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Spiegelblank dehnte sich gestern das Meer, und auch heute breitet es sich spiegelblank aus. Indian Summer und Wärme liegen über der Insel – oh, wie warm und mild es ist! – aber es scheint keine Sonne.
Viele Jahre sind vergangen, seit ich solchen Frieden um mich fühlte, vielleicht zwanzig oder dreißig Jahre, vielleicht war es in einem früheren Leben. Und doch muß ich schon einmal diesen Frieden verspürt haben, da ich nun hier umhergehe und summe und entzückt bin und mich um jeden Stein und jeden Halm kümmere, und diese wieder sich um mich zu kümmern scheinen. Wir kennen uns.
Wenn ich auf dem überwucherten Weg in den Wald hineinschreite, bebt mein Herz in einer unirdischen Freude. Ich werde an einen bestimmten Platz an der Ostküste des Kaspischen Meeres erinnert, wo ich einmal gestanden habe. Dort war es wie hier, und die See lag still und schwer und stahlgrau da wie jetzt. Ich ging durch den Wald, wurde zu Tränen gerührt und war hingerissen und sagte immerfort: Gott im Himmel, daß ich wieder hierher kommen sollte!
Als sei ich schon einmal früher dort gewesen.
Aber vielleicht bin ich einmal aus einer anderen Zeit und aus einem anderen Land, wo der Wald und die Wege die gleichen waren, dorthin gekommen. Vielleicht war ich eine Blume im Wald, oder ein Käfer, der auf einer Akazie saß und daheim war.
Und jetzt bin ich hierher gekommen. Vielleicht habe ich den langen Weg als Vogel zurückgelegt. Oder ich war ein Kern in irgendeiner Frucht, die ein persischer Kaufmann gesandt hat …
Seht, jetzt bin ich fort vom Lärm und Gedränge der Stadt, von Zeitungen und Menschen, vor all dem bin ich geflohen, weil mich das Land und die Einsamkeit, aus denen ich gekommen war, wieder riefen. Du wirst sehen, es geht gut! denke ich und hoffe das Beste. Ach, schon einmal früher habe ich so die Flucht ergriffen, und bin dann doch wieder in die Stadt zurückgekehrt. Und bin wieder geflohen.
Jetzt aber habe ich den festen Vorsatz, um jeden Preis Frieden zu erlangen. Ich habe mich vorläufig hier in einer Hütte eingemietet, und die alte Gunhild ist meine Hausfrau.
Die Vogelbeerbäume stehen mit reifen Korallenbeeren rings im Nadelwald, in schweren Trauben fallen die Früchte schon dumpf zur Erde. Sie ernten sich selbst und säen sich wiederum selbst, ein unglaublicher Überfluß wird jedes Jahr verschwendet; an einem einzigen Baum zähle ich über dreihundert Trauben. Und rings an den Abhängen stehen noch eigensinnige Blumen, die durchaus noch nicht sterben wollen, obwohl ihre Zeit eigentlich vorbei ist.
Aber auch die Zeit der alten Gunhild ist vorbei und doch stirbt sie nicht! Sie tut, als ginge der Tod sie nichts an. Wenn die Fischer drunten am Strand arbeiten und die Fischreusen teeren oder die Boote anstreichen, geht die alte Gunhild mit erloschenen Augen, aber mit dem listigsten Kaufmannssinn zu ihnen hin:
Was kosten heute die Makrelen? fragt sie.
Das gleiche wie gestern, lautet die Antwort.
Dann könnt ihr sie behalten!
Gunhild geht nach Hause.
Aber die Fischer wissen zu gut, daß Gunhild keine von denen ist, die nur scheinbar heimgehen, sie ist schon öfters in ihre Hütte zurückgekehrt, ohne sich umzusehen. Hallo! rufen sie ihr deshalb nach, ein halbes Dutzend Makrelen habe heute sieben Stück, da sie eine alte Kundschaft sei.
Da kauft Gunhild Fische …
Rote Röcke und blaue Hemden und Unterzeug von ungeheurer Dicke hängen an den Wäscheleinen; das alles ist von den alten Frauen der Insel, die heute noch leben, gesponnen und gewebt worden. Aber auch die feinen Hemden ohne Ärmel, in denen man so schön blau friert, hängen zum Trocknen hier, und auch die lila Wolljacken, die man zu einem Strick ausdehnen kann. Woher stammen diese Mißgebilde? Ja, die haben sich die Töchter, die jungen Mädchen von heute in der Stadt verdient. Wenn man sie vorsichtig und selten wäscht, halten sie zur Not einen Monat. Und man fühlt sich so herrlich nackt darin, wenn die Löcher nach und nach immer zahlreicher werden.
Dagegen sind die Schuhe der alten Gunhild kein Spielzeug. Von Zeit zu Zeit wendet sie sich an einen gleichaltrigen und gleichgesinnten Fischer und läßt sich Oberleder und Sohlen mit einem dicken Fett einschmieren, gegen das alles Wasser machtlos ist. Ich sehe, wie diese Schmiere am Strand gekocht wird, es ist Talg und Teer und Harz darin.
Als ich gestern auf dem durch die Ebbe freigelegten Strand umherschlenderte und Treibholz und Muscheln und Steine betrachtete, fand ich ein winziges Stück Spiegelglas. Wie es hergekommen ist, verstehe ich nicht; aber es sieht ganz aus wie ein Irrtum oder wie eine Lüge. Ein Fischer ist doch wohl kaum damit hergerudert, hat es hier hingelegt und ist dann wieder fortgefahren! Ich ließ es liegen, wo es lag, es war dick und gewöhnlich und einfach, vielleicht stammte es von der Scheibe einer Straßenbahn. Es gab einmal eine Zeit, da war das Glas selten und flaschengrün, – Gott segne die alte Zeit, da etwas selten war.
Jetzt steigt aus den Fischerhütten an der Südspitze der Insel Rauch auf. Es ist Abend, die Grütze wird gekocht. Und wenn das Essen verzehrt ist, gehen die ehrbaren Leute zu Bett, um bei Tagesgrauen wieder aufzustehen. Nur die unvernünftigen Jungen schleichen noch von Hütte zu Hütte, ziehen die Zeit hinaus und wissen nicht, was zu ihrem eigenen Besten dient.
Heute morgen ging hier ein Mann an Land, er kam, um das Haus anzustreichen. Da aber die alte Gunhild so uralt ist und von der Gicht so geplagt wird, läßt sie ihn zuerst einige Tage lang Holz für den Herd klein machen. Ich selbst habe ihr oft angeboten, dieses Holz zu hacken; aber sie fand, daß ich zu feine Kleider habe, und wollte mir um keinen Preis die Axt ausliefern.
Der fremde Maler ist ein kleiner, gedrungener Mann mit rotem Haar und ohne Bart; ich beobachte ihn durch das Fenster bei seiner Arbeit, um zu sehen, wie er es macht. Ich entdecke, daß er mit sich selbst redet, schleiche aus dem Haus und lausche seinem Selbstgespräch. Wenn er daneben hackt, bleibt er ganz geduldig und ruhig; stößt er sich aber die Knöchel an, dann wird er ärgerlich und sagt Teufel! Teufelszeug! worauf er sich dann plötzlich umsieht und zu summen anfängt, um zu verbergen, was er gesagt hat.
Doch, ich erkenne den Maler wieder. Aber das ist, der Teufel hol mich, kein Maler, es ist Grindhusen, einer meiner Kameraden vom Wegbau in Skreia.
Ich gehe zu ihm hin, gebe mich zu erkennen und schwätze mit ihm.
Viele, viele Jahre ist es her, seit wir, Grindhusen und ich, Wegarbeiter waren, es war in unserer grünen Jugend; in den kläglichsten Schuhen tanzten wir die Wege entlang und verschlangen, was uns unterkam, wenn wir überhaupt Geld hatten! Blieb uns aber außerdem noch etwas übrig, dann gab es die ganze Samstagnacht hindurch Tanz für die Mädchen, ein großer Schwarm unserer Arbeitsgenossen beim Wegbau hängte sich an uns, und die Frau im Haus verkaufte Kaffee, daß sie reich davon wurde. Dann arbeiteten wir wieder die ganze Woche hindurch mit Lust und Liebe und sehnten uns nach dem Samstag.
Konnte er sich der Tage in Skreia erinnern?
Er sieht mich an und betrachtet mich und ist zurückhaltend, es dauert eine kleine Weile, bis er sich mit mir an unsere Erlebnisse erinnern will.
Doch, er erinnert sich an Skreia.
Und weißt du noch Anders Fila und die Spirale? Und erinnerst du dich an Petra?
Welche von ihnen?
Petra, die deine Liebste war.
Ja, an die erinnere ich mich schon noch. Ich blieb schließlich an ihr hängen.
Grindhusen beginnt wieder zu hacken.
So, du bliebst an ihr hängen?
Na ja freilich. Es sollte eben nicht anders sein.
Was ich sagen wollte, du hast dich offenbar tüchtig herausgemacht, soviel ich sehe?
Wieso? Die Kleider? Hast du denn nicht auch Sonntagskleider?
Was hast du dafür bezahlt?
Ich weiß es nicht mehr, aber es war nicht viel, ich könnte es nicht so genau sagen.
Grindhusen sieht mich erstaunt an und lacht.
Weißt du nicht mehr, was du für die Kleider bezahlt hast? Dann wird er ernst, schüttelt den Kopf und sagt: O nein, das weißt du wohl nicht mehr. So ist es, wenn einer viel Geld hat.
Die alte Gunhild kommt aus der Stube, und da sie sieht, daß wir die Zeit hier beim Hackstock verschwätzen, befiehlt sie Grindhusen, mit dem Anstreichen zu beginnen.
Ja so, du bist jetzt Maler geworden, sagte ich.
Grindhusen antwortet nicht darauf, und ich verstehe, daß ich im Beisein anderer etwas Ungeschicktes gesagt habe.
Ein paar Stunden lang verkittet er die Risse und streicht an, und bald steht die dem Meer zugewandte Nordseite der kleinen Hütte geputzt und rot da. In der Mittagspause gehe ich mit einem Schluck Branntwein zu Grindhusen hinaus, wir legen uns in die Wiese und schwätzen und rauchen.
Maler? Na, nicht gerade Maler, sagt er. Wenn mich einer fragt, ob ich eine Hauswand anstreichen kann, dann kann ich es. Und fragt mich einer, ob ich das und jenes kann, dann kann ich es auch. Da hast du aber wirklich einen guten Branntwein.
Seine Frau und zwei seiner Kinder wohnten eine Meile weit weg, jeden Samstag ging er zu ihnen heim; zwei von seinen Töchtern waren erwachsen, die eine hatte geheiratet, und Grindhusen war bereits Großvater. Wenn er nun Gunhilds Hütte zweimal angestrichen hatte, sollte er auf den Pfarrhof gehen und einen Brunnen graben; es gab immer etwas zu tun, bald da, bald dort in den Gemeinden. Und wenn der Frost kam und der Winter begann, ging er entweder zum Holzfällen in die Wälder, oder er legte sich daheim eine Zeitlang auf die faule Haut, bis wieder irgendeine Arbeit für ihn auftauchte. Er hatte jetzt keine größere Familie mehr, und es würde sich für morgen so gut ein Rat finden wie für heute.
Wenn ich es nun erschwingen könnte, dann würde ich mir einiges Maurerwerkzeug kaufen, sagte Grindhusen.
Bist du auch Maurer?
Na, nicht gerade Maurer. Aber wenn der Brunnen gegraben ist, dann muß er ausgemauert werden, das ist klar. …
Wie gewöhnlich wandere ich über die Insel dahin und denke an allerlei. Friede, Friede, ein himmlischer Friede schweigt mir hier von jedem Baum im Walde entgegen. Es sind fast keine kleinen Vögel mehr da, nur einige Krähen fliegen stumm von Ort zu Ort und setzen sich nieder. Und die Vogelbeertrauben fallen schwer zu Boden und vergraben sich im Moos.
Er hat vielleicht recht, Grindhusen, es findet sich wohl für alles auch morgen ein Rat, so gut wie heute. Seit zwei Wochen habe ich jetzt keine Zeitung mehr gelesen, und ich lebe trotzdem, ich lebe, mache große Fortschritte in meiner inneren Ruhe, singe, recke mich, stehe an den Abenden barhäuptig da und betrachte den Sternenhimmel.
In den letzten achtzehn Jahren habe ich im Café gesessen und dem Kellner eine Gabel zurückgegeben, wenn sie nicht ganz rein war; hier bei Gunhild gebe ich keine Gabel zurück! Sahst du, wie Grindhusen, – sage ich zu mir selbst – als er die Pfeife anzündete, sein Zündholz bis aufs äußerste ausnützte und sich doch seine harten Finger nicht verbrannte? Ich hatte beobachtet, wie eine Fliege auf seiner Hand lief, er ließ sie laufen, vielleicht fühlte er es nicht. So soll ein Mann gegen Fliegen sein. …
Am Abend nimmt Grindhusen das Boot und rudert fort. Ich schlendere am Strand entlang, singe ein wenig, werfe Steine ins Meer und ziehe Treibholz aus dem Wasser. Sterne und Mond stehen am Himmel. Nach ein paar Stunden kommt Grindhusen zurück und hat alle nötigen Maurerwerkzeuge im Boot. Das hat er sich irgendwo gestohlen, denke ich. Jeder von uns nimmt seine Bürde auf die Schulter, und wir verstecken das Werkzeug im Wald.
Dann ist es Nacht, und wir trennen uns für heute.
Am nächsten Nachmittag ist der Anstrich des Hauses fertig; um aber die Arbeitszeit ganz auszufüllen, geht Grindhusen darauf ein, den Rest der Zeit bis sechs Uhr Holz zu hacken. Ich nehme Gunhilds Boot und rudere zum Fischen hinaus, um bei seinem Fortgehen nicht zugegen zu sein. Fische fange ich keine, aber ich friere und sehe oft auf die Uhr! Jetzt muß er wohl fort sein, denke ich und rudere gegen sieben Uhr heim. Grindhusen ist schon drüben am Festland und ruft mir von dort aus Lebewohl zu.
Ein warmer Strahl durchzuckte mich, es war, als riefe mich etwas aus der Jugend, aus Skreia, ein Menschenalter zurückliegend.
Ich rudere zu ihm hinüber und frage:
Kannst du den Brunnen allein graben?
Nein, ich muß mir einen Mann dazu nehmen.
Nimm mich mit! sage ich. Warte hier, ich muß nur noch einmal zurück und abrechnen.
Als ich in der Mitte des Sundes war, ruft mir Grindhusen nach:
Nein – es wird Nacht für mich. Und dir ist es wohl auch nicht Ernst damit?
Warte ein paar Minuten. Ich bin gleich wieder da.
Und Grindhusen läßt sich am Strand nieder. Er erinnert sich, daß ich eine kleine Flasche besonders guten Branntwein habe.
Wir kamen an einem Samstag auf den Pfarrhof. Grindhusen hatte mich nach vielen Zweifeln endlich als Helfer mitgenommen, ich hatte Proviant und Arbeitskleider gekauft und stand jetzt in Bluse und Schaftstiefeln an Ort und Stelle. Ich war frei und unbekannt und bemühte mich mit langen schweren Schritten zu gehen, – Gesicht und Hände hatten schon vorher etwas Proletarierhaftes gehabt. Wir sollten auf dem Pfarrhof wohnen; das Essen konnten wir uns im Brauhaus kochen.
Dann begannen wir zu graben.
Ich tat meine Arbeit, und Grindhusen war mit mir zufrieden. Du bist gewiß noch ein ganzer Kerl zur Arbeit, sagte er.
Nach einiger Zeit kam der Pfarrer zu uns heraus, und wir grüßten. Es war ein älterer, milder Mann, der eine bedächtige Rede führte; um die Augen hatte er einen Fächer von Falten wie von tausend gütigen Lächeln. Er bat um Entschuldigung, die Hühner seien so schlimm und kämen jedes Jahr in den Garten, ob wir nicht erst etwas an der Gartenmauer dort in Ordnung bringen könnten?
Grindhusen antwortete: Freilich, da könne schon geholfen werden.
Wir gingen hinauf und setzten die eingefallene Gartenmauer instand, und während wir damit beschäftigt waren, kam eine junge Dame heraus und sah uns zu. Wir grüßten wieder, und ich fand sie wunderschön. Auch ein halb erwachsener Junge kam heraus, sah zu und stellte seine vielen Fragen. Die beiden waren wohl Geschwister. Die Arbeit ging so leicht, während die jungen Leute dastanden und zusahen.
Dann wurde es Abend. Grindhusen ging heim, ich blieb hier. Nachts lag ich auf dem Heu in der Scheune.
Am nächsten Morgen war Sonntag. Ich wagte nicht, meine Stadtkleider anzuziehen, da sie vielleicht zu fein für mich ausgesehen hätten, sondern putzte meinen Anzug von gestern gut aus und trieb mich an dem milden Sonntagmorgen auf dem Pfarrhof umher. Ich sprach mit den Knechten und scherzte gleich ihnen mit einigen der Mädchen; als die Kirchenglocken zu läuten begannen, ließ ich um ein Psalmenbuch bitten. Der Sohn des Pfarrers brachte mir eines. Von dem größten der Knechte lieh ich mir eine Jacke, sie war zwar etwas knapp, wenn ich aber die Bluse und die Weste auszog, paßte sie ganz gut. Dann ging ich in die Kirche.
Die innere Ruhe, die ich mir bei meinem Aufenthalt auf der Insel erarbeitet hatte, erwies sich noch als ungenügend; als die Orgel zu brausen begann, wurde ich aus meinem Gleichgewicht geworfen und war nahe daran zu schluchzen. Halt dein Maul, das ist nur Neurasthenie! sagte ich zu mir selbst. Ich hatte mich ziemlich abseits gesetzt und verbarg meine Rührung so gut wie möglich. Sehr froh war ich, als der Gottesdienst zu Ende war.
Nachdem ich mein Fleisch gekocht und Mittag gemacht hatte, wurde ich in die Küche zum Kaffee eingeladen. Während ich dort saß, kam das junge Fräulein von gestern herein, ich stand auf und grüßte, und sie dankte. Sie war so nett, weil sie jung war, und sie hatte hübsche Hände. Als ich gehen wollte, vergaß ich mich und sagte:
Tausend Dank für Ihre Liebenswürdigkeit, schöne Dame!
Erstaunt sah sie mich an, runzelte die Stirne und wurde nach und nach glühend rot. Dann gab sie sich einen Ruck und verließ die Küche. Sie war so jung.
Nun, das hatte ich gut gemacht!
Mißmutig schlich ich in den Wald hinauf und versteckte mich. Warum hatte ich naseweiser Tor nicht geschwiegen! Ich banaler Schwätzer!
Die Häuser des Pfarrhofes lagen an einem kleinen Hang, von dessen Höhe aus sich eine Hochfläche mit Wäldern und Rodungen ins Land hinein erstreckte. Mir kam der Gedanke, daß der Brunnen eigentlich hier oben gegraben und eine Leitung zu den Häusern von hier aus hinuntergelegt werden müßte. Ich schätze die Höhe ab und bin überzeugt, daß das Gefälle ausreicht; auf dem Heimweg schreite ich die ungefähre Länge ab, es sind dreieinhalbhundert Fuß.
Aber was ging mich der Brunnen an! Daß ich nur nicht plötzlich wieder den Fehler mache, gebildet zu sein, Beleidigungen zu sagen und mich über meinen Stand zu erheben!
Am Montag war Grindhusen zurück, und wir fingen an zu graben. Der alte Pfarrer kam wieder zu uns heraus und fragte, ob wir ihm nicht am Weg zur Kirche einen Pfosten aufmauern könnten. Er brauche den Pfosten, der schon früher dort gestanden habe, aber vom Wind umgeworfen worden sei, er benütze ihn, um Plakate und Bekanntmachungen daran anzuschlagen.
Wir stellten einen neuen Pfosten auf und gaben uns Mühe dabei, so daß er kerzengerade dastand; als Dach setzten wir eine Kappe aus Zinkblech darauf.
Während ich an dieser Blechkappe arbeitete, veranlaßte ich Grindhusen vorzuschlagen, der Pfosten solle rot angestrichen werden; er hatte noch rote Farbe von Gunhilds Haus übrig. Als der Pfarrer den Pfosten lieber weiß haben wollte, und Grindhusen ihm nur nach dem Mund redete, wandte ich dagegen ein, daß man die weißen Plakate auf rotem Grund besser sehen würde. Da lächelte der Pfarrer mit den unzähligen Falten um die Augen und sagte: Ja, da hast du recht.
Mehr bedurfte es nicht, dieses Lächeln und diese kleine Zustimmung waren genug, mich innerlich stolz und froh zu machen.
Das junge Fräulein kam hinzu, richtete einige Worte an Grindhusen, scherzte sogar mit ihm und fragte, was das für ein roter Kardinal sei, den er hier aufstelle? Zu mir sagte sie nichts und sah mich auch nicht an, als ich grüßte.
Das Mittagessen war eine harte Prüfung. Nicht weil das Essen nicht gut genug war, aber Grindhusen aß die Suppe so häßlich, und um den Mund glänzte er von Speck.
Wie wird er wohl die Grütze essen? dachte ich hysterisch.
Als Grindhusen sich auf der Bank zurücklehnte und es den Anschein hatte, daß er in diesem fetten Zustand seine Mittagsrast halten wolle, rief ich ihm einfach zu: Aber so wisch dir doch den Mund ab, Mensch!
Er sah mich an, fuhr sich dann mit der Hand über die Lippen. Den Mund? fragte er.
Ich mußte den Eindruck wieder verwischen und sagte: Hoho, jetzt hab' ich dich schön zum Narren gehalten, Grindhusen! Aber ich war unzufrieden mit mir und verließ sogleich das Brauhaus.
Das junge Fräulein möchte ich übrigens so weit bringen, daß sie mir dankt, wenn ich grüße, dachte ich; sie soll in kurzer Zeit darüber aufgeklärt werden, daß ich ein Mann von Kenntnissen bin. Da war z. B. dieser Brunnen mit der Wasserleitung, – wie, wenn ich nun mit einem vollständigen Plan hervortreten würde! Mir fehlte nur noch ein Meßapparat, um das Gefälle vom Gipfel der Anhöhe zu bestimmen, und ich begann an diesem Apparat zu arbeiten. Ich konnte mich mit einer Holzröhre behelfen, wenn ich zwei gewöhnliche Lampenzylinder daran festkittete und dann das Ganze mit Wasser füllte.
Immer mehr Kleinarbeiten gab es auf dem Pfarrhof, eine Treppenstufe sollte gerichtet, eine Grundmauer nachgesehen werden; und als die Kornernte eingebracht werden sollte, mußte die Auffahrt zur Scheune instand gesetzt werden. Der Pfarrer hielt darauf, daß alles in guter Ordnung war, und uns konnte es ja gleich sein, da wir im Tagelohn arbeiteten. Aber je länger es dauerte, desto unbehaglicher fühlte ich mich in der Gesellschaft meines Kameraden. Daß er z. B. das Brot gegen die bloße Brust stemmte und mit einem fetten Taschenmesser, das er häufig ableckte, davon herunterschnitt, verursachte mir große Pein; dazu kam, daß er sich die ganze Woche hindurch, von Sonntag zu Sonntag, niemals wusch. Am Morgen, noch ehe die Sonne kam, und am Abend, wenn sie untergegangen war, hing ihm ein blanker Tropfen an der Nase. Und Nägel hatte er! Und seine Ohren waren so häßlich!
Ach, ich war ein Emporkömmling, der in Caféhäusern gelernt hatte fein zu sein.
Da ich mich nicht enthalten konnte, die Unreinlichkeit meines Kameraden zu bekritteln, schuf ich eine wachsende Mißstimmung zwischen uns, und ich fürchtete, daß wir uns eines Tages trennen würden. Wir sprachen nur das Notwendigste miteinander.
Der Brunnen war immer noch ungegraben. Der Sonntag kam, und Grindhusen war heimgegangen.
Ich hatte nun mein Peilrohr fertig, und so stieg ich am Nachmittag auf das Dach des Hauptgebäudes und befestigte dort meinen Apparat. Ich sah sofort, daß die Peilung mehrere Meter unterhalb des Gipfels auf die Anhöhe traf. Gut. Wenn ich nun auch noch einen ganzen Meter bis zum Wasserspiegel im Brunnen abzog, würde doch Druck im Überfluß vorhanden sein.
Während ich dalag und peilte, wurde ich vom Sohne des Pfarrers entdeckt. Er hieß Harald Meltzer. Was ich da oben treibe. Den Hang vermessen, warum das? Wozu müsse ich die Höhe wissen? Laß mich auch messen!
Später nahm ich eine Leine von zehn Metern und maß den Hang von oben bis unten aus. Harald half mir dabei. Als wir wieder zum Hof hinunterkamen, meldete ich mich beim Pfarrer und trug ihm meinen Plan vor.
Geduldig hörte mir der Pfarrer zu und wies mich nicht sofort ab.
Ach wirklich! sagte er und lächelte. Ja, vielleicht. Aber es wird sehr viel kosten. Und warum sollen wir es eigentlich machen?
Bis zu dem Brunnen, den wir zu graben angefangen haben, sind es siebzig Schritte. Siebzig Schritte, die die Mädchen bei jedem Wetter Sommer wie Winter gehen müssen.
Ja, das ist wahr. Aber es wird ein Vermögen kosten.
Abgesehen von dem Brunnen, den Sie auf jeden Fall haben müssen, wird die Leitung mit Röhren und Arbeit nicht mehr als zweihundert Kronen kosten, sagte ich.
Der Pfarrer rückte näher.
Nicht mehr?
Nein.
Ich wartete ein wenig mit jeder Antwort, als sei ich von Natur aus so bedächtig und sei so geboren; aber ich hatte mir das Ganze schon lange vorher ausgedacht.
Es wäre eine große Erleichterung, sagte der Pfarrer nachdenklich. Der Wasserzuber in der Küche macht ja wirklich viel Schmutz.
Und all das Wasser, das in die Schlafzimmer gebracht werden muß.
Nun, die Schlafzimmer hätten ja doch keinen Vorteil davon. Die sind im ersten Stock.
Wir legen die Leitung bis in den ersten Stock hinauf.
Was? In den ersten Stock? Hätten wir denn genug Druck?
Hier wartete ich noch länger mit der Antwort und machte mich ganz schwer vor Zuverlässigkeit.
Ich glaube, ich kann dafür einstehen, daß der Wasserstrahl bis über das Hausdach hinaufgeht, antwortete ich.
Nein, was du sagst! rief der Pfarrer aus. Komm, laß mich sehen, wo du den Brunnen anlegen willst.
Wir begaben uns den kleinen Hügel hinauf, der Pfarrer, Harald und ich. Ich ließ den Pfarrer mit meinem Apparat peilen und überzeugte ihn davon, daß der Druck mehr als stark genug sein würde.
Ich werde mit deinem Kameraden darüber sprechen, sagte er.
Da antwortete ich und untergrub dabei Grindhusens Ansehen.
Nein, davon versteht der nichts.
Der Pfarrer sah mich an.
Ist das wahr? fragte er.
Wir gingen wieder hinunter. Der Pfarrer redete gleichsam vor sich hin:
Du hast schon recht, es ist ein ewiges Wassertragen im Winter. Ja, im Sommer eigentlich auch. Ich werde mit meiner Familie darüber sprechen.
Er ging hinein.
Ungefähr zehn Minuten verstrichen, dann wurde ich an die Haupttreppe gerufen, wo die ganze Familie des Pfarrers versammelt war.
So, du willst uns also eine Wasserleitung legen? meinte seine Frau freundlich.
Ich grüßte langsam und bedächtig mit meiner Mütze, und der Pfarrer antwortete für mich: Ja, das sei der Mann.
Das Fräulein warf mir einen neugierigen Blick zu und begann sofort mit Harald zu flüstern. Die gnädige Frau fuhr fort mich auszufragen: Würde das wirklich eine Leitung werden wie in der Stadt, wo man an einem Hahn drehe und wo dann das Wasser käme? Und gleich bis in den ersten Stock? Zweihundert Kronen? Ich finde, das solltest du machen! wandte sie sich zu ihrem Mann.
Ja, wirklich! Kommt, dann gehen wir noch einmal hinauf und peilen alle miteinander.
Wir gingen auf die Anhöhe, ich stellte das Rohr ein und ließ sie alle peilen.
Wie merkwürdig ist das! fand die gnädige Frau.
Die Tochter sagte kein Wort.
Der Pfarrer fragte:
Aber gibt es hier denn auch Wasser?
Sehr verständig antwortete ich, daß es schwierig sei, dies mit Sicherheit zu sagen. Aber es ließen sich gute Anzeichen dafür feststellen.
Was für Anzeichen? fragte die gnädige Frau.
Die Beschaffenheit des Erdbodens hier. Außerdem wächst hier sowohl Weide als auch Erle. Und die Weide will naß haben.
Der Pfarrer nickte und sagte:
Er versteht seine Sache, der Bursche, Marie.
Auf dem Heimweg war die gnädige Frau auf dem unhaltbaren Standpunkt angelangt, sie könne, wenn sie die Wasserleitung ins Haus bekäme, eines der Mädchen entbehren. Um sie nicht im Stich zu lassen, bemerkte ich:
Besonders vielleicht im Sommer. Und das Bewässern des Gartens würde durch eine Wasserschlange besorgt, die man durch das Kellerfenster führen könne.
Nein, hast du so etwas gehört! rief sie aus.
Und noch wagte ich nicht von einer Wasserleitung bis zum Stall zu sprechen. Die ganze Zeit hatte ich daran gedacht, daß die Stallmagd, wenn man den Brunnen doppelt so groß graben und einen Seitenarm der Leitung bis zum Stall legen würde, die gleiche Erleichterung haben könnte, wie die Köchin. Aber das mußte die Kosten ungefähr verdoppeln. Es war nicht ratsam, einen so großen Plan zu entwerfen.
Schon wie die Sache jetzt stand, mußte ich darauf eingehen, auf Grindhusen zu warten. Der Pfarrer sagte, er wolle erst noch einmal darüber schlafen.
Nun mußte ich meinen Kameraden darauf vorbereiten, daß der Brunnen oben auf der Anhöhe gegraben werden sollte. Um ihn nicht mißtrauisch zu machen, schob ich alle Schuld auf den Pfarrer, er sei zuerst darauf gekommen, ich aber hätte ihn bei diesem Plan unterstützt. Grindhusen war zufrieden, er erfaßte sofort, daß das Ganze mehr Arbeit für uns bedeutete, da wir nun auch einen Graben für die Leitung herstellen mußten.
Es traf sich so glücklich, daß der Pfarrer am Montag früh mit folgenden, halb scherzhaften Worten sich an Grindhusen wandte:
Dein Kamerad und ich haben beschlossen, den Brunnen da oben auf der Anhöhe zu graben und eine Leitung herunterzulegen, was sagst du zu diesem verrückten Plan?
Ja, Grindhusen fand dies eine sehr gute Idee.
Als wir aber länger darüber sprachen und die Stelle besahen, wo der Brunnen angelegt werden sollte, schöpfte Grindhusen den Verdacht, ich hätte mehr mit dem Plan zu tun, als ich zugeben wollte. Er meinte, der Graben für die Leitung müsse wegen des Frostes sehr tief sein –
Einen Meter dreißig, höchstens, unterbrach ich ihn. – und daß es eine teure Sache werden würde.
Alles in allem ein paar hundert Kronen, meint dein Kamerad, erwiderte der Pfarrer.
Grindhusen verstand sich nicht im geringsten auf Berechnungen und konnte deshalb nur sagen:
Jaja, zweihundert Kronen sind ja auch ein schönes Geld.
Ich meinte:
Da braucht der Herr Pfarrer weniger zu vergüten, wenn er einmal fortkommt.
Vergüten? Ich gehe von hier nicht fort, sagte er.
Dann wird der Herr Pfarrer hoffentlich ein langes Leben hindurch Freude an der Wasserleitung haben, entgegnete ich.
Da sah mich der Pfarrer an und fragte:
Wie heißt du?
Knut Pedersen.
Aus dem Nordland.
Ich aber begriff, warum mir diese Fragen gestellt wurden, und nahm mir vor, nicht mehr in solchen Romanausdrücken zu reden.
Jedoch – der Brunnen und die Leitung wurden beschlossen, und wir gingen an die Arbeit …
Jetzt kamen viele ganz lustige Tage. Zuerst war ich sehr gespannt, ob sich an der betreffenden Stelle Wasser finden würde, und einige Nächte lang schlief ich schlecht. Als aber diese Spannung vorbei war, gab es nur noch angenehme und ungestörte Arbeit. Wasser war hier genug; nach ein paar Tagen mußten wir es jeden Morgen mit Eimern ausschöpfen. Der Grund war lehmig, und wir beschmutzten uns sehr in der weichen Grube.
Als wir eine Woche lang geschafft hatten, fingen wir an, Steine für die Mauer zu sprengen; mit dieser Arbeit waren wir beide von Skreia her vertraut. Dann gruben wir wieder eine Woche lang und waren endlich tief genug. Das Erdreich war so weich, daß wir nun sofort mit dem Ausmauern beginnen mußten, um das Einfallen der Lehmwände zu verhindern, die uns sonst leicht hätten verschütten können.
So gruben wir und sprengten und mauerten, und Woche auf Woche verging. Es wurde ein großer Brunnen und war eine wohlgelungene Arbeit; der Pfarrer war zufrieden. Grindhusen und ich kamen wieder in ein besseres Verhältnis zueinander, und als er erfuhr, daß ich keinen höheren Lohn haben wolle als den eines guten Handlangers, obwohl ich bei dieser Arbeit oftmals der Leiter war, wollte auch er mir wieder etwas Gutes tun und fing an, sich bei den Mahlzeiten besser zu benehmen. Schöner als jetzt kann ich es nicht mehr haben, und niemals würde mich jemand wieder in die Stadt locken können, dachte ich mir.
Am Abend schlenderte ich durch den Wald oder ging auf den Friedhof, las die Inschriften auf den Gräbern und dachte allerhand. Ich suchte auch einen Nagel von einer Leiche. Ich brauchte diesen Nagel, es war eine Einbildung von mir, eine kleine ausgemachte Spielerei. Ich hatte eine schöne Birkenwurzel gefunden, aus der ich einen kleinen Pfeifenkopf in Form einer geballten Faust schnitzen wollte; der Daumen sollte den Deckel bilden, und ich wollte einen Nagel einsetzen, um ihn recht lebensgetreu zu machen. Um den Ringfinger wollte ich einen kleinen goldenen Ring biegen.
Durch solche Spielereien wurde mein Kopf gesund und ruhig. Es gab keine Hast mehr in meinem Leben, und ich versäumte nichts mit meinen Träumereien, die Abende gehörten mir. Wenn möglich, wollte ich auch versuchen, mir das Gefühl für die Heiligkeit der Kirche und die Furcht vor den Toten anzueignen; aus weit, weit zurückliegender Zeit entsann ich mich noch dieser tiefen und inhaltsreichen Mystik und wollte wieder daran teilhaben. Vielleicht würde es, wenn ich den Nagel fand, aus den Gräbern rufen: Der gehört mir! Worauf ich ihn schreckerfüllt fallen lassen und davonlaufen würde.
Nein, wie doch der Wetterhahn schreit, konnte Grindhusen mitunter sagen.
Hast du Angst?
Nicht eigentlich Angst; aber es schaudert mich bei der Nacht, wenn ich daran denke, daß ich so nahe bei den Leichen schlafe.
Glücklicher Grindhusen!
Harald lehrte mich einmal, Tannen und Gesträuch zu pflanzen. Ich hatte diese Kunst noch nicht gekannt, in meiner Schulzeit war das noch nicht Brauch gewesen; nachdem ich aber das Verfahren gelernt hatte, wurde ich an den Sonntagen ein fleißiger Pflanzer. Als Gegenleistung lehrte ich Harald allerhand Neues für sein Alter, und wir wurden gute Freunde.
Alles hätte jetzt gut gehen können, wenn das junge Fräulein nicht gewesen wäre. Mit jedem Tag wurde ich verliebter in sie. Sie hieß Elischeba, Elisabet. Sie war vielleicht keine besondere Schönheit, aber sie hatte einen roten Mund und einen blauen Jungmädchenblick, der sie schön machte. Elischeba, Elisabet, du bist gerade im ersten Morgendämmern, und deine Augen haben die Welt erspäht. Als du eines Abends mit Jung-Erik vom Nachbarhof sprachst, waren deine Augen von Reife und Zärtlichkeit erfüllt …
Grindhusen aber hatte es leicht. In jungen Tagen war er wie ein Wolf hinter den Mädchen her gewesen, und noch jetzt ging er umher, blähte sich aus alter Gewohnheit auf und trug den Hut schief. Aber er war ganz zahm und still geworden, wie das auch zu erwarten war; das war der Lauf der Natur. Doch nicht alle folgten dem Lauf der Natur und wurden zahm, wie würde das mit diesen enden? Und da war die kleine Elisabet, die übrigens nicht klein war, – sie hatte die Größe ihrer Mutter. Und auch die gewölbte Brust ihrer Mutter …
Seit dem ersten Sonntag war ich nicht mehr zum Kaffee in die Küche eingeladen worden, und das war mir auch recht so, und ich trug selbst dazu bei. Noch war ich beschämt. Endlich aber kam eines der Mädchen mitten in der Woche mit dem Bescheid zu mir, ich solle nicht jeden Sonntagnachmittag in den Wald gehen, sondern zum Kaffee kommen. Die gnädige Frau wünsche es so.
Gut.
Sollte ich meine Staatskleider anziehen? Es konnte vielleicht nicht schaden, wenn das junge Mädchen eine kleine Ahnung davon bekam, daß ich aus eigenem Antrieb dem Stadtleben entsagt hatte und mir das Aussehen eines Knechtes gab, daß ich aber im Grunde ein technisches Talent sei und Wasserleitungen anlegen könne. Als ich aber angezogen war, hatte ich selbst das Gefühl, daß der Arbeitsanzug besser zu mir passe. Da zog ich die Staatskleider wieder aus und packte sie in mein Bündel.
Wer mich aber in der Küche empfing, das war tatsächlich nicht das Fräulein, sondern die gnädige Frau. Sie unterhielt sich lange mit mir und hatte unter meine Kaffeetasse ein weißes Tuch gelegt.
Das Kunststück mit dem Ei kommt uns schön teuer, sagte sie und lachte gutmütig. Der Junge hat jetzt schon ein halbes Dutzend Eier vertan.
Mit dem Kunststück verhielt es sich so: ich hatte Harald gelehrt, ein abgeschältes hartes Ei durch den Hals einer Karaffe zu treiben, indem man die Luft in der Karaffe verdünnte. Das waren ungefähr meine einzigen physikalischen Kenntnisse.
Aber das Experiment mit dem Stock, der in zwei Papierschlingen hängt und abgeknickt wird, ist besonders lehrreich, sagte die gnädige Frau weiter. Ich verstehe nicht viel von diesen Dingen, aber … Wann wird der Brunnen fertig?
Der Brunnen ist fertig. Wir fangen morgen mit dem Graben an.
Wie lange wird das dauern?
Eine Woche. Dann kann der Rohrleger kommen.
Nein, wirklich!
Ich bedankte mich und ging hinaus. Die gnädige Frau hatte eine Gewohnheit, die sie sicherlich aus früheren Jahren noch behalten hatte: sie sah einen hie und da von der Seite an, obwohl das, was sie sagte, durchaus nicht hinterhältig war …
Nun gilbte da und dort ein Blatt im Wald, und Luft und Erde rochen herbstlich. Nur die Pilze standen noch zahlreich in den Wäldern, überall schossen sie auf und wuchsen schön und dick auf runden Stielen. Steinpilze gab es und Champignons und Reizker. Hie und da zeigte auch ein Fliegenschwamm seinen gesprenkelten Hut und stand in leuchtend roter Farbe da. Ein merkwürdiger Schwamm! Er wächst auf dem gleichen Boden wie die eßbaren Schwämme, nährt sich von der gleichen Erde und empfängt gleichermaßen Sonne und Regen vom Himmel herab, er ist fett und fest und schmeckt gut – nur daß er voll frechen Muscarins ist. Ich wollte einmal ein altes herrliches Märchen vom Fliegenschwamm erfinden und sagen, ich hätte es in einem Buch gelesen.
Immer habe ich mit Interesse den Kampf ums Dasein aller Blumen und Insekten beobachtet. Wenn die Sonne warm war, erwachten sie wieder zum Leben und gaben sich einige Stunden lang der alten Freude hin; die großen, kräftigen Fliegen waren genau so lebendig wie mitten im Sommer. Es gab hier eine eigene Art von Erdflöhen, die ich vorher noch nicht gesehen hatte. Sie waren klein und gelb, nicht größer als ein Komma in Petitschrift, aber sie hüpften viel tausendmal weiter als sie selbst spannen konnten. Welch ungeheure Kräfte hatte doch so ein kleines Geschöpf im Verhältnis zu seiner Größe! Hier läuft eine kleine Spinne mit einem Hinterteil, das wie eine hellgelbe Perle aussieht. Diese Perle ist so schwer, daß das Tier mit dem Rücken nach unten an den Halmen emporklettern muß. Wenn es auf Hindernisse stößt, über die es die Perle nicht hinüberziehen kann, läßt es sich einfach hinunterfallen und beginnt an einem neuen Halm. Eine solche Perlenspinne ist keine Spinne und damit Punktum. Wenn ich ihr ein Laubblatt hinhalte, um ihr zu festem Boden zu verhelfen, tastet sie eine Weile das Blatt ab und findet dann: Nein, da stimmt etwas nicht. Worauf sie vor einer solchen Fallgrube, wie sie in diesem Boden vermutet, rücklings zurückweicht …
Ich höre, daß im Wald unten mein Name gerufen wird. Harald ist es, er will seine Sonntagsschule mit mir halten. Er hat mir etwas von Pontoppidan zu lernen aufgegeben und will mich jetzt überhören. Es rührt mich, die Religion wieder so verkündigt zu hören, wie ich sie selbst in meiner eigenen Kindheit verkündet haben würde.
Der Brunnen war fertig, der Graben ausgehoben und der Rohrleger gekommen. Er wählte sich Grindhusen zum Helfer aus, und ich wurde angestellt, den Weg für die Rohre vom Keller bis hinauf in die zwei Stockwerke des Hauses zu bahnen.
Eines Tages, während ich unten im Keller am Graben arbeitete, kam die Pfarrerin zu mir herunter. Ich rief ihr zu, sie möge sich vorsehen, aber sie ließ sich nicht stören. Hier ist doch kein Graben? fragte sie und deutete auf eine Stelle. Und hier wohl auch nicht? Schließlich trat sie doch fehl, glitt aus und rutschte in den Graben zu mir herab. Da standen wir. Es war nicht hell bei uns, und für sie, die aus dem Tageslicht kam, war es ganz dunkel. Sie tastete den Graben ab und sagte:
Wie kann ich jetzt wieder hinaufkommen?
Ich hob sie hinauf. Das war nicht schwer, sie war so schlank, obwohl sie die Mutter eines großen Mädchens war.
Das muß ich sagen, rief sie und schüttelte die Erde von ihrem Kleid ab, das war eine rasche Abfahrt … Du mußt mir einmal im ersten Stock bei etwas behilflich sein, willst du? Aber wir müssen warten, bis mein Mann im Annex ist, er liebt Veränderungen nicht. Wann werdet ihr hier auf dem Hof fertig?
Ich nannte eine Zeit, eine Woche oder so.
Wohin werdet ihr von hier aus gehen?
Auf den Nachbarhof. Grindhusen hat zugesagt, dort Kartoffeln auszugraben …
Dann ging ich in die Küche hinauf und sägte mit einer Stichsäge ein Loch in den Boden. Fräulein Elisabet mußte, während ich mit Sägen beschäftigt war, ebenfalls etwas in der Küche erledigen und, obwohl sie einen Widerwillen gegen mich empfand, überwand sie sich, sprach einige Worte zu mir, blieb stehen und sah ein wenig bei der Arbeit zu.
Stell dir vor, Oline, wenn du nur noch einen Hahn aufzudrehen brauchst! sagte sie zu dem Mädchen.
Aber Oline, die schon alt war, sah keineswegs entzückt aus. Es sei sündhaft, das Wasser bis in die Küche zu führen, fand sie. Zwanzig Jahre lang habe sie das nötige Wasser ins Haus getragen, was sollte sie dann jetzt tun?
Dich ausruhen, meinte ich.
Ausruhen? Der Mensch ist doch wohl zum Arbeiten geschaffen.
Und an deiner Aussteuer nähen, sagte das Fräulein lächelnd.
Das war jungmädchenhaft gesprochen, aber ich war ihr dankbar, weil sie an unserem gemeinsamen Gespräch teilnahm und eine Zeitlang in der Küche blieb. O Gott, wie gewandt wurde ich, und wie treffend sprach ich und führte mich wie ein Junger auf. Ich weiß es heute noch gut. Plötzlich aber schien Fräulein Elisabet darüber nachzudenken, daß es sich nicht für sie schicke, noch länger bei uns zu bleiben, und sie verließ uns.
Am Abend ging ich wieder, wie schon früher so oft, auf den Friedhof; als ich aber sah, daß das Fräulein schon vor mir dort war, trollte ich mich fort und ging in den Wald. Nachher dachte ich: Jetzt wird sie sicher ganz gerührt sein über meine Bescheidenheit und wird sagen: Der Ärmste, das war nun ein feiner Zug von ihm! Dann fehlte nur, noch, daß sie mir in den Wald nachkommen würde. Überrascht würde ich mich dann von meinem Stein erheben und grüßen. Dann würde sie etwas verlegen werden und sagen: Ich ging hier nur vorbei – es ist ein so schöner Abend – was treibst du hier? Ich sitze nur so da, antworte ich und komme mit meinen unschuldigen Augen gleichsam von weit her. Und wenn sie hört, daß ich am späten Abend nur so dasitze, dann begreift sie, daß ich eine tiefe Seele und ein Träumer bin, und dann verliebt sie sich in mich …
Auch am nächsten Abend war sie auf dem Friedhof, und der eitle Gedanke flog mir durch den Kopf: sie geht mir nach! Als ich aber näher zu ihr hinsah, zeigte es sich, daß sie an einem Grab beschäftigt war. Sie war mir also nicht nachgegangen. Ich schlich mich wieder zu dem großen Ameisenhaufen im Wald und beobachtete die Tiere, solange ich sehen konnte; später saß ich da und hörte zu, wie die Tannenzapfen und die Vogelbeertrauben zur Erde fielen. Ich summte, flüsterte und dachte, dann und wann mußte ich aufstehen und der Kälte wegen ein wenig auf und ab gehen. Die Stunden vergingen, die Nacht kam, ich war ganz verliebt, ging barhäuptig und ließ mich von den Sternen anstarren.
Wie spät ist es? konnte Grindhusen fragen, wenn ich in die Scheune kam.
Elf Uhr, erwiderte ich dann. Obwohl es oft schon zwei und drei Uhr morgens war.
Findest du endlich, daß es Zeit ist, schlafen zu gehen? Ach, zum Teufel, weckt einen der Mensch, wenn man gerade so schön eingeschlafen ist!
Grindhusen wirft sich auf die andere Seite herum und schläft gleich wieder ein. Grindhusen hatte es leicht.
Ach, wie sich doch ein bereits alternder Mann zum Narren macht, wenn er verliebt ist. Und wollte nicht gerade ich das Exempel statuieren, daß es möglich sei, Ruhe und Frieden zu finden?
Ein Mann kam und verlangte sein Maurerwerkzeug zurück. Wie – Grindhusen hatte es also nicht gestohlen! Wie langweilig und mittelmäßig war alles an Grindhusen, nichts an ihm rund und abgeschlossen, nichts an ihm eigenartig.
Ich sagte:
Du bestehst nur aus lauter Essen und Schlafen und Arbeiten, Grindhusen. Da ist nun ein Mann da und will das Werkzeug holen. Du hast es dir also nur ausgeliehen, du Armer.
Dummkopf, sagte Grindhusen beleidigt.
Und wie schon so manches frühere Mal besänftigte ich ihn wieder, indem ich darüber hinwegging und lachte.
Was sollen wir jetzt tun! sagte er.
Ich wette, du weißt es, antwortete ich.
Ich weiß es?
Ja. Wenn ich dich recht kenne.
Und Grindhusen war wieder versöhnt.
Als ich ihm aber in der Mittagspause das Haar schnitt, beleidigte ich ihn abermals, weil ich ihm riet, sich den Kopf zu waschen.
Daß ein so bejahrter Kerl wie du so verrückt sein kann, sagte er.
Und Gott weiß, ob Grindhusen nicht recht hatte! Er hatte noch sein ganzes rotes Haar auf dem Kopf, obwohl er Großvater war …
Fing es denn jetzt an in der Scheune zu spuken? Wer war plötzlich eines Tages dagewesen und hatte alles geordnet und es gemütlich gemacht? Wir hatten jeder unsere eigene Liegestatt, Grindhusen und ich, ich hatte mir zwei Decken gekauft, er dagegen schlief jede Nacht in allen Kleidern, wie er ging und stand, er bohrte sich nur irgendwo ins Heu hinein. Seit nun meine beiden Decken schön hingelegt waren, sah mein Lager einem Bette täuschend ähnlich. Ich hatte nichts dagegen; da wollte mir wohl eines der Mädchen gute Sitten beibringen. Mir konnte das ja gleich sein.
Nun sollte ich im ersten Stock die Löcher in den Boden sägen, aber die gnädige Frau bat mich, bis zum nächsten Tag zu warten; der Pfarrer reise da in die Annexgemeinde, und würde auf diese Weise nicht durch mich gestört. Als aber der nächste Morgen kam, wurde es wieder verschoben, Fräulein Elisabet stand fertig da und wollte zum Landhändler gehen und große Einkäufe machen, und ich sollte sie begleiten, um alles zu tragen.
Gut, sagte ich, ich werde nachkommen.
Das seltsame Mädchen! Hatte sie sich denn entschlossen, meine Begleitung zu dulden? Sie sagte:
Aber findest du denn den Weg allein?
Ja freilich. Ich bin früher schon da gewesen, wir kaufen unsere Lebensmittel dort.
Da ich in meinem lehmigen Arbeitsanzug nicht gut durch das ganze Dorf gehen konnte, schlüpfte ich in meine Staatshose, behielt jedoch die Bluse an. So begab ich mich auf den Weg. Es war über eine halbe Meile weit; im letzten Viertel sah ich Fräulein Elisabet hie und da vor mir, aber ich achtete darauf, daß ich ihr nicht zu dicht auf den Fersen war. Einmal drehte sie sich um; da machte ich mich winzig klein und drückte mich an den Waldrand.
Das Fräulein blieb im Ort bei einer Freundin zurück, und ich kam gegen Mittag mit den Waren nach Hause. Ich wurde eingeladen, in der Küche zu essen. Das Haus war wie ausgestorben; Harald war fort, die Mädchen mangten Wäsche, nur Oline war in der Küche beschäftigt.
Nach dem Mittagessen ging ich in den Gang im ersten Stock hinauf und begann zu sägen.
Komm hier herein und hilf mir ein wenig, sagte die Pfarrerin und ging vor mir her.
Wir kamen durch das Arbeitszimmer ihres Mannes und gelangten in das Schlafzimmer.
Ich möchte mein Bett umstellen, sagte die Pfarrerin. Es steht im Winter zu nah am Ofen, da ist es zu warm.
Wir rückten das Bett zum Fenster hin.
Glaubst du nicht, daß es hier besser sein wird? kühler? fragte sie.
Ich sah sie zufälligerweise an, sie hatte ihren schiefen Seitenblick. Oh! Und mein Fleisch und Blut machten mich ganz dumm, ich hörte sie sagen:
Bist du verrückt! Nein aber, Lieber – die Türe –
Dann hörte ich, wie mein Name einigemal geflüstert wurde …
Ich sägte draußen auf dem Gang mein Loch und brachte alles in Ordnung, die gnädige Frau war die ganze Zeit dabei. Sie wollte so gerne sprechen, sich erklären, aber sie lachte und weinte in einem fort.
Ich sagte:
Sollten wir nicht auch das Bild, das über Ihrem Bett war, umhängen?
Ja, du hast recht, antwortete die gnädige Frau.
Dann war die ganze Leitung angelegt und die Hähne waren eingeschraubt; das Wasser spritzte mit großer Kraft in das Becken. Grindhusen hatte sich an anderer Stelle die notwendigen Werkzeuge geliehen, so daß wir die verschiedenen Löcher da und dort zumauern konnten, und als wir ein paar Tage später auch den Graben zum Brunnen wieder zugeworfen hatten, war unsere Arbeit auf dem Pfarrhof beendigt. Der Pfarrer war zufrieden, er erbot sich, an dem roten Pfosten ein Plakat anzuschlagen, daß wir Meister im Anlegen von Wasserleitungen seien. Da es aber schon spät im Jahre war und der Frost jederzeit kommen konnte, hatte dies keinen Wert mehr für uns. Statt dessen baten wir ihn, sich im Frühjahr unser zu erinnern.
Wir zogen nun zum Nachbarhof hinüber, um Kartoffeln zu ernten. Vorher aber hatten wir noch versprechen müssen, uns im Pfarrhof wieder sehen zu lassen, wenn es sich gerade so gäbe.
An dem neuen Platz waren viele Leute, wir teilten uns in die Arbeit und hatten es schön und lustig. Aber das Ganze sollte kaum länger als eine Woche dauern, dann waren wir wieder frei.
Eines Abends kam der Pfarrer zu uns herüber und bot mir einen Platz als Knecht auf dem Pfarrhof an. Das Angebot war gut, und ich dachte einige Zeit darüber nach, entschloß mich dann aber doch, es abzuschlagen. Lieber wollte ich umherstreifen und mein eigener Herr bleiben, die Arbeit tun, die sich gerade bot, im Freien schlafen und mir selbst ein klein wenig zum Rätsel sein. Ich hatte hier auf dem Kartoffelacker einen Mann kennen gelernt, mit dem ich mich zusammentun wollte, wenn Grindhusen und ich uns trennten. Der neue Mann war ein Gleichgesinnter und soviel ich von ihm sah und hörte, begriff ich auch, daß er ein guter Arbeiter war; Lars Falkberget hieß er, weshalb er sich Falkenberg nannte.
Jung-Erik war unser Vormann und Leiter bei der Kartoffelernte und fuhr den Ertrag ein. Er war ein schöner, zwanzigjähriger Bursche, reif und zuverlässig für sein Alter und stolz als Sohn des Hofes. Es herrschte wohl ein Einverständnis zwischen ihm und Fräulein Elisabet vom Pfarrhof, denn sie kam eines Tages zu uns auf das Feld und plauderte eine gute Weile mit ihm. Als sie ging, richtete sie auch ein paar Worte an mich: Oline fange nun an, sich mit der Wasserleitung daheim abzufinden.
Und Sie selbst? fragte ich.
Aus Höflichkeit gab sie mir zwar eine kurze Antwort, aber ich sah, daß sie sich in kein Gespräch mit mir ein lassen wollte.
Sie war so schön gekleidet, sie hatte einen neuen hellen Mantel um zu ihren blauen Augen …
Am nächsten Tag wurde Erik ziemlich schwer verletzt, das Pferd ging mit ihm durch, schleifte ihn über Wiesen und Felder und schleuderte ihn endlich gegen einen Zaun. Er war übel zugerichtet worden und spuckte Blut. Auch als er sich nach einigen Stunden etwas erholt hatte, spuckte er noch Blut. Nun wurde Falkenberg als Fuhrmann eingestellt.
Ich heuchelte Teilnahme an dem Unglück und war stumm und finster wie die anderen, aber ich fühlte keine Trauer. Irgendwelche Aussichten hatte ich bei Fräulein Elisabet nicht, nein, allerdings; aber er, der bei ihr über mir stand, war aus dem Wege geräumt.
Am Abend ging ich auf den Friedhof und setzte mich hin. Wenn jetzt nur Fräulein Elisabet käme! dachte ich. Eine Viertelstunde verging, dann kam sie. Ich erhob mich plötzlich, ganz schlau tat ich, als wolle ich fliehen, schien aber hilflos verwirrt und ergab mich darein. Da jedoch verließ mich meine Schlauheit, ich wurde unsicher, weil sie mir so nahe war, und sagte:
Erik, denken Sie, gestern ist ihm ein Unglück zugestoßen.
Ich weiß, sagte sie.
Er wurde verletzt.
Ach ja, er wurde verletzt. Warum erzählst du mir von ihm?
Ich glaubte … Nein, ich weiß nicht. Aber er wird natürlich wieder gesund, sicherlich. Dann wird wohl alles wieder gut.
Freilich, freilich.
Pause.
Es klang so, als hätte sie mich nachgeäfft. Plötzlich sagte sie und lächelte dabei:
Du bist ein sonderbarer Kauz. Warum gehst du immer diesen weiten Weg und setzt dich an den Abenden hierher?
Das ist mir eine kleine Gewohnheit geworden. Ich vertreibe mir die Zeit bis zum Schlafengehen.
Und du hast keine Angst?
Ihr Scherz machte mich freier, ich fühlte wieder Grund unter den Füßen und antwortete:
Das ist es ja gerade, ich möchte das Gruseln wieder lernen.
Das Gruseln? Du hast also dieses Märchen gelesen?
Ich weiß nicht mehr. Mir ist wohl einmal ein Buch in die Hände geraten.
Pause.
Warum willst du nicht Knecht bei uns werden?
Ich würde dazu nicht taugen. Ich will mich jetzt mit einem anderen Kameraden zusammentun, wir wollen wandern.
Wo wollt ihr hin?
Das weiß ich nicht. Nach Osten oder Westen. Wir sind Wanderer.
Das ist schade, sagte sie. Ich finde, das solltest du nicht tun … Nein, wie, sagtest du doch, steht es mit Erik? Deshalb kam ich hierher.
Er ist krank, es steht gewiß ziemlich schlecht um ihn, aber –
Glaubt der Doktor, daß er durchkommen wird?
Das glaubt er sicherlich. Ich habe nichts Gegenteiliges gehört.
Na, dann gute Nacht also.
Wer doch nun jung und reich und schön und berühmt und mit den Wissenschaften vertraut wäre … Dort geht sie …
Bevor ich den Friedhof verließ, fand ich einen brauchbaren Daumennagel, den ich zu mir steckte. Ich wartete ein wenig, starrte nach allen Seiten und lauschte, – alles war still. Niemand rief: der gehört mir!
Falkenberg und ich wandern fort. Es ist Abend, kühles Wetter und ein hoher Himmel, an dem die Sterne aufglühen. Ich überredete meinen Kameraden, den Weg über den Friedhof zu nehmen, in meiner Lächerlichkeit wollte ich sehen, ob in einem kleinen Fenster unten im Pfarrhof Licht sei. Wer jetzt jung und reich und …
Wir gingen einige Stunden lang. Schwer zu tragen hatten wir nicht, und außerdem waren wir beiden Wanderer einander noch ein wenig neu und konnten zusammen schwätzen. Wir waren durch den ersten Handelsort gegangen und kamen zu einem anderen, in dem hellen Abend sahen wir den Turm der Annexkirche.
Aus alter Gewohnheit wollte ich auch hier in den Friedhof gehen, ich sagte:
Was meinst du, wollen wir hier nicht irgendwo über Nacht bleiben?
Da wären wir schön dumm! erwiderte Falkenberg. Jetzt gibt es in jeder Scheune Heu, und wenn wir aus den Scheunen hinausgejagt werden, dann ist es im Wald noch wärmer.
Und Falkenberg übernahm wieder die Führung.
Er war ein Mann von einigen Dreißig, groß und gut gebaut, hielt jedoch den Rücken ein wenig gebeugt; seine langen Schnurrbartenden hingen herunter. Er sprach lieber wenig als viel und war erfinderisch und geschickt, überdies sang er mit der schönsten Stimme und war überhaupt ein ganz anderer Kerl als Grindhusen. Beim Sprechen mischte er ganz sinnlos Worte aus den Dialekten von Drontheim und Valdres und aus dem Schwedischen ein, so daß man nicht hören konnte, woher er stammte.
Wir kamen zu einem Hof, auf dem die Hunde bellten und die Leute noch auf waren, Falkenberg bat, mit dem Bauern sprechen zu können. Ein junger Bursche kam heraus.
Ob er für uns Arbeit habe?
Nein.
Aber der Zaun längs des Weges sei so schlecht, ob wir ihn nicht ausbessern dürften?
Nein. Er habe jetzt in der Herbstzeit selbst nichts anderes zu tun.
Ob wir die Nacht über hierbleiben dürften?
Leider –
In der Scheune?
Nein, dort schlafen noch die Mädchen.
So ein Racker! murmelte Falkenberg, als wir uns entfernten.
Wir gingen quer durch einen kleinen Wald und schauten uns nach einer Schlafstätte um.
Und wenn wir jetzt wieder zum Hof zurückgingen – zu den Mädchen? Die würden uns vielleicht nicht hinauswerfen?
Falkenberg überlegte.
Die Hunde würden bellen, antwortete er.
Wir kamen an eine Wiese, auf der zwei Pferde grasten. Das eine hatte eine Glocke um.
Das ist mir ein feiner Bauer, der die Pferde noch nachts auf der Weide und die Mädchen in der Scheune schlafen läßt, sagte Falkenberg. Wir erweisen den Tieren geradezu eine Wohltat, wenn wir sie ein bißchen bewegen.
Er fing sich das Pferd mit der Glocke ein, stopfte Moos und Gras in die Schelle und stieg auf. Mein Pferd war scheuer, und ich bekam es schwerer zu fassen.
Wir ritten über die Weide, fanden ein Gatter und kamen auf den Weg hinaus. Jeder von uns hatte eine Decke zum Sitzen, Zaumzeug aber hatte keiner.
Es ging gut, ungewöhnlich gut; wir ritten eine lange Meile und kamen in eine andere Gemeinde. Plötzlich hörten wir Leute vor uns auf dem Weg.
Jetzt müssen wir Galopp reiten, rief Falkenberg zu mir zurück.
Aber der lange Falkenberg war kein Held im Reiten, er hielt sich am Glockenriemen fest, später warf er sich vornüber und umklammerte den Hals des Pferdes. Einmal sah ich sein eines Bein gegen den Himmel, das war, als er herunterfiel.
Wir liefen glücklicherweise keine Gefahr, es waren nur zwei junge Leute, die spazieren gingen und schwärmten.
Nachdem wir eine halbe Stunde geritten und beide mürbe und zerschlagen waren, stiegen wir ab und jagten die Pferde heim. So waren wir nun wieder zu Fuß.
Gakgak, Gakgak! schreit etwas weit weg. Ich kannte den Ton, es war die Wildgans. Als Kinder hatten wir gelernt, die Hände zu falten und still zu stehen, damit wir die Wildgans nicht erschrecken sollten, wenn sie vorbeizog – ich habe nichts zu versäumen und mache es so wie in meiner Kindheit. Eine weiche, mystische Stimmung durchflackert mich, ich halte den Atem an und starre vor mich hin. Da kommen sie, der Himmel liegt hinter ihnen wie ein Kielwasser. Gakgak! schreit es über unsern Köpfen. Und der herrliche Pflug gleitet unter den Sternen weiter …
Schließlich fanden wir auf einem stillen Hof eine Scheune und schliefen dort mehrere Stunden; am Morgen überraschten uns die Hofleute, so tief schliefen wir.
Falkenberg wandte sich sofort an den Bauern und bot Bezahlung an. Wir seien gestern abend so spät gekommen, daß wir niemand hätten wecken wollen, erklärte er, aber wir seien keine Ausreißer. Der Mann wollte keine Bezahlung annehmen, sondern ließ uns noch obendrein in der Küche Kaffee geben. Arbeit aber hatte er nicht für uns, die Ernte war jetzt vorbei, und er und sein Knecht hatten selbst nichts anderes zu tun, als die Zäune in Ordnung zu bringen.
Drei Tage lang wanderten wir und konnten keine Arbeit bekommen, wir mußten im Gegenteil für Essen und Trinken bezahlen und wurden mit jedem Mal ärmer.
Was ist jetzt dir und mir noch geblieben? Auf diese Weise kommen wir nicht vorwärts, sagte Falkenberg und schlug vor, wir müßten anfangen ein wenig zu stehlen.
Wir überlegten uns das eine Weile und beschlossen noch abzuwarten. Um das Essen brauchte uns nicht angst zu sein, ein oder zwei Hühner konnten wir uns immer mausen; aber uns war nur mit Geld richtig geholfen, und so mußten wir uns eben Geld verschaffen. Ging es nicht auf die eine Art, dann mußte es eben auf eine andere gehen, wir waren keine Engel.
Ich bin kein Engel des Himmels, sagte Falkenberg. Hier sitze ich nun in meinen besten Kleidern, die ein anderer als Werktagskleider tragen würde. Ich wasche sie im Bach und warte bis sie trocken sind, und wenn sie zerreißen, sticke ich sie zusammen, und verdiene ich einmal ein wenig mehr als das Nötigste, dann kaufe ich mir neue. Anders ist es nun einmal nicht.
Aber Jung-Erik sagte, du seist ein so übler Trinker?
Der grüne Spatz! Ja, gewiß trinke ich. Essen allein ist so langweilig … Jetzt wollen wir einmal einen Hof mit einem Klavier suchen.
Ich dachte mir: ein Klavier auf einem Hof setzt einen gewissen allgemeinen Wohlstand voraus, dort werden wir also mit dem Stehlen anfangen.
Am Nachmittag kamen wir zu einem solchen Hof. Schon vorher hatte Falkenberg meine städtischen Kleider angezogen und mir sein Bündel zu tragen gegeben, so daß er selbst frei und ledig dahinging. Ohne weiteres stieg er sofort die Haupttreppe des Hauses hinan und blieb eine Zeitlang fort. Als er wieder herauskam, sagte er: Ja, er solle das Klavier stimmen.
Schweig, sagte Falkenberg. Ich habe das früher schon getan, ich schneide nicht auf.
Und als er aus seinem Bündel einen Stimmschlüssel hervorzog, wurde mir klar, daß es ihm Ernst war.
Mir befahl er, mich in der Nähe des Hofes aufzuhalten, während er stimmte.
Ich schlenderte umher und vertrieb mir die Zeit; manchmal, wenn ich an die Südseite des Hauses kam, hörte ich, wie Falkenberg an dem Klavier beschäftigt war und es bearbeitete. Er konnte keinen ordentlichen Ton anschlagen, aber er hatte ein gutes Gehör; wenn er an einer Saite schraubte, paßte er gut auf, daß er sie wieder genau so weit zurückschraubte, wie sie früher gewesen war. Das Instrument wurde auf die Weise wenigstens nicht schlechter als vorher.
Ich kam mit einem der Knechte des Hofes, einem jungen Burschen, ins Gespräch: Er habe zweihundert Kronen Lohn im Jahre – ja, und dann die Kost, sagte er. Um halb sieben Uhr morgens müsse er aufstehen, um die Pferde zu füttern, während der Felderbestellung um halb sechs. Arbeit den ganzen Tag über, Feierabend um acht Uhr. Aber er sei gesund und zufrieden bei dem ruhigen Leben in dieser kleinen Welt. Ich erinnere mich noch an seine schönen Zähne und an das hübsche Lächeln, mit dem er von seinem Mädchen sprach. Er hatte ihr einen Silberring mit einem goldenen Herzen darauf geschenkt.
Was sagte sie, als du ihr den Ring gabst?
Sie war sehr erstaunt, das kannst du dir denken.
Und was sagtest du?
Was ich sagte? Das weiß ich nicht. Ich sagte: Wohl bekomm's. Eigentlich wollte ich ihr auch einen Kleiderstoff geben, aber –
Ist sie jung?
Ja. Sie schwätzt genau wie eine kleine Mundharfe, so jung ist sie.
Wo wohnt sie denn?
Das sage ich nicht. Denn dann wird es in der Gemeinde bekannt.
Wie ein Alexander stand ich vor ihm und war der Welt so sicher und verachtete sein armseliges Leben ein wenig. Als wir uns trennten, schenkte ich ihm die eine meiner wollenen Decken, weil sie so schwer zu tragen war; er erklärte sofort, daß sein Mädchen sie bekommen solle, damit sie eine warme Decke habe.
Und Alexander sagte: Wäre ich nicht ich, wollte ich du sein …
Als Falkenberg mit seiner Arbeit fertig war und wieder herauskam, hatte er so feine Gesten und eine so dänische Aussprache, daß ich ihn beinahe nicht verstand. Die Tochter des Hauses begleitete ihn. Wir sollten jetzt auf dem Nachbarhof anfragen, sagte er, dort sei gewiß auch ein Klavier, das nachgesehen werden müsse. Ja, leben Sie wohl, leben Sie wohl, mein Fräulein!
Sechs Kronen, Junge! flüsterte er mir zu. Auf dem Nachbarhof sechs, macht zwölf.
So gingen wir weiter, und ich trug unsere Bündel.
Falkenberg hatte richtig gerechnet, man wollte auf dem Nachbarhof nicht zurückstehen, das Klavier sollte gestimmt werden. Die Tochter des Hauses war auf einem Ausflug, aber die Arbeit sollte in ihrer Abwesenheit als eine kleine Überraschung für sie ausgeführt werden. Sie hatte sowieso schon oft über das verstimmte Klavier geklagt, auf dem es fast nicht mehr möglich war zu spielen. Ich wurde wieder mir selbst überlassen, Falkenberg hielt sich im Zimmer auf. Als es dunkel wurde, bekam er Licht und stimmte weiter. Sein Abendessen verzehrte er drinnen, nach der Mahlzeit kam er heraus und verlangte seine Pfeife.
Welche Pfeife?
Dummkopf! Die Faust!
Ungern gab ich meine kunstvolle Pfeife her, sie war gerade fertig geworden, war mit dem Nagel, dem goldenen Ring und einem langen Rohr versehen.
Daß der Nagel nicht zu heiß wird! flüsterte ich, er könnte sich vielleicht werfen.
Falkenberg zündete die Pfeife an, protzte damit und ging hinein. Aber er sorgte auch für mich gut und verlangte Essen und Kaffee für mich in der Küche.
Ich suchte mir einen Schlafplatz im Heu.
Nachts wachte ich auf, Falkenberg stand mitten in der Scheune vor mir und rief mich an. Es war Vollmond und klares Wetter, deutlich sah ich das Gesicht meines Kameraden.
Was ist los?
Da hast du deine Pfeife.
Die Pfeife?
Ja, nicht um alles in der Welt möchte ich sie länger behalten. Sieh her, der Nagel löst sich ab.
Ich nahm die Pfeife und sah, daß der Nagel sich aufgebogen hatte.
Falkenberg sagte:
Sie grinste mich gleichsam im Mondschein an. Und da fiel mir ein, woher der Nagel gekommen war.
Glücklicher Falkenberg …
Als wir am nächsten Morgen weitergehen wollten, war die Tochter des Hauses heimgekommen. Wir hörten sie einen Walzer auf dem Klavier hämmern, kurz danach kam sie heraus und sagte: Ja, das ist jetzt ein Unterschied! Vielen Dank.
Sind Sie zufrieden, mein Fräulein? fragte der Meister.
Ja. Das ist jetzt etwas ganz anderes.
Und wohin sollen wir jetzt gehen? Was würden Sie uns raten?
Nach Övrebö, zu Falkenbergs.
Zu wem?
Zu Falkenbergs. Sie folgen von hier aus der geraden Straße, und wenn Sie anderthalb Viertelmeilen weit gekommen sind, steht rechts ein Pfosten. Dort gehen Sie den Hang hinauf.
Da setzte sich Falkenberg einfach auf die Treppe hin und fragte das Fräulein kreuz und quer über Falkenbergs auf Övrebö aus. Nein, daß er hier auf seine Verwandten treffen und sozusagen heimkommen sollte! Vielen, vielen Dank, Fräulein. Das war ein großer Dienst, den Sie mir da geleistet haben.
Dann gingen wir wieder weiter, und ich trug die Bündel.
Als wir in den Wald gekommen waren, setzten wir uns hin und überlegten. War es ratsam, daß ein Falkenberg als Klavierstimmer zum Kapitän auf Övrebö kam und ein Verwandter von ihm war? Ich war am besorgtesten und machte auch Falkenberg unsicher. Aber es konnte ja auch luftig werden.
Hatte er denn nicht Zeugnisse bei sich, in denen sein Name stand?
Doch, aber zum Teufel, dort steht ja nur, daß ich ein brauchbarer Arbeiter bin.
Wir dachten nach, ob wir die Zeugnisse ein wenig fälschen könnten; aber es war vielleicht besser, ein ganz neues zu schreiben. Es konnte von einem Klavierstimmer von Gottes Gnaden handeln und auf den Namen Leopold statt Lars lauten. Das stand uns frei.
Kannst du so ein Zeugnis schreiben? fragte er.
Ja, das kann ich.
Jetzt aber begann meine arme, unbändige Phantasie mit mir durchzugehen und alles ins Scherzhafte zu treiben. Klavierstimmer, das war nichts, ich wollte ihn zum Mechaniker machen, zu einem Genie, das schwere Aufgaben gelöst hatte, er sollte eine Fabrik –
Ein Fabrikant braucht keine Zeugnisse, unterbrach mich Falkenberg und wollte nicht mehr auf mich hören. Nein, es war wohl überhaupt nichts zu machen.
Mißmutig und niedergeschlagen gingen wir weiter und kamen an den Pfahl.
Du gehst also nicht hinauf? sagte ich.
Geh du hinauf, antwortete Falkenberg hitzig. Da hast du deine Kleiderfetzen wieder.
Als wir jedoch an dem Pfosten vorbeigekommen waren, verlangsamte Falkenberg seine Schritte und murmelte:
Es wäre aber doch zu ärgerlich, wenn nichts daraus werden sollte. So eine gute Gelegenheit.
Ich finde doch, du solltest hinaufgehen und die Leute begrüßen. Es ist ja gar nicht unmöglich, daß du doch mit ihnen verwandt bist.
Schade, daß ich nicht erfahren konnte, ob er einen Neffen in Amerika hat.
Hättest du in diesem Fall Englisch sprechen können?
Schweig, sagte Falkenberg, halts Maul. Ich möchte wissen, warum du dich so aufspielst.
Er war nervös und zornig und begann auszuschreiten. Plötzlich blieb er stehen und sagte:
Ich tu es. Leih mir deine Pfeife wieder. Ich werde sie nicht anzünden.
Wir gingen die Anhöhe hinauf. Falkenberg tat groß, deutete mit der Pfeife umher und sprach sich über die Lage des Hofes aus. Es ärgerte mich ein wenig, daß er so hochmütig einherging und mich die Bündel tragen ließ. Ich sagte:
Willst du hier wieder den Klavierstimmer machen?
Ich dächte, ich hätte bewiesen, daß ich ein Klavier stimmen kann, erwiderte er kurz. Das also kann ich.
Aber wenn nun die Frau des Hauses sich ein wenig darauf versteht? Und wenn sie das Klavier hinterher nachprüft?
Falkenberg verstummte, ich sah, wie er überlegte. Nach und nach sank seine Brust zusammen, und er ging gebeugt weiter.
Es ist vielleicht doch nicht ratsam. Da, nimm deine Pfeife wieder, sagte er. Wir gehen hinauf und fragen recht und schlecht nach Arbeit.
Es traf sich, daß wir uns gleich bei unserem Kommen nützlich machen konnten. Eine neue Flaggstange sollte aufgerichtet werden und es waren nur wenige Leute da. Wir griffen zu und stellten die Stange mit Glanz auf. In allen Fenstern erschienen Frauengesichter.
Ist der Herr Kapitän zu Hause?
Nein.
Die gnädige Frau?
Frau Falkenberg kam heraus. Sie war blond und groß, freundlich wie ein junges Fohlen und beantwortete unseren Gruß mit sehr viel Liebenswürdigkeit.
Ob sie irgendeine Arbeit für uns habe?
Ich weiß nicht. Nein, ich glaube nicht. Mein Mann ist leider nicht zu Hause.
Ich hatte den Eindruck, daß es ihr schwer werde, nein zu sagen, und griff schon zur Mütze, um ihr nicht zur Last zu fallen. Falkenberg aber mußte ihr fremdartig vorgekommen sein, weil er so ordentlich gekleidet war und einen Träger bei sich hatte, neugierig sah sie ihn an und fragte:
Was für eine Arbeit?
Jede Art Arbeit im Freien, entgegnete Falkenberg, wir können Zäune machen und Gräben ziehen, auch mauern können wir –
Für solche Arbeit ist es heuer schon ein bißchen spät, sagte einer der Männer bei der Flaggstange.
Ja, das ist es allerdings, bestätigte auch Frau Falkenberg. Ich weiß nicht, – es ist jetzt Zeit zum Mittagessen, wollen Sie vielleicht hineingehen und etwas essen? Was wir eben haben.
Vergelt's Gott! antwortete Falkenberg.
Da aber ärgerte ich mich über seine Antwort, weil sie so ungebildet war, und weil er uns dadurch herabsetzte. Hier mußte ich eingreifen.
Mille grâces, Madame, vous êtes trop aimable! sagte ich in edler Betonung und nahm meine Mütze ab. –
Sie wandte sich um und sah mich einen Augenblick an. Ihr Erstaunen war komisch.
Wir wurden in die Küche gewiesen und bekamen eine ausgezeichnete Mahlzeit. Die gnädige Frau verließ uns. Als wir gegessen hatten und gehen wollten, erschien sie wieder; Falkenberg war jetzt wieder keck geworden und wollte ihre Freundlichkeit ausnützen, er bat, ihr Klavier stimmen zu dürfen.
Können Sie das auch? fragte sie und machte große Augen.
Ja, das kann ich. Ich habe auch auf den Nachbarhöfen gestimmt.
Aber ich habe einen Flügel. Ich möchte nicht gerne –
Die gnädige Frau kann ganz ruhig sein.
Haben Sie irgendwelche …?
Zeugnisse besitze ich nicht. Ich habe nie darum gebeten. Die gnädige Frau kann ja zuhören.
Nun, also bitte schön!
Sie ging voran, und er folgte ihr. Als sie hineingingen, konnte ich viele Bilder an den Wänden des Zimmers sehen.
In der Küche schwänzelten die Mädchen hin und her und beobachteten mich, den fremden Mann; eines der Mädchen war sehr schön. Ich saß da und freute mich darüber, daß ich mich heute rasiert hatte.
Zehn Minuten vergingen. Falkenberg hatte zu stimmen begonnen. Die gnädige Frau kam wieder in die Küche heraus und sagte:
Und Sie sprechen also Französisch. Da können Sie mehr als ich.
Gott sei Dank, zu Weiterem kam es also nicht. Ich hätte auch nicht mehr sagen können als Omelette, und Pardon, und sucht die Frau, und daß ich der Staat bin.
Ihr Kamerad hat mir seine Zeugnisse gezeigt, sagte Frau Falkenberg. Ihr scheint tüchtige Leute zu sein. Ich möchte fast meinem Mann telegraphieren und ihn fragen, ob wir nicht Arbeit für euch haben.
Ich wollte ihr danken, brachte aber kein Wort hervor, ich fing an zu schlucken.
Neurasthenie.
Dann trieb ich mich auf dem Hof und auf den Äckern umher, alles war gut gepflegt, und die Ernte war im Haus; sogar die Heinzen mit dem Kartoffelkraut, die an vielen Stellen noch draußen stehen bleiben, bis der Schnee kommt, waren schon eingefahren. Ich sah keine Arbeit für uns. Das waren gewiß reiche Leute.
Als es gegen Abend ging und Falkenberg immer noch den Flügel stimmte, nahm ich ein wenig von unserem Mundvorrat und entfernte mich vom Hof, um nicht zum Abendessen aufgefordert zu werden. Mond und Sterne standen am Himmel, aber mir behagte es, mich in den Wald hineinzutasten bis dorthin, wo er am dichtesten war, und mich im Finstern hinzusetzen. Dort war es auch am wärmsten. Welche Stille auf der Erde und in der Luft! Es war jetzt kühl geworden, der Boden bereifte sich, hier und dort hörte man einen spröden Laut in den Halmen, eine kleine Maus pfiff, eine Krähe strich über die Baumwipfel hin – dann schwieg wieder alles. Hast du je in deinem Leben schon einmal ein so helles Haar gesehen? Nein. Herrlich erschaffen von oben bis unten, der Mund ganz wundervoll und reif, und in ihrem Haar rieseln Glanzlichter. Wer doch ein Diadem aus seinem Wanderbündel nehmen und es ihr schenken könnte! Ich will eine blaßrosa Muschel suchen und einen Nagel daraus machen, dann überreiche ich ihr die Pfeife für ihren Mann, das tue ich …
Falkenberg begegnet mir draußen auf dem Hof und flüstert mir rasch zu:
Sie hat schon Antwort von ihrem Mann, wir können im Wald Bäume fällen. Bist du das gewöhnt?
Ja.
Dann geh in die Küche, sie fragt nach dir.
Ich ging hinein und Frau Falkenberg sagte:
Wo waren Sie? Bitte kommen Sie zum Essen. Sie haben schon gegessen? Wo?
Wir haben Mundvorrat bei uns.
Das wäre nicht nötig gewesen. Wollen Sie auch keinen Tee haben? Wirklich nicht? … Ich habe von meinem Mann schon Antwort bekommen. Können Sie Bäume fällen? Das ist schön. Sehen Sie hier: Brauchen zwei Holzfäller, Petter soll Arbeit anweisen …
Gott – sie stand dicht neben mir und deutete auf das Telegramm. Ihr Atem duftete wie der eines jungen Mädchens.
Im Walde. Petter, einer von den Knechten, hat uns den Weg gezeigt.
Als wir allein miteinander sprachen, war Falkenberg durchaus nicht so dankbar dafür, daß die gnädige Frau uns Arbeit verschafft hatte. Das ist nicht so dankenswert, sagte er, hier sind die Arbeiter anscheinend rar. Falkenberg war übrigens kein großartiger Holzfäller, ich hatte von anderen Orten in der Welt meine Erfahrungen und konnte zur Not hier die Arbeit leiten. Womit Falkenberg auch ganz einverstanden war.
Jetzt begann ich an einer Erfindung herumzubasteln.
Bei den gewöhnlichen Baumsägen müssen die Arbeiter schief auf dem Boden liegen und die Säge nach der Seite hinziehen. Das ist der Grund, weshalb man keine größere Tagesleistung erreicht, und weshalb immer so häßlich abgeschnittene Baumstümpfe in den Wäldern stehen. Mit einem konischen Auswechselungsapparat, der an der Wurzel des Baumes festgeschraubt würde, müßte es möglich sein, die Säge auf die gewöhnliche Art und Weise hin und her zu ziehen, und doch mit der Wirkung, daß das Blatt wagrecht schnitte. Ich begann die einzelnen Teile einer solchen Maschine zu zeichnen. Am meisten Kopfzerbrechen machte mir der leichte Druck, den das Blatt der Säge brauchte. Man konnte ihn vielleicht durch eine Feder erzeugen, die man wie eine Uhr aufzog, vielleicht aber auch durch ein Gewicht. Das Gewicht wäre am einfachsten gewesen, aber der Druck wäre dann immer der gleiche geblieben. Und je tiefer die Säge eindringen würde, desto schwerer und schwerer würde sie gehen und darum einen desto geringeren Druck erfordern. Eine Stahlfeder dagegen würde mit dem Eindringen des Schnittes immer lockerer werden und also stets mit der richtigen Kraft drücken. Ich entschloß mich für die Feder. Wahrhaftig, du wirst diesen Apparat zustande bringen! dachte ich. Und das wird die größte Tat deines Lebens sein.
Ein Tag verging wie der andere, wir fällten neunzöllige Stämme, entasteten sie und schälten sie ab. Die Verpflegung war reichlich und gut, wir nahmen kalten Mundvorrat und Kaffee mit in den Wald und bekamen abends, wenn wir heimkehrten, warmes Essen. Dann wuschen wir uns und machten uns schön, um besser auszusehen als die Knechte, und saßen in der Küche, wo eine große Lampe brannte und die drei Mädchen sich aufhielten.
Falkenberg wurde Emmas Schatz.
Dann und wann hören wir eine Welle des Wohllauts vom Flügel herüberdringen, dann und wann kommt die gnädige Frau in ihrer Mädchenhaftigkeit und mit ihrer beglückenden Freundlichkeit zu uns. Wie war es heute im Wald? konnte sie sagen; habt ihr den Bären gesehen? Eines Abends aber dankte sie Falkenberg für die gute Arbeit, die er am Flügel geleistet habe. Was – wirklich? Falkenbergs verwittertes Gesicht wurde von Freude verschönt, und ich war gleichsam stolz auf ihn, als er die bescheidene Antwort gab: Ja, ich fand selbst, daß es ein wenig besser wurde.
Entweder hatte ihn die Übung geschickter gemacht, oder die gnädige Frau war ihm dankbar dafür, daß er ihren Flügel nicht verdorben hatte.
Falkenberg zog jeden Abend meine guten Kleider an. Es wäre jetzt natürlich nicht mehr angegangen, sie zurückzunehmen und selbst zu tragen; jeder würde geglaubt haben, ich hätte sie nur von meinem Kameraden geborgt.
Du kannst die Kleider behalten, wenn ich Emma dafür bekomme, sagte ich im Scherz.
Ja, nimm sie, antwortete Falkenberg.
Es wurde mir klar, daß Falkenberg gegen sein Mädchen kühler geworden war. Ach, Falkenberg hatte sich verliebt, wie ich. Nein, was für Knaben waren wir doch!
Ob sie wohl heute abend auch wieder zu uns herauskommt? konnte Falkenberg im Wald sagen.
Und ich erwiderte:
Ich bin nur froh, daß der Kapitän so lange fort ist.
Ja, antwortete Falkenberg. Paß auf, wenn ich höre, daß er nicht gut gegen sie ist, dann setzt es aber was.
Dann geschah es einmal eines Abends, daß Falkenberg ein Volkslied sang. Und immer noch war ich stolz auf ihn. Die gnädige Frau kam heraus, er mußte sein Lied wiederholen und noch ein zweites singen. Seine schöne Stimme erfüllte die Küche, und Frau Falkenberg sagte erstaunt: Nein aber, – so etwas habe ich ja noch nie gehört!
Da fing mein Neid an.
Haben Sie singen gelernt? fragte sie. Kennen Sie die Noten?
Ja, antwortete Falkenberg, ich war in einem Verein.
Hier aber hätte er antworten sollen: Nein, leider habe er nichts gelernt, dachte ich.
Haben Sie schon einmal jemand vorgesungen? Hat Sie schon jemand gehört?
Ja, ich habe bisweilen bei den Tanzunterhaltungen gesungen und dann bei einer Hochzeit.
Aber hat Sie jemand gehört, der sich darauf verstand?
Nein, das weiß ich nicht. Doch, ich glaube schon.
Ach, singen Sie noch etwas!
Falkenberg sang.
Es wird noch so weit kommen, daß er eines Abends in die Stube darf, und daß ihn die gnädige Frau auf dem Flügel begleitet, denke ich. Ich sagte:
Verzeihung, kommt der Herr Kapitän nicht bald?
Doch? antwortete Frau Falkenberg fragend. Warum?
Es ist wegen der Arbeit.
Habt ihr schon alles gefällt, was angezeichnet ist?
Nein, das nicht, aber.. Nein, durchaus nicht, aber –
Nun –! sagte Frau Falkenberg und dabei kam ihr ein Gedanke. Ich weiß nicht – Wenn es sich um das Geld handelt …
Ich griff zu und antwortete:
Ja, vielen Dank.
Falkenberg sagte nichts.
Ja, liebe Leute, das müßt ihr nur sagen. Bitte schön! sagte sie und gab mir das Geld, das ich verlangt hatte. Und Sie?
Nichts. Vielen Dank, erwiderte Falkenberg.
Mein Gott, wie ungünstig ich nun wieder dastand, wie klein ich wurde! Und Falkenberg, dieser schändliche Kerl, der dasaß und so reich war und keinen Vorschuß brauchte! Noch heute abend werde ich ihm die Kleider vom Leibe reißen und ihn ganz nackt ausziehen!
Was natürlich doch nicht geschah.
Und die Tage vergingen.
Wenn sie heute abend wieder zu uns kommt, dann werde ich das Lied von der Mohnblume singen, sagte Falkenberg im Wald. Das habe ich bisher vergessen.
Hast du nicht auch Emma vergessen? fragte ich.
Emma? Ich will dir etwas sagen: du bist genau der gleiche wie früher.
Bin ich das?
Ja, innerlich. Du brächtest es fertig, Emma jederzeit vor den Augen der gnädigen Frau zu besitzen, ich aber könnte das nicht.
Du lügst, erwiderte ich erbittert. Du wirst mich niemals in eine Weibergeschichte verwickelt sehen, solange ich hier auf dem Hof bin.
Nein, auch ich werde des Nachts zu keinem Mädchen mehr gehen. Glaubst du, sie kommt heute abend zu uns heraus? Mir ist die Mohnblume erst heute eingefallen. Hör zu.
Falkenberg sang von der Mohnblume.
Du bist ja gut dran mit deinem Gesang, sagte ich; aber von uns wird sie doch keiner bekommen.
Sie bekommen! Hat man schon so einen Affen gesehen!
Oh, wenn ich jung und reich und schön wäre, könnte ich sie wohl bekommen, sagte ich.
Ja, dann. Da würde ich sie auch bekommen. Aber der Kapitän wäre ja auch noch da.
Ja, und dann wärst du noch da. Und dann wäre ich noch da. Und dann wäre sie und die ganze Welt noch da. Und dann könnten wir wahrhaftig alle beide unseren schamlosen Mund halten, sagte ich und war wütend auf mich selbst wegen meines kindischen Geschwätzes. Ist es möglich, daß zwei Holzfäller solch einen Unsinn schwätzen?
Wir wurden alle beide bleich und mager, und Falkenbergs kränkliches Gesicht bekam viele Runzeln; keiner von uns aß so wie früher. Um unseren Zustand voreinander zu verbergen, pfiff ich immer lustige Melodien vor mich hin, während Falkenberg bei jeder Mahlzeit verkündete, er esse zu viel und werde steif und faul davon.
Ihr eßt ja gar nichts, sagte Frau Falkenberg oft, wenn wir wieder zuviel von unserem Proviant mit heimbrachten. Was seid ihr doch für Holzfäller!
Falkenberg ißt so wenig, sagte ich.
He, oder der da, sagte Falkenberg, der ißt überhaupt nichts mehr.
Manchmal, wenn die gnädige Frau uns um einen Dienst, einen kleinen Gefallen bat, beeilten wir uns beide ihn auszuführen; schließlich trugen wir von selbst das Wasser in die Küche und füllten die Holzkiste auf. Einmal aber betrog mich Falkenberg und brachte Haselnußruten zum Teppichklopfen aus dem Wald mit heim, während doch die gnädige Frau ausdrücklich mich und keinen anderen gebeten hatte, ihr die Ruten abzuschneiden.
Und Falkenberg sang jeden Abend.
Da faßte ich den Plan, die gnädige Frau eifersüchtig zu machen. O je, mein lieber Mann, bist du verrückt oder bist du dumm – die gnädige Frau wird diesem Unternehmen nicht einen einzigen Gedanken widmen!
Aber trotzdem, ich wollte sie eifersüchtig machen.
Von den drei Mädchen konnte nur Emma zu diesem Experiment in Frage kommen, und ich fing an ihr schön zu tun.
Emma, ich weiß einen, der nach dir seufzt.
Woher weißt du das?
Von den Sternen.
Mir wäre lieber, du wüßtest es von einem hier auf der Erde.
Das weiß ich auch. Aus erster Hand.
Er spricht von sich selbst, sagte Falkenberg, aus Furcht hineingezogen zu werden.
Jawohl, ich spreche von mir selbst. Paratum cor meum.
Emma aber war unliebenswürdig und legte keinen Wert darauf, sich mit mir zu unterhalten, obwohl ich gewandter im Sprechen war als Falkenberg. Wie – sollte ich nicht einmal mit Emma fertig werden? Da wurde ich bis ins Innerste stolz und schweigsam und ging meine eigenen Wege, zeichnete an meiner Maschine und verfertigte kleine Modelle. Und wenn Falkenberg an den Abenden sang, und die gnädige Frau zuhörte, schlich ich mich in die Gesindestube zu den Knechten hinüber und hielt mich dort auf. Das war viel würdiger. Nur den einen Nachteil hatte es, daß Petter bettlägerig geworden war und den Lärm von Axt und Hammer nicht ertragen konnte; ich mußte deshalb jedesmal, wenn ich irgend etwas hämmern wollte, in den Schuppen hinausgehen.
Manchmal aber kam mir der Gedanke, die gnädige Frau könnte es vielleicht doch bedauern, wenn ich nicht mehr in der Küche war. So sah es in meinen Augen aus. Als wir eines Abends beim Essen saßen, sagte sie zu mir:
Ich hörte von den Knechten, daß Sie an einer Maschine arbeiten?
Es ist eine neue Art Säge, an der er herummacht, sagte Falkenberg. Aber sie wird zu schwer.
Darauf antwortete ich nichts, ich war schlau und zog es vor, zu leiden. War es nicht das Schicksal aller Erfinder, verkannt zu werden? Wartet nur, meine Zeit ist noch nicht gekommen. Mitunter konnte ich mich kaum zurückhalten, den Mädchen zu offenbaren, daß ich eigentlich besserer Leute Kind sei, daß mich aber die Liebe auf Irrwege geführt habe; jetzt suche ich Trost in der Flasche. Ach ja, ach ja, der Mensch denkt und Gott lenkt … Das hätte einmal der gnädigen Frau zu Ohren kommen können.
Ich glaube, ich will jetzt auch öfters an den Abenden in die Gesindestube kommen, sagte Falkenberg.
Und ich verstand gut, warum Falkenberg auf einmal zu uns herüberkommen wollte: er wurde, welchen Grund das nun auch haben mochte, nicht mehr so oft wie früher zum Singen aufgefordert.
Der Kapitän war heimgekehrt.
Eines Tages kam ein großer vollbärtiger Mann zu uns in den Wald und sagte:
Ich bin Kapitän Falkenberg. Wie geht es, Jungens?
Wir grüßten ehrerbietig und antworteten: Ja, danke, es ginge uns gut.
Eine Weile sprachen wir über das, was wir gefällt hatten und was noch zu tun übrig war; der Kapitän lobte uns, weil wir kurze und schöne Baumstümpfe zurückließen. Dann rechnete er aus, was wir am einzelnen Tag ausgerichtet hatten und sagte, dies sei die normale Leistung.
Der Herr Kapitän vergißt die Sonntage abzuziehen, warf ich ein.
Da haben Sie recht, antwortete er. Dann ist es mehr als das Normale. Ist nichts entzwei gegangen? Hält die Säge?
Ja.
Keiner hat sich verletzt?
Nein.
Eigentlich solltet ihr ja nicht von mir verköstigt werden, sagte er; aber da ihr das nun einmal vorgezogen habt, so müssen wir es bei der Abrechnung ausgleichen.
Wir werden mit der Entscheidung des Herrn Kapitäns zufrieden sein.
Ja, das werden wir, sagte auch Falkenberg.
Der Kapitän machte einen kleinen Bogen durch den Wald und kam wieder.
Besseres Wetter konntet ihr gar nicht bekommen, sagte er. Gar kein Schnee ist wegzuschaufeln.
Nein, kein Schnee. Aber etwas mehr Frost wäre wünschenswert.
Warum? Wird's euch zu heiß?
Ach ja, das auch. Aber hauptsächlich, weil gefrorenes Holz sich besser sägen läßt.
Seid ihr diese Arbeit schon von früher her gewohnt? Ja.
Sind Sie der Sänger?
Nein, leider. Der da ist es.
Soso, Sie singen also? Wir sind doch Namensvettern?
Ja, sozusagen, antwortete Falkenberg ein wenig befangen. Ich heiße Lars Falkenberg, wie Sie aus meinem Zeugnis sehen können.
Wo sind Sie her?
Aus der Gegend von Drontheim.
Der Kapitän ging nach Hause. Er war freundlich, kurz und bestimmt, kein Lächeln, kein Scherz. Er hatte ein gutes, ein wenig durchschnittliches Gesicht.
Von jetzt ab sang Falkenberg nur noch in der Gesindestube oder im Freien, das Singen in der Küche hatte des Kapitäns wegen ganz aufgehört. Falkenberg grämte sich und sprach finstere Worte: Pfui Teufel, das Leben sei ekelhaft, und man könne sich ebensogut eines Tages aufhängen. Aber seine Verzweiflung dauerte nicht lange. Eines Sonntags ging er auf die beiden Höfe, wo er die Klaviere gestimmt hatte, und bat um Zeugnisse. Als er zurückkam, zeigte er mir die Papiere und sagte:
Die kann man gut gebrauchen, um sich durchzufressen, wenn's einmal not tut.
Du willst dich also nicht mehr aufhängen?
Dazu hast du mehr Ursache als ich, erwiderte Falkenberg.
Aber auch ich war nicht mehr so verstimmt. Als der Kapitän etwas von meiner Maschine erfuhr, wünschte er sofort, mehr davon zu hören. Beim ersten Blick auf meine Entwürfe sah er, daß sie unvollkommen waren, da ich sie auf zu kleine Papierfetzen gezeichnet und nicht einmal einen Zirkel gehabt hatte; er lieh mir ein großes Reißzeug und lehrte mich einige Konstruktionsberechnungen. Auch der Kapitän fürchtete, meine Säge würde zu unhandlich werden. Aber machen Sie nur weiter, sagte er, zeichnen Sie jetzt alles nach einem bestimmten Maßstab auf, dann werden wir schon sehen.
Ich dachte mir jedoch, daß ein einigermaßen schön ausgeführtes Modell einen viel vollkommeneren Eindruck des Apparates geben würde. Und als ich mit der Zeichnung fertig war, begann ich ein Modell aus Holz herzustellen. Ich hatte keine Drehbank und mußte deshalb die beiden Walzen und mehrere Räder und Schrauben mit der Hand schnitzen. So beschäftigt war ich damit, daß ich am Sonntag die Mittagsglocke überhörte. Der Kapitän kam und rief mir zu: Es ist Mittagszeit! Als er sah, woran ich arbeitete, erbot er sich, noch morgen zum Schmied zu fahren und alles drehen zu lassen, was ich brauchte. Geben Sie mir nur die Maße an, sagte er. Brauchen Sie nicht auch noch Werkzeug? Schön, eine Spitzsäge, ein paar Bohrer, Schrauben, ein feines Stecheisen. Sonst nichts?
Er schrieb alles auf. Er war ein Arbeitgeber ohnegleichen.
Als ich am Abend gegessen hatte und mich in die Gesindestube hinüberbegab, rief mich die gnädige Frau. Sie stand unten im Hof im Schatten der Hauswand, trat aber dann ganz vor.
Es ist meinem Mann aufgefallen, daß – ja, daß Sie zu dünn gekleidet sind, sagte sie. Ich weiß nicht, ob – nehmen Sie dies hier!
Sie legte mir einen ganzen Anzug über den Arm.
Ich dankte, murmelte und stammelte etwas. Ich könne mir bald selbst einen Anzug kaufen, es habe keine Eile, ich brauche keinen –
Ja, ich weiß schon, daß Sie sich selbst etwas kaufen können, aber Ihr Kamerad hat so gute Kleider, und Sie … Doch, doch, nehmen Sie sie nur.
Sie floh sogleich wieder hinein, ganz wie ein junges Mädchen, das Angst hat, bei irgendeiner zu großen Freundlichkeit ertappt zu werden. Ich mußte ihr meinen Dank nachrufen.
Als der Kapitän am Abend darauf mit meinen Walzen und Rädern kam, ergriff ich die Gelegenheit, ihm für die Kleider zu danken.
Soso, antwortete er. Meine Frau glaubte nämlich … Passen sie Ihnen?
Ja, sie passen sehr gut.
Das ist schön. Ja, meine Frau glaubte … Nun, da sind also die Räder. Und hier ist das Werkzeug. Gute Nacht.
Es lag ihnen wohl beiden am Herzen, ihren Mitmenschen Gutes zu tun. Und wenn sie es dann getan hatten, dann schob es der eine auf den anderen. Dies war wohl die Ehe, von der die Träumer hier auf Erden träumten …
Der Wald ist entlaubt, und das Vogelgezwitscher schweigt, nur die Krähen krächzen gegen fünf Uhr morgens und verteilen sich dann auf die Äcker. Falkenberg und ich begegnen ihnen, wenn wir in den Wald gehen. Die Jungen, die noch nicht gelernt haben die Welt zu fürchten, hüpfen vor unseren Füßen auf dem Weg.
Dann begegnen wir dem Finken, dem Sperling des Waldes. Er kommt bereits von einem kleinen Ausflug aus dem Wald und kehrt nun zurück zu den Menschen, unter denen er sich gerne aufhält, um sie von allen Seiten kennenzulernen. Kleiner, seltsamer Fink! Eigentlich ist er ja wohl ein Zugvogel, aber seine Eltern haben ihn gelehrt, daß es möglich ist, auch im Norden zu überwintern; jetzt will er wieder seine Kinder lehren, daß man überhaupt nur im Norden überwintern kann. Aber er hat noch das Auswandererblut in sich, er wird immer ein Wanderer bleiben. Eines Tages nun werden er und alle die Seinen sich versammeln und viele Pfarrgemeinden weit fortziehen, zu ganz anderen Menschen, die er auch kennenlernen will, – dann ist kein einziger Fink mehr im Espenhain. Und eine ganze Woche kann vergehen, ehe sich wieder ein neuer Schwarm von diesen fliegenden Wesen im Espenhain niederläßt … Herrgott, wie oft habe ich den Finken zugesehen und mich über sie gefreut!
Eines Tages sagt Falkenberg, er sei jetzt wieder obenauf. Im Winter will er sich hundert Kronen von dem Geld, das er durch Holzfällen und Klavierstimmen verdienen könne, zurücklegen und sich wieder mit Emma versöhnen. Auch ich solle damit aufhören, die Damen der ersten Kreise anzuseufzen und solle wieder zu meinesgleichen zurückkehren, sagt er.
Er hatte recht.
Am Samstag abend hörten wir etwas früher auf wie gewöhnlich, um zum Landhändler zu gehen. Wir brauchten Hemden, Tabak und Wein.
Während ich im Laden stand, fiel mein Blick auf eine kleine, mit Muscheln ausgelegte Nähschatulle, eine jener Nähschatullen, wie sie die Seeleute in alten Zeiten in Amsterdam kauften und ihren Liebsten heimbrachten; jetzt stellen die Deutschen sie tausendweis her. Ich kaufte die Schatulle, um mir aus einer der Muscheln einen Nagel für meine Pfeife zu machen. Was willst du damit? fragte Falkenberg; willst du sie Emma geben? Seine Eifersucht erwachte, und um nicht zurückzustehen, kaufte er ein seidenes Tuch für sie.
Auf dem Heimweg tranken wir von dem Wein und kamen ins Schwätzen; Falkenberg war immer noch eifersüchtig. Da suchte ich mir die Muschel aus, die ich brauchte, brach sie aus und gab ihm das Kästchen. Nun waren wir wieder Freunde.
Allmählich wurde es dunkel für uns, wir hatten keinen Mondschein. Plötzlich hören wir aus einem Haus oben auf einem Hügel die Töne einer Ziehharmonika und sehen, daß dort getanzt wird. Das Licht kam und ging wie ein Leuchtfeuer. Da gehen wir jetzt hin, sagte Falkenberg.
Und wir waren in guter Stimmung.
Als wir zu dem Haus hinaufkamen, stießen wir auf ein paar junge Burschen und Mädchen, die draußen standen und sich abkühlten; auch Emma war dort.
Nein, so was, da ist ja auch Emma! rief Falkenberg gutmütig: und er war gar nicht ärgerlich darüber, daß Emma ohne ihn hingegangen war. Emma, komm her, ich habe etwas für dich.
Er glaubte, es sei mit einem guten Wort genug getan; aber Emma wandte sich von ihm ab und ging hinein. Als Falkenberg ihr folgen wollte, wurde ihm der Weg versperrt, und man bedeutete ihm, daß er hier nichts zu suchen habe.
Aber Emma ist doch da. Bittet sie, daß sie herauskommen soll.
Sie kommt nicht heraus. Emma ist mit Markus dem Schuhmacher hier.
Falkenberg war sehr betroffen. Nun war er so lange kalt gegen Emma gewesen, daß sie ihn aufgegeben hatte. Als er immer noch wie aus allen Wolken gefallen aussah, begannen ihn einige Mädchen zu verspotten: Haben dir die Hühner das Brot weggefressen? Du Armer!
Falkenberg setzte in Gegenwart aller die Flasche an die Lippen und trank, dann wischte er den Mund ab und gab sie an den Nebenmann weiter. Die Stimmung gegen uns besserte sich, wir waren nette Kerle, hatten Flaschen in unseren Taschen und ließen sie herumgehen; außerdem waren wir Fremde und brachten ein wenig Abwechslung mit. Und Falkenberg sagte viele lustige Dinge über Markus den Schuhmacher, den er beständig Lukas nannte.
Drinnen wurde weiter getanzt, aber keines der Mädchen ging hinein. Ich wette, daß auch Emma sich wieder zu uns herauswünscht, sagte Falkenberg großsprecherisch. Da seien nun Helene und Rönnaug und Sara, wenn die aus der Flasche getrunken hätten, gäben sie einem die Hand, wie es der Brauch sei; andere aber seien zu fein geworden und sagten nur: Schönen Dank! – Helene wurde Falkenbergs Mädchen, er nahm sie um den Leib und erklärte, daß er nachts zu ihr kommen wolle. Als die beiden sich immer weiter von uns zurückzogen, rief ihnen keiner deswegen nach; wir nahmen uns jeder ein Mädchen und gingen unsere eigenen Wege in den Wald hinein. Und ich hatte Sara.
Als wir wieder zurückkamen, stand Rönnaug noch da und kühlte sich ab. So ein Mädchen, sie hatte die ganze Zeit hier gestanden! Ich nahm sie bei der Hand und sprach ein wenig mit ihr, sie aber lächelte nur zu allem und antwortete nicht. Als wir auf den Wald zugingen, hörten wir Sara uns in die Dunkelheit nachrufen: Rönnaug, komm, wir wollen lieber heimgehen! Aber Rönnaug antwortete nicht, sie war so wortkarg. Sie war groß und still und hatte eine Haut wie Milch.
Der erste Schnee ist gefallen, er schmilzt zwar sofort wieder weg, aber der Winter ist wohl nicht mehr weit. Und mit unserer Waldarbeit beim Kapitän geht es zu Ende, zwei Wochen lang haben wir vielleicht noch zu tun, doch kaum länger. Was sollten wir dann unternehmen? Im Gebirge gab es Arbeit beim Eisenbahnbau, und vielleicht fand sich auch noch Holzfällerarbeit für uns auf einem Hof. Falkenberg war für die Eisenbahn.
Aber meine Maschine konnte in dieser kurzen Zeit nicht fertig werden. Jeder von uns hatte mit dem Seinen zu kämpfen. Außer der Maschine mußte ich auch den Nagel für meine Pfeife fertig machen, und die Abendstunden wollten fast zu kurz für mich werden. Und Falkenberg mußte mit Emma wieder zurechtkommen. Wie schwer war das und wie langsam ging es! Sie hatte sich an Markus Schuhmacher gehalten; jawohl; aber dafür hatte Falkenberg in einer stimmungsvollen Stunde Helene ein seidenes Tuch und ein mit Muscheln besetztes Kästchen geschenkt.
Falkenberg war in der Klemme und sagte:
Auf allen Seiten gibt es nur Ärger und Unverstand und Widerwärtigkeiten.
Und das sagst du?
Ja, so nenne ich es, wenn du's wissen willst. Ich bringe sie nicht dazu, mit ins Gebirge zu gehen.
Da hält sie wohl Markus Schuhmacher zurück?
Falkenberg schweigt finster.
Nicht einmal singen darf ich mehr, sagte er nach einer Weile.
Wir kamen auf den Kapitän und seine Frau zu sprechen. Falkenberg hat schlimme Ahnungen, es sei zwischen den beiden nicht alles in Ordnung.
So ein Schwätzer! Ich sage:
Entschuldige, darauf verstehst du dich doch wirklich nicht.
So? antwortete er erregt. Und er wurde immer aufgeregter und sagte: Hast du vielleicht gesehen, daß sie etwa bei jedem Schritt aneinander hängen und nett zueinander sind? Ich habe sie niemals ein Wort wechseln hören.
Dieser Idiot, dieser Schwätzer!
Ich verstehe nicht, wie du heute sägst, nörgle ich. Schau nur den Schnitt an, den du da gemacht hast.
Ich? Wir sind doch wohl zu zweit bei dieser Arbeit?
Gut, dann ist offenbar das Holz nicht mehr genug gefroren. Wir wollen lieber die Axt nehmen.
Lange Zeit hieben wir, ein jeder für sich, auf die Bäume ein, kurz und zornig, alle beide. Was hatte er doch zu lügen gewagt – daß sie niemals ein Wort zueinander sagten? Aber, mein Gott, er hatte ja recht! Falkenberg hatte eine gute Nase, er verstand sich auf die Menschen.
Auf jeden Fall sagen sie zu uns nur Gutes voneinander, fing ich wieder an.
Falkenberg hieb nur drauf los.
Ich dachte noch länger darüber nach.
Nein, du kannst recht haben, das ist vielleicht nicht die Ehe, von der die Träumer geträumt haben, aber – Das war nichts für Falkenberg, er verstand kein Wort davon.
In der Mittagspause nahm ich das Gespräch wieder auf:
Du sagtest doch, es sollte etwas setzen, wenn er nicht nett zu ihr sei?
Aber es hat nichts gesetzt?
Habe ich vielleicht gesagt, er sei nicht nett gegen sie? fragte Falkenberg erbittert. Aber sie haben sich satt, das haben sie. Wenn der eine hereinkommt, geht der andere hinaus. Wenn er in der Küche über irgend etwas spricht, werden ihre Augen ganz tot und gelangweilt, und sie hört nicht zu.
Eine Zeitlang schlagen wir wieder auf die Stämme ein und haben jeder unsere eigenen Gedanken.
Ich werde ihn doch noch verprügeln müssen, sagt Falkenberg.
Wen?
Den Lukas …
Ich machte die Pfeife fertig und ließ sie durch Emma dem Kapitän überbringen. Der Nagel war ganz natürlich geworden, und mit dem guten Werkzeug, das ich bekommen hatte, war es mir auch möglich gewesen, ihn in den Finger einzulassen und ihn an der Unterseite zu befestigen, ohne daß die beiden kleinen Kupfernägel zu sehen waren. Ich war zufrieden mit der Arbeit.
Als wir beim Abendessen saßen, kam der Kapitän mit der Pfeife in die Küche und bedankte sich bei mir. Gleichzeitig sah ich auch Falkenbergs Klugheit bekräftigt: kaum war der Kapitän herausgekommen, als seine Frau die Küche verließ.
Der Kapitän lobte mich wegen der Pfeife und fragte, wie ich den Nagel befestigt habe, er nannte mich einen Künstler und Meister. Die ganze Küche stand da und hörte zu. Und es hatte etwas zu bedeuten, wenn der Kapitän sagte, ich sei ein Meister. Ich glaube, in diesem Augenblick hätte ich Emma bekommen können.
In jener Nacht geschah es, daß ich das Gruseln lernte.
Die Leiche einer Frau kam zu mir herein, streckte ihre linke Hand vor und zeigte sie mir: am Daumen fehlte der Nagel. Ich schüttelte den Kopf, ich hätte einmal einen Nagel gehabt, hätte ihn aber weggeworfen und statt dessen eine Muschel genommen. Die Leiche blieb trotzdem stehen, und ich lag da und fror vor Furcht. Da stammelte ich, ich könne es leider nicht mehr ändern, sie solle in Gottes Namen ihres Weges gehen. Und Vater unser, der du bist im Himmel … Die Leiche kam auf mich zu, da hieb ich mit den Fäusten um mich und stieß einen eiskalten Schrei aus, gleichzeitig drückte ich Falkenberg platt an die Wand.
Was ist los? rief Falkenberg. In Jesu Namen –!
In Schweiß gebadet erwachte ich und schlug die Augen auf, ich lag da und sah mit offenen Augen die Leiche ganz langsam in der Dunkelheit des Zimmers verschwinden.
Die Leiche, stöhnte ich. Sie will ihren Nagel wieder haben. Falkenberg richtete sich steil vom Lager auf, hellwach, auch er.
Ich sah sie, sagte er.
Du auch? Sahst du den Finger! Uff!
Ich möchte nicht um viel Geld in deiner Haut stecken.
Laß mich an der Wand liegen! bat ich.
Wo soll dann ich liegen?
Für dich ist es nicht gefährlich, du kannst ruhig vorne liegen.
Damit sie mich zuerst nimmt? Nein, danke. Und Falkenberg legte sich wieder hin und zog sich die Decke über die Augen.
Einen Augenblick erwog ich, ob ich hinuntergehen und mich zu Petter legen sollte; er war schon auf dem Weg zur Besserung und würde mich mit seiner Krankheit wohl nicht mehr anstecken. Aber ich getraute mich nicht über die Treppe hinunterzusteigen.
Ich hatte eine schlimme Nacht.
Am nächsten Morgen suchte ich überall nach dem Nagel und fand ihn unter Sägemehl und Hobelspänen auf dem Boden. Auf dem Weg zum Wald begrub ich ihn.
Es fragt sich erst noch, ob du den Nagel nicht wieder dorthin bringen mußt, wo du ihn hergenommen hast, sagte Falkenberg.
Es ist so weit, eine ganze Reise …
Wenn du nur nicht gemahnt wirst, bis du es tust. Sie will vielleicht nicht hier einen Finger haben und dort einen Nagel.
Aber ich war wieder ganz frech geworden. Das Tageslicht machte mich waghalsig, ich lachte über Falkenbergs Aberglauben und sagte, sein Standpunkt sei von der Wissenschaft aufgegeben worden.
Eines Abends kamen Fremde auf den Hof, und da Petter immer noch schlecht daran war, und der andere Knecht noch ganz jung, mußte ich die Pferde versorgen. Aus dem Wagen stieg eine Dame. Sind die Herrschaften zu Hause? fragte sie. Als das Wagengerassel vernehmbar wurde, zeigten sich Gesichter an den Fenstern, Lampen wurden in Gang und Zimmern angezündet, die gnädige Frau kam heraus und rief: Bist du es, Elisabet? Ich habe dich schon lange erwartet. Willkommen.
Es war Fräulein Elisabet vom Pfarrhof.
Ist der hier? fragte sie überrascht.
Wer?
Sie meinte mich. Sie hatte mich wiedererkannt …
Am Tag darauf kamen die beiden jungen Damen zu uns in den Wald. Anfangs hatte ich Angst, das Gerücht von einem gewissen Ritt auf fremden Pferden sei bis zum Pfarrhof gedrungen, als ich aber nichts davon hörte, beruhigte ich mich wieder.
Mit der Wasserleitung geht es gut, sagte Fräulein Elisabet.
Das ließ sich hören.
Mit der Wasserleitung? fragte die gnädige Frau.
Er hat uns eine Wasserleitung gelegt. Bis in die Küche, und in den ersten Stock hinauf. Wir drehen bloß einen Hahn auf. So etwas solltest du auch haben.
So. Wäre das auch bei uns möglich?
Ich antwortete: Ja, das wäre wohl möglich.
Warum haben Sie es denn meinem Mann nicht vorgeschlagen?
Ich habe es ihm schon gesagt. Er wollte deswegen mit Ihnen sprechen.
Eine peinliche Pause. Nicht einmal diese Sache, die doch vor allem die gnädige Frau anging, hatte er mit ihr besprochen.
Um nur etwas zu sagen, fuhr ich rasch fort:
Für heuer ist es ja auf jeden Fall zu spät. Der Winter würde uns überraschen, ehe wir fertig wären. Aber im Frühjahr dann.
Frau Falkenberg kam mit ihren Gedanken gleichsam von weit her zurück.
Ich erinnere mich jetzt übrigens, daß er einmal mit mir darüber gesprochen hat, sagte sie. Daß wir es uns überlegten. Aber es war zu spät für dieses Jahr … Du, Elisabet, ist es nicht ganz lustig, so beim Holzfällen zuzusehen?
Wir benutzten manchmal ein Tau, um den Baum im Fallen zu lenken, Falkenberg hatte nun eben dieses Tau hoch oben an einem Baum befestigt, der unter ihm schwankte.
Warum machen Sie das?
Damit der Baum den richtigen Weg nimmt … begann ich zu erklären.
Die gnädige Frau aber wollte mich nicht mehr anhören, sie wiederholte ihre Frage an Falkenberg gewandt und sagte:
Ist es denn nicht gleich, wohin er fällt?
Da mußte Falkenberg antworten:
O nein, wir müssen ihn schon lenken, damit er dort, wo er hinfällt, nicht zuviel Jungwald umbricht.
Hast du gehört? sagte Frau Falkenberg zu ihrer Freundin, hast du seine Stimme gehört? Das ist der Sänger.
Wie ärgerte ich mich, weil ich so viel geredet und ihren Wunsch nicht bemerkt hatte! Ich wollte ihr zeigen, daß ich ihre Zurechtweisung verstand. Und übrigens war ich ja in Fräulein Elisabet und in keine andere verliebt; die war nicht launisch, und sie war ebenso schön wie die andere, ja tausendmal schöner. Ich wollte mich als Knecht bei ihrem Vater verdingen … Nun machte ich es mir zur Regel, so oft die gnädige Frau mich ansprach, erst zu Falkenberg und dann zu ihr hinzusehen und mit meiner Antwort zu warten, als fürchte ich, es sei nicht an mir zu antworten. Ich glaube, mein Betragen war ihr ein wenig schmerzlich, und sie sagte einmal mit einem kleinlauten Lächeln: Doch doch, ich habe schon Sie gefragt.
Dieses Lächeln und diese Worte … Eine Freude durchwirbelte mein Herz, ich begann mit der ganzen Kraft, die ich mir durch die Übung angeeignet hatte, meine Axt zu schwingen und hieb tiefe Kerben in die Bäume. Und die Arbeit ging wie ein Spiel. Und hie und da hörte ich, wovon gesprochen wurde.
Heute abend werde ich ihnen etwas vorsingen, sagte Falkenberg, als wir allein waren.
Der Abend kam.
Ich stand draußen auf dem Hofplatz und sprach einen Augenblick mit dem Kapitän. Wir hatten noch für drei, vier Tage Arbeit im Wald.
Wo werdet ihr dann hinreisen?
Zum Eisenbahnbau.
Vielleicht habe ich hier für euch Verwendung, sagte der Kapitän. Ich will den Weg, der den Hof mit der Landstraße verbindet, verlegen, er ist zu steil, kommen Sie, ich will es Ihnen zeigen.
Er führte mich auf die Südseite des Hauptgebäudes und begann zu deuten, obwohl es schon etwas zu dunkel war.
Und wenn dann der Weg fertig ist und sonst noch verschiedenes, dann ist wohl der Frühling da, sagte er. Dann kommt die Wasserleitung dran. Übrigens ist ja auch Petter krank; das kann so nicht weitergehen, ich muß mir eine Hilfe nehmen.
Plötzlich hören wir Falkenberg singen. Im Zimmer brannte Licht, Falkenberg war drinnen und jemand begleitete ihn am Flügel. Der Wohllaut dieser ungewöhnlichen Stimme flutete zu uns heraus, unwillkürlich erbebte ich.
Der Kapitän stutzte und sah zu den Fenstern auf.
Aber – sagte er plötzlich, es ist wohl am besten, wir warten auch mit dem Weg bis zum Frühjahr. Wie lange, sagten Sie, haben Sie noch im Wald zu arbeiten?
An die drei, vier Tage.
Gut, dann sagen wir also drei, vier Tage, und machen für heuer ein Ende.
Das ist ein merkwürdig rascher Entschluß, dachte ich.
Ich antwortete:
Den Weg könnte man aber im Winter ebensogut bauen, in mancher Beziehung wäre es sogar besser. Es müssen Steine gesprengt werden, Kies muß angefahren werden –
Ja, das weiß ich schon, aber … Nein, nun muß ich hineingehen und zuhören.
Der Kapitän ging hinein.
Ich dachte: Das tut er nun gewiß nur aus Höflichkeit, er will sich nicht absondern, wenn Falkenberg im Zimmer ist. In Wirklichkeit aber hätte er sich lieber mit mir unterhalten.
Wie eingebildet war ich, und wie irrte ich mich!
Ich hatte nun die meisten Teile meiner Säge fertig und konnte sie zusammensetzen und ausprobieren. Bei der Scheunenbrücke stand noch der Stumpf einer vom Wind umgebrochenen Espe. Ich befestigte den Apparat an diesem Stumpf und überzeugte mich sofort, daß die Säge schnitt. Nun also, schweigt stille, Ihr Kleinen, die Aufgabe ist gelöst! Als Sägeblatt hatte ich mir ein Ungeheuer von einer Zimmermannssäge gekauft, die ich dann am ganzen Rücken mit Zähnen versah; diese Zähne griffen während des Sägens in ein kleines Zahnrad ein, das wegen der Reibung angebracht war und von der Feder vorgedrückt wurde. Die Druckfeder hatte ich ursprünglich aus einer breiten Korsettschiene hergestellt, die ich von Emma bekommen hatte; es zeigte sich aber bei den Proben, daß sie zu schwach war, so spannte ich mir eine neue Feder aus einem Sägeblatt, das nur sechs Millimeter breit war, und an dem ich zuvor die Zähne abgeschliffen hatte. Diese neue Feder aber drückte zu stark. Da mußte ich mir helfen, so gut es eben ging, ich zog die Feder nur halb auf und spannte sie, wenn sie abgelaufen war, immer wieder nur zur Hälfte.
Leider waren meine theoretischen Kenntnisse ungenügend. Ich mußte allerlei Versuche anstellen, und das hinderte mich sehr in meiner Arbeit. Auf diese Weise hatte ich auch die konische Auswechslung, die zu schwerfällig arbeitete, vollständig verwerfen und den ganzen Apparat nach einem einfacheren System umbauen müssen.
Es war ein Sonntag, als ich meine Maschine an dem Espenstumpf befestigte; das neue, weiße Holzwerk und das schimmernde Sägeblatt blinkten in der Sonne. Bald zeigten sich Gesichter in den Fenstern, und der Kapitän kam heraus. Er antwortete nicht einmal, als ich grüßte, so starr sah er schon im Näherkommen auf die Maschine.
Nun, wie macht es sich?
Ich ließ die Säge arbeiten.
Sieh, sieh, wahrhaftig –!
Die gnädige Frau und Fräulein Elisabet kamen heraus, alle Mädchen kamen heraus, Falkenberg kam heraus. Und ich ließ die Säge arbeiten. Nun also, schweigt jetzt nur stille, Ihr Kleinen alle!
Der Kapitän sagte:
Dauert es nicht zu lange, bis man diesen Apparat jeweils am Baum befestigt hat?
Man wird durch ein weit leichteres Arbeiten etwas von der Zeit wieder einholen. Hier wird man niemals ausschnaufen müssen.
Warum nicht?
Weil der Druck gegen die Seite von einer Feder besorgt wird. Dieser Druck gerade ermüdet am meisten.
Und die übrige Zeit?
Ich habe vor, die ganze Schraube wegzulassen und an ihrer Stelle eine Zwinge zu setzen, die durch ein paar Schläge mit dem Rücken der Axt befestigt werden kann. Die Zwinge hat eine Reihe von Haken und kann an Bäumen der verschiedensten Stärke angebracht werden.
Ich zeigte ihm den Aufriß einer solchen Zwinge, die ich bisher noch nicht hatte fertig machen können.
Der Kapitän setzte eigenhändig die Säge in Gang und prüfte, wieviel Kraft sie erforderte. Er sagte:
Es fragt sich, ob es nicht zu schwer wird, eine Säge zu ziehen, die eine gewöhnliche Baumsäge in der Breite um mehr als das Doppelte übertrifft.
Freilich, sagte Falkenberg. Das kann man sich ja denken.
Alle sahen Falkenberg und dann mich an. Jetzt mußte ich reden.
Ein einzelner Mann kann einen vollgeladenen Güterwagen auf den Schienen bewegen, antwortete ich. Hier aber ziehen zwei Männer eine Säge auf zwei Rollen hin und her, die wiederum auf geölten Stahlachsen laufen. Diese Säge wird bedeutend leichter zu ziehen sein als die alte, zur Not kann sie auch von einem Einzelnen gehandhabt werden.
Das halte ich für beinahe unmöglich.
Wir werden sehen.
Fräulein Elisabet fragte halb im Scherz:
Aber sagen Sie nun mir, die ich nichts davon verstehe, warum ist es nicht am besten, die Bäume quer abzusägen wie in früheren Zeiten?
Er möchte den Seitendruck beim Sägen aufheben, erklärte der Kapitän. Diese Säge, die horizontal schneidet, braucht nicht anders gehandhabt zu werden, wie eine senkrecht schneidende Säge. Stellen Sie sich doch vor: Sie drücken nach unten, und es wirkt nach der Seite hin. Sagen Sie, wandte er sich an mich, glauben Sie nicht, daß man das Sägeblatt an den Enden zu sehr hinunter biegt und dadurch den Schnitt konvex macht?
Das verhindern erstens diese beiden Rollen, auf denen die Säge liegt.
Das hilft ein wenig, ja. Und zweitens?
Zweitens ist es unmöglich, mit diesem Apparat einen konvexen Schnitt zu machen, selbst wenn man wollte. Das Sägeblatt hat nämlich einen T-förmigen Rücken, der es tatsächlich unbiegsam macht.
Ich glaube, der Kapitän erhob einige seiner Einwände wider besseres Wissen. Er hätte sie mit seinen Kenntnissen selbst besser beantworten können als ich. Dagegen übersah er andere Dinge, die mir jedoch Sorge bereiteten. Eine Maschine, die im Wald herumgeschleppt werden sollte, durfte keine empfindliche Vorrichtung sein. So fürchtete ich zum Beispiel, die beiden Stahlachsen könnten einen Stoß erhalten und entweder abspringen oder so verbogen werden, daß die Rollen nicht mehr gleiten würden. Ich mußte versuchen, ohne die Stahlachsen auszukommen, und die Rollen unter dem Rücken der Säge anbringen. Ich war noch keineswegs fertig mit meiner Maschine …
Der Kapitän ging zu Falkenberg und sagte:
Sie haben wohl nichts dagegen, unsere Damen morgen zu fahren? Es ist zwar ziemlich weit, aber Petter ist noch krank.
Nein, da habe ich wahrhaftig nichts dagegen.
Fräulein Elisabet will wieder heim, sagte der Kapitän, als er ging. Ihr müßt um sechs Uhr aufbrechen.
Falkenberg war sehr vergnügt und froh über das Vertrauen, das man ihm zeigte, und scherzend sagte er mir nach, ich gönne es ihm nicht. In Wirklichkeit war ich keineswegs neidisch. Vielleicht war es mir einen Augenblick ein wenig schmerzlich, daß mein Kamerad mir vorgezogen wurde, aber unleugbar war ich doch lieber mit mir allein im Wald und in der Stille, als daß ich auf einem Kutschbock saß und fror.
Falkenberg war strahlender Laune und sagte:
Du wirst ganz gelb vor Neid, du solltest etwas dagegen einnehmen, ein wenig amerikanisches Öl.
Den ganzen Vormittag verbrachte er mit den Vorbereitungen für die Fahrt, wusch den Wagen, schmierte die Radachsen und sah das Geschirr nach. Und ich half ihm.
Am Ende kannst du nicht einmal ein Zweigespann lenken, sagte ich, um ihn zu necken. Aber ich will dich noch, ehe du morgen fährst, das Wichtigste lehren.
Es ist ein Jammer, daß du so viel ausstehen mußt, nur um die zehn Öre für amerikanisches Öl zu sparen, sagte er.
In Wahrheit war aber alles nur Scherz und Heiterkeit.
Am Abend kam der Kapitän und sagte zu mir:
Ich hätte es Ihnen gerne erspart und hätte lieber Ihren Kameraden mit den Damen geschickt, aber Fräulein Elisabet will Sie haben.
Mich?
Weil Sie alte Bekannte seien.
Nun, mein Kamerad ist auch nicht gerade gefährlich.
Haben Sie etwas dagegen?
Nein.
Gut, dann bleibt es also bei Ihnen.
Sofort dachte ich: Hoho, also ziehen die Damen doch mich vor, weil ich ein Erfinder und ein Sägebesitzer bin, und wenn ich mich schön mache, dann sehe ich gut aus, ganz brillant.
Falkenberg aber hatte vom Kapitän eine Erklärung bekommen, die meine Eitelkeit mit einem Schlag schwer verletzte: Fräulein Elisabet solle mich noch einmal auf den Pfarrhof bringen, damit der Vater einen neuen Versuch machen könne, mich als Knecht zu bekommen. Das sei zwischen ihr und dem Pfarrer so verabredet worden.
Ich dachte immer wieder über diese Erklärung nach.
Wenn du dich aber auf dem Pfarrhof verdingst, dann wird es nichts mit unserer Arbeit bei der Eisenbahn, sagte Falkenberg.
Ich antwortete:
Ich verdinge mich nicht.
Im geschlossenen Wagen fuhr ich die beiden Damen in den frühen Morgen hinaus. Zu Anfang war es ziemlich kalt, meine wollene Decke kam mir nun gut zustatten und abwechselnd legte ich sie über die Knie oder als Schal um die Schultern.
Ich fuhr den Weg, den ich mit Falkenberg hierhergewandert war und erkannte einen Platz nach dem anderen wieder: hier stimmte Falkenberg ein Klavier, dort hatten wir eine Wildgans vernommen … Die Sonne ging auf, es wurde warm, die Stunden verstrichen; bei einer Wegkreuzung klopften die Damen ans Wagenfenster und sagten, es sei Mittag. Durch einen Blick nach der Sonne überzeugte ich mich, daß es für die Damen noch zu früh zum Essen war, wogegen es für mich, der mit Falkenberg um zwölf Uhr zu essen pflegte, sehr gut gepaßt hätte. Ich fuhr also weiter.
Können Sie denn nicht halten! riefen die Damen.
Sie pflegen doch um drei Uhr zu essen … Ich glaubte …
Aber wir sind hungrig.
Ich fuhr mit dem Wagen auf die Seite und spannte die Pferde aus, fütterte sie und brachte ihnen Wasser. Hatten denn diese merkwürdigen Frauen ihre Essenszeit nach mir gerichtet?
Bitte schön! wurde gerufen.
Da ich mich nicht gut den anderen beigesellen konnte, blieb ich bei den Pferden stehen.
Nun? sagte die gnädige Frau.
Möchten Sie so freundlich sein und mir etwas geben, bat ich.
Alle beide reichten mir zu essen und glaubten, daß ich nicht genug bekäme; ich öffnete die Bierflaschen und erhielt auch hiervon meinen reichlichen Teil, es war ein Fest auf der Landstraße, ein kleines Abenteuer in meinem Leben. Frau Falkenberg aber wagte ich fast nicht anzusehen, damit sie sich nicht verletzt fühlen sollte.
Sie plauderten und scherzten miteinander und zogen aus Freundlichkeit auch mich ins Gespräch. Fräulein Elisabet sagte:
Ich finde es furchtbar nett im Freien zu essen. Sie nicht auch?
Sie sagte jetzt nicht Du, wie sie das früher getan hatte.
Das ist für ihn wohl nicht so neu, meinte die gnädige Frau. Er ißt ja jeden Tag im Walde.
O diese Stimme, diese Augen, dieser frauenhafte, zärtliche Ausdruck der Hand, die mir das Glas entgegenhielt … Ich hätte wohl auch etwas zu sagen gewußt, hätte mitsprechen, irgend etwas aus der weiten Welt erzählen und sie unterhalten können; ich hätte die Damen verbessern können, wenn sie allen möglichen Unsinn schwätzten und nicht wußten, wie man auf Kamelen reitet oder wie man Wein erntet …
Ich beeilte mich beim Essen und entfernte mich dann, nahm den Eimer und holte mehr Wasser für die Pferde, obwohl es unnötig war. Beim Bach setzte ich mich hin.
Nach einer Weile rief Frau Falkenberg nach mir:
Sie müssen zu den Pferden kommen, wir wollen ein bißchen fortgehen und sehen, ob wir Hopfen oder etwas Ähnliches finden.
Als ich aber bis zum Wagen gekommen war, waren sie sich darüber einig geworden, daß der Hopfen die Blätter verloren hatte und daß hier keine Vogelbeeren und kein buntes Laub zu finden seien.
In diesem Wald gibt es gar nichts, sagte das Fräulein. Und sie stellte mir wieder eine direkte Frage: Sagen Sie, auf Övrebö haben Sie doch keinen Kirchhof, in dem Sie herumwandern könnten?
Nein!
Können Sie es ohne einen solchen aushalten? Dann erklärte sie Frau Falkenberg, daß ich ein seltsamer Mann sei, der nachts auf die Friedhöfe ginge und mit den Toten Zusammenkünfte habe. Dort erfände ich meine Maschinen.
Um etwas zu sagen, fragte ich nach Jung-Erik. Er wurde damals verletzt und spuckte Blut …
Ja, er erholt sich, antwortete Fräulein Elisabet kurz. Wollen wir nicht bald wieder weiter, Louise?
Ja, können wir schon fahren?
Sobald Sie es wünschen, erwiderte ich.
So fuhren wir weiter.
Die Stunden vergehen, die Sonne sinkt tiefer, es wird wieder kühl, die Luft ist rauh; später kommen Wind und Nässe, halb Regen, halb Schnee. Wir fuhren an der Annexkirche, an ein paar Landhändlern vorbei, Hof auf Hof ließen wir hinter uns.
Da klopfte es an das Wagenfenster.
Hier ritten Sie doch eines nachts auf fremden Pferden? fragte das Fräulein und lachte. Wir haben schon davon gehört, das können Sie sich denken.
Beide Damen belustigten sich darüber.
Mir fiel die Antwort ein:
Und trotzdem möchte mich Ihr Vater als Knecht haben, ist es nicht so?
Doch.
Weil wir nun gerade davon sprechen – woher wußte Ihr Vater, daß ich bei Kapitän Falkenberg arbeitete? Sie selbst waren doch erstaunt, mich dort zu sehen?
Nach rascher Überlegung erwiderte sie und sah Frau Falkenberg dabei an:
Ich habe es heimgeschrieben.
Die gnädige Frau schlug die Augen nieder.
Ich hatte den Eindruck, daß das junge Mädchen schwindelte. Aber sie gab eine ausgezeichnete Antwort und stopfte mir damit den Mund. Es war nicht undenkbar, daß sie in einem Brief an die Eltern ungefähr so geschrieben hatte: Und wißt Ihr, wen ich hier getroffen habe? Den gleichen Mann, der bei uns auf dem Pfarrhof die Wasserleitung gelegt hat, jetzt fällt er bei Falkenbergs Bäume …
Als wir aber auf dem Pfarrhof ankamen, war schon ein neuer Knecht eingestellt und bereits seit drei Wochen im Dienst. Er versorgte unsere Pferde.
Da dachte ich immer und immer wieder: warum hatte sie nun mich zum Kutscher gewählt? Vielleicht nur als kleine Entschädigung dafür, daß Falkenberg im Zimmer hatte singen dürfen. Aber verstanden denn diese Menschen nicht, daß ich ein Mann war, der in kurzer Zeit seine Erfindung fertig haben und gar keine Wohltaten mehr brauchen würde!
Gelangweilt und mit saurer Miene ging ich umher, aß in der Küche, wurde von Oline wegen der Wasserleitung gelobt, pflegte meine Pferde. Als es dunkel war, ging ich mit meiner Decke zur Scheune …
Ich erwachte davon, daß jemand an mir herumtastete.
Hier darfst du doch nicht liegen bleiben, das mußt du doch einsehen, du erfrierst ja, sagte die Pfarrersfrau. Komm, ich will dich führen.
Eine Weile verhandelten wir darüber, ich wollte nicht fort und brachte auch sie soweit, daß sie sich setzte. Sie war wie eine Flamme, nein, eine Tochter der Natur. In ihrem Inneren spielte noch ein hinreißender Walzer.
Am nächsten Morgen stand es besser um meine Laune, ich war abgekühlt und verständig, ich entsagte. Nur hätte ich mich besser auf meinen Vorteil verstehen und niemals diesen Ort verlassen sollen. Ich hätte hier Knecht werden können und der erste unter meinesgleichen sein. Ja, und hätte mich gründlich in ein stilles Landleben verwurzeln können.
Frau Falkenberg stand im Hof. Diese helle Frau war wie eine Säule, rank und frei und ohne Hut stand sie auf dem weiten Hofplatz.
Ich wünschte guten Morgen.
Guten Morgen! antwortete sie und kam auf mich zugeschritten. Ganz leise sagte sie: Ich hätte gerne nachgesehen, wie man sie gestern abend untergebracht hatte, aber ich kam nicht los. Doch, natürlich kam ich los, aber … Sie lagen doch nicht auf dem Heu?
Die letzten Worte hörte ich wie im Traum, und ich konnte nicht antworten.
Warum sagen Sie nichts?
Doch, ob ich auf dem Heu schlief? Ja.
Wirklich? Ging es denn?
Ja.
Soso. Ja ja. Wir werden heute wieder heimfahren.
Sie drehte sich um und verließ mich mit einem Gesicht, das über und über von Röte übergossen war …
Harald kam und bat mich, ihm einen Drachen zu machen.
Ja, ich will dir einen Drachen machen, antwortete ich in meiner Verwirrung, einen riesigen Drachen, der bis zu den Wolken hinauffliegen soll. Ja, das werde ich tun.
Harald und ich arbeiteten ein paar Stunden lang, er war so lieb und unschuldig in seinem Eifer, und ich für meinen Teil dachte an alles andere, nur nicht an diesen Drachen. Wir knüpften einen viele Meter langen Schweif und klebten und schnürten unser Werk mit Bindfaden zusammen. Fräulein Elisabet kam zweimal heraus und sah uns zu. Vielleicht war sie ebenso süß und niedlich wie früher, aber es kümmerte mich nicht mehr, was sie war, und ich dachte nicht an sie.
Dann ließ man mir sagen, ich solle anspannen. Ich hätte diesem Befehl sofort gehorchen sollen, denn der Heimweg war lang, statt dessen aber sandte ich Harald hinein und ließ bitten, noch eine halbe Stunde warten zu dürfen. Und wir arbeiteten weiter, bis der Drachen fertig war. Morgen, wenn der Kleister trocken war, konnte Harald den Drachen fliegen lassen und ihm mit den Augen folgen und in seinem Gemüt eine ungekannte Erregung verspüren, so wie jetzt ich.
Es ist angespannt.
Frau Falkenberg kommt heraus; die ganze Pfarrersfamilie begleitet sie.
Der Pfarrer und seine Frau erkennen mich beide wieder, beantworten meinen Gruß und sagen einige Worte. Aber ich höre nichts davon, daß ich Knecht bei ihnen werden solle. Und die blauäugige Pfarrersfrau steht da, sieht mich mit ihrem listigen Seitenblick an, als erkenne sie mich wieder, obwohl sie mich schon gestern abend auch gekannt hatte.
Fräulein Elisabet bringt den Eßvorrat und hüllt ihre Freundin ein.
Willst du wirklich nichts mehr zum Zudecken haben? fragt sie zum letztenmal.
Nein, danke, das ist vollkommen genug. Lebt wohl, lebt wohl.
Seien Sie nun heute ein ebenso guter Kutscher wie gestern, sagt Fräulein Elisabet und nickt auch mir zu.
Wir fahren los.
Der Tag war kalt und rauh, und ich sah sofort, daß die gnädige Frau mit ihrer Decke nicht genügend geschützt war.
Wir fahren Stunde auf Stunde, die Pferde fühlen, daß sie auf dem Heimweg sind und traben unaufgefordert, und da ich keine Fäustlinge habe, werden meine Hände ganz steif um die Zügel. Als wir an einer Hütte vorbeikamen, klopfte die gnädige Frau an die Scheibe, es sei Mittag. Und ganz bleich vor Kälte steigt sie aus.
Wir wollen zu dieser Hütte hinaufgehen und dort essen, sagte sie. Kommen Sie nach, wenn Sie fertig sind, und bringen Sie den Korb mit.
Damit ging sie die Anhöhe hinauf.
Sie will wohl wegen der Kälte in dieser Hütte essen, denke ich; denn sie wird doch wohl keine Angst vor mir haben … Ich binde die Pferde an und füttere sie; da es nach Regen aussieht, lege ich ihnen die Öldecken über, klopfe sie schmeichelnd und gehe mit dem Korb zur Hütte hinauf.
Eine alte Frau ist daheim, sie sagt: bitte, komm nur herein! und kocht ihren Kaffee weiter. Frau Falkenberg packt den Korb aus und fragt, ohne mich anzusehen:
Ich soll Ihnen wohl auch heute vorlegen?
Ja, tausend Dank.
Wir essen schweigend. Ich sitze auf einer kleinen Bank an der Türe und habe meinen Teller neben mir stehen; die gnädige Frau sitzt am Tisch, sieht beinahe die ganze Zeit zum Fenster hinaus und bringt keinen Bissen hinunter. Dann und wann spricht sie ein Wort mit der Frau, dann und wann wirft sie einen Blick auf meinen Teller, ob er etwa leer sei. Die kleine Stube ist so eng, es sind nicht mehr als zwei Schritte von mir bis zum Fenster, so daß wir also trotzdem beieinander sitzen.
Als der Kaffee kommt, habe ich auf meiner Bank keinen Platz mehr für die Tasse, ich sitze da und halte sie in der Hand. Da wendet die gnädige Frau mir ruhig das Gesicht zu und sagt mit niedergeschlagenen Augen:
Hier ist doch Platz.
Ich höre mein Herz laut pochen und murmle etwas: Danke, es geht ausgezeichnet … Ich möchte lieber …
Kein Zweifel, sie ist unruhig, sie hat Angst vor mir, ich könnte etwas sagen, etwas tun; wieder sitzt sie mit abgewandtem Gesicht ruhig da, aber ich sehe, daß ihre Brust schwer atmet. Sei doch ruhig, denke ich, es soll kein Wort aus meinem elenden Munde kommen!
Ich möchte gerne den leeren Teller und die Tasse auf den Tisch stellen, aber ich fürchte, sie zu erschrecken, wenn ich näher trete, denn sie sitzt beständig mit abgewandtem Kopf da. Ich klirre ein wenig mit der Tasse, um sie aufmerksam zu machen, stelle das Geschirr hin und danke.
Sie versucht ihren hausmütterlichen Ton anzuschlagen:
Wollen Sie nichts mehr haben? Ich verstehe nicht …
Nein, vielen Dank … Soll ich einpacken? Aber ich kann wohl nicht.
Mein Blick fiel auf meine Hände, in der warmen Stube waren sie fürchterlich aufgeschwollen und so unförmig und schwer geworden, daß ich wohl kaum irgend etwas einpacken konnte. Sie erriet, was ich dachte, sah zuerst auf meine Hände, dann zu Boden und sagte, während sie zu lächeln versuchte:
Haben Sie keine Fäustlinge?
Nein, ich brauche keine.
Ich ging an meinen Platz zurück und wartete darauf, daß sie einpacke, damit ich den Korb mitnehmen könnte. Plötzlich dreht sie mir ihr Gesicht wieder zu und fragt, immer noch ohne aufzusehen:
Aus dem Nordland.
Pause.
Ich wagte zurückzufragen:
Die gnädige Frau ist schon dort gewesen?
Ja, in meiner Kindheit.
Im selben Augenblick sah sie auf die Uhr, wie um mir weitere Fragen abzuschneiden und mich zugleich an die Zeit zu mahnen.
Sofort stand ich auf und ging zu den Pferden hinaus.
Es war schon etwas dunkel geworden, der Himmel verfinsterte sich, und es fiel nasser Schnee. Heimlich nahm ich meine Decke vom Bock herunter und schob sie unter den Vordersitz im Wagen; als ich das getan hatte, gab ich den Pferden Wasser und spannte sie an. Bald darauf kam Frau Falkenberg den Weg herunter, und ich ging ihr entgegen, um den Korb zu holen.
Wo wollen Sie hin?
Den Korb holen.
Danke, das ist nicht nötig. Es lohnt sich nicht mehr, ihn mitzunehmen.
Wir gingen zum Wagen, sie stieg ein, und ich half ihr und packte sie gut ein. Dabei holte ich die Decke unter dem Vordersitz hervor und versteckte die Kanten gut, damit sie sie nicht erkenne.
Nein, wie schön! sagte die gnädige Frau. Wo lag sie denn?
Hier.
Ich hätte noch mehr Decken auf dem Pfarrhof bekommen können, aber die armen Menschen würden sie ja niemals wieder zurückerhalten haben … Danke, ich kann gut selbst … Nein, danke, ich kann selbst … Machen Sie sich fertig.
Ich schloß die Wagentüre und stieg auf.
Wenn sie jetzt wieder an die Scheibe klopft, kann es sich nur um die Decke handeln, und da halte ich nicht an, denke ich.
Stunde auf Stunde vergeht, es wird dunkel wie in einem Sack, es regnet und schneit mit zunehmender Heftigkeit, der Weg wird immer aufgeweichter. Dann und wann springe ich vom Bock herunter und laufe neben dem Wagen her, um mich zu erwärmen; meine Kleider triefen.
Wir nähern uns dem Hof.
Hoffentlich ist es nicht so hell, daß sie die Decke erkennt, denke ich.
Aber leider war alles erleuchtet, die gnädige Frau wurde erwartet.
In meiner Not brachte ich die Pferde ein Stück weit vor dem Eingang zum Stehen und öffnete den Wagenschlag.
Warum –! nein, was ist denn!
Ich dachte, Sie würden so freundlich sein, hier auszusteigen. Es ist so aufgeweicht … die Räder …
Sie glaubte wohl, ich wolle sie zu irgend etwas verlocken, Gott mag das wissen, sie sagte:
Herrgott, so fahren Sie doch zu!
Die Pferde zogen an, und wir hielten mitten im hellsten Licht.
Emma kam heraus und nahm Frau Falkenberg in Empfang. Die gnädige Frau gibt ihr die Decken, die sie schon vorher im Wagen zusammengelegt hatte.
Danke! sagte sie zu mir. Mein Gott, wie das Wasser an Ihnen herunterläuft!
Eine merkwürdige Neuigkeit erwartete mich: Falkenberg hatte sich beim Kapitän als Knecht verdungen.
Dieses Ereignis warf unsere Verabredung über den Haufen und machte mich einsam. Ich vermochte das Ganze nicht zu begreifen. Aber ich konnte ja auch noch morgen darüber nachdenken. Es wird zwei Uhr nachts, und immer noch liege ich wach da und friere und denke. In dieser ganzen Zeit war es mir unmöglich gewesen, warm zu werden, endlich aber gerate ich in Hitze, ich liege in vollem Fieber da … Wie sie Angst hatte, gestern, sie wagte nicht, mit mir auf der Landstraße zu essen und schlug die ganze Zeit die Augen nicht zu mir auf …
Als ich in einem klaren Augenblick daran denke, daß ich durch meine Unruhe Falkenberg noch aufwecken werde und vielleicht irre reden könnte, beiße ich die Zähne zusammen und springe auf. Ich ziehe meine Kleider wieder an, taumle die Treppe hinunter und laufe in großen Sätzen über die Felder. Nach einer Weile werde ich in den Kleidern warm, ich schlage die Richtung zum Walde ein, zu unserem Arbeitsplatz, und Schweiß und Regen rinnen mir über das Gesicht. Wenn ich jetzt nur die Säge finde, damit ich mir das Fieber aus meinem Körper herausarbeiten kann; das ist eine alte, von mir erprobte Kur. Ich finde zwar die Säge nicht, dafür aber meine Axt, die ich am Samstag abend versteckt hatte, und beginne Bäume zu fällen. Es ist so dunkel, daß ich beinahe nichts sehen kann; aber ich taste dann und wann den Schnitt ab und fälle auf diese Weise mehrere Bäume. Ich triefe von Schweiß.
Als ich genügend erschöpft bin, verstecke ich die Axt am alten Platz; es beginnt zu tagen, und ich laufe heim.
Wo bist du gewesen? fragt Falkenberg.
Ich will nicht, daß er von meiner Erkältung gestern erfährt und vielleicht in der Küche davon spricht, deshalb murmle ich nur, ich wisse nicht genau, wo ich gewesen sei.
Du bist wohl bei Rönnaug gewesen, sagte er.
Ich antworte Ja, ich sei bei Rönnaug gewesen, wenn er es doch schon erraten habe.
Da war wohl nichts weiter zu erraten, sagte er. Ich für meinen Teil werde nie wieder so etwas tun.
Bekommst du jetzt Emma?
Ja, es sieht so aus. Es ist wirklich ärgerlich, daß du nicht auch hier bleiben kannst. Dann hättest du vielleicht eine von den anderen bekommen können.
Und er spinnt das weiter aus, daß ich vielleicht eines von den anderen Mädchen, welche mir eben gefiele, hätte nehmen können, daß aber der Kapitän keine Verwendung mehr für mich habe. Ich solle morgen nicht einmal mehr in den Wald gehen … Weit weg, wie hinter einem Meer von Schlaf, das auf mich zukommt, höre ich Falkenbergs Worte.
Am Morgen ist mein Fieber fort, ich bin ein wenig matt, bereite mich aber doch darauf vor, in den Wald zu gehen.
Du brauchst deinen Arbeitsanzug nicht mehr anzuziehen, sagt Falkenberg. Ich habe es dir doch schon gesagt.
Ach ja, es stimmte ja! Aber ich ziehe ihn doch an, weil die andern Kleider so naß sind. Falkenberg ist ein wenig verlegen, weil er sich von mir getrennt hat; aber er entschuldigt sich damit, daß er geglaubt hätte, ich wolle auf dem Pfarrhof bleiben.
Ja, dann gehst du also nicht mit ins Gebirge? frage ich.
Hm. Nein, schwerlich. Du verstehst wohl selbst, ich habe es satt, in der Welt umherzustreunen. Und ich bekomme es nirgends besser als hier.
Ich gebe mir den Anschein, als mache mir das nicht so sehr viel aus und interessiere mich plötzlich für Petter. Der arme Kerl, es sei doch schlimm für ihn, daß er jetzt hinausgeworfen werden solle und heimatlos werde.
Heimatlos! erwidert Falkenberg. Wenn er genau soviel Wochen hier krank gelegen hat, als er nach dem Gesetz berechtigt ist, dann fährt er wieder nach Hause. Er ist ein Bauernsohn.
Dann erklärt Falkenberg, er fühle sich nur noch wie ein halber Mensch, seit wir uns voneinander trennen sollen. Wäre es nicht wegen Emma, würde er dem Kapitän jetzt durchbrennen.
Sieh her, sagte er, die kannst du nun haben.
Was ist das?
Die Zeugnisse. Ich werde nunmehr keine Verwendung dafür haben, dir aber können sie einmal aus einer Klemme helfen. Wenn du vielleicht einmal ein Klavier stimmen willst.
Er reicht mir die Papiere und den Stimmschlüssel.
Da ich aber Falkenbergs gutes Gehör nicht habe, sind diese Dinge wertlos für mich, und ich sage daher, ich könne eher einen Schleifstein stimmen als ein Klavier.
Da kann sich Falkenberg nicht halten vor Lachen und fühlt sich sehr erleichtert, weil ich zum Schluß noch so lustig bin …
Falkenberg ist fortgegangen. Ich habe Zeit, mich noch ein bißchen zu dehnen und zu strecken und lege mich in den Kleidern aufs Bett, ruhe mich aus und denke. Na, unsere Arbeit war ja zu Ende, wir hätten ja doch fortreisen müssen, ich konnte nicht erwarten, eine Ewigkeit noch hier bleiben zu dürfen. Das einzige, was außer aller meiner Berechnung gelegen hatte, war, daß Falkenberg zurückblieb. Wenn doch ich diese Stellung bekommen hätte, ich würde für zwei gearbeitet haben! Konnte ich nicht Falkenberg bestechen, daß er von seinem Plan abging? Wenn ich es genau betrachtete, hatte ich sogar geglaubt, beim Kapitän ein Unbehagen darüber zu bemerken, daß dieser Arbeitsmann, der denselben Namen trug wie er, auf dem Hof umherging. Aber ich hatte mich offenbar geirrt.
Ich grübelte und grübelte. Soviel ich wußte, war ich doch ein guter Arbeiter gewesen und hatte dem Kapitän niemals einen Augenblick der Arbeitszeit für meine Erfindung gestohlen …
Ich schlafe wieder ein und erwache durch Schritte, die die Treppe heraufkommen.
Noch ehe ich mich im Bett aufrichten konnte, stand der Kapitän in der Türe.
Bleiben Sie nur liegen, sagte er freundlich und wollte wieder gehen. Na, da ich Sie nun schon einmal geweckt habe, können wir vielleicht abrechnen?
Danke. Wie der Herr Kapitän es wünscht.
Ich will Ihnen etwas sagen, sowohl Ihr Kamerad wie auch ich meinten, Sie würden sich auf dem Pfarrhof verdingen und da … Und jetzt ist es auch mit dem guten Wetter vorbei, und man kann im Wald nicht mehr arbeiten; übrigens sind auch nicht mehr viel Bäume da. Was ich sagen wollte: ich habe mit Ihrem Kameraden abgerechnet, ich weiß nicht, ob …?
Ich bin natürlich mit der gleichen Bezahlung zufrieden.
Ihr Kamerad und ich haben uns darüber geeinigt, daß Sie ein wenig mehr für den Tag bekommen sollten.
Davon hatte Falkenberg kein Wort zu mir gesagt, das hatte sicher der Kapitän sich ausgedacht.
Ich habe mit ihm ausgemacht, daß wir halb und halb teilen, sagte ich.
Aber Sie waren doch der Vorarbeiter. Selbstverständlich müssen Sie fünfzig Öre mehr für den Tag haben.
Als ich sah, daß meine Weigerung nicht anerkannt wurde, ließ ich ihn rechnen, wie er selbst es wollte, und nahm mein Geld in Empfang. Ich sagte, es sei mehr, als ich erwartet hätte.
Der Kapitän entgegnete:
Das freut mich. Und ich möchte Ihnen auch noch gerne dieses Zeugnis für gut ausgeführte Arbeit geben.
Und er reichte mir das Papier.
Er war ein rechtschaffener und ordentlicher Mann. Von der Wasserleitung, die im Frühjahr gebaut werden sollte, erwähnte er nichts mehr, er hatte wohl seine Gründe dafür, und ich wollte ihn daher nicht gerne damit belästigen.
Er fragte:
Und jetzt gehen Sie also zum Eisenbahnbau?
Nein, ich weiß noch nicht recht.
Na, soso, dann also schönen Dank für Ihre Hilfe.
Er ging zur Türe.
Ich elender Kerl konnte nicht länger an mich halten und fragte:
Der Herr Kapitän wird wohl auch später keine Arbeit für mich haben, im Frühjahr?
Ich weiß nicht, wir müssen sehen. Ich … Es kommt darauf an. Wenn Sie in diese Gegend kommen … was werden Sie mit Ihrer Maschine machen?
Wenn ich bitten dürfte, daß sie hier stehen bleiben kann –
Selbstverständlich.
Als der Kapitän gegangen war, setzte ich mich auf das Bett. Na, jetzt war's also aus; ja, ja, Gott sei mit uns allen! – Es ist neun Uhr, sie ist aufgestanden, sie geht dort drüben in dem Haus umher, das ich hier vom Fenster aus sehen kann. Nun aber fort.
Ich suche mein Bündel hervor und packe ein, ziehe meine nasse Wolljacke über die Bluse und bin fertig. Aber ich setze mich wieder hin.
Emma kommt und sagt:
Bitte schön, das Essen ist fertig!
Zu meinem Schrecken trägt sie meine Decke über dem Arm.
Und dann läßt die gnädige Frau fragen, ob das nicht deine Decke ist?
Meine? Nein. Ich habe meine Decke hier im Bündel.
Emma geht mit der Decke wieder fort.
Ich konnte sie doch nicht als mein Eigentum anerkennen, mochte der Teufel sie holen! … Sollte ich hinuntergehen und essen? dann konnte ich mich gleichzeitig verabschieden und mich bedanken. Das würde nicht auffallen.
Emma kommt mit der Decke wieder zurück und legt sie schön zusammengefaltet auf einen Hocker.
Wenn du jetzt nicht gleich kommst, wird der Kaffee kalt, sagte sie.
Warum legst du die Decke dorthin?
Die gnädige Frau hat gesagt, ich solle sie hier hinlegen.
Na, vielleicht gehört sie Falkenberg, murmle ich.
Emma fragt:
Gehst du jetzt fort von uns?
Ja, da du gar nichts von mir wissen willst.
Ach du! sagt Emma und wirft den Kopf zurück.
Ich gehe mit ihr hinunter und in die Küche; während ich am Tisch sitze, sehe ich den Kapitän in den Wald gehen. Ich freue mich darüber, daß er fort ist; vielleicht kommt jetzt die gnädige Frau heraus.
Ich esse und stehe dann vom Stuhl auf. Sollte ich ohne weiteres gehen? Natürlich. Ich sage also den Mädchen Lebewohl und füge bei jeder noch einen kleinen Scherz hinzu.
Ich sollte wohl auch der gnädigen Frau Lebewohl sagen, aber …
Die gnädige Frau ist drinnen, ich werde –
Emma geht hinein, bleibt einen Augenblick fort und kommt wieder.
Die gnädige Frau hat Kopfweh und hat sich aufs Sofa gelegt. Aber ich soll dich von ihr grüßen.
Auf Wiedersehen! sagen alle Mädchen, als ich gehe.
Ich trage mein Bündel unter dem Arm und verlasse den Hof. Plötzlich fällt mir die Axt ein, Falkenberg wird sie vielleicht vermissen und nicht finden können. Da gehe ich zurück, klopfe an die Küchentüre und gebe wegen der Axt Bescheid.
Während ich den Weg hinuntergehe, wende ich mich ein paarmal um und sehe nach den Fenstern des Hauptgebäudes zurück. Dann ist das Haus außer Sicht.
Den ganzen Tag noch umkreiste ich Övrebö, war auf verschiedenen Höfen und fragte nach Arbeit, ging wie ein Friedloser umher und verfolgte keinen Plan. Das Wetter war kalt und rauh, nur rastloses Wandern hielt mich warm.
Gegen Abend kehrte ich zu meinem alten Arbeitsplatz im Wald des Kapitäns zurück. Ich hörte keine Axtschläge mehr, Falkenberg war heimgegangen. Ich fand die Bäume, die ich in der Nacht gefällt hatte, und mußte über die fürchterlichen Baumstümpfe lachen, die ich da hinterlassen hatte. Falkenberg hatte sicher die Verheerung gesehen und nachgegrübelt, wer der Urheber sein könnte. Vielleicht hatte der gute Falkenberg geglaubt, daß es ein Geist gewesen sei, und war deshalb heimgeflohen, solange es noch Tag war. Hahaha.
Meine Lustigkeit war wohl nicht ganz natürlich, sie schrieb sich von dem Fieber in der Nacht und der nachträglichen Mattigkeit her. Bald war ich auch wieder ganz traurig. Hier auf diesem Fleck hatte sie einmal mit ihrer Freundin gestanden, sie waren zu uns in den Wald gekommen und hatten sich mit uns unterhalten …
Als es dunkel genug war, ging ich auf den Hof zu. Vielleicht konnte ich heute nacht noch in der Scheune schlafen, morgen, wenn ihr Kopfweh vorbei war, würde sie dann herauskommen. Ich gehe so nahe hin, daß ich die Lichter sehen kann, dann kehre ich um. Es ist wohl noch zu früh.
Eine Weile vergeht, vielleicht zwei Stunden, ich wandere umher und setze mich hin, wandere und setze mich wieder, dann nähere ich mich wieder dem Hof. Ich konnte doch wirklich in die Scheune gehen und mich dort hinlegen, der erbärmliche Falkenberg sollte sich nur getrauen aufzumucken! Jetzt weiß ich, was ich tun will: ich will, ehe ich hinaufgehe, mein Bündel im Wald verstecken, so daß ich scheinbar nur zurückkomme, um eine Kleinigkeit zu holen, die ich vergessen habe.
Ich gehe weiter in den Wald.
Als ich meine Sachen gut versteckt habe, wird mir klar, daß ich weder mit Falkenberg noch mit der Scheune und mit dem Bett etwas zu tun habe. Ich bin ein Esel und ein Tor, es ist mir nicht darum zu tun, ein Obdach für die Nacht zu finden, sondern ich will nur einen einzigen Menschen sehen und dann den Hof und die ganze Gegend verlassen. Mein Herr, sage ich zu mir selbst, warst nicht du es, der hinaus wollte in das stille Leben und zu den gesunden Menschen, um deine Ruhe wieder zu gewinnen?
Ich ziehe mein Bündel wieder aus dem Versteck hervor, werfe es auf den Rücken und gehe zum drittenmal auf den Hof zu. Um die Gesindestube mache ich einen Bogen und gelange auf die Südseite des Hauptgebäudes. In der Stube ist Licht.
Und nun nehme ich, trotzdem es dunkel ist, den Sack von der Schulter, um nicht wie ein Bettler auszusehen, schiebe ihn wie ein Paket unter den Arm und nähere mich vorsichtig dem Haus. Nahe genug, bleibe ich stehen. Aufrecht und sicher stehe ich vor den Fenstern, nehme die Mütze ab und verharre so. Drinnen ist niemand zu sehen, kein Schatten. Im Eßzimmer ist es dunkel, die Abendmahlzeit ist vorüber. Es scheint schon spät zu sein.
Plötzlich wird die Lampe im Zimmer gelöscht, und das ganze Haus sieht wie ausgestorben aus. Ich warte ein wenig, dann leuchtet im ersten Stock ein einzelnes Licht auf. Das ist ihr Zimmer! denke ich. Das Licht brennt ungefähr eine halbe Stunde, dann erlischt es. Jetzt hat sie sich schlafen gelegt, gute Nacht.
Gute Nacht für immer.
Und selbstverständlich werde ich im Frühjahr nicht hierher zurückkehren. Das sollte noch fehlen.
Wieder auf der Landstraße, werfe ich den Sack auf die Schulter und begebe mich auf die Wanderschaft …
Am nächsten Morgen gehe ich weiter. Ich hatte irgendwo auf dem Heu gelegen und sehr gefroren, weil ich ohne Decke gewesen war. Und außerdem mußte ich noch in der kältesten Zeit vor Tagesanbruch wieder heraus, damit man mich nicht fände.
Ich ging und ging. Nadelbäume und Birken wechseln in den Wäldern ab, und als ich Gruppen von schönem geradstämmigem Wacholder sehe, schneide ich mir einen Stock und lasse mich am Waldrand nieder, um ihn erst zurechtzuschnitzen. Hier und da sitzt noch ein gelbes Blatt an den Bäumen; und die Birken sind über und über mit Kätzchen bedeckt, an denen Regentropfen hängen. Hier und da läßt sich ein halbes Dutzend Vögel auf einer solchen Birke nieder und pickt an den Kätzchen, und dann suchen sie sich einen Stein oder einen rauhen Stamm, um das Harz vom Schnabel zu wetzen. Keines gönnt dem anderen etwas, sie verfolgen, jagen einander, obwohl noch eine Million Kätzchen da ist. Und der Verfolgte flieht nur einfach. Schießt ein kleiner Vogel auf einen größeren zu, zwingt er diesen zur Flucht; selbst eine große Drossel denkt nicht an Widerstand gegen einen Sperling, sondern wirft sich einfach zur Seite. Es muß wohl die große Geschwindigkeit des Angreifers sein, die ihn gefährlich macht, denke ich.
Nach und nach vergeht mein Gefühl der Kälte und des Unbehagens vom Morgen her; es zerstreut mich, die verschiedenen Dinge, denen ich auf meinem Weg begegne, zu beobachten und über alles ein wenig nachzudenken. Am meisten Spaß machten mir die Vögel. Und dann heiterte mich auch der Gedanke auf, daß ich die Tasche voll Geld hatte.
Zufällig hatte mir Falkenberg gestern früh gesagt, wo Petters Heim war, und dorthin lenkte ich nun meine Schritte. Arbeit würde ich ja auf dem kleinen Hof nicht bekommen; aber da ich reich war, lag mir auch die Arbeit zunächst nicht so sehr am Herzen. Petter würde wohl in allernächster Zeit heimkehren und wußte vielleicht verschiedenes zu erzählen.
Ich richtete es so ein, daß ich am Abend auf Petters Hof kam. Ich bestellte Grüße vom Sohn des Hauses und sagte, daß er auf dem Weg der Besserung sei und bald heimkäme. Und fragte, ob ich übernachten könne.
Ich habe nun schon einige Tage hier gewohnt; Petter ist nach Hause gekommen, aber er weiß nichts zu erzählen.
Und auf Övrebö geht alles gut?
Ja, ich habe nichts anderes gehört.
Sahst du alle miteinander, als du fortgingst? Den Kapitän, die gnädige Frau?
Ja.
Niemand war krank?
Nein. Wer sollte krank sein?
Falkenberg, sage ich. Er klagte, daß er sich die Hand verrenkt habe; aber es ist wohl schon vergangen …
Es war nicht sehr gemütlich auf diesem Hof, obwohl sicher großer Wohlstand herrschte. Der Mann selbst war erster Storthingsersatzmann und hatte sich angewöhnt, abends die Zeitungen zu lesen. Ach, das viele Lesen, das ganze Haus litt darunter, und die Töchter langweilten sich zu Tode. Als Petter heimkam, setzte sich die ganze Familie hin und rechnete aus, ob er seine volle Bezahlung bekommen, und ob er auch die ganze erlaubte Zeit beim Kapitän krank gelegen habe – die ganze gesetzlich erlaubte Zeit, sagte der Storthingsersatzmann. Als ich das Unglück hatte, eine Fensterscheibe einzuschlagen, die nichts weiter wert war, wurde darüber geflüstert und von allen Seiten unfreundlich zu mir herübergesehen; ich ging deshalb heute zum Landhändler, kaufte eine neue Scheibe und setzte sie mit Kitt wieder ordentlich ein. Da sagte der Storthingsersatzmann: Du hättest dir wegen einer Scheibe nicht soviel Mühe machen brauchen.
Ich war auch nicht wegen der Scheibe zum Landhändler gegangen, im Gegenteil, ich kaufte einige Flaschen Wein, um zu zeigen, daß es mir nicht so sehr auf den Wert von ein paar Fensterscheiben ankomme, und auch eine Nähmaschine, die ich bei meinem Fortgehen den Mädchen schenken wollte. Heute abend konnten wir Wein trinken, morgen war Sonntag, und alle hatten Zeit, auszuschlafen. Montag morgen aber wollte ich weiter.
Es sollte anders kommen, als ich gedacht hatte. Die beiden Mädchen waren auf dem Speicher gewesen und hatten in meinem Bündel herumgeschnüffelt; die Nähmaschine und die Flaschen hatten ihnen einen Floh ins Ohr gesetzt, sie machten sich Gedanken über diese Sachen und kamen mit Andeutungen. Nur ruhig, dachte ich, seid still, bis meine Zeit kommt!
Am Abend sitze ich mit den Leuten in der Stube und unterhalte mich. Wir waren eben mit dem Essen fertig, und der Hausvater hatte die Brille aufgesetzt, um die Zeitungen zu lesen. Da hört man draußen ein Räuspern. Es ist jemand auf dem Hof draußen, sage ich. Die Mädchen sehen einander an und gehen hinaus. Bald darauf machen sie die Türe auf und bitten zwei junge Männer, hereinzukommen. Nehmt nur irgendwo Platz! sagt die Frau.
Da kam mir der Gedanke, daß diese beiden Bauernburschen wegen meines Weines geholt worden waren, und daß sie die Freunde dieser Mädchen seien. Welch hoffnungsvolle Mädchenblüte, achtzehn, neunzehn Jahre, und schon so flink! Aber es wird eben einfach keinen Wein geben, keine Spur …
Man spricht vom Wetter, das man jetzt bei der späten Jahreszeit nicht anders erwarten könne, daß man aber leider beim Pflügen durch die Nässe aufgehalten sei. Es kam kein Leben ins Gespräch, und das eine der Mädchen sagte zu mir, ich sei so still, und warum denn?
Wahrscheinlich, weil ich fortwandern werde, antwortete ich. Montag früh werde ich schon zwei Meilen von hier weg sein.
Dann bekommen wir wohl heute abend den Abschiedstrunk?
Irgend jemand kicherte über diese Frage: die sei auf mich gemünzt, weil ich so geizig sei und mit dem Wein warte. Mir aber waren diese Mädchen gleichgültig, und es lag mir nichts an ihnen, sonst wäre ich anders gewesen.
Was für einen Abschiedstrunk? Ich habe drei Flaschen Wein gekauft, die ich mitnehmen will.
Willst du den Wein zwei Meilen weit spazieren tragen? fragte das Mädchen unter großem Gelächter. Es gibt doch viele Landhändler auf dem Weg?
Sie vergessen, Fräulein, daß morgen Sonntag ist, und daß da alle Landhändler geschlossen haben, erwiderte ich.
Das Gelächter verstummte, aber die Stimmung gegen mich wurde ob meiner entschiedenen Antwort nicht besser. Ich wandte mich an die Bäuerin und fragte gekränkt, wieviel ich schuldig sei.
Es eile doch nicht? Sei nicht morgen auch noch Zeit dazu?
Doch, es eilt. Ich bin zwei Tage hier gewesen, überlegen Sie sich den Preis.
Sie dachte lange nach, schließlich ging sie hinaus und ließ auch ihren Mann nachkommen; sie wollten überlegen.
Als sie so lange ausblieben, ging ich auf den Speicher, packte meine Sachen und trug alles in den Gang herunter. Ich wollte sehr gekränkt tun und schon heute abend meines Weges gehen. Das war eine gute Art, von hier wegzukommen.
Als ich wieder in die Stube trat, sagte Petter:
Du willst doch nicht jetzt bei anbrechender Nacht fort?
Doch. Das habe ich vor.
Ich finde, du solltest nicht so dumm sein und das Geschwätz dieser Gänse beachten.
Herrgott, laß den alten Kerl doch laufen! sagte die Schwester.
Endlich kam der Storthingsersatzmann mit seiner Frau wieder herein. Sie schwiegen hartnäckig und vorsichtig.
Nun, was bin ich also schuldig?
Hm. Das solle ich selbst bestimmen.
Die ganze Gesellschaft war lauter Gesindel, ich wurde ernstlich böse und schleuderte der Frau den nächstbesten Schein hin, den ich zwischen die Finger bekam.
Ist es genug?
Hm. Es sei ja schon ganz viel, aber … Na, es könnte wohl reichen, aber –
Einen Fünfer.
Na, das war vielleicht ein bißchen wenig, ich griff noch einmal in die Tasche.
Nein, Mutter, es war ein Zehner, sagt Petter. Und das ist zuviel, du mußt etwas herausgeben.
Die Alte öffnet die Hand, sieht den Schein an und tut auf einmal sehr erstaunt:
Ja, sagte ich denn nicht, es sei ein Zehner! Ich sah ihn nicht so genau an. Ja, dann also vielen Dank.
Der Ersatzmann begann in seiner Verlegenheit mit den zwei Burschen über die Neuigkeiten in der Zeitung zu sprechen: ein arges Unglück, die Hand in der Dreschmaschine zerquetscht. Die Mädchen taten, als sähen sie mich nicht, in Wirklichkeit aber saßen sie da wie zwei Katzen, mit kurzen Hälsen und messerschmalen Augen. Wozu noch länger dableiben? – Lebt wohl.
Die Frau kommt mir auf den Gang nach und will mir gut zureden:
Du könntest uns den Gefallen tun und uns die eine Weinflasche leihen, sagt sie. Es ist so dumm, weil die beiden Burschen dasitzen.
Lebwohl! sage ich nur und bin vollkommen unnahbar.
Ich trug den Sack auf dem Rücken und die Nähmaschine in der Hand, sie war schwer, und der Weg weich; aber trotzdem ging ich mit leichtem Herzen. Das war eine dumme Geschichte gewesen, und ich mußte zugeben, daß ich mich ein wenig schäbig benommen hatte. Schäbig? Keineswegs! Ich bildete ein kleines Komitee mit mir selbst und führte an, daß diese verdammten Mädchen mit meinem Wein ein Fest für ihre Liebsten hatten abhalten wollen. Jawohl. Aber war nicht mein Arger im Grund nur der Ausbruch männlicher Rivalität gewesen: Wären statt der zwei Burschen zwei junge Mädchen eingeladen worden, wäre da nicht der Wein munter geflossen? Sicherlich! Der alte Kerl, sagte sie. Aber hatte sie nicht recht? Ich mußte wohl schon alt geworden sein, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, um eines Pflugbauern willen beiseite gesetzt zu werden …
Aber mein Ärger verlor sich auf dem mühsamen Weg, das Komitee wurde aufgelöst, und Stunde auf Stunde schleppte ich meine lächerliche Bürde, drei Flaschen Wein und eine Nähmaschine, mit mir. Das Wetter war mild und neblig, ich sah die Lichter von den Höfen nicht, ehe ich ganz nahe war; da fuhren dann immer die Hunde auf mich los und hinderten mich daran, mich in eine Scheune einzuschleichen. Es wurde später und später, ich war müde und traurig und machte mir auch Sorgen über die Zukunft. Hätte ich doch nicht soviel Geld für nichts und wieder nichts vergeudet! Ich wollte jetzt die Nähmaschine verkaufen, wollte sie wieder zu Geld machen.
Endlich kam ich an eine Hütte ohne Hund. Aus dem Fenster schimmerte noch Licht, und ich ging geradeaus hinein und bat um Obdach.
Ein kleines Mädchen im Konfirmandenalter saß am Tisch und nähte, sonst war niemand in der Stube. Als ich um Obdach fragte, antwortete sie mit der größten Zutraulichkeit. Ja, sie wolle fragen, worauf sie in den kleinen Raum nebenan ging. Ich rief ihr nach, es würde mir genügen, wenn ich nur hier am Ofen sitzen bleiben dürfe, bis es Tag werde.
Kurz darauf kam das Mädchen mit ihrer Mutter zurück, die noch an ihren Kleidern band und knöpfte. Guten Abend. Sie sei nicht so recht darauf eingerichtet, jemand über Nacht zu behalten, aber ich könne gerne in der Kammer schlafen.
Und wo schlafen Sie dann selbst?
Ach, es sei ja bald Tag. Das Mädchen müsse übrigens noch eine Zeitlang nähen.
Was nähe sie denn? Ein Kleid?
Nein, nur einen Rock. Sie solle ihn morgen in die Kirche anziehen, habe es aber nicht zugelassen, daß die Mutter ihr helfe.
Ich bringe meine Nähmaschine herbei und sage im Scherz, ein Rock mehr oder weniger sei keine Sache für ein Ding wie dieses hier! Ich wolle es ihr zeigen!
Ob ich etwa ein Schneider sei?
Nein, ich verkaufe Nähmaschinen.
Ich ziehe die Gebrauchsanweisung hervor und lese, wie wir uns anzustellen haben. Das Mädchen hört lernbegierig zu, sie ist noch ein Kind und ihre dünnen Finger sind von dem Stoff, der abfärbt, ganz blau geworden. Diese blauen Finger sehen so ärmlich aus. Ich hole deshalb den Wein hervor und lade die beiden ein, mit mir zu trinken. Dann nähen wir wieder, ich sitze mit der Gebrauchsanweisung da, und das Mädchen handhabt die Maschine. Sie findet, daß es glänzend gehe und ihre Augen leuchten blank.
Wie alt sie sei?
Sechzehn Jahre. Im vorigen Jahr sei sie konfirmiert worden.
Wie sie heiße?
Olga.
Die Mutter steht da und sieht uns zu und zeigt ebenfalls Lust, auf der Maschine zu nähen, aber so oft sie das tun will, sagt Olga: Paß auf, Mutter, daß du nichts daran verdirbst! Als wir abspulen müssen und die Mutter einen Augenblick das Schiffchen in die Hand bekommt, hat Olga wieder Angst, es könne etwas daran verdorben werden.
Die Frau stellt den Kaffeekessel aufs Feuer und beginnt zu kochen, es wird behaglich und warm in der Stube, diese einsamen Menschen sind sorglos und vertrauensvoll und Olga lacht, wenn ich etwas Komisches über die Maschine sage. Es fiel mir auf, daß keines von ihnen fragte, wieviel die Maschine koste, obwohl sie doch zu verkaufen war, das lag so vollkommen außerhalb ihrer Reichweite. Aber sie fanden es wunderhübsch, sie arbeiten zu sehen.
Eigentlich sollte sie eine solche Maschine haben, die Olga; denn sie stellt sich gut an.
Die Mutter antwortet, sie müsse erst warten, bis sie hinausgekommen sei und eine Zeitlang gedient habe.
Solle sie denn fort und dienen?
Ja, das hoffe sie doch. Sie habe noch zwei andere Töchter, die dienten. Die ließen sich gut an, Gott sei Dank. Olga werde ihre Schwestern morgen in der Kirche treffen.
An der einen Wand hängt ein kleiner zerbrochener Spiegel, an der anderen sind einige billige Bilder von Soldaten auf Pferden und von Fürstenpaaren in großem Staat. Da eines dieser Bilder alt und zerfetzt ist und die Kaiserin Eugenie vorstellen soll, errate ich, daß es nicht erst vor kurzem gekauft ist. – Woher stammt das Bild?
Daran könne sie sich nicht mehr erinnern. – Doch, mein Mann hat es wohl einmal bekommen, sagt sie dann.
Hier in der Gegend?
Wenn ich mich nicht täusche, stammt es von Hersaet, wo mein Mann in seiner Jugend gedient hat, antwortete sie. Es ist vielleicht dreißig Jahre her.
Ich habe einen kleinen Plan im Kopf und sage deshalb:
Dieses Bild ist sehr wertvoll.
Als die Frau glaubt, ich wolle sie zum Narren halten, untersuche ich das Bild und erkläre steif und fest, daß dies keine billige Malerei sei.
Die Frau ist durchaus nicht dumm und sagt nur: soso, ob ich das meine? Es habe hier gehangen, seit die Hütte erbaut worden sei. Das Bild gehöre übrigens Olga, schon als sie noch ganz klein war, habe sie es als ihr Eigentum bezeichnet.
Ich tue mystisch und sachverständig und frage, um so recht in die Sache einzudringen:
Und Hersaet, wo liegt das?
Hersaet liegt in der Nachbargemeinde, es sind zwei Meilen bis dorthin. Der Lensmann wohnt dort …
Der Kaffee ist fertig, und Olga und ich ruhen aus. Jetzt sind nur noch die Haken anzunähen. Ich frage, ob ich die Bluse sehen dürfe, die sie zu dem Rock tragen solle, und es zeigt sich, daß es keine richtige Bluse ist, sondern ein gestricktes Tuch. Aber sie hat von ihrer einen Schwester eine abgelegte Jacke bekommen, und diese Jacke soll über das Ganze angezogen werden und alles verstecken.
Olga wächst so sehr in dieser Zeit, daß es keinen Sinn hat, ihr vor dem nächsten Jahr eine richtige Bluse machen zu lassen, höre ich.
Olga näht die Haken an, und das ist bald geschehen. Nun ist sie so schläfrig, daß man es ihr ansieht, und ich befehle ihr deshalb mit gemachter Würde, zu Bett zu gehen. Die Frau fühlt sich verpflichtet, aufzubleiben und mir Gesellschaft zu leisten, obwohl ich auch sie bitte, sich wieder schlafen zu legen.
Ja, nun mußt du dem fremden Mann recht schön für seine Hilfe danken, sagt die Mutter.
Und Olga kommt her und gibt mir die Hand. Ich benutze die Gelegenheit und schiebe sie in die Kammer hinein.
Gehen Sie nun auch schlafen, sage ich zur Mutter. Ich werde doch nicht mehr mit Ihnen schwätzen, denn ich bin müde.
Da sie sieht, daß ich mich beim Ofen ausstrecke und mir meinen Sack als Kissen zurechtschiebe, schüttelt sie lächelnd den Kopf und geht.
Hier habe ich es gut und nett, es ist Morgen, die Sonne scheint durch das Fenster, und Olga und ihre Mutter haben so nasses und glattes Haar, daß es eine wahre Freude ist.
Nach dem Frühstück, das ich mit beiden teile und wobei ich eine Menge Kaffee bekomme, macht sich Olga mit ihrem neuen Rock, dem gestrickten Tuch und der Jacke schön. Ach, diese wunderbare Jacke, zwei Reihen Lastingsknöpfe hatte sie und ringsherum eine Lastingsborte, und am Hals und an den Ärmeln war sie mir Schnüren benäht. Aber die kleine Olga kann sie nicht ausfüllen, in keiner Weise. Denn sie ist mager wie ein kleines junges Kalb.
Sollten wir die Jacke nicht schnell an der Seite ein wenig abnehmen, schlage ich vor. Wir haben Zeit dazu.
Aber Mutter und Tochter werfen einander einen Blick zu, es sei Sonntag und da dürfe weder Nadel noch Schere gebraucht werden. Ich verstehe gut, woran sie denken, denn ich selbst dachte in meiner Kindheit genau so, und darum versuche ich, mir mit einer kleinen Freidenkerei zu helfen: es sei etwas ganz anderes, wenn die Maschine nähe, das sei geradeso, wie wenn ein unschuldiger Wagen am Sonntag auf dem Weg dahinrolle.
Aber nein, das verstehen sie nicht. Übrigens sei die Jacke zum Hineinwachsen berechnet, in ein paar Jahren würde sie passen.
Ich denke darüber nach, ob ich nichts habe, was ich Olga beim Fortgehen in die Hand stecken könnte, aber ich habe nichts, ich kann ihr nur ein Kronenstück geben. Sie dankt mir, zeigt den Schilling ihrer Mutter und flüstert mit strahlenden Augen, sie wolle ihn der Schwester bei der Kirche geben. Und die Mutter sagt beinahe ebenso bewegt: Ja, das solle sie tun.
Olga geht in ihrer weiten Jacke zur Kirche, schlendert über die Anhöhe hinunter, die Füße einwärts, die Füße auswärts, wie es sich gerade trifft. Mein Gott, wie süß und nett war sie doch …
Ist Hersaet ein großer Hof?
Ja, ein großer Hof.
Eine Weile sitze ich da und blinzle mit schläfrigen Augen und treibe Ethymologie. Hersaet konnte Herrensitz bedeuten. Oder, daß ein Herse hier regiert habe. Und die Tochter des Hersen ist die stolzeste Maid im Umkreis, und der Jarl selbst kommt und bittet um ihre Hand. Ein Jahr darauf gebiert sie ihm einen Sohn, der König wird …
Kurz und gut, ich entschließe mich für Hersaet. Es war ja gleich, wo ich hinging, deshalb wollte ich dorthin. Vielleicht gab es beim Lensmann Arbeit, vielleicht hatte ich Glück, auf jeden Fall waren es fremde Menschen. Und wenn ich mich entschloß, nach Hersaet zu gehen, hatte ich immerhin ein Ziel.
Da ich von der schlaflosen Nacht dösig und dumm bin, erlaubt mir die Frau, daß ich mich auf ihr Bett lege. Langsam wandert eine wunderbare blaue Kreuzspinne an der Wand hinauf, und ich liege da und folge ihr mit den Augen, bis ich einschlafe.
Ein paar Stunden lang schlafe ich, dann erwache ich plötzlich, ausgeruht und frisch. Die Frau kocht das Mittagessen. Ich schnüre mein Bündel, gebe der Frau Geld für die Unterkunft und sage schließlich, daß ich gerne Olgas Bild gegen die Nähmaschine eintauschen möchte.
Die Frau glaubt mir wieder nicht.
Dies sei ja einerlei, entgegne ich, wenn sie zufrieden sei, so sei ich es auch. Das Bild sei wertvoll, ich wisse, was ich tue.
Ich nahm es herab, blies den Staub weg und rollte es sorgfältig zusammen; an der Balkenwand war nun ein Helles Viereck zu sehen. Dann nahm ich Abschied.
Die Frau kam mir nach: Ob ich denn nicht warten möchte bis Olga heimkäme, damit sie mir danken könne? Oh, ob es mir denn gar nicht möglich sei, noch so lange zu warten.
Aber ich hatte keine Zeit. Grüßen Sie Olga und sagen Sie ihr, daß sie die Gebrauchsanweisung durchlesen soll, wenn sie sich mit der Maschine nicht auskennt.
Lange sah mir die Frau noch nach. Ich schlenderte meines Weges und pfiff vor Zufriedenheit über meine Tat vor mich hin. Jetzt hatte ich nur noch das Bündel zu tragen und war ausgeruht, die Sonne schien und der Weg war nun ziemlich trocken. Und schließlich sang ich vor lauter Zufriedenheit über meine Handlungsweise.
Neurasthenie …
Am nächsten Tag kam ich nach Hersaet. Da das Gut sehr groß und herrschaftlich aussah, wollte ich zuerst vorbeigehen; nachdem ich mich aber ein wenig mit einem der Knechte unterhalten hatte, beschloß ich, mich dem Lensmann vorzustellen. Ich hatte ja schon früher bei reichen Leuten gearbeitet, z.+B. bei Kapitäns auf Övrebö.
Der Lensmann war ein kleiner breitschulteriger Herr mit langem, weißem Vollbart und dunklen Augenbrauen. Er hatte einen barschen Ton, aber gutmütige Augen; später zeigte es sich, daß er ein lustiger Mann war, der bisweilen seinen Scherz machte und recht herzlich lachen konnte. Dann und wann fiel es ihm auch wieder ein, sich seiner Stellung und seinem Wohlstand entsprechend wichtig zu machen und honette Ambitionen zu haben.
Nein, ich habe keine Arbeit. Wo kommen Sie her?
Ich nannte einige Orte, an denen ich vorbeigewandert war.
Sie haben wohl kein Geld und betteln?
Nein, ich bettle nicht, ich habe Geld.
Ja, dann müssen Sie schon weitergehen. Ich habe wirklich keine Arbeit für Sie, alles ist umgepflügt. Können Sie Zaunpfähle zurechthacken?
Ja.
So. Aber ich mache keine Holzzäune mehr, ich habe jetzt Drahtzäune. Können Sie ein wenig mauern?
Ja.
Schade. Den ganzen Herbst hindurch habe ich Maurer hier gehabt, da hätten Sie Mitarbeiten können.
Er stand da und stocherte mit seinem Spazierstock im Boden.
Wie verfielen Sie darauf, hier anzufragen?
Die Leute sagten alle, ich solle nur zum Lensmann gehen, da bekäme ich Arbeit.
So? Ja, ich beschäftige ja immer einen Haufen Leute, jetzt im Herbst waren die Maurer da. Können Sie einen Hühnerhof einzäunen? Das ist nämlich etwas, was kein Mensch in diesem Leben fertig bringt, hahaha, tagten Sie nicht, Sie seien bei Kapitän Falkenberg auf Övrebö gewesen?
Ja.
Was haben Sie dort getan?
Bäume gefällt.
Ich kenne den Mann nicht, er wohnt ja weit von hier, aber ich habe schon von ihm gehört. Haben Sie Zeugnisse von ihm?
Ich überreichte das Zeugnis.
Kommen Sie mit mir, sagte der Lensmann ohne weiteres.
Er führte mich um das Haus herum und in die Küche.
Gebt dem Mann etwas Ordentliches zu essen, er hat einen weiten Weg hinter sich, rief er …
Da sitze ich nun in der großen hellen Küche und verzehre die beste Mahlzeit, die ich seit langem bekommen habe. Als ich eben fertig bin, kommt der Lensmann wieder in die Küche.
Sie, Mann, sagte er –
Ich erhob mich sofort und stand kerzengerade da, und er schien diese kleine Höflichkeit nicht zu verachten.
Nein, essen Sie nur weiter, machen Sie erst fertig. Sie sind fertig? Ich habe gedacht … Kommen Sie einmal mit.
Er führte mich zum Schuppen.
Sie können mir eine Zeitlang Brennholz im Wald schlagen, was meinen Sie dazu? Ich habe zwei Knechte, aber den einen brauche ich jetzt als Gerichtsboten, da können Sie mit dem andern in den Wald gehen. Wie Sie sehen, habe ich hier Holz genug, aber das kann ja liegen bleiben, davon hat man nie zuviel. Sie sagten, daß Sie Geld hätten. Zeigen Sie her.
Ich zeigte ihm meine Geldscheine.
Gut. Sehen Sie, ich gehöre hier zur Obrigkeit und muß über meine Leute Bescheid wissen. Aber freilich. Sie haben nichts auf dem Gewissen, wenn Sie zum Lensmann kommen, hahaha. Wie gesagt, Sie können sich heute noch ausruhen und dann morgen in den Wald gehen.
Ich bereitete mich auf den morgigen Tag vor, sah meine Kleider nach, feilte die Säge, schliff meine Axt. Handschuhe hatte ich keine, aber das Wetter war ja auch noch nicht dazu angetan, und sonst fehlte mir nichts.
Der Lensmann kam mehrere Male zu mir heraus und schwätzte mit mir über alles mögliche, es machte ihm wohl Spaß, sich mit mir zu unterhalten, weil ich ein fremder Wanderer war. Komm her, Margarethe! rief er seiner Frau zu, die über den Hofplatz ging. Da ist der neue Mann. Ich lasse ihn Brennholz machen.
Es war uns nicht vorgeschrieben worden, aber wir begannen nach eigenem Gutdünken nur Bäume mit vertrocknetem Gipfel zu schlagen, und der Lensmann sagte am Abend, daß es so recht sei. Übrigens würde er uns morgen selbst alles anweisen.
Ich begriff bald, daß diese Arbeit nicht bis Weihnachten dauern würde. So, wie Wetter und Erdboden jetzt waren, mit Frost in den Nächten und ohne Schneefall, schlugen wir jeden Tag eine Masse Bäume um, und es gab keine Hindernisse, die uns aufgehalten hätten. Selbst der Lensmann fand, daß wir Teufelskerle seien bei dieser Waldarbeit, hahaha. Es war leicht, bei diesem alten Mann zu arbeiten, er kam oft zu uns in den Wald und war guter Laune, und da ich ihm seinen Scherz nicht zurückzugeben pflegte, glaubte er wohl, ich sei ein langweiliger aber zuverlässiger Kerl. Er ließ mich jetzt auch Briefschaften zur Post bringen und von dort holen.
Es gab keine Kinder auf dem Hof und auch keine jungen Menschen, außer den Mädchen und dem einen Knecht. An den Abenden wurde die Zeit oft ein bißchen lang. Um mich zu zerstreuen, nahm ich Zinn und Säuren und verzinnte einige alte Töpfe in der Küche. Doch war das bald getan. So verfiel ich eines Abends darauf, folgenden Brief zu schreiben:
Ach, dürfte ich doch dort sein, wo Sie sind, dann würde ich für zwei arbeiten!
Am nächsten Tag sollte ich für den Lensmann zur Post, da nahm ich auch meinen Brief mit und sandte ihn ab. Ich war sehr unruhig, der Brief sah noch dazu ziemlich ärmlich aus, denn ich hatte das Papier vom Lensmann erhalten und mußte seinen aufgedruckten Namen auf dem Umschlag mit einem ganzen Streifen Briefmarken verkleben. Wer doch wüßte, was sie sagen wird, wenn sie den Brief bekommt. Es stand kein Name und kein Ort darin.
Dann arbeiten wir wieder im Wald, der junge Knecht und ich, reden von unseren kleinen Angelegenheiten, plagen uns ehrlich und redlich und kommen gut miteinander aus. Die Tage vergingen. Leider sah ich schon das Ende der Arbeit nahen, hatte aber noch eine kleine Hoffnung, daß der Lensmann etwas anderes für mich finden würde, wenn die Waldarbeit zu Ende wäre. Kommt Zeit, kommt Rat. Nur ungern wollte ich vor Weihnachten wieder auf die Wanderung.
Da stehe ich eines Tages wieder in der Post und bekomme einen Brief. Ich begreife nicht, daß er an mich gerichtet ist und drehe und wende ihn unschlüssig hin und her. Der Posthalter aber, der mich jetzt kennt, liest die Adresse noch einmal und sagt, daß dies mein Name sei, und daß darunter die Adresse des Lensmannes stehe. Plötzlich durchzuckt mich ein Gedanke, und ich greife nach dem Brief. Ja, er gehört mir, ich vergaß … es ist ja wahr …
Und in meinen Ohren läuten Glocken, ich eile auf die Straße hinaus, öffne den Brief und lese:
Schreiben Sie mir nicht –
Ohne Namen, ohne Ort, aber so klar und wunderbar. Das erste Wort war unterstrichen.
Ich weiß nicht, wie ich heimkam. Ich weiß nur noch, daß ich auf einem Meilenstein saß und den Brief las und ihn in die Tasche steckte, worauf ich bis zu einem anderen Meilenstein ging und wiederum dasselbe tat. Schreiben Sie nicht. Aber durfte ich denn also kommen und vielleicht mit ihr sprechen? Dieser kleine hübsche Bogen Papier und diese flüchtigen, feinen Buchstaben! Ihre Hände hatten diesen Brief gehalten, er hatte unter ihren Augen gelegen, ihren Atem gefühlt. Und am Schluß war ein Gedankenstrich, der eine Welt bedeuten konnte.
Ich kam nach Hause, lieferte die Post ab und ging in den Wald. Die ganze Zeit träumte ich und betrug mich wohl ganz unbegreiflich für meinen Kameraden, der mich ein über das andere Mal einen Brief lesen und ihn wieder zwischen meinen Geldscheinen verwahren sah.
Wie schnell hatte sie mich gefunden! Sie hatte wohl den Briefumschlag gegen das Licht gehalten und den Namen des Lensmannes unter den Marken gelesen, dann hatte sie ihren herrlichen Kopf geneigt und gedacht: Er arbeitet jetzt auf Hersaet beim Lensmann …
Als wir am Abend wieder zu Hause waren, kam der Lensmann zu uns heraus, sprach über Verschiedenes und fragte:
Haben Sie nicht gesagt, Sie hätten bei Kapitän Falkenberg auf Övrebö gearbeitet?
Ja.
Er hat eine Maschine erfunden, wie ich sehe.
Eine Maschine?
Eine Baumsäge, – steht in den Zeitungen.
Es gibt mir einen Ruck. Er hat doch wohl nicht meine Baumsäge erfunden?
Das muß ein Irrtum sein, sage ich; denn der Kapitän hat die Säge nicht erfunden.
Nicht?
Nein. Aber die Säge ist bei ihm in Verwahrung gegeben.
Ich erzählte dem Lensmann alles. Er holte die Zeitung, und wir lesen beide: Neue Erfindung … Unsern Mitarbeiter hingesandt … Die Konstruktion der Säge, die von großer Bedeutung für die Waldeigentümer werden kann … Die Maschine geht von folgenden …
Sie wollen doch nicht behaupten, daß Sie die Säge erfunden haben?
Doch, so ist es.
Und der Kapitän will sie stehlen? Na, das ist ja eine schöne Geschichte, wirklich eine schöne Geschichte. Vertrauen Sie nur auf mich. Sah jemand Sie an der Erfindung arbeiten?
Ja, sämtliche Dienstleute des Kapitäns.
Gott straf' mich, das ist aber doch wahrhaftig das Frechste, was ich je gehört habe, Ihre Erfindung stehlen! Und das Geld – das kann eine Million werden!
Ich mußte zugeben, daß ich den Kapitän nicht verstünde.
Aber ich verstehe ihn, nicht umsonst bin ich Lensmann. Nein, seit langem habe ich den Mann schon ein wenig im Verdacht, zum Teufel, er ist nicht so reich, wie er tut. Nun werde ich ihm einen kleinen Brief senden, einen ganz kurzen Brief, was meinen Sie dazu? Hahaha. Vertrauen Sie nur auf mich.
Jetzt aber kamen mir Bedenken, der Lensmann war zu hitzig, es konnte ja möglich sein, daß der Kapitän schuldlos war, und daß der Zeitungsmann ungenau berichtet hatte. Ich bat den Lensmann, mich selbst schreiben zu lassen.
Und dann darauf eingehen, mit dem Spitzbuben zu teilen? Niemals. Sie legen das Ganze in meine Hand. Überhaupt, wenn Sie selbst schreiben, können Sie doch die Worte nicht so setzen wie ich.
Aber ich ging ihm so lange um den Bart, bis ich den ersten Brief selbst schreiben durfte, danach sollte er eingreifen. Ich erhielt wieder einen Briefbogen von ihm.
An diesem Abend kam ich nicht zum Schreiben. Es war ein so bewegter Tag gewesen, und mein Inneres war noch in Unruhe. Ich grübelte und dachte nach. Um der gnädigen Frau willen wollte ich nicht direkt an den Kapitän schreiben und dadurch vielleicht auch ihr Unannehmlichkeiten bereiten, dagegen wollte ich meinem Kameraden Falkenberg mit einigen Worten bitten, die Maschine doch im Auge zu behalten.
Nachts hatte ich wieder Besuch von der Leiche, dieser traurigen, mit einem Hemd bekleideten Frau, die mir wegen ihres Daumennagels niemals Ruhe ließ. Gestern war ich in einer so tiefen Gemütsbewegung gewesen, heute nacht schien ihr der rechte Zeitpunkt, zu kommen. Von Schrecken durchschauert, sehe ich sie hereingleiten, mitten im Zimmer stehen bleiben und mir die Hand entgegenstrecken. An der andern Wand, mir gerade gegenüber, lag mein Kamerad aus dem Wald in seinem Bett, und es war mir wunderbar erleichternd zu hören, wie auch er stöhnte und unruhig war, so daß wir also der Gefahr zu zweit ausgesetzt schienen. Ich schüttelte den Kopf: ich hätte den Nagel an einem friedlichen Ort begraben und könne nun nichts mehr tun. Aber die Leiche blieb immer noch stehen. Ich bat sie um Verzeihung; plötzlich aber erfaßt mich der Ärger, ich werde zornig und erkläre ihr, daß ich mich nicht mehr länger mit ihr abgeben wolle. Ich hätte mir ihren Nagel damals nur in aller Eile ausgeliehen, ihn aber bereits vor Monaten wieder begraben und damit meine Schuldigkeit getan … Da gleitet sie seitlich bis zu meinem Kopfkissen und versucht, hinter meinen Rücken zu kommen. Ich werfe meinen Oberkörper nach vorne und stoße einen Schrei aus.
Was ist denn? fragt der Knecht von seinem Bett her.
Ich reibe mir die Augen und antworte, daß ich nur geträumt habe.
Wer war denn eigentlich hier? fragt der Knecht.
Ich weiß nicht. War jemand da?
Ich habe jemand hinausgehen sehen …
Ein paar Tage vergingen, dann setzte ich mich ruhig und überlegen hin und schrieb an Falkenberg. Ich hätte eine kleine Sägekonstruktion auf Övrebö stehen, schrieb ich, sie könne vielleicht einmal einige Bedeutung für die Waldbesitzer bekommen, und ich hätte vor, sie in allernächster Zeit abzuholen. Sei so gut und behalte sie im Auge, damit nichts daran verdorben wird.
So milde schrieb ich. Das war am würdigsten. Es sollte ein durch und durch feiner Brief sein, wenn Falkenberg, der natürlich in der Küche davon sprechen würde, ihn vorzeigte. Aber er war durchaus nicht lauter Sanftmut und wieder Sanftmut und nichts anderes, ich setzte ein bestimmtes Datum fest, um meinen Ernst zu zeigen: Montag, den elften Dezember, will ich kommen und die Maschine abholen.
Ich dachte, diese Frist ist klar und bestimmt: Ist die Maschine an diesem Montag nicht da, dann wird also etwas geschehen.
Ich trug den Brief selbst fort und verklebte wieder den Aufdruck auf dem Umschlag mit einem Streifen Briefmarken …
Mein schöner Rausch dauerte immer noch an, ich hatte den köstlichsten Brief der Welt bekommen, ich trug ihn hier in der Brusttasche, er war an mich gerichtet. Schreiben Sie nicht. Nein, gut, aber ich konnte kommen. Und hinter dem Ganzen stand ein Gedankenstrich.
Es war doch wohl kein Mißverständnis mit dem unterstrichenen Wort: es sollte doch nicht nur das Verbot im allgemeinen verschärfen? Die Damen hatten die üble Angewohnheit, alle möglichen Worte zu unterstreichen und überall Gedankenstriche zu machen. Aber sie nicht, nein, sie nicht!
In einigen Tagen würde die Arbeit beim Lensmann ein Ende nehmen, es paßte gut, alles war ausgerechnet, am elften würde ich auf Övrebö sein! Das war vielleicht nicht eine Minute zu früh. Wenn der Kapitän wirklich Pläne mit meiner Maschine hatte, dann galt es, schnell zu handeln. Sollte mir ein Fremder meine sauer erworbene Million stehlen dürfen? Hatte nicht ich mich dafür geplagt? Schon begann ich, meinen sanften Brief an Falkenberg so halb und halb zu bereuen, er hätte bedeutend schärfer sein dürfen, vielleicht glaubte er jetzt gar nicht, daß ich sehr streng sein konnte. Du wirst sehen, es kann ihm sogar noch einfallen, gegen mich zu zeugen, zu zeugen, daß nicht ich die Maschine erfunden habe. Hoho, mein lieber Freund Falkenberg, das sollte mir nur fehlen! Dann würdest du erstens die ewige Seligkeit verlieren; – wenn dir aber das nichts weiter ausmachen sollte, dann werde ich dich wegen Meineids bei meinem Freund und Wohltäter, dem Lensmann, verklagen. Weißt du, was das für Folgen hat?
Natürlich müssen Sie reisen, sagte der Lensmann, als ich mit ihm sprach. Und kommen Sie nur mit der Maschine zu mir zurück. Sie müssen Ihren Vorteil wahren, hier handelt es sich vielleicht um große Summen.
Am nächsten Tag brachte die Post eine Nachricht, die mit einem Schlag die Lage veränderte: der Kapitän teilte von selbst in der Zeitung mit, daß es auf einem Mißverständnis beruhe, wenn die Konstruktion der neuen Baumsäge ihm zugeschrieben würde. Der Erfinder sei ein Arbeiter, der eine Zeitlang auf seinem Hof beschäftigt gewesen sei. Über die Maschine selbst möchte er sich nicht weiter aussprechen. Kapitän Falkenberg.
Der Lensmann und ich sahen einander an.
Was sagen Sie jetzt? fragte er.
Der Kapitän ist auf jeden Fall unschuldig.
So. Wissen Sie, was ich meine?
Pause. Der Lensmann ist vom Scheitel bis zur Sohle Lensmann und durchschaut Intrigen.
Er ist nicht unschuldig, sagt er.
Wirklich nicht?
So etwas bin ich schon gewöhnt. Jetzt zieht er zurück, Ihr Brief hat ihn gewarnt. Hahaha.
Ich muß dem Lensmann gestehen, daß ich mich durchaus nicht an den Kapitän gewandt, sondern nur einen kurzen Brief an den Knecht auf Övrebö gesandt hätte, und daß dieser Brief noch nicht einmal angekommen sein könne, da ich ihn erst gestern abend aufgegeben habe.
Da verstummte der Lensmann und versuchte nicht mehr, Intrigen zu durchschauen. Dagegen schien er von diesem Augenblick an Zweifel an dem Wert der ganzen Erfindung zu hegen.
Es ist ja schließlich möglich, daß die Maschine gar nichts taugt, sagte er. Gutmütig fügte er jedoch hinzu: ich meine, daß sie vielleicht verändert und verbessert werden muß. Sie sehen ja, wie oft man an den Kriegsschiffen und an den Flugzeugen etwas ändern muß … Wollen Sie immer noch reisen?
Ich hörte nichts mehr davon, daß ich zurückkommen und meine Maschine mitbringen solle; aber der Lensmann gab mir ein gutes Zeugnis. Er würde mich gerne länger behalten haben, stand darin, aber die Arbeit mußte abgebrochen werden, weil ich an anderer Stelle private Interessen wahrzunehmen hatte …
Als ich am nächsten Morgen gehen will, steht vor dem Hof ein kleines Mädchen und erwartet mich. Olga. So ein Kind, sie muß seit Mitternacht auf den Beinen gewesen sein, um so früh hier sein zu können. Da stand sie in ihrem blauen Rock und in ihrer Jacke.
Du bist es, Olga? Wo willst du hin?
Sie wollte zu mir.
Woher wußte sie, daß ich hier sei?
Sie hatte meinen Aufenthalt erfragt. Ob es wahr sei, daß die Nähmaschine ihr gehören solle? Aber es sei doch nicht zu erwarten –
Doch, die Maschine gehöre ihr, ich hätte sie gegen das Bild eingetauscht. – Näht sie gut?
Ja, sie näht gut.
Wir hatten kein langes Gespräch miteinander. Ich wollte sie von hier wieder forthaben, ehe der Lensmann herauskäme und fragen würde.
Ja, geh nun heim, mein Kind. Du hast einen langen Weg.
Olga legt ihre Hand in meine, in der sie ganz verschwindet, und läßt sie darin liegen, solange ich will. Dann dankt sie mir und trabt wieder munter davon. Und die Zehenspitzen stehen einwärts und auswärts, wie es sich gerade trifft.
Sonntag nacht schlafe ich bei einem Bauern in der Nähe von Övrebö, um am Montag morgen schon früh auf den Hof kommen zu können. Um neun Uhr mußten ja alle schon auf sein, da würde ich wohl das Glück haben, die zu treffen, die ich suchte.
Ich war sehr nervös geworden und stellte mir die schlimmsten Dinge vor: ich hatte einen anständigen Brief an Falkenberg geschrieben und keine starken Worte gebraucht, aber der Kapitän konnte sich doch an dem verfluchten Datum, an der Frist, die ich ihm gestellt hatte, stoßen. Wollte Gott, ich hätte keinen Brief geschrieben!
Als ich mich dem Hof nähere, ziehe ich den Kopf immer mehr ein und mache mich klein, obwohl ich nichts Schlimmes begangen habe. Ich weiche vom Weg ab und mache einen Bogen, um zuerst zu den Nebengebäuden zu kommen, – dort treffe ich Falkenberg. Er wäscht den Wagen. Wir begrüßen einander und sind die gleichen Kameraden wie früher.
Ob er heute ausfahren müsse?
Nein, er sei eben erst gestern abend heimgekommen. Sei auf der Bahnstation gewesen.
Wer ist denn abgereist?
Die gnädige Frau.
Die gnädige Frau?
Die gnädige Frau, ja.
Pause.
So? Wo ist sie denn hingereist?
In die Stadt.
Pause.
Es ist einmal ein fremder Mann hier gewesen und hat dann etwas von einer Maschine in die Zeitung geschrieben, sagt Falkenberg.
Ist der Kapitän auch verreist?
Nein, der Kapitän ist zu Hause. Er rümpfte die Nase, als dein Brief kam.
Ich veranlaßte Falkenberg, mit mir in unsere alte Dachkammer zu gehen, ich hatte immer noch zwei Flaschen Wein im Sack, die ich jetzt hervorholte. Holla, diese Flaschen, die ich Meile auf Meile hin und zurück geschleppt hatte und so vorsichtig hatte tragen müssen, jetzt brachten sie ihren Nutzen. Ohne sie hätte Falkenberg nicht so viel gesagt.
Warum verzog der Kapitän wegen meines Briefes das Gesicht? Bekam er ihn zu sehen?
Das ging so zu, sagt Falkenberg: Die gnädige Frau stand in der Küche, als ich mit der Post kam. Was ist das für ein Brief mit den vielen Marken? fragte sie. Ich öffnete ihn und sagte, daß er von dir sei, und daß du am elften kommen wolltest.
Was sagte sie da?
Weiter nichts. Am elften kommt er? fragte sie nur noch einmal. Ja, am elften, antwortete ich.
Und ein paar Tage später wurde dir befohlen, sie zur Bahnstation zu fahren?
Ja, das war wohl einige Tage später. Da dachte ich: wenn die gnädige Frau von dem Brief weiß, wird ja wohl auch der Kapitän davon wissen. Weißt du, was er sagte, als ich damit zu ihm kam?
Ich antwortete nicht darauf, sondern dachte und dachte. Hier steckte vielleicht etwas dahinter. War sie vor mir geflohen? Ich war verrückt, die Frau des Kapitäns auf Övrebö floh doch nicht vor einem ihrer Arbeitsleute. Aber alles sah so sonderbar für mich aus. Ich hatte die Hoffnung gehegt, mit ihr sprechen zu dürfen, da mir verboten worden war zu schreiben.
Falkenberg fährt ein wenig gedrückt fort:
Ich zeigte also dem Kapitän den Brief, obwohl du das nicht verlangt hattest. Hätte ich es nicht tun sollen?
Doch, es ist gleich. Was sagte er dazu?
Ja, paß nur recht gut auf die Maschine auf, sagte er und verzog das Gesicht. Damit keiner kommt und sie mitnimmt, sagte er.
Ist der Kapitän jetzt böse auf mich?
Nein, nein. Das kann ich mir nicht denken. Ich habe seitdem nichts mehr davon gehört.
Das mit dem Kapitän konnte ja auch gleich sein. Als Falkenberg etlichen Wein getrunken hat, frage ich ihn, ob er die Adresse der gnädigen Frau in der Stadt wisse. Nein, aber Emma weiß sie vielleicht. Wir holen Emma, geben ihr Wein, reden über alles mögliche, nähern uns der Sache und fragen schließlich auf ganz feine Art. Nein, Emma wußte die Adresse nicht. Die gnädige Frau wollte Weihnachtseinkäufe machen und reiste zusammen mit Fräulein Elisabet vom Pfarrhof. Dort wußte man sicher die Adresse. Was wollte ich übrigens damit?
Ich hätte eine alte Filigranbrosche erstanden, und wollte sie fragen, ob sie mir die Brosche abkaufen wolle.
Zeig her.
Glücklicherweise konnte ich Emma die Brosche zeigen, sie war alt und sehr schön, ich hatte sie einem der Mädchen auf Hersaet abgekauft.
Die will die gnädige Frau doch nicht haben, sagte Emma. Und ich erst recht nicht.
O ja, wenn du mich dreinbekämst, Emma, sage ich und zwinge mich zum Scherzen.
Emma geht. Wieder horche ich Falkenberg aus. Falkenberg hatte eine gute Nase, er verstand sich bisweilen auf die Menschen.
Ob er der gnädigen Frau noch vorsinge?
O nein. Und Falkenberg bereute schon, daß er sich hier gebunden hatte; es schien, als solle es hier nun immer mehr und mehr Kummer und Tränen geben.
Kummer und Tränen? Waren der Kapitän und seine Frau nicht gut Freund miteinander?
Doch, zum Teufel, sie waren gute Freunde. Genau wie früher. Am letzten Samstag weinte sie den ganzen Tag.
Wer hätte geglaubt, daß es so kommen würde, sie sind doch gewiß rücksichtsvoll und rechtschaffen gegeneinander, sage ich und laure auf seine Antwort.
Aber sie haben sich so dick, sagt Falkenberg in seinem Valdresschen Dialekt. Sie hat auch schon sehr verloren, in der kurzen Zeit, seit du fort warst, ganz bleich und mager ist sie geworden.
Mehrere Stunden lang saß ich in unserer Dachstube und behielt das Hauptgebäude von meinem Fenster aus im Auge, aber der Kapitän zeigte sich nicht. Warum kam er nicht heraus? Es war aussichtslos, noch länger zu warten, ich mußte fort, ohne mich beim Kapitän entschuldigt zu haben. Ich hätte freilich gute Gründe zu meiner Verteidigung vorbringen können, hätte alles auf den ersten Artikel in der Zeitung schieben können, der mich ein wenig größenwahnsinnig gemacht habe, was ja auch richtig war. Jetzt konnte ich nichts anderes tun, als meine Maschine zusammenpacken, sie so gut als möglich mit meinem Sack zu verdecken und mich auf die Wanderschaft begeben.
Emma war in der Küche und stahl etwas Essen für mich, ehe ich fortging.
Wieder hatte ich einen langen Marsch vor mir. Zuerst mußte ich zum Pfarrhof, der im übrigen beinahe an meinem Weg lag. Und von dort aus zur Bahnstation. Es fiel ein wenig Schnee, der das Gehen erschwerte, und ich konnte mir nicht Zeit lassen, wie ich wollte, sondern mußte aus allen Kräften marschieren: die Damen in der Stadt wollten nur Weihnachtseinkäufe machen, und sie hatten bereits einen guten Vorsprung.
Am folgenden Nachmittag kam ich auf den Pfarrhof. Ich hatte mir ausgedacht, daß es am besten sei, wenn ich mit der Frau Pfarrer sprechen könnte.
Ich bin auf dem Wege zur Stadt, sagte ich zu ihr, und schleppe eine Maschine mit, darf ich die schwersten Holzteile hier einstellen?
Du willst in die Stadt? fragt die Pfarrerin. Aber du wirst doch wohl bis morgen bei uns bleiben?
Nein, vielen Dank, ich muß morgen in der Stadt sein.
Die Frau Pfarrer denkt nach und sagt:
Elisabet ist in der Stadt. Du könntest ein Paket für sie mitnehmen, sie hat etwas vergessen.
Jetzt erfahre ich die Adresse! dachte ich.
Aber ich muß es erst herrichten.
Dann könnte Fräulein Elisabet aber schließlich abreisen, ehe ich hinkomme.
Nein, nein, sie ist mit Frau Falkenberg gereist, sie bleiben eine ganze Woche dort.
Das war eine erfreuliche Nachricht, eine herrliche Nachricht. Jetzt wußte ich sowohl die Adresse wie die Zeit.
Die gnädige Frau sieht mich von der Seite an und sagt:
Dann bleibst du wohl hier über Nacht? Ja, denn ich muß wirklich erst alles herrichten …
Ich bekam ein Zimmer im Hauptgebäude, denn es war zu kalt, um auf dem Heu zu schlafen, und als am Abend alles zu Bett gegangen und das ganze Haus still war, kam die gnädige Frau mit dem Paket zu mir und sagte:
Entschuldige, daß ich jetzt komme. Aber du gehst morgen wohl so früh fort, daß ich noch nicht auf bin.
Dann stehe ich wieder mitten im Lärm und Gedränge der Stadt, zwischen Zeitungen und Menschen, und da seit meinem letzten Hiersein viele Monate vergangen sind, ist es mir gar nicht so unangenehm. Ich schlendere einen Vormittag umher, kaufe mir neue Kleider und begebe mich zu Fräulein Elisabet. Sie wohnte bei ihren Verwandten.
Würde ich nun so glücklich sein, auch die andere zu treffen? Ich bin unruhig wie ein Knabe. Da ich an Handschuhe gar nicht mehr gewöhnt bin, ziehe ich sie aus; als ich die Treppe hinaufsteige, sehe ich, daß meine Hände nicht zu den Kleidern passen, und so ziehe ich die Handschuhe wieder an. Dann läute ich.
Fräulein Elisabet? Ja, wollen Sie bitte ein wenig warten.
Fräulein Elisabet kommt. Guten Tag! Haben Sie nach mir …? Nein, Sie sind es!
Ich hätte ein Paket von Ihrer Mutter abzugeben. Hier, bitte schön.
Sie reißt die Hüllen herunter und sieht, was es ist. Nein, Mama ist großartig! Das Opernglas. Wir sind schon im Theater gewesen … Ich habe Sie nicht sofort erkannt.
So. Aber es ist doch noch nicht so lange her.
Nein, aber … Sagen Sie mir, Sie wollen sicher gerne nach jemand anderem fragen? Hahaha.
Ja, sagte ich.
Sie wohnt nicht hier. Nur ich wohne hier, bei Verwandten. Sie ist im Hotel Viktoria.
Na, das Paket war ja auch für Sie, sagte ich und versuchte meiner Enttäuschung Herr zu werden.
Warten Sie ein wenig, ich will gerade in die Stadt, da können wir zusammen gehen.
Fräulein Elisabet macht sich fertig, verabschiedet sich durch die Türe und geht mit mir fort. Wir nehmen einen Wagen und fahren in ein stilles Café. Fräulein Elisabet findet es so lustig, ins Café zu gehen. Aber dieses hier sei nicht lustig.
Ob sie lieber in ein anderes wolle?
Ja. Ins Grand.
Ich fürchtete, daß ich dort erkannt werden könnte, ich war lange fortgewesen und mußte vielleicht Bekannte begrüßen. Aber das Fräulein verlangt das Grand. Der kurze Aufenthalt in der Stadt hatte sie schon ganz sicher gemacht. Früher aber hatte ich sie sehr gerne gehabt.
Wir fahren wieder fort und kommen zum Grand. Es geht gegen Abend. Das junge Mädchen setzt sich mitten ins hellste Licht und strahlt selbst vor lauter Vergnügen. Ich lasse Wein bringen.
Nein, wie fein Sie geworden sind, sagt sie und lacht.
Ich könnte hier ja nicht mit der Arbeitsbluse gehen.
Nein, natürlich. Aber offen gestanden, die Bluse … Darf ich sagen, was ich meine?
Ja, bitte.
Die Bluse kleidete Sie besser.
Was Sie sagen! Der Teufel hole diese Stadtkleider! – Ich saß da vor ihr, und mir brannten andere Dinge im Kopf, es lag mir nichts an diesem Gespräch.
Bleiben Sie lange in der Stadt? frage ich.
Solange Louise bleibt, mit den Einkäufen sind wir fertig. Nein, leider dauert es zu kurz … Dann wird sie wieder aufgeräumt und fragt lachend: Hat es Ihnen bei uns auf dem Land gefallen?
Ja, das war eine schöne Zeit.
Kommen Sie bald wieder? Hahaha.
Sie trieb sicher nur ihren Scherz mit mir. Sie wollte wohl zeigen, daß sie mich durchschaut hatte, daß die Rolle, die ich auf dem Lande gespielt hatte, nicht so ganz echt gewesen war. Das Kind! – ich könnte jeden Arbeiter anleiten und bin in vielen Dingen Fachmann! In meinem eigentlichen Lebensberuf aber bleibe ich immer hinter dem zurück, was ich mir erträume.
Soll ich Papa bitten, im Frühjahr an dem Pfosten anzuschlagen, daß Sie alle Arten von Wasserleitungsanlagen übernehmen?
Sie schloß die Augen und lachte; sie lachte so herzlich.
Ich bin vor Spannung ganz zerrissen und leide unter diesen Scherzen, obwohl sie so gutmütig sind. Ich blicke im Café umher, um mich zu sammeln, da und dort wird ein Hut gezogen, und ich antworte und sehe alles wie aus weiter Entfernung. Die reizende Dame, mit der ich hier saß, machte alle auf uns aufmerksam.
Sie kennen also diese Leute, die Sie da grüßen?
Ja, einige … Haben Sie es hier in der Stadt nett gehabt?
Großartig. Ich habe zwei Vettern hier, und diese haben ihre Kameraden.
Der arme Erik daheim! sage ich im Scherz.
Ach, Sie mit Ihrem Erik. Nein, hier gibt es einen, der heißt Bewer. Aber zurzeit stehe ich mit ihm auf Kriegsfuß.
Das geht schon wieder vorüber.
Glauben Sie? Übrigens ist es ziemlich ernstlich. Passen Sie auf, ich erwarte eigentlich jeden Augenblick, daß er herkommt.
Dann müssen Sie ihn mir zeigen.
Als wir hierher fuhren, dachte ich mir aus, daß wir beide hier sitzen und ihn eifersüchtig machen könnten.
Ja, das wollen wir tun.
Ja, aber –. Aber da müßten Sie doch ein wenig jünger sein. Ich meine –
Ich zwinge mich zum Lachen. Oh, wir würden es schon schaffen. Verachten Sie uns Alten nicht, uns Uralten, wir können ganz unvergleichlich sein. Machen Sie mir nur auf dem Sofa Platz, damit er meinen Mond nicht steht.
Oh, wie schwer ist es doch, den schicksalsschwangeren Übergang zum Alter auf eine schöne und stille Art zu finden. Eine gewisse Krampfhaftigkeit tritt ein, ein Zucken und Zappeln, Grimassen, der Kampf mit den Jüngeren, der Neid.
Hören Sie, gnädiges Fräulein, sage ich und bitte sie von ganzem Herzen: Können Sie nicht telephonieren und Frau Falkenberg hierher kommen lassen?
Sie denkt nach.
Doch, das wollen wir tun, erwidert sie und ist barmherzig.
Wir gehen ans Telephon, rufen das Hotel Viktoria an und lassen Frau Falkenberg ans Telephon bitten.
Bist du es, Louise? Du solltest nur wissen, mit wem ich hier bin, kannst du kommen? Das ist schön. Wir sind im Grand. Das darf ich nicht sagen. Doch, freilich ist es ein Mann, aber jetzt ist er ein Herr, mehr sage ich nicht. Kommst du also? Nun, was gibt es da lang zu überlegen? Verwandte? Ja ja, du mußt tun, wie du meinst, aber –? Doch, er steht hier bei mir. Du hast es aber eilig! Also leb wohl.
Fräulein Elisabet läutete ab und sagte kurz:
Sie muß zu Verwandten.
Wir setzen uns wieder an unseren Tisch. Es kommt mehr Wein, ich versuche lustig zu sein und schlage Champagner vor. Ja, danke. Als wir gerade am gemütlichsten beisammen sitzen, sagt die junge Dame:
Da ist Bewer. Das ist jetzt wirklich ausgezeichnet, daß wir Champagner haben.
Ich bin nur von einem einzigen Gedanken erfüllt, und als ich nun meine Kunst zeigen und das gnädige Fräulein zum Vorteil eines anderen betören soll, sage ich das Eine, denke aber dabei an etwas ganz anderes. Da muß es ja verkehrt gehen.
Ich kann das Telephongespräch nicht aus dem Kopf bringen: sicher hat sie den Zusammenhang geahnt und wußte, daß ich es war, der auf sie wartete. Was hatte ich aber nur verbrochen? Warum in aller Welt hatte ich denn auf Övrebö so rasch meinen Abschied bekommen, warum war Falkenberg für mich eingestellt worden? Der Kapitän und seine Frau waren zwar vielleicht nicht immer die besten Freunde, aber er hatte wohl doch eine Gefahr in mir geahnt und seine Frau vor einem lächerlichen Fall bewahren wollen. Und da schämte sie sich jetzt hier, weil ich auf ihrem Hof bedienstet gewesen war, ihren Kutscher hatte machen müssen, und weil sie zweimal den Proviant mit mir geteilt hatte. Und sie schämte sich meines gesetzten Alters …
Nein, so geht es nicht, meint Fräulein Elisabet.
Da gebe ich mir also wieder Mühe und sage allerlei närrisches Zeug, bis sie lachen muß, trinke viel und werde waghalsiger und erfinderisch. Schließlich scheint das Fräulein zu glauben, daß ich wirklich auf eigene Rechnung arbeite. Sie sieht mich an.
Ist das wahr, finden Sie wirklich, daß ich hübsch bin?
Hören Sie doch, seien Sie lieb … Ich spreche ja von Frau Falkenberg.
Still! antwortet Fräulein Elisabet. Natürlich meinen Sie Frau Falkenberg, das wußte ich die ganze Zeit, aber warum müssen Sie mir das sagen? Ich glaube jetzt, daß es auf den dort drüben zu wirken beginnt. Wir müssen fortfahren, unser Interesse darf nicht nachlassen.
Also glaubte sie nicht, daß ich auf eigene Rechnung arbeite. Ich war zu allem zu alt, zum Teufel!
Aber Frau Falkenberg können Sie doch nicht bekommen, fängt sie wieder an. Das ist hoffnungslos.
Nein, ich kann sie nicht bekommen. Und Sie kann ich auch nicht bekommen.
Sprechen Sie jetzt auch zu Frau Falkenberg?
Nein, jetzt rede ich mit Ihnen.
Pause.
Wissen Sie, daß ich einmal in Sie verliebt gewesen bin? Doch. Bei uns daheim noch.
Jetzt wird die Sache lustig, sage ich und rücke auf dem Sofa vor. Ja, jetzt wollen wir Bewer ganz knicken.
Ja, denken Sie sich, ich ging an den Abenden auf den Friedhof hinauf, um Sie dort zu treffen. Aber Sie dummer Mensch verstanden gar nichts davon.
Jetzt sprechen Sie gewiß mit Bewer, werfe ich ein.
Nein, es ist wirklich wahr, was ich da sage. Und einmal kam ich zu Ihnen auf den Acker hinaus. Ich kam nicht wegen Ihres Erik, wie Sie glaubten.
Nein, so etwas, zu mir! sage ich und stelle mich wehmütig.
Ja, Sie finden das wohl sonderbar? Aber Sie müssen bedenken, wir auf dem Land brauchen auch jemand, den wir gerne haben können.
Sagt das Frau Falkenberg auch?
Frau Falkenberg – nein, sie sagt, daß sie keinen Menschen gern haben will, sie will nur auf ihrem Flügel spielen und so. Ich rede von mir. Nein, wissen Sie, was ich einmal tat? Aber ob ich das sagen soll? Wollen Sie es hören?
Ja, gerne.
Ja, denn Ihnen gegenüber bin ich doch noch ein kleines Mädchen, da macht es nichts: Als Sie damals bei uns auf dem Heu schliefen, schlich ich mich einmal in die Scheune und machte aus ihren Decken ein Bett für Sie zurecht.
So, Sie waren das! sage ich aufrichtig und falle aus der Rolle.
Sie hätten nur sehen sollen, wie ich mich einschlich, hahaha.
Doch das junge Mädchen war noch nicht gerissen genug, sie wechselte bei ihrem kleinen Bekenntnis die Farbe und lachte gezwungen, um darüber hinwegzukommen.
Ich will ihr helfen und sage:
Sie sind ja ein großartiges Menschenkind. So etwas hätte Frau Falkenberg nicht fertig gebracht.
Nein, aber sie ist auch älter. Sie glaubten vielleicht, daß wir gleichaltrig seien?
Sagt Frau Falkenberg, daß sie sich in keinen Menschen verlieben will?
Ja. Uff, nein übrigens, ich weiß es nicht. Frau Falkenberg ist doch verheiratet, das wissen Sie doch, sie sagt gar nichts. Reden Sie jetzt wieder ein bißchen mit mir … Ach, und dann mußten wir doch einmal zusammen zum Landhändler gehen, erinnern Sie sich? Ich ging immer langsamer und langsamer, damit Sie mich einholen könnten …
Ja, das war hübsch von Ihnen. Und jetzt will ich Ihnen dafür auch eine Freude machen.
Ich stehe auf, gehe zu dem jungen Bewer hinüber und frage ihn, ob er nicht ein Glas mit uns, an unserem Tisch, trinken will. Er kommt mit; Fräulein Elisabet wird bei seinem Kommen puterrot. Dann bringe ich die beiden jungen Leute in ein lebhaftes Gespräch und dann fällt mir ein, daß ich noch etwas zu besorgen habe und sie verlassen müsse –: so schwer es mir fällt, meine Herrschaften, Sie, Fräulein Elisabet, haben mich freilich ganz verhext, aber ich sehe ein, daß ich Sie doch nicht bekomme. Es ist mir allerdings ein Rätsel …
In Gedanken versunken gehe ich die Rathausstraße hinunter, bleibe eine Weile bei den Droschkenkutschern stehen und beobachte die Türe des Hotels Viktoria. Aber es ist ja wahr, sie ist heute abend bei Verwandten. Dann gehe ich ins Hotel und spreche mit dem Portier.
Doch, Frau Falkenberg ist zu Hause. Zimmer Nummer zwölf, im ersten Stock.
Sie ist also nicht ausgegangen?
Nein.
Reist sie bald ab?
Sie hat nichts gesagt.
Ich gehe wieder hinaus, und die Kutscher schlagen mit einem Bitte-schön das Schutzleder zurück. Ich wähle einen Wagen und steige ein.
Wohin wollen Sie fahren?
Wir bleiben hier stehen. Ich nehme Sie stundenweise.
Die Kutscher stellen sich wieder zusammen und flüstern, der eine meint dies, der andere jenes: er will das Hotel beobachten, wahrscheinlich ist seine Frau drinnen bei einem Handlungsreisenden.
Ja, ich beobachte das Hotel. In manchen Zimmern ist Licht und mir kommt plötzlich der Gedanke, daß sie vielleicht oben an einem Fenster stehen und mich sehen könnte. Warten Sie ein wenig, sage ich zu dem Kutscher und gehe wieder ins Hotel.
Wo ist Nummer zwölf?
Im ersten Stock.
Und gehen die Fenster nach der Rathausstraße?
Ja.
Dann war es also doch meine Schwester, die mir zuwinkte, sage ich und lüge, um am Portier vorbeizukommen.
Ich gehe die Treppe hinauf, und um mir keine Zeit zu lassen wieder umzukehren, klopfe ich sofort an, sowie ich die Nummer gefunden habe. Keine Antwort. Ich klopfe noch einmal an.
Ist es das Mädchen? fragte es drinnen.
Ich konnte nicht ja antworten, meine Stimme würde mich verraten haben. Ich drückte die Klinke nieder, die Türe war verschlossen. Sie hatte wohl befürchtet, daß ich kommen würde, vielleicht hatte sie mich auch auf der Straße gesehen.
Nein, es ist nicht das Mädchen, sage ich und höre, wie die Worte fremdartig zittern.
Ich warte eine lange Zeit und lausche; ich höre es drinnen rascheln, geöffnet aber wird nicht. Da klingelt es zweimal kurz aus einem der Zimmer zum Portier hinunter. Das ist sie, denke ich, sie ruft dem Mädchen, sie ist unruhig. Ich entferne mich von ihrer Türe, um ihr nicht Unannehmlichkeiten zu bereiten, und wie dann das Mädchen kommt, gebe ich mir den Anschein, als wollte ich hinuntergehen. Ich höre das Mädchen sagen: Ja, es ist das Mädchen. Und höre, wie die Türe geöffnet wird.
Nein, nein, sagt das Mädchen wieder, es war nur ein Herr da, der eben hinunterging.
Erst wollte ich ein Zimmer im Hotel nehmen, aber das widerstrebte mir, sie gehörte nicht zu den Frauen, die sich ein Stelldichein mit einem Handlungsreisenden gaben. Als ich zum Portier hinunterkam, sagte ich im Vorbeigehen, daß sich die gnädige Frau offenbar schlafen gelegt habe.
Dann gehe ich wieder hinaus und setze mich in den Wagen. Die Zeit vergeht, eine Stunde vergeht, der Kutscher fragt mich, ob ich nicht friere? Doch ja, ein wenig. Ob ich auf jemand warte? Ja … Er reicht mir eine Decke vom Bock herunter, und da er so freundlich ist, gebe ich ihm ein Trinkgeld.
Die Zeit vergeht. Stunde auf Stunde vergeht. Die Kutscher tun sich keinen Zwang mehr an, sondern sagen untereinander, ich ließe das Pferd zuschanden frieren.
Es half wohl auch nichts mehr: Ich bezahle den Wagen, gehe heim und schreibe folgenden Brief:
Ich durfte Ihnen nicht schreiben, würden Sie mir wenigstens erlauben, Sie wieder zu sehen? Ich werde morgen nachmittag um fünf Uhr im Hotel vorsprechen.
Sollte ich eine frühere Stunde festsetzen? Aber das Licht des Vormittages ist so hell. Wenn ich erregt bin und mein Mund zuckt, nehme ich mich wohl schrecklich aus.
Ich brachte den Brief selbst ins Viktoria und ging wieder heim.
Eine lange Nacht. Oh, wie lang waren diese Stunden! Jetzt, da ich schlafen und mich stärken sollte, um für den anderen Tag frisch zu sein, konnte ich es nicht. Der Tag graute, und ich stand auf. Nach einer langen Wanderung durch die Straßen taumle ich wieder heim, lege mich hin und schlafe ein.
Die Stunden vergehen. Als ich aufwache und zur Besinnung komme, stürze ich in meiner Angst sofort ans Telephon und frage, ob Frau Falkenberg abgereist sei.
Nein, sie ist nicht abgereist.
So wollte sie also Gott sei Dank nicht vor mir fliehen, denn sie mußte meinen Brief schon seit langem erhalten haben. Nein, nur die Zeit war gestern abend ungünstig gewesen, das war alles.
Ich esse und lege mich wieder schlafen. Als ich aufwache, ist es schon Mittag vorbei, wieder eile ich ans Telephon und läute an.
Nein, die gnädige Frau ist nicht abgereist. Aber sie hat gepackt. Sie ist jetzt ausgegangen.
Sofort mache ich mich fertig, fahre gleich in die Rathausstraße und beobachte das Hotel. Im Laufe einer halben Stunde kommen und gehen viele Leute durch das Tor des Hauses, aber sie ist nicht darunter. Es ist jetzt fünf Uhr und ich gehe zum Portier hinein.
Frau Falkenberg ist abgereist.
Abgereist?
Haben Sie telephoniert? Im selben Augenblick kam sie und holte ihren Mantel. Aber ich habe einen Brief für Sie.
Ich nehme den Brief und ohne ihn zu öffnen frage ich nach dem Zug.
Der Zug geht um vier Uhr fünfundvierzig, sagt der Portier und sieht auf seine Uhr. Jetzt ist es fünf Uhr.
Eine halbe Stunde hatte ich vergeudet, weil ich vor dem Hotel wartend gestanden hatte.
Ich setze mich auf eine Treppenstufe und starre zu Boden. Der Portier spricht noch immer mit mir. Er hat wohl begriffen, daß die Dame nicht meine Schwester war.
Ich sagte der gnädigen Frau, daß soeben ein Herr telephoniert habe. Aber sie antwortete nur, sie habe keine Zeit, ich solle Ihnen diesen Brief geben.
War eine andere Dame bei ihr, als sie abreiste?
Nein.
Ich stehe auf und gehe fort. Als ich auf der Straße bin, öffne ich den Brief und lese:
Sie dürfen mich nicht mehr verfolgen –
Ganz schlaff stecke ich ihn in die Tasche. Er setzte mich nicht in Erstaunen, machte keinen neuen Eindruck auf mich. Echt weibliche, hastige Worte, der ersten Eingebung folgend, unterstrichen und Gedankenstrich …
Da verfalle ich darauf, zu Fräulein Elisabet zu gehen und dort anzuklingeln; noch hatte ich diese letzte Hoffnung. Ich höre, wie die Glocke drinnen bei meinem Druck auf den Knopf surrt und stehe da und lausche wie in eine brausende Wüste hinein.
Fräulein Elisabet ist vor einer Stunde abgereist.
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Und erst ist es Wein und noch mehr Wein und dann wird es Whisky. Und dann werden es ungeheure Mengen von Whisky. Und dann wird eine Sauferei von einundzwanzig Tagen daraus, wobei sich ein Vorhang über mein irdisches Bewußtsein senkt. In diesem Zustand kommt mir eines Tages der Gedanke, einen Spiegel mit einem lustigen, vergoldeten Rahmen in eine Hütte auf dem Land zu senden. Er sollte einem kleinen Mädchen namens Olga gehören, das ebenso zutraulich und unterhaltend war wie ein kleines Kalb.
Ja, denn ich habe immer noch meine Neurasthenie. In meinem! Zimmer liegt die Maschine. Ich kann sie nicht mehr aufstellen, die größeren Holzteile sind in einem Pfarrhof auf dem Lande zurückgeblieben. Meinetwegen, meine Liebe zu dieser Maschine ist abgestumpft. Meine Herren Neurastheniker, wir sind schlechte Menschen, und zu irgendeiner Art von Tieren taugen wir auch nicht.
Schließlich wird es mir wohl eines Tages zu langweilig werden, noch länger bewußtlos zu sein, und ich reise abermals hinaus auf eine Insel.
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