei kauften und weitereilten oder Bootsmannschaften aus dem Süden, die sich den ganzen Tag beim Branntweinausschank aufhielten und danach schwer betrunken und lärmend auf den Wegen umherzogen.

Die Leute auf Sirilund hatten fast alle einen Spitznamen. Da waren Wächter Svend und Ole Menneske, aber sie waren Schiffer auf Fahrzeugen, und es haftete ihnen nichts Besonderes an. Aber dann war noch Bramaputra da, Ole Menneskes Frau, und sie war so gutmütig gegen Fremde, daß ihr Mann beständig nach ihr ausspähen mußte. Von derselben Art war übrigens auch Ellen, die einmal Stubenmädchen gewesen war, sich aber im vergangenen Jahr mit Wächter Svend verheiratet hatte, sie war in einen auf dieser Welt verliebt: in Mack selbst, und es war ein Anblick, ihr verwirrtes Gesicht zu sehen, wenn er sie ansah oder zu ihr auf den Hof ging und ihr ein paar Worte sagte. Oh, es gab hier eine Menge Leute mit Spitznamen, Jens Kindsvater, der Haftelmacher, und endlich ein Wanderer, der während des Winters gekommen war und das Brennholz im Schuppen hackte, er hatte so kurze Beine und wurde nur der Oberkörper genannt.

Es interessierte mich sehr, dem Leuchtturmwächter Schöning aufzulauern, wenn er stolpernd sich dem Laden näherte und seine kleinen Einkäufe machte. Er war ein Mann mit ausgesprochenem Eigensinn, doch mit großer Erfahrung. Er war viel gereist und hatte viel gedacht und es war viel Merkwürdiges in seiner Rede; aber er sprach nie ohne besonderen Anlaß. Sonst schwieg er lieber überlegen. Ein Mann aus der Gemeinde war eines Tages mit Pferd und Wagen zum Laden gekommen, das Pferd stand nun da, einen langen Heusack bis zu den Augen um den Kopf gebunden; es fraß nicht mehr, der Sack war leer, und das Pferd stand nur mit erhobenem Kopf da und schaute. Da sagte der Leuchtturmwächter von diesem Pferd: verschleiert wie eine Mohammedanerin! Indem ich ihn langsam und vorsichtig ausfragte, brachte ich ihn dazu, mir allerlei aus fernen Ländern zu erzählen.

Endlich, gegen Ende des Spätsommers kam Sir Hugh Trevelyan nach Sirilund, wiederum mit einer bestimmten Absicht, und seine Absicht bestand darin, den besten Kognak, den Mack in seinem Keller hatte, auszuprobieren und einen Teil davon zu kaufen. Er packte einige Flaschen in eine Reisetasche, nahm einen Mann zum Tragen und begab sich fort. Sie gingen weit über die Klippen, hinaus zu den endlosen Multbeermooren. Hier lag Sir Hugh mehrere Tage lang und trank Kognak, bis er traurig starre Augen hatte und besinnungslos war. Sein Träger kam zweimal nach Sirilund und holte noch mehr Kognak, als er das drittemal ankam, sah Mack ihn an, schüttelte den Kopf und sagte nein. Der Träger versuchte demütig weiter zu bitten, aber Mack wiederholte noch einmal nein und sagte kein Wort mehr. Sir Hugh ging es auch wirklich sehr schlecht draußen im Moor, er lag nachts im Freien und aß nichts außer einigen Multbeeren, die sein Träger in der Mütze sammelte. Am vierten Tag ließ Mack Wächter Svend und einen Mann mit dem Träger ins Moor hinaus gehen mit etwas gutem Esten für den verkommenen Engländer.

Und so wie Mack gegen Sir Hugh war, war er gegen seine eigenen Leute, ein Herr gegen alle. Obschon es freilich Hartvigsen war und nicht Mack, der das meiste Geld in dem großen Handel und Wandel an diesem Ort stecken hatte, war es doch Mack, der die große Achtung und den Respekt besaß. Ich erfuhr, daß Mack in vieler Beziehung in sehr schlechtem Ruf stand; da er aber der geborene Herr war, konnte er allen vorlauten Einmischungen die Türe weisen. Alle wußten, daß er ein fürchterliches Genie mit den Mädchen war und ein großer Draufgänger, das war seine Natur. Es gingen Gerüchte über sein warmes Bad, darüber, daß er im Wasser auf einem Federkissen liege, daß er mitunter mehrere Male in der Woche seine Bäder nehme, wenn er gleichsam einen brennenden Rappel danach hatte, und daß er während des Bades ein und auch zwei Mädchen bei sich habe. Er war wohl ein wilder Wüstling. Einmal soll Bramaputra sich darüber ausgelassen haben, daß Mack durchaus nicht immer selbst bade, sondern daß er die Mädchen vor seinen eigenen starren Blicken baden lasse. Jetzt hatte Mack die kleine Petrine als Stubenmädchen, und auf die wartete er nun, bis sie nach dem Gesetz alt genug war, ja, sie stand in seinem Garten und wuchs auf seine Kosten. Aber vielleicht war sie sich selbst und Mack schon seit langem alt genug gewesen, denn sie hatte eine unvergleichliche Gestalt und ein üppiges Lachen. Ihre Nase stand so vorlaut in die Höhe – der Leuchtturmwächter sagte eines Tages, ihre Nase stünde auf den Zehen.

11

Es ist Abend, die Kleinen sind zu Bett, ich wandere hinaus und denke ein wenig an dies und jenes. Es ist warm, und die Sonne scheint. Auf einer grünen Wiese liegen alle Kühe von Sirilund und käuen wieder, nur dann und wann höre ich einen leisen Glockenton von den Tieren, wenn sie den Kopf nach den Mücken zurückwerfen, sonst ist alles ruhig. Ich gehe zu einer Kuh und rede leise mit ihr, und sie hat das sicher gern, obwohl sie mich nicht ansieht, sie seufzt nur auf und kaut im Takt und starrt geradeaus. Oh, wie sie starrt! Sie blinzelt nur ein einziges Mal und starrt dann wieder ins Endlose.

Ich gehe zu den Ladespeichern hinunter, es sind noch einige Leute bei der Arbeit an diesem schönen Abend, der Böttcher, Villads Bryggemand und noch mehrere hängen an Tauen und befestigen ein neues Schild oben an der Speicherwand; auf dem Schild steht: Mack & Hartwich. Ich steige in ein Boot und rudere vom Land weg, um zu sehen, wie sich das Schild ausnimmt. Unterhalb dem neuen Schild hängt das alte mit neuaufgefrischten Buchstaben: Niederlage von Salz und leeren Tonnen. Aber ganz allein auf der weißen Wand steht eine schwarze Hand und deutet hinunter. Dies war sehr geschmacklos, die abgerissene Hand taumelte so sinnlos über die Wand.

Ich rudere wieder zurück an Land und treffe Hartvigsen an der Brücke. Wie gesagt, ich muß jetzt alles mögliche beaufsichtigen, fängt er an. Da machen sie ein Schild auf, aber hängt es etwa gerade und kann es vom Postschiff aus gelesen werden?

Es ist eine Hand dort an der Wand, die sollte nicht da sein, sage ich.

So, finden Sie? Der Haftelmacher hat das alles gemalt, er sagte, es gehöre eine Hand dazu wie in den Städten. Was halten Sie von den Buchstaben?

Die sind sehr gut.

Na, wirklich. Jaja, ich habe nun meinen Namen umgeändert; es ist ganz sonderbar, ihn so geschrieben zu lesen. Es ist nicht mein ganzer Name, denn Benoni wurde ich in dem klaren Bad der Taufe getauft, und wenn ich ein B hinsetze, so ist die Bezeichnung gut genug. Es hat mich ein schönes Geld gekostet, meinen Namen neben den Macks setzen zu dürfen. Aber das ist mir gleichgültig.

Hartvigsen bittet mich, mit ihm in die Bucht hinaus zu rudern, damit auch er selbst das Schild sehen kann. Während wir draußen liegen, kommt mir so der Gedanke, daß es von Mack doch sehr ungerecht sei, sich privat dafür bezahlen zu lassen, daß er den Namen seines Teilhabers neben seinen eigenen setzte. Warum sollte das Geld kosten? Aber Hartvigsen war es gleichgültig. Offenbar war er so bodenlos reich, dieser Mann, daß es ihm nichts ausmachte. Hatte er doch seit dem Frühjahr auch schon eine andere große Ausgabe gehabt, die vielleicht in die Tausende ging: die Auszahlung an Rosas Mann dafür, daß er sich scheiden ließ. Aber all dies ging mich nichts an.

Hartvigsen ruft dem Böttcher und Villads Bryggemand zu:

Streicht die Hand morgen wieder zu.

Sollen wir sie zustreichen?

Ja, ich will sie dort nicht haben.

Dann rudern wir wieder an Land zurück, und Hartvigsen sagt zu mir:

Da können Sie sehen, wäre ich nun nicht gekommen und hätte das so bestimmt, stünde die Hand dort auf der Wand. Was ich sagen wollte: Es geht Ihnen also gut auf Sirilund?

Ja, danke.

Sie hätten es nicht nötig gehabt, von mir fortzugehen. Jetzt ist Martha ein großes Kind, ich brauche einen Hauslehrer für sie.

Ich wandte dagegen ein, daß Martha ja auf die allgemeine Schule gehen könne, wenn die Zeit da sei; aber Hartvigsen schüttelte den Kopf dazu.

Die Sache ist nun die, erwiderte er, das Kind hat gelernt, sich zu verneigen und hat viele gute Kenntnisse bei uns erhalten. Ich muß also einen Lehrer für sie haben.

Da meinte ich, Martha könne später zusammen mit den Kindern der Baronin unterrichtet werden; aber auch diese Ordnung war nicht nach Hartvigsens Sinn.

Ich bin nicht gezwungen, das Kind Almosen annehmen zu lassen, sagte er.

Als wir heimgingen und an Hartvigsens Haus vorbeikamen, lud er mich ein, hineinzugehen. Rosa saß an der Türschwelle, und wir setzten uns zu ihr, es kam ein kleines Gespräch zustande, sie antwortete so gut und leise auf meine Fragen nach ihrer Gesundheit. Hartvigsen bat mich ganz offen, wiederum in sein Haus zu kommen und Marthas Lehrer zu sein: da ich darauf unmöglich eingehen konnte, kränkte ihn das sehr. Und ich sei doch im Frühling zuerst zu ihm gekommen, sagte er. Rosa schwieg.

Jaja, aber seien Sie klug und trauen Sie der guten Edvarda nur halb, warnte Hartvigsen und nickte bedeutungsvoll. Denn sie ist gewiß ein ganz artiges Element, was das betrifft. Ich sage nicht mehr.

Als darauf nichts geantwortet wurde, vergaß Hartvigsen alle Vorsicht und ging weiter:

Ihr Mann hat sich in diesem Winter erschossen!

Rosa wurde rot und blickte tief zu Boden. Nein, Benoni! sagte sie.

Ja, das kann ich Euch erzählen! fuhr Hartvigsen fort und prahlte damit, daß er mehr wußte als andere.

Aber Rosa schien die ganze Neuigkeit ebenfalls schon gewußt zu haben, dennoch fragte sie:

Woher weißt du das? Das ist sicher nur eine erlogene Geschichte. Du solltest nicht so reden.

Hartvigsen erzählte, er wisse es von jemand, der es im Winter in den Zeitungen gelesen habe, und das sei sogar der Diener des Lensmannes. Dies sei gewiß zuverlässig genug. Edvarda selbst sei in Sachen dieses Ereignisses verhört worden.

Wie rein und gut war Rosa in diesem Augenblick! Ich ahnte sehr wohl, daß diese gefährliche Neuigkeit alt und bekannt für sie war; aber sie hatte sich ihrer nicht einmal in der schlimmsten Eifersucht bedient. Ich hätte ihr zu Füßen fallen mögen, dort war mein Platz, dort war auch Hartvigsens Platz.

Ich hatte bis jetzt noch nichts gesagt; als aber Rosa äußerte, Edvardas Mann könne sich ja in einem Augenblick der Sinnesverwirrung getötet haben, nickte auch ich und schloß mich an. Da ließ Hartvigsen voll Ärger sich mit folgenden Worten gegen mich aus:

Jaja, Glück mit Euch zur Reise! Zu mir aber hat sie gesagt, Sie seien eine nichtssagende Person. Damit Sie es wissen!

Und Rosa wagte wohl nicht mehr, ihn zum Schweigen zu bringen, sie erhob sich von der Türschwelle und ging hinein.

Ich fühlte ein starkes Unbehagen und konnte mich der Frage nicht enthalten:

Hat sie das gesagt?

Eine wohlerzogene und nichtssagende Person, das waren die Worte.

Hartvigsen wollte mich diesen Schlag so recht gut fühlen lassen, auch er stand auf und begann dann die Tauben zu füttern, obgleich es spät am Abend war.

Ich wanderte vom Hause fort, vorüber an der grünen Wiese mit den Kühen und weit hinter die Mühle, zum Wald, zu den fernen Höhenzügen hin. Mein Ehrgeiz litt sehr, all meine Wohlerzogenheit war also nur eine nichtssagende Eigenschaft in den Augen meiner Herrin. Ich versuchte es leicht zu nehmen: jawohl, das hat die Baronin gesagt; allein damit ist nichts entschieden, der Himmel stürzt deshalb nicht ein! Ach, aber ich war tief unglücklich. Ich besaß nun allein diese Wohlerzogenheit und sonst nichts in der Welt. Ich war kein verführerischer Jüngling, ich war schmächtig, und in Wahrheit nicht schön von Angesicht, sondern hatte im Gegenteil viele Pickel im Gesicht. Darum hatte ich meinen Eltern gehorcht und viel gelernt und es im Zeichnen und Malen weit gebracht. Wenn ich mich aber für einen stolzen Jäger ausgab, mußte ich zugeben, daß darin mehr Prahlerei als Wahrheit lag, ich war kein Jäger und Wanderer wie Munken Vendt; aber ich hatte vor, mit ihm auszuziehen und seine große Gleichgültigkeit gegen sich selbst zu lernen.

An all das dachte ich und ging und ging, bis ich ungeheuer müde war. Instinktiv hatte ich den dichtesten Wald aufgesucht, wie um mich zu verbergen, nun stand ich vor einem Weidengebüsch, in das ich auf allen vieren hineinkriechen wollte, um ganz einzudringen und mich dann in Frieden hinzusetzen. Es war, als würde ich dazu ermahnt, ja, als zöge Gott selbst mich hierher, damit ich ihm in meiner Unwürdigkeit bei etwas helfen solle.

Auf dem Boden ist dort, wo ich krieche, ein wie von Tieren getretener schmaler Weg. Als dieser aufhört, liegt ein ganz kleiner runder Platz mit einem Wassertümpel vor meinen Augen; überrascht richte ich mich auf und blicke um mich, und der Ort gibt mir den Blick zurück. Noch nie hatte ich auf einem so kleinen und runden Fleck gestanden, es war, als hätte ein Wesen hier im Wasser seinen Aufenthaltsort, sei aber nun durch die Luft entschwunden und habe das Dach mitgenommen.

Als meine erste Überraschung sich gelegt hat, fange ich an, mich in der Todesstille an diesem Ort wohl zu fühlen, das Licht kommt von oben wie durch ein Loch, und niemand konnte mich sehen, ausgenommen von der Luft aus. Hier ist es gut zu sein! denke ich. Da der winzig kleine Tümpel so seicht ist, setze ich mich nieder, um freundlich und bescheiden gegen ihn zu sein. Es gibt Mücken hier, ich beobachte, wie eine einzelne Mücke in einiger Entfernung zu tanzen anfängt, und es dann so einrichtet, daß sie in den Tanz mit den anderen Mücken kommt. Die Oberfläche der Wasserpfütze liegt wie eine dünne Haut da, die Mücken stoßen auf sie hinunter, ohne naß zu werden, Wasserkäfer und andere Flieger laufen auf ihr umher, ohne eine Spur zu hinterlassen. Eine kleine fleißige Spinne ruht in ihrem Netz zwischen den Zweigen aus.

Ich vergesse, daß ich niedergedrückt und in meiner Eigenliebe verletzt bin, hier ist es so gut. Hier gibt es weder rechts noch links, sondern nur ein ringsum; da stehen die Weiden, der Grasgrund steht da, alt und eng ist es hier, die Stätte liegt hier und hat sich von Menschenalter zu Menschenalter vererbt. Und nichts holt mich jetzt ein, ob ich auch hier sitze und die Zeit versäume, hier gibt es keine Stunden, und alles Ziel ist nur ein runder Tümpel, dicht von Weiden umstanden.

Ich will mich zurücklegen und schlafen, ertappe mich aber dabei und führe meinen Vorsatz nicht aus: die Spinne fängt an sich zu rühren, jaja, sie erwartet offenbar Regen. Ich bemerke im selben Augenblick, daß der Teich von Mücken rein gefegt ist und seine Fläche sich jetzt wie Moiree kräuselt. Ich blicke mich weiter um, ein seltsames Unbehagen durchläuft mich, ich entdecke, daß erst vor kurzem jemand auf der anderen Seite des kleinen Teiches gewesen sein muß, einige Weiden sind abgeschnitten, wie um einen kleinen Platz zu schaffen, und die Schnitte sind frisch, sie sind heute gemacht. Ich springe über den Teich, der Boden wird ein wenig erschüttert, obgleich er fest ist, mein Blick fällt auf die Schnitte, und in einer seltsamen Erregung erkenne ich, daß sie mit einer ungeübten linken Hand gemacht sind. Es war wohl eine erst kürzlich gehörte Erzählung, die mich so aufmerksam gemacht hatte. Ich hob die Späne auf und drehte sie nach allen Seiten und überzeugte mich davon, daß ich recht hatte. Warum – warum waren die Weiden abgeschnitten worden? Und warum diese mystische Art der Schnitte? Ich starre diese Wand von Weiden noch länger an, und es läuft mir kalt über den Rücken hinab: dicht vor mir steht ein Steinbild, ein alter Gott.

Oh, so klein und unheimlich ist er, von den Schultern ab ohne Arme und im Gesicht nur klägliche Furchen statt Augen, Nase und Mund. Die beiden Beine sind nur durch einen roh gehauenen trennenden Strich angedeutet, und Füße gibt es überhaupt nicht, das Bildnis muß von Steinen gestützt werden, um stehen zu können.

Zunächst dachte ich, dies sei es, wozu Gott mich an diesem Abend gebrauchen wollte: diesen kleinen Abgott herabzustürzen und ihn in den Teich zu werfen; als aber meine Hand es ausführen wollte, war keine Kraft in ihr, sondern im Gegenteil eine verwunderliche Müdigkeit. Ich sah meine Hand an, was konnte ihr fehlen? Es lief wie ein Welken über die Haut. Von Unheimlichkeit erfüllt, blicke ich von der Hand auf und wieder zu dem kleinen Steinmann, ach, es war eine Schmach gegen Gott, diesem Geschöpf gegenüber schwach zu werden! Es sah genau so aus, als sei es vor langer Zeit einmal größer gewesen, sei nun aber in die Kindheit zurückgekehrt, es war ein Nichts, so eingeschrumpft stand es da mit den stützenden Steinen rings herum. Ich erhebe meine andere Hand gegen das Steinbild, allein die Hand fällt herab, es wiederholt sich das gleiche, auch an meiner linken Hand wird die Haut grau und welk.

Da springe ich über die Pfütze zurück und krieche wieder aus dem Weidengebüsch heraus.

Vom Himmel fallen große Regentropfen.

12

Von Rosas Eltern, den Pfarrersleuten im Nachbarkirchspiel, kam ein Brief nach Sirilund, und er enthielt eine Einladung zur Hochzeit. Zum zweitenmal sollte Pfarrer Barfod seine Tochter trauen. Na, dann war ja wohl alles in Ordnung zu dieser Feierlichkeit; ich hatte bereits das Gerücht vernommen, daß sie in den beiden Nachbarkirchen aufgeboten worden seien. Aber Hartvigsen hatte in letzter Zeit auf bäuerische Art wegen der Hochzeit geheimnisvoll getan. Nicht ein Wort hatte er davon gesagt. Nun, Gottes Wille geschehe!

Es herrschte gegenwärtig ein beständiges Regenwetter, und die Reise mußte in Macks weißem Hausboot vor sich gehen; da aber die kleine Tonna, die eine Tochter der Baronin, nicht ganz wohl war, sollten beide Kinder zu Hause bleiben. Da konnte auch ich die Einladung nicht annehmen. Die Baronin sprach sehr liebenswürdig mit mir und erbot sich, selbst daheim zu bleiben, um mich gehen zu lassen; das aber hatte so wenig Sinn, daß es gar nicht in Erwägung gezogen werden konnte. Martha sollte auch Zurückbleiben, zusammen mit den kleinen Mädchen und mir.

Die Hochzeit fand in aller Stille statt, weil die Braut erst vor so kurzer Zeit verheiratet gewesen war, oh, die Hochzeit war so still, daß sie keineswegs nach dem Geschmack des Bräutigams war, er hätte am liebsten beide Gemeinden eingeladen und ein Gelage veranstaltet, das Ruhm verbreitet hätte.

Hartvigsen sagte zu mir, als er heimkam:

Ich hätte mich gefreut, wenn Sie zu meiner Hochzeit gekommen wären.

Ich dankte und antwortete, dies sei mir aus verschiedenen Gründen unmöglich gewesen. Erstens wäre ich ein Angestellter, und meine Herrin sei selbst eingeladen gewesen. Zweitens hätte ich keinen Frack gehabt, und meine arme bescheidene Wohlerzogenheit hätte mir gesagt, daß bei einer solchen Gelegenheit kein anderer Anzug möglich sei.

Das antwortete ich. Hartvigsen würde meinen letzten guten Grund vielleicht weitertragen, und ich hatte nichts dagegen. Ich hörte übrigens später, daß Hartvigsen auf der Hochzeit in Schaftstiefeln mit Aufschlägen aus Wolfsfell umhergestiegen sei, um den Handelsleuten von den Schären zu imponieren. Als jemand ihn darauf aufmerksam machte, wie lächerlich das an diesem Sommertag sei, erwiderte Hartvigsen: Ich kümmere mich nicht darum, was Mack tut oder nicht tut. Wenn ich an den Beinen friere, ziehe ich gefütterte Stiefel an. Ich habe Stiefel von jeder Art!

Rosa war nun zum zweitenmal eine verheiratete Frau. Punkt zwölf Uhr machte ich bei ihr Besuch und wünschte ihr Glück; sie nahm meine Hand und dankte mir lächelnd. Sie schenkte Wein in unsere Gläser, und ich blieb sitzen. Sie erzählte davon, daß der Lappe Gilbert an der Kirchentür gestanden habe, und daß ihr das unheimlich gewesen sei. Während sie so sitzt und darüber spricht, kommt Hartvigsen heim. Er tut geheimnisvoll und lächelt, auch er trinkt mit uns.

Dann holt Hartvigsen aus der Tasche ein Paket mit vielen Siegeln, er ist stolz und zufrieden und lacht leise.

Da habe ich soeben etwas mit der Post erhalten, sagte er. Es kam einen Tag zu spät, aber ...

Dann öffnete er das Paket und entnahm ihm einen Ring, den er an Rosas Hand steckte.

Da ist nun der Ring, sagte er. Wirf ihn nicht wieder fort.

Rosas Gesichtszüge verändern sich ein wenig. Nein! sagte sie still. Und sie nahm ihn an der Hand und dankte dafür. Der Ring war ein bißchen zu weit. Sie nahm ihn ab, las Hartvigsens Vornamen darin und steckte ihn wieder an.

Hartvigsen aber hat keine Ruhe wegen des übrigen Inhaltes des Paketes. Vielleicht ist noch eine Kleinigkeit darin, sagt er.

Du meine Güte! Was mag das sein? fragt Rosa.

Da nahm Hartvigsen das Paket, zeigte es uns von außen, blickte uns an und war mächtig stolz:

Da könnt Ihr es selber lesen. Der Ring kostet mit Namen und allem nur vier Taler; hier aber ist der Wert auf hundertundzehn Taler festgesetzt!

Hartvigsen will uns auf die Folter spannen. Als ich Miene mache, mich zu entfernen, um nicht länger dabei zu sein, bittet er mich, sitzen zu bleiben.

Dreht euch um! sagt er.

Ich höre ihn mit etwas klirren, dann geht er zu Rosa und sagt feierlich:

Bitte, Rosa! Ich überreiche dir folgende Golduhr und Goldkette!

Rosas Augen wurden weit vor Überraschung, sie stammelt, sie setzt sich nieder. Ach, wie reizend war ihre Verwirrung und wie kam sie von Herzen, sie wurde rot und blaß. Als sie aufstand und ihm für alles dankte, antwortete er, selbst überwältigt: Trag es in Gesundheit!

Dann nahm er die Uhr zurück, um sie aufzuziehen und zu stellen, er war wie ein Kind dabei und saß mit Kinderaugen im Gesicht da. Als ich die Neuvermählten verließ, sagte ich mir im stillen, dies habe so herzlich begonnen, es könne vielleicht doch gut sein, daß Rosa in dieses Haus gekommen sei. Jaja, dann war nichts mehr darüber zu sagen, das Glück hatte Rosa gefunden!

Tage vergehen, es kommt wieder Sonnenschein und Wärme. Über den Nächten liegt ein roter Duft, und die Seevögel spazieren mit ihren Jungen am Strande umher. Es wird dennoch einsam für mich, und zu Rosas und Hartvigsens Haus konnte ich nicht jeden Tag gehen, auch lag darin keine große Freude mehr für mich. Die Baronin kümmerte sich weder um Musik noch auch um mich, so daß ich nur tagsüber, wenn Mack auf dem Kontor und die Baronin nicht im Zimmer war, ein wenig spielte. Im übrigen ging auch ich mit den Kindern spazieren wie die Seevögel mit ihren Jungen.

Aber manchmal war es auch außerordentlich luftig mit den kleinen Mädchen, wenn sie mich auf einem Grasfleck liegend fanden und mich dann überwältigten und sich auf mich setzten, um mich fest unten zu halten. Da drehte ich mich dann langsam um und rollte sie hinunter, sie sprangen wieder auf und nahmen alle Kraft zusammen, um mich zu halten, und Tonna machte sich so schwer, daß sie ganz rot wurde im Gesicht. Besonders wirksam schien es ihnen, wenn sie meine Nase packten; aber sie zogen mich nie an den Haaren. Dann und wann fuhren sie mir über das Gesicht, um die Pickel wegzubekommen, und sie rieben mich mit Speichel und Seewasser, daß meine Haut oft viel röter wurde, als sie war. Es waren besonders gute Kinder. Später aber war ihnen auf Kinderart die Luft gekommen, den Freund zu wechseln, sie hatten angefangen, Jens Kindsvater zu begleiten, wenn er, seinem Berufe nachgehend, die Häuser wegen der Knochen aufsuchte. Zu diesen Gängen holten sie stets die Erlaubnis ihrer Mutter ein. Ach ja, lassen Sie sie gehen, sagte die Baronin; im Winter müssen sie dann wohl ein wenig zu lernen anfangen! Sie war gut gegen die Kinder, und diese wiederum liebten sie sehr. Sie konnten solche Sachen sagen: Wart ein wenig, Mama, ich will kommen und lieb mit dir sein, Mama! Und dann hielt die schlanke, kräftige Baronin sie mit ihren Armen hoch in die Luft.

Oh, diese merkwürdige und schändliche Baronin Edvarda! Und vielleicht war sie verirrter und unglücklicher als irgend eine Frau, die ich gekannt habe, ich weiß es nicht, ich habe nicht viele gekannt.

Es war eines Abends spät. In mir ist kein Frieden, ich bin kurze Zeit in Rosas Haus gewesen und habe eine leise, fast stumme Uneinigkeit zwischen ihr und ihrem Mann herausgehört. Das war so unbehaglich, Hartvigsen sagte beinah nichts, und Rosa antwortete, indem sie schwieg. Als ich vom Haus forteilte, sandte sie mir in der Türe einen schweren hilflosen Blick nach.

Ich wandere wieder in den Wald, mit vielen Gedanken, ich komme zu den Höhenzügen und suche meinen alten Platz mit dem Tümpel und dem kleinen heidnischen Steinmann auf. Wieder krieche ich auf allen vieren den kleinen Pfad in das Weidengebüsch hinein, da halte ich jäh inne, es sind schon vor mir Leute an diesem Ort. Sie sprechen nicht, sie baden, ohne einen Faden am Körper, alle beide mitten in dem kleinen Tümpel. Ich sehe sofort, daß die Frau die Baronin Edvarda ist; den Mann erkenne ich nicht sogleich, sein Haar ist in der Mitte geteilt und hängt naß und lang zu beiden Seiten herab. Da sehe ich an seinen Kleidern, die am Ufer liegen, daß es der Lappe Gilbert ist.

Sie baden, sie tauchen gleichzeitig nieder, er hält seinen Arm um sie. Ich liege wie versteinert da und starre auf sie hin, sie stehen manchmal aufrecht da und sehen einander an, aber es ist kein Blick in ihren Augen, sie keuchen und sind in Ekstase; schließlich tragen sie gleichsam einander aus dem Wasser hinauf auf den kleinen ausgerodeten Platz. Der Lappe bleibt stehen, er atmet, das Wasser trieft ihm aus den Haaren. Die Baronin setzt sich, zieht die Beine unter sich an, legt das Kinn auf das eine Knie und läßt, so sitzend, die Augen umherschweifen. Sie wartet darauf, was er mit ihr tun wird. Da setzt er sich zu ihr, knurrt, faßt sie plötzlich an der Kehle und überwältigt sie. Oh, nun sind sie beide wild, sie beben aneinander, sie verschmelzen mit Armen und Beinen, es ist unsagbar, was sie tun; ein Schrei will aus meiner Brust hervor, bleibt aber stumm, der kleine Götze und ich sind Zeugen, und ich bin ohne Sprache wie er.

Ich finde mich selbst auf dem Rückzug aus dem Gebüsch, und ich muß wohl aus Instinkt vorsichtig gewesen sein, man hört nichts anderes von den beiden am Teich als einen schwachen Gesang der Erbärmlichkeit, es lag ein Verfall und etwas Krankes darin, ja, als käme er pfeifend aus dem Steinbild selbst. Da lagen also wohl die beiden Menschen danach vor dem Gott und brachten keinen besseren Gesang als dieses Pfeifen zustande.

Auf dem Heimweg ist es wie Fieber in meinem ganzen Körper, obgleich es sonnig und warm ist. Sicher haben mich auf diesem Gang durch den Wald die Zweige gestreift und geschlagen, aber ich fühlte nichts und weiß nichts mehr davon. Dagegen sehe ich, als ich zu dem Wald nahe der Mühle komme, daß der Haftelmacher dort mit seinem Spielwerk im Munde steht und zwitschert und die Vögel narrt und sie weckt und zum Antworten bringt. Ich war daran schuld gewesen, daß Hartvigsen die deutende Hand übermalen ließ, nun trug der Haftelmacher vielleicht Groll gegen mich und würde wohl deshalb achtlos weiterspielen, wenn ich vorüber kam. Ich ging gerade auf ihn zu und wollte fragen: Warum gehst du heute nacht nicht schlafen? Als ich nahe kam, zwitscherte er nicht mehr, sondern nahm grüßend die Mütze ab. Da ändere ich meine Frage und sage:

Stehst du so spät in der Nacht noch da und zwitscherst?

Ja, antwortet er.

Willst du nicht schlafen?

Nein. Ich habe die Wache, die Mühle geht.

Aber es sind doch zwei Müller da?

Ja, trotzdem.

Ich bin erfüllt von meinem Erlebnis im Walde und denke: er ist vielleicht eine Art Wache für die Baronin. Und so sage ich vor mich hin: Jaja, es gibt vieles, das eine Wache brauchen kann!

Der Haftelmacher sieht mir an, daß ich nachdenklich bin, daß hinter meinen Worten sicher etwas steckt. Plötzlich sagt er und sieht sich dabei gleichzeitig um:

Ich höre, Sie wissen es.

Ich wollte nicht dieses Mannes Mitwisser sein, allein es nützte nichts, daß ich behauptete, nichts zu wissen, er deutete hinter sich und sagte:

Dort liegt es.

Was liegt dort? Federn? Was ist das?

Ich trat näher, der Haftelmacher kam kichernd nach und erklärte sich: Ja, hier hatte er seine kleine Wache, hier ging er drei, bisweilen vier Nächte in der Woche umher und trocknete Federn auf diesem Segeltuch. Na, das sei keine Schande, Wächter Svend, der jetzt ein großer Schiffer sei, habe früher diesen Posten inne gehabt; einer müsse es ja tun. Ah, was sei doch dieser Mack für ein Draufgänger und ein Wildling, drei-, viermal in der Woche zu baden! Aber in diesem Frühjahr sei es ärger denn je, jede Nacht, vollkommen verrückt! Und immer noch stehe er im Lebenssommer, Gott allein mag wissen, wann für diesen Mann der Winter kam! Vielleicht niemals!

Und ich höre dieser Erklärung zu und vermag meine Gedanken soweit zu sammeln, daß ich fragen kann:

Aber wie trocknest du die Federn bei Regenwetter?

Da schleiche ich mich nachts ins Brauhaus. Ja, früher ging das offener vor sich, habe ich gehört; Wächter Svend, der stand mitten auf dem Hof und trocknete die Federn in der Sonne, und er hatte das Brauhaus Tag und Nacht zu seiner Verfügung, wenn er wollte. Seit aber die Baronin heimgekommen ist, muß der Alte sich in acht nehmen, haha.

Ehe ich ging, fühlte der alte Haftelmacher wohl das Bedürfnis, seine Arbeit etwas weniger verächtlich in meinen Augen zu machen, er scherzte darüber und sagte:

Wie gesagt: einer muß es ja tun. Und Mack selbst wählte mich dazu aus und rief mich ins Kontor und bot mir die Stelle an. Er habe ein Magenübel bekommen, sagte er, und müsse unaufhörlich baden und sich reiben. Und dann sei ich doch außerdem ein solches Genie im Zwitschern, daß ich nachts hier unter den Vögeln umhergehen und als Sonderling gelten könne, falls mich jemand antreffen sollte. Haha, dazu gehört ein guter und unvergleichlicher Kopf, sich so etwas auszudenken. Und dann die Baderei! Und gegenwärtig sind es Ellen, die mit Wächter Svend verheiratet ist, und das Kind Petrine, die ihn abreiben.

Als ich nach Sirilund hinunterkam, war Ole Menneske im Streit mit dem »Oberkörper« wegen Bramaputra, seiner eigenen Frau. Aber diese tolle Bramaputra, – jetzt wieder! Überall war sie, schlich sich von Wand zu Wand und tat unschuldig, wann und wo sie auch ertappt wurde. Daß ihr euch nicht schämt! hörte ich sie, veranlaßt durch mein Kommen, zu den beiden sagen. Ole Menneske sah und hörte nichts, er spuckte aus und lief auf und ab; der »Oberkörper« dagegen lehnte sich an die Küchenwand, um den Rücken frei zu haben. Da stand er auf seinen kurzen Beinen wie auf zwei Pfosten, und oben war er stark und kolossal wie ein Monstrum.

Diese ganze Nacht war von Tollheit erfüllt.

Am Morgen war die Baronin sanft und freundlich, und sie ging umher bleich vor Erloschenheit, müde, ruhebedürftig. Sie hatte geradezu Angst, jemand von uns zu verletzen; wieder lag dieses Hilflose und Verzagte über ihr, wenn sie etwas rasch gesagt hatte und es vielleicht plump geworden war.

13

Sowohl die Baronin als auch Mack haben sich meines Geburtstages erinnert und mir verschiedene schöne Dinge geschenkt; sie müssen das Datum durch die Kinder erfahren haben, die mich einmal darum fragten, und die ich nicht anlügen wollte. Es berührte mich nicht sehr angenehm, daß mein Geburtstag so geachtet wurde; es gab mittags sogar Wein, und Mack sprach ein paar väterliche Worte zu mir darüber, daß ich in die Fremde gekommen sei. Von den Kindern bekam ich schöne Muscheln und Steine, die sie am Strande gefunden hatten, und Alina hatte eine wunderbare Stadt auf einen großen Schachteldeckel für mich gezeichnet. Dieses Bild stellte ich an meine Wand und machte ihr dadurch eine Freude. Klein-Tonna ernannte mich auf einem Papier zu ihrem großen Bruder, und das hatte ihre Mutter für sie geschrieben.

Der Sommer geht zu Ende, im Walde sind rote und gelbe Flecken, und der Himmel ist hoch und weißlich. Der Fisch ist trocken, die Fahrzeuge liegen da und warten auf Wind.

Hätte ich von Ihrem Geburtstag gewußt, so wäre er nicht vergessen worden, sagt Hartvigsen in seiner gutmütigen und drolligen Art zu mir. Kommen Sie jetzt mit mir heim und bleiben Sie eine Weile bei uns sitzen.

Ich gehe mehr als gerne mit und freue mich darauf und freue mich auch, daß Hartvigsen keinen Widerwillen mehr gegen mich hat. Wir treffen Rosa im Hause an, und Hartvigsen will, daß sie Wein und Kuchen bringen soll.

Ich weiß, du tust das mehr als gerne, sagte er scherzend; der Student ist ein gebildeter Mann und ich bin das nicht.

Rosa antwortete nicht darauf, sondern sah gequält aus.

Während Wein und Kuchen aufgetragen wird, redet Hartvigsen weiterhin ganz aufgeräumt und fragt oft: Was meinst du dazu Rosa? Ich weiß nicht, wie du das findest, Rosa? Ja, konnte Rosa ziemlich träge antworten, oder: wie ich das finde! konnte sie sagen und sich gering machen, als sei es bedeutungslos, was sie dazu meine. Plötzlich sagt Hartvigsen ernsthaft:

Jaja, ich weiß schon, warum du in deinem Innern so unverträglich bist. Aber bekümmere dich nur nicht darum!

Rosa schwieg und duckte sich ein wenig.

Ich sah die kleine Martha auf Sirilund, bemerkte ich.

Keine Antwort.

Wieviel Tauben es jetzt seit dem Sommer hier gibt, bemerke ich wieder und sehe zum Fenster hinaus.

Du sollst dich nicht darum kümmern, sage ich! wettert Hartvigsen los und sieht Rosa mit hinaufgezogenen Brauen an.

Sie erhob sich vom Stuhl und ging zum Ofen, wo sie ein wenig stehen blieb, dann setzte sie sich dort nieder, spielte mit den Ofentüren und studierte die Figuren darauf.

Es klopft an die Türe, Hartvigsen steht auf und geht hinaus. Ich höre die Baronin draußen guten Tag sagen.

Soll ich ein wenig spielen? frage ich, und mir ist sehr übel zumute.

Ja, danke.

Während ich zum Klavier gehe, sehe ich durch ein anderes Fenster die Baronin und Hartvigsen miteinander fortgehen.

Ich spiele, was mir eben einfällt, ich fühle mich so tief elend und spiele oft falsch. Als ich aufhöre, sagt Rosa:

Wir könnten zum Fischen hinausrudern, wenn Sie wollen.

Ich sah sie an. Wenn sie mit mir zum Fischen hinausrudern konnte, so wagte sie mehr als früher, es mußte auch mit ihr etwas geschehen sein, vielleicht hatte sie zu trotzen angefangen.

Rosa macht sich bereit, wir gehen zum Schuppen hinunter und nehmen Angelschnur für tiefes Wasser und Haken mit, dann rudern wir hinaus. Unterwegs dachte ich: Was ist nun mitten vor meinen Augen geschehen? Bin ich einzig und allein deshalb in Rosas Haus eingeladen worden, um bei ihr zu sein, wenn Hartvigsen und die Baronin fort wollten?

Das Wasser liegt wie tot da, die Bucht ist spiegelblank. Ich versuche von einem lustigen Mann und Großsprecher zu erzählen: er war Seemann gewesen und bei einem Orkan verunglückt, aber er ertrank nicht; ja. Massen ertrunkener Schwimmvögel lagen rings um ihn her, er aber ertrank nicht.

Lach doch ein wenig! dachte ich; aber Rosa war wohl nicht in der Stimmung zu lachen. Da lachte ich selbst über diesen Seemann, um ihr ein bisschen mit meiner Munterkeit zu helfen.

Ich mache sie darauf aufmerksam, wie die blanke Zinnangel in der Sonne blitzt; wenn ich sie hinunterlasse, ist es ganz wie ein Licht, das im Wasser verlöscht wird. Ja, sagt Rosa nur.

Wie tief niedergeschlagen sie war! Ich sitze da und betrachte ihre Kleider, sie hat ein so hübsches Kleid aus starkem, einfachem Stoff an; das hatte sie auch im Frühling getragen, ehe sie sich verheiratete. Auf der Ruderbank liegt ihre Jacke, auch sie ist durchaus nicht neu, aber gut behandelt; die Knöpfe sind auf der rechten Seite und die Knopflöcher auf der linken, die Jacke ist also gewendet, denke ich, aber auch das ist hübsch gemacht, daran hat sie also gesessen und gearbeitet. Ihr Blick ist so groß und schwer, wenn sie die Augen aufschlägt und mich ansieht; ich fühle es wie eine Woge.

Leben Ihre Eltern noch? fragte sie.

Ja.

Haben Sie Schwestern?

Ja.

Ich habe keinen Bruder! Nach einer Pause fügt sie hinzu und lächelt ein wenig: Doch, ich habe ja Vater.

Ihr Vater ist ein ungewöhnlich schöner Mann.

Ja, schön und glücklich! Und wieder lächelt sie ein wenig und sagt dann: Nur ich war es, die ihn ihr ganzes Leben lang betrübt hat.

Das Wasser fängt an sich zu kräuseln, die Sonne wärmt nicht mehr viel, Rosa nimmt die Jacke um und setzt sich wieder an die Schnur, während ich die Angel benütze. Wir haben einige Fische gefangen, aber es genügt noch nicht zu einer ganzen Mahlzeit, denn sie sind so klein; wir müssen deshalb noch eine Weile aushalten, und Rosa sitzt sehr geduldig da. Ich will ergründen, ob sie vielleicht die Zeit hinausdehnt, weil es ihr widerstrebt, in ihr Haus zurückzukommen, ich sage:

Ihr Ring ist ja etwas weit, passen Sie nun auf, daß er nicht vom Finger gleitet.

Ah, nun hatte sie eine gute Gelegenheit gleichgültig zu antworten: Ja, mag er abgleiten! Sie zuckte jedoch im Gegenteil sofort zusammen; ihr Gesicht verzog sich, und sie nahm die Leine in die linke Hand.

Eine Stunde später haben wir genug für eine Mahlzeit, und wir rudern an Land.

Hartvigsen ist heimgekommen; ganz gutmütig, aber vielleicht nicht ohne Spott, sagt er zu Rosa:

Na, fängst du jetzt an die Küche zu versorgen? Jaja, wir haben vielleicht nichts, ich weiß nicht.

Sind wir nicht tüchtig gewesen? sage ich da.

Ich kann nicht klagen. Jetzt will ich euch den Fisch zubereiten helfen, dann bleiben Sie zum Abend hier und essen mit.

Ich blieb. Es geschah nichts Besonderes mehr, aber der Ton war wenig herzlich, und ich fühlte mich den ganzen Abend nicht wohl. Hartvigsen machte sich dies und das zu schaffen und ließ uns allein, lange Zeit stand er draußen und schwätzte mit einem Mann auf dem Weg, dann schüttete er den Tauben, die bereits in ihren Schlag gegangen waren, ein Maß Erbsen auf den Hofplatz. Aus all diesem entnahm ich, daß seine Eifersucht auf mich nachgelassen hatte; ich hatte nichts dagegen, aber Rosa schien keinen Wert darauf zu legen. Sie ging in der Stube umher und ordnete da und dort etwas und schloß wie in Gedanken den Deckel des Klaviers. Sie wollte mich also nicht in Versuchung führen, das Angebot zu machen, heute abend vorzuspielen, dachte ich. So war es wohl.

Da hielt ich denn tapfer aus mit gleichgültigem Gerede, obwohl mir das Herz so wund war. Als Hartvigsen wieder hereinkam, stand ich auf und nahm Abschied.

Auf dem Heimweg beschloß ich, mich zu beeilen und das Bild von Macks Stube fertig zu malen. Und wenn ich Rosas Rotweinglas recht sauber und schön gemacht hatte, wollte ich Rosa das Bild bringen. Hartvigsen hatte mir früher erzählt, daß er mit den Fahrzeugen aus Bergen eine ganze Menge Rahmenleisten bekommen würde.

Während ich eines Nachmittags dasitze und an diesem Bilde male, kommt die Baronin herein und überrascht mich, indem sie religiöse Saiten anschlägt. Wie zerrissen und unglücklich sie war. Sie griff sich an die Brust, so daß mehrere Haken aufgingen, es war, als wollte sie ihr Herz herausreißen. Sie sagte:

Hier ist ja nirgends Frieden. Aber vielleicht haben Sie Frieden?

Ich? Ach nein.

Nicht? Dann sollten Sie vielleicht ein wenig auf die Jagd gehen. Jetzt ist es bald erlaubt. Sie sollten im Wald drüben etliche Schüsse lösen. Das würde Sie auffrischen.

Ich dachte: Es ist doch nicht von mir und meinem Frieden die Rede; würde sie dann hinausgehen und meine Schüsse aus dem Wald hören und an Glahns Schüsse von vor langer Zeit denken?

Ich habe vor, bei Barfrost auf die Jagd zu gehen, sage ich.

Sie steht auf, geht ein wenig in der Stube umher, sieht zu den Fenstern hinaus, wirft sich wieder auf den Stuhl und äußert einige lobende Worte über mein Bild. Aber ihre Gedanken sind ganz wo anders. Ich sehe sie mitleidig an, sie hat keinen Platz in meinem Herzen, aber ich wünsche ihr alles Gute, es war so viel Trauriges und Verirrtes über ihr.

Nicht daß ich von höheren Dingen reden möchte, sagte sie; aber nein, ich verstehe ja gar nichts! Und warum sollte ich immer weiter fortgehen, Schritt für Schritt? Ich tummelte mich hier als Kind und lehnte meine Wange an die Gräser, um gut gegen sie zu sein. Ja. Und es ist im Grunde nicht so lange her, finde ich, nicht viele Menschenalter. Aber was ist aus den Grashalmen und den Wegen und aus allen Dingen geworden? Ich gehe hier umher und betrachte sie mit anderen Augen; was ist also aus mir geworden? Das Kind ist fort, jawohl. Aber hier sind doch Leute, die gehen umher und sind die gleichen, Jens Kindsvater ist innerlich derselbe, der Lappe Gilbert ist derselbe. Aber ich habe mich entwickelt, ich bin eine ganz andere. Ich bin so schlecht, daß ich mich auslachen würde, wenn ich jetzt die Wange an einen Grashalm legte. Aber Jens Kindsvater und der Lappe Gilbert haben immer noch ihre kindischen Gewohnheiten und pflegen sie mit den gleichen Gefühlen. Hätte ich den bekommen, den ich liebte, und wäre ich hier geblieben und in den Wäldern und Wegen umhergegangen, dann hätte ich vielleicht meinen Frieden behalten, was glauben Sie? Es muß doch das Leben selbst sein, das mich in etwas Feindliches hinausgestoßen hat, und warum tat das Leben das? Das, von dem ich mich weg entwickelte, war besser als das, was ich dafür erhielt, ich kam in ein gebildetes und reiches Heim, dort gab es kein Gras und keine Wege, ich lernte mancherlei, ich lernte ein wenig besser sprechen, – oh, der hinkende Doktor, den wir einmal hier hatten, würde mich jetzt nicht wiedererkannt haben! Was weiter? Es hat doch einmal einen gegeben, der ebenso fehlerhaft sprach wie ich, aber er machte mich innerlich hochrot vor Freude. Wenn er etwas Falsches tat oder sich festrannte und sich nicht ausdrücken konnte, da fühlte ich, wie gut das war, wie gut das war, – tu das nur, verrenne dich nur noch mehr, oh! Dann war er ja nicht geschickter als ich und nicht von einer anderen Rasse, wir beide kannten das Gras und ein Dutzend Menschen, und die kannten uns wieder, wir sahen gegenseitig unsere Spuren auf den Wegen und im Gras und warfen uns darüber hin und küßten sie. Ein Schuß fern dort auf der Höhe, eine Rauchwolke steigt von den Baumwipfeln auf, Äsop freut sich irgendwo, weit weg, ich höre ihn winseln, – was tue ich? Ich fahre über die Blätter hin, streichle einen Wacholderbusch und küsse meine Hand, die das getan hat. Geliebter! flüstere ich, und es tönt in mir, wie von vielen Geigen. Ich nehme meine Brüste heraus und halte sie ihm entgegen, um ihm für seinen Schuß für mich wiederum etwas Gutes zu tun. Mein Leben gehört ihm, ich sehe nichts vor Erregung, der Weg schaukelt, ich falle zu Boden. Erst, wenn ich ahne, daß er kommt, und ich den Strom fühle, der von ihm ausgeht, stehe ich auf und warte auf ihn. Dann kann er nichts sagen, was ist auch zu sagen? Aber ich weiß, wo eine Brust ist, an der sich's ruhen läßt, wie an einer ganzen Welt des Guten, und ich werde in seinem Wildatem begraben.

Einen Augenblick hält die Baronin in ihrer exaltierten Rede inne. Ich habe zu malen aufgehört, die Sonne ist von Rosas Glas weggegangen.

Machen Sie nun Schluß für heute und gehen Sie mit mir hinaus! sagt die Baronin.

Ich räume auf und komme mit. Sie wirkt so bitterlich hilfsbedürftig auf mich, und ich versuche ihr durch kleine Aufmerksamkeiten wohlzutun. Ich erinnere mich von diesem Spaziergang, daß sie ruhiger wurde, nachdem sie gesagt hatte:

Ach Gott, wie roh ist das Leben, einer frißt den anderen. Wir schlagen einem Huhn den Kopf ab und essen es, wir brauchen Gewalt gegen ein kleines Schwein, töten und essen es. Wir zertreten die Blumen auf den Wiesen. Wir bringen die Kinder zum Weinen, sie sehen uns mit den Augen an und weinen. Ach, wie sich in mir alles umdreht vor Ekel vor dem Leben!

Und doch ist es vielleicht besser als zu sterben.

Ja, und doch ist es vielleicht besser als zu sterben, ich weiß es nicht. Sie sagen da etwas, es ist vielleicht besser als zu sterben.

14

Ehe die Fahrzeuge fortsegeln, mache ich eines Abends die Bekanntschaft von Wächter Svend, der mit Ellen, dem Stubenmädchen, verheiratet ist. Nun sollte sein Kamerad und Kollege auf dem Schiff, Ole Menneske, seine Frau als Köchin auf dem Funtus mitnehmen; das war eine gute Anordnung, so konnte er seine liebe Bramaputra gleich unter strenger Beobachtung halten. Wächter Svends Frau dagegen wollte ihren Mann nicht auf seiner Schute begleiten, sie berief sich auf ihr allzu kleines Kind, das sie nicht mitnehmen könne.

Wächter Svend war einmal mißtrauischer gegen seine Frau gewesen als jetzt. Man erzählte sich von ihm, daß er sie an einem Weihnachtsabend mit einem langen Messer hatte töten wollen; jetzt ließ er sie ganz ruhig auf Sirilund Zurückbleiben, indessen er für Monate fortsegelte. Hartvigsen sagte von ihm, er sei so verstockt geworden, und damit meinte er gewiß stumpf. Ich hatte oft gesehen, wie Ellen sich mit zärtlicher Treulosigkeit an ihren Mann anschmiegte, und das waren nur Kunststücke gewesen, Wächter Svend hatte sich nicht darum gekümmert. Sie pflegte spät in der Nacht von Macks Bad zu kommen und sah uns, wenn sie uns traf, mit trägen, schweren Augen an und ging vorüber. Sie schämte sich nicht, ihr Gang in Macks Haus war allen so bekannt, und Wächter Svend selbst blickte nur gleichgültig auf und rauchte an seiner Pfeife weiter. Vielleicht hat es ihn viele Qualen gekostet, zu dieser Ruhe zu gelangen; einmal hatte er das Messer in sie hineinstoßen wollen, das war lange her, das war im Anfang; aber das war nicht jetzt! Warum sollte er sich selbst ins Gefängnis bringen? Freilich konnte man es auch so machen, daß man vor Liebe ein Verbrechen beging; aber es gab auch noch einen anderen Weg: abzustumpfen, so daß man auf dem Weg des Rechtes und der Tugend blieb. Beide Arten waren stark und gut, jede in ihrer Weise.

Während ich dastehe und mit Wächter Svend über seine bevorstehende Reise und verschiedenes Andere rede, kommt Hartvigsen aus dem Kontor. Schon von weitem deutet er über die Achsel und sagt:

Jetzt habe ich mir da drinnen ein schönes Stück Geld verdient.

Das sei Ihnen wohlvergönnt! sagt Wächter Svend. Diese beiden Männer waren stets gute Freunde.

Hartvigsen fährt fort:

Jaja, es ist zwar nur von meinem eigenen Kompagnon, aber deswegen ist es ebensogut. Wir haben einen Vertrag darüber gemacht.

Es stellte sich heraus, daß Hartvigsen persönlich die Versicherung für die Fahrzeuge und die Last auf der Fahrt nach Bergen übernommen hatte. Der feine und tüchtige Mack war nun in all diesen Jahren vorsichtig gewesen und hatte gut versichert, aber nie war ein Unglück geschehen; darum mischt sich Hartvigsen dieses Jahr hinein und widersetzt sich dieser großen und dummen Ausgabe. Als vorsichtiger Handelsherr hatte Mack jedoch keinen Ausweg gewußt. Das einzige wäre, daß du privat die Versicherung übernähmest, Hartwich, sagt er.

Da schwillt Hartvigsens Selbstgefühl mächtig auf und er fühlt sich unvergleichlich vor sich selbst und vor Mack. Nun besaß er die Macht, es kostete ihn nur ein Wort. Und er sprach das Wort aus.

Das war bereits im Sommer gewesen. Die Abmachung hatte ihre Gültigkeit behalten und heute würde das Dokument darüber aufgesetzt werden; es sollte auf dem Herbstthing verlesen werden.

Nun erwarte ich also von dir, Wächter Svend, daß du dein neues Schiff heil und ganz nach Bergen und wieder heimbringst! sagt Hartvigsen feierlich.

Wächter Svend antwortet:

Ich will es versuchen. Es soll mir nicht an gutem Willen fehlen.

Hartvigsen fährt fort:

Und das gleiche erwarte ich von Ole Menneske auf der Galeasse. Freilich hat er ein Weibsbild an Bord; aber so unaufgeklärt bin ich nicht, daß ich dem soviel Gewicht beilegte.

In diesem Augenblick verläßt Mack sein Kontor. Er nickt uns zu, und Wächter Svend und ich nehmen den Hut ab zum Gruß.

Gute Nacht, antwortet Hartvigsen absichtlich gleichgültig, um uns zu zeigen, daß er Mack anders behandeln kann als wir.

Einige Zeit später kommt Ellen über den Hof. Sie hat wohl Mack das Kontor verlassen sehen und hat die schickliche Zeit abgewartet. Hartvigsen und Wächter Svend tauschen einen Blick. Aber Hartvigsen ist ein so mächtiger Mann, er hat seine Fahrzeuge bei sich selbst versichert, er will sich in mehr einmischen und macht seine Bemerkungen dazu:

Jetzt legt er sich wohl wieder in lauwarmes Wasser; der Teufel verstehe meinen Kompagnon!

Nein, sagt Wächter Svend auch und raucht heftig.

Aber das will ich dir nur sagen, Wächter Svend, du solltest deine Frau für zu gut dazu halten, daß sie ihn so oft abreibt.

Was? Ach, das soll sie nur so machen wie sie meint, antwortet Wächter Svend und klopft die Pfeife aus.

Na, jaja, sagt Hartvigsen da auch, und sein Schiffer tut ihm wohl leid. Aber sie geht von ihrem Kind weg. Na ja, es wird wohl nur so eine kleine Nächstenliebe sein, ich weiß nicht.

Zu mir aber sagte Hartvigsen dann, als wir zusammen zu seinem Haus gingen:

Ich muß versuchen, meinem Kompagnon ein wenig zuzusprechen, ich bin der einzige dazu. Er hat eine und zwei bei sich im Bad, und glauben Sie nur ja nicht, daß sie ihn so fest abreiben. Nein, er ist ganz verrückt, der packt fest zu. Ich will nun nichts mehr davon wissen.

Es war schon wieder lange her, daß ich Rosa gesehen und mich darüber gefreut hatte, sie gesund und frisch zu finden. Wie gewöhnlich in letzter Zeit verließ Hartvigsen uns auch diesen Abend und ging aus dem Zimmer, Rosa sprach lebhafter und war ruhiger.

Ja danke, ein Tag vergeht nach dem anderen, sagte sie. Und Euch geht es gut auf Sirilund? Es ist nun schon eine ganze Weile her, seit ich dort war. Wie ist Edvarda?

Sie ist die beste Herrscherin, die ich bekommen konnte. Und die Kinder sind entzückend.

Sie sind stark gewachsen in diesem Sommer, sagte sie zu mir.

Und als sie sagt, daß ich gewachsen sei, freue ich mich und bin stolz darüber, ich fühle, daß ich rot werde, und sehe zum Fenster hinaus.

Wie die zwei Tauberiche doch stets sich gegenseitig bewachen, sage ich.

Die Tauben? Sind die jetzt draußen?

Hartvigsen füttert sie. Die zwei Tauberiche können einander nicht leiden, sie gurren und schnurren wie Kreisel.

Rosa kam ans Fenster und sah hinaus. Sie trat dicht an mich heran und war mir nahe. Es strömte eine freundliche und zarte Weiblichkeit von ihr aus, ganz ruhig beugte sie sich noch ein wenig weiter vor, um auf die Seite des Hofplatzes zu sehen, sie stützte sich gegen das Fenster, ihre Hand war groß und schön. Ich hatte das Gefühl, daß sie nicht die ganze Zeit zum Fenster hinaus sah, sondern einen Blick auf meinen Kopf herabwarf, über meinen Nacken und Hals hinab, ich fühlte ihren Atem. Ja, ich hätte vielleicht wegrücken müssen, um ihr Platz zu machen, aber es schmeckte gut, so zu sitzen.

Sie sind eifersüchtig aufeinander, sagte ich von den Tauberichen. Und was sagte ich noch? Vielleicht sagte ich kein Wort mehr, aber es dröhnte danach in meinen Ohren, als hätte ich lange gesprochen.

Rosa stieß sich selbst aus dieser gebeugten Stellung am Fenster zurück, als stieße sie ein Boot vom Ufer ab, sie sah mir einen langen und wunderbaren Augenblick ins Gesicht, ich hatte wahrscheinlich mit bebender Stimme gesprochen und mich verraten.

Ja, die Eifersucht ist vielleicht ganz gut, sagte sie sanft, die gehört wohl zur Liebe, ich weiß nicht.

Ja, das tut sie wohl.

Aber Liebe kann sicherlich nicht von Eifersucht leben, nicht auf die Dauer.

Nein.

In mir steht bei ihren Worten eine wahnsinnige Freude auf: die Eifersucht hatte sie mit dem Mann in diesem Hause vereinigt, aber sie trug keine Liebe mehr zu ihm; mich hatte sie an diesem Abend in einem neuen Licht gesehen, ich war gewachsen und groß geworden, der Anblick meines Nackens und Halses hatte ihr nicht mißfallen, ich hatte ihren Atem in meinem Haar gefühlt.

Da stammle ich etwas:

Ich will nur – Sie sind so merkwürdig heute abend. Gott, ich habe noch nicht Ihresgleichen gesehen, Sie sind die einzige, die – nein, aber ich glaube. Sie sind die schönste Frau auf der Welt. Ja. Und ich möchte Ihnen nur danken.

Was ist mit Ihnen? sagt sie und lächelt nachsichtig; aber ihr Gesicht färbt sich rot. Sie sind doch wohl nicht verliebt in mich? Nein, weit entfernt. Sie sind so jung. Nein, was wollen Sie?

Ich war aufgestanden und hatte die Hand weit vorgestreckt, ich wagte nicht zu gehen. Und als ich ihre letzte Frage hörte, die kurz und scharf lautete, sank ich wieder in den Stuhl zurück.

Seien Sie nun ruhig! höre ich sie sagen.

Ab und zu sieht sie mich an und scheint darüber nachzudenken, wie sie mich beruhigen könnte. Da sie ängstlich geworden ist, will ich sie beruhigen, ich fange an von meiner Schwester zu sprechen, davon, daß Rosa heute abend so schwesterlich sei, daß es so gut sei, mit ihr zusammen zu sitzen. Zum Teil erfand ich das alles nur, ich hatte keine große Schwester, wohl aber eine kleine. Und Rosa schien mir auch nicht recht zu glauben, sie war älter als ich und durchschaute mich sicherlich.

Ich möchte Ihnen dafür danken, daß ich hierher kommen darf, sage ich.

Und als sie nun beruhigt ist, lächelt sie wieder und antwortet: Sie sind so weit fort von den Ihren! Sie kommt mir ein paar Schritt näher, legt den Kopf auf die Seite und schaut mich an, während sie weiterspricht: Wie ist das mit Ihnen? Ja, Lieber, kommen Sie, kommen Sie jeden Tag. Wollen Sie nun ein bißchen spielen? Nicht? Aber dann müssen Sie jetzt vielleicht gehen.

Ach nein?

Doch, dann gehen Sie heim und legen sich nieder und werden ruhig. Glauben Sie nicht?

Ich erfasse ihre Hand und küsse sie fest und lange.

Machen Sie uns nicht unglücklich! hörte ich sie sagen.

Ich finde mich auf dem Stuhl wieder, draußen auf dem Gang ertönen Schritte, Hartvigsen kommt wieder herein.

Wollen Sie nicht ein wenig vorspielen? fragt er.

Es ist so spät. Nein danke, es ist bald Nacht.

Aber morgen ist auch ein Tag! sagt Rosa.

Sie war so sanft und wunderbar, sie und Hartvigsen begleiteten mich hinaus und gaben mir die Hand.

Hartvigsen zeigte sich gegen alle Gewohnheit besorgt um seine Frau, er sagte:

Wir haben nicht mehr den warmen Sommer, Rosa, nimm einen Schal um.

Ich friere nicht, antwortete sie.

Ja, vielleicht haft du keinen Schal, fährt Hartvigsen fort. Aber du kannst dir ja im Laden einen auf Hartwichs Konto geben lassen, dächte ich! Dabei lachte er mir zu.

Auf dem Heimweg drehte ich mich viele Male um und sah zurück. Ich fand einen kleinen Trost darin, daß ich mir einbildete, Rosa fühle sich vielleicht jetzt etwas einsam, nachdem ich gegangen war.

Ich komme nach Sirilund. Mack schaut im Nachthemd aus seinem Fenster im ersten Stock heraus und spricht mit Ole Menneske unten auf dem Hof. Mack ist also keineswegs schlafen gegangen, er ist frisch und feurig nach dem Bad und hat einen klaren Kopf.

Du kannst vielleicht noch heute nacht absegeln, sagte er zu Ole Menneske. Ich wollte dir nur noch sagen: Wenn du von der Reise heimkommst, sollst du die Galeasse auf die andere Seite des Leuchtfeuers in die Außenbucht legen. Sie kommt in diesem Winter nicht nach dem Lofot, sie soll aus dem Wasser und bis zum Frühjahr hergerichtet werden.

15

Der Siebenschläfertag ist vorüber. Die Fahrzeuge sind mit den Klippfischen nach dem Süden gesegelt, und die Trockenfelsen liegen verödet da. Schon fängt der Wald an sich zu entlauben.

Auf Sirilund ist es gleichsam ruhiger geworden. Wächter Svend und Ole Menneske haben einige Leute mit sich genommen und sind nun fort, und Bramaputra, die Ursache vieler munterer und gefährlicher Unruhe unter den Männern, ist ebenfalls ihres Weges gezogen. Ah, aber es sind noch eine Menge Menschen zurückgeblieben, alle die Schauerleute, die Ladengehilfen, die Knechte, der Schmied, der Bäcker, der Böttcher, zwei Müller, alle Frauen, der Haftelmacher, der Oberkörper, Jens Kindsvater, der Gemeindearme Fredrik Mensa, der im Bett liegt und Nahrung zu sich nimmt und nie vom Leben erlöst wird.

Nein, Fredrik Mensa wurde nicht erlöst. Ein Jahr lang liegt er nun schon da und wird immer mehr und mehr zum Kind. Er aß viel, und seine Kräfte nahmen nicht ab, aber seine geistigen Fähigkeiten waren vom Alter abgestumpft; fragte man ihn etwas, antwortete er: Bobo! und sonst lag er lange Zeit da und kämpfte mit seinen Händen in der Luft und stieß sinnlose Töne gegen sie aus. Mit jedem Tag wurde er älter, aber jeden Morgen erwachte er wieder mit der gleichen Gesundheit, der der Tod nichts anhaben konnte. Für den Haftelmacher, der jetzt sein Genosse in der Kammer geworden war, war er ein großes Kreuz.

Zwischen dem Haftelmacher und dem Oberkörper war eine lächerliche Freundschaft entstanden, beide entbehrten Bramaputra und würden ihr gerne nach Bergen geschrieben haben, wenn sie es Ole Menneskes wegen gewagt hätten. Schwer und mißgestaltet wankt der Oberkörper auf dem Hofplatz hin und her; er trägt das Brennholz für alle Öfen aus dem Schuppen ins Haus, und seine Lasten sind ungeheuer. Aber sein Gang ist langsam, und man hört seinen Schritt von weitem, wenn er auf seinen beiden Pfosten den Weg einherstapft. Die berghohe Holzlast, die er in einer Kraxe auf den Schultern trägt, ist wie nichts für diesen Riesen, stundenlang kann er mit dieser Bürde dastehen und mit jemand schwatzen, dem er begegnet; wenn er aber dann wieder geht, ist er so vorsichtig wie ein Kind. Bei der Küchentüre setzt er die Last ab und bringt sie in kleineren Abteilungen in das Haus. Ja, denn er fürchtet wohl, daß sonst die Treppe zusammenbrechen könnte.

Die Freundschaft zwischen dem Oberkörper und dem Haftelmacher ist aber darum so lächerlich, weil sie von seiten des Haftelmachers voller Bubenstreiche und Verhöhnungen ist. Der schlaue Haftelmacher gibt nur acht, daß er sich in sicherem Abstand von dem Zyklopen hält und treibt von dort aus mit lauten Spottworten und Spitznamen das arglistigste Spiel. Nun ist ihm auch noch der Einfall gekommen, eigens für den Oberkörper zu zwitschern. Er wartet ab, wenn der Hüne den Schuppen verläßt, und dann schmettert er los und zwitschert im Takt zu den Schritten des Oberkörpers. Wenn der Oberkörper über den Hofplatz stapft, folgt der Haftelmacher hinten nach und zwitschert aus Leibeskräften den Takt dazu. Eine Zeitlang geht der Oberkörper geduldig weiter, dann wechselt er, so gut er vermag, den Schritt und kommt aus dem Takt; aber das durchdringende Vogelgezwitscher holt ihn augenblicklich ein, und wieder geht er fest im Takt. Erst bei der Küchentüre kommt die Erlösung. Dort aber sieht sich dann der Oberkörper um, mit Augen, die auf Blutvergießen deuten. Am Abend aber ist er wieder genau so langmütig wie sonst.

Hartvigsen hat so viele seltsame Einfälle, eines Tages fragt er mich im Laden, ob ich ihm den leichtesten Weg nach Jerusalem sagen könne.

Es stehen einige Kunden da und kaufen ein, und beim Branntweinausschank steht der Lappe Gilbert und trinkt ein oder zwei Viertelpinten Schnaps. Ich dachte, Hartvigsen stelle seine Frage im Übermut, um den Ladengehilfen und den Fremden zu zeigen, daß nichts mehr für ihn unmöglich sei, daß er sehr wohl nach Jerusalem reisen könne. Ich antwortete deshalb nicht ernsthaft darauf, sondern bemerkte nur: Hoho, ganz bis nach Jerusalem? Das ist eine lange Reise!

Ja. Aber es läßt sich doch wohl machen, dorthin zu kommen?

Ganz bestimmt.

Aber Sie wissen den Weg nicht?

Ach nein.

Können Sie nicht den Leuchtturmwächter für mich fragen? Wir vertragen uns nämlich nicht mehr recht gut.

Wenn Sie es wirklich wissen wollen, dann will ich den Leuchtturmwächter fragen.

Ja, ich will es wissen.

Die Ladengehilfen und der Lappe Gilbert und die Kunden standen verwundert still, und Hartvigsen sah das sehr wohl, er machte sich feierlich und sagte:

Das ist nun etwas, das schon von Kind auf in mir gelegen hat, daß ich einmal in dieses weltberühmte Judenland reisen möchte.

Da wiegt der Lappe Gilbert den Kopf: Hartvigsen sei allmächtig geworden und könne tun, was er nur wolle. Da sind wohl viele Länder dazwischen, sagt er, und ist dort das Meer und das Tageslicht und die Menschen wie hier? Gott bewahre mich!

Und der Lappe Gilbert, der in dem Rufe stand, alle Neuigkeiten umherzutragen, beeilte sich nun auch, sein Schnapsglas zu leeren und sich zum Gehen fertig zu machen.

In diesem Augenblick kam die Baronin zur Türe herein.

Gespannt beobachtete ich sie und den Lappen. Nicht eine einzige kleine Veränderung in ihrem Gesicht verriet sie, starr und unbekannt blickte sie ihn an, er war ein Fremder für sie. Oh, sie besaß die merkwürdige Macht ihres Vaters, alle zu zügeln, wenn sie wollte, wie eine Königin schritt sie vorbei, ging hinter den Ladentisch und ins Kontor hinein.

Der Lappe Gilbert grüßt: Bleibt in Frieden! und verläßt den Laden.

Ich teile nun Hartvigsen mit, was ich mir in Eile ausgedacht hatte: er könne durch Europa nach Konstantinopel reisen und von dort zu Schiff an einen Ort in Kleinasien. Aber das würde Sprachkenntnisse erfordern und sehr lange dauern.

Ich wußte nicht bestimmt, warum ich nichts dagegen hatte, daß Hartvigsen so weit fortreiste. Ich fing an, mich darüber zu freuen und sagte:

Ich will den Leuchtturmwächter genau ausfragen.

Und fragen Sie ihn insonderheit nach der leichtesten Art, sagt Hartvigsen. Denn wir sind zwei auf der Reise, ein Mann und eine Dame.

Mir stockte der Atem, auf einmal verstand ich nun, warum ich mich darauf gefreut hatte, ihn fort zu wissen. Jetzt änderte sich alles, wenn Rosa mitfahren sollte, hatte ich keine Freude mehr.

Es ist eine gefahrvolle Reise, sage ich. Ich werde darüber nachdenken, aber ich wage nicht, den Leuchtturmwächter zu fragen. Nein, das kann ich nicht tun.

Hartvigsen sieht mich erstaunt an. Die Baronin tritt aus dem Kontor, Hartvigsen hält sie an und teilt ihr mit, daß ich mich weigere, den Leuchtturmwächter um den Weg nach Jerusalem zu fragen. Sie schien durch diese Geschwätzigkeit Hartvigsens ein wenig belästigt zu sein, sagte aber lächelnd:

So, jaja. Aber warum? Das ist doch sonderbar. Haben Sie Angst, Herr Hartwich und ich könnten auf der Reise umkommen?

Und wieder stockte mir der Atem, und Freude blühte wieder in mir auf. Ach, ich fühlte keine Scham, die Liebe führte mich irre, und die Liebe ist so hart.

Ja, stammelte ich, es ist eine gefährliche Reise. Ah, aber sie ist natürlich nicht unmöglich, im Gegenteil. Ja, da Sie beide es wünschen, will ich mit dem Leuchtturmwächter reden. Ich will ihn noch heute aufsuchen. Wahrhaftig.

Die Baronin wollte es weniger ernst machen und sagte mit einem leisen Lachen:

Na, so eifrig brauchen Sie es nun nicht zu nehmen.

Ich aber nahm es eifrig, ich hatte kein Schamgefühl, ich ging zum Leuchtturm und wollte nach besten Kräften darauf hinarbeiten, Rosas Mann von uns zu entfernen. Wie verdorben war ich! Nicht einen Augenblick dachte ich daran, daß Rosa sicher traurig sein würde, wenn Hartvigsen in Gesellschaft einer anderen Frau fortreiste, ja, an so etwas dachte ich gar nicht.

Ich kam nicht in den Leuchtturm hinein. Als ich im Begriff war, die Treppe zur Stube hinaufzusteigen, rief mich der Leuchtturmwächter zurück. Er stand in seinem kleinen Schuppen und machte sich mit dem Holz zu schaffen.

Nach einigen Umschweifen kam ich auf mein Anliegen zu sprechen. Der Leuchtturmwächter hörte zu, grinste verwelkt und schüttelte den Kopf:

Nach Jerusalem, der! laßt Euch nicht in den April schicken, junger Mann. Das ist nur – verstehen Sie Französisch?

Ein wenig.

Das ist nur blague. Und dazu die kleine Edvarda!

Sie denken gewiß ernsthaft daran, sage ich.

So. Der Emporkömmling, jetzt hat er keinen Frieden, bis er nicht seine paar Schillinge zugesetzt hat. Was bleibt ihm dann schließlich zur Grütze. Den Weg nach Jerusalem? Es gibt tausend Wege. Will das Gesindel als Pilgrime gehen, sind sie so religiös geworden? Plötzlich ruft der Leuchtturmwächter aus: Aber Tod und Teufel, Rosa, was sagt denn sie dazu?

Daran dachte ich zum erstenmal und konnte nicht antworten.

Der Leuchtturmwächter redet weiter, steht still, denkt nach und redet weiter. Schließlich findet er die Reise gar nicht so verrückt: Sie sind imstand und machen sie, sagt er, die kleine Edvarda ist gar nicht so dumm! Und warum sollten sie nicht diese kleine Reise machen und in ihrem Leben ein wenig mehr sehen als Sirilund? Sie werden an fremde Küsten kommen, die Sonne ist heißer, im Meer gibt es fliegende Fische. An Land gehen die Menschen in seidenen Kleidern, die Männer tragen rote Mützen und rauchen Zigaretten. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr finde ich, sie sollten reisen und ihre Dorfluft ein wenig auslüften, sagen Sie ihnen das. Ach, Sie ahnen nicht, was Griechenland ist, junger Mann!

Der Leuchtturmwächter Schöning vergißt sich ganz und zeigt nun sein warmes Gefühl, was ihm sicher widerstrebt. Er lebt auf bei der Erinnerung an die fremden Länder, die er besucht hat, seine Augen werden glänzend. Nein, so etwas, wollen sie wirklich hin! sagt er. Ja, daran tun sie recht, das ist ausgezeichnet. Sie kommen nach Griechenland. Den Weg nach Jerusalem, sagen Sie? Es gibt nur einen Weg nach Jerusalem. Sie fahren mit einem Klippfischschiff von Bergen nach einer Stadt im Mittelmeer, nach Griechenland. Von dort ist es nicht weit bis Joppe. Dann reiten sie auf Araberpferden nach Jerusalem. Sagen Sie ihnen das. Ich will gerne alles aufschreiben, wenn sie es wollen. So ein Teufelsweib, diese Edvarda!

Am nächsten Tag kommt Leuchtturmwächter Schöning mit einer Reiseroute zu mir, ja, mit einer Skizze über die ganze Fahrt. So sehr interessierte er sich, er war Feuer und Flamme. Sie sollen gleich das Postschiff nach Bergen nehmen, sagte er, gerade jetzt gehen die Klippfischschuten zum Mittelmeer hinunter, sie sollen diesen düsteren Ort noch vor dem Winter verlassen, dort, wo sie hinkommen, sind Palmen, dort gehen in Seide gekleidete Menschen an den Küsten. Können Sie nicht mitreisen, als ihr Dolmetscher? Verstehen Sie Englisch?

Nein.

Aber Französisch ist auch gut.

Ich übergebe Hartvigsen den Plan des Leuchtturmwächters und sage kein Wort davon, daß ein Dolmetscher auf der Reise nötig ist. Im Gegenteil, ich sage: die wenigen Worte, die man wissen muß, weiß sicher die Baronin, und außerdem sei Hartvigsen selbst ein Meister im raschen Lernen, er könne sich in Bergen einen Sprachführer kaufen.

Damit ist Hartvigsen einverstanden.

Eines Nachts gehe ich zu Rosas Haus und streiche über die Klinke an ihrer Türe und setze mich auf die Türschwelle, wo sie neulich saß. Bilder und Träume stehen in mir auf, ich bin in meinen Gefühlen verstört und habe keine Ruhe mehr. Tag und Nacht schwanke ich ratlos hin und her. Als ich die Türklinke berührt und auf der Schwelle gesessen habe, schleiche ich mich wieder fort und mache einen Umweg, um heimzugehen, ja, um in mein Zimmer und zur Schlaflosigkeit heimzugehen.

Die Baronin fragt mich, was mir fehlt, ich sei so dunkel unter den Augen. Ich antworte, dies müsse nur ein Zufall sein, und fahre über die Augen, um die Schatten wegzubringen. Dann fragt sie, was ich zu der Reise nach Jerusalem meine. Warum gerade nach Jerusalem? frage ich. Da erklärt sie mir warum, und sie ist tief unglücklich, ihre Augen sind erloschen wie ein Abend:

Ja, Hartwich will selbst nach Jerusalem, er hat in der Bibel von dieser Stadt gelesen. Ich will auch nach Jerusalem. Hier ist ja nirgends Friede, vielleicht wird es besser, wenn ich dort gewesen bin. Heilige Erde, sagt man, ja, vielleicht ist es heilige Erde, niemand kann wissen, welche Wirkung das hat. Ich habe vielerlei hier versucht, ja, sogar fremden Göttern gehuldigt. So war ich auch in Finnland, und ich war friedlos. Niemand verstand mich, wenn ich Gastgeberin war und unsere eigene Gesellschaft verließ. Wenn ich wiederkam, fragten sie, ob ich mich unwohl fühle, sie waren gebildet gegen mich. Aber die Bildung war ja nur eine Eigenschaft der ganzen Klasse, und ich blickte mich nach einer persönlichen Eigenheit an jemand um. Ich ging zu einem Mann und fragte: Sind Sie Jäger? Er verstand mich nicht. Jäger? Nein. Aber er habe einen Vetter, der sei Jäger. Na, her mit ihm! Aber was war das für ein Jäger? Ein Mann, der Hasen und Vögel totschoß, ein Armer im Geiste also und nichts weiter. Bringt mir einen Schmied oder einen Vagabunden mit der rechten Glut in den Augen, und er ist gut genug als Jäger.

Ich zeichne deshalb soviel auf von dem, was die Baronin sagt, weil ich mit ihr täglich zusammen bin und soviel höre. Aber von der, an die ich so eifrig denke, höre ich nichts. So ist es. Manchmal ist es mir auch eine kleine Abwechslung, den Reden der Baronin zuzuhören und an ihrem Schicksal teilzunehmen, dabei vergesse ich mein eigenes, und das ist gut. Die Baronin stellt mir oft Fragen über die Reise und macht kein Geheimnis daraus, daß es eine Pilgerfahrt ist, die sie vorhat: Ich habe so vieles zu sühnen, jetzt will ich nach Jerusalem; glauben Sie, daß mir das helfen wird?

Vielleicht. Doch, das wird es sicher. Sie werden so vieles zu sehen bekommen. Sie werden zerstreut. Und auf die Kinder werden wir alle gut aufpassen.

Ja, auf die Kinder müßt ihr alle gut aufpassen!

Ihre Augen wurden groß und feucht, und sie hatte keine Ruhe, bis sie die Kinder gefunden und sie abwechselnd hoch in die Luft hinaufgehoben hatte. So oft sie aber bekannte, daß sie vieles zu sühnen hatte, mußte ich jedesmal an ihren Mann denken, der sich vielleicht um ihretwillen umgebracht hatte.

16

Ich gehe zu Rosa und sage:

Es gibt jemand, der nach Jerusalem reisen will, vielleicht wird etwas daraus, sie sprechen davon.

Ja, das weiß ich, antwortet Rosa.

Ich schweige verwundert und sehe sie an, als sie so ruhig antwortet, daß sie das wisse.

Es handelt sich nur darum, daß diese Reise vielleicht wirklich zustande kommt, sage ich wieder. Der Leuchtturmwächter hat die ganze Fahrt ausgeschrieben, bald ist es zu spät, sie zu verhindern.

Oh, das Gewissen schlug mir gestern, und es hat mir auch heute geschlagen, ich freue mich nicht mehr, Hartvigsen fern zu wissen, sondern bin voll Bekümmernis darüber.

Warum sollte die Reise verhindert werden? entgegnet Rosa. Sie soll durchaus nicht verhindert werden.

So, nicht, sage ich nur und schweige.

Benoni will so gerne fort, und ich habe auch nichts dagegen. Wir werden ja so vieles zu sehen bekommen.

Jaja, antworte ich wie aus einem dichten Nebel heraus. Ich hörte, daß Rosa auch dabei sein sollte. Wie eine kleine Buße für meine eigene Schuld füge ich hinzu: Jaja, dann müssen Sie den Dolmetscher auf der Reise machen.

Ich werde wohl nicht viel zum Dolmetscher taugen, meint Rosa. Ich habe zwar ein wenig Französisch und Deutsch gelernt, aber ... Und das hat Edvarda wohl auch getan, aber ... Jaja, wir sind ja noch nicht abgereist! fügt sie hinzu.

Nein, sie waren noch nicht abgereist.

Ich treffe Hartvigsen und fange an von der Reise zu sprechen; er redet von Anfang an so, als sollten sie nun zu dritt sein, und als sei eigentlich nie von etwas anderem die Rede gewesen.

Dann macht Rosa den Dolmetscher, sage ich.

Ja, antwortet er, sie kann alles, was nötig ist, was das betrifft und was das anbelangt. Sie sollten sie hören, wenn eine Flaschenpost angetrieben wird in verschiedenen ausländischen Sprachen: sie liest es genau wie eines von den zehn Geboten.

Ja. Und Rosa freut sich gewiß auf die Reise.

Das weiß ich nicht. Aber es ist genau so, wie ich zu ihr gesagt habe: du mußt natürlich dabei sein, sagte ich; denn ich kann nicht ohne dich mit einer andern Damenperson in ein fremdes Land reisen, sagte ich. Und das meinte auch Mack.

Selbstverständlich.

Jaja, noch ist ja keiner von uns abgereist! sagt Hartvigsen auch. Es ist so vieles in Betracht zu ziehen. Zum Winter heißt es wieder Last für alle unsere Schiffe kaufen, und an Weihnachten ist der große Umsatz im Laden. Ich muß nun alles beaufsichtigen und kann meinen Kompagnon nicht ohne Hilfe lassen.

Ich konnte es nicht herausbringen, was diesen Umschlag im Reiseplan verursacht hatte; aber ich dachte bei mir selbst, daß wohl Rosa sich an Mack, ihren allzeit väterlichen Freund, gewendet und Vorstellungen gemacht hatte.

Auch die Baronin war nicht mehr so religiös und niedergedrückt, sie lachte mehr denn je und sprach nur scherzhaft über die Reise: Was soll Benoni in Jerusalem? sagte sie und nannte Hartvigsen Benoni. Laßt ihn hier umhergehen und Hahn im Korb in der Gemeinde sein, haha!

Aber Leuchtturmwächter Schöning wurde immer mehr Feuer und Flamme. Sehen Sie nun zu, daß sie weiter kommen! sagte er zu mir; jetzt können sie noch die Mittelmeerschiffe in Bergen erreichen!

Aber ein Postschiff nach dem anderen geht nach dem Süden, und Hartvigsen und sein Gefolge reisen nicht ab. So wird wohl nichts aus dem Ganzen. Ich meinerseits nahm es wie eine Fügung Gottes, daß ich sie nicht zur Reise gedrängt und mich dadurch so schwer versündigt hatte. Er sei gelobt! Und Rosa, sie hatte vielleicht vom ersten Augenblick an geahnt, daß die Reise nicht zustande kam, aber sie hatte um des allgemeinen Anstandes willen als einer der Teilnehmer genannt sein wollen.

Endlich wird es auch dem Leuchtturmwächter klar, daß er seinen ganzen Reiseplan umsonst ausgearbeitet hat. Er begegnet Hartvigsen im Laden und wird vor Verwelktheit und Verbitterung gleichsam mehlig im Gesicht.

Na, Sie sind noch nicht nach Jerusalem gereist, sagt er. Ich habe mich ja auch in meinem Plan geirrt. Sie müssen in die Ostsee fahren und von dort zu den Hebriden. Wenn Sie nach Dovre gekommen sind, müssen Sie nach einer Stadt fragen, die Peking heißt. Dann sind Sie gleich dort.

Aber Hartvigsen ahnt, daß dies ganz verkehrt ist; ein wenig Geographie hatte ich ihm ja auch in unseren Unterrichtsstunden während des Frühlings beigebracht, und was er damals gelernt hatte, saß fest.

Peking, das ist doch in China, sagt er, und müssen wir dort hin? Und was nun Dovre betrifft, so liegt das nicht auf diesem Wege, das ist in Norwegen.

Ja, hat man schon so etwas gehört, ich meinte Dover, antwortet der Leuchtturmwächter und bebt ein wenig am Körper. In Dover gibt es so viel Hühner, dort müssen Sie eine Zeitlang bleiben. Hihi, Gesindel, Blinddärme!

In voller Wut verschwindet der Leuchtturmwächter durch die Ladentüre. So hatte sich dieser Mann offenbar für andere gefreut, daß die Welt immerhin noch für irgend jemand offen stand, und daß andere sie in ihrer großen Pracht sehen durften. Aber auch darin war er enttäuscht worden.

Ich zwinge mich nun zu einiger Ruhe und lege die letzte Hand an meine Malerei, um einen Anlaß zu einem Besuch bei Rosa zu haben. Als das Bild einigermaßen trocken ist, warte ich, bis Hartvigsen eines Tages an Sirilund vorbei zur Mühle hinaus geht, und begebe mich fort. Sowohl Mack als auch die Baronin wußten, daß ich dieses Bild für Rosa bestimmt hatte, es war also nichts Auffallendes daran, daß ich es ihr jetzt brachte. Und daß ich am liebsten einen Augenblick auswählte, da Hartvigsen fort war, war eine Schlechtigkeit von mir, für die ich gerne nachher Ungemach erdulden wollte. Ich hatte denn auch keine große Freude von meinem Besuch.

Rosa hatte gegen alle Gewohnheit die Türe von innen verschlossen. Ich klopfte an, aber es kam niemand und machte mir auf. Es ist niemand daheim, dachte ich; die kleine Martha hatte ich zusammen mit den Kindern der Baronin gesehen. Ich mache mich deshalb auf den Rückweg, da klopft Rosa ans Fenster und öffnet die Türe.

Der Lappe Gilbert geht umher und lauert, sagte sie; haben Sie ihn gesehen?

Nein.

Bitte kommen Sie herein. Nein, was für ein schönes Bild haben Sie da gemalt! Wie schade, daß Benoni nicht daheim ist und es sehen kann.

Es ist für Sie, sagte ich. Seien Sie so lieb und nehmen Sie es an! Gefällt es Ihnen wirklich ein bißchen?

Ich hatte wohl gar kein Geschick, ich war schüchtern und fühlte eine starke Erregung. Es war nicht als brächte ich ein Geschenk, sondern als nähme ich ein Almosen entgegen.

Für mich? Nein, danke, das geht nicht, erwiderte Rosa und schüttelte langsam den Kopf. Es ist ärgerlich, daß Benoni nicht daheim ist, er würde Ihnen selbstverständlich für das Bild etwas bezahlt haben.

Es soll nicht verkauft werden.

Um höflich zu sein, hält sie das Bild in die Höhe und betrachtet es, und ihre Hände, die ich immer bewundert habe, sind jetzt so wunderschön. Sie spricht gedämpft, erkennt Macks Stube wieder, den silbernen Engel, sagt, daß sie förmlich Lust fühle, einen Schluck aus dem Weinglas auf dem Tisch zu nehmen, so erquickend stehe es mit seinem Wein da.

Es ist Ihr Weinglas, sage ich. Sie stellten es damals auf den Tisch.

Sie vergaß sich und gab mir ein wenig nach, sie antwortete:

Ja, ich erinnere mich! Aber einen Augenblick später schlägt sie um, stellt das Bild weg und sagt: Benoni wird ja nun bald kommen. Er ist nur in die Mühle gegangen. Haben Sie ihn nicht gesehen?

Pause.

Ja, ich habe ihn gesehen, antwortete ich.

Nun hatte ich also reinen Tisch gemacht. Rosa verstand alles, sie sah mich mit freundlichen Augen an, schüttelte aber wieder den Kopf.

War das so schlimm? fragte ich.

Ja, Sie dürfen mich doch nicht liebhaben, wissen Sie, erwiderte sie.

Nein, sagte ich in meiner Not, es ging mir früher auch besser.

Rosa war so frisch und natürlich, sie ging gleich auf die Sache los. Nein, natürlich durfte ich nicht in sie verliebt sein. Aber ich war es. Wie nahm sie das auf? Ich konnte kein starkes Mißbehagen an ihr bemerken, dagegen aber viel Nachsicht. Diese Nachsicht aber war mir nicht angenehm, sie machte mich zu einem Kind. Zu meiner Freude zeigte sie auch Unruhe. So bin ich also nicht nur ein Kind für sie, dachte ich.

Ich bitte Sie nicht einmal, sich zu setzen. Es ist vielleicht auch am besten, wenn wir stehen bleiben, sagte sie – und setzte sich. Kurz darauf merkte sie, was sie getan hatte, erhob sich lächelnd und meinte: Nein, so etwas! Dann zwang sie sich zur Ruhe, deutete auf einen Stuhl für mich und lud mich ein, Platz zu nehmen: Warum sollten wir uns nicht setzen? Bitte! Ich will Ihnen etwas erzählen!

Wir setzten uns beide.

Sie war tiefernst. Sie redete nicht wie ein Wasserfall und Wirbelwind, sondern sanft und verständig. Und saß dabei da mit ihrem großen roten Mund und ihren länglichen Augen unter den schweren Lidern.

Sie haben gehört, daß ich schon einmal verheiratet war? fragte sie.

Ja.

Ja. Und jetzt bin ich wieder verheiratet. Mein erster Mann ist tot. Ich bin nicht von Ihrer Jugend, und selbst wenn ich das wäre, so bin ich doch also verheiratet. Haben Sie den Eindruck bekommen, daß ich leichtsinnig sei?

Nein, nein.

Ich bin in Wirklichkeit so wenig leichtsinnig, daß ich mich immer noch mit Nikolai, der doch tot ist, ein wenig verheiratet fühle. Es ist wohl mit allen so, die wechseln, wir lösen uns nicht ganz ab von dem, wovon wir uns trennen, glauben Sie nur das nicht. Jede Stunde am Tag werden wir an den anderen erinnert; die einen haben dies stärker, die anderen schwächer, aber keiner geht frei aus. Man sollte vielleicht nicht wechseln! Was nun Sie betrifft, so ist es so schlimm, so schlimm; oh, es ist auch so schön, aber es ist doch so furchtbar falsch von Ihnen. Wo soll das hin? Ich bin sieben Jahre älter als Sie, und ich bin verheiratet. Ich gehöre nicht zu den Verliebten, und wenn auch, so würde ich lieber verbrennen, als es zeigen. Sie könnten mich vielleicht daran erinnern, daß Sie mich ganz ratlos vor Liebe gesehen haben? Ach, diese Liebe galt nicht einem Herzen, sondern dem Posten einer Haushälterin. Ich war eine Frau, die auf dem Trockenen saß; wäre dieses Trockene eine grüne Wiese gewesen, so hätten Sie meine Ratlosigkeit nicht zu sehen bekommen. Ich weiß, es tut Ihnen nicht weh, diesen Zynismus bei mir zu hören.

Er trägt weder etwas bei, noch nimmt er etwas weg.

Er macht viel aus. Sie werden es sehen. Selbst wenn ich noch in Ihrem Alter und unverheiratet wäre, würde ich mir doch nichts aus Ihnen machen.

Weil ich auch auf dem Trockenen sitze? Aber in der Lage war ja auch Ihr erster Mann? Auf den Sie viele lange Jahre gewartet haben? rief ich aus. Sie verleumden sich selber, um mir über meine Schwierigkeiten hinwegzuhelfen!

Glauben Sie? fragte sie und lächelte.

Und hier offenbarte sie ihr echtes Frauengemüt: sie schien nichts dagegen zu haben, daß ich sie auf diese Art verstand; ich durfte sie gerne so aufopfernd in ihrer Liebe finden! All das dachte ich später, jetzt aber fuhr ich fort:

Und diese Zerrissenheit wegen Hartvigsen damals, die war schon echt und ehrlich, glaube ich, die war echte Eifersucht auf eine Rivalin.

Rosa lächelte verzagt: Vielleicht ein wenig, sagte sie. Aber nach und nach wurde sie ärgerlich über meine Behauptung und widersprach mir: Nein, so ist es nicht. Aber es ist ja gleich; warum soll ich hier vor Ihnen sitzen und mich erklären?

Nein, nein, antwortete ich demütig; aber ich hatte sicherlich recht, sie war keineswegs so frei von Verliebtheit, wie sie tat.

Sie glauben also, ich sei eifersüchtig gewesen? sagte sie. Aber ich gehöre durchaus nicht zu jenen verliebten Menschen, hören Sie, ich bin genau so einfach und gewöhnlich, wie Sie mich hier sehen. Mein Mann – ich meine meinen ersten Mann – er pflegte zu sagen, ich sei furchtbar langweilig. Und ich glaube, er hatte recht. Aber was ist denn das alles überhaupt für ein Gerede! sagte sie kurz und bündig. Ihre Gefühle verirren sich, und ich kann nichts anderes tun, als sie aufhalten.

Sie können sie nicht aufhalten, sagte ich.

Oh doch. Sie wissen doch gut, gäbe es hier andere, so würden Sie nicht an mich denken. Aber es gibt hier nicht so viele andere, und Sie kommen ja auch nirgends hin und sehen niemand anderen. Im übrigen muß ich sagen, daß mir diese Art völlig fremd ist. Die, die mich früher gern gehabt haben, waren dadurch nicht sehr beschwert, sie aßen und schliefen deswegen ebenso gut, Nikolai war ruhig, Benoni ist noch ruhiger. Und nun weiß ich gar nicht, wie ich gegen Sie sein soll.

Darf ich sagen, wie Sie sein sollen?

Ja.

Sie sollen nicht so mütterlich sein. Sie sollen nicht so nachsichtig mit mir sein.

Da lachte sie leise und entgegnete:

Also wie ich nicht sein soll! Ja, aber das ist doch die einzige Art. Sonst dürften Sie nicht einmal herkommen.

Dann lieber das! sagte ich in meiner Jugendlichkeit.

Nein, hören Sie, seien Sie jetzt vernünftig! Sie wissen doch genau, daß das nur Kindereien von Ihnen sind.

Und Sie wissen sehr genau, daß ich kein Kind bin, unterbrach ich sie verletzt.

Rosa antwortete offen und sah mich dabei an:

Doch, das sind Sie.

Da blieb ich sitzen und starrte sie an. Ich, der sie für einen feinen Menschen gehalten hatte! Das war ja grob, reine Dummheit, Weibergeschwätz. Ich ging in mein dreiundzwanzigstes Jahr.

Sie haben vielleicht nicht so ganz unrecht in all dem, sage ich dann. Ich glaube auch, wenn es andere hier gäbe –

Unbedingt! rief sie zustimmend aus.

Ich will versuchen, mich zu überwinden. Bald ist Barfrost und Jagdzeit, ich gehe dann mehr umher, komme in der Gemeinde herum –

Ja. Ja, das sollen Sie tun! sagte Rosa, sie stand auf und legte ihre Hand auf die meine, blieb einen Augenblick stehen und setzte sich wieder. Nein, sehen Sie, es gibt keinen anderen Ausweg. Ich bin Ihre große Base, Ihre kolossale Base, hehe.

Eine neue Kränkung. Ich war nicht so klein, daß sie kolossal gewesen wäre. Ich wuchs noch, das war richtig; aber dieses elende späte Wachstum mußte doch bald aufhören. Ich brach mit Absicht den Ton des Gespräches ab und fragte:

Na, ist der Reise nach Jerusalem etwas in die Quere gekommen?

Pause.

Ja.

Uneinigkeit unter den Teilnehmern?

Pause.

Sie, der immer so ängstlich ist, daß – Sie, der niemals fragt – Jetzt will ich Ihnen ein wenig mehr erzählen, wollen Sie? Sie finden vielleicht, daß ich heute unruhig gewesen war, und legen sich das möglicherweise auf Ihre eigene Art zurecht. Aber die Sache ist die: der Lappe ist heute hier gewesen, Gilbert; er macht mir immer so angst. Er weiß so viel.

Sie sprach voller Grauen von dem Lappen, versuchte nicht mehr ruhig zu sein, sondern ließ ihren ganzen Kummer sehen. All mein Gekränktsein war verflogen.

Kaum war Benoni gegangen, kam er um die Hausecke geschlichen, grüßte und sagte sofort: Jaja, die alte Malene! Die alte Malene ist die Mutter meines Mannes – meines früheren Mannes. Was ist mit ihr? frage ich, obwohl Benoni wie ein Sohn gegen sie gewesen ist und ihr alles mögliche geschickt hat. Ja, antwortet Gilbert, sie ist eben jetzt so reich geworden, sie hat hundert Taler zugeschickt bekommen! Von wem hat sie die bekommen? frage ich. Von niemand, sagt Gilbert, sie weiß es nicht, sie kamen mit der Post! Da fühlte ich, wie mir das Herz in der Brust zerspringen wollte, und ich konnte kaum fragen: War nicht ein Brief dabei? Nein, sagte Gilbert.

Pause.

Aber das ist ja gut, daß die Frau das Geld erhalten hat, versuche ich zu sagen.

Ja, aber ... Aber es kann ja nur von ein er Hand gekommen sein.

Nein doch, antworte ich aufmunternd, es kann ja auch aus dem Nachlaß stammen. Der kann ja jetzt geordnet worden sein.

Glauben Sie? fragt Rosa erleichtert. Aber dann würde es wohl dabei gestanden haben, es würde ein Brief dabei gewesen sein.

Ja, ich muß zugeben, darauf verstehe ich mich nicht. Aber jedenfalls sind Sie doch von Ihrem ersten Mann geschieden.

Rosa schüttelt den Kopf und sagt vor sich hin:

Man wird niemals geschieden.

Na, aber ob er nun lebt oder tot ist. Sie und er haben nichts mehr miteinander zu schaffen.

Das ist falsch. Und außerdem: sie sagten, er sei tot. Er sei – er sei umgekommen. Sonst hätte ich mich nicht wieder verheiratet.

Hartvigsen und Mack hatten doch die Erlaubnis für Sie erwirkt, sie sprachen von einem Erlaß des Königs?

Ja, aber das genügte mir nicht. Da sagten sie dann, er ist tot.

Na, dann wird er ja wohl auch tot sein, sagte ich.

Plötzlich wurde ich von Widerwillen gegen diesen Toten erfaßt, der Rosa so beschäftigte. Was ging sie es an, ob er lebte, hing sie immer noch an ihm fest? Ich fühlte keine Eifersucht mehr auf Hartvigsen, sondern auf einen toten Mann; ach, ich wünschte meinem Freund Hartvigsen alles Gute! Und was war er, der andere, für ein Herr? Verkaufte seine Frau für eine Summe Geldes, versoff das Geld und starb!

Sie nannten mich ein Kind, sagte ich zu Rosa, um sie zu beschämen, was sind Sie denn nun selber? Süßlich und weichlich sich mit einem beschäftigen – mit einer Erinnerung an –

Als ich innehielt, blickte sie auf und wartete. Vielleicht wollte sie mich dazu verleiten, von der Summe und dem plötzlichen Tod zu sprechen. Da sie aber trotz allem an ihrem Nikolai vom Küstershof festzuhalten schien, gab ich ihr den Blick zurück und ging nicht weiter.

Na? fragte sie, mit einer Erinnerung an –?

Das ist wohl nicht sehr erwachsen, sagte ich.

Pause. Sie saß ganz ratlos da.

Verzeihung! bat ich da.

Es gab ihr gleichsam einen Ruck, sie erhob sich plötzlich und legte ihre ganze Samthand auf meine Wange.

Gott segne Sie! sagte sie. Sie begreifen gewiß, daß das etwas anderes als Verliebtheit ist. Sehen Sie, jetzt werde ich ruhig sein, sagte sie und setzte sich wieder, ich war nur so erschreckt worden, Gilbert ist entsetzlich.

Diesen Gilbert unschädlich zu machen, will ich gerne auf mich nehmen, rief ich begeistert. Ich weiß etwas über ihn; Mack wird ihn beim ersten Wort festnehmen lassen.

So? fragt Rosa. Ja, aber das würde nichts ändern, Gilbert hat im Grunde jedesmal richtig gewarnt.

Das zu glauben ist– entschuldigen Sie! – kindisch.

Doch, er hat richtig gewarnt. Und auch heute vielleicht hat er richtig gewarnt. Gott allein weiß das. Und mein Gott, wie soll das alles miteinander werden! Und so wie ich bin!

Sie erhob sich wieder, streckte die Hände aus und schlug sie zusammen. Ich sah ihre Verzweiflung und bei ihren letzten Worten mußte ich auf einmal denken: sie ist jetzt einige Monate verheiratet, vielleicht darf sie keine starken Aufregungen mehr haben.

Beruhigen Sie sich! sagte ich. Sie haben nichts Schlimmes getan!

Ich sah Hartvigsen des Weges kommen und warnte sie. Rosa blieb vor mir stehen.

Sie brauchen mich nicht um Schweigen zu bitten, sagte ich.

Ach, antwortete sie, es ist gleich. Ich will es selber sagen. Aber ich muß Ihnen danken, weil Sie verstehen, daß ich mich mit diesen Erinnerungen beschäftigen muß.

Das hatte ich keineswegs verstanden, das war wieder Weibergeschwätz. Im Gegenteil, für Rosa mußte ihr erster Mann auf jeden Fall tot sein, selbst wenn er noch lebte.

Und Sie sollen fleißig auf die Jagd gehen und in der Gemeinde herumkommen, sagte sie.

Ja, antwortete ich kurz.

Hartvigsen kam herein.

Gute Nachrichten! verkündete er, die Fahrzeuge sind in Bergen. Wenn sie wieder daheim sind und voller Waren für den Laden im Hafen liegen, gehört die Versicherungssumme mir.

Glück zu von ganzem Herzen! sagte ich und gönnte Hartvigsen alles Gute.

Angeregt durch meine Worte fügt Hartvigsen hinzu:

Nunmehr ist es nicht nur mein Kompagnon Mack, der spekulieren und Geld verdienen kann.

17

Jetzt weiß ich eigentlich nicht mehr, was ich glauben oder denken soll. Rosa hat sich in einem neuen Licht gezeigt, ihr sentimentales Getue mit ihrem verstorbenen Mann, der wirklich nur verächtlich gewesen war, macht sie unkenntlich für mich. Außerdem war sie so offen gewesen und hatte so weitläufig und breit erzählt, sie, die früher so fein und schweigsam gewesen war; ich war doch ein Fremder für sie. War sie nicht auch ein wenig allzu offen davon ausgegangen, daß ich sie über alle Grenzen liebte? Und Kind! hatte sie mich genannt.

Ein oder zwei Wochen vergehen, ich warte auf den Herbst. Eines Tages sagte die Baronin zu mir:

Seit sieben Jahren habe ich nichts mehr von meinem Herzen gemerkt. Ich glaube nicht mehr, daß es noch da ist!

Und sie sprach noch einiges darüber, daß ihr Herz tot sei, daß sie am letzten Sonntag in der Kirche gewesen sei und nun immer in die Kirche gehen und die Kinder mitnehmen wolle. Sie ist scheinbar wieder fromm geworden, dachte ich.

Ich schrieb einige Worte an Rosa, steckte den Brief in die Tasche und verbarg ihn dort. Als es in der Nacht dunkel wurde, ging ich damit fort.

Erst jetzt dachte ich ernstlich an die Schwierigkeit, die es machen würde, den Brief abzuliefern. Vor Rosas Türe angelangt, zog ich ihn heraus und tat als sei nichts im Wege, daß ich ihn in einen Spalt steckte; als ich dies aber getan hatte, schüttelte ich den Kopf über mich selber und nahm den Brief wieder an mich.

Genau so dumm betrug ich mich am nächsten Abend. Ich hatte einen neuen Brief geschrieben und den alten verbrannt. Was ich schrieb? Dummheiten, ich gehe jetzt hinaus auf die Jagd, ich liebe Sie! ach ich war ein Kind. Ich machte die Briefe kürzer und kürzer, am dritten Abend schrieb ich: Rosa! Das kam mir vollständig lang genug vor. Ich versiegelte den Brief, legte ihn mir auf die Brust und schlief nachts damit.

Am Morgen klopft es zeitig an meine Türe, noch ehe ich aufgestanden bin. Es ist die Baronin. Sie sah nicht und hörte nicht, stand an der Türe, mit Hut und Mantel. Sie hatte sicherlich schon einen Spaziergang draußen gemacht.

Erzählten Sie nicht, daß Sie einen Kameraden hätten? fragte sie.

Ja. Entschuldigen Sie, daß ich noch – ich werde sogleich aufstehen.

Das tut nichts. Wie alt ist er?

Mein Kamerad? Zwei bis drei Jahre älter als ich.

Schreiben Sie ihm, er soll kommen. Wie heißt er?

Munken Vendt.

Schreiben Sie ihm.

Zu meinem Schrecken sehe ich den Brief an Rosa auf dem Boden liegen, ich will die Baronin gleich wieder hinausbringen und verspreche an Munken Vendt zu schreiben:

Augenblicklich, sagte ich, sowie ich aufgestanden bin.

Und können Sie nicht die Flinte auf den Rücken nehmen und ihm entgegen gehen? fragte sie.

Ja, das ist ausgezeichnet.

Oh, es war gar nicht ausgezeichnet, gerade jetzt mochte ich mich weniger denn je von diesem Ort entfernen, an den ich festgebannt war. In einem Monat konnte ich es vielleicht eher tun.

Die Baronin fragt:

Ist er Student?

Munken Vendt ist Student.

Dann kann er Marthas Lehrer sein, Benoni will auch einen Lehrer haben, sagt sie und kräuselt ihre Lippen ein wenig.

Ein Schauer durchfährt mich: Munken Vendt in Rosas Haus! Er war imstand – er war ein wilder Bursche, ein Feuerbrand, der Teufel selber.

Durfte ich wagen, der Baronin ein wenig zu widersprechen? Der Brief lag dort auf dem Boden, mit der Aufschrift nach oben; sie aber schien weder zu hören noch zu sehen, das machte mich etwas kühner.

Munken Vendt kann kaum Lehrer werden, sagte ich. Wenn ich aufgestanden bin, darf ich wohl –

Dann bin ich fort, ich will ausgehen. Schreiben Sie nun Ihren Brief, Jens Kindsvater steht unten und soll ihn hinbringen, er soll Tag und Nacht gehen. Dann wandern Sie hinterher.

Ja, sagte ich.

Wenn Sie ihren Kameraden treffen, sollen Sie ihn hierherbringen. Dann wollen wir weiter sehen. Er kann Sie einige Zeit besuchen.

Ja, danke, sagte ich.

Ihre Augen schienen bewußter zu werden, es war, als würden sie von weit her zurückgerufen, sie sah sich im Zimmer um.

Das ist Alinas Zeichnung! sagte sie und blickte lächelnd auf die Wand. Mich sah sie die ganze Zeit nicht an. Schließlich fragte sie: Gehen Sie dann heute?

Ja, sofort! antwortete ich.

Leben Sie wohl einstweilen. Entschuldigen Sie!

Sie ging.

Ich sprang auf und verbrannte den Brief, kleidete mich an und ging hinaus. Es war acht Uhr; die Baronin hatte den Hof bereits verlassen; ich wollte nur ein kleines Stückchen weit gehen, ich wollte es irgendwo sagen, daß ich weit fort müsse, in die Wälder, nach Norden, da holt mich Jens Kindsvater unterwegs ein und fragt nach dem Brief, den er überbringen solle. Oh, dieser gebückte Mann mit den langen Beinen, man konnte ihm nicht entrinnen; er ging im Auftrage seiner Herrin. Ich kehrte mit ihm um und schrieb den Brief. Ich gedachte ihn kurz und kühl zu halten; aber warum sollte ich ein saures Gesicht machen? Das Schicksal war über uns allen, Jens Kindsvater, dieser Sklave der Baronin, würde Munken Vendt tot oder lebendig mitbringen. Er würde da ebensowenig ein Nein hören wollen, als wenn er in die Häuser ging und um Fleischknochen bettelte.

Ich ging zu Rosa und sagte:

Ich wollte nur sagen, daß ich jetzt fortwandere. Darum komme ich nun ganz einfach her und sage es.

Wann? fragt sie. Gehen Sie auf die Jagd?

Ja. Ich hole einen Lehrer für Martha. Er soll hier bei Ihnen wohnen, unter demselben Dach.

Ich verstehe nicht – soll er hierher kommen?

Ich gehe ihm jetzt entgegen, damit er bestimmt kommt. Freuen Sie sich nicht darüber?

Rosa lächelt über meine mystische Rede. Ich fühle, daß mein Gesicht sich verzerrt und entstellt wird.

Ich verstehe nicht, wiederholt sie. Hat Benoni das gesagt?

Die Baronin hat es gesagt. Einen Hauslehrer für Martha also. Hier bei Ihnen, jeden Tag bei Ihnen.

Ja, jetzt erinnere ich mich, daß Benoni von einem Lehrer gesprochen hat, sagte Rosa, um Mitwisserin zu sein. Darum brauchen Sie sich nicht zu kümmern; warum sind Sie so sonderbar?

Ja, Sie werden es schon sehen, Sie verlieben sich noch in den Lehrer. Er ist älter als ich und sieht anders aus. Da werden Sie sich in ihn verlieben.

Da lacht Rosa laut und tut mir mit ihrer Leichtfertigkeit sehr weh.

Worüber lachen Sie? frage ich.

Sie antwortet ernsthaft:

Niemals! Weder in ihn noch in einen anderen!

Als ich die Türe geöffnet hatte, ging ich zurück und nahm hart und hastig ihre Hand.

Leben Sie wohl, leben Sie wohl. Glück auf zur Jagd! sagte sie.

Nein, ich wollte Ihnen danken, antwortete ich.

Dann ging ich.

Rosa begleitete mich hinaus und war sicherlich besorgt, mir Hoffnung gemacht und mich irre geführt zu haben.

Warum haben Sie mir gedankt? fragte sie.

Weil Sie nicht fragen, wie er heißt, wie alt er ist und wie er aussieht.

Sie schüttelte den Kopf.

Es liegt mir nichts daran, so etwas zu wissen. Ich bekümmere mich um niemand.

Zum zweitenmal wollte sie sich mir gegenüber deutlich ausdrücken!

Dann wandere ich nach Norden durch die Wälder, ich gehe in den Kleidern, die ich im Frühling trug, als ich nach Sirilund kam, ich bin gleichsam wieder der alte Mensch und habe die Flinte dabei.

Die Espe verliert das herbstverbrannte Laub, langsam rieselt es von den Bäumen herab, es rieselt im ganzen Wald. Kein Vogel. Der Weg führt über wellige Höhen hinter niederen Bergrücken, ein Rauschen steht da draußen vor mir und zur Rechten, es ist das Meer. Keine Menschen, nichts, nur das langgezogene Dröhnen in der Luft. Der Wald, den ich durchwandere, ist ein unberührter Wald, er gebiert sich selbst, lebt seine Zeit und gebiert sich schließlich von neuem; hier sind Tannen und Espen und Eibischbäume, Wacholder steht hier zu allen Seiten. Die großen Kiefern sind struppig, die großen Steine und Felsen liegen bemoost und sicher in ihren Lagern. Als ich einige Stunden lang gegangen bin, ohne Leben zu sehen, fange ich an, an den kleineren Steinen zu rütteln, um zu sehen, ob Würmer oder Käfer darunter sind. Ich werde immer ruhiger und kann über verschiedenes nachdenken.

Wozu gehe ich eigentlich hier? denke ich. Meine Herrin, die Baronin, wünscht meinen Kameraden zu sehen und will wissen, ob er von Glahns Art ist oder nicht, sie handelt gemeinsam mit Hartvigsen, alles hängt sinnreich zusammen. Wie doch die Baronin sich selbst zu eitel Verwirrung dient! Niemals hat sie Verkehr mit anderen Frauen; mit ihrem Vater wechselt sie nur die notwendigsten Worte. Bei Tisch dankt Mack ihr, wenn sie ab und zu aufmerksam ist und ihm das Brot reicht, dann fragt er gerne ein wenig nach den Mädchen, sonst ist er schweigsam und höflich. Niemals nimmt er seine Tochter zu sich herein und fragt: du siehst so vergrämt aus, mein Kind? Es muß ein Mysterium über Sirilunds Haus brüten. Warum nur die beiden Freundinnen, Rosa und die Baronin, auseinandergekommen sind? Sie sprechen nicht mehr miteinander, obgleich sie keine Feinde sind; nur braucht eben eine die andere nicht. So ist es wohl.

Als ich bis zum Abend gegangen und gegangen bin, komme ich zu einer Erdhütte, wo Jens Kindsvater, der Verabredung gemäß, Mundvorrat für mich hinterlegt hat. Ich zünde Feuer auf dem Herdplatz an, brate mein gekochtes Fleisch auf der Glut und trinke dazu Wasser vom Bach draußen. Dann werfe ich reichlich trockenes Kiefernreisig auf das Feuer, breche mir Tannenzweige zu einem Lager und lege mich für einige Stunden hin.

Ich erwache im Dunkeln, friere, lege mehr Reisig auf das Feuer und schlafe gleich wieder ein. Ich erwache wiederum im Dunkeln, fühle mich aber frisch und ausgeschlafen, brate wieder eine Mahlzeit Fleisch und gehe hinaus und warte eine Weile. Dann tagt es hinter mir ein wenig im Osten, die Dunkelheit löst sich, und ich begebe mich wieder auf die Wanderung gen Norden.

So gehe ich zwei Tage, und Munken Vendt kommt nicht, und ich schlafe in verlassenen Erdhütten. Dann gehe ich wieder einen Tag lang, und die Zahl der Meilen mehrt sich, hier und da sehe ich das Meer von den Höhen aus, auch begegne ich Vögeln. Ich nähere mich fremden Orten. Da kommt Munken Vendt. Bei ihm ist Jens Kindsvater.

Nun ist alles vergessen, wir zwei Kameraden beglückwünschen einander zu dem guten Zusammentreffen. Wir rasten eine Stunde und reden von allem möglichen in der Welt, die Stunde verfliegt so rasch; als wir weiter gehen, reden wir immer noch. Munken Vendt ist der gleiche Junge, er geht wie früher mit Handschuhen, obwohl er nicht ängstlich ist, sie abzuziehen und mit seinen Händen etwas anzupacken. Er hat einen schönen Vollbart und Augen mit großen Pupillen, sein Gang ist so zäh und leicht, daß er uns andere ermüdet, aber bei jedem Schritt, den er tut, klafft es hinten in seiner Hose; er ist so zerfetzt und so traurig arm, er hat keine Weste. Munken Vendt besitzt ebenfalls nichts auf dieser Welt, genau wie ich.

Aber seine Hände sind ungewöhnlich schön, und sie würden mit Rosas Händen zusammentreffen!

Je weiter wir gehen, desto seltener werden unsere Worte, da wir hintereinander auf dem schmalen Steige gehen müssen, und der erste sich jedesmal umdrehen muß, so oft er etwas sagen will. Dann erwacht Munken Vendts Jägernatur, er hatte so scharfe Sinne; in diesem Wald, in dem ich kein Leben gesehen hatte, ging er eine Viertelstunde oder eine halbe Stunde vom Weg ab und schoß Schneehühner für eine Mahlzeit. Er erzählte mir später auf der Wanderung von einem Mädchen, das er daheim habe, sie heiße Blis und käme ihm nicht aus dem Sinn. Als ich fragte, ob er so wie ich Lehrer in einem Hause werden wolle, sagte er nein. Er brach in ein lautes klingendes Lachen aus und sagte: Bist du toll! Wir wollen doch beide auf die Wanderung! Wenn ich seine große Sanftheit und Freundlichkeit mitten im Walde sah, und sah, wie alle Bäume und jeder Wacholderstrauch und die Steine und die Felsen gleichsam mehr für ihn waren als nur Bäume und Steine, begriff ich gut, daß er nicht hinter Türen paßte. Es gab verschiedene Steine, die er lieber mochte als andere, nicht allein, um darauf zu sitzen, sondern auch, um sie in seiner Nähe zu haben, er sah sie an und hatte ein gutes Gefühl für sie. So hatte ich niemals Steine angesehen, ich war wohl ein Fremder für sie oder ein Stubenhocker, ich war ja auch kein Jäger.

Ich werde ihm einen Stein zeigen und erfahren, was er darüber meint! dachte ich.

Als wir zwei Tage bis tief in die Nacht hinein gegangen waren, näherten wir uns der Gemeinde Sirilund. Hier veranlaßte ich Jens Kindsvater, sich von uns zu trennen und vorauszugehen; Munken Vendt ging mit mir zur Frau des Untermüllers und ließ sich seine Kleider flicken. Dann ging ich sofort mit ihm in den Wald hinauf zu dem kleinen Steinbild im Weidendickicht.

Wir krochen bis zu dem Tümpel vor, hier herrschte gleicher Frieden und Stille, Munken Vendt setzte sich. Seine Nasenflügel weiteten sich, es war, als wittere er hier noch andere als uns.

Sind wir allein? fragte er.

Das sind wir sicherlich. Wer sollte sonst hier sein? Ich sehe mich nach einer Spinne um, die hier einmal gesponnen hatte, aber auch sie ist fort.

Wie still es hier ist! sagte Munken Vendt. Du, es ist fast gut, daß die Spinne fort ist, sie würde sonst nur Lärm gemacht haben.

Ich sah, wie seine Handgelenke so fein und weiß waren, und: Zieh deine Handschuhe aus! bat ich.

Er zog beide Handschuhe aus und lachte dazu.

Dann nahm ich ihn sogleich mit über den Teich, deutete auf den kleinen Steinmann und sagte:

Hier ist ein Stein, was meinst du zu dem?

Da nahm Munken Vendt ganz ruhig und mit bloßen Händen den Steinmann von seinen Stützen fort und betrachtete ihn von allen Seiten. Ich selbst aber blickte weg.

Ein kleiner Götze, sagte er. Ich habe solche schon früher gesehen, kleine lappische Götzen. Wollen wir ihn mitnehmen?

Nein, sagte ich.

Er stellte den Gott auf seinen Platz zurück, lächelte über dessen Mißgestalt und schüttelte den Kopf.

Wie griff er sich an? fragte ich; tat es dir nicht weh an den Händen?

Nein. Warum sollte es mir an den Händen wehtun? meinte er und zog die Handschuhe wieder an. Er griff sich übrigens fett an.

Wir gingen. Jens Kindsvater hatte nun ein paar Stunden Vorsprung, er war seit geraumer Zeit angelangt. Sirilund lag mit allen seinen großen Gebäuden vor uns; in einiger Entfernung sah man Hartvigsens Heim und die Ladespeicher.

Das sieht groß aus! sagt Munken Vendt.

Unbekümmert und kühn geht er dahin, als sei er in kostbarer Tracht und nicht in Lumpen, seine Laune ist die beste, weil er heute bereits zweimal zu essen bekommen hat. Das ist mehr, als ich gewohnt bin! sagt er und lacht ein wenig. Eine Frauengestalt kommt uns langsam entgegen, sie ist groß und schmal, und Munken Vendt ruft ihr zweimal hintereinander zu: Ei, ei! ehe er weiß, daß es die Baronin ist. Es ist die Baronin, sage ich, sie geht uns entgegen!

Bei Munken Vendts Rufen bleibt sie stehen, sieht uns an und wartet.

Seid ihr da! sagt sie, als wir vor ihr stehen. Aber das sagte sie sicherlich, um nicht selbst verlegen zu werden, ihr Lächeln war so schüchtern, als ich vorstellte.

Munken Vendt machte es wie ich und hielt die Mütze in der Hand.

Ich rief leider: Ei, ei, sagte er offen und lächelnd. Ich wußte nicht, wer es war, ich sah nur eine große – eine schlanke –

Oh, das sagte Munken Vendt so reizend, ehe er die Mütze aufsetzte. Und die Baronin kroch ein wenig zusammen und bekam einen kürzeren Hals, als er sie ansah.

Ich muß eigentlich noch ein wenig weiter gehen, sagte sie und nickte.

Aber das sagte sie sicherlich nur, um nicht den Anschein zu erwecken, als sei sie uns entgegengegangen.

So gingen wir jeder nach seiner Richtung. Und Munken Vendt war vollkommen gleichgültig. Er fand die Baronin übrigens alt und sonderbar.

18

Ein paar Tage sind vergangen. Munken Vendt ist munter und war viel draußen in Sonne und Wind, die Baronin blüht in seiner Gesellschaft auf, ja, wird wieder jung und spricht mit einer samtenen Stimme.

Bei Tisch betragen sich die beiden gleich unerzogen, wie zwei Dienstboten, mit beiden Ellbogen auf dem Tisch. Sie verschlingen alles, daß es ein Greuel ist, schmieren noch mehr Butter auf das Brot, von dem sie bereits abgebissen haben und legen dann das fette Messer auf das Tuch, statt auf ihren Teller. Die Baronin tut das sicher nur aus reiner Unordentlichkeit und nicht nur, um sich über das hinwegzusetzen, was wir anderen gewohnt sind. Mack selbst ist vornehm und nachsichtig und tut, als merke er nichts.

Heute ging Munken Vendt von selbst zu den Ladespeichern hinunter, und ich war nicht dabei, hier begegnete ihm die Baronin und trieb sich lange Zeit mit ihm auf dem Wege umher. Und ich ging mit den kleinen Mädchen. Munken Vendt hat einige rote Flecken auf den Händen bekommen, sonst ist er glücklich und trägt den Kopf hoch; abends singt er geradezu vor Zufriedenheit auf meinem Zimmer.

Ich gehe mit den Kindern absichtlich weit fort, es ist gut, weit fortzukommen, denke ich. Zwei Stunden später kommen wir wieder zurück, und die Baronin und Munken Vendt sind nirgends zu sehen. Dann gehen die Kinder und ich hinein. Ich nehme den Weg durch die Stube, und als niemand dort ist, gehe ich auf mein Zimmer hinauf.

Da sehe ich von meinem Fenster aus die Baronin und Munken Vendt aus Hartvigsens Haus kommen, und Rosa steht auf der Türschwelle. Munken Vendt trägt den Schal der Baronin. Ah, es ist kalt geworden im Freien, ich sah, wie sie selbst den Schal über seine Schultern legte, so daß er vorne und hinten schön hinabhing, aber das tat sie gewiß unter dem Vorwand, daß der Schal nicht verknüllt werden sollte.

Sie trennten sich draußen vor Sirilund, die Baronin kommt die Treppe herauf, Munken Vendt jedoch schlendert mit dem Schal zum Laden hinunter.

Als eine Stunde verstrichen ist, komme ich in den Laden nach und finde Munken Vendt am Branntweinausschank. Er ist ziemlich betrunken und kennt kein Maß mehr, aber er geht und steht noch ebenso sicher und ist wie ein Turm. Als ich den Schal der Baronin, den er beschmutzt, retten will, wehrt er ab und sagt: Laß ihn hängen, das wärmt! Er ist ein vollkommener Schlingel und unterhält sich lustig und gotteslästerlich mit den beiden Ladengehilfen. Jetzt wie schon in früheren Zeiten ist er in Aufruhr gegen Gott.

Endlich bringe ich ihn so weit, daß er mit mir auf mein Zimmer geht, hier schläft er ein und schlummert über eine Stunde. Als er aufwacht, trinkt er meinen Wasserkrug ganz leer und schläft wieder eine Stunde. Dann ist er wieder frisch, ein Jüngling an Leib und Seele, vollständig sanft und munter. Oh, mein toller Kamerad Munken Vendt!

Der Ausschlag an seinen Händen ist schlimmer geworden, die Finger schwellen auf, und es entstehen da und dort Blasen. Der Teufel auch! jammert er. Im übrigen sitzt er da und schaut verwundert seine Hände an.

Dann setzten wir uns zusammen und schwätzten ein wenig. Aber ich war die ganze Zeit geistesabwesend und antwortete nur, wenn ich dazu gezwungen war. Ich gebe plötzlich Munken Vendt meine Weste; sie ist zwar nicht groß genug, aber sie ist besser denn nichts. Dann schwätzten wir wieder, und es verging eine Weile.

Rosa, was ist das für eine? fragte er.

Das weiß ich nicht, antwortete ich. Rosa? Sie ist sicherlich der beste Mensch. Warum fragst du danach? Und die Baronin, was ist das für eine? fragte er wieder. Eine sonderbare Dame.

Die Baronin ist sicherlich auch ein ausgezeichneter Mensch, antwortete ich wieder, sie ist Witwe, hat zwei schöne Kinder. Eine sonderbare Dame? Ach, ich weiß nicht. Sie ist so zerrissen, verbreitet Unruhe über alles, sie greift hier in das Leben ein und bei Hartvigsens, selbst ich spreche gehetzter, seit sie gekommen ist. Sie geht umher und trauert einem jungen Leutnant aus ihrer Jugend nach.

Sie macht euch alle miteinander zu Trotteln, sagte Munken Vendt. Soll dieses alte Fell euch denn schulmeistern? Und das sagte ich ihr auch.

Ihr?

Genau so. Und was antwortete sie? Das gleiche sagte auch ein Doktor, den wir einmal hier hatten! antwortete sie. Ein vernünftiger Mann also.

War sie nicht beleidigt, wütend?

Ich weiß nicht, erwiderte Munken Vendt. Sie redete mich krumm und schief, ich wurde dumm davon. Ich glaube an die Tollheit kraft ihrer Notwendigkeit, sagte sie, ja, kraft ihrer eigenen Vernunft als Balance, sagte sie. Ich gehe jetzt in den Laden und trinke einen Schnaps, antwortete ich.

Und Munken Vendt lachte selbstsicher über das, was er gesagt hatte.

Ich fragte:

Hast du die kleine Martha gesehen? Wirst du ihr Lehrer werden?

In welchem Fach sollte ich ihr Lehrer werden? entgegnete er. Du weißt, was ich kann. Im übrigen werde ich kein Lehrer, sondern gehe dorthin zurück, wo ich hergekommen bin. Nein, hier bleibe ich nicht lange.

Nein, nein, sagte ich.

Ich betrachtete seine Hände, sie sahen wirklich krank aus und die Finger wurden immer mehr wie Würste; jetzt konnte er keine Handschuhe mehr anziehen. Da gab ich Munken Vendt einige Hemden. Als er mir dafür dankte, weinte ich und bat ihn für etwas um Verzeihung.

Munken Vendt lacht erstaunt und fragt:

Wofür bittest du mich um Verzeihung?

Ich antwortete nicht darauf, sondern sagte nur: Die Liebe ist hart!

Da fragte er und sah mich dabei mit großen Augen an:

Du bist doch wohl nicht verliebt in diese alte – diese – wie soll ich sie nennen?

Nein, in Rosa, antwortete ich.

Tage und Nächte vergehen, Munken Vendt fühlt sich daheim nicht wohl und will hinaus und etwas schießen, kann aber seiner kranken Hände wegen nicht. Er hat mit der Baronin einen Zusammenstoß gehabt, sie können sich gar nicht vertragen; Munken Vendt brach sich sogar eine schöne Rute ab und zeigte ihr, wie er den Lappen Gilbert züchtigen wollte. Das war im Walde bei der Mühle. Mit angehaltenem Atem lausche ich seinen Worten:

Dieses verrückte Weibsbild, dieses Frauenzimmer kommt und –! Endlich wird sie aufmerksam auf den Ausschlag an meinen Händen, es scheint ihr ein Licht aufzugehen, sie fragt: Aber Sie haben doch wohl nicht – sind Sie bei dem Gott gewesen? Bei dem Gott, sage ich. Beim Steingott? sagt sie. Ja, antworte ich, dort bin ich gewesen. Unglücklicher! ruft sie. Wir sprechen eine Weile darüber: ich hatte an dem Gott herumgefingert, an Gilberts Gott, er war heilig, jetzt hatte er sich an mir gerächt! Ich lache immer noch und scherze und mache sie einigermaßen verrückt, dann breche ich mir einen handlichen Weidenzweig und stutze ihn mir schön zurecht. Ich fordere den Lappen heraus, er heißt Gilbert, ein echtes Gewürm natürlich; heraus mit ihm! sie hört nicht auf mich, sondern nennt mich einen Unglücklichen und sagt Ärmster zu mir und bedauert mich. Der Steingott, sagt sie, oh, nun sehe ich, es ist wahr, daß er sich rächen kann! Es ist kein Stein, sagt sie, was für ein Stein kann es sein? Beachten Sie, daß er von einer Heiligkeit trieft, die Geschlecht auf Geschlecht der Lappen in ihn hineingebetet haben! sagt sie. Da ist meine Zeit gekommen, ich versuche meine Peitsche, sie pfeift schön durch die Luft und tut mir gleichzeitig grausam weh in meinen Fingern, aber ich achte dessen nicht vor Wut. Her mit dem Lappen! sage ich. Der Lappe? fragt sie; er kann Ihnen nicht helfen! Dann gehe ich fort und suche ihn selber! sage ich. Sie antwortet: Sind Sie verrückt, was wollen Sie? Und sie läuft mir nach und hält mich fest. Das Weib ist stark, merkwürdig stark, und ich bin so unbeholfen mit meinen Händen. Her mit dem Lappen, oder ich suche ihn selber und peitsche ihn bis zu Ihrem Hof! sage ich. Der Lappe? was wollen Sie mit dem Lappen? fragt sie und stößt mir wie ein Tier ihren Atem entgegen. Ich hebe die Peitsche auf und lasse sie durch die Luft heulen und sage nur: Bei Gott im Himmel! Erklären Sie mir, was Sie mit dem Lappen wollen! schreit sie. Ich erkläre ihr, daß ich den Lappen Gilbert züchtigen will, ah, aber ich werde ihn auf Tannenzweige und weiches Moos legen, wenn ich mit ihm fertig bin! Dieser Schlingel hat seinen Steingott mit einem Giftstoff eingeschmiert, um jeden unglücklich zu machen, der ihn anrührt! Ich fühle, daß ich sogar noch meine Joppe über den Lappen Gilbert breiten werde, wenn ich mit ihm fertig bin, denn er wird eine Weile auf der Stelle liegen bleiben! Bei diesen Worten wechselt die Baronin den Gesichtsausdruck, sie schnappt nach Luft und ihre Augen werden gleichsam blöde. Gift, sagt sie, hat er Gift hingeschmiert? Ja, das hat er, antworte ich, er hat etwas daraufgeschmiert, und es war sicherlich Warzenkraut und Quecksilber darin. Ich werde einen Boten nach dem Lappen senden! sagt sie. Dann gingen wir zusammen aus dem Walde heim. Gegen meinen Willen fühlte ich ein wenig Mitleid mit ihrem kleinen Verstand, sie hatte offenbar an alle Betrügereien des Lappen geglaubt. Sie gab Jens Kindsvater den Auftrag Tag und Nacht nach dem Lappen Gilbert zu suchen, bis er ihn fände und mitbringe. Verzeihung, weil ich so hart war! sagte ich zu der Baronin. Ja, Sie sind ein fürchterlicher Mann! antwortete sie. Dann entstand eine Pause zwischen uns. Wollen Sie den Lappen wirklich peitschen? fragte sie. Ja, ich will! erwiderte ich.

Ich sah mir Munken Vendts Hände wieder an, einige Blasen waren nun aufgegangen und bluteten. Da ich wußte, daß er keinen Schilling hatte, gab ich ihm zwei Taler, die ich am Morgen von Mack als Vorschuß erhalten hatte, und wiederum weinte ich in Unruhe und Sorge. Ich dachte die ganze Zeit: ja, die Liebe ist hart! Ich sinke immer mehr in Schlechtigkeit hinab und habe keinen Stolz und weiter keine Ehrlichkeit mehr. Tue ich Böses gegen jemand, gehe ich nicht hin und bekenne, sondern lasse einen Tag nach dem anderen verstreichen! Gott steh mir bei!

Dennoch hätte ich vielleicht bei dieser guten Gelegenheit mehr mit Munken Vendt gesprochen, aber er war von seinem Erlebnis mit der Baronin in Anspruch genommen und hatte mich vielleicht im Verdacht, daß ich um ihretwillen weinte.

Sei nur still, ihr würden ein paar Prügel auch ganz gut tun, sagte er.

Beim Mittagessen saß die Baronin zum ersten Mal seit langer Zeit ordentlich am Tisch und betrug sich anständig. Ich dachte: sie will einen Abstand zwischen sich und Munken Vendt bringen; aber das ist ganz vergeblich, er merkt nichts und nimmt nichts an, er bleibt der, der er war! Aber er hatte seine junge Gleichgültigkeit und sein Lachen, sogar Mack hörte ihm mit Wohlgefallen zu und lächelte zu seiner Lebensfreude. Mack schenkte ihm auch einige seiner eigenen Kleider, und Munken Vendt dankte ihm herzlich dafür und fühlte sich sehr wohl.

Am Abend brachte ihm die Baronin Bleiwasser für seine Hände.

Hierüber kam er augenblicklich in Erregung.

Aber wo ist der Lappe? sagte er und stand auf.

Der Lappe? fragte die Baronin. Er ist nicht gekommen.

Sie hatte Angst, noch mehr von dem Lappen zu hören, und ich sagte einige Worte, um Munken Vendt wieder zu beruhigen.

Er ist so ungebärdig, Ihr Kamerad, sagte die Baronin und lächelte.

Was fehlt mir! fragte Munken Vendt scherzhaft. Sehen Sie, wie fein ich in den Kleidern Ihres Vaters aussehe! Mir fehlt nichts!

Er stand auf und ging zur Türe hinaus. Diese fremden Kleider machten ihn auch wirklich zu einem ganz anderen; da er aber ohne jede Eitelkeit war, dachte er nicht daran, sie anders zu tragen, als die alten Lumpen, an die er gewöhnt war.

Lassen Sie mich Ihnen heute abend einen Umschlag um Ihre Hände machen, rief ihm die Baronin nach, als er ging. Sie war die lautere Güte.

Am Abend sollte es wieder zu einem Kampf zwischen diesen beiden kommen.

Munken Vendt trat gegen elf Uhr, als im Hause alles ruhig war, bei mir ein und fing zu erzählen an. Er hatte verbundene Hände, aber die Tücher hatten sich verschoben, und er bat mich, sie ihm ordentlich festzubinden.

Ist die Baronin ungeschickt gewesen? fragte ich.

Munken Vendt summte, als sei er zufrieden, aber ich sah gut, daß seine Gedanken abwesend waren.

Ach, es ist nur Kunst und Humbug mit allen diesen Feinen! sagte er. Ich ging hinein zu dieser alten – dieser –

Zur Baronin? fragte ich. Auf ihr Zimmer?

Was sollte ich tun, sie war nirgends zu finden, entgegnete er. Was war dabei? Gehen Sie in die Stube hinunter, sagte sie. Was soll ich dort? fragte ich. Dann verband sie mich. Gute Nacht! sagte sie. Warum das? meinte ich. Ach, es ist alles nur Torheit und Unsinn mit einer solchen Dame!

Pause. Dann feuchtete ich die Tücher in Bleiwasser an und verband ihn wieder; währenddessen stand Munken Vendt da und redete und tadelte die Baronin. Er hatte es sicher mit ihr versucht und hatte nichts erreicht, und ich gönnte ihr diesen Sieg, oh, ich wußte ja, daß sie nicht die geringe Person war, wie Munken Vendt meinte!

Als er lange geredet und geredet hatte, bat ich ihn, zu gehen. Aber er war jetzt nicht schläfrig und wollte sich nicht niederlegen.

Morgen will ich sie damit ärgern, daß ich die Weste schief zuknöpfe, sagte er. Ich will oben ein Knopfloch und unten einen Knopf übrig haben. Ja. Dann versteht sie, daß ich unmöglich bin. Du glaubst vielleicht nicht, daß man ihr alles zutrauen kann, was es auch sei? O ja.

Weit entfernt, sagte ich.

O ja, o ja. Wenn sie nur all den Unsinn loswerden könnte. Ich saß lange Zeit bei ihr. Sie dürfen sich nicht setzen, sagte sie. Da setzte ich mich noch ein wenig fester. Aber nur einen Augenblick, meinte sie. Warum? fragte ich. Dann griff sie nach dem Glockenstrang, aber sie wollte nicht klingeln. Dann wurde sie streng und ging zur Türe, aber sie öffnete sie nicht. So trieb sie es die ganze Zeit, Unsinn.

Und dann? fragte ich.

Dann! grinste er. Was konnte ich mit diesem Fetzen machen? Aber es war nur Eigensinn von ihr.

Weißt du, daß du sie morgen um Verzeihung bitten mußt? sagte ich heftig. Den einen Tag läßt du die Peitsche vor ihr durch die Luft sausen, den anderen Tag – was? Was bist du hier für ein großer Herr, bildest du dir ein, du habest ein Mädchen von den Schären draußen vor dir?

Nein, nein, antwortete Munken Vendt zahmer. Um Verzeihung bitten, sagst du? Jaja.

Morgen früh.

Heute abend! Sofort! sagt Munken Vendt plötzlich. Je länger ich es mir überlege, desto mehr Lust habe ich, es noch heute abend zu tun. Du hast recht, es war falsch von mir, ich verstehe mich nicht auf solche Leute, wo sollte ich das gelernt haben? Als ich sie küßte, biß sie sich danach blutig, ich bekam Angst vor ihr, sie stand da und schäumte Blut, daß es mich bespritzte, es war, als blühe ihr Mund. Und jetzt will ich gehen und mich entschuldigen. Findest du nicht, daß ich das sofort tun muß?

Nein, sagte ich.

19

Ich habe mich mit Absicht lange Zeit von Rosas Haus fern gehalten, ja, viele Züchtigungen habe ich über mich ergehen lassen wollen. Das ist nicht mehr als verdient! Ich habe mir selbst gelobt, zu Pflicht und Redlichkeit zurückzukehren und mich nicht mehr mit Hintergedanken durch Rosas Türe einzuschleichen.

Ich traf Hartvigsen, er lud mich ein mit ihm heimzukommen – ich dankte und lehnte es ab.

Es handelt sich eben darum, ob Sie Ihren Kameraden veranlassen könnten, Lehrer in meinem Haus zu werden, sagte er.

Haben Sie ihn nicht selbst gebeten?

Ja. Er will nicht.

Was sagt Ihre Gattin dazu? frage ich.

Meine Gattin? wiederholt Hartvigsen und scheint sich diesen Ausdruck zu Gemüte zu führen. Und wirklich, von nun an sagt er meine Gattin, meine Gattin, und sagt nicht mehr Rosa: Meine Gattin kümmert sich um nichts, sie hat jetzt so viel Angst vor allem möglichen, sagt Hartvigsen. Da muß nun ich alles allein bestimmen. Nein, meine Gattin hat sich nicht darüber geäußert.

Ich werde mit Munken Vendt reden, versprach ich.

Aber Munken Vendt läßt nicht an sich rütteln. Er fühlt sich ganz im Ernst unbehaglich hier und will wieder in seine eigene Umgebung zurück. Ich freue mich und bin gleichzeitig betrübt über seinen Entschluß. Er hält daran fest, daß ich mit ihm von hier fortgehen soll, und dies quält mich Tag und Nacht. Aber ich danke Gott dafür, daß seine Hände beinahe wieder geheilt sind.

Nun hat Munken Vendt die Baronin wegen seines Betragens um Verzeihung gebeten; danach aber fühlt er sich hier ganz unglücklich, weil er sich so schmählich schlecht benommen hat und keine innere Sicherheit mehr hat. Er freut sich darauf, seine Hände wieder gebrauchen zu können, bis er den Lappen Gilbert trifft. Aber Gilbert ist nirgends zu finden, Jens Kindsvater ist vor langer Zeit unverrichteter Dinge zurückgekehrt. Oh, hier hat die Baronin wohl die Hand mit im Spiel gehabt: sicherlich hat sie Jens Kindsvater ausgesandt, den Lappen zu finden, aber um ihn zu warnen. Sie geht davon aus, daß, wird der Lappe gefunden und dazu gezwungen, so wird er alles offenbaren und sie selbst in die Geschichte mit hineinziehen. Arme verirrte Baronin Edvarda!

Eines Tages fragt sie mich, wie lange Munken Vendt hier bleiben wird. Ich weiß es nicht, antworte ich; er will nicht ohne mich reisen! Am nächsten Tag ist sie noch unruhiger und wünscht, daß Munken Vendt fortgehen soll. Er ist so unbeherrscht, sagt sie, und obwohl ihr sein Betragen einen triftigen Grund gab, ihm zu befehlen, daß er fortgehe, erwähnte sie doch nichts davon. Sie war eine gebildete Dame. Dagegen ging sie in beständiger Furcht umher, der Lappe Gilbert könnte eines Tages auftauchen und Munken Vendt würde ihn zu fassen kriegen. Ihr Kamerad kennt kein Maß, sagte sie, er richtet leicht ein Unglück an! Ich werde mit Munken Vendt reden, erwiderte ich.

So sprach ich mit Munken Vendt. Sehr verdrießlich hörte er mir zu und war enttäuscht, daß er den Lappen aufgeben sollte. Er erklärte, wie er es machen wollte: ich sollte den Schleifstein drehen, und Munken Vendt selbst wollte die Hände des Lappen gut schleifen, damit die Haut weich und dünn wurde, dann sollten sich diese Hände eine halbe Stunde lang mit dem Steingott beschäftigen, und dieser Steingott sollte herzlich gestreichelt und getätschelt werden. Von da ab sollte ich dann meiner Wege gehen und nicht mehr dabei sein. Munken Vendt aber versprach feierlich, seine Joppe über den Lappen zu breiten, wenn er ihn im Weidengebüsch verließ.

Es ist der Baronin nicht recht, daß du dem Lappen etwas antust, entgegnete ich nur auf all dieses.

Da geht Munken Vendt eines Tages in den Wald und nimmt eine Axt mit. Ich gehe ihm ein Stück weit nach und höre ihn im Weidendickicht schlagen. Er hat den armen Steinmann zertrümmert und die Brocken in den Teich geworfen, jetzt hackt er die Weiden um und bahnt einen hellen Weg quer durch den heiligen Hain. Mochte er!

Willst du mitkommen, dann gehen wir morgen von hier fort, sagte Munken Vendt auf dem Heimweg.

Ich kann nicht, antwortete ich.

Dann gehe ich allein, sagte er.

Munken Vendt verheimlichte es auf dem Hofe nicht, daß er morgen fortwandern wollte, die Baronin sah erleichtert aus und saß am Abend bei uns und war voller Liebenswürdigkeit. Und oh, ihr wechselndes Frauengemüt! Jetzt, da Munken Vendt uns verlassen sollte, durfte er nicht den Eindruck gewinnen, daß sie eine kalte und müde Frau sei, nein, das durfte er nicht! Ich dachte: sie fühlt sich also in diesem Augenblick nicht beschwert von Munken Vendts seltsam brausenden Augen!

Sie saß da, die Arme wie ein Tor über sich haltend. Ihr Kleid war so knapp, daß es ihr dicht an den Schenkeln klebte. Ei! sagte Munken Vendt. Die Baronin sprach von Finnland als von ihrer Geburtsstätte: sie hatte dort ihre vielen Töchter geboren, darum nannte sie es ihre Geburtsstätte! Einen Mann, den ich liebte, würde ich mit meiner Zärtlichkeit umbringen! sagte sie. Ei! sagte Munken Vendt.

Ach, aber ich glaube sicher, die Baronin redete nur aus Ausgelassenheit, vor Freude darüber, daß sie gerettet war: Munken Vendt hatte den Götzen zerschmettert und jegliche Spur von ihm vernichtet, ja, den ganzen Hain gefällt; nun wollte er fortgehen, und sie würde ihn nie wieder sehen! Es war so viel Unruhe mit ihm gekommen – Gott sei Dank, daß er ging!

Sie schenkt uns Wein ein und bringt eine Entschuldigung ihres Vaters vor, weil er nicht Zeit hat, bei uns zu sitzen. Für Munken Vendt stopft sie eine lange Pfeife und bringt sie ihm, und mir gibt sie Kuchen, weil ich keinen Tabak rauche.

Nun sollt Ihr zuhören! sagte die Baronin und zog ein Papier aus der Tasche. Es ist ein finnisches Gedicht, ich habe es auf meine Art übersetzt. Es ist so seltsam.

Ja, es ist seltsam! Und die Baronin las es mit ihrer samtenen Stimme und sprach jedes Wort langsam aus; dann und wann war es, als sänge sie:

   

Alles hier auf dieser Welt –

Stütze mich, halte mich, stütze mich!

Der Frühling ist so sachte, so sacht liegt er über der Nacht und nichts entscheidet er, sondern führt mich nur ins Ungewisse und in Leid. Ach, der Frühling, er macht keinen starken und leichtverständlichen Eindruck, er kommt nur und verweilt bei mir, bis ich überwunden bin.

So ist der Frühling.

Ach, alles, was hier auf dieser Welt ist!

Könnte ich dich mit meinen Tränen erfreuen, dich, dort, wo du so ferne wanderst! Du, zwei Augenblicke hast du mich beglückt in meiner Jugend, den Schatz deines Lebens hast du in drei großen Stimmungen vergeudet! Aber ich habe keine Tränen mehr. Weißt du noch, als ich hereinkam und dich küßte und wieder gehen wollte. Da wandtest du rasch das Haupt und starrtest mich an, weil ich dich so innig liebte.

So bin ich.

   

Eine Axt ist freundlich und gut, kein Gift ist in ihr. Eine Axt taugt nicht zum Selbstmord, sie reißt niemand auf, sie küßt nur. Wenn die Axt küßt, entsteht ein roter Mund, zwei rote Lippen öffnen sich, wo sie küßt.

So ist die Axt.

Und hier habe ich ein Herz für sie.

   

Ach, aber das Leben ist so:

Ewig Trennung von dir. So ist das Leben. Und keiner kann es leben, ohne von Torheit erleuchtet zu sein, so daß er nichts anderes versteht als Rätsel. O, komm nun in den Frühling, du, so groß und geliebt und bringe die Axt mit! Ich stelle mich unter die Sterne und meine Zunge leckt nach der Axt. So bin ich.

So ist das Leben.

   

Während des Lesens wurde die Baronin dunkelrot im Gesicht, mehrere Worte sang sie. Sie reichte das Papier Munken Vendt. Er sagte: Das ist nur Künstelei und Unsinn! Das Blatt landete bei mir.

Die Baronin saß eingeschüchtert da, sie schämte sich bei Munken Vendts Worten, als habe sie mit ihrem Vorlesen etwas Falsches begangen, vielleicht kam sie sich lächerlich vor, weil sie einige der Worte geradezu gesungen hatte. Dankt mir nun für das Vorlesen! sagte sie, um sich zu fassen. Und wir dankten ihr beide. Vielleicht sollte es zu Musik rezitiert werden? meinte ich. Jawohl, antwortete Munken Vendt augenblicklich; denn dann würde es noch schlimmer werden. Dann sollte Blis, mein Mädchen, es singen, hahaha.

Da aber Munken Vendt abreisen sollte, fühlte sich die Baronin zunächst und vor allem verpflichtet, ihn zu unterhalten, sie füllte sein Glas und trank ihm zu.

Der Leuchtturmwächter erzählte mir einmal von den Ländern, wo der Wein wächst, sagte sie. Wenn nur aus unserer Pilgerreise etwas geworden wäre, so wären wir dorthin gekommen.

Munken Vendt antwortete:

Aber hier ist es auch schön, die Tannenwälder, die Berge, das Nordlicht. Daheim habe ich eine Höhle, dort ist es schön! Der Wein hatte wohl in Munken Vendt Erinnerungen geweckt, als er das sagte, er sah warm und schön aus, und starke Gefühle ließen seinen Atem schwerer gehen.

Ja, aber hier liegt im Winter Schnee, das ist schlimm. Und alle Gewässer frieren zu, hu! An anderen Orten ist Sonne und Regen, Sonne und Regen, hat der Leuchtturmwächter gesagt. Und die Menschen gehen in dünnen Kleidern, die Mädchen tragen nur ein Hemd und einen Rock.

Ei! sagte Munken Vendt.

Kurz darauf leert er sein Glas, dankt und verläßt die Stube. Es ist Abend, die Lichter im Laden verlöschen nach und nach; das unterste Fenster, wo der Branntweinausschank ist, schimmert noch ein wenig, dann wird es auch dort dunkel.

Munken Vendt kommt in mein Zimmer herauf, er war im Laden gewesen und hatte noch mehr getrunken, jetzt ist er sehr aufgeräumt.

Das hättest du nicht tun sollen, sage ich.

Schweig! erwiderte er. Du bist wie ein Mädchen, du hältst alles aus und schließlich hast du nichts anderes davon als lauter Pickel im Gesicht. Und die Pickel schmierst du ein wenig ein, und dann geht es dir besser, und dann bekommst du andere Pickel, mit denen du es genau so machst. So schwach bist du.

Geh und leg dich schlafen, wenn du morgen wandern willst, sagte ich da.

Munken Vendt antwortete:

Ich wandere nicht. Übrigens hat die Baronin recht: Du bist vielleicht gar kein Junge. Du spielst Klavier wie ein anderes Mädchen, sagt sie.

Diese Worte taten mir weh. Ich hatte viel Mühe darauf verwendet, spielen zu lernen, jetzt wurde mir auch das nicht zugute gehalten, sondern zu meiner Schmach gedeutet. Jaja, dann war ich wohl ein winziger ordentlicher und im Kleinen tüchtiger Jüngling, von der Vorsehung so geschaffen und ausgesandt. Und Munken Vendt war ein Mann.

Gehst du morgen nicht fort? fragte ich.

Nein. Und auch nicht übermorgen. Ja, siehst du, ich warte auf den Lappen. Außerdem sagte sie jetzt draußen auf der Treppe zu mir, daß ich heute abend so schön gewesen sei, meine Augen hätten gebraust, sagte sie, hahaha.

Wer sagte das?

Wer? Die Baronin.

Was sagtest du da?

Was ich sagte? Ei! sagte ich. Aber frage, was ich tat! Höre, wie lange kann ich jetzt bei dir hier gestanden haben?

Eine Viertelstunde, entgegnete ich. Eine Viertelstunde zu lange.

Jetzt gehe ich, sagte er.

Ach, er hatte wohl etwas vor, weil er nach der Zeit fragte. Ich hörte ihn leise sich über den Gang bewegen. Ich ging noch nicht zu Bett, zog sogar noch etwas an und stand zum Fortgehen bereit da, – da kommt Munken Vendt zurück.

Ist es nicht so, wie ich sage, mit den Feinen ist es lauter Unsinn! rief er erbittert aus. Schweig, sage ich; ich hatte Grund zu tun, was ich tat. Aber nur lauter Unsinn. Zum Teufel auch! Willst du fort?

Ja.

Ja, du läufst es dir weg, das ist dein Mittel. Und dann schmierst du die Pickel ein wenig ein. Und wenn dann neue Pickel kommen –

Mit einem Ruck reiße ich die Türe weit auf. Munken Vendt sieht mich an, und obwohl er mir ins Gesicht lachen und sich auf einen Stuhl hätte setzen können, wurde er auf einmal ernst und sagte:

Gut, du hast recht, ich gehe jetzt und lege mich schlafen. Aber du mußt zugeben – die Türe war ja versperrt.

Wenn sie dir versprochen hat, sie offen zu lassen, so geschah das nur, um dich los zu werden, sagte ich. Du bist ja wie ein Tier.

Munken Vendt denkt darüber nach.

Findest du? meinte er. Aber ich durfte sie doch küssen? Und wie! War auch das nur, um mich los zu werden?

Ja.

Das kann wohl sein. Ich verstehe mich nicht auf solche Leute. Aber jetzt gehe ich schlafen.

Ich nahm den Weg zu den Ladespeichern. Und ich sah hinüber zu den erleuchteten Fenstern in Hartvigsens Haus, ging jedoch vorüber. Auf dem Rückweg machte ich halt an dem Wege, der zu Hartvigsen führt und sah mir die Sterne ein wenig an. Aber ich setzte meinen Fuß nicht auf seine Straße, sondern stand nur da und betrachtete die Sterne.

20

Munken Vendt ist abgereist.

Ich hatte angefangen, zu glauben, daß er dennoch Hauslehrer bei Hartvigsens werden würde; aber Tag um Tag verging, und er lehnte es die ganze Zeit ab, Lehrer zu werden. Er verhöhnte mich um meiner Stellung willen und fragte, warum ich überhaupt in diese Gegend gekommen sei? Um meinem Schicksal zu begegnen, antwortete ich. Die Baronin schüttelte den Kopf darüber, daß mein Kamerad immer noch blieb, ja, sie beklagte sich geradezu bei mir.

Er hat so viele gute Eigenschaften, sagte ich.

Nein. Na ja, das hat er vielleicht, entgegnete sie. Aber er ist so gottlos. Wenn ich das nur verstehen könnte, er geht in den Bergen und Wäldern umher und wird gottlos!

Ja, er ist gottlos.

Ja. Und mich macht er nur leichtsinnig. Ich bereue hinterher alles, was ich sage und tue. Nein, er soll reisen. Ei, sagt er nur, und wozu sagt er das? Er irrt sich. O Gott, ich verberge nicht, daß ich – daß er –, ich verberge nichts, sein Aussehen und sein Vollbart – Aber es ist ein so himmelweiter Unterschied. Mit diesem Gemüt in die Berge und Wälder zu gehen!

Später hörte ich, daß die Baronin mit ihrem Vater gesprochen hatte. Das brachte die Entscheidung. Mack hatte still und sicher mit Munken Vendt gesprochen und dazu genickt.

Und Munken Vendt kam zu mir, wunderte sich wiederum über die Feinen und erklärte, daß er fortwandern wolle. Den Lappen müsse er vorläufig aufgeben. Wann kommst du nach? fragte er mich. Später, antwortete ich, bald. Ich bin noch nicht ganz fertig. Warte auf mich.

Dann ging Munken Vendt.

Es ging nun so stark auf den Herbst zu, daß Sir Hugh Trevelyan seine Fischerei im Nachbarkirchspiel aufgegeben hatte und nach Sirilund gekommen war, um auf das Postschiff zu warten. Er wohnte einige Tage in Macks Haus und redete nichts, sondern lag auf seinem Zimmer und trank viel. Er hatte sich gut gehalten, seit er zum letztenmal auf Sirilund gewesen war, und hatte zwei Monate lang keine starken Getränke genossen, jetzt machte er sich wieder ein Vergnügen daraus, viele, viele Flaschen Kognak zu leeren. Die Baronin hatte großes Mitleid mit ihm und fragte täglich nach ihm; in letzter Zeit nahm sie eigenhändig das Tablett und brachte Sir Hugh Essen und Kaffee auf das Zimmer. Dies begann sie sehr zu beschäftigen, und ihre allgemeine Traurigkeit und Unruhe verflog, als sie an anderes zu denken hatte. Stundenlang redete sie mit Sir Hugh, wenn er im Bett lag, und schließlich brachte sie ihn auch dazu, zu antworten, ja, sich zu unterhalten wie ein ordentlicher Mensch. Er erzählte ihr von dem Silberfeld, das er von Hartvigsen gekauft hatte, daß er viel Geld dafür bezahlt habe, daß das aber nichts ausmache, denn es seien fabelhafte Werte darin. Und er habe hier im Norden einen Sohn, der heiße Hugh und sei der rechte Eigentümer des Silberfeldes, die Urkunde laute auf seinen Namen. Laßt die Felsen nur einstweilen liegen, sie steigen und steigen im Wert, und der Junge soll sie haben! Sir Hugh sprach offen davon, daß das Kind bei seiner Mutter Edvarda in Torpelviken sei; er wolle sogar ein Haus für die beiden hier auf diesen Klippen bauen. Welch ein Bauplatz, ein Haus auf Silbergrund! Sir Hugh hatte diese Reichtümer gefunden, das war die einzige Tat seines Lebens, er hatte sie hier im Nordland in Norwegen entdeckt. Das soll mir einer nachmachen! sagte er. Die Baronin ging auf alles ein und machte den kranken Mann wieder gesund, sie brachte ihn auch dazu, daß er das Bett verließ und sich anzog.

Am nächsten Tag kam das Postschiff und Sir Hugh reiste ab.

Es hatte den Anschein, als ginge die Baronin umher und denke an diesen englischen Herrn. Er war zwar kein Jäger, aber er war ein Fischer und eine einsame und eigenartige Seele, genau wie Glahn. Sie sagte von Sir Hugh, daß er keineswegs ein Säufer sei, sondern ertrinke nur so fürchterlich, wenn er sich langweile und er die Lebensweise verändern wolle. Daheim in England besitze er vier Schlösser.

Bald ist der Herbst zu Ende, und die Fahrzeuge werden von Bergen erwartet. Hartvigsen freut sich über das ruhige Wetter, gewiß geht alles gut, und er verdient die Versicherung! Ach, es war nicht dieser kleine Verdienst, der Hartvigsen am Herzen lag, sondern es war die Ehre, mitten vor Macks Augen ein nettes Geschäft zu machen. Aber noch war es kein Geschäft, sondern ein Wagestück, eine Lotterie.

Da kam schon Wächter Svends großes neues Schiff mit vollen Segeln die Bucht hereingeschwommen. Wir standen alle bei Hartvigsens Schuppen und sahen zu. Und Wächter Svend rührte fast nichts an den Segeln, ehe er in den Wind aufschoß und Anker warf, da waren seine Leute im selben Augenblick auf den Rahen und bei den Schoten und bargen die Segel. Dann lag das Fahrzeug ruhig und schwer auf dem Wasser, voll von Waren.

Das hätte ich selbst auch nicht besser machen können! meinte Hartvigsen.

Rosa stand auch bei uns. Sie war die gleiche wie früher und trug nur einen großen Schal über den Kleidern, wegen ihres Zustandes. Sie war ruhig und freundlich, im Wesen schon wie eine Mutter; als sie mir die Hand reichte, maß sie keinen kurzen Händedruck ab, sondern ließ die Hand lange in der meinen ruhen. O Gott, in allem, was es auf der Welt gab, war sie tiefer und feiner als andere. Und ich konnte nichts Gutes für sie tun, als mich nur für sie in den Wind stellen und die Kälte abfangen.

Es ist so lange her, seit wir Sie gesehen haben, kommen Sie nicht bald wieder einmal und spielen uns ein wenig vor? sagte sie.

Ich spiele nie mehr, antwortete ich.

Und sie verstand wohl an meinem Ton, daß ich eine innere Ursache hatte, so zu antworten, wie ich tat, darum fragte sie mich nicht weiter aus. Dagegen bemerkte ich, wie sie bald darauf an meine andere Seite zu kommen versuchte, um statt meiner im Winde zu stehen, weil ich dünner gekleidet war; ich ließ es jedoch nicht geschehen. Ich entsinne mich dessen noch ein halbes Menschenalter danach; wenn sie sich drehte, mußte ich versuchen, ihr zu begegnen, indem ich höher auf die Felsen stieg, auf diese Weise entfernten wir uns mehr und mehr vom Schuppen.

Und Ihnen geht es gut? sagte sie.

Ja, danke. Und Ihnen?

Danke, ja, ein Tag vergeht nach dem anderen. Es ist ein wenig langweilig, Benoni ist immer draußen.

Ich dachte: früher war es ihr vielleicht am liebsten, daß ihr Mann sich draußen aufhielt; jetzt aber war es wohl nicht mehr so, und ich gönnte es sowohl ihr als auch ihm, daß jetzt in ihrem Leben so vieles besser geworden war. So verging freilich ein Tag um den anderen.

Benoni ist früh und spät draußen, fuhr sie fort. Ich muß sagen, er ist unvergleichlich. Früher verstand ich mich nicht so darauf, aber jetzt sehe ich es. Alle brauchen sie ihn, und er hilft jedermann.

Das ist wahr, er hilft allen.

Wenn wir jetzt nur in Frieden bleiben dürften! Ich habe oft solche Angst, es vergeht nicht ein Tag, ohne daß ich Angst habe.

Ist ein neuer Brief an Malene gekommen?

Nein. Aber das nützt nichts; denn woher kam der erste? Ich habe jetzt Benoni alles erzählt, und er war wie ein Vater gegen mich. Es geht mir so gut, wie es mir nur gehen kann.

Hartvigsen ruft dem Fahrzeug zu:

Willkommen daheim! Wo sind die anderen?

Rosa und ich stehen ganz hoch auf den Klippen, wir hören Wächter Svend antworten:

Die Jacht ist sicherlich nur einige Meilen hinter uns. Aber die Galeasse war nicht klar, als wir abfuhren.

Sie kommen wohl alle! sagt Hartvigsen und nickt zu uns herauf. Denn es macht bestimmt nicht das geringste aus, daß eine Frau an Bord ist. Das ist nun einmal mein einfältiger Glaube. Steht nicht da oben und friert! ruft er uns lauter zu.

Friere nur du selbst nicht! antwortet Rosa. Du hast nur eine Joppe an, aber ich habe Mantel und Schal.

Diese Freundlichkeit tat Hartvigsen wohl, er knöpfte die Joppe noch obendrein auf und sagte: Frieren – schau her! Er stieg zu uns herauf und sagte zu mir: Gehen Sie lieber mit ihr heim, tun Sie das! Meiner Gattin tut die Kälte nicht gut.

Du sollst, bitte, deine Joppe zuknöpfen! sagt Rosa und knöpft ihm mit eigenen Händen die Jacke zu.

Ich fühlte einen Stich des Mißbehagens, als ich diese Zärtlichkeit sah, die guten Hände gingen so geschickt mit den Knöpfen um, und währenddessen stand Hartvigsen da und war glücklich und stolz.

Verheiraten Sie sich niemals! sagte er scherzend zu mir. Sie haben nie Frieden. Sie glaubt, ich friere. Geht jetzt beide heim, ich komme sogleich nach.

Ich entschuldigte mich, ich fühlte, wie mein Gesicht starr und verzerrt wurde.

Er muß offenbar wieder heim, sagte Rosa, und vielleicht sagte sie das, um mir zu helfen.

Ja, antwortete ich und nahm Abschied.

Rosa sagte schließlich: Geht es Edvarda gut? Grüßen Sie sie!

Drei Tage später lief die Jacht in den Hafen ein; aber die Galeasse war noch nicht gekommen, und man hatte sie nicht gesehen. Hartvigsen nickte jedoch wiederum sehr zufrieden, es ginge wohl alles gut! Jetzt kam großes Leben in die Bucht, Boote ruderten von und zu den Fahrzeugen und löschten sie, und an Land waren beide Pferde von Sirilund im Geschirr und füllten Speicher und Keller mit Waren.

Und die Tage vergingen.

Ich hatte meine kleine Schule mit den Mädchen angefangen, und sie bestand darin, daß ich der älteren die Buchstaben lesen lehrte, die jüngere aber sollte sie sich in ihrer Reihenfolge merken. Und Klein-Tonna lernte im übrigen von selbst das ganze Alphabet von ihrer großen Schwester, so daß ich mit ihr gar nichts zu tun hatte. Hätte ich nicht stundenlang mit den Kindern gespielt und außerdem meine Malerei gehabt, würde ich ohne Beschäftigung gewesen sein. Selbstverständlich erzählte ich den Kindern viele Märchen von kleinen Vögeln und Puppen und den Bäumen im Walde. Einige dieser Märchen erfand ich aus mir selbst heraus; wenn aber die Kinder sie später wieder zu hören verlangten, und ich konnte sie ihnen nicht genau so wie früher erzählen, jubelten sie über meine Ungenauigkeit und fingen selbst zu erzählen an. Ich werde das nie vergessen, es waren gute und gesegnete Tage. Und meistens saßen die beiden Kinder auf meinen Knien, wenn wir die Märchenstunde hatten.

Herbstwetter setzt ein, es sind die harten Tage der Tag- und Nachtgleiche, und das Meer ist manchmal sulzig vom Schnee. Die Galeasse ist nicht gekommen. Hartvigsen fängt an darüber zu schelten, daß die anderen Fahrzeuge die Galeasse in Bergen zurückgelassen haben; der schwer segelnde Funtus mit seiner plumpen Takelage hätte im Gegenteil zuerst geladen werden sollen, und man hätte ihm den Vorsprung einer Woche geben müssen. Es stellt sich aber heraus, daß die anderen Fahrzeuge ohne Schuld sind, Mack selbst hatte einen Brief an seinen Kaufmann in Bergen gesandt und bestimmt, daß der Funtus dort warten solle, bis er eine Liste verschiedener Waren gesandt hatte, die er brauchte. Diese Liste sollte mit dem nächsten Postschiff kommen. Als aber Wächter Svend abfuhr, war die Liste noch nicht eingetroffen. Und der Funtus lag da und wartete.

Es ist nun anhaltend scheußliches Wetter mit dunklen Nächten; wenn das Postschiff nachts vor Sirilund pfeift, ist es, wie wenn ein Tier brüllt. Es ist sehr unheimlich. Jaja, jetzt ist es draußen auf dem Meer nicht geheuer! sagen die Leute. Aber Hartvigsen macht sich noch keine Sorge um die Galeasse: Es kann keinesfalls etwas ausmachen, daß Bramaputra an Bord ist, meint er; sie haben wahrscheinlich nur Gegenwind gehabt! Eines Abends, als es stark bläst, der Himmel aber hell von Sternen ist, wandere ich wieder zu den Speichern hinunter, weil es so schön ist, die Sterne von Hartvigsens Weg aus zu betrachten. Die zarte Sichel des Mondes gibt kein Licht, aber in der Milchstraße fährt es wie sprühende Funken über den Himmel.

Während ich dort stehe, hat Hartvigsen mich von seiner Türschwelle aus erblickt und ruft mir zu, herunterzukommen. Es ist mir peinlich, so nahe seinem Hause ertappt zu werden, ich gehe aber sogleich zu ihm hinunter. Hartvigsen ist munter und zufrieden: heute abend wird der Funtus ein gutes Stück weiter nach Norden kommen, sagt er, es ist klares Wetter, und der Wind kommt von hinten!

Als ich in den Gang eintrat, hörte ich Röcke rascheln; es wird Rosa sein, die sich zur Ruhe begibt! dachte ich.

Hartvigsen zeigte mir, was für schöne Sachen Wächter Svend in Bergen für ihn gekauft hatte: einen Taucheranzug und eine hebräische Bibel. Ach, dieses Kind, diese sonderbare Mischung von Bauernschlauheit und Einfalt! Er zeigte den Taucheranzug wie eine Sehenswürdigkeit und ein Kleinod und schaute mich dabei an, ob ich ihn nicht bewundere.

Nicht alle haben einen solchen Anzug in ihrem Haus! sagte er. Schauen Sie den Kopf an, er könnte mich wahrlich fast erschrecken! Nun, Sie glauben vielleicht nicht, daß ich ihn anzuziehen wagte; aber ich schlüpfte am ersten Tag hinein, und Wächter Svend pumpte Luft:

Man hat wohl ein steifes Gefühl, wenn man darin ist? frage ich.

Ja, tanzen kann man darin nicht, nein. Haha, wollte ich in diesem Kleid auf einen Tanz kommen, würden wohl alle die Flucht vor Hartwich ergreifen.

Jetzt wandte seine Aufmerksamkeit sich der hebräischen Bibel zu.

Jaja, der Taucheranzug und was dazu gehört, das kann hier hängen. Hier gibt es nun bald alle erdenklichen Dinge zwischen Boden und Dach. Aber was sagen Sie nun zu diesem Ding?

Es war eine gebrauchte Bibel; Hartvigsen erklärte, daß sie neu nicht zu bekommen gewesen sei. Es heißt, daß sie jetzt nicht mehr gedruckt wird, seit sie bei Luther in Wittenberg gedruckt worden ist, erzählte er. Wie ärgerlich, daß meine Gattin hinaufgegangen ist, denn sonst hätten Sie vielleicht ein wenig daraus vorgelesen.

Ich las ganz kurz darin von dem, was ich verstand, und Hartvigsen wunderte sich mächtig über mich. Er holte Wein aus dem Schrank und beklagte abermals, daß seine Gattin nicht zugegen sei. Ich blieb lange Zeit sitzen, die Zeit verstrich; ich hatte nichts dagegen, daß Rosa abwesend war, so hatte ich nichts von mir zu befürchten und saß dennoch in ihrer Stube.

Als ich Hartvigsens Haus verließ, war der Himmel bewölkt; nicht ein Stern war mehr zu sehen. Und es rauschte schwer vom Meer herauf; dann und wann schlug mir eine Schneeflocke ins Gesicht.

21

In der Nacht ging die Galeasse Funtus im Fjord draußen unter. Es war so merkwürdig, ja, wie ein schlimmes Wunder. Es geschah sogar in der Morgendämmerung und während eines halbstündigen Schneegestöbers; aber danach war alles wieder klar, und es wurde rasch hell. Aber es herrschte ein großer Sturm. Der Leuchtturmwächter hatte von seinem Turm aus das Ende der Katastrophe gesehen: einige der Leute hatten sich in die zwei kleinen Booten gerettet; aber der Schiffer Ole Menneske und seine Frau kamen um. Zynisch schloß der Leuchtturmwächter seinen Bericht: Jaja, die Bramaputra war zu ihren Lebzeiten ein lebhaftes und gutmütiges Ding gewesen, und jetzt ist sie mit Mann und Maus untergegangen.

Das war beinahe nicht zu verstehen. Unterwasserklippen? Jawohl, ein langer Felsen, ein Kamm. Aber was wollte auch die Galeasse so weit im Westen? Der Kurs ging östlich vom Leuchtturm. Und der Funtus, dieser große Seeriese – einige Minuten lang stand er zitternd auf dem Riff, dann glitt er zurück, füllte sich mit Wasser und verschwand in der Tiefe.

Als er bereits am Ziele war, ja, fast im Hafen!

Hartvigsen war anfangs sehr erschüttert: zwei Menschen waren umgekommen, die in seinem Dienst gestanden hatten, und er hatte Schiff und Last verloren! War es nicht auch wie eine besondere Rache, Vernichtung und Schaden für seine Geschäftsklugheit? Zur Hölle damit! Und zum Teufel, was hatte die Galeasse westlich vom Leuchtturm zu suchen? Das Schneegestöber? Jawohl, aber es waren doch nur ein paar Schauer gewesen: der Leuchtturm war doch eine ganze Stunde vor dem Unglück zu sehen gewesen, und es hatte viele lichte Augenblicke in dieser Stunde gegeben!

Hartvigsen grübelt darüber nach und vertieft sich darein und flucht derb. Nein, der Ole Menneske war nicht gescheit genug, sagte er. Und zum Teufel, wozu mußte er ein Frauenzimmer an Bord haben? Hartvigsen wechselte jetzt die Meinung und gab dem Schiffer und Bramaputra die Schuld.

Während wir dort am Wege stehen, kommt Wächter Svend und erzählt, Ole Menneske selbst habe ihm in Bergen mitgeteilt, daß der Funtus bei seiner Heimkunft westlich vom Leuchtturm segeln solle, weil das Fahrzeug in die äußere Bucht kommen und neu hergerichtet werden solle.

Wer hat diesen Befehl gegeben?

Mack selbst.

Wiederum grübelt Hartvigsen nach, betrachtet den Weg und schaut uns an und denkt viel. Er ist keineswegs damit zufrieden, daß Mack diesen Befehl hinter seinem Rücken gegeben hat.

Kommt und geht mit zu meinem Kompagnon! sagte er zu uns.

Wir trafen Mack im Laden. Hartvigsen war stolz und aufgeblasen, als er seine Rede anfing:

Ich höre, daß Sie den Funtus westlich vom Leuchtturm beordert haben, damit er im Winter aus dem Wasser komme.

Ja, um hergerichtet zu werden, antwortete Mack.

Ich dachte, ich sei es, der den äußeren Betrieb zu leiten habe.

Mack nahm sein Batisttaschentuch heraus und sagte:

Es war in einer guten Absicht geschehen, lieber Hartwich.

Ja, der Teufel weiß, was für eine Absicht Sie hatten!

Mack sieht ihn gnädig an.

Zuerst halten Sie die Galeasse in Bergen bis in den tiefen Winter zurück, fährt Hartvigsen fort, und wozu sollte das gut sein? Dann soll sie noch obendrein zur Nachtzeit bei Sturm und schwerer See einen fremden Kurs segeln. Wenn nun Ole Menneske den Langen Grund nicht einmal kannte?

Den kennt jedes Kind. Aber das Unglück wollte eben, daß Schneetreiben herrschen mußte.

Jaja, Sie haben immer eine leichte Antwort auf der Zunge; aber ich habe Schiff und Last verloren, das ist etwas anderes.

Unleugbar. Ich beklage es aufrichtig, entgegnet Mack. Du warst nicht glücklich mit deiner Spekulation. Auch ich hätte in all diesen Jahren, in denen ich das Geschäft betrieben habe, bei mir selbst versichern können; aber ich habe es niemals gewagt.

Hartvigsen gibt es nicht verloren:

Es würde alles gut gegangen sein, wenn nur Sie nicht mit Ihren Befehlen gewesen wären. Jetzt frage ich zum Beispiel: was die ganze Last der Galeasse betrifft, sollte sie etwa von ganz draußen, vom äußeren Hafen, bis hierher gefahren werden? Das wäre eine Arbeit für die beiden Pferde während des ganzen Winters gewesen. Das ist ja lächerlich. Statt dessen hätten wir die Galeasse wie die anderen Fahrzeuge vor der Haustüre löschen können.

Aber nun schaut Mack voll Gnade auf seinen gekränkten Teilhaber herab. Es war ihm so leicht zu antworten, es war zu leicht, und er schien ihn nicht mit einem Lächeln noch mehr aufreizen zu wollen:

An dem, was du sagst, ist etwas Wahres, Hartwich. Aber da vergißt du unsere kleinen Freunde, die Handelsleute draußen auf den Schären. Alle Waren auf dem Funtus sollten zu ihnen hinaus kommen. Indem ich nun den Funtus in den äußeren Hafen legte, sparten wir unseren Kunden auf den Schären eine halbe Meile unangenehmen Umweges zu unseren Speichern. Ich hatte ihnen das versprochen, sie sind das ganze Jahr hindurch unsere guten Kunden, Hartwich. Der Funtus hatte Salz und Mehl und Waren für Keller und Laden, alles, was die Schärenbewohner brauchen.

Pause.

Aber ich gebe zu, wären nicht alle diese Umstände gewesen, fuhr Mack fort, hättest du allen Grund unzufrieden zu sein. So aber sehe ich nicht ein, daß ich irgendeine Schuld habe.

Nein, nein! sagte Hartvigsen und kniff die Lippen zusammen. Und daß die Galeasse bis nach der Tag- und Nachtgleiche in Bergen festgehalten wurde, war etwa nicht Ihr Befehl?

Doch. Aber ich wartete selbst auf die Bestellungen von den Schären. Ich konnte meine Liste nicht absenden, ehe diese Bestellungen eingelaufen waren.

Dann hätte lieber die Jacht in Bergen warten können.

Als hätte das Unglück nicht auch sie treffen können! antwortete Mack. Im übrigen möchte ich nur sagen, daß ich mich ohne jede Schuld fühle.

Mack zog seinen Rock fester zusammen und knöpfte ihn zu. Dann ging er zur Kontortüre und verließ seinen Teilhaber, offenbar verkannt und wirklich verletzt.

Als das Wetter sich nach ein paar Tagen besserte, nahm Hartvigsen Mannschaft mit und fuhr zum Langen Grund hinaus, um zu sehen ob Etliches von der Ladung herumtrieb und geborgen werden könnte; aber dafür bestand keine Aussicht. Auch keine der Leichen war heraufgekommen. Von den Ertrunkenen aber erzählte ein Mann, der sich vom Funtus gerettet hatte, eine dunkle Geschichte: daß Bramaputra gerettet hätte werden können, daß ihr Mann jedoch sie an sich gerissen und mit in die Tiefe hinuntergezogen habe. Das hatte der Mann mitten in aller Verwirrung gesehen. Und Bramaputra habe geschrien und ihre Augen seien rund und weit aufgerissen gewesen. Ich fragte den Mann: Stritten sich der Schiffer und seine Frau an Bord? Ja, beständig, antwortete er; Bramaputra war ja so gutmütig, und der Kapitän konnte deswegen die ganze Zeit nur mit einem halben Auge schlafen. Er hatte nie genug Schlaf. Wir schrien ihm zu wegen des Langen Grundes, er aber steuerte nicht weg; seine Augen waren ganz weiß.

Dann hat Ole Menneske vielleicht eine Absicht damit verfolgt, als er geradeswegs auf den Langen Grund zusteuerte, dachte ich. Die Liebe ist hart.

Im Laufe der Zeit wurde Hartvigsen ruhiger und fand sich mit dem gewaltigen Verlust ab. Das war nun, allein in meiner Zeit auf Sirilund, die dritte große Auszahlung, Gott weiß, ob er noch viele solcher Püffe aushalten konnte! Aber Hartvigsen war wohl so bodenlos reich, sein Geld nahm nie ein Ende. Wenn er jetzt von der Versicherung und dem Verlust sprach, geschah das mit großer Gemütsruhe: es ist nur gut, daß der Verlust einen getroffen hat, der ihn tragen kann! sagte er. Eher prahlte er jetzt noch ein wenig schlimmer als zuvor und er überlegte sich, ob er an Stelle der Galeasse ein Dampfschiff kaufen sollte. Doch zu Mack schien er kein großes Vertrauen zu haben. Zwar hatte er im Laden letzthin geschwiegen und nicht mehr gesagt, als anging; aber er hatte seinem Teilhaber doch alles mögliche zugetraut. Warum sollte auch der Funtus jetzt auf einmal voll beladen in den äußeren Hafen fahren, jetzt, nachdem er es all die Jahre her nicht getan hatte? Oh, hier steckte sicher etwas dahinter.

Die Rahmenleisten sind gekommen. Nun fragt es sich, ob Sie mir bei den Rahmen für alle Bilder behilflich sein wollen? sagt er zu mir. Zur gleichen Zeit erinnert er sich des Bildes, das ich Rosa geschenkt hatte, und will mir etwas dafür bezahlen, will mich richtig großzügig entschädigen. Als ich sein Angebot ausschlage, sieht er mich gutmütig an und verspricht, daß es dort, wo ich es an seine Wand hänge, in alle Ewigkeit hängen solle. Seiner Gattin gefalle das Bild so gut.

In den Tagen, in denen ich die Rahmen für Hartvigsens Bilder zuschnitt, traf ich Rosa oft allein oder zusammen mit Martha. Rosa hatte nun selbst angefangen, das Kind zu unterrichten, und sie hatte ausgezeichnete Kenntnisse dazu. Eines Tages waren wiederum hundert Taler an Frau Malene gekommen, aber auch diesmal kein Brief. Es war sehr mystisch und klang sogar wie eine Fabel, aber der Lappe Gilbert war wieder aufgetaucht und mit der Neuigkeit zu Rosa gekommen; später war Rosa bei der alten Malene gewesen und hatte Geld und Umschlag gesehen.

Rosa sagte:

Es war nicht Nikolais Schrift; aber das Geld ist von ihm.

Jaja, sagte ich.

Ja, aber Benoni sagt, er sei tot! rief sie aus. Und ich bin bei Mack gewesen, und Mack sagt auch, er sei tot.

Sie dürfen das nicht so schwer nehmen, versuche ich sie zu beschwichtigen. Auf jeden Fall kommt er niemals wieder.

Das ist alles so schlimm, antwortet sie. Man sollte nicht wechseln, niemand sollte wechseln. Und jetzt lebt er vielleicht doch noch.

Da war es, als würde ich ihrer krankhaften Erinnerungen tief müde und außerdem eifersüchtig auf diesen ewigen Nikolai, ich sagte:

Na, dann kommt er vielleicht, warten Sie auf ihn! Rosa sah mich rasch an.

Gott bewahre Sie! sagte sie.

Ich wollte meine Worte nicht zurücknehmen und wünschte auch nicht, sie zu mildern, sie waren klein und ärmlich genug. Auch ich hatte eine Qual durchzuleiden, dachte sie etwa daran? Nicht im geringsten.

Sie verstehen es vielleicht nicht, meinte sie, es ist so seltsam. Sie dürfen mir glauben, es ist nicht so leicht, es allen recht zu machen – und wenn ich schon einen Mann gehabt habe, dann ... Nicht weil ich ihn zurückwünsche; aber wie ist es mir nun möglich, mich richtig gegen Benoni zu verhalten! Nikolais erinnere ich mich, seit er jung war. Er war lachlustig und leichtlebig, ich denke oft daran, wie lieb er mich hatte. Woran kann ich jetzt denken? An nichts. Ich habe nur täglich mehr zu essen; aber was soll ich mit dem Essen? Ich habe nicht einmal eine einzige unschuldige Erinnerung. Aber an Nikolai habe ich Erinnerungen. Sie haben ihn nicht gesehen, aber er hatte einen schönen Mund. Und als er das Haar verlor, behandelte ich drei Monate lang jeden Tag seinen Kopf, so daß er mehr Haare bekam, aber es stand ihm nicht gut, und so tat ich es nicht mehr. Nein, er war schön, auch ohne Haare, und seine Stirn war frei und ganz wundervoll. Ach, da sitze ich nun und erzähle das, aber ich weiß nicht, warum ich das tue, es hat keinen Sinn. Und Benoni kann ich auch nichts erzählen.

Ich dachte, es ginge jetzt so gut mit Ihnen und Ihrem Mann? warf ich ein.

Sie meinen mit Benoni? Ja. Aber es ist für mich nicht leicht. Wenn ich ihm zu essen gebe, muß ich denken, daß der andere nichts bekommt. Es ist wohl schändlich von mir es zu sagen, aber niemand sollte sich auf dieser Erde trennen und niemand sollte sich wieder verheiraten, es kommt nichts Gutes dabei heraus.

Oh! stieß ich aus und runzelte vor Widerwillen die Stirn.

Sie, der stets – der so ängstlich war, mich verzweifelt zu sehen, so sagten Sie jedenfalls früher! äußerte sie in höchster Verwunderung.

Jawohl. Das war und bin ich noch. Aber Sie gehen umher und seufzen und geben sich diesen Erinnerungen hin und machen sich selbst das Leben schwer.

Aber man hat mir ja vorgesagt, daß er tot sei! rief sie aus. Und ich habe mich wieder verheiratet.

Wieder stieß ich die Luft aus, und ich runzelte die Stirn noch mehr, dann sagte ich, um Vergeltung zu üben:

Und Sie, die früher so wunderbar zurückhaltend war! Und niemals andere Leute in ihre Angelegenheiten blicken ließ!

Das traf, ich sah, daß sie sich grämte.

Ja, ich verstehe nicht, was aus mir geworden ist, sagte sie. Es muß wohl das tägliche Leben sein, das –

Das? Man hat stets eine Entschuldigung. Ich habe zum Beispiel diese, daß ich seinerzeit also ein Kind war.

Das traf auch.

Nein, ich wollte einfach nicht mehr ihr Vertrauter sein, zu dem sie kommen und dem sie vorjammern konnte, und ich verließ sie kurz und bündig. Was bildeten sich die Menschen alle ein? Die Baronin war einmal unbekümmert in mein Zimmer getreten, noch ehe ich vom Bett aufgestanden war, und hatte meine Wände betrachtet, mich aber hatte sie nicht angesehen. Ich hatte das nicht vergessen. Und Rosa hatte mich ein Kind genannt. Man rechnete es mir zur Last an, daß ich in meiner Schulzeit fleißig gewesen war und vieles gelernt hatte; ich zeichnete besser als mancher Maler und malte besser als alle Zeichner. Tidemand – Tidemand war in meinem Haus gewesen und hatte meine Bilder gesehen und genickt! Damals war ich neunzehn Jahre alt. Und jawohl, ich hatte Klavierspielen gelernt, wie ein anderes Mädchen; aber das hatten nicht alle Mädchen gelernt, unter anderem auch nicht die Baronin; aber ich hatte es gelernt. War ich denn in ein Land der Barbarei geraten?

Ich fühlte mich so bitterlich verkannt und gering geachtet, ach, ich hatte nicht einmal mich bescheiden gelernt. Jetzt sehe ich ein, daß ich nur ein harmloser und geschickter Jüngling mit den Fähigkeiten eines Kontoristen war; ich lernte das im Lauf der Jahre.

Aber noch fühlte ich mich keineswegs überwunden; sicherlich war ich nur falsch ausgetreten. Eine Zeitlang ging ich umher und fragte mich selbst: Was würde Munken Vendt an meiner Stelle getan haben? Oh, Munken Vendt, der war ein fester Bursche und eine gleichmütige Seele, er hätte gesagt: das ist nur Künstelei und Unsinn, her mit der Liebe! Er hätte die Nacht nicht mit Sternguckerei zugebracht.

Was auch ich nicht mehr tun wollte.

22

Es kommt kein Frost, sondern es schneit, und der Schnee legt sich auf die weiche Erde. Aber es fällt eine Menge Schnee. Um mit dem Schlitten fahren zu können, müssen die Knechte am Tage mit der Mannschaft hinaus und den Weg zum Wald und zur Mühle ausschaufeln, in der Nacht friert es dann ein wenig, und am nächsten Tag kann der Weg befahren werden.

Ich treffe den Haftelmacher, er ist unzufrieden mit all dem Schnee, weil er sich nun in das Brauhaus stehlen muß, um Macks Badekissen zu trocknen. Es war nicht mehr das freie Leben wie früher. Außerdem ist er auch über seinen Genossen in der Schlafkammer erbittert, über den Greis Fredrik Mensa, der immer noch im Bett liegt und niemals stirbt. Der Haftelmacher sagt, diesem zähen Leben sei weder im Guten noch im Bösen beizukommen. Ja, er hatte sogar versucht, dem Gemeindearmen während der Nacht Wolle in die Nasenlöcher zu stopfen, aber am nächsten Morgen lag er noch genau so da, mit den langen Wollzotteln in der Nase und schnaufte durch den Mund. Es war scheußlich und bitter anzusehen, der Haftelmacher mußte die Wolle eigenhändig wegnehmen. Und Tut tut tut tut tut! sagte Fredrik Mensa zufrieden, als er wieder durch die Nase atmen konnte.

Es ist nicht zu sagen, mit welcher Luft er die Kammer erfüllt, sagt der Haftelmacher von seinem Kameraden. Es würgt mich manchmal, es wird mir schwarz vor den Augen aus Kummer über solchen Unflat. Mache ich aber nachts das Fenster auf, dann ist ja immer jemand da von all den Geistern auf diesem Hofe, der es hört oder sieht, dann kommen sie von der einen Seite und kommen von der anderen Seite und sagen, ich müsse das Fenster wieder schließen, sonst könne Fredrik Mensa krank werden. Na Glück zu, wenn der krank würde! Ja, das sage ich ganz offen. Er ist vielleicht hundertundzehn oder -zwanzig Jahre alt; mir wird speiübel, wenn ich an ein solches Alter denke, Gott verzeih mir die Sünde, das ist nicht menschlich, sondern tierisch. Er ißt Tag und Nacht, der Doktor sagt, daß sein Magen so stark sei. Wenn er nur ein Magenübel bekäme, und ich zum Beispiel sollte ihm Umschläge machen, meiner Treu, er sollte Umschläge bekommen! Er hat überhaupt keinen Sinn mehr; wenn nur Gott ihn in Jesu Namen zu sich nähme, dann bekäme ich die Kammer für mich allein. Ich brauche sie, ich muß so oft das Fenster aufmachen; aber wenn dieser Leichnam – ich darf wohl so sagen – daliegt und lebt, darf ich das nicht. Und Tut tut! das sagt er beständig, denn das ist seine Art und Weise sich zu unterhalten, wenn er überhaupt wach ist. Aber das ist kein Reden, es sind mehr wie Worte zu jemand in der Luft oder so etwas. Ich habe versucht, ihm in die Ohren zu zwitschern, um ihm die Zeit zu verkürzen; da aber verzieht er das Gesicht und macht nur einen wehmütigen Mund, als fühle er einen leisen Stich. Auch ist es nicht der Mühe wert, ihm das Hemd zu wechseln, denn das ist durchaus nicht nötig, er sieht sofort wieder so aus, wie zuvor, denn er liegt auf Speiseresten und Löffeln und Brotkrumen im Bett und versaut rings um sich den Boden und die Wände mit Speichel.

Es war haarsträubend, dem Haftelmacher zuzuhören, er war ein schlechter Mensch, der vergessen hatte, daß man die Alten ehren solle und lieber die Jungen leiden lassen müsse, als dem Alter Verdruß zu bereiten. Ich entgegnete ihm, daß er eine gute Tat vor Gott und den Menschen begehen würde, wenn er den hinfälligen Gemeindearmen mit Sorgfalt pflegen und keine Mühe scheuen würde, ihm Trinkwasser zu bringen und ihn zuzudecken. Aber mich würgt der Gestank in der Nacht! rief der Haftelmacher. Oh, er war so verhärtet!

Er konnte lange Stunden mit dem Oberkörper dasitzen und über Bramaputra reden, daß sie nun tot sei, aber von allen geliebt worden war. Und Ole Menneske sei auch ein guter und umgänglicher Mann gewesen, aber man hätte keinen Frieden vor ihm gehabt und er sei aufbrausenden Gemütes gewesen. Doch Bramaputra, sie sei nicht heftig gewesen, sondern im Gegenteil die ganze Zeit sanft, oh, sie hatte sich nicht für zu gut gehalten, mit irgendeiner guten Freundlichkeit vorliebzunehmen, von welcher Seite sie auch kam.

Nein, nein! sagte der Oberkörper auch und wiegt seinen gewaltigen Kopf.

Und darum müssen wir sie ehren in ihrem nassen Grab, sagt der Haftelmacher.

Von diesen beiden war es der Haftelmacher, der den größeren Vorteil von der Freundschaft mit dem anderen hatte. Er ließ den Oberkörper für sich Wache stehen, wenn er mit seiner heimlichen Arbeit im Brauhaus beschäftigt war, und außerdem trieb er viel Spott und Komödie mit ihm. Aber so stark und fürchterlich war der Oberkörper, daß, als er einmal seinen Plagegeist erwischt und zwischen seinen Armen eingepreßt hatte, diesem die Zunge aus dem einen Mundwinkel heraushing. Und ein paar Tage lang brachte er kein Essen hinunter, weil sein Hals inwendig so in Unordnung geraten war.

Häufig gab es an diesem großen Platz mit den vielen Menschen irgendeinen Kampf. Sirilund war wie eine kleine Stadt mit Häusern und Plätzen im weiten Umkreis, und es war höchst notwendig, sich vorzusehen und nicht zu rasch um eine Hausecke zu biegen, um nicht in Unruhen hineinzugeraten. Dagegen war ein Mann wie Wächter Svend von einem ungewöhnlich friedlichen Gemüt, aber er war nicht taub und blind und sah nicht bei allem durch die Finger. Trank er sich ein seltenes Mal voll und blühte er zuerst auf mit Liedern und lustigen Sprüchen, endete er doch mit finsteren Drohungen. Die kleine Ellen, seine Frau, die einmal Ellen, das Stubenmädchen, gewesen war, mußte sich dann ihm allein opfern und ihn versichern, daß sie ihn mehr liebe als irgend jemand anderen in der Welt. Aber kurz vor Weihnachten geschah es auch, daß Wächter Svend sich bei den Versicherungen der kleinen Ellen nicht beruhigte, sondern erst dann wieder still wurde, als Hartvigsen gekommen war und eine Weile mit ihm gesprochen hatte.

Wächter Svend war früher ein guter Sänger und Tänzer gewesen, jetzt aber hatte ihn sein Humor verlassen, und er liebte es mehr, dazustehen und bei einem Tanz zuzusehen als daran teilzunehmen. Er und Ellen hatten ein Kind, einen Knaben mit braunen Augen, aber sowohl die Augen des Vaters als auch der Mutter waren blau, und es war kein Geheimnis, daß Mack selbst der Vater des Kindes war. Oh, Mack hatte wohl viele Kinder rings in den Familien, die in seinem Dienst standen, er achtete darauf, die Mütter zur rechten Zeit zu verheiraten und war auch danach groß darin, sie im Leben weiterzubringen. Man rechnete, daß Mack jetzt Geliebte in neun Familien auf Sirilund habe, außer allen anderen Plätzen, in seinem Haus wie in der Gemeinde. Und jetzt war es so weit, daß die junge Petrine, das Stubenmädchen, heiraten mußte. Und sie konnte keinen anderen passenden Mann bekommen, als den Haftelmacher.

Dieser Haftelmacher! Er war nichts als ein kläglicher Komödiant und ein Vogelzwitscherer und konnte nichts Ordentliches arbeiten; aber er paßte sich den Wünschen Macks gut an und führte aus, was ihm sein Herr auftrug. Petrine war ein Fratz von achtzehn Jahren, aber groß und gut für ihr Alter, es war unvergleichlich, sie über den Hofplatz gehen zu sehen. Wenn aber der Haftelmacher nun Familie gründen sollte, dann war es doppelt notwendig, daß der Gemeindearme sofort starb und die Kammer frei machte, es gab keinen anderen Ausweg. Wenn doch Gott diesen Fredrik Mensa bald erlösen wollte!

Über diese Dinge unterhält sich nun Hartvigsen mit Wächter Svend, und ich bin auf Hartvigsens Aufforderung mitgegangen und sitze auch dabei. Wächter Svend wird seit seinem Rausch wieder mehr Mensch und flucht nur noch manchmal; Hartvigsen flucht nicht, aber er gelobt, daß eine Veränderung in Macks wildem Leben eintreten solle.

Ich will nichts mehr davon wissen, sagt er, und ich bin der einzige, der hingehen und ihm die Macht nehmen kann. Das kann zu jedem Tag und zu jeder Stunde geschehen, sowie ich gehe!

Sie tun ein gutes Werk, antwortet Wächter Svend. Wir können unsere Frauen nicht im Frieden haben. Jetzt kommt Weihnachten, da sollen sie durchsucht werden, das ist eine feste Taxe.

Hartvigsen antwortet:

Das wird sich jetzt ganz einfach so abspielen, wie ich und der B. Hartwich darüber bestimmen. Nämlich, ob es eine Durchsuchung gibt oder nicht.

Hartvigsen hatte der Untergang des Schiffes und sein großer Verlust nicht gebrochen, nein, er brüstete sich immer mehr und prahlte mit seiner Macht. Er war nun fest dazu entschlossen, privat, außerhalb des Geschäftes zu operieren und für den Winter ein Dampfschiff zu kaufen, und er wollte seine Klippfische nicht nach Bergen senden, sondern direkt und sofort nach Spanien und wie ein Kaufmann in Bergen werden! Gegen Mack hegte er einen tiefen Groll und wartete sicherlich auf eine gute Gelegenheit, sich für den Schiffsverlust zu rächen. So hörte es sich für mich an. Jawohl, ich werde es ihm schon heimzahlen, sagte er und nickte bei seinen eigenen Gedanken. Mich bat er wieder und immer wieder, als wir Wächter Svend verließen, zu ihm zurückzukommen und Marthas Lehrer zu werden. Es war stets eine Schmach für ihn, daß auf Sirilund ein Hauslehrer war und bei ihm nicht.

Es ist geradeso, als könnte ich es mir nicht leisten, einen Lehrer in meinem Haus zu halten, sagte er. Aber was den Lohn betrifft, so sollen Sie aus dieser meiner Hand das Doppelte erhalten! sagte er. Kommen Sie jetzt mit mir heim, dann kann meine Gattin mit Ihnen darüber sprechen.

Als wir ein Stück weit gekommen waren, erinnerte sich Hartvigsen, daß er auf Sirilund noch etwas zu tun habe, und ließ mich allein gehen. Ja, Hartvigsen hatte auf Sirilund wieder etwas zu tun bekommen, bei der Baronin Edvarda, die sich zu Tode langweilte und einen brauchbaren Menschen haben mußte, mit dem sie umspringen konnte. Sie hatte ihn in die Ereignisse mit Leutnant Glahn eingeweiht und arbeitete nun daran, Hartvigsen ganz toll zu machen. Rosa ließ das auch ruhig geschehen, sie war von ihrer Eifersucht geheilt und hatte an anderes zu denken.

Ich traf sie nicht im Zimmer. Dann ist sie wohl mit Martha draußen, dachte ich. Damit es aber nicht den Anschein haben sollte, daß ich mich immer noch in Abwesenheit ihres Mannes zu ihrem Hause schliche, schrieb ich auf ein Blatt Papier, daß Hartvigsen selbst mich gebeten habe, zu kommen. Da höre ich Rosas und Marthas Schritte oben, sie kommen beide herunter, Rosa bleibt erstaunt an der Türe stehen. Sie sagt verlegen:

Wir waren oben und haben Schule gehalten. Es ist zwar keine besondere Schule, aber ...

Warum wurde sie verlegen? Rosa hatte die beste Erziehung genossen und viel gelernt, da konnte sie Martha sehr wohl lesen und schreiben lehren.

Ihre Verlegenheit schrieb sich wohl nur von ihrem Zustand her, und sie war rührend und schön. Nie hatte ich sie so süß und wunderbar schön gesehen.

Du kannst nach Sirilund gehen, sagte sie zu dem Kind. Benoni ist bei Wächter Svend; haben Sie ihn nicht gesehen?

Ich antwortete:

Ja. Ich habe mich wieder hierher geschlichen, um Sie allein zu treffen.

Sie schüttelte den Kopf, ich schien ihr jedoch nicht so unwillkommen zu sein wie früher, sie lächelte ein wenig. Ich fuhr im selben Tone fort und dachte: so würde Munken Vendt es gemacht haben!

Ich komme häufig hierher, weil es mich dazu treibt, sagte ich. Jetzt bin ich bald erschöpft.

Ich bin eine verheiratete Frau, entgegnete sie.

Aber ich habe Sie gesehen, lange, ehe Sie verheiratet waren, und vom ersten Tag an war ich der Ihre.

Oh, ich vergesse nicht, daß sie mich hierbei neugierig und halb erfreut ansah. Ich weiß nicht, vielleicht war sie bloß neugierig.

Aber um alles in der Welt, Sie können mich doch nicht bekommen! rief sie aus. Ich begreife nicht, was Sie wollen.

Was ich will! Was will man? Sind Sie ein Stein oder ein Mensch? Ich bin von Künstelei und Unsinn erschöpft, ich komme, um der Sache ein Ende zu machen. Tun Sie mit mir, was Sie wollen!

Oh, ich Tor, wieder glaubte ich, daß sie ein wenig froh wurde, weil ich soviel Entschlossenheit und Heftigkeit zeigte, ihre Lippen bebten, als hätte ich sie gerührt. Dann gewahrte sie das Papier auf dem Tisch und las meine Entschuldigung, daß ich gekommen war, da wurde es ihr wohl klar, daß ich nicht so dreist und stürmisch war, wie ich mir den Anschein gegeben hatte.

So, Benoni hat Sie gebeten, herzugehen! sagte sie. Ich dachte es mir.

Ich antwortete nichts darauf, aber ich wollte es nicht aufgeben, wollte noch glühender sein; es ging jetzt so gut. Ich stellte mich vor sie hin, sah sie an und sagte plötzlich: Ei!

Da gab sie mir den Blick zurück und fing leise zu lachen an, und sie fragte lachend:

Was ist mit Ihnen? Nein, seien Sie jetzt ruhig!

Meine Brust sprang auf und nieder, ich handelte in großer innerlicher Furcht, als ich einen Schritt vorwärts machte und die Arme um sie schlang. Ich zitterte heftig und sagte nichts, sondern drückte meinen Kopf an den ihren, an ihren Hals und ihre Schulter. Es währte kaum einen Augenblick, so war es ihr gelungen, sich aus meinen Armen zu befreien, und plötzlich schlägt sie mich mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich hörte es wie ein Rad in meinem Kopfe schnurren und taumelte auf einen Stuhl.

Eine Ohrfeige!

Arme Rosa, sie hatte selbst die größte Mühe, mich zu trösten und den Schlag wieder gut zu machen, ich kam nur langsam und spät zur Besinnung. Sie redete mit mir und lachte ein wenig und stellte viele Fragen: Was meinen Sie? Wo haben Sie das gelernt? So etwas habe ich nie gesehen! So, jetzt dürfen Sie sich nicht mehr darum kümmern!

Als mein Kopf wieder klar wurde, war ich in meine elende Demut zurückgesunken, ich war nur glücklich darüber, daß Rosa mir nicht die Türe wies. Nein, Munken Vendts Auftreten taugte nicht für mich, meine Natur war eine andere als die seine, er konnte die an sich reißen, die er wollte. Oh, ihm war es verliehen, Dummheiten zu begehen, die ihm auf der Stelle verziehen wurden!

Zwischen Rosa und mir wurde es immer mehr und mehr wie früher. Sie sprach wieder in völliger Ruhe mit mir und fragte:

Sie waren auch letzthin so anders, so hastig. Erinnern Sie sich?

Das war wohl nur ein Zufall, antwortete ich ausweichend.

Und warum kommen Sie jetzt so selten zu uns? sagte sie. Benoni und ich sprechen oft davon.

Ich war lahm und zahm geworden und antwortete mit meiner alten Traurigkeit:

Ich komme und komme, ja, danke, immer komme ich. Aber es geht Ihnen vielleicht besser, wenn ich fort bin, es sieht so aus. Sie sitzen hier, und es geht Ihnen die ganze Zeit gut; aber wenn ich komme, dann fangen Sie nur an, mir von alten Begebenheiten zu erzählen, und dann werden Sie betrübt. Lieber will ich nicht so oft da sein und Sie heiter wissen.

Aber später entschloß ich mich, Munken Vendts Methode noch ein einziges Mal zu versuchen, ehe ich sie aufgab. Denn sie war im Anfang so gut gewesen.

23

Der Baronin blieb wiederum nichts anderes übrig, als religiös zu werden. Wie aufgeregt und unglücklich war sie doch! Ihr Spiel mit Hartvigsen hatte sie nicht länger als ein oder zwei Wochen befriedigt, auch war es kein richtiges Spiel gewesen, sondern nur ein müßige Tändelei ohne Absicht, Hartvigsen verstand nicht eine Silbe von dem, was sie sagte.

Dann veranlaßte sie, daß das Badekissen ihres Vaters verbrannt wurde, ja, das tat die Baronin, und Jens Kindsvater, ihr geschworener Sklave, brachte diesen Streich zuwege. Jens Kindsvater war verschlagen genug, er wartete eine Mondnacht ab, in der die Federn zum Trocknen im Brauhaus lagen, und warf eine brennende Teerfackel durch den Schornstein hinab; die Federn unten auf dem Herde fingen Feuer und waren in einem Augenblick zerstört. Und danach machte der langbeinige Jens Kindsvater einige gewaltige Sprünge vom Dach herunter und verschwand hinter dem nächsten Haus. Ich sah alles von meinem Fenster aus.

Ja, ich sah dies alles, denn ich paßte auf. Die Baronin hatte mir nicht verheimlicht, was vor sich gehen sollte, sie arbeitete offen und ehrlich wider ihren Vater, weil er dieses ärgerniserregende Schauspiel mit Bad und Mädchen in seinem Hause aufführte. Und mich weihte sie in ihren Plan ein, ohne sich Stillschweigen von mir auszubedingen. Ich muß gestehen, daß ich Wert auf ihr Vertrauen zu mir legte, und ich war denn auch hinterher stumm wie das Grab; dieser feine Zug der Baronin wirkte sehr stark auf mich, ja, sie war eine gebildete und überlegene Frau.

Aber Mack, dieser Imperator, er wäre ja nicht der Vater der Baronin und ein großer Herr gewesen, wenn er sich jetzt nicht zu helfen gewußt hätte. Als der Haftelmacher kam und von dem Unglück berichtete, ließ Mack sofort bekannt machen, daß er Federn und Daunen zu hohen Preisen kaufe; es wurde erzählt, daß er es schon früher einmal so hatte machen müssen, um zu Weihnachten ein neues Badekissen zu bekommen. Und siehe da, auch jetzt dauerte es nicht länger als zwei Tage, bis eine Menge feiner Daunen nach Sirilund kam, von den Bauern, die im Fjord draußen Eier- und Daunenschären besaßen.

Es hat also keinen Sinn gehabt, Macks Federn zu verbrennen.

Aber die Baronin war sehr eigensinnig und immer noch fromm; gewissenhaft grübelte sie darüber nach, wie den Weihnachtsausschweifungen ihres Vaters ein Riegel vorzuschieben wäre. Wenn sie von der Durchsuchung sprach, preßte sie danach die Lippen hart zusammen und nickte. Diese Durchsuchung bestand darin, daß die Frauen auf Sirilund am Weihnachtsabend eine silberne Gabel oder einen Löffel vom Eßtisch zu sich steckten, die sie dann später oben in Macks Zimmer wieder ausliefern mußten. Oh, Mack brachte schon die Gabeln und Löffel zum Vorschein, seine Zudringlichkeit sollte unglaublich sein, und es konnten sich der Reihe nach an diesem Abend sechs Frauen auf seinem Zimmer einfinden. Er war ein überaus wilder und ausschweifender Mann. Aber was mich wunderte, war die Ordnung und die Zucht, womit er alle diese Mädchen und Frauen im Zaume hielt, die doch Mitwisser seiner Lebensweise waren. Das ganze Jahr hindurch hörte man nicht eine Klage über ihn, sondern er genoß im Gegenteil die größte Achtung. Er besaß wohl mehr als irgendein anderer die Herrschergabe und gebrauchte sie auf die richtige Art; mir war das ein großes Rätsel.

Weihnachten näherte sich nun mit großen Schritten, und es war ein ungeheuerer Verkehr von Fuhrwerken und Fußgängern auf Sirilund; Laden, Speicher und Keller wurden den ganzen Tag nicht leer. Ich erhielt nun die Einladung von Rosas Eltern, den Pfarrersleuten im Nachbarkirchspiel, daß ich über Weihnachten bei ihnen sein sollte, sie seien so einsam, und ich würde ihnen viel Abwechslung bringen, wenn ich käme. Als ich mit der Baronin und mit Mack darüber sprach, sagten sie beide, daß man mich hier daheim zwar entbehre, daß ich aber dem Pfarrer Barfod und seiner Gemahlin eine Freude bereiten würde; später sprach ich auch mit Rosa, und sie bat mich, zu reisen. Da beschloß ich, mich am Morgen des Weihnachtsvortages auf die Wanderung ins Nachbarkirchspiel zu begeben, und ich wollte durch den Gemeindewald gehen.

Jetzt hatte es übrigens den Anschein, als wollte Gott sich des alten Fredrik Mensa erinnern und ihn erlösen, sein Magen, der die ganze Zeit alles vertragen hatte, versagte, und Fredrik Mensa wurde lebensgefährlich krank. Seine Tochter, die mit dem Untermüller verheiratet war und eine besonders geschickte und hübsche Frau war, kam nun an das Krankenlager ihres Vaters und wich eine ganze Nacht nicht davon; aber sie hatte selbst kleine Kinder und konnte nicht lange von zu Hause fortbleiben. Als sie heimging, wurde dem Haftelmacher aufgetragen, den Kranken zu versorgen und ihm warme Umschläge zu machen, und es war eine Sünde, wie er sich dabei benahm. Nach einigen Tagen stellte es sich heraus, daß der Haftelmacher Eisstücke in die Umschlagtücher legte, auch tat er etwas, was noch schlimmer war, er rieb den Magen des Kranken fleißig mit Eisklumpen ein. Bei dieser Behandlung wurde der Greis mit jeder Stunde kränker und kränker und bekam Anfälle, die ihn hoch vom Bett aufhoben und seinen Mund dabei bis an die Ohren verzerrten. Noch nie wohl war dieser zähe Greis so krank gewesen, er begriff es auch gar nicht und schrie laut; leider schien ihm auch die Erinnerung daran zurückzukehren an das, was er in seinem bewußten Erdenleben getan hatte, wenn ihm etwas weh tat: er schwor fürchterliche Flüche und spuckte, daß es nur so troff. Es war erschütternd anzuhören und anzusehen. Nur wenn er wieder stumpf geworden war und seine Schmerzen ihn in Frieden ließen, sagte der Greis Tut, tut, sonst fluchte er unmäßig. Da konnte es dem Haftelmacher ganz schwach zumute werden, und er lief zur Kammer hinaus, ja, er vergaß vollständig, daß man die Alten ehren und auf sie hören soll.

Aber der gute Fredrik Mensa gab auch jetzt den Geist nicht auf. Der Haftelmacher wurde bei seinem verworfenen Tun ertappt und seines Amtes, dem Kranken Umschläge zu machen, enthoben. Man fragte ihn, ob er den Alten töten wollte. Nein, durchaus nicht, erwiderte er; in unserer Gegend und dort, woher ich stamme, ist es Brauch, sich bei Magenkrankheiten mit Eisstücken einzureiben, sagte er. Als die Baronin von dieser Sache erfuhr, wurde sie noch religiöser und setzte Jens Kindsvater zur Pflege des Kranken ein. Das war wirklich sehr gut von der Baronin.

Und Fredrik Mensa erholte sich wieder, er war innerlich so wunderbar gesund und stark. Unter Jens Kindsvaters Pflege blühte er wieder zu dem auf, der er gewesen war, und lag nun stumpfsinnig dort, aber Gott sei Dank mit gutem Appetit und Schlaf. Und es war wirklich eine große Befriedigung für uns alle, daß der Greis wieder gesund wurde und daß zu Weihnachten nicht Krankheit und Tod auf dem Hofe einzogen, ja, es klang unschuldig und lustig, wenn Fredrik Mensa nur so da lag und schnaufte. Und fragten wir ihn um etwas, so gab er nur gesund und frisch zurück: Tut tut tut tut tut! und das war seine Antwort.

Jetzt ist die Zeit da, und ich muß morgen auf die Reise. Ich habe schon heute abend die Weihnachtsgeschenke bekommen, viele schöne und ausgezeichnete Dinge von allen miteinander, sowohl von den Kindern als auch von deren Mutter und von Mack selbst. Ich gehe jetzt nur einen kleinen Sprung hinunter zu den Speichern, ehe ich mich schlafen lege, und da ich ohne böse Absichten fortgehe, nicke ich zu Rosas Haus hinüber. Zwar gehe ich morgen den gleichen Weg, aber ich nehme schon heute abend diesen kleinen Abschied, dann schlafe ich besser. Gute Nacht, Gott segne dich!

Ich erwache im Dunklen, mache Licht und kleide mich an; ich habe einen langen Weg und möchte rechtzeitig ankommen. Ich esse ein wenig, befehle mich Gott und verlasse den Hof. Bei Rosas Haus nicke ich noch einmal und wünsche allen da drinnen ein fröhliches Weihnachten.

Es ist graues Dämmerlicht und nebeliges Wetter, und es fällt sogar ein wenig Schnee. Aber der Weg ist ganz gut, obwohl er noch nicht befahren worden ist. Man hatte mir den Weg genau erklärt, so daß ich nicht irre gehen konnte, außerdem führte dieser Weg nirgends anders hin als über das Gebirge. Als ich ein Stück weit im Gemeindewald bin, höre ich jemand reden und sehe mehrere Personen versammelt: Hartvigsen ist da, und Wächter Svend mit zwei Männern, sie haben Hacken und Spaten in den Händen und graben ein großes Grab.

Hartvigsen nickte mir nur zu und fing zu kommandieren an:

Macht jetzt das Grab fertig, Leute. Es soll vier Ellen lang und drei Ellen breit sein. Ich begleite nur den Studenten ein Stückchen.

Wer soll hier in die Erde? frage ich leicht scherzend. Es sieht aus, als würde es ein Grab für zwei.

Aber Hartvigsen war feierlich und lächelte nicht.

Ich möchte wohl das große Wort aussprechen, daß das ein ernstes Grab ist, erwiderte er. Denn jetzt sollen Macks Badewanne und Badekissen beerdigt werden.

Was Sie sagen!

Hartvigsen nickte:

Und es ist eben kein anderer da, der ihm die Macht rauben könnte als ich.

Damit will wohl Hartvigsen seinem Teilhaber für den Schiffsverlust heimzahlen, dachte ich, jetzt hat er eine gute Gelegenheit gefunden! Ah, Hartvigsen konnte wohl nie vergessen, daß er mit dieser Versicherung seines eigenen Schiffes ins Unglück gebracht worden war. Und jetzt hatte er drei Leute mit in den Wald genommen, die alle daran interessiert waren, Macks Badewanne in die schwarze Erde zu versenken. Es waren Wächter Svend, der Schmied und der Böttcher, und es hätten noch sechs oder zwölf weitere Ehemänner sein können, die alle gerne und fleißig an diesem Grabe mitgearbeitet haben würden.

Was für Folgen wird das haben? sagte ich und dachte daran, daß Mack niemals ratlos war.

Und auch Hartvigsen war der Folgen nicht so sicher, und brüstete sich nicht und sagte nicht: Die Folgen trage ich! Sondern er fing an, sich zu erklären und fragte mich um meine Meinung, ob das anginge: da hatte nun Mack die Sache mit den Federn und den Daunen bekannt gegeben, die Preise flogen in die Höhe, es lohnte sich für die Leute, ihre Arbeit zu verlassen und längs des Strandes den Vögeln nachzugehen. Schickte sich das für einen Mann? Jetzt kam Weihnachten und der Weihnachtsabend, die Männer würden sich wieder besaufen, und das Weibervolk würde der Reihe nach in Macks Zimmer hinaufgehen.

Es fragt sich nun, ob Mack sich darein finden wird, daß die Badewanne fort ist? sagte ich.

Hartvigsen wurde noch ernster und überlegte, denn Mack war unleugbar ein Herr, der Achtung genoß.

Die Sache ist die, erwiderte er, ich bin nicht allein bei diesem Begräbnis – so darf ich es wohl nennen. Edvarda war in allem behilflich, und ich kann fast sagen, daß sie alles getan hat.

Und da wurde die Sache sofort weniger gewagt in meinen Augen; die Baronin hatte eine kräftige Hand, sie hatte auch früher die Pläne ihres Vaters durchkreuzt.

Dann habe ich keine Bedenken mehr, erklärte ich.

Sie begreifen wohl, sagte Hartvigsen lebhafter, daß wir die Wanne ohne ihre Hilfe nicht einmal aus dem Hause gebracht hätten. Sie war es, die alle Diener fortschickte. Und das will ich sagen, es ist ein Jammer, sie so traurig und religiös zu sehen; wir müßten aus Stein sein, wenn wir ihr in diesem Falle nicht helfen würden.

Der Böttcher kam und meldete feierlich:

Es ist alles bereit!

Da begaben wir uns zu dem Grab, die Männer holten die Badewanne, die in den Weiden versteckt war, und sie wurde mit Kissen und Kopfpolster ordentlich ins Grab hinunter gelassen. Es waren Säcke über den Kissen ausgebreitet, um zu verhindern, daß sie beschmutzt würden.

Da stand nun diese Zinkwanne, dieses schreckliche Bett für drei und wartete darauf, zu verschwinden; der Schmied hatte sie einst selbst aus schweren Platten zusammengesetzt und verlötet. Und das Kissen war mit rosenroter Seide bezogen.

In kurzer Zeit ist diese Badewanne nicht mehr! sagte Hartvigsen ernst und scherzte nicht bei einem Grab. Tut eure Pflicht, Leute!

Da fingen der Schmied und der Böttcher an, das Grab zuzuwerfen.

Ich nahm nun Abschied und setzte meinen Weg fort. Es schneite ein wenig mehr, der Weg wurde glatter, aber mit Gottes Hilfe langte ich in dem fernen Pfarrhof an, lange ehe der Tag zu Ende war. Und ich wurde mit der größten Freude empfangen.

Ich blieb nun während der ganzen Weihnachtstage hier, es geschah nichts, das des Aufzeichnens wert wäre, nur daß mir hier in diesem schönen Heim viele Gedanken und Gefühle kamen. Ich sah, was Rosa genäht und gehäkelt hatte, und ich fühlte ihren Geist rings um mich in diesen Stuben, wo so viele Jahre ihres Lebens sich vollendet hatten. Ja, die Gemütserregung überwältigte mich in diesen Tagen, und ich weinte viel. Wenn ich Noten oder Bücher fand, in die Rosa ihren Namen geschrieben hatte, mußte ich mich stark machen, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen, und ich ging keine Treppe und keinen Weg, ohne zu denken: hier ist auch Rosa gegangen! Die Pfarrersleute fragten mich auch sehr viel nach der Tochter aus, ob sie gesund und froh sei, und ob es ihr gut ginge? Ja, es geht ihr gut, antwortete ich. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich diese guten Leute vielleicht anlog, denn Rosa trug sicherlich vielerlei Kummer im Herzen.

Pfarrer Barfod war ein großer Redner und hatte während des Festes immer eine volle Kirche. Das schönste für ihn aber war, im Wald und Feld umher zu streifen und alles rings um sich zu betrachten und bei jedem Ding ein wenig nachzudenken; er erzählte selbst, daß er Gott nie näher sei als im Walde. Er war in gewisser Beziehung kein religiöser Mann, aber ein erfahrener und guter Mann; er las Deutsch und Französisch und wußte viel.

Da wir vor Neujahr nicht auf die Jagd gehen konnten, saßen die Pfarrersleute und ich jeden Tag lange, lange Stunden beisammen und sprachen über Verschiedenes; bisweilen beschäftigte sich die Frau Pfarrer mit ihrem Patiencespiel am Spieltisch; sie war mild und ruhig und trug eine Spitzenhaube auf dem Haar, genau wie meine Mutter. In der Dämmerung, die jetzt mitten im Winter sehr lange dauerte, saß ich am Klavier und spielte alles, was ich auswendig konnte; nach dem Abendbrot, wenn alle Lichter angezündet waren, spielte ich wieder eine Weile und benützte dazu die Noten, die Rosa zurückgelassen hatte. Und das alles waren friedliche Stunden. Und eines Tages war ich auch auf einer langen Wanderung zu den Höfen in der Nachbarschaft.

Es wurde nichts Großartiges mit der Jagd; doch lieh mir der Pfarrer dann und wann eine seiner Flinten und nahm mich mit hinaus. Er merkte wohl bald, daß ich kein sonderlicher Jäger war, daß ich aber Lust und Begabung für die Jagd hatte und mir nur die Erfahrung fehlte. Der Pfarrer war ein denkender und scharfsinniger Mann, er wußte viel von Tieren und Vögeln und Wald und Feld, die er aus eigenem Antrieb beobachtet hatte; ich dagegen wußte nur ein wenig von der Naturgeschichte, und das war nicht einmal immer richtig. So behauptete Pfarrer Barfod, daß die Lehre der Bücher von den nützlichen und schädlichen Tieren sehr oberflächlich sei: kein Tier sei schädlich, die eine Tierart hielte die andere im Gleichgewicht. Schoß man zu viele Krähen, nahmen die Mäuse überhand, rottete man den Fuchs aus, nahm das Eichhorn gefährlich an Zahl zu. Dann säuberte das Eichhorn den Wald von Singvögeleiern; wenn es aber keine Singvögel mehr gab, wurden die Insekten völlig zur Landplage. O nein, die Natur ist weise und reguliert sich selbst!

All das waren neue Lehren für mich. Aber nach diesen Jägertagen werde ich nun nicht mehr allem so unerfahren gegenüberstehen, wenn ich mich auf die Wanderschaft mit Munken Vendt begebe.

Am Dreikönigstage nahm ich Abschied vom Pfarrhof und ging nach Sirilund zurück. Als ich zum Grab der Badewanne kam, lag die Stelle schön und glatt geschaufelt da, und alle Spuren waren vom Neuschnee verdeckt.

24

Weihnachten war vorbei, aber auf Sirilund war es nicht ohne ziemlich große Störungen vorübergegangen.

Der Weihnachtsabend war einigermaßen ruhig verlaufen, die Baronin hatte ihren Vater um die Durchsuchung der Frauen auf dem Hofe betrogen, sie hatte selbst in der Küche gestanden und Gabeln und Löffel zurückverlangt. Die Frauen des Böttchers und des Untermüllers wollten das Spiel nicht gutwillig verloren geben, aber die Baronin hatte Jens Kindsvater zur Hilfe, der sie blau und fügsam zwickte, so daß das ganze Silberzeug zum Vorschein kam.

Für diesen Bruch aller Gewohnheit hatte Mack jedoch sich gerächt, indem er die ganze Nacht nicht im Bett gelegen, sondern sein eigenes Haus verlassen hatte und nicht vor dem Morgen zurückgekommen war. Niemand wußte, wo er gewesen war, und er selbst sprach nicht davon, schien aber sehr zufrieden mit der Nacht zu sein. Er redete sogar mit den kleinen Mädchen und war vollkommen der ruhige und gebildete Mann wie zuvor.

Nun hatte man aber mit der Badewanne zugleich auch den Broterwerb des Haftelmachers begraben. Welche Arbeit sollte dieser Mann nun anpacken? Und mußte seine Liebste, Petrine, das Stubenmädchen, sich nicht baldigst verheiraten? Das sah alles sehr verwirrt aus; die Baronin und Hartvigsen hatten ernsthafte Erwägungen.

Am schlimmsten aber war es doch, daß Mack selbst zu kränkeln anfing. Er konnte sich im Leben ohne sein geliebtes Bad nicht zurechtfinden, es war eine Notwendigkeit für ihn und eine unentbehrliche Wohltat. Aber es stand nicht zu erwarten, daß Hartvigsen, der niemals badete, ein feines Verständnis hierfür haben sollte, und er begriff im übrigen auch nicht, daß zu einem Wannenbad zwei Frauen gehörten. So verkehrten die beiden Teilhaber ohne gegenseitiges Vertrauen miteinander, ja, ohne eine Wort miteinander zu sprechen. Und jetzt sollten doch die Fahrzeuge nach dem Lofot, und es gab soviel damit zu tun.

Ich achte ihn immer weniger und weniger, sagte Hartvigsen von seinem Teilhaber. Mag er doch herumgehen und seinen Kram denken, nun muß eben ich alles beaufsichtigen.

Als die Badewanne verschwand, und Mack nicht einmal davon sprach, wurde Hartvigsen groß und überlegen, er fing an, sich das ganze Verdienst dafür zuzuschreiben, daß dieses Ungeheuer aus Zink von der Erdoberfläche verschwunden war, er bekam unglaubliche Vorstellungen von seiner Macht und seinem Einfluß. Hätte er Wächter Svend jetzt auf der Lofotreise entbehren können, würde er ihn sofort auf den Dampfschiffhandel ausgesandt haben, damit er Klippfische nach Spanien hätte verschiffen können. Oh, seine Selbstüberhebung trieb auch lächerliche Blüten: jetzt hatte er sich vorgenommen, den Taucheranzug zum Kirchgang zu tragen.

Was meinen Sie dazu? fragte er mich. Da ich sprachlos war und nichts antwortete, fuhr er fort: Es ist wohl noch nie jemand in einem solchen Anzug in die Kirche gegangen, glauben Sie nicht, daß die Leute mehr auf mich als auf den Pfarrer sehen werden? Ja, ich nehme selbstverständlich Wächter Svend mit, um die Luft einzupumpen.

Und ich dachte daran, daß dieser Mann, der seine Hochzeit in Überstiefeln gefeiert hatte, allein zu dem Zweck, um einigen Schärenbewohnern ein Schuhwerk mit Pelzbesatz zu zeigen, daß der auch im Taucheranzug in die Kirche fahren konnte, ach ja, so närrisch konnte der schon sein. Als Hartvigsen eine Antwort von mir verlangte, schüttelte ich den Kopf und riet ihm von seinem Vorhaben ab.

Jaja, Sie sind immer so still und bedenklich bei so etwas, sagte er. Aber das wäre doch ein großartiger Anzug für die Kirche. Wozu soll ich ihn denn sonst haben? Er liegt da. Im übrigen findet auch Edvarda, daß ich es tun kann.

Und die gute Edvarda war unbedacht genug, sie wurde von allerlei Aufregungen geplagt, wechselte beständig zwischen Trauer und Frömmigkeit und hatte auch für eine gründliche Bosheit Platz in ihrem Herzen. Und gut und sehr zärtlich konnte sie auch sein, aber nur, wenn es ihr einfiel. So wankelmütig war die Baronin.

Jetzt aber bekam Hartvigsen etwas anderes zu denken, als im Taucheranzug zur Kirche zu fahren: eines Morgens kam Mack mit einem großen, roten Wollschal um den Bauch aus seinem Zimmer ins Kontor hinunter. Es waren mehrere, die das gesehen hatten, und das Gerücht verbreitete sich über den ganzen Hof. So war es also geschehen, Mack hatte ein ernstliches Magenübel bekommen.

Uns allen gab es einen Stoß, jung und alt; Mack selbst aber klagte nicht und machte nicht viel Wesens aus seinem Leiden, er aß nur weniger wie früher, und als sich die Baronin nach seinem Befinden erkundigte, antwortete er gleichgültig: Es ist nur eine kleine Verschlimmerung meines Magenübels!

Die nächsten Tage vergingen, und es war gleichsam ein wenig stiller auf Sirilund; doch Mack ging nur mit seiner roten Binde umher und stand wie früher an seinem Pult, es hatte keine Gefahr. Aber alle fühlten es wie eine Beklemmung, und Hartvigsen gab seine Kirchenfahrt auf.

Jetzt zogen die Fischer nach den Lofotinseln, und die Fahrzeuge lagen segelklar da. Es war viel Handel und Wandel in diesen Tagen, die Leute brauchten die letzten Gerätschaften und Eßvorrat, die Schiffer Wächter Svend und Villads Bryggemand sollten ihre Ausrüstung beenden. Da stand plötzlich eines Tages das Kontor leer, Mack kam nicht herunter, er hütete das Bett.

Welche Verwirrung auf dem ganzen Hofe und im weiten Umkreis! Hartvigsen war da, ja, Hartvigsen war natürlich überall; aber das Kontor stand leer. Alle Bücher und Rechnungen, die Briefe und Telegramme, die Bestellungen von den Märkten, die Kurse von Köderfisch und Salz, nein, nichts von all diesem verstand Hartvigsen, und er konnte diesen fürchterlichen Wirrwarr nicht bewältigen. Und wo hatte man am Lofot Fisch wahrgenommen, zu welchen Fangplätzen sollten die Fahrzeuge segeln? Es lagen verschiedene Telegramme auf Macks Pult umher, und Mack hatte jedes Jahr seine Fischschuten nach ihnen dirigiert; aber dieses Jahr war Mack abwesend. Hartvigsen kam zu mir und fragte, ob ich ihm nicht helfen könne, ein Telegramm über Ködermuscheln auszudeuten, es stünden nur Preise und Zahlen da und die seien ihm ein völliges Rätsel.

Da bekam Hartvigsen die Weisung von Mack, er solle an das Krankenlager kommen. Sieh da. Mack war nicht der Mann, der nur krank dalag und keinen Gedanken für den großen Betrieb hatte, im Gegenteil: Laßt meinen Teilhaber kommen! sagte er, und er soll alle Post und alle Telegramme von meinem Pult mitnehmen! sagte er. Er war zu allen Zeiten ein großer Herr. Da ging Hartvigsen zu Mack und bekam gezeigt, wie jedes Ding ausgerechnet und mit Vorteil abgeschlossen werden sollte, und Hartvigsen kehrte zum Kontor zurück und tat groß und kam mit großen Sprüchen, was er jetzt alles ausrechnen müsse. Aber sicherlich wurde vieles aufs Geratewohl gemacht, Hartvigsen wußte so wenig, er war nichts, nur reich. Hier steht etwas von einigen leeren Mehlsäcken, die Tara genannt werden, obwohl sie aus Wergleinwand sind, sagte er; was ist jetzt das für eine Sprache? Und es wurde wahrlich ein schweres Leben für ihn, weil er jeden Augenblick die Treppe zu Mack hinauflaufen und um alles fragen mußte. Ich wäre schon froh, wenn mein Kompagnon wieder auf die Beine käme! sagte Hartvigsen.

Er hatte es wirklich nicht leicht. Die beiden Ladengehilfen waren zwar alt im Dienste und kannten den Handel am Ladentisch in- und auswendig, aber sonst nichts. Dazu kam, daß Hartvigsen sogar selbst noch im Laden sein sollte. Die Leute hatten es sich angewöhnt, daß sie nur mit Hartvigsen und mit keinem anderen zu tun haben wollten, sie sahen ihren Vorteil darin, sich an ihn zu wenden, nachdem sie bei den Ladengehilfen eine Absage bekommen hatten, und Hartvigsen war nicht der Mann, zu dem man vergebens kam. Es war wirklich rührend und hübsch, ihn eine Sache mit einem einzigen kleinen Wort entscheiden zu sehen. Wenn der Fischer mit einer Bitte kam, antwortete Hartvigsen, zu Steen, dem Ladengehilfen, gewandt: Jaja, der Mann hat Familie, schreibe es in B. Hartwichs großes Buch! Das war das Ende. Als Aron aus Hopan kam, der frühere Besitzer der kostbaren Silberklippen, strich Hartvigsen eigenhändig seine ganze alte Schuld in den Büchern aus und gab ihm umsonst eine volle Ausrüstung für die Lofotinseln. Dieser selbe Aron galt nun unter seinesgleichen für einen gemachten Mann.

Mack kam nicht auf die Beine, sondern er nahm so ab, daß er bleich und eingefallen wurde. Der Doktor kam. Medikamente wurden gemischt, und zwar verschiedene Medikamente für Morgen und Abend. Aber Mack erholte sich nicht. Schließlich mußte das Kontor und das ganze Geschäft fast still stehen. Es herrschte eine große Verwirrung auf Sirilund, und nirgends war Ordnung.

Ich gehe zu Rosa und überbringe ihr Grüße von ihren Eltern; Hartvigsen ist da. Es kommt zu keinem weiteren Gespräch zwischen uns, abgesehen davon, daß ich Rosa auch von ihrem Zimmer daheim grüße und von den Noten, die sie zurückgelassen hatte, außerdem auch von den Mädchen auf dem Pfarrhof. Sie hörte allem zu und wurde gerührt, das kam wohl von ihrem Zustand.

Meine Gattin hatte soviel Angst vor allem Möglichen, sagte Hartvigsen. Ich wäre sehr froh, wenn Sie sie ein wenig unterhalten könnten.

Edvarda geht es wohl nur gut? fragte Rosa, um von etwas anderem zu sprechen.

Hartvigsen erhebt sich ein wenig gekränkt und meint:

Jaja, es war nicht böse gemeint, was ich sagte.

Dann nahm er seinen Hut und ging hinaus.

Rosa ging ihm nach, es wurde im Gang ein wenig gesprochen, und als Rosa wieder hereinkam, hatte sie rote Augen. Dann sagte sie:

Es ist nur – ich bringe ihn nicht dazu, daß er sich bei dieser Kälte ordentlich anzieht.

Pause.

Und dann kann ich also von Ihrem Zimmer daheim grüßen, sagte ich.

So, jaja, danke, das haben Sie schon gesagt.

Ich war jeden Tag drinnen, viele Male am Tage, und ich sah den ganzen Hof von Ihren Fenstern aus. Eines Nachts stand ich auf und ging hinein.

Sie sah mich rasch an und sagte:

Jetzt dürfen Sie nicht wieder anfangen, Sie müssen jetzt lieb sein!

Nein, ich will jetzt nicht wieder anfangen. Ich wollte nur sehen, worauf Ihr Blick fiel, wenn Sie des Nachts aufwachten und hinaussahen: den Sternenhimmel und das Nordlicht, einen Hof, eine halbe Viertelmeile entfernt.

Das war Moa.

Ja, das war Moa. Und eines Tages ging ich dorthin.

Daran taten Sie recht. Was treibt die Tochter? Sie heißt Antora, sie ist so schön.

Ja, sie war schön. Sie hatte Ihre Augen. Ich zeichnete sie und sagte, daß ich einen Kuß für das Bild haben wolle. Und dazu nickte sie. Dann ging ich nach Torpelviken.

Na, sagte Rosa, dann küßten Sie Antora?

Ja, auf die Augen.

Rosas Lippen bebten ein wenig, und sie sagte plötzlich:

Auf die Augen? Nein, ich weiß nicht, wie ich gegen Sie sein soll. Sind Sie immer noch so in mich verliebt?

Ja, sagte ich.

Dann gingen Sie nach Torpelviken? Dort ist niemand. Dort ist nur Edvarda, die –

Ja, sie hat ein Kind von einem Engländer, von Sir Hugh Trevelyan. Eine stille und schöne Mutter, sie gab mir zu essen und zu trinken; sie war so zutraulich, ich durfte das Kind halten, während sie mir das Essen zurecht machte. Sie sagte, es sei eine Schande, daß ich das tun müsse, aber darin irrte sie sich, denn es war ein großes und schönes Kind.

Wo gingen Sie dann hin?

Und als ich ging, sagte Edvarda in Torpelviken: Dank dafür, daß Sie hier waren!

So etwas habe ich auch noch nie gehört!

Nein, nicht wahr, sie, die mir zu essen und zu trinken gegeben hatte! Und ich hatte ihr Kind halten dürfen!

Dann gingen Sie wohl zum Lensmann? Aber dort ist niemand.

Nein, sagte ich, dort war niemand, es war nirgends jemand. Ich ging und ging, aber es war niemand da. Dann kehrte ich wieder zum Pfarrhof zurück. Und am nächsten Tag stand ich in Ihrem Zimmer und sah hinaus über das ganze weite Land, durch das ich gestern gegangen war, und wo ich niemand gefunden hatte.

Ja, aber lieber Freund, Sie sind nicht überall gewesen, sagte Rosa lächelnd.

Doch, ich war auch an vielen anderen Orten.

Und Sie fanden niemand?

Doch, eigentlich fand ich eine. Ich war nicht auf Freiersfüßen, ich war nur so durch die Gemeinde gegangen, um eine zu finden, die mir gefiele. Und auf einem Hof saß ich lange und hatte es gut: bei Edvarda in Torpelviken.

Rosa wurde puterrot und sagte ärgerlich:

Sind Sie denn ganz verrückt?

Sie war nicht von Stein, sagte ich.

Nein, aber ... Nein, von Stein. Jaja, jeder nach seinem Geschmack!

Ja, Munken Vendt hatte recht, ich bestätigte seine Worte: schon am ersten Tag, als ich ihm im Walde begegnete, sagte er: Liebst du vergeblich? Dafür gibt es einen Rat: Lasse deine Augen nur ein wenig auf einer »Unwürdigen« ruhen! Dann wirst du sehen! Da kommt die Erste auf dich zu, dir entgegen, ja, denn sie duldet es nicht, daß du dich wegwirfst, sie will dich retten, dich aus der Tiefe heraufholen. Eine anständige Frau steht einer unanständigen voll blinder Feindlichkeit gegenüber, sagte Munken Vendt, sie kann so weit gehen, daß sie sich selbst opfert, um dich von einer anderen zu befreien; Munken Vendt hatte das in seinem eigenen Leben erlebt, und die große Frau Iselin auf dem Hofe Os war ein Beispiel dafür. Oh, Munken Vendt war ein außerordentlich geriebener Bursche.

Was nun? Ich hatte Munken Vendts Natur nicht und kam auch jetzt zu kurz. Rosa machte sich etwas zu schaffen, ich sah aber, daß sie ärgerlich war und eine unnötige Arbeit verrichtete, indem sie das Klavier immer und immer wieder abstaubte. Das geht gut! dachte ich.

Da wollte ich das Feuer anfachen und noch mehr von Edvarda in Torpelviken reden: daß sie wirklich nicht aus Stein sei, daß sie mir für den Besuch gedankt habe; aber Rosa war schon wieder gleichgültig geworden und staubte das Klavier nicht mehr ab, sie setzte sich hin.

Ja, denken Sie, es ist wahr, ich fühlte mich bei Edvarda in Torpelviken sehr wohl, sagte ich.

So, jaja, Gott sei Dank! antwortete Rosa. Da können Sie sehen, wenn Sie nur ein bißchen umherkommen, dann – wenn Sie andere sehen –

Ja, Sie hatten recht. Und von da ab war ich jeden Tag oben in Ihrem Zimmer und schaute zu ihr hinüber. Jetzt erinnere ich mich, daß sie beim Gehen auch Auf Wiedersehen! sagte.

Oh, jetzt beobachtete ich Rosa wie ein Bettler und wie ein Verurteilter. Sie strahlte über das ganze Gesicht und freute sich wohl über die Aussicht, meine lästige Liebe loszuwerden, sie sagte:

Da sehen Sie es! Ja, ich kann es gut begreifen, daß Sie sich in sie verliebt haben. Sie ist gut und freundlich; mein Vater sagte auch, daß sie eine gute Konfirmandin gewesen sei. Sie ist offenbar begabt.

Ja, sagte ich nur.

Jetzt müssen Sie fleißig zu ihr hinüber gehen, das müssen Sie wirklich tun. Und Sie können ja jedesmal im Pfarrhof wohnen; daheim werden sie sich darüber freuen.

Da rettete ich, was zu retten war, und sagte:

Jaja, auf jeden Fall habe ich jetzt ein wenig mit Ihnen geredet und Sie Ihre eigenen Kümmernisse für kurze Zeit vergessen lassen.

Auf dem Heimweg begegnete ich Hartvigsen, der von Mack kam. Er hatte einen sehr gedankenvollen Ausdruck im Gesicht.

Meinem Teilhaber geht es schlechter, statt besser, sagte er. Morgen segeln unsere Schiffe ab, und ich kann nicht gleichzeitig auf dem Kontor und an allen anderen Orten sein. Das Schlimmste ist, daß sie Mack in seinem eigenen Hause ganz verwirrt machen, es ist ein neues Stubenmädchen gekommen.

Ich wußte von dem neuen Mädchen, sie war an Petrines Stelle gekommen, die sich verheiraten mußte. Die Baronin hatte Jens Kindsvater veranlaßt, ihr dieses Mädchen von den Schären zu verschaffen, sie hieß Margrete und war schön und jung, aber sie war auch unglaublich standhaft und gottesfürchtig.

Heute Nacht saß Margrete bei Mack und sollte ihm die Tropfen geben, erzählte Hartvigsen. Dann hatten sie angefangen miteinander zu reden, und Margrete hatte gemeint, daß Mack zu weich liege, er sollte auf Reisern liegen.

Auf Reisern? fragte ich.

Ja, haben Sie schon so etwas Verrücktes gehört! sagt Hartvigsen. Nun lag im Laden eine Nachricht für mich, daß ich zu Mack hinaufkommen solle; denn das muß ich schon wirklich aussprechen dürfen: er kann mich nicht entbehren. Ich gehe hinauf zu ihm, er ist nur mehr wie ein halber Mensch. Jetzt brauche ich deinen guten Rat, Hartwich! sagt er zu mir. Sie dürfen mir glauben, daß Mack auf Sirilund nicht zu jedem etwas Derartiges sagt; aber mich kann er nun eben so ungefähr nicht entbehren. Da antwortete ich ihm, wie es auch wahr ist, daß er und kein anderer mich einst aus dem Staube aufgehoben habe, und wenn er meinen Rat brauche, so solle er ihn haben. Da erzählt er mir das von den Reisern. Das darf nicht geschehen! antwortete ich sofort; die Weiber sind verrückt geworden! Dank! sagte Mack zu mir; das waren Worte eines verständigen Mannes, wie ich sie hören wollte! Aber nun handle es sich weiterhin darum, meinte er, daß er doch ein Mittel finden müsse, um wieder gesund zu werden und auf die Beine zu kommen. Denn wenn ich so daliege, muß ich die ganze Zeit nachdenken, sagte er, ich kann nachts nicht schlafen, ich werde religiös.

Hier hielt Hartvigsen ein wenig inne. So unnatürlich kam ihm diese Veränderung mit Mack vor, daß er große, weit aufgesperrte Augen bekam.

Das ist merkwürdig! sagte ich.

Hartvigsen dachte lange nach und sagte:

Gibt es denn auf dieser Erde kein Mittel gegen einen kranken Magen? Zum Teufel, wozu haben wir denn Ärzte? Und plötzlich wird er klug, wunderbar bauernschlau, er raffte seinen ganzen Verstand zusammen und sagte: Man kann sich ja leicht vorstellen, daß es die reine Vernichtung für ihn ist, wenn ein so tätiger Mann wie Mack das Bett hüten muß. Er muß wieder aufstehen.

Aber das ist ja eben die Schwierigkeit, ihn so gesund zu machen.

Jaja, antwortete Hartvigsen und fing zu gehen an. Aber ehe er religiös wird und auf Reisern herumliegt, eher grabe ich die Badewanne wieder für ihn aus!

25

Und spät am Abend wurde die Badewanne wieder ans Tageslicht befördert. Das war sehr sonderbar. Die Baronin wußte nichts davon, Rosa wußte nichts davon, wir begaben uns bei schönem Mondschein und Nordlicht in den Wald und machten die Sache in aller Eile ab. Es war die gleiche Mannschaft wie beim Begräbnis, Wächter Svend, der Schmied und der Böttcher, und die Erde war immer noch weich, so daß sie leichte Arbeit hatten.

Nein, soweit wäre es doch nie gekommen, daß wir die Wanne begraben hätten, wenn Edvarda das nicht bestimmt hätte, sagte Hartvigsen. Man sollte doch nie auf Weiber und dergleichen hören!

Und die drei Männer mit den Spaten waren derselben Meinung und antworteten, nein, Weiber und derlei – denn die seien sich doch immer gleich. Dieselben drei Männer arbeiteten unverdrossen, sie wußten genau, was sie taten, wußten, daß dieses entsetzliche Bett nun wieder ebenso gefährlich für sie alle drei und für noch mehrere wurde; aber dabei war nichts zu machen. Es dauerte jedenfalls ein ganzes Jahr, bis wieder eine Durchsuchung vorgenommen werden sollte. Und außerdem hatte Macks Bettlägerigkeit so viel Ungemütlichkeit und Beklemmung zur Folge gehabt, daß beinahe alles andere besser gewesen war. Auch schien Wächter Svend keinen sonderlichen ehelichen Vorteil davon gehabt zu haben, daß Macks Badewanne begraben worden war; jedenfalls grub er jetzt, daß ihm der Schweiß herunterrann, um sie wieder herauf zu bringen. Was die beiden anderen betrifft, so sagte der Schmied:

Wenn ich euch recht kenne, Hartwich, dann seid Ihr uns für diese Arbeit eine Kleinigkeit schuldig.

Daran soll es nicht fehlen! antwortete Hartvigsen. Paßt nur auf und seid mit dem Kissen vorsichtig, es ist aus roter Seide.

Der Böttcher ist so unachtsam, sagte der Schmied.

Ich unachtsam? erwiderte der Böttcher aufgebracht. Ich könnte mit meinen bloßen Händen graben, um nur das Badekissen nicht zu beschädigen.

Sie waren alle wie Kinder und arbeiteten um des Lobes und um der Belohnung willen.

Endlich war die Wanne in ihrem Grabe frei gelegt und wurde nun mit einem Tau heraufgezogen. Da schnauften die Männer auf und besahen und befühlten sie, ob sie keinen Schaden gelitten hatte und auch nicht sehr verbeult worden war. Hartvigsen nahm eigenhändig die darüber ausgebreiteten Säcke weg, schüttelte das Kissen und das Kopfpolster auf und nahm dann sein Taschentuch, um die Seide vom Staub zu reinigen. Es ist, wie ein altes Wort sagt: kein Flecken und kein Fältchen daran! sagte er befriedigt. Dann füllten die Männer das Grab wieder ein.

Es ging schon stark auf den Abend zu, wir kehrten heim, die Badewanne zwischen uns tragend, und wir trugen alle daran. Hartvigsen fürchtete sich sehr vor der Baronin und wünschte laut und hörbar: Wenn nur die Wanne schon gut im Hause wäre! Ich wurde vorausgeschickt, um zu untersuchen, ob alles ruhig sei; wäre ich nicht innerhalb angemessener Zeit wieder zurück, wollten die anderen das für einen Wink zum Kommen nehmen. So wurde alles verabredet.

Aus der Stube fiel kein Licht, in dem ganzen großen Gebäude waren nur die Fenster von Mack und der Baronin erleuchtet. Ich ging rings um das Haus, auch die Haushälterin und die Dienerschaft hatten das Licht gelöscht. Dann trat ich durch die Türe ein und ging in mein Zimmer. Ich war wie gewöhnlich ein wenig furchtsam; aber ich hatte ja alles untersucht und somit ein reines Gewissen.

Einige Minuten später vernehme ich am anderen Ende des Hauses gedämpftes Trampeln; jetzt kommen sie mit der Badewanne! denke ich. Kurz darauf höre ich auch eine Türe gehen. Ich gehe auf den Gang hinaus und lausche, ich höre, daß die Baronin herausgekommen ist und daß sie sagt: Was soll das bedeuten? Was? antwortet Hartvigien von unten, es hörte sich nicht sehr dreist an. Ich frage, was das bedeuten soll? sagt die Baronin wieder, und ihre Stimme war nicht mehr samten. Da antwortete Hartvigsen: Kommt jetzt nur, Jungens! Was das bedeuten soll? Sehen Sie nicht, wie er daliegt und herunterkommt? Er stirbt uns unter den Händen! Und die Baronin war zu stolz, um sich auf dem Gang mit jemand herumzustreiten, sie verließ die Männer und kehrte in ihr Zimmer zurück.

Dann ging offenbar alles gut.

Am Morgen hatten die Fahrzeuge die Bucht verlassen, sie waren in der Nacht fortgesegelt. Der gute Wächter Svend, als er seine Arbeit an Land getan hatte, war wiederum nur Schiffer auf seinem großen Fahrzeug und hatte die Gebiete Sirilunds und seiner Frau abermals verlassen. So war nun alles wieder in Ordnung.

Und siehe da, es ging sonderbar zu in den nächsten Tagen: die große Seele des Ortes, Ferdinand Mack, kam langsam, aber sicher wieder auf die Beine. Es war wie ein Wunder, an dem wir teilnahmen, auch die Baronin mußte das anerkennen. Aber sie unterließ es doch nicht, mit ihrer schlanken, starken Hand einzugreifen, ja, sie besaß den größten Eigensinn, den ich je gesehen habe: als ihr Vater zum ersten Mal wieder baden sollte, wollte die Baronin niemand anderen mit der Arbeit des Abreibens betrauen, als das neue, gottesfürchtige Stubenmädchen Margrete, so daß diese es tun mußte. Und Mack war ja ein sehr umgänglicher Mann im Bad und dankte für jeden Dienst; Margrete kam an diesem Abend wie an späteren wahrlich ungekränkt und still heraus.

Jetzt aber war Hartvigsen an der Reihe, zu triumphieren. Als Mack anfing mit besserem Appetit zu essen und wieder auf zu sein, schrieb Hartvigsen sich das ganze Verdienst zu. Es war köstlich, sein gutmütiges Prahlen zu hören: die rote Binde half nicht, sagte er, und Doktor und Tropfen halfen nicht. Da begriff ich auf einmal, was hier im Wege war. Nein, es kommt einzig und allein darauf an, daß man seine Augen offen hält.

Drei Wochen später war Mack wieder auf dem Kontor. Es gab ein gutes Essen und guten Wein zu Mittag an diesem Tag, die Baronin hatte das so bestimmt. Ich saß im Zimmer, als Mack hereinkam und das festliche Gedeck sah. Wo ist meine Tochter, die Baronin? fragte er die Haushälterin. Sie ist hinaufgegangen, um sich umzukleiden, lautete die Antwort. Mack ging auf und ab, sprach mit mir, sah dann und wann auf die Uhr an der Wand. Gegen mich war er gnädig und sprach die Hoffnung aus, daß es mir in der langen Zeit, in der er mich nicht gesehen habe, gut ergangen sei.

Dann kam die Baronin herein, sie trug ein rotes Samtkleid; sie hatte die beiden kleinen Mädchen dabei, und auch diese waren sonntäglich gekleidet.

Du bist da, Großvater! sagten die Kinder und umringten ihn.

Und Mack richtete einige nette Worte an die Kinder. Dann wandte er sich an seine Tochter und sagte:

Ich habe nach dir gefragt, Edvarda, um dir für diese Aufmerksamkeit zu danken!

Nicht ein Wort mehr, aber ich sah, daß sein Dank von größtem Wert für seine Tochter war.

Wie geht es dir jetzt? fragte sie.

Ja danke, ich bin wieder gesund.

Wohl ein wenig matt?

Nein, o nein, antwortete Mack und schüttelte den Kopf.

Dann setzten wir uns zu Tisch. Ich dachte während der Mahlzeit: nie habe ich ein höflicheres und seltsameres Verhältnis zwischen Vater und Tochter gesehen; es brütet ein Mysterium über dem Haus auf Sirilund! Mack fand auch Gelegenheit, seiner Tochter für das neue Mädchen zu danken, das sie ihm ins Haus gebracht hatte: es sei wirklich ein stilles und ausgezeichnetes Mädchen! Und dabei saß Mack da und sagte das mit unverändertem Gesicht, ja, als wisse keiner von uns, warum Petrine den Dienst hatte verlassen müssen und Margrete an ihrer Stelle gekommen war.

Und von jetzt an hatte der Haftelmacher wieder seine Arbeit und wieder sein Lebensbrot, ja, einige Wochen später bekam er sogar Weib und Kind. Und dabei fuhr der Haftelmacher nicht schlecht, Petrine war gesund und tüchtig und dazu heiteren Gemütes; alle waren der Ansicht, daß sie zu gut sei für den kläglichen Komödianten, den sie zum Mann bekommen hatte. Zu nichts hatte er Geschick, darum ging er auch mit den schiefsten Absätzen umher und war zu faul, Eisen aufzusetzen. Der Oberkörper dagegen – ah, welch ein Unterschied zwischen den beiden Kameraden! Jeden Abend, wenn der Oberkörper die Stiefel auszog, saß er da und musterte sie und schmierte sie tüchtig mit warmem Teer ein, und gab es wirklich noch irgendwo ein freies Fleckchen an den Sohlen, so trieb er noch einen letzten und einen allerletzten abgehauenen Nagel in das Leder hinein. Das waren aber auch Stiefel! Sie wogen schwer an den Füßen und hielten vier Jahre lang. Die Schuhe des Haftelmachers aber betrachtete er mit Ärgernis.

Die beiden Kameraden sprachen jetzt nicht mehr so viel miteinander wie früher, der Oberkörper wurde immer einsamer. Der Haftelmacher, der hatte jetzt viele andere Interessen bekommen, die Frau und das Kind, er war verheiratet, war Hausvater; dem Oberkörper blieb allein die Erinnerung an Bramaputra. Worüber sollten sie also reden? Außerdem war mit dem Komödianten kein Auskommen; lange Zeit ging er umher und prahlte damit, daß er von Mack zwei Pferde und Spitzschlitten zu seiner Hochzeitsfahrt geliehen bekommen hatte; war es für einen erwachsenen Mann der Mühe wert, viel darüber zu sprechen? Aber hatte Mack etwa den Lohn erhöht? Oder hatten die Neuvermählten ein ordentliches Dach über dem Kopf bekommen?

Ah, diese letzte Frage ging auch dem Haftelmacher stets im Kopf herum: die Kammer gehörte immer noch nicht ihm, der Gemeindearme Fredrik Mensa starb nicht. Der Haftelmacher sagte zum Oberkörper: Wäre ich so stark wie du, würde ich die Leiche erschlagen – das sagte diese Person mit den kläglichen Armen und Händen. Sonst sei dem nichts im Wege, aber er habe keine Kräfte! Der Oberkörper antwortete: Du redest wie ein Tier! Wir können nicht leben, wir können nicht atmen! schrie da der Haftelmacher. Jaja, sagte der Oberkörper schwer und bedächtig, das ist schließlich für das Kind am schlimmsten! Der Haftelmacher tobte immer noch. Warum kann Jens Kindsvater nicht wieder zu der Leiche herunterkommen? Warum nicht? Er war vor mir dort; aber jetzt hat er eine Bodenkammer bekommen.

Der Oberkörper hatte recht, für das Kind war es am schlimmsten. Es war ein guter und großer Junge mit braunen Augen, niemals bekam er einen Atemzug reiner Luft, außer wenn man ihn warm einpackte und aus der Kammer hinaustrug; die ganze Nacht lag er in Fredrik Mensas Luft, mit verstopfter Nase und weinend. Aber alles ist im Leben weise eingerichtet: Ein Kind hat sicherlich keine besonderen Empfindungen, es erträgt alles. Und Fredrik Mensa lag ja auch da und sagte Tut tut und Bobo bobo, um dem Kinde ein Vergnügen zu bereiten; der sanftmütige Greis klagte durchaus nicht darüber, daß ein schreiendes Kind in die Kammer gekommen war, sollte also jemand über ihn klagen?

Wochen vergehen, wir merken bereits, daß die Tage länger werden, das gesegnete Licht kehrt allmählich zurück. Um alles zu bekennen, so waren diese Winterwochen sehr schwer für mich zu ertragen gewesen, und ohne Gottes gute Hilfe würde ich sie nicht so gut überstanden haben. Er sei gelobt! Und da ich selbst an meinem Schicksal schuld war, darf ich niemand anklagen.

Rosa kam jetzt wie früher manchmal in den Laden und kaufte etwas für den Haushalt, sie hatte die kleine Martha mit dabei, zum Teil des Vergnügens halber, zum Teil, um sich ein wenig beim Tragen helfen zu lassen; sie selbst war nun sehr stark geworden.

Einmal sagte Rosa zu mir:

Kommen Sie nie mehr zu uns?

Doch, danke, antwortete ich nur.

Sie sind wohl so in Anspruch genommen. Gehen Sie fleißig nach Torpelviken?

Nein, sagte ich.

Ja, aber das sollten Sie tun!

Dies war das letzte kurze Gespräch, das ich mit Rosa hatte, ehe das große Ereignis eintrat. Wir standen beide vor dem Ladentisch, und sie reichte mir ihre warme gute Hand, als sie ging. Sie trug ihren Blaufuchs. Wie seltsam ist es, an das alles zu denken: diese Frau hatte eine solche Allmacht über mich: nachdem sie den Laden verlassen hatte, richtete ich es so ein, daß ich gerade dort zu stehen kam, wo sie eben gestanden hatte. Es schien eine leichte Wärme und eine Süßigkeit von diesem Platz auszugehen, es tat mir wohl, das zu fühlen. Obwohl ich niemals ihren Atem gespürt hatte, stellte ich mir vor, wie gut er sei, ich schloß das aus ihren warmen Händen und aus ihrem warmen Gesicht, vielleicht auch aus ihrem Wesen. Aber das kam wohl alles nur davon her, daß meine Anbetung keine Grenzen hatte. Viele Gedanken dachte ich in jener Zeit: wenn Gott mir Rosa gegeben hätte, würde ich vielleicht etwas weiter gekommen sein, als ich jetzt im Leben kommen werde! Später bin ich zu einer ruhigeren Auffassung gekommen, und ich finde mich in das, was mir beschieden worden ist. Fiat voluntas Dei!

Alles geht nun seinen gleichmäßigen Gang auf Sirilund, Mack hat sein Kontor und Hartvigsen seine Aufsicht über alles, was draußen vor sich geht; aber die Baronin langweilt sich wieder und kann keine Ruhe in einem religiösen Leben finden. – Ich gehe nicht mehr in die Kirche, er steht ja nur dort und redet wie ein Kind über erwachsene Dinge! sagte sie von dem Pfarrer in unserem Kirchspiel. Später sagte sie ganz offen – es war am Fastnachtssonntag, als sie mit den Kindern loszog und uns alle in den Betten durchhaute – da sagte sie: ich bin es müde, die Worte Fasten und Buße tun und ans Kreuz schlagen immer im Munde zu führen; haut fest zu Kinder!

Ja, die Baronin Edvarda wurde früher oder später alles müde; jetzt war sie wieder einige Tage lustig und sang, ja, sie war voller Ausgelassenheit. Was fehlt dir? fragte sie die standhafte und gottesfürchtige Margrete. Mir war, als hättest du geseufzt, und was soll das nützen? Margrete wurde denn auch nach und nach weniger still als zuvor, ja, die Baronin steckte sie an und brachte bei jeder Gelegenheit ihren Ernst aus der Fassung. Auch war es nicht leicht, Macks schlauen Reden gegenüber auf die Dauer taub zu sein, wenn er im Bade war, Margrete konnte sich vielleicht nicht immer so genau in acht nehmen. Als Mack sie eines Abends bat, auch Wächter Svends Frau Ellen zum Bade zu holen, tat Margrete das und machte dasselbe unschuldige Gesicht dazu wie immer. Oh, es war wohl nicht so leicht für die junge Margrete! Und die Baronin mischte sich jetzt auch nicht mehr darein, auf welche Tollheiten ihr Vater auch verfiel. Alles war wieder so wie vor der religiösen Periode.

Aber Ellen, sie hatte auf dieser Welt nur einen lieb, das war Mack. Es war seltsam anzusehen. Sie duldete auch niemand an seiner Seite; da war nun Margrete, was hatte sie bei Mack zu tun? Eines späten Abends höre ich vor meinem Fenster einen Streit zwischen diesen beiden Frauen; sie waren schon streitend von Macks Bad weggegangen. Ellen und Margrete waren aufgeregt, sie scheuten sich nicht, laut zu sprechen und gebrauchten schonungslose Ausdrücke. Ich klopfte einmal an mein Fenster, aber keine von ihnen kümmerte sich um den Studenten.

Ellen hatte ihre halb heisere erotische Stimme. Sie sagte:

Ja, du bist mir eine Schöne!

Sei nur still! antwortete Margrete. Ich kann ohne dich auskommen.

Kannst du das? Hat er dich nicht gebeten, mich zu holen?

Was weiter? Du kannst dich ja doch nicht halten und stillstehen?

Und du kommst her und willst gottesfürchtig sein!

Ja, ich bin gottesfürchtig, aber was bist du? antwortet Margrete ärgerlich. Du kannst dich ja doch nicht halten.

Oh, sagt Ellen, mit den Augen bist du auch sehr willig. Pfui!

Margrete ruft erbittert:

Was, du spuckst aus? Das werde ich ihm erzählen.

Nur zu. Das ist mir gleich. Und wozu soll es gut sein, daß du ihn überall abreibst! Ich habe es gesehen.

Ich tue, was mir befohlen wird.

Ellen äfft nach:

Befohlen! Trau dich nur ja nicht, ich weiß genau, daß er dich schon ein paarmal umarmt hat.

Hat er dir das erzählt?

Ja, das hat er.

Das werde ich ihn fragen.

26

Eines Morgens kommt Hartvigsen hastig in den Laden herein, geht hinter den Tisch und tritt ins Kontor ein. Er blieb nur einige Minuten fort. Als er wieder herauskam, wollte ihn wie gewöhnlich jemand sprechen und ihn um etwas fragen; aber Hartvigsen winkt mit der Hand ab und sagt: Heute habe ich keine Zeit; ich habe eine kranke Gattin daheim!

Ich fühlte sofort einen heftigen Schmerz und sagte Uf!

Jaja, sagte Hartvigsen lächelnd, es geht ihr jetzt schon besser, aber ...

Dann ist es wohl heute nacht geschehen!

Hartvigsen antwortet:

Ja, um die Wahrheit zu sagen: es ist ein Junge.

Hartvigsen sah übernächtig, aber stolz und von Herzen froh aus. Er gab Steen, dem Ladengehilfen, den Auftrag, den beiden bedürftigen Frauen die Waren nicht zu verweigern, um die sie gebeten hatten, und ging ebenso schnell wieder fort, wie er gekommen war. Seine Absicht war wohl einzig und allein gewesen, Mack die Neuigkeit zu überbringen. Diesem Mack, man konnte Verdacht gegen ihn hegen und ihn hassen, allein er war ein großer Herr!

Die Neuigkeit verbreitete sich; die Kinder der Baronin bettelten bereits darum, zu Rosa gehen und das Wunder ansehen zu dürfen, Mack ließ auf dem Hof und auf den Speichern die Flagge Kissen. Zwar war eine Geburt keine große Seltenheit auf Sirilund; aber es schickte sich keineswegs jedesmal für Mack, die Fahnen aufziehen zu lassen. Jetzt war das eine andere Sache. Und die große Aufmerksamkeit übte auch ihre gute Wirkung auf Hartvigsen aus: Man kann sagen, was man will von meinem Kompagnon, sagte er; aber was Bildung und alles das anbetrifft, so ist er darin wohlerzogen!

Sogar die Baronin zeigte jetzt, daß sie auch noch für andere ein Herz hatte, nicht nur für sich selbst: täglich ging sie zu Rosa und war sehr besorgt für ihre alte Freundin. Schließlich nahm sie auch ihre beiden Mädchen mit.

Rosa war bereits wieder aufgestanden und ausgegangen, ich hörte, daß die junge Mutter gesund und zufrieden sei, strahlend über das Kind und überhaupt leichteren Sinnes, ja, der kleine Bursche, den sie da bekommen hatte, ward ihr zum großen Segen. Ich wollte nicht eigens kommen, um sie zu beglückwünschen, sondern abwarten, bis ich sie zufällig treffen würde.

Da sollte es denn eines Tages geschehen, daß ich bei einem großen bedeutungsvollen Ereignis mit ihr zusammentraf.

Es war jetzt die Zeit der Frühlings-Tag- und -Nachtgleiche und der Stürme, – schwere See und dunkle Nächte. Eines Nachts höre ich wieder das Postschiff vor Sirilund heulen. Gott sei uns allen gnädig, sagte ich, und bringe alle Seefahrer heil an Land!

Am nächsten Morgen war das Wetter klarer, ich nahm einen Mantel um und begab mich auf den Weg zu den Speichern hinunter. Dort holte ich Rosa ein; ich erkannte sie schon von weitem an ihrem Blaufuchsmantel.

Ich konnte kaum grüßen, und noch ehe ich meinen Glückwunsch vorgebracht hatte, rief sie aus:

Haben Sie Benoni gesehen?

Nein.

Sie ist über etwas verzweifelt, und ihre Lippen beben. Sie sagt:

Der Lappe Gilbert ist wieder bei mir gewesen. Er sagte, daß ... und ich wage nicht daheim zu sein, unser altes Mädchen ist beim Kind. Ich suche Benoni.

Seien Sie doch ruhig. Was hat Gilbert gesagt?

Er sagte, daß er jetzt gekommen sei. Ja, mit dem Postschiff, heute nacht. Nikolai. Jetzt ist er gekommen, und er ist nicht tot. Er ist beim Schmied. Können Sie nicht vorausgehen und sehen, ob Benoni auf der Brücke ist?

Ich lief augenblicklich fort. Hartvigsen war nirgends auf der Brücke. Ein Mann hilft mir suchen, ein Fremder; aber er redet mit dem Böttcher wie mit einem Bekannten. Mich fragte er zuerst, wen ich suche. Er war gut gekleidet und hatte ein gebildetes Wesen, als er grüßte; ich antwortete, daß ich Hartvigsen suche, seine Frau wolle ihn treffen, sie stünde oben auf dem Wege. Da wurde der Mann eifrig und schloß sich meinem Laufe an, um Hartvigsen zu finden. Ich werde Ihnen suchen helfen, sagte der Mann, ich kenne ihn.

Dann liefen wir beide zu Rosa zurück.

Schon als von weitem ihr Blick auf uns fiel, durchfuhr es sie wie ein Stoß, und sie warf beide Arme in die Luft. Ich aber begriff nichts, dachte nichts, verstand nichts. Da kehrte sie um und wollte von uns weglaufen; ich dachte: sie sieht, daß ich Hartvigsen nicht gefunden habe und ist nun in fürchterlicher Angst! Aber das war kein Grund zur Verzweiflung, Hartvigsen war vielleicht in der Mühle, in einer Viertelstunde konnte man ihn holen. Rosa ging immer noch weiter, einige Schritte vor uns her, und es war ein Jammer, sie anzusehen, sie war wirklich wie ein Tier in ihrem Blaufuchspelz, das vornübergebeugt von uns forttaumelte. Als wir näher kamen, hörten wir sie schluchzen, es klang, als belle das Tier jetzt. Das ist schmerzlich zu erzählen. Dann taumelte sie vom Wege ab, in den tiefen Schnee, und zu einem Stein, den der Wind reingefegt hatte.

Als wir zu ihr hinkamen, sah ich, wie ihr Gesicht fremd war und bebte, die Haut war grau; sie schnappte nach Luft.

Erschrick nicht, Rosa! sagte plötzlich der Mann zu ihr. Wir suchen Benoni. Er ist selbstverständlich in der Mühle.

Mit einem Schlag wird es mir klar, daß der Mann Nikolai Arentsen selbst ist, diese jämmerliche Person, die Gott heute nacht hatte heil an Land kommen lassen. Jetzt hatte ich ihn in meiner Gedankenlosigkeit geradeswegs zu Rosa geführt.

Ich war wie gelähmt und wußte nicht, was ich tun sollte. Der Mann tat auch nichts, sondern nahm seine Pelzmütze ab, um sich abzukühlen, und redete dabei einige Worte. Er war vollständig kahl.

Ich versichere dir, daß Benoni in der Mühle ist, sagte er. Er ist nicht weit weg.

Rosa starrte ihn an und sagte mit bebender Stimme: Was willst du hier?

Puh, das Laufen hat warm gemacht! antwortete der Mann und setzte die Mütze wieder auf. Was ich hier will? Ich habe etliches zu ordnen. Auch habe ich hier eine kleine alte Mutter.

Ich trat zu Rosa hin, nahm sie unter den Arm und bat sie, mit mir zu gehen: Bleiben Sie doch nicht auf dem kalten Stein sitzen, sagte ich.

Sie stand nicht auf, sondern antwortete stumpf:

Es ist ja gleich!

Ja, ich kam heute nacht mit dem Postschiff, fuhr der Mann fort. Hundewetter, Gischt. Ich fand beim Schmied Obdach. Wir blieben bis zum Morgen auf und spielten ein unschuldiges Kartenspiel.

Ich wollte nichts mehr hören, und da ich Rosa nicht zum Mitgehen bewegen konnte, wollte ich sie verlassen, um weiter nach Hartvigsen zu suchen.

Gehen Sie nicht fort! sagte sie.

Da blickte mich auch der Mann an und sagte wie aus Gefälligkeit gegen sie:

Nein, gehen Sie nicht fort. Hartvigsen können wir ja jederzeit finden.

Ich dachte in diesem Augenblick an zwei Dinge: Rosa hatte mich ein Kind genannt, und ein Kind durfte wohl dabei sein, wenn zwei Erwachsene miteinander sprachen. War dies nun wieder Geringschätzung?

Nein, warum soll ich hier bleiben? sagte ich.

Ja, damit ... doch, bleiben Sie hier! antwortete sie.

Da dachte ich meinen zweiten Gedanken: sie fühlt sich vielleicht sicherer, wenn ich dabei bin. Diese Begegnung hatte sie nicht vermeiden können, und sie will nun sofort ein Ende machen. Da blieb ich.

Es ist Nikolai, sagte sie zu mir.

Nikolai Arentsen, sagte der Mann. Früherer Rechtsanwalt. Ich war seinerzeit die Hälfte einer kleinen Allmacht hier. Ich war Nikolai Arentsen, das Gesetz. Jetzt bin ich das Evangelium.

Da alle diese Worte an mich gerichtet waren, fragte ich zurück:

Mit welchem Evangelium kommen Sie?

Ja, das will ich dir sagen, Rosa, entgegnete er und übersah mich vollständig: ich finde, wir sollten ins Wasser gehen, alle beide.

Das wäre vielleicht das beste! sagte sie.

Pause.

Ich betrachtete ihn: ein Mann in den Dreißigern, von etwas durchschnittlichem Aussehen, rund und kurzhalsig, mit einem schönen Mund.

Nein, warum sollte das das beste sein? fragt er plötzlich. Du hast Mann und Kind, ein langes Leben. Nein, Rosa.

Sie antwortete darauf:

Du bist immer noch der gleiche, höre ich.

Ich dachte: Warum denn in aller Welt bleibt sie sitzen und spricht mit ihm? Daß sie nicht aufsteht und geht!

Da sagt er kurz und entschlossen:

Hör nun zu, Rosa, was habe ich gesagt? Habe ich nicht gesagt, daß gerade Postbenoni und nicht ich dein Mann hätte sein sollen. Das konnte ein Kalb begreifen.

Du sagst nichts dazu, daß ich mich verheiratet habe?

Nein. Das ist in Ordnung.

Es ist in Ordnung? fragt sie zum erstenmal interessiert. Sie sagten, du seist tot, darum tat ich es.

Ja, es ist in Ordnung. Das heißt, zum Teufel, es ist nicht in Ordnung; aber ich bin hierher gekommen, um es zu ordnen. Tot? Freilich bin ich tot. Dafür sollte ich ja meine Bezahlung bekommen. Aber ich kriege nicht die ganze Bezahlung, nicht alles, die guten Herren betrügen mich. Darum tauche ich wieder auf und lebe.

Sie war gewiß an seinen gewaltigen Zynismus gewohnt, dennoch durchfuhr sie jetzt ein Schauer, und er sah das.

Jawohl, jawohl! grinste er, dein Entsetzen ist groß, und so weiter! Aber ich habe nicht vor, länger zu leben, als bis ich die Bezahlung erhalten habe, dann sterbe ich wieder. Du hast es den Betrügern zu verdanken, daß ich hier stehe. Ich habe sie zweimal gewarnt, hätten sie dir nicht dieses Wiedersehen ersparen können? Ich sandte zwei Lebenszeichen an meine Mutter; aber die Betrüger töteten mich nicht.

Rosa war ruhiger geworden, sie legte die Hände zusammen und sagte:

Ach, wie schrecklich ist das alles!

Ja, ich bin entsetzlich, ich bin noch der gleiche. Aber hättest du das von diesen Herren gedacht? Versteh mich übrigens recht: ich habe nicht so sehr deinen Mann im Verdacht, wie vielmehr seinen Agenten.

Wer ist das? Ich verstehe nicht ...

Mack.

Es lag etwas Ansprechendes und Gerades über dem Mann, nur hätte seine rohe Offenheit im Dienste einer besseren Sache stehen sollen. Ich wollte Rosa zu einem Abschluß verhelfen und sagte:

Entschuldigen Sie, können Sie ihn nicht fragen, warum er Sie in diese Einzelheiten bei seinem Handel einweiht?

Auch das will ich dir sagen, antwortete er zu Rosa gewandt: Deine Ehe mit Benoni ist in der gesetzlichsten Ordnung, darin will ich nichts erreichen. Ich habe viele Jahre lang deine wohlverdiente Verachtung genossen, so daß du, um überhaupt die Erinnerung an mich ertragen zu können, an unsere Jugend hast zurück denken müssen, an mich, wie ich damals war. Gut. Aber jetzt dreht es sich darum, daß ich die mir zugesagte Bezahlung brauche, ich habe eine gewisse Verwendung dafür. Da dachte ich: Vielleicht wird Rosa mir dazu verhelfen.

Was du von der Erinnerung an frühere Zeiten sagtest, ist vollkommen wahr, sagte Rosa und antwortete auf ihre eigenen Gedanken. Und sie würde vielleicht mehr gesagt haben, aber er unterbrach sie:

Jawohl. Das hast du schon früher gesagt, ich weiß. Und wenn es dir der Mühe wert ist, dich an diesen Jugenderinnerungen zu laben, dann, bitte schön! Eigentlich sähest du es ja wohl am liebsten, daß ich vor dir stünde, wie ein Mann, über den man ein wenig gerührt werden und mit dem man ein wenig Mitleid haben könnte. Sähest gerne, daß ich eine Träne zerdrückte um das, was ich an dir verloren habe. Würde es dir nicht wohl tun, wenn ich deiner Sentimentalität entgegenkäme und mit den Knien schlotterte und dir zu Füßen fiele?

Niemals werde ich vergessen, welche Achtung ich vor dem starren und reinlichen Zynismus dieses elenden Kerls bekam! Er half ihr auf die Beine, sie erhob sich rasch und zog verletzt und erbittert die Brauen zusammen.

Ich will nicht mit dir reden! sagte sie.

Nicht einmal, wenn ich auf dein glühendes Kupferlächeln anspiele? fragte er unbeirrt.

Nein, antwortete sie nur, setzte sich wieder und stocherte und stocherte mit der Schuhspitze im Schnee herum. So gekränkt hatte ich sie noch nie gesehen.

Geh heim zum Kind! sagte plötzlich Nikolai Arentsen stark und verständig, denn wir beide sind fertig miteinander!

Ja, sagte auch sie, weiß Gott, das sind wir!

Nur, daß ich meine Bezahlung nicht erhalten habe.

Die sollst du bestimmt bekommen. Ich werde mit Benoni sprechen.

Danke!

Denn das kann nur ein Irrtum sein. Ich bin sicher, daß es nicht Benonis Schuld ist.

Richtig. Warum sitzt du also hier im Schnee? Mein Vorhaben ist erledigt.

Pause.

Ich weiß nicht recht, antwortete sie. Vielleicht warte ich darauf, daß du ein klein wenig Schamgefühl zeigst.

Vergebens, Rosa!

Also, du hast die Bezahlung für mich nicht erhalten?

Hm! Du willst wohl fortsetzen! antwortete er und richtete sich auf. Wir beide sind fertig miteinander; aber jetzt kommt der Abschied, nicht wahr?

Rosa schüttelte den Kopf und sagte:

Ja, ich finde, es ist zu arg von dir!

Und so weiter. Nein, mein Kind, aber das ist es ja eigentlich gar nicht. Du hast nicht genug für dein Herz bekommen, das ist die Sache. Und wie sollst du dir nun eine kleine Wehmutsträne um mich herauspressen, wenn du heimkommst!

Nein, nein, ich werde durchaus nicht weinen.

Aber genau das möchtest du am liebsten tun.

Ah, es war kein Zweifel, er traf sie empfindlich mit jedem neuen Ausfall. Schließlich erhob sie sich, trat wieder auf den Weg und ging in der Richtung nach ihrem Hause. Wir folgten.

Versuchen Sie Benoni für mich zu finden! sagte sie zu mir.

Bevor sie vom Wege abbog, verlangsamte sie unwillkürlich ihre Schritte. Arentsen nahm die Mütze ab und sagte:

Ja danke, du willst also mit deinem Mann sprechen?

Rosa nickte, ohne ihn anzusehen.

Lebwohl, sagte Arentsen und setzte die Mütze wieder auf. Worauf wartest du noch?

Nein, schweig jetzt endlich! rief sie heftig. Das ist doch unerhört! Worauf ich warte? Ich möchte Sie nur bitten, sagte sie zu mir – Sie finden Benoni wahrscheinlich in der Mühle.

Ich nickte zustimmend, und Arentsen platzte wieder dazwischen:

Ja, das wissen wir, ich für meinen Teil sah ihn dorthin gehen. Du aber wartest auf das letzte Wort. Wie müßte es wohl lauten? Sollte ich etwa so sagen: Du bist doch jetzt Mitbesitzer des Ladens, du kannst mir sicher Kredit auf ein oder zwei Flaschen beim Branntweinausschank geben?

Rosa drehte sich um und ging auf einmal den Weg zu ihrem Haus hinunter.

Wir beiden Männer gingen zusammen weiter. Niemand sprach. Ich dachte daran, wie unnötig hart dieser Mann gegen sich und gegen Rosa gewesen war; war er so aufgetreten, in der Absicht, ihr zu helfen, so war er kein geringer Mensch, nein, wahrlich nicht.

Wir gingen an Sirilund vorüber und kamen zu der Wegkreuzung am Haus des Schmiedes. Hier sagte Arentsen:

Sie suchen also Benoni? Wenn Sie ihn finden, ich wohne hier beim Schmied, falls er etwas von mir will.

Ich ging zur Mühle weiter, fand Hartvigsen und gab ihm Bescheid. Hartvigsen war lange Zeit sprachlos, dann sagte er:

Da steckt nun wieder der gute Mack dahinter; er wollte die ganze Geschichte abmachen. Können Sie nicht mit mir zur Schmiede gehen?

Ich sträubte mich; als aber Hartvigsen sagte: Ich muß gestehen, es ist mir schmerzlich und unangenehm ihn zu treffen, kam ich mit.

Wir kamen zum Haus des Schmiedes, Arentsen hatte uns offenbar vom Fenster aus gesehen, er stand auf der Schwelle und wartete. Die beiden Männer begrüßten einander kurz; ich sagte: Ja, hier ist also Hartvigsen! und schlenderte dann ein Stück weit von ihnen fort. Sie redeten einige Minuten, nannten Summen und schienen beide gleichermaßen sich zu verwundern. Das und nicht mehr habe ich erhalten! sagt Arentsen laut. Hartvigsen reichte ihm die Hand, als er ging. Jetzt werde ich mir den Mack vornehmen! sagte Hartvigsen zu mir.

Wir gingen zum Laden, und Hartvigsen begab sich ins Kontor, während ich draußen wartete. Er blieb eine Viertelstunde aus, dann gingen wir gemeinsam zu seinem Hause. Hartvigsen sagte:

Es ist entsetzlich mit diesem Mack! Meiner Gattin und mir hat er eingeredet, Nikolai sei tot.

Was sagte er jetzt? fragte ich.

Was er sagte! Er antwortete mir: Ja, für Rosa und für dich und alle anderen ist er tot! Das antwortete er mir. Nein, er ist so schlau wie kein zweiter mehr.

Und was sagte er wegen des Geldes?

Ja, glauben Sie etwa, er hätte keine Antwort gewußt! Ich schäme mich, die hohe Summe des Betrages zu nennen; aber mir hat Mack eine große Summe abgelistet. Und Nikolai hat er eine viel kleinere Summe versprochen, mehrere tausend Taler weniger. Was soll das bedeuten? fragte ich Mack. Ja, sagte er, das soll bedeuten, daß ich nur der Kommissionär war! Das antwortete er mir. Er sagte: Ich übernehme es, Rosas Scheidung für eine gewisse Summe zu ordnen; aber es geht dich nichts an, Hartwich, was mich das bei Nikolai kostet! Dabei war das wirklich seine Meinung. Haben Sie schon so einen Spitzbuben gesehen? Aber das ist nun der Dank dafür, daß ich die Badewanne wieder ausgegraben und ihm in meiner Gutmütigkeit geholfen habe, sein schamloses Leben wieder aufzunehmen.

Und dann hat er auch Arentsen nicht das bezahlt, was er ihm versprochen hatte?

Nein. Nur die Hälfte. Um die andere Hälfte hat er den armen Kerl betrogen. Warum haben Sie das getan? fragte ich Mack. Ich habe ihn durchaus nicht betrogen, erwiderte er, ich hatte ihm niemals alles auf einmal versprochen, er mag warten; ich brauche Geld in unserem Geschäft, antwortete er. Nein, es hat keinen Sinn, mit ihm zu reden, er weiß auf alles eine Antwort.

Hartvigsen blieb bei seiner Wegkreuzung stehen.

Gehen Sie jetzt zu Ihrer Gattin, sagte ich, sie hat lange gewartet.

Ja, arme Rosa! antwortete Hartvigsen und sah zum Haus hinüber. Hat sie den ganzen Tag nach mir gesucht? Und das Kind war allein! Aber es ist doch unglaublich, was dieser Nikolai aus sich gemacht hat, er war nicht wieder zu erkennen. Und das habe ich mir heute vorgenommen, ehe der Ärmste noch länger auf sein Geld warten soll, will ich es ihm auf einmal voll ausbezahlen. Das habe ich ihm versprochen. Und das soll noch heute an diesem Tag geschehen.

27

Ich hatte keine Ruhe, weder draußen noch drinnen, ich trieb mich den ganzen Tag umher und sah Hartvigsen noch einmal zum Haus des Schmiedes gehen. Jetzt gibt er Arentsen das Geld! dachte ich. Am Nachmittag des nächsten Tages ging ich wieder zu den Speichern hinunter, ich dachte, ich könnte vielleicht ein wenig mehr erfahren, wenn ich an Rosas Haus vorüberging. Aber ich erfuhr nichts, Rosa stand mit dem Kind auf dem Arm am Fenster, sie sah froh und glücklich aus und hielt mir das Kind hoch entgegen, da winkte ich mit der Mütze und dachte: Gott sei Dank, es hat sich also nichts Schlimmes für sie ereignet! Ich ging weiter, zur Dampfschiffsbrücke.

Auf dem langen Kai stand Hartvigsen im Gespräch mit dem Schmied; der Böttcher und einige Schauerleute waren auch auf dem Kai und arbeiteten, es waren also außer mir fünf Männer hier versammelt. Hartvigsen sprach mit dem Schmied über dessen Gast, er war stark in Anspruch genommen von Nikolai Arentsen und hatte anscheinend den besten Eindruck von ihm gewonnen.

Ich spreche soeben mit dem Schmied über den Mann, den er da ins Haus bekommen hat, sagte Hartvigsen zu mir. Ich brachte ihm gestern einiges Geld, er dankte mir und schien zufrieden zu sein. Jaja, es war zwar nicht meine Pflicht, es ihm auszuzahlen, denn es waren Macks Schulden und nicht meine. Aber das ist ja gleich. Ich raufe mich nicht um ein bißchen mehr oder weniger Geld. Ist er jetzt bei dir daheim?

Er ist zu seiner Mutter gegangen, antwortete der Schmied.

Hartvigsen sprach weiter über Arentsen:

Und als ich gestern fortging, fiel es ihm ein, mich zu dem Kind zu beglückwünschen, das ich bekommen habe. Er ist ein unvergleichlicher Mann.

Ja, das ist wohl wahr.

Der gute Hartvigsen, er war wohl so zufrieden und erstaunt, weil Arentsen keine Ansprüche auf Rosa machte, daß sein Herz mit ihm durchging.

Er ist ein wohlstudierter Mann in allen möglichen Wissenschaften, sagte er.

Und der Schmied erwiderte wie zuvor und wiegte dabei den Kopf:

Ja, das ist wohl wahr, wahrhaftig.

Da sagte Hartvigsen:

Ich hätte nichts dagegen, wenn er Hauslehrer bei uns werden wollte.

Der Schmied und ich schwiegen zu diesen Worten, und Hartvigsen sah von einem zum anderen.

Es sollte nicht am Lohn bei mir fehlen und auch nicht am Essen unter meinem Dach.

Nein, da ginge es ihm nicht schlecht! sagte der Schmied. Habt Ihr mit ihm darüber gesprochen?

Noch nicht.

Das sollten Sie auch lieber nicht tun, sagte ich.

So, meinen Sie? Nein, nein, ich weiß nicht, aber ich hätte einen schlechteren bekommen können, soviel ich jetzt davon verstehe. Denn er ist in allen Wissenschaften, die es überhaupt gibt, vollständig ausgebildet.

Sprechen Sie darüber mit Ihrer Gattin, sagte ich.

Ich sprach heute morgen mit ihr, antwortete Hartvigsen. Aber meine Gattin wollte nichts davon wissen. Sie sagt, sie, will ihn nicht im Hause haben. Das ist wieder nur Übertreibung von ihr. Aber Damen und dergleichen, die sind nun so sinnreich, sie hat nur für mich etwas übrig.

Plötzlich kommt Nikolai Arentsen selbst den Weg zum Kai heruntergewandert. Wir grüßen alle, als er näher gekommen ist, und Arentsen dankt. Es ist ihm nichts Ungewöhnliches anzumerken.

Wollt ihr Selbstmord lernen, Leute? sagte er.

Wir antworteten nicht sogleich; aber der Schmied, der ihn am besten kannte, hielt es wohl für einen Scherz von ihm, er entgegnete:

Selbstmord? Ja, es könnte nicht so übel sein, den zu lernen.

Da nahm Arentsen einen kleinen Anlauf und sprang über den Kai hinaus.

Nein, aber ...! sagten wir und schauten einander an und sahen auf das Wasser. Die Bucht hatte sich den ganzen Winter nicht mit Eis überzogen, es lag nur eine dünne Schicht auf dem Wasser, in die der schwere Mann ein Loch schlug und unter der er sofort verschwand. Einige von uns glaubten, er wolle baden; aber es war weder Wetter noch Jahreszeit, um zu baden. Der Schmied begriff, daß es sich um ein Unglück handelte, er kletterte sofort zum Boot hinunter. Wir anderen auf dem Kai verstanden noch nicht recht, was geschehen war. Dann rief Hartvigsen dem Böttcher zu, mit ihm in das andere Boot zu steigen.

Wir suchten mit zwei Booten, mit guter Mannschaft und guten Dreggankern, eine Stunde, zwei Stunden – vergebens! Es war gleich am Kai sehr tief, und vielleicht war unten am Grunde Strömung, Arentsen mußte weiter und weiter ins Tiefe hinausgeglitten sein, und dort war es zwanzig Klafter tief. Als es dunkel wurde, mußten wir das Suchen aufgeben.

Ich ahnte es fast! sagte der Schmied auf dem Heimweg. Er führte in letzter Zeit so viele Reden und hatte so sonderbare Ansichten. Ich fragte ihn, was er jetzt vorhabe. Ich habe gar nichts vor, antwortete er, ich bin seit langem fertig, antwortete er. Na, aber Ihr habt doch jetzt viel Geld, sagte ich. Das ist Mutters Geld, antwortete er. Erst vorhin, heute, vor Mittag sagte er zu mir: Geh ungefähr in einer Stunde zum Kai hinunter! Jaja, antwortete ich, das will ich tun. Dann setzte er die Mütze auf und ging zu seiner Mutter.

Wir versanken alle in Schweigen. Hartvigsen kam an seine Wegkreuzung und trennte sich von uns; der Schmied und ich gingen weiter.

Ich dachte an Nikolai Arentsen und fragte:

Was sagte er noch, als ihr beieinander saßet und euch unterhieltet? Was sagte er gestern, als er Rosa getroffen hatte?

Darüber sagte er nichts. Er kümmerte sich nicht um Rosa. Sie haben beide bei mir gewohnt, als sie verheiratet waren. Nein, er sagte nur, daß er jetzt Rosa getroffen und sie ein bißchen mit dem Pferdestriegel gekitzelt habe. Er war immer so witzig in seinen Reden und er erfand stets neue Worte. Und jetzt fühle ich das ganze Behagen, das man fühlen kann, wenn man einen richtig schönen Spitzbubenstreich ausgeführt hat, sagte er. Mehr äußerte er nicht über diese Sache. Aber auf jeden Fall hat er der Mutter noch ein schönes Stück Geld verschafft, ehe er diese Welt verließ.

Einige Wochen vergehen, und das Leben ist wieder ruhiger geworden. Ich weiß nun, daß ich im Frühjahr zu Munken Vendt gehen und mich mit ihm auf die Wanderschaft begeben werde. Vielleicht hätte ich schon jetzt diesen Vorsatz ausgeführt, aber die Baronin hat mich zum Bleiben überredet und hat mich auch durch die Kinder bitten lassen. So vergeht nun ein Tag nach dem anderen.

Niemals kommt eine Nachricht von Rosa an mich. Sie hatte mich doch in vieles aus ihrem Leben eingeweiht, und ich war bei den letzten Begebenheiten mehr als ein Mitwisser gewesen; aber sie hat kein Bedürfnis mehr, sich mir anzuvertrauen.

Rosa hat sich gut erholt und sieht gesund und vergnügt aus; seit Nikolai Arentsen fortgegangen ist, hat sie keine Trauer mehr im Leben. Sie lebt nur noch für ihr Kind und ihren Mann. So wendet sich wohl alles zum Guten!

Auch Hartvigsen scheint mit allem und jedem in bisher ungeahnter Weise zufrieden zu sein, er klagt nicht mehr darüber, daß Rosa so viel Furcht vor allem möglichen habe, er rühmt sie im Gegenteil wegen ihrer Güte gegen ihn und lacht über ihre eifrigen Ermahnungen, er solle sich gut und warm anziehen. Und das Kind, dieser merkwürdige lebhafte Junge in seinem kleinen Hemd, lebt stets in seinen Gedanken.

Eines Tages sagte Hartvigsen:

Sie dürfen nicht erschrecken, wenn Sie nächstens eine Neuigkeit erfahren.

Was für eine Neuigkeit kann das nun sein? frage ich.

Ja, keine traurige Neuigkeit, aber ... Denn mir ist der verrückte Gedanke gekommen, daß ich ein kleines Fest oder eine Feier, wie man es nennt, veranstalten will. Mehr sage ich nicht! Als ich aber nicht neugierig tat und mich nicht eingehender erkundigte, fuhr Hartvigsen dennoch fort: Und ich will es wie eine kleine Erfrischung für meine Gattin und für mich machen. Außerdem haben wir ja auch das Kind, das getauft werden soll.

Ein Festgelage! dachte ich.

Es nützt nichts, wenn Sie darüber nachgrübeln! sagte Hartvigsen und lachte, daß seine großen gelben Zähne gutmütig schimmerten. Denn ich möchte wetten, daß Sie es nicht herausbringen!

Nachts stand ich wieder vom Bett auf und machte meinen alten unnützen Weg zu den Speichern hinunter. In Rosas Zimmer brannte die Nachtlampe, wahrscheinlich des Kleinen wegen. Alles war ruhig. Gute Nacht! sagte ich; gebe Gott, sie schickte mir morgen eine Nachricht!

Und am Morgen erhielt ich zwar keine Nachricht, aber Hartvigsen kam in den Laden, und als ich das sah, begab ich mich auch dorthin. Vielleicht hat er eine Nachricht! dachte ich. Hartvigsen fing an wie gestern und ließ noch mehrere dunkle Äußerungen darüber fallen, was er an einem der nächsten Tage vorhabe. Da fragte ich:

Daheim geht es wohl gut?

Dank für die Nachfrage, antwortete er. Sie haben das Kind noch nicht gesehen, und warum nicht? Meine Gattin wundert sich.

Da ging ich zu Rosa. Ich gehe, um das Kind zu sehen, sagte ich zu mir selber. Es wurde kein langer Besuch, ach nein, ein kurzer Besuch und eine endliche Gewißheit.

Rosa war gesund und frisch, sie kannte keine Traurigkeit mehr. Sie sagte, sie könne nicht begreifen, wo ich die ganze Zeit gesteckt habe; ob mich das Kind abschrecke? Kommen Sie, dann sollen Sie den Jungen gleich zu sehen kriegen!

Ich folgte ihr hinauf. Dort saßen das alte Stubenmädchen und Martha. Als sie gehen wollten, sagte Rosa: Nein, bleibt sitzen, wir wollen bloß den Prinzen anschauen!

Der Prinz schlief. Es war wirklich ein Prinz, groß und schön, im weißen Häubchen; ab und zu krümmte er die Finger ein wenig. Rosa sah ihn die ganze Zeit an, legte den Kopf schief und betrachtete ihn. Ich sagte einige Worte, die ich für nötig hielt, und nahm einen Augenblick die Hand des Kindes.

Dann gingen wir wieder hinunter.

Ja, jetzt sind Sie wohl froh! sagte ich.

Ja, jetzt bin ich froh.

Durch meine Seele huschte ein kleiner Schatten, nicht des Neides, sondern des Verdrusses darüber, daß Rosa nur froh war. Ich weiß in meinem Innern, daß ich ihr alles Gute wünschte, aber ich wünschte ihr auch Mitgefühl mit anderen. Ach, da saß ich nun und war ihres wegen Glückes gekränkt.

Sind Sie vielleicht in Torpelviken gewesen, weil wir Sie nicht mehr gesehen haben? fragte sie und lachte.

Nein, sagte ich kurz.

Als sie mein Gekränktsein sah, wurde sie sofort ernst und wollte darüber wegreden:

Ich wollte nur nach den Alten im Pfarrhof fragen. Aber denen geht es wohl gut. Ja, jetzt wird Vater den Prinzen taufen.

Wie soll er heißen? zwang ich mich zu fragen.

Das ist noch nicht bestimmt, antwortete sie. Mein Mann möchte, daß er Ferdinand heißen solle, nach Mack; aber ich weiß nicht recht.

Ich bemerkte, daß sie mein Mann sagte; früher hatte sie ihn stets Benoni genannt, ja, früher hatte sie viel eher Arentsen für ihren Mann angesehen. Nein, war es Neid oder Bosheit von mir? Ich wollte sie an Arentsen und die Katastrophe erinnern und sagte:

Und jetzt brauchen Sie wirklich nicht mehr vor dem Lappen Gilbert Angst zu haben.

Nein, erwiderte sie und schüttelte den Kopf, ich kümmere mich nicht mehr um ihn.

Und auch über das Unglück sollen Sie sich nicht grämen, sagte ich, über die Katastrophe.

Was für eine ... Oh! Nein, daran will ich nicht denken. Es ist, als sei das lange her, viele Jahre.

Da sagte ich:

Freilich sollte man daran denken, allein ...

Ich weiß nicht, antwortete sie. Es liegt so weit weg. Nein, es war vorbei, Sie hörten ja selbst alles, was er sagte. Ich bin nur froh, daß es ein Ende hat. Jaja, freilich war es ein sehr trauriges Ende, aber ... Jetzt brauche ich nur noch gegen mich und die Meinen so zu sein, wie es sich gehört.

Mehr nicht! dachte ich. Aber da saß nun ich, und was sollte ich aus mir machen? Ich wurde immer weniger und weniger, dichter und dichter zogen sich meine Gedanken um dieses eine Menschenkind zusammen. Warum stand ich nicht auf und ging? Eine entsetzliche Hoffnungslosigkeit ließ mich alles vergessen, ich hörte, daß ich etwas sagte und daß Rosa fragte: Wie? Ach, ich besaß keinen bitteren und starken Stolz mehr, meine Erbärmlichkeit war ein Zustand, aber ich machte sie zu einer Stellung, ja, zu einem Lebenszweck, ich wurde wie Jens Kindsvater, wenn er um Knochen bettelte.

Ich stand heute nacht dort draußen und sah Licht in Ihren Fenstern, sagte ich.

Wollte das nicht helfen? Dank mir doch, lächle mit feuchten Augen!

Rosa bekam eine Falte über der Nase.

Das Licht brannte wahrscheinlich des Kindes wegen. Ist er unruhig nachts? sagte ich weiter und wich zurück.

Nein, o nein, antwortete Rosa sofort. Er muß nur seine Nahrung haben, dann schläft er wieder ein.

Jetzt könnte ich aufstehen. Das hätte Munken Vendt getan, das hätte Nikolai Arentsen getan.

Ja ja ja ja ja! seufzte ich und blickte dabei an der Wand entlang zur Decke hinauf, um gleichgültig zu scheinen. Ich weiß wirklich nicht recht, was ich im Frühling tun soll, ob ich mich mit Munken Vendt zusammen tun soll.

So, Sie bleiben also nicht auf Sirilund? fragte sie.

Nein, ich weiß nicht. Es wäre wohl am besten, man läge zwanzig Klafter tief im Wasser.

Nein, Sie dürfen nicht so verzweifelt sein! sagte Rosa freundlich und gut zuredend. Sie Ärmster, es ist sehr schlimm für Sie, aber ... Plötzlich sah ich, daß sie lauschte, oben erklangen Schritte. Jetzt ist, glaube ich, der Prinz aufgewacht! sagte sie und stand auf.

Da erhob auch ich mich endlich und streckte die Hand aus.

Wenn Sie meinen Mann treffen, dann sagen Sie ihm, er solle nicht vergessen, worum ich ihn gebeten habe, sagte Rosa im Gang zu mir.

Ich war erbittert und außer mir, ich erwiderte:

Wenn ich nur daran denke. Aber ich will es versuchen.

Na, jaja, sagte Rosa gutmütig und ging die Treppe hinauf.

Auf dem Heimweg gelobte ich mir selbst, nie wieder den Fuß über Rosas Schwelle zu setzen, ehe ich zum letztenmal dorthin ging. Ich begegnete Hartvigsen und richtete den Auftrag aus.

Es ist doch klar, daß ich nicht vergesse, was ich mir vorgenommen habe, sagte Hartvigsen. Schon seit mehreren Tagen bittet meine Gattin mich jetzt darum, im Laden und mit Mack und überhaupt alles abzurechnen, damit wir wissen, was wir haben. Das ist ganz richtig von ihr. Denn jetzt ist ja auch das Kind da, und wir haben noch an andere zu denken außer uns. Und jetzt habe ich bis auf den letzten Faden abgerechnet. Es handelte sich um Summen, bei denen die Leute sprachlos auf einen Stuhl zu fallen pflegen. Das darf ich wohl sagen!

Hartvigsen schien zur Besinnung gekommen zu sein, vielleicht hatte Rosa dazu geholfen und wollte ihn von nun an mit ihrem guten und milden Verstand führen. Ich hörte später von Steen, dem Ladengehilfen, daß Hartvigsen ein ungeheuerliches Privatkonto im Laden und in den Speichern gehabt habe, daß er aber jetzt alles abgerechnet habe. Freilich konnte man über Hartvigsens Hilfsbereitschaft gegen Leute in Not und Elend nur Gutes und Schönes berichten, aber er konnte es sich auch nicht ewig und immer leisten zu sagen: setzen Sie es unter B. Hartwich!

Er war ein Kind. Da stand er nun nach der großen Abrechnung hier auf dem Weg und hatte nur Sinn für eines: daß ich, ein Fremder und Unbeteiligter, seine Macht erfassen solle.

Wie gesagt, fuhr er fort, wenn andere Leute umfallen, dann muß ich eben versuchen, stehen zu bleiben. Da hilft nichts! Und wieder fing er an, Andeutungen darüber zu machen, was er in den nächsten Tagen vorhabe: Es wird ganz großartig werden, sagte er; es soll nicht mir wenig Geld gemacht werden!

Und Hartvigsen nickte und ging lachend fort.

28

Es ist kurz vor Ostern, ein paar Heimvitjaboote sind vom Lofot gekommen und haben für die Familien rings in der Gemeinde Fische mitgebracht. Der Fischfang war gut gewesen, und die Leute sehen den kommenden Zeiten getröstet entgegen.

Heute, am 16. April, ist es ein Jahr her, seit ich an diesen Ort gekommen bin. Ich habe mich in meinem kleinen Zimmer aufgehalten und viel nachgedacht und auf mein Leben zurückgeschaut. Als gegen Mittag die Sonne hervorkam, fühlte ich Lust, ein Bild anzufangen, alles das zu malen, was ich von meinem Fenster aus sah: zuerst einige Felder, dann ein Stück der Mühle, endlich die Höhenzüge hinter der Mühle, alles in Schnee und Sonne. Ich kann dieses Bild während der Ostertage malen, wenn mir die Zeit lang wird. Aber das Blenden schmerzt die Augen.

Die Kinder haben von ihrer Mutter die Erlaubnis erbettelt, daß sie am Ostermorgen durch ein gelbes Seidentuch sehen dürfen, ob die Sonne vor Freude über Jesu Auferstehung tanze. Das hatte die Sonne in Finnland getan. Und die Kinder haben auch versprochen, mit dem Tuch zu mir zu kommen und es auch mich sehen zu lassen. Diese Kinder sind wunderbar, nie waren wir böse aufeinander, ausgenommen einmal im Sommer, als sie mir einige Blumen verdarben, die ich für jemand anderen gepflückt hatte. Später dachte ich, es war vielleicht gut, daß die Blumen verdorben wurden und nicht mehr zu verschenken waren, wer weiß. Und seitdem waren die Kinder und ich stets die besten Freunde. Im Herbst verließen sie mich manchmal und wollten lieber mit Jens Kindsvater gehen; aber sie kehrten bald wieder zu mir zurück, und im Winter bin ich manches liebe Mal mit ihnen gerodelt und Ski gelaufen. Sie kommen oft zu mir ins Zimmer und klopfen immer an; vergessen sie wirklich einmal anzuklopfen, eilten sie wieder hinaus und tun es nachträglich. Nichts als Freude habe ich an ihnen. Ich vergelte es ihnen denn auch, so gut ich kann; sie kommen beständig zur Unzeit und wollen die Märchenstunde haben, und ich schlage es ihnen nicht ab; nur, wenn ich dasitze und an meinem Bild male, bitte ich um Aufschub.

Als Ostern vorüber war, fuhr Hartvigsen mit dem einen Heimvitjaboot nach dem Lofot. Er wollte wohl seine beiden Schiffer, die an den Fangplätzen lagen und Fische kauften, ein wenig beaufsichtigen. Denn Hartvigsen hatte einen großen Betrieb.

Vier Tage später kam er wieder heim, oh, er war größer und aufgeblasener denn je: er hatte ein Dampfschiff gemietet, ein ganzes Schiff. Er selbst stand als Lotse beim Führer auf der Kommandobrücke und gab dem Steuermann durch Winke die Richtung an. Es war mitten am hellichten Tag, wir gingen alle zum Kai hinunter und sahen das Schiff an. Dann hörten wir Hartvigsen rufen: Anker nieder! Und der Anker rasselte in die Tiefe hinunter.

So war es wohl diese große Begebenheit, von der er lange Zeit verblümt gesprochen hatte: der reiche Hartwich auf Sirilund mietete ein Dampfschiff, um damit vom Lofot heimzufahren. Er stand noch auf der Kommandobrücke und tat, als sähe er uns am Lande nicht; aber ich glaube, er sah uns sehr genau und fühlte dabei eine schwellende Freude. Dann kam er an Land und brachte den Führer des Schiffes mit. Wir grüßten; Hartvigsen war wie ein Jüngling vor Freude und Stolz. Dann gingen die Herren vorüber.

Aber Hartvigsen brauchte das große Schiff noch zu anderem als zu der kleinen Heimreise vom Lofot: es sollte sein Kind zur Taufe fahren. Das war erst das wirkliche Ereignis, alles andere war nichts dagegen. Das Kind sollte von Rosas Vater, dem Pfarrer Barfod im Nachbarkirchspiel, getauft werden, und es war eine Reise von mehreren Stunden bis dorthin. Da hatte nun Hartvigsen Rosa mit dieser unvergleichlichen Dampfschiffahrt erfreuen wollen.

Zur Mittagszeit kam Hartvigsen nach Sirilund, und da er sowohl mit Mack als auch mit der Baronin sprechen wollte, kam er in die Stube. Er hatte vor, seinen Teilhaber und dessen Tochter zu Gevatter zu bitten. Oh, dieser Mack, man konnte ihn tödlich hassen, aber er war doch der größte und stolzeste Herr allen und jedem gegenüber! Mack dankte sogleich und sagte, es sei ihm eine Ehre, desgleichen antwortete die Baronin.

Wie soll er heißen? fragte sie.

Da aber wurde Hartvigsen ein wenig verlegen und erwiderte:

Das ist noch nicht bestimmt. Aber meine Gattin wird schon einen Namen für ihren Prinzen finden. Sie nennt ihn den Prinzen.

Es verhielt sich nämlich so, daß Hartvigsen seinen Jungen erst Ferdinand nach Ferdinand Mack taufen wollte. Aber Petrine, das frühere Stubenmädchen, die nun mit dem Haftelmacher verheiratet war, kam ihm zuvor: sie hielt die Taufe an Ostern ab und taufte ihren Jungen mit wahrlich gutem Grunde ebenfalls Ferdinand. Als man sich darüber wunderte, daß Mack sie nicht daran verhindert hatte, vergaß man, was Mack für ein Mann war: Bitte! hatte Mack ihr geantwortet.

Ehe Hartvigsen ging, bat er auch mich, morgen auf dem Schiff mitzufahren und danach an der Festlichkeit bei den Großeltern teilzunehmen; aber ich dankte und antwortete wie schon einmal früher, daß ich zu so einer feierlichen Gelegenheit keine Kleider hätte.

Er hat keinen Frack. Lieber will er sterben, als ohne Frack gehen, sagte die Baronin und lachte.

Das hat man mich in meinem guten Heim gelehrt, antwortete ich.

Mack nickte und stimmte mir zu. Und mir waren dieses Nicken und die wenigen Worte Macks wichtiger als das Gelächter der Baronin. Kurz darauf sagte auch sie: Selbstverständlich haben Sie recht!

Jetzt rüstete man sich in Hartvigsens Haus und auf Sirilund zur Reise. Die Baronin wollte ihre Kinder mitnehmen, und diese gingen, rot vor Freude darüber, umher; Klein-Martha sollte auch mit dabei sein, und darüber war ihr Vater, Steen, der Ladengehilfe, sehr stolz. Hartvigsen nahm eine Menge Waren und Wein und Leckereien mit an Bord, damit seine Schwiegereltern bei dem Fest nicht in Verlegenheit kommen sollten.

Dann dampfte das Schiff ab.

Nach zwei Tagen kam es wieder und brachte alle unsere Leute zurück. Alles war gut gegangen, der Junge war Augustus genannt worden, nach Rosas Vater. Das Schiff blieb nun bis zum nächsten Tage in der Bucht liegen, ich war an Bord, Hartvigsen besah es sich überall und sagte: Jaja, es wird vielleicht noch damit enden, daß ich es kaufe! Als das Schiff aber abgefahren war, kam der Leuchtturmwächter Schöning eines Tages in den Laden und fragte: Was war das für ein kleiner Dampfprahm, der ein paarmal hier gewesen ist? Er hat Hartvigsens Kind zur Taufe gefahren, erklärte ich. Der Leuchtturmwächter lächelte auf seine welke Art und sagte: Ach, wie doch dieser Mann damit geplagt ist, sein Geld los zu werden! Hartvigsen wird das Schiff vielleicht kaufen, sagte ich. Da schüttelte der Leuchtturmwächter den Kopf und meinte: Soll er sich doch erst Grütze kaufen!

Und auch Hartvigsen schien jetzt nicht mehr den dummen und reichen Mann hervorkehren zu wollen. Er prahlte zwar mächtig mit der großen Begebenheit, die er veranstaltet hatte, aber er ließ sein Konto im Laden und in den Speichern nicht mehr für jeden Beliebigen offen stehen. Ich hörte ihn eines Tages zu einer Frau sagen, die um Waren bat: Wegen Kaffee und solchen Sachen und ebenso wegen Stoffen, da mußt du zu meiner Gattin gehen und mit ihr sprechen! Ich hatte mit Hartvigsen und Rosa nichts zu tun; aber es durchfuhr mich doch eine kleine Freude, als ich ihn so reden hörte. Er war sicher noch ein sehr reicher Mann, und Rosa würde es ihm wohl jetzt abgewöhnen, sich mit seinen Mitteln lächerlich zu machen. So sah es aus.

Oh, es ging jetzt alles recht gut.

Nur die unglückselige Baronin Edvarda war noch übrig. Jetzt fing sie zum Zeitvertreib wieder einmal an, Hartvigsen zu verwirren. Es war zum Lachen und zum Weinen zugleich. Sie suchte ihn in den Speichern und in der Mühle auf, sie begegnete ihm auf dem Wege und schloß sich ihm an, aber Hartvigsen war ihrer überspannten Reden, von denen er nichts verstand, offenbar müde, er verabschiedete sich sowie er konnte und verließ sie. Das ging einige Zeit so fort, der Winter neigte sich dem Ende zu, und die Baronin hatte es immer mehr darauf abgesehen, Hartvigsen zu verwirren. Aber ihn focht jetzt nichts an, Rosa hatte scheinbar soviel gute Macht über ihn.

Schreiben Sie wieder an Munken Vendt! sagte sie zu mir.

Ich werde bald selbst zu Munken Vendt fahren, erwiderte ich.

Daß Sie uns verlassen wollen! sagte sie nur.

Und sie begab sich wieder fort, um Hartvigsen zu treffen.

Ihr großer Eigensinn ertrug es nicht, daß Rosa ihn so gefesselt hatte, ja, sie wurde natürlicher in ihrem Ton gegen ihn und redete verständlicher als früher. Aber Hartvigsen blieb hartnäckig. Von Rosa sagte die Baronin: Wie ansässig sie jetzt mit Mann und Kind geworden ist!

Nein, manchmal war doch das Wesen dieser merkwürdigen Dame keineswegs vornehm genug für eine Baronin.

Welch ein Unterschied zwischen ihr und ihrem Vater! Niemals geschah es, daß dieser Mann ausglitt und seine Sicherheit verlor. So kam einmal die alte Malene, Nikolai Arentsens Mutter, zu Mack und hatte ein großes Anliegen an ihn. Malene hatte all die vielen Geldscheine, die sie von ihrem Sohn erhalten hatte, in einem Tuch dabei und hielt es mit beiden Händen fest; Mack sollte das Geld für sie aufbewahren! Mack zuckte nicht mit der Wimper, sondern antwortete: Ja, das ist richtig von dir, du mußt dein Geld bei mir einsetzen, dann kannst du, so oft du etwas brauchst, bei mir Waren dafür bekommen! Er trug die Summe in ein Buch ein und nickte Malene zu. Ich habe nicht mehr schlafen können, sagte sie. Jetzt kannst du schlafen! antwortete Mack. Als Hartvigsen von dieser Sache erfuhr, schlug er die Hände zusammen und sagte: Nein, soll er sich nun zum drittenmal an diesem Gelbe mästen!

Eines Tages bittet mich die Baronin, ihr in die Kammer zu Fredrik Mensa zu folgen. Es ist doch zu arg, wie er so daliegt, sagte sie, ich werde ihn jetzt wirklich ein wenig pflegen! Ich verstand nicht sogleich, warum sie gerade mich bat, sie zu begleiten; aber ich dachte, die Baronin sei vielleicht wieder religiös geworden und wolle ein gutes Werk tun, also ging ich mit.

Da lag der alte Gemeindearme ganz allein in der Kammer; Petrine war mit ihrem Kind ausgegangen. Die Luft war dick und fürchterlich, der Boden ringsum und die Wände waren scheußlich schmutzig; die Baronin öffnete ein Fenster, damit wir atmen konnten. Dann drehte sie eine Tüte und sagte dabei zu mir: Ich müßte nicht die Tochter eines Kaufmanns sein, wenn ich nicht eine Tüte drehen könnte! Als der Greis eine fremde Stimme hörte, antwortete er: Ptro ptro! und hielt uns wohl für Pferde. Dann untersuchte ihn die Baronin und las ihm das Ungeziefer ab und tat es in die Tüte.

Da mußte ich denken: wie merkwürdig diese Dame aus Gut und Böse zusammengesetzt ist, hier hält sie sich nicht für zu gut, eine ekelhafte Arbeit zu tun, vor der es ihren Dienstboten graust! Und ich half ihr dabei. Die Baronin kratzte den Greis ein bißchen, und er lag da und wollte, mit den Fingern in der Luft herumfuchtelnd, ein wenig nachhelfen.

Halten Sie jetzt die Tüte! sagte die Baronin zu mir.

Dann zog sie einen Kamm heraus und fing an, das Haar des Alten zu säubern. Ach, das war eine abschreckende Arbeit und mußte mit Vorsicht getan werden; das Schlimmste war, daß der Greis sich nicht ruhig halten wollte. Der arme Fredrik Mensa war sich selbst überlassen gewesen und hatte niemand gehabt, der ihn gekratzt hätte, jetzt hatte Gott ihm diese liebliche Stunde geschenkt. Er fängt an, sich den Mund zu schlecken und vor Wohlbehagen zu triefen: Tut tut! sagt er. Die Baronin ist gewissenhaft und sammelt das Ungeziefer in die Tüte, oh, niemand hätte das geschickter machen können.

Haben wir bald genug? fragt sie und schaut nach. Ja, es ist genug!

Genug? frage ich.

Ich meine nur –

Und plötzlich fängt sie an, Fredrik Mensa schön und lange zu kämmen, ohne den Kamm zu reinigen, immer wieder eifrig und nachdrücklich, ich passe auf und sammle ein, was ich rings auf dem Kopfkissen finde. Da lacht der Greis laut, weil es ihm so wohl tut und schlägt wie berauscht mit den Armen um sich: Tut tut tut tut tut! sagt er, nickt mit dem Kopf und lacht wieder. Aber auf einmal verzieht sich sein vergnügtes Gesicht, und er schreit: Sattan!

Jetzt tut es ihm sicherlich weh, sage ich.

Nein, nein! antwortet die Baronin und fährt mit ihrer Arbeit fort.

Da spuckt Fredrik Mensa, daß es drüben an der Wand heruntertropft und stößt eine Reihe von Flüchen aus. Das war sehr unheimlich. Ich konnte mich nicht länger beherrschen und sagte wieder: Doch, jetzt tut es ihm weh!

Da hielt die Baronin inne. Sie nahm mir die Tüte aus der Hand, schloß sie sorgfältig und zog das Fenster zu. Als wir hinausgegangen waren, suchte sie Jens Kindsvater und die Stallmagd auf und gab den Befehl, Fredrik Mensas Kammer rein zu machen. Später traf sie Petrine und sagte: Du mußt Fredrik Mensa in Ordnung halten, wenn du in der Kammer bleiben willst! Ich habe es schon wiederholt versucht, antwortete Petrine und fing zu weinen an. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, ihn rein zu halten, er beschmutzt sich den ganzen Tag hindurch überall mit dem Essen. Wenn ihn Gott nur zu sich nehmen wollte! Gestern wechselten wir ihm das Hemd, heute kann man ihn schon wieder nicht mehr anschauen! Du sollst dir im Laden Leinwand geben lassen, sagte die Baronin, und ihm viele Hemden nähen; du mußt ihn jeden Tag waschen und kämmen und ihm reine Kleider geben, so oft es nötig ist. Merk dir das! sagte sie und nickte. Sie war großzügig, die Baronin, genau wie ihr Vater! Allerdings faßte ich nach dem, was später geschah, leider einen schweren Verdacht gegen die Baronin und die Tüte, die sie mit Ungeziefer gefüllt hatte; aber ich rechnete es mir zur Ehre an, daß sie Vertrauen zu mir hatte und mich nicht mit einem Wort um Stillschweigen gebeten hatte; ich erzählte daher auch keine Silbe.

Einige Tage später standen die Baronin und ich draußen auf dem Hof und sprachen miteinander, als Hartvigsen des Weges kam.

Wie geht es denn euch hier auf dem Hofe? sagte er. Wir können es bald nicht mehr in unserem Haus aushalten.

So?

Bei uns herrscht eine wahre Landplage von Ungeziefer und Läusen, sagte Hartvigsen. Wir müssen sie uns auf der Reise mit dem Dampfschiff geholt haben. Ich bin jetzt entschlossen, daß ich das Schiff nicht haben noch besitzen will.

Wir haben uns kein Ungeziefer geholt, sagte die Baronin.

So, nicht? sagte er. Ich mache mir ja nicht viel daraus; aber meine Gattin wäscht früh und spät und weint.

Die Baronin nahm Hartvigsen am Arme und zog ihn mit sich über den Hofplatz. Ich wußte nicht, was ich glauben oder denken sollte; aber ich hörte die Baronin sagen: Was, ist Rosa nicht einmal eine so gute Hausfrau, daß sie kein Ungeziefer aufkommen läßt! So redeten sie eine gute Weile hin und her; aber es endete wie früher damit, daß Hartvigsen grüßte und heimging.

Die arme verirrte Baronin Edvarda!

29

Es geht jetzt aufs Frühjahr zu, der Schnee schmilzt auf den Ackern und draußen auf den Klippfischfelsen, und Krähen und Elstern fangen an, Zweige zum Nest zu tragen. Es bleibt mir nicht mehr viel Zeit auf Sirilund.

Heute kam die Baronin in mein Zimmer herein und warf sich auf einen Stuhl. Ihre Augen blickten irr, und das ganze Gesicht war grau.

Was ist geschehen? frage ich.

Jetzt ist er tot, antwortet sie. Ich wußte es. Nichts ist geschehen.

Wer ist tot?

Glahn. In Indien. Es steht in der Zeitung. Die Familie gibt es bekannt. In Indien, heißt es.

Ihre Antwort war abgehackt, und sie biß sich danach in die Lippe. Ich fühlte Mitleid mit ihr und sagte:

Das ist eine traurige Nachricht. Kann das nicht ein Irrtum sein, eine Verwechslung?

Nein, sagte sie.

Und wieder blutete sie am Munde, sie sprühte wieder Blut, und ich mußte Munken Vendt bestätigen, daß es war, als blühe ihr Mund.

Einen Augenblick später erhob sie sich und verließ mein Zimmer. Sie hatte keine Ruhe, sie war auch im Kontor bei ihrem Vater. Am Nachmittag ging sie zu Bett, und als sie eine Stunde gelegen hatte, schickte sie nach mir.

Nichts ist geschehen, sagte sie, als ich eintrat; ich wußte, daß er tot war. Jetzt steht da, daß er in Indien gestorben ist. Jaja, es ist gleich.

Ich könnte mir denken, daß eine Verwechslung des Namens – wollte ich sie trösten.

Nein doch! antwortete sie kurz. Übrigens: entschuldigen Sie, daß ich heute so rasch bei Ihnen eintrat und jetzt nach Ihnen geschickt habe! Eine Verwechslung? Was für eine Verwechslung?

Eine solche Nachricht hat doch den langen Weg von Indien bis hierher zurückgelegt, antwortete ich. Eine Namensverwechslung ist nicht ausgeschlossen.

Meinen Sie? sagte sie. Vielleicht!

Aber sie hoffte sicherlich nicht mehr. Sie blieb mehrere Tage im Bett liegen, und als sie wieder aufstand, dauerte es einige Zeit, bis sie sich erholt hatte. Sie bekam die Gewohnheit, sich mit beiden Händen in die Seiten zu greifen, und sie hatte so abgenommen, daß ihre langen Finger sich fast trafen, ja, sie wurde um die Mitte so schmal wie eine Sanduhr. Aber sie war von guter Rasse und erholte sich allmählich; als die Lofotleute vom Fischfang heimkehrten, war ihr weiter nichts anzusehen, als daß sie wilder und eigensinniger war denn jemals. Es war, als wollte sie Himmel und Erde um Glahns Schicksal willen trotzen. Wie sie sich an sich selbst versündigte!

Die Fahrzeuge kamen heim und legten am Trockenplatz an, es kam wieder Leben und Gesang und Verkehr in die Bucht. Mit dem letzten nordwärts gehenden Postschiff kam auch der ewige Engländer Sir Hugh Trevelyan ins Land. Er war äußerst betrunken, wie er das zu sein pflegte, und ging wieder zu den Trockenfelsen, um mit seinen starren Augen der Fischwäscherei zuzusehen. Hier suchte die Baronin ihn auf und nahm ihn mit nach Sirilund. Es war unglaublich, was sie ausrichten konnte, so fest waren ihr Wille und ihre magere Hand. Erst kürzlich war sie in unheilbare Trauer über Glahns Tod versunken gewesen, aber sie richtete sich von selbst, ohne Trost von außen, wieder auf, ihre Spannkraft und ihr Trotz waren so groß. Was den Engländer betrifft, so widmete sie ihm eine große und edle Arbeit, sie sagte selbst zu mir: Ich habe einen kleinen unberührten Vorrat an Zärtlichkeit in mir, den kann ich jetzt aufbrauchen.

Da geschah nun die seltsame Verwandlung mit Sir Hugh, daß er in diesem Jahr überhaupt nicht dazu kam, zu seinem Sohn in Torpelviken zu reisen, sondern statt dessen der Mutter nur das Geld sandte; er selbst blieb auf Sirilund wohnen. Sir Hugh war äußerlich ein stiller und feiner Herr und hatte noch dazu einen herzlichen Ausdruck im Gesicht, wenn er ein seltenes Mal lächelte. Die Baronin wurde ihm unentbehrlich, in ihrer Gesellschaft lächelte und lächelte er öfter, er machte lange Spaziergänge mit ihr, und es war keine Rede mehr davon, daß er sich betrank.

Jetzt wurde das gleiche Postschiff von Vadsö zurückerwartet und sollte die Südwärtsreisenden mitnehmen, und Sir Hugh bereitete sich darauf vor, nach England heimzukehren. Aber als diese Zeit näher kam, fing auch die Baronin an sich zu einer Reise zu rüsten, und es wurde jeden Tag ein Koffer an die Dampfschiffbrücke gebracht. Kein Zweifel, die Baronin sollte Sir Hugh heimbegleiten, so vollkommen hatte sie sein Herz gewonnen. Ihre Kinder hatte sie Macks Haushälterin anvertraut, als sie abreiste.

Und jetzt war auch meine Zeit zum Abschied gekommen; es war Ende Mai, und ich wartete nur darauf, daß der Weg durch die Wälder ein wenig trockener werden sollte. Die Tage waren jetzt warm und aller Schnee war fort, da konnten die Wege wohl trocknen.

Ich schenke Hartvigsen mein letztes Gemälde, das Winterbild von der Mühle und den Höhenzügen, und mache mich mit meiner Büchse und meinem Kleiderbündel fertig; heute ist Samstag, am Sonntag ziehe ich los. Hartvigsen dankt mir herzlich für das Bild und sagt: Sie haben meine Wände gesehen, ehe Sie kamen, kommen Sie jetzt auch und schauen Sie sie an, bevor Sie fortgehen! Ja, danke, sagte ich.

Am Abend, als das Postschiff weit draußen vor dem Leuchtturm zu sehen war, kam die Baronin zu mir und sagte: Sprechen Sie heute abend mit den Kindern! Ich habe sie mit Jens Kindsvater fortgeschickt, aber sie kommen vielleicht bald wieder.

Da sie ihren hilflosen Ausdruck hatte und verquält die Hände rang, wollte ich nicht weiter fragen.

Und sie und Sir Hugh gingen ins Kontor hinunter und sprachen mit Mack; in ihrer Abwesenheit kamen die Kinder heimgewandert. Sir Hugh trat zuerst aus dem Kontor, er ging ein Stück auf dem Wege zum Kai weiter und wartete dann. Dann kam die Baronin, sie sah die Kinder und duckte sich, um kleiner zu erscheinen, so daß sie sie nicht erkennen konnten. Ach, sie waren so kurzsichtig!

Bist du es, Mama! rief Klein-Tonna.

Nein! antwortete die Baronin mit veränderter Stimme und eilte weiter.

Nein, hast du geglaubt, es sei Mama! sagte die große Alina und lachte silberhell über die Schwester, die sich geirrt hatte.

Die Baronin durchfährt es wie ein Stoß, sie wechselt einige hastige Worte mit Sir Hugh, der lächelnd nickt. Plötzlich kehrt die Baronin um, eilt zu den Kindern und preßt sie fest an sich, alle beide auf einmal, dann sagt sie: Kommt setzt mit Mama, dann wollen wir reisen – reisen –! Dort ist das Schiff! Oh, ihr lieben Kleinen!

Dann eilte die Baronin fort und führte an jeder Hand eines der Kinder. Und Sir Hugh nickte ihnen entgegen. Alle Vier schlugen den Weg zum Kai hinunter ein.

Als Mack aus dem Kontor kam und denselben Weg ging, begab auch ich mich zur Landungsbrücke. Ich nahm herzlich Abschied von den Kindern und dankte ihnen für alle Stunden in diesem Jahr, und sie knicksten. Sie winkten auch, als das Boot zum Schiff hinausruderte, und riefen ihrem Großvater und mir Lebewohl zu. Dessen entsinne ich mich noch von diesem Abschied.

Später erfuhr ich, daß die Baronin Sir Hughs Verhältnisse in England hatte untersuchen wollen, ehe sie sich mit ihm verheiratete und die Kinder holte; aber im letzten Augenblick hatte sie doch nicht ohne die Kinder reisen können. Und das machte ihrem Herzen alle Ehre.

Der nächste Tag war ein Sonntag und ein langer Tag, es war still nach der Abreise der Kleinen. Schon am Vormittag hatte man den Haftelmacher gerufen und ihn beauftragt, die silbernen Engel aus der Stube zu holen und wieder auf Macks vier Bettpfosten zu befestigen; alles sollte sein wie früher, ehe die Baronin heimgekommen war. Mack selbst ging umher und beaufsichtigte den Umzug, und schließlich wurde die standhafte und stille Margrete, das Stubenmädchen, geholt, um die neue Ausstattung des Bettes anzusehen.

Am Abend nahm ich von Mack und seinem ganzen Haus Abschied, dann begab ich mich zu Hartvigsens. Ich nahm mir vor, den Abschied kurz zu machen, ja, ich hatte von Nikolai Arentsens Abschied von Rosa einiges gelernt. Das letzte Wort, welches das wohl sein wird? hatte er höhnisch gesagt. So frei war sein Sinn schließlich nach jeder Richtung hin gewesen.

Hartvigsen dankte mir wieder für alle die Bilder, mit denen ich seine Wände geschmückt hatte, und fragte mich um Rat, wie er das Winterbild hängen solle, wenn er einen Rahmen dafür habe. Rosa war gut und liebenswürdig und setzte Wein und Kuchen vor. Wir sprachen alle von der Baronin, die ohne Abschied abgereist war, dann von Sir Hugh, von seinem Kind, vom Klippfisch und von Mack; dann von Munken Vendt, zu dem ich jetzt ging. Warum blieb ich denn noch länger sitzen? Rosa hatte vielleicht ihren Mann gebeten, nicht fortzugehen, wenn ich käme, sie hatte sicher nur gesagt, daß er ihr helfen müsse, mit mir zu reden. Und Hartvigsen redete. Schließlich sagte er und stand dabei auf:

Aber Sie müssen den Prinzen anschauen, ehe Sie fortgehen!

Rosa erhob sich und sagte: Nein, laß ihn mich lieber holen!

Na, zu mir hat man kein Vertrauen! lachte Hartvigsen gutmütig.

Dann kam Rosa mit dem Prinzen herunter, und wir sprachen eine Weile über ihn. Dann dankte ich für alles und nahm Abschied. Rosa erhob sich mit dem Kind an der Brust und reichte mir die Hand; sie dankte mir auch für unser Zusammensein. Als ich in der Türe war, hatte sie sich mit dem Kind auf dem Schoße bereits wieder gesetzt. Hartvigsen begleitete mich hinaus und sagte immer noch einige freundliche Worte zu mir.

Die letzten Worte.

Als ich heimkam, betete ich innig zu Gott, der allein mir weiterhin helfen konnte. Ich schlief nicht während der Nacht; die Liebe ist hart. Aber ich zählte die Stunden und lag ein wenig auf dem Bett und saß auf einem Stuhl, bis der Tag kam. Es war erst drei Uhr morgens, als ich meine Büchse und meinen Sack nahm und gen Norden in die Wälder wanderte.

Und dies hier habe ich zum Zeitvertreib niedergeschrieben. Ich tauge weder zum einen noch zum anderen; aber dies habe ich aus meinen Erinnerungen und aus kleinen Zetteln zusammengefügt, und ich bedurfte dazu keiner großen Vorbereitung. So ist es.

Und diese Blätter handeln von vielen, für mich aber nur von einer.

 


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